Das Schiff schwamm still auf dem blauen Meer dahin. Mister Stopps hatte gleich gesagt, eine lange Seereise wäre ihm recht, also konnte Kasperle viele Tage mit seinen guten Freunden zusammen sein. Auch ließ ihm Mister Stopps Freiheit genug, und die drei Kameraden freuten sich schon am Zusammenspielen.
Ja, wenn die Prinzessin nicht gewesen wäre!
Die ärgerte sich einmal wieder tüchtig über das Kasperle. Der kleine Schelm hatte seine liebe Not mit ihr. Sie wollte immer da sitzen, wo die drei Freunde gerade spielen wollten, und an allen Unfällen, die ihr zustießen, sollte immer Kasperle schuld sein. Wenn das Schiff gerade einen Hopser machte und der Braten der Prinzessin auf den Schoß fiel, dann war es Kasperle gewesen. Immer hatte Kasperle alles getan.
Der arme Schelm wurde ganz traurig darüber. Er kasperte Mister Stopps gar nichts mehr vor, machte keine Streichlein, und Mister Stopps verlernte das Lachen wieder, das ihm Kasperle so gut beigebracht hatte.
Die Sache aber war die: die Prinzessin wollte jetzt Mister Stopps heiraten. Aber Mister Stopps wollte nicht. Die Prinzessin aber dachte, er ist reich und einen reichen Mann kann ich gerade gut brauchen. Frau Stopps zu heißen ist ja kein Vergnügen, aber ich bin Prinzessin und bleibe Prinzessin und nenne mich Prinzessin Stopps und damit basta.
Aber Mister Stopps sagte nicht basta, er dachte, »oh no, ich mag sie nicht.«
Kasperle, Marlenchen und das Prinzlein saßen mit Piet zusammen, und der sollte nun endlich von der Kasperle-Insel erzählen, als die Prinzessin heranschwebte. »Kasperle, du sollst sogleich zu Mister Stopps kommen,« sagte sie.
Es war gar nicht wahr, sie mochte nur die drei nicht zusammensehen. Kasperle war wütend. Piet war wie eine eingerostete Tür mit seiner Erzählung. Ehe er dazu kam, anzufangen, dauerte es schrecklich lange und allemal kam jemand dazwischen, und das nächstemal murrte und knurrte Piet endlos, ehe er wieder anfing, und wer weiß, wer dann kam und wieder störte.
Kasperle war fuchswild, und unnütz rief er: »Es ist ja nicht wahr!«
»Doch, es ist wahr!«
»Du lügst!«
Das ging der Prinzessin über den Spaß. Gerade weil sie gelogen hatte, sollte das niemand sagen. Sie rief zornig: »Also du gehst auf der Stelle und kasperst Mister Stopps etwas vor. Er klagt, er könne nicht mehr lachen.«
Das stimmte ja nun, und Kasperle erhob sich seufzend. »Piet, behalte die Geschichte im Munde,« sagte er, »damit ich sie nachher hören kann.« Und eins – zwei – drei – purzelbaumte Kasperle über die Prinzessin hinweg und kam eher bei Mister Stopps an, als er selbst gedacht hatte.
Mister Stopps hatte schlechte Laune.
Er ärgerte sich über Kasperle, die Prinzessin, über seine Nase, weil er einen Schnupfen hatte, und über sonst etwas. Kasperle bekam ein bitterböses Gesicht zu sehen.
Aber Kasperle war unverzagt. Er rief: »Komm, Mister Stopps, Piet erzählt von meiner Insel.«
»Deiner Insel?«
»Ja, der Kasperle-Insel.«
Hei, da war Mister Stopps flink auf den Beinen. Das wollte er doch arg gern hören. Also kamen Mister Stopps und Kasperle gerade an, als Piet zur Prinzessin sagte: »Wenn Kasperle nicht zuhört, erzähle ich nicht. Kasperle ist die Hauptperson. Warum haben Sie ihn weggeschickt.«
»Mister Stopps hat doch Kasperle gerufen.«
Lügen haben kurze Beine. Der Prinzessin ihre Lüge hatte sogar ein Humpelbein. Mister Stopps hörte gerade das letzte Wort und er rief: »Ich habe Kahspärle nicht gerufen.«
»Dann hat sie gelogen.«
»Aber Kasperle!«
»Ist doch wahr.«
Alle sagten es. Es half der Prinzessin nichts, daß sie sagte sie hätte es so verstanden. Mister Stopps wurde erschrecklich böse. Obgleich er auch schon in seinem Leben gelogen hatte, sagte er doch, lügen wäre sehr schlimm, und er schimpfte die Prinzessin aus, als wäre sie ein kleines Schulmädel.
So furchtbar schimpfte Mister Stopps, daß selbst Kasperle Mitleid mit der Prinzessin hatte.
Aber komisch, das Geschimpfe tat der Prinzessin wohl. Sonst hatten alle Leute Angst vor ihr, aber dieser Mister Stopps nicht, und darum gefiel er ihr so gut, daß sie wieder dachte: den möchte ich heiraten.
Aber diesmal dachte sie gar nicht an das viele Geld, das Mister Stopps hatte, sondern nur an ihn selbst, und darüber wurde ihr Gesicht ganz mild und freundlich und Kasperle schrie auf einmal: »Jetzt sieht sie wie gutes Wetter aus.«
»Aber Kasperle!« Marlenchen zupfte ihren Liebling, aber die Prinzessin nahm es merkwürdigerweise nicht übel.
Mister Stopps kümmerte sich nicht im geringsten um das Gesicht der Prinzessin, er war fertig mit seiner Strafrede und sagte zu Piet: »So, nun uollen ich von der Kahspärle-Insel hören.«
Und Piet erzählte wirklich. Er erzählte, schon oft hätten Seefahrer versucht, auf der Insel einzudringen, doch es wäre keinem gelungen, die Kasperles hätten ein sonderbares Mittel, um die Feinde wehrlos zu machen, sie beschössen sie mit Lachpulver. Das gewönnen sie von der Lachpflanze, davon müßten die Leute so erschrecklich lachen, daß sie gar nichts machen könnten. Welches Schiff auch trotz der Korallenriffe der Insel schon nahe gekommen sei, habe wieder ohne Erfolg abfahren müssen, die Leute seien froh gewesen, vor Lachen wieder auf das Schiff zu kommen.
»Oh, das müssen schön sein,« rief Mister Stopps, »ich uill hin, da kann ich mir auslachen.«
»Sie haben ja Ihr Kasperle,« sagte die Prinzessin etwas spöttisch.
»Oh, es machen kein Spaß mehr, kein Streichlein und nichts.«
»Na, ich denke, dumme Streiche macht er doch gerade genug.« So ärgerlich sagte dies die Prinzessin, daß ihr Gutwettergesicht gleich weg war, und Kasperle dachte: Warte! Laut sagte er: »Mister Stopps, laß dir doch von der Prinzessin etwas vorkaspern, sie kann’s.«
»Das ist frech!«
»O können Sie, fangen Sie an,« rief Mister Stopps.
»Sie kann Purzelbaum schießen.«
»Unerhört.« Die Prinzessin konnte vor Entrüstung nicht sprechen, und nun rief auch noch Mister Stopps: »Oh, bitte schossen Sie!«
Das war zuviel für eine vornehme Dame. Sie stand auf und wollte gehen und Kasperle rief unbedacht: »Ei fein, dann erzählt Piet weiter.«
Aber Piet sagte nein, trotzdem die Prinzessin sitzen blieb und nicht wegging. Die Geschichte wäre nun wieder einmal hinuntergerutscht.
Das war schlimm.
Kasperle erkundigte sich zwar, ob sie nicht wieder heraufkäme, wenn Piet schluckte. So ginge es ihm manchmal mit großen Bissen. Aber Piet sagte, sie käme nicht herauf.
Die Prinzessin fand Kasperles Rede unanständig und Kasperle bekam eine lange Strafrede, und am Schluß rief Kasperle: »Deine war länger.«
»Was, länger?«
»Ja, die von Mister Stopps, weil du gelogen hast.«
»Aber Kasperle!«
Die Prinzessin wurde so verlegen, daß sie davonlief und Kasperle rief Piet zu: »Nun kannst du erzählen.«
»Sie steckt zu tief unten.«
»Uas steckt unten?« fragte Mister Stopps.
»Die Geschichte.«
»O uie merkwürdig.«
»Hol sie doch rauf,« rief Kasperle.
»Das geht nicht.«
»Dann schüttle, da fällt sie unten durch.«
Aber Piet meinte, das ginge auch nicht. So hörten denn die drei Freunde wieder nicht, was Piet noch vom Kasperlelande wußte.
Es war schon sehr schlimm.
Und immer war die Prinzessin daran schuld.
War’s da ein Wunder, wenn Kasperle auf ein Streichlein sann?
Es sann lange und ganz ernsthaft, und Marlenchen fragte ein paarmal: »Was hast du, Kasperle?«
»Nichts,« sagte Kasperle.
Es hatte auch nichts, denn ihm fiel nichts ein.
Da ertönte die Schiffsglocke, es war Mittagszeit, und da machte Kasperle einen Purzelbaum und weg war er.
Ihm war etwas eingefallen.
Die Prinzessin kam immer zuletzt in den Speisesaal, sie meinte, für eine Prinzessin schicke sich das. Und Kasperle kam sonst immer zuerst, aber heute blieb das Kasperle so lange aus, daß die Prinzessin ihm auf dem Fuße folgte und auf einmal purzelte das Kasperle und stand dann gleich wieder auf den Beinen.
Da rief Kasperle »aiho«, die hüpfende Prinzessin verlor plötzlich das Gleichgewicht, glitschte aus und pardauz, da lag sie.
»Sie hat einen Purzelbaum geschossen!«
»Ja, sie schoßte,« sagte Mister Stopps. Und dann knarrte und knurrte es – Mister Stopps lachte.
Er lachte so laut und mächtig, daß die Prinzessin ganz verlegen war.
So hatte sie noch niemand ausgelacht.
»Das ist unerhört!« rief sie.
»Oh, es sein merkuürdig, eine Prinzessin, die ein Purzelbaum schoßt. O bitte nochmal!«
Wer weiß, was die Prinzessin in ihrem Ärger nicht alles gesagt und getan hätte, aber da kam der Kellner mit der Suppe – und da lagen Kellner und Suppe, wo vorher die Prinzessin gelegen hatte.
»Oh!« Mister Stopps lachte immer mehr, und als der Kellner aufgestanden war, kam der Kapitän, der schalt heftig und – pardauz, da lag auch der Kapitän am Boden.
»Seife ist schuld, hier ist Seife,« rief der Kapitän. »Wer hat –«
Da saß Kasperle unter dem Tisch und fing ein erschreckliches Gebrüll an.
»Kasperle ist’s gewesen. Er hat Seife gestreut. Er muß Haue haben!« Der Kapitän sagte es, die Prinzessin schrie es, und der Kellner murmelte es. Kasperle hörte es von allen dreien. Und der Kapitän befahl einem Matrosen, er solle einen Stock holen.
Es war eine ganz schlimme Sache.
Marlenchen weinte laut, aber da sagte auf einmal der Matrose, es war Piet, »ich würd‘ ihn nicht hauen, weil’s doch vielleicht ein Prinz ist und wir der Insel so nahe sind.«
»Ein Prinz, was schwatzt du da?«
»Ja, meine Geschichte ist wieder raufgerutscht.«
»Was für eine Geschichte?«
»Die von der Kasperle-Insel. Mein Freund hat nämlich erzählt,« sagte Piet, ehe der Kapitän nochmal sagen konnte, daß er den Stock holen sollte, »einmal wäre ein Kasperle doch gestohlen worden von der Insel, das sei der Sohn vom Kasperlekönig gewesen, Prinz Bimlim. Der wäre dann an einen fürstlichen Hof gekommen und habe dort die allerschrecklichsten und unglaublichsten Streiche vollführt. Und ich denke, das ist unser Kasperle gewesen.«
»Die Streiche könnten schon stimmen, aber an einem Hof ist Kasperle wohl nie gewesen, dazu ist er zu ungebildet,« rief die Prinzessin.
»Doch, früher mal.« Kasperle sah ganz nachdenklich aus, »das war, ehe ich so lange geschlafen habe.«
»Wo war denn das?«
Ja, das wußte Kasperle nicht mehr.
Nichts wollte ihm einfallen. Da sagte die Prinzessin: »Dann kann er nach Tisch seine Haue haben.«
Na, das ist eine schöne Geschichte, wenn eins sagt, wenn du dich satt gegessen hast, wirst du gehauen.
Dem Kasperle gefiel’s nicht sonderlich. Er war aber ein Luftibus und dachte, solche Dinge, die man vorher sagt, gehen oft nicht in Erfüllung. Also ließ er sich’s gut schmecken. Die Seife war abgewischt, die zerbrochene Suppenschüssel weggeräumt, und alle saßen da und warteten auf das Essen. Es kam, und die Prinzessin wollte gerade zulangen, als Kasperle so laut er konnte, schrie: »Titus Max hat er geheißen!«
»Wer denn?«
Die Prinzessin hatte vor Schreck den Löffel in die Soße fallen lassen, ganz entgeistert sah sie das Kasperle an: »Was soll’s denn mit meinem Urgroßvater?«
»So hat der Fürst geheißen, bei dem ich mal war.«
»Mein Urgroßvater – ja doch,« rief die Prinzessin, »das kann schon stimmen, die Sage geht, er hätte einen pudelnärrischen Kerl am Hofe gehabt, bist du das gewesen?«
»Das weiß ich nicht.«
»Aber wenn du den Namen weißt, mußt du doch mehr wissen!«
Alle fragten jetzt, denn alle meinten, dem Kasperle wäre jetzt das Besinnen gekommen. So war’s aber nicht. Dem Kasperle ging nur manchmal ein Türlein auf, dann wutschte etwas heraus. So war es jetzt gewesen.
Aber alle konnten so viel vom Kasperle herausfragen, so viel sie wollten. Kasperle wußte nur den Namen. Er bekam aber einen gehörigen Schreck, als die Prinzessin sagte: »Kasperle, dann gehörst du eigentlich mir und nicht Mister Stopps.«
»O no, ich haben ihn gekaufen für zuei Millionen.«
Aber die Prinzessin blieb dabei, Kasperle gehöre ihr. Sie stritt sich mit Mister Stopps herum, und dem Kasperle wurde immer bänger um sein kleines Herz. Am liebsten wäre er wieder zum Koch gegangen und Küchenjunge geworden oder in den Mehlsack gefallen.
Marlenchen und das Prinzlein sahen die Angst ihres Gefährten und sie sagten beide: »Komm, wir verstecken dich.« Und gerade da rief der Kapitän: »Recht muß Recht bleiben, das Kasperle gehört der Prinzessin.«
»Nä,« schrie Kasperle entsetzt.
»O no, ich haben ihn gekaufen. Sie müssen mich die zwei Millionen uiedergeben.« Mister Stopps war auch in Angst um sein Kasperle.
»Ich gebe Ihnen nichts wieder. Aber Kasperle gehört mir.«
»Mich gehören er!«
»Mir!«
»Mich!«
Wer weiß, wie lange die beiden noch gemirt und gemicht hätten! Wäre nicht ein großer Lärm auf dem Schiff entstanden, sie hätten sich so drei Tage gestritten.
Aber die Türe flog auf, der erste Steuermann stürzte herein und schrie: »Wo ist der Kapitän?«
»Hier, was ist denn geschehen?«
»Herr Kapitän, wir bekommen Sturm!«
Und »Sturm, Sturm,« schrie es draußen.
»Was ist?« Die Prinzessin sah auf einmal totenbleich aus.
»Sturm gibt es, da können uir ertrinken,« antwortete Mister Stopps, »aber mich gehört Kahspärle, und jetzt komm, Kahspärle, ich nehme dir mit mich.«
»So ist’s recht.« Herr Severin faßte Marlenchens Hand und Frau Liebetraut nahm das Prinzlein, »ihr kommt zu uns.«
»Und ich soll wohl allein bleiben?« Die Prinzessin zitterte vor Angst. Und ehe Mister Stopps es sich versah, hatte sie ihn untergefaßt und rief: »Sie müssen mich beschützen.«
»Meinetuegen, aber Kahspärle gehört mich.«
»Mir!«
Hupp, das Schiff schaukelte und die Prinzessin tat einen Schrei.
»Mich!« Mister Stopps behielt das letzte Wort, denn die Prinzessin war nun wirklich vor Angst halbtot. Sie konnte endlich einmal nicht widersprechen.