217. Die Wassermuhme

217. Die Wassermuhme

Bei Slate ohnweit Parchim an der Elde fließt ein tiefer Bach, der nahebei in die Elde fällt. Eines Abends erging sich der Prediger des Dorfes am Wasser entlang unter den hohen Eichen. Die Sonne war untergegangen, und die Dämmerung brach herein, da rauschte es im Wasser, und eine dumpfe Stimme ward hörbar, die sprach: Die Stunde ist da, aber der Knabe noch nicht. Dieses Wort aus dem Wasser machte den Geistlichen bedenklich, er gab seinen Spaziergang auf und ging nach dem nahen Dorfe zu. Da lief ihm ein hübscher Knabe entgegen. Der Pastor rief ihn an: Wohin, mein Sohn, wohin so eilend? – Zum Bache! rief der Knabe dreist. Ich will Muscheln dort suchen und bunte Steine! – Gehe nicht, mein Knabe! sprach der Geistliche. Laufe lieber zu mir in das Haus und hole mir meine Bibel. Du sollst auch einen Schilling haben. Der Knabe lief hin und holte die Bibel und brachte sie und wollte dann schnell nach dem Wasser eilen, da sie aber jetzt im Dorfe und in des Kruges Nähe waren, sprach der Pastor: Verziehe noch, Knabe, du sollst auch einmal trinken. Und heischte Bier im Krug für den Knaben, und der Knabe trank. Da scholl ein Schrei und ein Rauschen vom Wasser her, und der Knabe sank tot nieder. Die Stunde war da und der Knabe auch.

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218. Der Gast des Pfingsttänzers

218. Der Gast des Pfingsttänzers

Zu Kessin war lustiger Pfingstreigen, das Pfingstbier war gut und die Freude groß. Ein munterer Bauernknecht war unter den Tänzern, der war von einem entfernten Dorfe hergekommen und tat das beste mit. Als aber Mitternacht herzukam, mochte er nicht länger bleiben, obschon die Tänzer ihn dazu nötigten und die Dirnen sich merken ließen, daß sein Weggang ihnen nicht lieb sei, aber er ging. Stockdunkel war es auf des Knechtes Pfad, aber dieser hatte nicht zu viel getrunken und schritt sicher fürbaß, dann tat sich der Himmel flammend auf und machte alles in weite Ferne taghell, und ein schwerer Donnerschlag rollte, und dann war es wieder tiefdunkel, aber der Bursche fürchtete sich nicht, sondern ging gottgetrost seinen Weg. Auf einmal hallt es neben ihm wie Tritte, und im Dunkel der Sommernacht sieht er, daß ein langer Mann neben ihm wandert. Der lange Mann grüßt ihn nicht, und der Knecht grüßt nicht den langen Mann, denn viel Grüßens ist im Mecklenburger Lande nicht Sitte. Jetzt kamen die stillen Wanderer an einen schmalen Steg, da fing der lange Mann an zu reden und fragte: Wie willst du da hinüberkommen? – Der Nase nach! Ist’s deine Sorge? antwortete der Knecht mit landüblicher Derbheit und schritt über den Steg. Der Lange folgte ihm. Nach einer Weile kamen sie an ein umzäunt Gehöft. Wie willst du da hinüberkommen? fragte wieder der Fremde. – Geht dich das an? fragte der Knecht zurück. Ohne deine Hülfe! und stieg über den Zaun. Da kletterte der Lange auch über den Pfahlzaun. Jetzt ging der Knecht an das Haus, das war verschlossen. Wie willst du da hineinkommen? fragte der lange Mann. Du wirst mir doch nicht aufschließen! antwortete der Knecht, klopfte ans Fenster, und da war eine alte Frau im Stübchen, die erhob sich, schlug Licht und trippelte zur Türe und schloß auf. Das war des Burschen Mutter, die hieß ihn willkommen. Der Fremde trat uneingeladen mit in das Haus und in die Stube, und da sagte der Bursche: Ach Mutter, da ist auch ein fremder Mann, dem ist nicht wohl zumute, geht doch hin zum Herrn Nachbar, dem Pastor, er möchte kommen und den fremden Herrn aus Gottes Wort trösten. Da schauerte es dem Langen durch alle Gebeine, und hörte auf, lang zu sein; er kroch in sich zusammen und wurde klein und immer kleiner, und endlich kroch er unten durch die Türspalte wie ein Mäuslein und war dagewesen. Und der Knecht und seine Mutter freuten sich und dankten Gott, daß sie den schlimmen Gast los waren.

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21. Die Teufelsbrücke

21. Die Teufelsbrücke

Vom Multhorn, nicht allzufern von St. Gotthard, stürzt sich mit raschem Rollen und unbändigen Sprüngen ein wildes Bergwasser, die Reuß. Ein Alpenhirte liebte eine Sennerin, die er zum öftern besuchte, aber er hatte oft mit dem wilden Fluß seine Not, hinüberzukommen, und mußte doch hinüber und auch wieder herüber zu seiner Hütte und Herde. Als nun einstmals die Reuß recht angeschwollen war und wilder als jemals über die Felsen herabstürzte, da sah der Hirte keine Möglichkeit, hinüber und zu seiner Geliebten zu gelangen, und rief aus: Ei, so wollt‘ ich, daß der Teufel käme und baute eine Brücke über dich verfluchtiges Wasser. – Und da kam der Teufel gleich hinter einem Felsklumpen hervor und sagte: He! was gibest mir, wenn ich dir die Brücke baue? – He! was soll ich dir geben? fragte der Hirte. – Die erste lebendige Seele, die darüber geht, sagte der Teufel und dachte, es werde niemand schneller sein als der Hirte, hinüberzukommen. Ich bin’s zufrieden, sagte der Hirt, und: Topp schlag ein! sagte der Teufel, und der Bub schlug ein. Jetzt baute der Teufel mit Hülfe aller seiner höllischen Geister die Brücke in ganz kurzer Frist, und als sie fertig war, setzte er sich hin und lauerte. Wer aber nicht darüberging, war der Hirtenbub, er jagte vom Gotthardgebirg unterm Hospital eine Gemse auf und trieb sie abwärts, immer der Reuß zu, bis an die Brücke, und da setzte sie flink hinüber. Der Teufel fuhr zu, wurde teufelswild über solches Wild und zerriß die Gemse in Stücken, nachdem er sie hoch in die Luft hinaufgetragen hatte. Nun ging der Hirte ungehindert, sooft er wollte, über die Brücke herüber und hinüber, doch soll es an derselben, die auf ewige Zeiten die Teufelsbrücke heißt, nicht recht geheuer sein, und es geht auch die Sage, der Teufel reiße alle Jahre ein Stück ein, daß immerdar daran gebaut werden müsse.

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219. Der Gast des Kornwucherers

219. Der Gast des Kornwucherers

Auf dem Hofe Großen-Metchling im Mecklenburger Lande saß ein alter geiziger Pachter, der häufte Ernten auf Ernten, und wenn das Korn nicht recht teuer wurde, so verkaufte er nicht, und wenn ihn auch die Leute fußfällig darum baten. Er hatte alle Kisten und Kasten voll Geld und Gut, aber tagtäglich suchte er mehr zusammenzuscharren, und durch unerhörten Kornwucher war er einzig und allein so reich geworden. In die Kirche ging er nicht; er sprach: Ich diene meinem Gott im Freien, dem Teufel aber diente er, dem Gott Mammon. Er übersah die Saatfelder und rechnete aus, wieviel sie tragen würden, und ärgerte sich, daß auf den Ackern seiner Nachbarn auch Getreide stand und diese auch ernten würden. So ging er ebenfalls an einem Pfingsttage draußen herum, sah, wie alles fröhlich wuchs und Gottes Segen wieder sichtbar nahe war, und wie es doch nun an ein Räumen der Kornspeicher gehen müsse, und war sehr unzufrieden und verwünschte und verfluchte die wohlfeile Zeit, wie alle nichtsnutzigen elenden Kornwucherer tun. Da kam ein Mann dahergefahren, der saß in einer schwarzen Kutsche, und ein schwarzer Kutscher lenkte schwarze Rosse; der Mann bot spöttisch gute Zeit und hielt an. Er stieg auch aus, und es hing ein langer Mantel über ihm, der seine Gestalt ganz einhüllte. Gute Aussicht auf gesegnete Ernte, nicht wahr? fragte der Fremde, und der Pachter murrte: So halb und halb; Pfingsten kann man den Erntemond noch nicht loben. Vorrat ist Herr! – Ihr habt wohl noch Vorrat? fragte der Fremde. – Etwas, nicht allzuviel, war die Antwort. Der Fremde fragte nach dem Preise, der Pachter forderte den höchsten Preis, der Fremde sagte: Topp, ich kaufe. – Dem Pachter lachte das Herz im Leibe, doch ärgerte er sich, daß er nicht noch mehr gefordert hatte, und lud den Fremdling ein, mit ihm zu frühstücken. Der Fremde ging mit dem Pachter. Wie beide den Hof betraten, schrien Hühner und Gänse und Enten wild durcheinander und flatterten auf und davon, und der Hofhund winselte, zog den Schwanz ein und kroch tief in seine Hütte. Die Frau des Pachters war in der Kirche, er ließ aber durch die Magd tüchtig aufschüsseln. Der Fremde neckte die Magd, dabei fiel unversehens sein Messer vom Tische, und wie die Dirne sich bückt, sieht sie des Fremden Füße, einen Geierfuß und einen Pferdefuß. Die Magd eilt zur Türe hinaus, stößt auf die Pachterin, die eben aus der Kirche kommt, teilt ihr mit, was sie gesehen, und die Frau sendet sie, eilend den Pastor, der gerade aus der Kirche komme, hereinzubitten. Dieser kommt im ganzen Summarium, wie man dortigen Landes sagt, im höchsten Ornat, die Bibel unterm Arme. Der Fremdling erschrickt, ruft aber dem Pastor frech entgegen: Guten Tag, Pfaffe! Hast du das Messer noch, das du als Bube mir, deinem Mitschüler, gestohlen? – Ganz verwirrt tritt der Geistliche zurück, und jener spricht: So sind sie! Andern wollen sie Buße predigen und sind doch selbst nicht rein. – Da fährt ein Geistlicher aus dem nahen Brudersdorf am Hause vorbei, die Frau ruft ihn herein, auch er tritt im ganzen Summarium, die Bibel unterm Arm, in die Stube. Da zittert und bebt der Fremde, diesem konnte er nichts vorwerfen, und jener bedräut ihn hart als den bösen Feind, den Unkrautsäemann, den brüllenden Löwen, und endlich öffnet er ein Fenster und ruft: Fahr aus, du unsauberer Geist, und gib Raum dem Heiligen Geist! Rasch fuhr unter Donnergeprassel der Böse aus dem Fenster, und aus den Kornspeichern da zog es wie Dampf und Nebel, Wolke auf Wolke, daß die Leute vermeinten, es brenne droben, aber es war nur der Kornwurm, der ausflog in zahllosen Millionen, drei Ernten auf einmal, die des Kornwucherers Geiz der Armut vorenthalten. So groß ist Gottes Macht und strafende Gerechtigkeit, daß er ein kleines Käferchen zur Rute macht, die den schändlichen Kornwucherer auf das empfindlichste züchtigt. Der Pachter war bis in sein Innerstes erschüttert, er ging in sich und wurde ein frommer Mann, verkaufte den Überfluß seines Getreides um gerechten Preis und hielt nicht wucherisch damit zurück, er hatte Sorge, es möchte ihm noch einmal von bannen fliegen. Heutiges Tages wird in Büchern geschrieben, der Kornwucher sei eine Fabel, ein Wahnglaube. Es heiße nicht Wucher, sondern Handel. – Wer es glaubt!

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220. Der heilige Damm

220. Der heilige Damm

An der Ostsee in der Nähe von Dobberan war ein Ort in großer Bedrängnis von der Flut, und die Einwohner sahen ihr gewisses Verderben vor Augen. Mit jedem Tage entführte die Flut ein Stück vom Lande, schon drohte den nächst am Ufer gelegenen Häusern der Untergang. Da wurden im ganzen Mecklenburger Lande Betstunden angeordnet, und das Flehen und Schreien eines ganzen Landes fand Gnade vor dem Herrn. Zum letzten Male hatten sich mit Furcht und Zagen die Bewohner zum Schlummer niedergelegt, und viele fanden ihn nicht, denn die See rauschte gewaltig und ging hohl, und der Boden erzitterte, und es zuckten Blitze über die Meereswogen. Dann wurde es stiller, und der Mond trat hinter Wolken hervor, und da schauten manche vom Strande ängstlich hinaus, da lag etwas Großes, Dunkles im Wasser, und manche meinten, es sei der Kraken, der seinen inselgleichen Rücken aus der Flut hebe, und als der Tag kam, siehe, so verlief sich das Wasser mehr und mehr vom Strande, und vor den Blicken der erstaunten Bewohner lag eine hohe Düne wie ein Wall und fester Damm. Der war auf das Gebet des Landes in einer Nacht entstanden durch die göttliche Hülfe, und alles Volk lobte Gott, und sie nannten den Damm den heiligen Damm und konnten ihn nicht ohne Dank und Verehrung erblicken.

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221. Die Sieben in Rostock

221. Die Sieben in Rostock

Die von alten Zeiten her berühmte Universitäts- und Münzstadt Rostock ward als merkwürdig von den Alten bezeichnet wegen der Siebenzahl.

Die Stadt hatte sieben Tore, sieben Brücken, sieben sämtlich vom Markt ausgehende Hauptstraßen, sieben Türme und sieben Türen im Rathause, an der Marienkirche sieben Portale, an den Uhrwerken sieben Glocken und im Rosengarten, der aus alter Zeit berühmt ist, und dessen oben in der Sage von des Minnesängers Heinrich Frauenlobs Begängnis zu Mainz gedacht wurde, sieben uralte Linden. Man hat vor alters wohl manches Mal Rostock spottend nachgesagt, es habe zu diesen vielen Sieben auch nur sieben Studenten, und es ist sogar gedruckt worden, es lebe und sterbe mancher Rostocker, ohne nur einen Studenten gesehen zu haben.

Den alten Namen aber hat Rostock von einem Rosenstock, es ward urbs rosarum, die Rosenstadt, genannt, und das steht wieder mit dem erwähnten Rosengarten in Verbindung.

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222. Sankt Nikolaus in Greifswald

222. Sankt Nikolaus in Greifswald

Zu Greifswalde hat in einer der Kirchen daselbst ein hölzern Bildnis des heiligen Nikolaus gestanden. In diese Kirche brach nächtlicherweile ein Dieb ein, wollte den Gotteskasten erbrechen und das darin befindliche Geld enttragen. Da erhob St. Nikolaus Bild drohend den Arm gegen den Dieb. Der aber war unerschrocken und sprach: Lieber Herr Sankt Nikolaus, ist das Geld im Kasten dein oder ist es mein? Weißt du was? Wir wollen darum laufen, wer zuerst an den Kasten kommt, dem soll das Geld sein. Und lief also stracklich durch das lange Schiff der Kirche dem Chore zu, aber siehe da, das Bild lief auch und stand am Kasten, als der Dieb hinzukam. Ei, Sankt Nikolaus! rief der Dieb, du könntest fürwahr beim Herzog oder Markgrafen Laufer werden, du hast gewonnen, aber was in aller Welt nützt dir das Geld? Wäre ich, wie du, von Holz und hätte nimmer Durst noch Hunger, wollt ich keines Geldes begehren! Darum habe ein Einsehen und ein Nachsehen und gönne mir das Geldlein. – Damit brach er den Gotteskasten auf, nahm kecklich das Geld und trug es von dannen.

Aber bald darauf starb dieser Dieb und wurde ehrlich begraben, denn niemand wußte, daß er ein Kirchenräuber war. Da sind die Teufel aus der Hölle heraufgestiegen, haben seinen Leib aus dem Grabe geholt und ihn bei den beraubten Gotteskasten niedergeworfen, darauf aber ihn draußen vor der Stadt an die Flügel einer Windmühle gehenkt. Von diesem Augenblicke an drehten die Flügel dieser Windmühle sich links und liefen links herum, solange sie stand, zum Wahrzeichen des Unrechts und des Unrechten.

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209. Der Wald kommt

209. Der Wald kommt

Vor alten Zeiten lag die Stadt Lübeck mit den Bewohnern der Insel Rügen im Krieg, die noch heidnisch waren und einen Tribut heischten für ihren Abgott. Sotanen Tribut haben aber die von Lübeck nicht zahlen wollen, und da sind ihnen die Rügier vor die Stadt gerückt und haben sie einzubekommen gesucht. Damit aber ihre Zahl nicht gleich erblickt werde, haben sie im Lauerholz Büsche und kleine Bäume gefällt, und diese haben die Kriegsleute vor sich her gehalten und sind so gegen die Stadt herangezogen, so daß die Turmwächter schrien: Der Wald kommt, der Wald kommt! Das Lauerholz rückt gegen die Stadt heran! Am Hochgericht machten die Rügier halt und warfen einen tiefen Graben auf und verschanzten sich und fügten den Bürgern viel Schlimmes zu. Darauf wurde ein starker Ausfall beschlossen, und es fand ein ernstes Schlagen statt, aber da die Nachricht in die Stadt kam, es stehe um die Bürger nicht zum besten und sie würden wohl zurückgedrängt werden, da erhoben sich die Frauen, bewaffneten sich mit dem, was sie fanden, drangen in die St. Jakobskirche, nahmen dort eine Fahne und stürmten zur Stadt hinaus, und als die Bürger dieses neue Heer anrücken sahen, wuchs ihnen der Mut, den Rügiern aber entfiel er, und sie wurden also geschlagen, daß sie das Feld räumten und das Lager, und daß unermeßliche Beute und selbst ihr Abgott in die Hände der Lübecker fiel. Darauf sind sie nimmer wiedergekommen. Die Sage vom kommenden Wald begegnet da und dort in stets verschiedener Färbung.

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210. Der Herthasee

210. Der Herthasee

Im Eiland Rügen war das Heiligtum der Mutter Erde, als Göttin gedacht von den alten Urvölkern des germanischen Norden und Hertha geheißen. Ein geheiligter Buchenwald, die Stubbenitz genannt, umgab einen tiefen See; im Walde stand der mit einem Gewand bedeckte Wagen der Göttin, darin sie alljährlich einmal das Land durchfuhr im Geleite eines einzigen Priesters, dem ihr Wille offenbart ward. Zwei heilige Kühe zogen den Wagen der Göttin, und wohin derselbe kam, da war Freude die Fülle und eitel Friedensfest; niemand durfte da streiten, keine Waffe durfte ergriffen werden. Das währte so lange, als die Göttin an einem Orte verweilte, und wenn sie nicht mehr weilen wollte, da führte der Priester sie zurück in ihr Heiligtum. Dann wurde in dem düstern See ihr Wagen, Gewande und ihr Bildnis gereinigt, und die Sklaven, welche dabei dienten, wurden in dem See geopfert, damit ihrer keiner je erzähle, was er geschaut. Die Sage geht, daß die Insel Rügen weder Wölfe noch Katzen dulde.

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211. Pape Dönes Glockenspiel

211. Pape Dönes Glockenspiel

Wie der Stürzebecher und seine Raub- und Mordgesellen auf Jasmund ihre geheimen Schlupfwinkel hatten, so saß ein ähnlicher Kumpan in einem unwegsamen Walde bei Ratzeburg, nur daß dieser kein Seeräuber war, sondern ein Landräuber, der hieß Pape Döne und war von unermeßlicher Stärke, die er sich durch ein Teufelsbündnis verschafft hatte. Er durchstreifte die Fluren als Bettler, fiel über die Reisenden her, überwältigte auch den stärksten Mann und schleppte ihn und all sein Gut nach seiner verborgenen Höhle und Mordgrube. Dort schnitt er seinen Ermordeten die Hirnschalen ab, zog die Haut davon, trocknete und bleichte erstere und hing sie an einer Schnur zwischen Bäumen auf, dann schlug er mit seinem Stecken daran und lauschte, welchen Klang oder Ton die Hirnschale von sich gab, und fand, daß nie einer klang wie der andere, und wie jeder Mensch seinen eignen Kopf hat, so ist auch der Klang seines Gehirndeckels vom andern verschieden, woraus leichtlich zu erklären, warum so viele Menschen so unharmonisch miteinander leben, weil eben ihre Hirnschalentöne nicht zusammenpassen. Von dieser Erfindung, welche Pape Döne sein Glockenspiel nannte, soll er auch, indem er Töne suchte, den Beinamen Döne erhalten haben. Wenn nun der musikalische Mann, der Urerfinder der Schädellehre, gleich wie auf einer Strohfiedel auf den Hirnschalen sich hören ließ, so machte er sich das Vergnügen, diese zu gleicher Zeit auch tanzen zu lassen, und dazu sang er wohlgemut eine spöttische Tanzweise:

So danzet, so danzet, min levesten Söne,
Dat Danzen, dat maket ju Vater Pape Döne.

Diesen verruchten Musikanten soll endlich der Teufel niedergeworfen haben, willens, mit seiner Seele an einen Ort zu fahren, wo Tanz und Spiel ein Ende haben, aber Pape Döne wollte nicht und versprach dem Teufel sieben Seelen statt seiner armen einzigen, wenn er ihm noch Frist gönne, und der Teufel war auch so dumm, sich im Netz der Arglist Pape Dönes fangen zu lassen. Kaum war der Teufel fort, so ging Pape Döne nach Lübeck, suchte einen Mönch auf und beichtete ihm seine Sünden, indem er herzlich bat, jener möge ihn gegen den Teufel in Schutz nehmen. Der Mönch versprach dies, wenn Pape Döne alle seine Untaten bekennen, alle ernstlich bereuen und dafür der strafenden Gerechtigkeit sein Leben zur Sühne bringen wolle. Pape Döne war von der letzten Bedingung nichts weniger als erbaut, aber es galt seine Seele zu retten. Da nun der Teufel nach einer Zeitlang kam und nach den sieben Seelen Erkundigung einziehen wollte, war Pape Döne fromm geworden, herzte und küßte ein Kruzifix und hielt es dem Teufel hin, er sollte es auch küssen. So etwas war dem Teufel noch nicht vorgekommen, er pfauchte Feuer und ließ Gestank fahren und fuhr ab, lauerte aber, als am andern Tage Pape Döne zum Galgen geführt wurde, um an selbigem als bußfertiger Sünder zu sterben, auf Pape Dönes Seele. Wie ward aber dem Teufel, als er zwei Engel sah, welche der fromme Mönch aus dem Himmel herabgebetet, und welche die Seele ganz frisch, wie sie aus dem Körper fuhr, in Empfang nahmen und mit in den Himmel! Darüber ärgerte sich der Teufel so sehr, daß er schwarz wurde. Seitdem ist der Teufel schwarz.

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