309. Hilde Schnee

309. Hilde Schnee

Kaiser Ludwig der Fromme jagte einst zur Winterszeit im Walde und verlor sein Reliquienkreuz, das er stetig am Halse trug. Da sandte er Diener aus, das vielwerte Kreuz zu suchen, und siehe, tief im Walde trafen sie mitten im Schnee einen blühenden Rosenstrauch, und an diesem Strauche lag des Königs Kreuz, ließ sich aber nicht von dannen heben und wegnehmen. Da ward dem König die Wundermär angesagt, und er eilte selbst an den Ort und fand nur eine Waldstrecke beschneit in Form eines großen Kirchenschiffes und am obern Ende den über und über voll blühenden Rosenstock und daran am Stamm das Kreuz, daß sich der König über alle Maßen verwunderte. Da rief er aus: Das ist Hilde-Schnee (Rosenschnee), und kniete nieder und betete zu Gott, ihm zu offenbaren, warum das Kreuz nicht von der Stelle wolle. Und da ward ihm offenbaret, einen Dom zu bauen: So weit des heiligen Schnees Umfang reiche, so groß solle des Domes Umfang sein. Da gelobte der König den Bau, und da vermochte er sein Kreuz wieder an sich zu nehmen. Ludwig ließ alsbald den Raum abstecken, den Tempelbau beginnen und trug Sorge, daß der Rosenstock erhalten bleibe. Um das hohe Münster siedelten sich nun Bau- und Werkleute und andere Fromme an, der König verlegte das Bistum von Elze an diesen Ort, der nun fortdauernd Hildeschnee hieß, bis daraus im Laufe der Zeit der Name Hildesheim entstand. Der Rosenstock wuchs fort und gedieh und steht heute noch am Hildesheimer Dome. Seine Wurzeln treibt er bis unter den Hochaltar, da schnitzte einst ein frommer Domherr aus einem Wurzelstock ein Kruzifix, das ward in hohen Ehren gehalten, und jeden Karfreitag, oder jeden Morgen in der Karwoche, mußten die Domherren das Kreuz in das Heilige Grab legen, das im Paradiese, oder der Vorhalle, bereitet war. Einstmals vergaßen die Domherren, dies zu tun, da hob das Bild sich von seiner Stelle und wandelte von selbst in das Grab. Seitdem ward es das Wandelkreuz genannt und noch mehr denn zuvor verehrt.

Auch im Hildesheimer Chorgestühle soll, wie zu Corvey durch die Lilie und zu Lübeck und Breslau durch eine Rose, der jedesmalige bevorstehende Tod eines Chorherrn durch eine weiße Rose angezeigt worden sein.

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310. Hütchen

310. Hütchen

Da Bischof Bernhard zu Hildesheim regierte, fand sich in seiner Residenz ein eigentümlicher Kobold ein, welcher nicht wie jener vielförmige Hinzelmann vorzog, unsichtbar zu bleiben, sondern sich vor jedermann in einem Bauernkleide sehen ließ, sehr fromm und gutmütig erschien und beständig einen spitzen Filzhut tief über das Gesicht trug, daher ihn das Gesinde bald nicht anders nannte als Hödeken, das ist Hütchen, weil man von seinem Kopfe eigentlich nur den Hut sah. Dieser seltsame Geist ließ sich gern in mancherlei Gespräche ein, gab guten Rat, fragte und antwortete und erzeigte sich gefällig und hülfreich. Zu einer Zeit, da Graf Hermann von Winzenburg durch einen seiner Vasallen wegen schlimmen Handels und begangener Untat samt seiner Gemahlin ermordet worden war und dadurch des Grafen Land herrenlos, weil er noch keine Kinder hatte, trat Hütchen in derselben Stunde, in welcher die Tat geschah, in des Bischofs Schlafgemach, erweckte ihn und sprach: Stehe auf und wappne dich; die Grafschaft Winzenburg ist erledigt. Nimm dein Volk und gewinne sie dir und deinem Stift. Da brach Bischof Bernhard schleunig auf mit Kriegsvolk, fiel in die Grafschaft, nahm Besitz von ihr und ließ Hildesheim vom Kaiser auf ewige Zeiten mit ihr belehnen. Später fand sich noch ein Erbberechtigter, und um diesen nicht zu sehr zu verkürzen, bekam er nun die Grafschaft vom Bischof zu Lehen. Dieser Graf von Winzenburg hatte zwei Söhne, die schon erwachsen waren und in Unfrieden lebten. Es war bei der Belehnung festgesetzt, daß nicht der Älteste, sondern immer der die Vorhand haben solle, welcher zuerst um die neue Belehnung nachsuchen werde. Als der alte Graf starb, hatte der ältere Bruder nichts Eiligeres zu tun, als sich zu Pferde zu setzen und gen Hildesheim zu jagen; der jüngste aber hatte kein Pferd und war ratlos und konnte für sich nichts hoffen. Da trat Hütchen zu ihm herein und gab guten Rat. Schreibe einen Brief an den Bischof, sprach er. Melde deines Vaters Ableben und suche um die Belehnung nach. Dein Brief soll schneller hinkommen als dein Bruder. Da schrieb der jüngere Graf schnell seinen Brief und drückte sein Siegel darauf, und Hütchen nahm den Brief, schlug Richtwege ein geradeaus über Gebirg und Wald gen Hildesheim und kam eine oder einige Stunden früher an als jener, gerade so früh, daß in der Kanzlei des Bischofs für den jüngeren Bruder ein neuer schöner Lehenbrief in bester Form geschrieben werden und des Bischofs und Kapitels ovale Siegel in blechernen Kapseln darangehängt werden konnten. Der Bergpfad heißt noch heute Hütchens Rennpfad und ist nicht leicht zu finden.

So leistete Hütchen gute und nützliche Dienste und erwies sich vielen hülfreich. Einem armen Nagelschmiede schenkte er ein halbes Hufeisen, Nägel daraus zu schmieden, jeder Nagel aber, den der Mann daraus fertigte, ward zu Gold. Der Tochter desselben gab er eine Rolle Spitzen, die kein Ende nahm, soviel man davon maß, doch durfte eine gewisse Zahl Ellen nicht überschritten werden. Ein Domherr zu Hildesheim, dem der Wein besser zu Halse ging als die Weisheit und die Wissenschaft, sollte zu einer Kirchenversammlung als Orator abgeordnet werden, da ward ihm schrecklich bange, denn er fühlte gar zu sehr selbst, daß sein Wissen und Weissagen Stückwerk sei, und daß er mit seiner Redekunst nicht glänzen werde. Auch dem half Hütchen aus Angst und Not; er fertigte ihm ein kleines Kranzgeflecht von Lorbeerlaub, Siegwurz und Allermannsharnisch, das mußte der Chorherr bei sich tragen, und siehe da, auf der Kirchenversammlung erschien der Orator von Hildesheim als ein gar großes und hell brennendes Kirchenlicht, und war jedermänniglich erstaunt und erbaut von des Mannes mächtiger Redegabe, und hätten viel spätere Redner von ihm lernen oder sich glücklich schätzen können, wenn ein gescheites Hütchen ihnen beigestanden.

Zu Hildesheim hatte ein Mann ein schönes Weib mit einem vielliebenden Herzen, der mußte verreisen und übertrug dem Hütchen die Hut und Ehrenwache. Welche Not aber Hütchen hatte, diesem Ehrenamte vorzustehen, das ist nicht zu sagen. Freudig eilte der Geist dem endlich heimkehrenden Manne entgegen und sagte: Gut und dreimal gut, daß du wieder da bist! Einmal und nicht wieder dein Weib gehütet, lieber alle Schweine in ganz Sachsenland auf einmal als solch überlistigen und ränkevollen Weibes Hut!

Da aber Hütchen neben großer Gefälligkeit doch jezuweilen die schlimme Koboldnatur blicken ließ, sich zornig und rachsüchtig zeigte, auch unnachsichtig der Dienerschaft Fehler rügte, so wurde er dem Gesinde und endlich auch dem Bischof selbst doch zur überlast, und so bannte ihn durch kräftige Beschwörung der Bischof von Hildesheim hinweg.

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311. Irmensäule

311. Irmensäule

Im Dom zu Hildesheim wird gezeigt eine Säule, zierlich von Marmor, mit vergoldeten Erzringen, eilf Fuß hoch und ein Marienbild tragend. Die soll früher des alten Sachsengottes Irmin Bildsäule getragen haben und wird daher noch immer Irmensäule genannt.

Jenes Götterbild stand zu Eresburg, jetzt Stadt Berge an der Diemel, und ward gebrochen von Karl dem Großen im Jahre 772. Wenn mit einem Messer an die Säule geschlagen wird, gibt sie einen hellen Schall; bei heißer Sommerzeit ist sie sehr kalt und schlägt sich aller Dunst an ihr in Tropfen nieder, so daß sie zu schwitzen scheint. Die Sage geht, daß Karl der Große sie habe nach Hildesheim bringen lassen, und nachderhand hat man auf die ehernen Ringe lateinische Verse eingegraben, welche aber zur Irmensäule und ihrer Geschichte keinen Bezug haben, vielmehr darauf hinzudeuten scheinen, daß die Säule keine andere Bestimmung hatte, als einen riesigen Leuchter abzugeben. Manche sagen, Irmen sei Irmin, Armin, Herrmann, der Befreier Deutschlands, dem göttliche Verehrung zuteil geworden. Ob der Name des Dorfes Armenseid bei Alfeld nicht ein verstümmelter Nachhall des Namens Arminsäule sei, lohnte sich wohl zu erforschen zu suchen.

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312. Von Heinrich dem Löwen

312. Von Heinrich dem Löwen

Herzog Heinrich, der Herr der Braunschweiger Lande, fuhr über Meer; ein Sturm erfaßte sein Schiff und verschlug ihn und sein Schiffsvolk in unbekannte Meere; alle Speise ging ihnen aus, und der Hunger quälte sie über die Maßen. Da mußte einer nach dem andern sein Leben opfern für der andern Sättigung, und bestimmte das Los den, welcher sich mußte töten lassen. So fristeten sie eine Zeit ihr Leben, und immer fügte es Gott, daß das Los des Herzogs nicht gezogen wurde. Endlich war nur noch der Herzog und ein einziger Diener auf dem Schiffe, und der Hunger nahm kein Ende. So losen wir nun zum letztenmal, sprach traurig der Fürst, und wen das Los trifft, der sterbe. – Nein, lieber tötet mich, o Herr! sprach der treue Knecht. – Nein, wir losen, antwortete der Herzog. Und da warfen sie das Los, und es traf Heinrich. Aber der Diener sprach: Nimmer werde ich meinen liebwerten Herrn töten, ich habe noch einen Rat, ich will Euch in eine Ochsenhaut einnähen und Euer Schwert dazu, vielleicht sendet der Himmel Euch eine Rettung. Das war der Herzog zufrieden, und als es geschehen war, so kam ein Vogel Greif geflogen, der faßte die Haut in seine Krallen, glaubte ein Tier zu rauben und trug die Beute weit übers Meer in sein Nest, dann flog er wieder hinweg, und Heinrich durchschnitt mit dem Schwerte die Haut, und da die jungen hungrigen Greifen ihn anfielen, schlug er ihnen mit dem Schwert die Köpfe ab, dann nahm er sich eine Klaue mit und stieg von dem hohen Baume, darauf das Greifennest war, in den Wald hinab. Lange irrte der Fürst in diesem wilden Walde, endlich hörte er ein nie vernommenes Geschrei, ein Brüllen, das wie Donner klang, und einen heisern pfeifenden Laut und gellend, daß der ganze Wald davon schallte. Wie nun der Fürst dem furchtbaren Schreien nachging, so sah er einen großen Löwen und einen entsetzlichen Lindwurm miteinander im wütenden Kampfe, doch drohte schon der Löwe zu unterliegen. Da gedachte der Fürst, daß der Löwe doch ein schönes und edles Tier und der Tiere König, der Lindwurm aber ein giftiges Tier sei, und stand dem Löwen bei, befreite ihn und erlegte den Lindwurm nach langem Kampfe. Wie der Löwe sich befreit und sein Leben gerettet sah, streckte er sich dankbar zu des Herzogs Füßen und verließ ihn nur, um Speise zu fangen, die er mit ihm teilte. Dem Herzog war in dieser Einsamkeit, in dieser Gesellschaft und bei dieser Kost nicht allewege wohl zumute. Da das Meer nahe war, so baute er sich, so gut er konnte, ein Floß und fertigte ein Ruder, und als der Löwe eines Tages wieder jagen gegangen war, da bestieg der Herzog sein Floß und stieß vom Strande. Bald aber kam der Leu zurück, vermißte den Herrn, folgte seiner Spur, kam zum Strande und sprang alsbald in die Meerflut, dem Floß nachschwimmend, das er auch bald erreichte, und dort streckte er sich wieder geruhig vor den Herrn hin. Aber auf dem Meere gab es kein Wild zu jagen, und die Pein des Hungers kehrte ein mit verzweifelnden Gedanken. Da erschien dem Herzog der Teufel und sagte ihm: Daheim bei dir in Braunschweig geht es heute lustig zu, da ist Freude die Fülle, und du schwebst hier herum zwischen Wasser und Wolken und hungerst; hier ist Hunger bei dir, und dort daheim bei dir ist Hochzeit, denn dein Weib ist deines Ausbleibens müde und nimmt sich einen andern jungen Mann, einen gar schönen Grafen; dich hält sie längst für tot. Herzog Heinrich erschrak über diese Rede, und der Teufel fuhr fort: Du möchtest doch wohl gern auch bei sotaner Hochzeit sein! Ergib dich mir, so führe ich dich noch heute heim, da kannst du mit tanzen. – Das wolle Gott nicht, das ewige Licht, daß ich ihm abfalle und dein sei, sprach der fromme Herzog, und der Teufel antwortete: Was dein Gott will oder nicht will, weiß ich nicht. Helfen scheint er dir nicht zu wollen, ich aber will’s, ich bin da, besinne dich, eh dich’s reut, zu solcher Hochzeit kommt einer nicht alle Tage, und morgen wär’s zu spät. – Meine Seele würde ewigen Schaden leiden, so ich dir folgte, sprach wieder der Herzog, und der Teufel erwiderte: Deine Seele wird auch nicht schnurstracks in den Himmel fahren, Pein muß sie leiden, so oder so. Du hast von meinem Reiche keine rechten Begriffe, es ist gar nicht so übel, da zu sein, die sogenannte Seligkeit ausgenommen, sieh, ich wohne schon lange allda und befinde mich leidlich wohl. Ich schlage dir vor, du läßt dich heimführen. – Aber mein Löwe, sagte Heinrich, der ist gar zu gut und treu, möcht‘ ihn nimmer missen. – Auch den bringe ich, sagte der Teufel zu und stellte die Bedingung, daß Heinrich nur dann ihm angehören sollte, wenn er ihn bei der Wiederankunft mit dem Löwen auf dem Giersberge nahe bei Braunschweig schlafend finde. Außerdem verlangte der Teufel für seine große Mühe gar nichts.

Herzog Heinrich, der sich herzlich nach seiner Gemahlin, wie nach Erlösung aus seiner trostlosen Lage sehnte, willigte endlich in diesen Beding und ward alsbald vom Teufel durch die Lüfte bis auf den Giersberg geführt und auf diesen abgesetzt. Nun wache fein! rief der Teufel und schwang sich wiederum hinweg, den Löwen zu holen. Der Held fühlte sich von Entbehrung und der Luftfahrt matt und todmüde, bald konnte er sich des Schlafes nicht mehr erwehren, er legte sich in das Grüne und schlief wie ein Toter. Jetzt kam der Teufel mit dem Löwen weit durch die Luft gesaust. Mit seinem Teufelsauge sah er schon aus endloser Ferne den Schlafenden und schnalzte vor Freude mit der Zunge, denn er hatte vorausgewußt, daß der Fürst schlafen müsse und werde. Aber als er näherkam, sah der Löwe bald auch den Herrn liegen, steif und starr, meinte, derselbe sei tot, und erhob ein so furchtbares Gebrüll, daß sie drunten in Braunschweig sagten: Wir bekommen Gewitter, es donnert schon. Von dem Gebrüll aber wachte Herzog Heinrich auf, und der Teufel war wütend, daß er ihn nun nicht schlafend fand, und warf den Löwen aus der Höhe herunter, daß es krachte. Der Löwe aber, nach Katzenart, fiel sich keinen Knochen entzwei, sondern kam auf seine Beine zu stehen und folgte darauf seinem Herrn nach der Stadt und nach seiner Burg, aus der ihm viel Musikgetön und Jubel entgegenscholl. Das war die Hochzeitfreude. Der Herzog ließ die Braut als ein Pilgrim um einen Trunk Weines bitten, und diese sandte den Becher. Der Pilgrim zog einen Ring vom Finger, warf ihn, nachdem er getrunken, in den Pokal und bat den Diener, der Herrin beides zu übergeben. Da erkannte die Herzogin ihres Gemahles Ring und ließ den Pilgrim zu sich in den Saal entbieten; der kam, und ihm folgte sein Löwe nach. Da erkannte sie ihren Gemahl und fiel ihm zu Füßen und hieß ihn willkommen, und alle Diener jauchzten, und der junge Bräutigam wurde durch eine junge Braut entschädigt. Hernach hat Herzog Heinrich, den man nur den Löwen nannte, noch lange Jahre glücklich regiert, und da er endlich starb, hat sich sein Löwe auf sein Grab gelegt und ist auch gestorben. Da wurde er auf der Burg begraben und ihm ein ehern Denkmal errichtet. Andere sagen, Herzog Heinrich habe solch ehernen Löwen schon bei seinem Leben gießen und aufrichten lassen. Des jungen Greifen Klaue aber hatte Heinrich im Dom aufhängen lassen, zum Zeichen seiner Meer- und Luftfahrt.

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313. Die tote Braut

313. Die tote Braut

Es war ein Brauer zu Braunschweig, der hatte eine schöne Tochter, und diese liebte von Herzen einen jungen Kaufmann aus Bremen, und die Liebenden beide schwuren einander im Leben und im Tode treu zu sein, und wer die Treue bräche, den solle der andere Teil noch im Grabe mahnen dürfen. Nun mußte der Kaufmann von dannen reisen, in der Welt sein Glück zu machen und zeitlich Gut zu erwerben, und blieb länger aus, als seine Geliebte hoffte. Der Vater aber hatte ohnedies diese Liebe nicht gern gesehen und sich einen Schwiegersohn gewünscht, der baß verstände, gute Braunschweiger Mumme zu brauen, und da er einen hübschen und geschickten Werkmeister hatte, so wollte er, dieser und kein anderer solle sein Schwiegersohn werden, und die Tochter mußte sich diesem von ihr nicht geliebten Mann verloben. Aber bald darauf warfen Sehnsucht und Gram sie auf das Krankenlager, von welchem sie nicht wieder aufkam. Kaum war sie begraben, so kam ihr früherer Bräutigam an, erfuhr, daß seine Braut als die Verlobte eines andern gestorben sei, und konnte der Sehnsucht nicht widerstehen, sie noch einmal zu sehen. Er verleitete daher den Totengräber durch Geld, heimlich das Grab wieder aufzuschaufeln und den Sarg zu öffnen. Als dies geschehen war, lag das Mägdlein, bleich und schön, mit einem Kranz um die Stirne im himmlischen Frieden, der vom Angesicht der Toten uns anblickt, und da sprach der Jüngling: O meine liebe, liebe Braut, konntest du wirklich mein vergessen? So mahne ich dich bei unserm dreimal heiligen Schwur an dein mir gegebenes Gelübde! Als der junge Kaufmann diese Worte gesprochen hatte, ist die Tote erwacht und hat die Augen aufgeschlagen und geseufzt: Dein, nur dein, im Leben und im Tode, und hat ihre Arme erhoben und fest um ihn geschlungen. Da ist der Totengräber vor jähem Schreck umgefallen, und als er wieder zu sich kam, siehe, da war der Sarg leer und von den beiden Liebenden keines mehr zu sehen gewesen, und nie hat wieder jemand etwas von ihnen erfahren. Da nun diese Geschichte in der Leute Mäuler kam, schämte und ärgerte sich der zweite Bräutigam, der Mummebrauer, über alle Maßen, zumal er bei sich dachte, die ganze Sterbe- und Begrabe- und Aufgrabesache möchte wohl nur ein abgekartet Spiel gewesen sein, ihm die Braut zu entreißen, und wußte sich nichts Besseres zu raten, als dem Teufel die Sache in die Schuhe zu schieben, der so immer alles getan haben soll, was die Menschen Unrechtes oder Dummes taten und tun. Ließ derohalben ein abscheulich Zerrbild schnitzen und am Hausgesimse, recht vor aller Augen, fest machen, da sah man ein Mägdlein aus einem Sarge steigen und dem Teufel mit dem Pferdefuß die Hand reichen, und ließ auch einen nicht weniger überaus abgeschmackten Spottreim darunter schreiben, der gerade schmeckte wie saure Mumme. Lange hat das alte Haus gestanden mit Reim und Bildwerk, endlich ist’s abgebrochen worden, aber die Sage davon lebt noch im Volke zu Braunschweig immerdar fort.

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314. Die Tänzer von Kolbeck

314. Die Tänzer von Kolbeck

Im Dorfe Kolbeck bei Halberstadt war vor langen langen Jahren ein Bauer, der hatte immer den Krug lieber als die Kirche und trieb gern leichtfertige Sachen. So ließ er sich beigehen, in einer Christnacht mit noch fünfzehn Kameraden, die er beredete, und drei Weibsbildern während der Christmette auf dem Kirchhof einen Tanz zu halten mit lautem Juhu und Heirassa. Darauf trat der Pfarrer aus der Kirche und strafte die Tänzer, welche die heilige Weihnacht so freventlich entweihten, mit ernsten Worten, aber der Bauer kehrte sich nicht daran, vielmehr rief er dem Pfarrer spottend zu: Du heißest Ruprecht, ich heiße Albrecht!

Sing du drinnen deine Leichen (Liedweisen),
Wir singen und tanzen draußen unsern Reigen. –

Da hob der Pfarrherr seine Hände auf und rief: Ei so wolle Gott und Sankt Magnus, daß ihr tanzen müßtet Jahr und Tag! Und alsbald ging diese Verwünschung in Erfüllung. Die Tänzer vermochten nicht einzuhalten, nicht aufzuhören, fort und fort riß es sie hin mit Allgewalt, der Morgen kam, und der Tag verging wieder – sie tanzten, und durch die Nacht hindurch tanzten sie, und am folgenden Morgen, und das immer so fort, Tag und Nacht. Regen traf sie nicht, die Sonne brannte sie nicht, nicht Hunger und Kälte, nicht Durst und Hitze fühlten sie, ihre Schuhe rissen nicht ab, an ihren Kleidern war kein Zergang. Als der tolle Reigen begann, wollte der Küster, dessen Schwester auch dabei war, dieser mit Gewalt Einhalt tun und sie losreißen, da hatte er ihren Arm in der Hand, und sie tanzte einarmig weiter. Und das ging so fort Tag und Nacht, zwölf volle Monden lang, und hatten sich bis auf halbe Leibeshöhe in die Erde getanzt und einen Graben mitten durch die Gräber. Da kam endlich der Bischof Heribert von Köln, der sprach über die Tänzer Gebet und Formel und lösete sie aus dem Bann ihrer Sünde. Viere sanken alsbald tot zu Boden, die andern erkrankten schwer. Danach hat man so viele Steine an den Ort gesetzt, als Tänzer und Tänzerinnen waren, und hat das Dorf Tanzdorf genannt, und ein Grauen ging die Menschen an, wenn sie nur den Namen nennen hörten.

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307. Gottes Krieg

307. Gottes Krieg

Im Jahre 1349 kam über die gute Stadt Bremen schweres Verhängnis. Die Pest wütete in ihr, und außen vor den Mauern lag ein Feind, Graf Martin von Oldenburg, der sie hart belagerte und bedrängte. Zuletzt wurde die Not durch die Krankheit in der Stadt so groß, daß die Bürger die Mauern nicht mehr verteidigten, die Tore nicht mehr verschlossen, sondern in mutloser Ergebung untereinander sprachen: Sterben müssen wir doch, einerlei wie – komme es, wie es komme. Da nun die Hauptleute vor den Kriegsherrn traten und sprachen: Die Stadt ist offen und unverteidigt, lasset uns hineinfallen und Beute machen nach dem Kriegsbrauch und dem Recht des Eroberers, da sprach Graf Martin von Oldenburg mit ernster Würde: Mitnichten soll also geschehen, denn da Gott, der allerhöchste König, mit der Stadt Bremen kriegt und sie in größter Not sich schon befindet, so ziemt es sich nicht, daß auch wir sie ferner schädigen. Lasset uns einziehen als menschliche Bezwinger, denn ob wir jetzt der Stadt Bremen feind sind, so können wir in der Folge doch wieder ihr Freund werden. Und so geschah es, und der Graf zog ein, und durfte keiner von seinem Volke an Menschen oder am Eigentum der Stadt sich irgendwie vergreifen.

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2. Des Schweizervolkes Ursprung

2. Des Schweizervolkes Ursprung

In alten Zeiten, bevor noch das Schweizerland bevölkert und bebaut war, saß ein starkes und zahlreiches Volk in Ost- und Westfriesland und im Lande Schweden, und kam über dieses Volk große Hungersnot und leidiger Mangel. Da beschlossen die Gemeinden, weil der Menschen bei ihnen zu viel, daß von Monat zu Monat eine Schar auswandern sollte, und sollte die das Los bestimmen. Wen es treffe, der müsse fort bei Strafe Leibes und Lebens, ob hoch oder niedrig, und mit Weib und Kindern. Als dies immer noch nicht fruchtete und dem Mangel steuerte, so ward fernerweit beschlossen, daß jede Woche der zehnte Mann ausgeloset werden und hinwegziehen solle. So geschah es, und zogen an die sechstausend Schweden fort und zwölfhundert Friesen mit ihnen, und ernannten sich Führer. Deren Namen waren Suiter, Swey und Josius, noch andere Restius, Rumo und Ladislaus. Sie fuhren auf Schiffen den Rhein hinauf und hatten unterwegs manchen Kampf zu bestehen; endlich kamen sie in ein Land, das hieß das Brochen- oder Brockengebirg (wie es auch im Harzwald einen Brockenberg hat), allda bescherte ihnen Gott Wonne und Weide, und sie bauten sich an und verteilten sich in das Land, wirkten und schafften. Ein Teil zog ins Brünig (Bruneck), ein anderer an die Aar. Ein Teil Schweden, die aus der Stadt Hasle (gehört jetzt dem Dänen) stammten, die erbauten Hasli und wohnten darin unter ihrem Führer Hasius. Restius erbaute die Burg Resty bei Meiringen und wohnte allda, Swey und Suiter gaben der Schweiz und dem Volke den Gesamtnamen. Auch das Bernerland gewannen sie, waren ein treu und gehorsam Volk, trugen zwilchne Kleider, nährten sich von Fleisch, Milch und Käse, denn des Obstes war damals noch nicht viel im Lande. Sie waren starke Leute, wie die Riesen, voll Kraft, und Wälder auszureuten war ihnen so leicht wie einem Fiedler sein Geigenbogen. Davon gehen noch alte Lieder, die sagen aus, wie ihrer ein Teil unter dem Führer Ladislaus und Suiter gen Rom gezogen und dem römischen Kaiser tapfer beigestanden gegen hereingebrochenes Heidenvolk, und wie beide Führer vom Kaiser Feldzeichen empfangen, Adler und Bären, ein rotes Kreuz, und auf der Krone des Aaren ein weißes, und haben dann diese Zeichen nach der neuen Heimat getragen. Immer noch erzählen sich auf ihren Bergen die Alpenhirten, wie die Vorfahren im Lande gezogen und wie die Berge eher bewohnt gewesen als die Täler. Erst ein späteres jüngeres Geschlecht habe die Talgründe bebaut, wie das auch in andern Bergländern geschehen ist.

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29. Vom treuen Eckart

29. Vom treuen Eckart

Alte deutsche Heldenlieder singen und sagen vom treuen Eckart, dessen Gedächtnis blieb lange bei den Deutschen wegen seiner Ehrbarkeit und Frömmigkeit. Er war ein Held und Herzog im alten Breisgau und Herr im Elsaß, vom Geschlecht der Harlunge, und war Vormund und Pfleger zweier jungen Härtungen, welche die Bruderssöhne Kaiser Ermenrichs waren und Vettern des berühmten Dietrich von Bern. Der Eckart übte allezeit Treue und war schon dem Vater der Harlunge ein treuer Ratgeber gewesen; Kaiser Ermenrich aber hatte einen Ratgeber, der hieß Siebich, von dem sollen alle ungetreuen Räte in die Welt gekommen sein. Dieser verleitete den Kaiser zu bösen Taten. Und Ermenrich erschlug die jungen Harlunge, Eckart aber rächte sie, indem er mit anderer Helden Hülfe den Ermenrich wieder erwürgte und um dieser Tat willen hoch gepriesen ward. Die Harlunge hatten einen reichen Schatz, der ward in einen Berg verzaubert, das ist der Bürglenberg bei Breisach, und diesen Harlungenhort hat hernachmals der Geist des treuen Eckart gar sorgsam gehütet und jeden gewarnt, der ihn für sich erheben wollte, denn er sollte dereinst wieder an den rechten Erben fallen und diesen zu einem mächtigen Herrn des Landes machen. Darum sei im Volke das Sprüchwort entstanden: Du bist der treue Eckart, du warnest jedermann. Ob aber das derselbe treue Eckart sein soll, der im Thüringerlande vor des Hörselberges Höhle sitzt und vor dem wütenden Heere warnend wandelt, bleibt in dem Dunkel der alten Sagen geheimnisvoll verhüllt.

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299. Die Hünen

299. Die Hünen

Viel weiß in den Gegenden um Höxter, Corvey, Brakel und den Landstrecken durch Westfalen die Sage von den Hünen, Heunen oder Riesen zu erzählen, ja sie erstreckt sich auch nordwärts bis über die Lüneburger Heide hinaus und in die bremenschen Geest- und Marschgegenden. Hünengräber, Hünenbetten, Hünensteine, Hünenkeller, Hünenburgen ruhen im Lande verstreut und gelten dem Volke als Zeugen vom Vorhandengewesensein eines gewaltigen großwüchsigen starken Geschlechtes, es ist aber dabei etwas Eigenes und Wunderbares, die Sage, welche Geister und Gespenster, weiße Jungfrauen und schwarze Hunde zahllos wandern, welche Zwerge und Kobolde einzeln und in Menge sich den Menschen zeigen läßt, läßt mit sehr wenigen Ausnahmen die Hünen weder wandern noch erscheinen; sie berichtet nur von deren ehemaligem Dasein, zeigt Spuren ihrer gewaltigen Kraft und nennt die Orte, wo sie gewohnt, gespielt, gekämpft, mit Kugeln und Hämmern sich aus Stundenferne geworfen haben. Mannigfach blieb der Name des Riesengeschlechtes an Orten haften, so liegt über Brakel die Hinnenburg, die Namen naher Dörfer, Riesel und Reetsen (bei Driburg), scheinen auf Riesen zu deuten. Bei Dransfeld im Göttingenschen liegt ein Hunnen- oder Hünenberg, darinnen will man gleichwohl Riesen gesehen haben; überm Dorfe Altenhagen liegt auch eine Hünenburg. Der letzte ihrer Bewohner brach sie in Trümmer und wälzte auf sich selbst den größten Stein als Grabesdecke. Auf dem Wege nach Salzwedel beim Dorfe Lübbow liegt ein riesiger Hünenstein, eines heidnischen Gottes Altar – der kehrt sich in jeder Christnacht vor Unwillen um, wenn der Hahn kräht. Bei Freren in der Niedergrafschaft Lingen steht auch ein gewaltiger Hünenstein, und sind dort reiche Gräber. In der Lüneburger Heide im Amte Knesen liegt der Pickelstein, den warfen die Hünen vom Kläbesberge dahin. Sieben Kreuze und ein Hufeisenabdruck sind an ihm zu ersehen, und es geht die Sage, daß diese ein Heerführer mit seinem Schwert in den Stein gehauen, und den Hufschlag habe sein Roß eingedrückt als ein Wahrzeichen seines Sieges. Vorzeiten soll das Hegegericht der umliegenden Dörfer am Pickelstein gehalten worden sein. Bei Sievern ruht noch unangetastet ein Hünengrab, das Bülzenbette geheißen, von besonderer Art und Größe. Es ist nicht gut, die Hünengräber zu durchwühlen und die längst Begrabenen in ihrer Ruhe zu stören. Ein Kanonikus zu Ramelsloh grub nach an einem Riesendenkmal bei Steinfeld, dem erschienen in der Nacht drei Männer, von denen der eine einäugig war, mit drohenden Blicken und sprachen zu ihm mit wunderbaren Lauten in uralter Stabreimweise:

Heldentod haben
Hier wir erlitten.
Für das Vaterland
Fochten und starben wir.
Störern unsers Staubes
Strahlt Glücksstern nimmer.

Der Kanonikus zu Ramelsloh hat nie wieder nachgegraben.

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