317. Der Hackelnberg und die Tut-Osel

317. Der Hackelnberg und die Tut-Osel

Im Braunschweiger Lande saß ein gewaltiger Nimrod, der auch in der Tat Oberforst- und Jägermeister war, Herr Hans von Hackelnberg, dem war Jagen seines Lebens einzige Lust. Da übernachtete er einmal so recht mitten in seinen Jagdparadiesen, den Wäldern, auf der alten Harzburg, hatte aber einen bedenklichen Traum. Es träumte ihm, ein ungeheurer Eber nehme ihn an und kehre gegen ihn seine furchtbaren Hauer und verwunde ihn und renne ihn nieder. Den Traum konnte der Hackelnberg gar nicht vergessen. Nicht lange danach stieß ihm im Vorharz wirklich ein Eber auf, wenn auch nicht so schrecklich wie der geträumte, auch erfüllte sich nicht der Traum, denn Hackelnberg fällte den Eber mit geschicktem Stoß seiner knotigen Saufeder so kunstgerecht, wie nur immer ein Oberjägermeister ein Schwarzwild fällen soll und darf. Und nun lachte Herr Hans von Hackelnberg über seinen dummen Traum, gab dem toten Eber einen tüchtigen Fußtritt gegen den Rachen und sagte: Du sollst es mir noch nicht antun! – meinte damit, dieser Eber bringe ihn nun nicht nieder, wie der im Traume getan. Aber wie er getreten hatte, fühlte er plötzlich einen schneidenden Schmerz am Fuße, und siehe, durch des Trittes Heftigkeit hatte der scharfe Hauer des erlegten Ebers des Stiefels Leder durchschnitten und den Fuß verwundet. Hackelnberg achtete der Wunde nicht und jagte weiter, aber dadurch machte er es erst recht schlimm, der Fuß schwoll an, und als Hackelnberg wieder auf die Burg kam, mußte man ihm den Stiefel abschneiden. Der Verwundete konnte nun auch nicht mehr reiten, sondern mußte nach Wolfenbüttel fahren, und das ging damals nicht wie heute mit Dampf, sondern mit harten Rippenstößen langsam und beschwerlich im Ockergrunde hin, und der Kranke erreichte Wolfenbüttel nimmer. Nahe bei Hornburg, nächst dem Dorfe Wülperode, stand ein Hospital, dahinein ward der Ritter gebracht, beklagte gar sehr, daß er nicht mehr jagen könne, und wünschte letztlich nichts weiter, als ewig auf Erden jagen zu können, da möge der liebe Herrgott in Gottes Namen seinen Himmel für sich behalten, und dann starb er an seiner Wunde und ward in Wülperode begraben, wo sein Denkmal steht und sein Harnisch hing.

Des Hackelnbergers letzter Wunsch aber ist ihm erfüllt worden; er darf nicht nur, er muß hetzen und jagen bis zum Jüngsten Gericht, er ist der wilde Jäger des Harzwaldes und zieht mit tollem Spuk zur Nachtzeit oft gar schrecklich umher. Da begleitet ihn oder fliegt ihm voran ein Nachtgespenst in Gestalt einer riesengroßen Ohreule, das ist die Tut-Osel, also genannt von dem entsetzlich tutenden Geschrei, das sie ausstößt. Diese Eule war vorzeiten eine Nonne in einem thüringischen Kloster und hieß Schwester Ursel; die hatte eine Stimme, wenn sie sang, daß es rein zum Davonlaufen war, wenn die armen Nonnen das nur gekonnt und gedurft hätten. Sie wurde, weil ihre Stimme der einer Trompetengans ungleich ähnlicher klang als der eines Mädchens, nur die Tut-Ursel genannt. Endlich starb sie, und alle Schwestern waren froh, daß sie sie weder mehr hörten noch sahen, denn sie war auch sonst kein Engel – aber o Schreck, gleich nach ihrem Tode tutete sie durch ein Loch im Kirchturme und tutete in den Chorgesang hinein, in die Metten und in die Vigilien. Ach Gott, die Tut-Ursel! schrie eine junge Nonne, unbedacht das Gelübde des Schweigens brechend, und da schrie der ganze Konvent, und stürzten aus der Kirche, und wollten alle lieber sterben, als wieder hineingehen, solange sich die Ursel hören lasse. Da hat man weither, aus Österreich, einen Kapuziner-Teufelsbanner verschrieben, der hat die Tut-Ursel in Gestalt einer Ohreule auf die alte Dummburg zwischen Halberstadt und Quedlinburg, wo Bode und Selke zusammenrinnen, bei den Dörfern Adersleben und Hadersleben, gebannt. Dort ist nun just auch des Hackelnberg liebstes Jagdrevier und Hauptsitz, und ist ohnehin viel greulicher Spuk immer dort erschienen, heißt auch ein naher Bergkopf der Hackel, und da hat sich die Tut-Osel dem jagenden Ritter zugesellt; da jagt er zu Roß über und durch dick und dünn und pfatscht durch die Sümpfe, und die Osel schnalzt das Pfatschen nach, und er schreit juhu, und sie schreit tutu, und Gott gnade denen, die selbigem Paare unterwegs aufstoßen. Wenn einer sie merkt, muß er sich nur auf den Bauch legen und stilleschweigen und den Lärm über sich vorüberbrausen lassen. Bis in die Marken hinein zieht der Jäger, ja zu Drömling in der Altmark rühmen sie sich, der Hackelnberg sei bei ihnen zu Hause, und drohen: Daß dich der Jäger hole!

Auf dem Schlößchen Meisenberg im Selketale wird ein aus Holz geschnitzter Trinkbecher gezeigt, der stellt den Hackelnberg vor, wie er leibte und lebte.

Wenn im Theater der Freischütz gegeben wird, pflegt in der Regel in der Wolfsschlucht jedesmal auf einem Baume eine große Eule mit feurigen Augen zu sitzen und höchst langweilig fort und fort mit den Flügeln zu schlagen. Das ist die Tut-Osel.

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318. Das Grundlos

318. Das Grundlos

Nicht weit von des Hackels nördlicher Spitze ist ein großer Erdfall zu sehen, zum Teil mit Wasser ausgefüllt und am Rande mit hohem Schilf überwachsen, wie deren um den Harz, besonders am südlichen Teile, gar viele zu gewahren sind, der heißt das Grundlos, darum, weil mit der längsten Stange seine Tiefe noch nicht ergründet werden konnte. Auf dieses Erdfalles Stelle hat vor langen Jahren eine Raubburg gestanden, auf welcher viel unmenschliche Grausamkeit verübt wurde. Endlich aber ermüdete die lange Langmut des Himmels, und über Nacht fiel auf die Raubburg und deren Insassen das Unglück, wie ein gewappneter Mann. Die Burg versank unter Höllengepolter in eine unendliche Tiefe, und über ihr schossen rauschende Wasser in einen See zusammen. Die Ritter wurden in Hechte, die Knappen in Karpfen verwandelt und die alte Schaffnerin, die treulich zu allen Untaten geholfen hatte, in eine Karausche, groß und wohl einen Zentner schwer. Die jagen und verfolgen sich unaufhörlich im Wasser des Grundlos, und weil selbige Ritter nichts nutz waren, so spricht man noch heute von einem Kerl, dem man wenig oder gar nichts Gutes und desto mehr Schlimmes zutraut: Das ist ein rechter Hecht.

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31. Das Riesenspielzeug

31. Das Riesenspielzeug

In einem wilden Wasserfall in der Nähe des Breuschtales im Elsaß liegen die Trümmer einer alten Riesenburg, Schloß Nideck geheißen. Von der Burg herab ging einstmals ein Fräulein bis schier gen Hasloch, das war des Burgherrn riesige Tochter, die hatte noch niemals Menschenleute gesehen, und da gewahrte sie unversehens einen Ackersmann, der mit zwei Pferden pflügte, das dünkte ihr etwas sehr Gespaßiges, das kleine Zeug; sie kauerte sich zum Boden nieder, breitete ihr Schürztuch aus und raffte mit der Hand Bauer, Pflug und Pferde hinein, schlug die Schürze um sich herum, hielt’s mit der Hand recht fest und lief, was sie nur laufen konnte, und sprang eilend den Berg hinauf. Mit wenigen Schritten, die sie tat, war sie droben und trat jubelnd über ihren Fund und Fang vor ihren Vater, den Riesen, hin, der gerade beim Tische saß und sich am vollen Humpen labte. Als der die Tochter so mit freudeglühendem Gesicht eintreten sah, so fragte er: Nu min Kind, was hesch so Zwaselichs in di Furti? Krom’s us, krom’s us! – O min Vater! rief die Riesentochter, gar ze nettes Spieldinges ha i funden. – Und da kramte sie aus ihrem Vortuch aus, Bauer und Pferde und Pflug, und stellt’s auf den Tisch hin und hatte ihre Herzensfreude daran, daß das Spielzeug lebendig war, sich bewegte und zappelte. Ja min Kind, sprach der alte Riese, do hest de ebs Schöns gemacht, dies is jo ken Spieldings nit, dies is jo einer von die Burn; trog alles widder fort und stells widder hin ans nämlich Plätzli, wo du’s genommen hast! – Das hörte das Riesenfräulein gar nicht gern, daß sie ihren Fund wieder forttragen sollte, und greinte, der Riese aber ward zornig und schalt: Potz tusig! daß de mir net murrst! E Bur ist nit e Spieldings! Wenn die Burn net ackern, so müssen die Riesen verhungern! – Da mußte das Riesenfräulein seinen vermeintlichen Spielkram als wieder forttragen und stellte alles wieder auf den Acker hin.

Diese Sage wird auch von manchem andern Ort in Deutschland erzählt, und zwar auf ganz ähnliche Weise, vom Schlosse Blankenburg oder Greifenstein ohnweit Schwarzburg im Thüringerlande, auch vom Lichtenberg im Odenwalde, allwo gewaltige Riesen hausten.

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319. Hünenblut

319. Hünenblut

Nicht weit vom Hackel, zwischen Egeln und Westeregeln (Kreis Magdeburg), steht ein Wassertümpel, der ist beständig rot. Das soll noch aus der Zeit der Hünen herrühren, von deren ungeheuerlicher Größe des Volkes Phantasie sich die kühnsten Bilder schuf. Zwei Hünen bekämpften und verfolgten einander; der eine fliehende schritt über die Elbe, wie ein Kind über einen Graben schreitet, und so war er mit wenigen Schritten in der Gegend von Egeln. Da hob er den einen Fuß nicht hoch genug auf, stieß sich damit an der Turmspitze der alten Burg, stolperte und fiel mit der Nase gerade auf einen Feldstein bei Westeregeln, und zwar mit so großer Heftigkeit, daß er das Nasenbein brach und eine große Lache Blutes ihm entströmte. Das ist das Hünenblut. Andere sagen, ein Hüne, der bei Westeregeln gewohnt, sei zum Spaß oft über das Dorf hinüber- und herübergesprungen und habe sich endlich bei einem Sprunge an der Turmspitze die Zehe aufgeritzt. Da sei aus der kleinen Wunde im großen Bogen das Blut niedergeflossen und habe jene noch immer rote Lache gebildet, die man noch heute das Hünenblut nennt.

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320. Der Werwolfstein

320. Der Werwolfstein

Mit dem Hackel hing vorzeiten das Brandsleber Holz zusammen, das sich nördlich gegen Eggenstedt zieht. In diesem Holze hauste ein Unbekannter, der den Leuten als Schäferknecht diente, und den sie nur den Alten nannten, denn keiner wußte seinen Namen, auch war er bald da, bald dort und blieb bei niemand lange. Einst diente der Alte auch einem Schäfer namens Melle bei der Schafschur, aber als diese vorüber war, war auch der Alte fort und hatte des Schäfers Lieblingslamm, welches er bereits vergebens vom Schäfer zum Geschenk erbeten, mit sich hinweggenommen. Einmal aber, als der Schäfer Melle im Kattentale hütete, rief ihm unversehens der Alte zu: Guten Tag, Melle! Dein Lamm läßt grüßen! Darüber erbost, stieß der Schäfer einen Stein auf seine Schippe und warf ihn nach dem Alten, da wurde der Alte mit einem Male ein grimmer Werwolf und stürzte auf Melle zu. Dieser floh und rief im Fliehen seinen Hunden. Die Hunde fielen sogleich den Werwolf wütend an; nun wandte sich der zur Flucht, und auch Melle wandte sich und wurde jetzt Verfolger, und so hetzten sie den Werwolf bis in die Gegend von Eggenstedt, und der Schäfer schrie: Sterben sollst du! sterben! Plötzlich nahm der Werwolf wieder die Menschengestalt des Alten an und flehte um Schonung. Aber der Schäfer dachte an keine Schonung, er schlug schonungslos auf den Alten los, und siehe, plötzlich war der Alte abermals verschwunden, und der Schäfer schlug auf einen Dornenstrauch, aber er hieb immerzu, auch der Strauch sollte niedergeschlagen werden. Da wurde der Strauch wieder zum Alten, der noch einmal um sein Leben flehte, vergebens – und noch einmal wurde der Alte Wolf und wollte fliehen, aber die scharfe Schippe am knotigen Hirtenstabe traf ihn auf den Schädel, und er sank tot nieder. Nahe dabei lag ein vereinzelter Felsblock, dort wurde der Alte eingescharrt, und der Block heißt noch heute Werwolfstein.

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321. Der Croppenstedter Vorrat

321. Der Croppenstedter Vorrat

Zwischen Halberstadt und Egeln liegt das Städtchen Croppenstedt, da haben sie ein seltsam Wahrzeichen, das ist ein silberner Pokal, der steht alldort auf dem Rathause und heißt der Croppenstedter Vorrat. Darauf sind in getriebener Arbeit dreizehn Wiegen abgebildet zu sehen und eine Mulde, und in jeder Wiege liegt ein Kind, und in der Mulde liegt auch eins, und dabei erzählen sie, es habe einstmals zu Croppenstedt ein Kuhhirte gelebt, der habe es in einem Jahre dahin gebracht, daß ihm von zwölf Geliebten vierzehn Kinder geboren worden, und dies bezeugt auch eine Inschrift in lateinischen Versen an dem Becher. Die zwölf glücklichen Mütter hätten sich zu rechter Zeit nach Wiegen umgetan, allein der ganze Vorrat an Wiegen zu Croppenstedt habe sich nur auf dreizehn Wiegen erstreckt, und da habe sich das vierzehnte Knäblein (es waren lauter Knäblein) mit einer Mulde begnügen müssen. Zum Angedenken eines so fruchtbaren Jahres ließ der Rat des Städtleins den Silberpokal anfertigen, und solange dieser treulich aufbewahrt wird, soll es dem Städtlein Croppenstedt niemals an Wiegenvorrat und an Kindersegen gebrechen, denn von dort schreibt sich das alte gute Sprüchwort her: Vorrat ist Herr.

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322. Quedl

322. Quedl

Wie im Dome zu Braunschweig ein Denkmal steht, aus dem ein Mann neben einem Frauenbild mit einem starken Bart zu sehen, von dem die Sage meldet, daß die Tochter diese Entstellung ihres Gesichtes sich von Gott erbeten, um vor unnatürlicher väterlicher Liebe beschützt und bewahrt zu bleiben, so soll auch Kaiser Heinrich III. schöne Tochter in gleicher Lage zu Gott inbrünstig gebetet und gefleht haben, doch zu ihrer harten Prüfung ganz vergebens. Und da sie nun darüber schier verzweifeln wollte, erschien ihr der böse Feind und erbot sich, ihr zu helfen, daß ihres Vaters, des Kaisers, allzustarke Zuneigung in Abneigung sich wandle, und zwar wolle der Teufel dies ganz uneigennützig tun, wenn er sie nur in dreien Nächten nacheinander nicht schlafend fände. Finde er Mathilde freilich schlafend, so werde er wohl einigen Teil an ihr ansprechen dürfen. Die Kaisertochter ging mit standhaftem Mute diesen höchst bedenklichen Vertrag ein und begann die Stickerei eines großen Teppichs, welche Arbeit sie munter erhielt, da sie zur Nachtzeit daran stickte. Als nun aber in der zweiten und dritten Nacht vor Müdigkeit ihr dennoch die Augen zufielen, da weckte sie Quedl, ihr treues Hündlein, das knurrte und bellte und zupfte ihr am Gewande, und wenn der Teufel kam und nachsah, ob sie schlief, so fand er die Kaisertochter wachend, und da er ihrer unsterblichen Seele nichts anhaben konnte, wohl aber, weil sie nur mit ihm in Pakt und Bündnis sich eingelassen, ihrem Leibe, so griff er ihr mit seiner Kralle ins Angesicht, quetschte ihr die Nase platt, kratzte ihr ein Auge aus und schlitzte ihr den Mund auf. Wie nun Mathilde mit durch Gottes Verhängnis und des Teufels Bosheit also entstelltem Antlitz wieder vor ihres Vaters Angesicht trat, wich von ihm alle sündliche Liebe; sie aber tat aller Weltfreude sich ab, erbaute eine stattliche Abtei und nannte sie nach ihrem Hündlein, das durch seine Wachsamkeit sie errettet, Quedlinburg.

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323. Die Elbjungfer

323. Die Elbjungfer

An der Elbe wohnt eine Nixe, die nennen sie in der Magdeburger Gegend die Elbjungfer. Sie hat sich früher öfter gezeigt in Gestalt eines bürgerlichen Mädchens in schlichter Tracht mit einer weißen Schürze, deren Saum aber stets naß war. Sonst hat man sie auch am Ufer sitzen und ihr langes goldgelbes Haar kämmen sehn; wenn aber Leute herzu naheten, ist sie vor ihren Augen in das Wasser gehüpft. Viele hat sie in den Tod gelockt und manchen kühnen Schwimmer hinabgezogen. Auch von einem Wassermann gehen Sagen, der in der Elbe sich aufhalte. Einst wollte, weil das Magdeburger Brunnenwasser hart, das der Elbe aber weich ist, jenes auch mühselig außerhalb der Stadt geholt werden mußte, die Bürgerschaft eine Wasserleitung aus der Elbe nach der Stadt bauen. Der Bau begann mit Einrammen von Pfählen, aber da sah man zur Mittagsstunde, wann niemand arbeitete, einen nackenden Mann, der stand in der Flut bei den Pfählen und rüttelte dran und schüttelte dran und ließ sie, als er sie ausgerissen, den Strom hinabschwimmen. Da mußte man ablassen von dem begonnenen Bau.

Einst geschahe es, daß sich ein adeliger Jüngling zu Magdeburg mit einem schönen Fräulein verlobte, aber eines Tages ging er aus zu baden und kehrte nicht wieder heim, die Elbjungfer hatte ihn zu sich gelockt. Alle seine Angehörigen und zunächst seine Braut waren in größter Bestürzung, allenthalben suchte man ihn, und selbst drei Tage lang im Strome, allein vergebens. Da kam ein Schwarzkünstler nach Magdeburg, den befragten die Eltern der Braut, und er brauchte seine Kunst und sagte hernach zu diesen: Den Junker hat die Elbjungfer, die läßt ihn lebend nimmer los, es wäre denn, daß eure Tochter bereit sei, ihr eignes Leben anstatt ihres Bräutigams der Elbjungfer dahinzugeben, oder daß sie beide sich der Nixe versprechen. Die Braut war auch gleich bereit, ihr Leben für das des Geliebten hinzugeben, die Eltern aber fanden diesen biedern Entschluß nicht für geeignet und das Opfer nicht so dringlich, vielmehr drangen sie in den Schwarzkünstler, er solle den Bräutigam herbeischaffen, lebendig oder tot, wenn es nicht anders sein könne. Darauf beschwur der Schwarzkünstler die Elbjungfer, den Geraubten fahren zu lassen, das tat sie auch; sie legte ihn an das Ufer, nur schade, daß er tot war und ganz voll blauer Flecken, die sie ihm vor lauter heftiger und grausamer Liebe gedrückt und gezwickt hatte.

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307. Gottes Krieg

307. Gottes Krieg

Im Jahre 1349 kam über die gute Stadt Bremen schweres Verhängnis. Die Pest wütete in ihr, und außen vor den Mauern lag ein Feind, Graf Martin von Oldenburg, der sie hart belagerte und bedrängte. Zuletzt wurde die Not durch die Krankheit in der Stadt so groß, daß die Bürger die Mauern nicht mehr verteidigten, die Tore nicht mehr verschlossen, sondern in mutloser Ergebung untereinander sprachen: Sterben müssen wir doch, einerlei wie – komme es, wie es komme. Da nun die Hauptleute vor den Kriegsherrn traten und sprachen: Die Stadt ist offen und unverteidigt, lasset uns hineinfallen und Beute machen nach dem Kriegsbrauch und dem Recht des Eroberers, da sprach Graf Martin von Oldenburg mit ernster Würde: Mitnichten soll also geschehen, denn da Gott, der allerhöchste König, mit der Stadt Bremen kriegt und sie in größter Not sich schon befindet, so ziemt es sich nicht, daß auch wir sie ferner schädigen. Lasset uns einziehen als menschliche Bezwinger, denn ob wir jetzt der Stadt Bremen feind sind, so können wir in der Folge doch wieder ihr Freund werden. Und so geschah es, und der Graf zog ein, und durfte keiner von seinem Volke an Menschen oder am Eigentum der Stadt sich irgendwie vergreifen.

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308. Die sieben Trappen

308. Die sieben Trappen

In der Gegend von Hannover beim Dorfe Benthe stehen im Felde sieben Steine aufrecht beisammen, die nennt das Volk die sieben Trappen oder die sieben Gruften. Ein Ackerbauer kam mit seinem Knecht von der Arbeit zu dieser Stelle, und der Knecht erinnerte seinen Herrn, daß er noch ein gut Teil Lohnes stehen habe und diesen Lohn jetzt ausgezahlt zu erhalten wünsche. Der Bauer konnte oder wollte sich auf diese Schuld von dem Knecht nicht besinnen und sagte, er sei dem Knecht nichts schuldig. Der Knecht aber sprach: Ich schwöre bei Gott, daß Ihr mir es schuldig seid! – Und ich schwöre bei sieben Teufeln, daß ich dir nichts schuldig bin! schrie der Bauer. Und der Teufel soll mich beim siebenten Schritt in die Erde schlagen, wenn ich nicht recht habe! – Sprach’s, und richtig – beim siebenten Schritt krachte es wie ein Gewitter, die Erde tat sich auf, und vom Bauer blieb nichts zu sehen als seine letzten sieben Trappen, die er dem weichen Fußboden eingedrückt.

Nach anderer Sage war es ein Brauer, der mit seiner Magd also ungerecht handelte und sich dem bösen Feind verschwur, und den das gleiche Los für seine Gottlosigkeit traf. Nachher wurden die sieben Steine zum Gedächtnis und Wahrzeichen in die Erde gesetzt und der Gemeinde Benthe deren Erhaltung vom Amte Calenberg empfohlen, gegen Empfang eines halben Scheffel Roggens alljährlich. Niemand geht gerne nachts bei den sieben Trappen vorbei, denn es ist dort nicht geheuer, und mancher Spuk hat dort die Wanderer geäfft und mehr noch erschreckt.

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