332. Tetzel und der Ritter

332. Tetzel und der Ritter

Da Tetzel, der Ablaßkrämer, mit seinem Kasten im deutschen Lande herumzog, kam er auch nach der Altmark und in ein Dorf bei Salzwedel, heißt Flechtingen, und schlug seinen Kram auf, predigte von den Sündenstrafen, dem Fegefeuer und der Höllenpein und rühmte die Kraft des Ablasses. Nun saß zu Flechtingen ein Edelmann, Herr Bernard von Schenk genannt, der hörte auch andächtiglich zu und nahm sich’s absonderlich zu Herzen, daß einer nicht nur für begangene, sondern auch für vorhabende und zukünftige Sünden, sie bestehen, aus welcher Tat sie wollen, sich Ablaß kaufen könne, und für das Geld springe seine Seele, sobald es im Kasten klinge, aus dem Fegefeuer und bleibe sündelos noch drei Tage nach der aschgrauen Ewigkeit. Das alles malte der Ablaßprediger mit feurigen und beredten Worten aus, und der Ritter trat auch hinzu und kaufte sich einen gar schönen Brief, auf Pergament gedruckt, und Tetzel mußte seinen, des Ritters, Namen und das Datum hineinschreiben, auch ein Siegel wurde nicht vergessen, und die nachbarlichen Edeln kauften auch, und der Kasten wurde schier voll Ortstaler und Goldgülden, und Tetzel zog mit seinem Kasten wohlgemut von dannen. Wie er nun so durch den Flechtinger Forst zog, siehe, da harrete seiner schon, ihm vorausgeeilt, Herr Bernard von Schenk und sagte: Pfaff, tue mir die Freundschaft und gib mir –, Meinen Segen, o frommer Sohn, den sollt du haben! unterbrach ihn Tetzel und hob die Hände zum Segnen. Nein, deinen Kasten, den Segen laß ich dir! erwiderte der Ritter. Des erschrak Tetzel mächtiglich und sprach die beweglichen Worte: Solch ein edler Ritter wird nicht so ehrlos sein, das Gut der Kirche anzutasten, das sie zu frommen Werken und zur Wiederherstellung gebrechlicher Gotteshäuser gar notwendig braucht. Kirchenraub ist ja der sträflichste Raub und neben dem Vater- und Muttermord die größte und schwerste Sünde! Da zog Herr Bernard von Schenk den kurz zuvor erst gekauften Ablaßbrief hervor und hielt ihn Tetzeln vor Augen und sagte: Mag es eine Sünde sein, hier ist mein Ablaß dafür, von Euch selbst, ehrwürdiger Vater, mir erteilt, daher ziehet mit Gott und lasset den Kasten mit mir ziehen und empfanget auch meinen Segen. So Ihr es wollt, könnt Ihr auch den Heiligen Vater zu Rom von mir grüßen. Da nun Tetzel nur ein schwaches Geleit bei sich hatte, dem Ritter aber mehrere mannliche Reisige gefolgt waren, so mußte er mit kummervollem Blick auf den geldvollen Kasten von diesem Abschied nehmen und seines Weges ziehen. Herr Bernard von Schenk aber nahm das Geld und zeigte sich als ein echter und rechter Schenk, er schenkte es zum Bau einer Kirche, die dem Dorfe Flechtingen damals noch fehlte. Den großen und dicken Ablaßkasten aber, den schenkte er in die Kirche zu Wittenberg, wo er noch steht und gezeigt wird. Tetzel aber ließ sich einen andern Kasten machen, das wird der sein, der hernach nach Goslar gekommen ist, woselbst er sich noch befindet. Es gibt der Ablaß- und Tetzelkästen auch sonst noch hier und da, aber das Geldlein ist herausgetan.

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324. Magdeburgs Erbauung

324. Magdeburgs Erbauung

Magdeburg ist eine uralte Stadt, die soll Julius Cäsar begründet haben, siebenundvierzig Jahre vor Christi Geburt, und habe einen Tempel in ihr erbaut, den er der Venus geweiht, dessen Stätte man noch zeigt, und der erste Name dieser alten Stadt war Parthenopolis; vom Mädchenbilde der holden Liebesgöttin aber hat man sie später Maidenburg und endlich Magdeburg genannt. Nach Karl des Großen Zeit wurde die Stadt von den Wenden und Ungarn ganz verwüstet und blieb nur ein kleiner, von armen Elbfischern bewohnter Ort. Den schenkte hernachmals Kaiser Otto der Große seiner Gemahlin Editha, der es allda wohlgefiel, und diese begründete das neue Magdeburg und in Gemeinschaft mit ihrem Gemahle auch den Dom, darinnen neben ihrem Gemahle auch ihr herrliches Marmorbildnis zu sehen. Das eine Kaiserbildnis hält einen runden Reif in der Hand, der aus neunzehn kleinen vergoldeten Tönnchen gebildet ist, die bedeuten, daß auf den Dombau neunzehn Tonnen Goldes verwendet worden sind. Die Kaiserin Editha fuhr damals in einem Wagen herum und bestimmte Ausdehnung, Mauern und Befestigung der neuen Stadt. Am und im Dome ist mancherlei steinern und hölzern Bildwerk zu sehen, an das sich Sagen knüpfen. Ein Schäfer mit seinem Knecht und Schafen und Hunden, der nach einem Sterne am Turme blickt. So hoch der Stern steht, so hoch habe der Schäfer den Turm auf seine Kosten bauen lassen. Ein Mönch, auf den der Teufel lauert, weil er in unbedachter Vermessenheit sich ihm verschworen. Zwei gefesselte Männer aus Holz im Dome selbst stellen zwei Grafen von Gleichen vor, die den Dombau wehren wollten, und deren Bildnisse man dann in Ketten aufhing.

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325. Kriegesvorzeichen

325. Kriegesvorzeichen

Magdeburg hat mehr als kaum irgendeine andere deutsche Stadt durch verheerende Kriege gelitten. In der frühen Zeit schon durch wilde vom Osten her eindringende Völker zerstört, hat es der Trübsal und der Zerstörung hernachmals noch übergenug erduldet. Fast immer sind dem Unglück aber auch Zeichen vorhergegangen, die es voraussagend meldeten. Unter Kaiser Heinrich IV. waren schreckliche Wunderzeichen am Himmel zu sehen, auf der Marsch in der Stadtnähe ward eine große Rabenschlacht gehalten, die dauerte einen ganzen Tag lang, und die Marsch bedeckte sich über und über von den im heftigen Streit miteinander gebliebenen Raben. Die Bischofstäbe in den Kapellen schwitzten und deuteten den Angstschweiß der Geistlichkeit und Bürgerschaft vor; Kinder redeten im Mutterleibe, und aus angeschnittenem, frischbackenem Brot floß häufig Blut, und hinter all diesen Zeichen drein folgte schreckliches Weh. So geschähe es auch, da Magdeburg im Streite lag mit Herzog Georg von Mecklenburg, der in das Land eingefallen war und es arg verwüstete. Da rüstete sich die Stadt und zog am Tage des heiligen Mauritius, welcher der Schutzpatron der Stadt ist, die Bürgermeister an der Spitze, dem Feind zu einer großen Schlacht entgegen. Da kamen sie in das Feld zwischen Hillersleben und Meseberg, über der Ohre drüben, eine Meile von der Stadt, und da begegnete ihnen ein Mann in Tracht und Gestalt eines Bauers, gar alt und eisgrau, aber mit ganz jugendlichem und schönem Antlitz, blühend und holdselig, der hob die Hände gegen sie auf und sprach: Wohin gedenket ihr, Bürger von Magdeburg? Wisset ihr nicht, daß der Tag eures Schutzheiligen euch niemalen Glück gebracht? Ward nicht vor zweihundert Jahren (1350) auf diesem Boden und an diesem Tage Magdeburgs Macht geschlagen und gebrochen und später noch einmal an demselben Tage? Kehret um und sehet, daß ihr eure Stadt gut befestiget, denn das Unglück ist euch nahe!

Einige wenige der Mannen verwunderten sich über dieses Mannes Rede und wollten sie beherzigen, die stets unverständige Menge und Überzahl solcher Wehrschaft aber dünkte sich wunderklug, hatte schrecklichen Mut und meinte, den Feind zu fressen und aufzureiben, daß kein Stäublein von ihm vorhanden bleibe, zumal auch die Bürgerhauptleute sonderlich entbrannte Kampfhähne waren, trotz den Rummelpuffen des tollen Jahres. Aber nach einer halben Stunde sangen sie aus einem andern Tone; da war die Schlacht schon vorbei, wie ein geschwindes Wetter. Die Magdeburger verloren zwölfhundert Tote und dreihundert Gefangene und elf Stück Feldschlangen und sonstige Kriegsmenagerie, auch elf Bürgerfähnlein, und die Spötter und Verächter des greisen Warners waren alle erschlagen oder gefangen oder in die Ohre gejagt mit einem großen Teile des von ihnen angeführten Volkes; dieses Todesbad nannte man hernach spottweise die Magdeburger Taufe. Als man später fleißig Nachforschung nach jenem Alten hielt, der das Unglück vorausgesagt, hat ihn weder vorher noch nachher jemand gesehen gehabt oder eine Nachricht von ihm erteilen können.

Wie Magdeburg von Kaiser Karl und in dessen Auftrag vom Kurfürsten Moritz zu Sachsen hart belagert wurde, war es zwar glücklicher, aber das nächste Jahrhundert offenbarte ihm genugsam durch manches Zeichen die unter Tilly nahende abermalige Zerstörung.

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326. Zauberverblendung

326. Zauberverblendung

Ein Zauberer kam gen Magdeburg, schlug auf offnem Markt seine Bude auf und sammelte viel Volkes um sich her, sammelte auch ein ziemliches Geld ein, bevor er anfing mit seinem Hokuspokus und Abrakadabra. Da nun das Spiel im Gange war, zeigte sich unter andern ein allerliebstes wunderkleines Pferdchen, das tanzte im Ring und belustigte die Menge; gegen das Ende aber stellte der Zauberer seine Frau, seine Magd, den Hanswurst und das Pferdchen nebeneinander und hub einen Schwatz an, darin er klagte über das schlechte und schmachvolle Zeitalter, in welchem man jetzt lebe, wo die Leute davonliefen, wenn der Teller käme und sie bezahlen sollten, und wie ein ehrlicher Mann es doch zu gar nichts Rechtem bringen könne. Habe es nunmehr mit den lieben Seinigen satt auf dieser Welt und absonderlich in Magdeburg, wolle daher auswandern und davonziehen, zunächst gen Himmel, und wenn es ihm da nicht glücke, gen Bitterfeld (zwischen Dessau und Halle), allwo es auch gar schön, und darauf warf er ein Seil in die Luft, das erfaßte flugs das Rößlein und fuhr stracks daran in die Höhe, und der Zauberer erwischte das Pferdchen beim Schwanz, rief: hoppdiho! und fuhr auf, und seine Frau hing sich an ihres Mannes Beine und die Magd an der Frau ihre Beine und der Hanswurst an der Magd ihren Nock, und so fuhr die Gesellschaft aufhin, und der Zauberer rief aus der Luft herunter:

Sehen wir uns nicht mehr auf dieser Welt,
So sehen wir uns doch in Atterfeld! –

und alles Volk lachte und staunte mit weit offnem Munde, bis ihm in der Richtung nach dem Himmel und gen Bitterfeld zu die Gesellschaft aus den Augen kam. Da kam ein Bürger aus der Stadt gegangen, dem sagten seine Bekannten von dem Wunder, es wäre schade, daß er es nicht auch gesehen, so was sehe man nicht alle Tage. Aber der Bürger sprach: Das kann nicht wahr sein, denn alleweile habe ich den Zauberer, sein Rößlein und seine Leute in ihre Herberge eingehen sehen, sind also derohalben weder gen Himmel noch gen Bitterfeld durch die Luft gefahren. –

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327. Capistranus‘ Kardinalsbirne

327. Capistranus‘ Kardinalsbirne

Als der eifrige Barfüßermönch Johann Capistranus gen Magdeburg kam, um auch allda dem Volke Buße zu predigen, und daß es sich abtue allen eiteln Schmuckes, da zog ihm der Erzbischof Friedrich mit seiner ganzen Klerisei entgegen unter Glockengeläute mit Kreuzen und Fahnen, und viel Volk folgte nach, und ward also prächtig empfangen und ihm auf dem neuen Markt ein hoher Predigtstuhl erbaut, von dem herab er predigte. Da brachten die Männer alle Brett-, Würfel- und Kartenspiele, Larven und Pritschen und Narrengugeln vom Mummenschanz, und die Frauen brachten ihre Schnüre und Schleier und Zöpfe und allerlei Putztand; da ließ der eifrige Volksprediger ein Feuer schüren und alles Dargebrachte darin zu Asche verbrennen. Capistranus predigte so gewaltig, daß die Leute weinen mußten, wenn sie auch zu fern standen, ihn zu verstehen; wie mögen erst die geweint haben, die ihm nahe standen! Er erschloß die Tränenschleusen und ließ sie stromweise rinnen, welches Kunststück ihm noch immer nachzutun versucht wird. Da man nun beim Mahle nach der Predigt dem Capistran ganz besonders gute Birnen auftischte, die ihm sehr trefflich mundeten, zumal er sich den Hals mochte sehr trocken geredet haben, so segnete und weihete er diese Birnen, und dieselben haben von da den Namen Kardinalsbirnen empfangen. Ob sie nun besser von Art und Geschmack sind als die Melanchthonsbirne, welche der Sage nach im Superintendenturgarten zu Pegau seit dreihundert Jahren gepflegt wird, weil Melanchthon sie vortrefflich befand, das werden wohl leichter die Pomologen als die Theologen entscheiden.

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328. Wolmirstedts Name

328. Wolmirstedts Name

Als Kaiser Karl der Große in diesen Gegenden zog und an die Elbe kam, gefiel ihm die Lage und Landschaft dort, wo der Lauf der Ohre dem Elbstrom zustrebt, ausnehmend wohl, er ließ seine Kriegerscharen Lager aufschlagen und Wachthügel aufwerfen und sprach: Wohl mir die Stätte! – weil er allda ruhen wollte und auch eine bessere reinere Luft spürte als in manchem nachbarlichen Strich Landes, zum Beispiel in Halle. Da ist hernachmals ein Ort und aus dem Ort ein Städtlein geworden, das hat den Namen Wolmirstedt behalten. Beim Dorfe Jerschleben (Gersleben) sind noch Hügel, die oben etwas ausgegraben und hohl, das sollten die Wachthügel gewesen sein, und werden noch heute die Karlskessel genannt.

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32. Der Krötenstuhl

32. Der Krötenstuhl

Im Elsaß war eine Burg, hieß Nothaeder, auf der wohnte ein Herzog, welcher eine überaus schöne Tochter hatte. Sie war aber nicht weniger stolz als schön, kein Freier, so viel deren kamen, ihre Hand zu erlangen, war ihr gut genug, und mancher nahm sich das Leben, weil er ihre Gunst nicht erlangen konnte. Der letzte, der das tat, verwünschte die hartherzige Jungfrau in einen harten Steinfelsen, und daß sie nur alle Freitag einmal sichtbarlich sich zeigen dürfe, aber auch nur alle drei Wochen einmal in ihrer wahren Gestalt als Jungfrau, zum andern Mal als eine Schlange und zum dritten als eine häßliche Kröte. Jeden Freitag kommt sie nun hervor, wäscht oder badet sich auf dem Felsen an einem Quellborn und sieht sich um nach allen Weiten, ob kein Erlöser nahe. Wollte jemand an das Wagestück gehen, der muß an einem Freitag auf den Felsen gehen, da findet er eine Muschel, darin liegen drei Wahrzeichen: eine dunkelgelbe Schlangenschuppe, ein Stückchen grasgelbe Krötenhaut und eine goldgelbe Haarlocke. Diese drei Dinge muß der Befreier zu sich stecken und bei sich tragen und zur Mittagsstunde am nächsten Freitag wieder hinauf auf den wüsten Felsen steigen, und zwar dreimal, und muß einmal die Schlange, zum andern die Kröte, zum dritten die Jungfrau küssen. Das war mehr verlangt als bei der schönen Schlangenjungfrau im Heidenloch bei Augst, eine Schlange und eine Kröte zu küssen, ohne zu entfliehen! Wem das aber möglich ist, der erlöset die Verzauberte, bringt sie zur Ruhe und wird durch ihre Schätze unermeßlich reich. Schon mancher fand die Merkzeichen, wagte sich in die öden Burgtrümmer und kam nimmermehr wieder, sei es, daß, ehe er den Kuß gewagt, Furcht und Grausen ihn tötete, sei es, daß er den Kuß wagte und vor Entsetzen in des Todes Arme sank, denn wie lieblich sie als Jungfrau erscheint, immer gleich jung, niemals gealtert, so schrecklich ist sie als Kröte, nämlich so groß wie etwa ein mäßiger Backofen, und spaucht Feuer – wer kann da küssen? Am allerschrecklichsten ist sie als Schlange, lang und stark wie ein Heubaum. Einmal hatte ein kecker Bursch doch sich überwunden und die Schlange geküßt, da war die Schlange hinweg, nun kam die Kröte, die war über alle Maßen abscheulich anzusehen, das Eingeweide drehte sich ihm im Leibe um, und er entrann; die Kröte aber hüpfte plump und schwer hinter ihm her und verfolgt‘ ihn bis zum Krötenstuhl – und spie ihm den Berg hinab noch ganze Bündel Feuer nach.

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329. Isern-Schnibbe

329. Isern-Schnibbe

Nahe bei der Stadt Gardelegen an der Milde liegt ein festes Haus, die Isern-Schnibbe genannt, das soll gar ururalten Ursprunges sein. Drusus, der Römerfeldherr, soll dasselbe schon begründet, der Göttin Isis darin ein Heiligtum errichtet haben. Davon hieß es dann Isisburg und Isenburg. Vergebens belagerten es die Wenden, sie bekamen manche harte Schlappe und mußten mit Schnipp und Schnapp abziehen, daher nannten sie das feste Haus die Isern-Schnibbe. Um dieses Haus herum war, wie in einem Garten, die Stadt gelegen, davon sie auch den Namen Gardelegen erhalten; aber da sich durch eine Räuberbande, die in einem nahen Busche hausete, und welche die Gardelegener einfingen, ihnen eine noch bessere Gelegenheit zu einer Stadt bot, so legten sie das neue Gardelegen dahin, wo es jetzt noch steht. Vor dreihundert Jahren stand auf der alten Stadtstätte noch ein altes Steinkreuz mit unlesbarer Inschrift, das war dem heiligen Petrus zu Ehren errichtet, und alljährlich zog am Sonntag Exaudi die ganze Stadt hinaus nach dem Kreuze in der Gegend des Hauses Isern-Schnibbe und freute sich des Tages.

Am Ende der Burgstraße nach der Isern-Schnibbe hin war sonst auch ein Tor, dadurch ritten die Herren von Alvensleben ein, welche die Gerichtsbarkeit über die Burgstraße hatten, in der Nähe reich begütert waren und zumeist auf ihrem Haupthaus zu Calbe saßen. Und weil das Tor der Burgstraße infolge des Öffnungsrechtes für die Herren von Alvensleben Tag und Nacht nach deren Verlangen offengehalten werden sollte, so entstand Zwistigkeit zwischen ihnen und dem Magistrat von Gardelegen, denn der Magistrat war der Ansicht, wenn man in einer Stadt bei Tage und bei Nacht die Tore aufgesperrt halten solle, da brauche man weder Schutzwächter noch Mauern, und hätte daher viel lieber dieses Tor statt ganz offen ganz zu gesehen. Nun traf sich’s eines Tages, daß auf dem Rathaus zu Gardelegen ein Zweckessen stattfand, bei welchem auch das älteste Familienoberhaupt derer von Alvensleben zugegen war, und da war man fröhlich und guter Dinge und berührte keinen Streit. Nur im Scherz gedachte der Bürgermeister des Tores und sagte: Was meint Ihr, gnädiger Herr, wenn wir’s zumauern ließen? – Ho! sagte der Herr von Alvensleben, wartet noch ein wenig, ich will erst spazierenreiten! – Bis Ihr zurückkommt, kann es zu sein! sagte jener drauf, und der Ritter hob den Humpen, tat einen Schlurf und rief: Habt Ihr so flinke Maurer? Um Euer ganzes Nest reit‘ ich im Schritt herum und bin doch wieder da, ehe eine Schwelle so hoch liegt, daß ich nicht darüber hinübersprengen könnte! – Versucht’s, Herr Ritter! – Topp! Ich reite! rief der Herr von Alvensleben und ließ sein bestes Roß vorführen und ritt zum Burgtore hinaus. Der Bürgermeister hatte aber mit Absicht den Scherz auf die Bahn gebracht, um ihn in Ernst zu verkehren, er hatte die Maurer und die Steine und Kalk und Mörtel alles schon zur Hand, und hinter dem Reiter schloß sich der Torflügel, legte sich Stein auf Stein. Der Reiter ritt wohlgemut über die Mildebrücke und um die Stadt herum, brauchte nicht sonderlich lange Zeit, hatte ein treffliches Roß und die beste Laune, als er aber schon sein Ziel wieder im Auge hatte, da stürzte sein Roß, doch ohne Schaden, und hier der Aufenthalt, dort die Eile ursachten, daß binnen der kürzesten Zeit die Gardelegener ein Tor und die Herren von Alvensleben ein Recht weniger hatten.

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31. Das Riesenspielzeug

31. Das Riesenspielzeug

In einem wilden Wasserfall in der Nähe des Breuschtales im Elsaß liegen die Trümmer einer alten Riesenburg, Schloß Nideck geheißen. Von der Burg herab ging einstmals ein Fräulein bis schier gen Hasloch, das war des Burgherrn riesige Tochter, die hatte noch niemals Menschenleute gesehen, und da gewahrte sie unversehens einen Ackersmann, der mit zwei Pferden pflügte, das dünkte ihr etwas sehr Gespaßiges, das kleine Zeug; sie kauerte sich zum Boden nieder, breitete ihr Schürztuch aus und raffte mit der Hand Bauer, Pflug und Pferde hinein, schlug die Schürze um sich herum, hielt’s mit der Hand recht fest und lief, was sie nur laufen konnte, und sprang eilend den Berg hinauf. Mit wenigen Schritten, die sie tat, war sie droben und trat jubelnd über ihren Fund und Fang vor ihren Vater, den Riesen, hin, der gerade beim Tische saß und sich am vollen Humpen labte. Als der die Tochter so mit freudeglühendem Gesicht eintreten sah, so fragte er: Nu min Kind, was hesch so Zwaselichs in di Furti? Krom’s us, krom’s us! – O min Vater! rief die Riesentochter, gar ze nettes Spieldinges ha i funden. – Und da kramte sie aus ihrem Vortuch aus, Bauer und Pferde und Pflug, und stellt’s auf den Tisch hin und hatte ihre Herzensfreude daran, daß das Spielzeug lebendig war, sich bewegte und zappelte. Ja min Kind, sprach der alte Riese, do hest de ebs Schöns gemacht, dies is jo ken Spieldings nit, dies is jo einer von die Burn; trog alles widder fort und stells widder hin ans nämlich Plätzli, wo du’s genommen hast! – Das hörte das Riesenfräulein gar nicht gern, daß sie ihren Fund wieder forttragen sollte, und greinte, der Riese aber ward zornig und schalt: Potz tusig! daß de mir net murrst! E Bur ist nit e Spieldings! Wenn die Burn net ackern, so müssen die Riesen verhungern! – Da mußte das Riesenfräulein seinen vermeintlichen Spielkram als wieder forttragen und stellte alles wieder auf den Acker hin.

Diese Sage wird auch von manchem andern Ort in Deutschland erzählt, und zwar auf ganz ähnliche Weise, vom Schlosse Blankenburg oder Greifenstein ohnweit Schwarzburg im Thüringerlande, auch vom Lichtenberg im Odenwalde, allwo gewaltige Riesen hausten.

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319. Hünenblut

319. Hünenblut

Nicht weit vom Hackel, zwischen Egeln und Westeregeln (Kreis Magdeburg), steht ein Wassertümpel, der ist beständig rot. Das soll noch aus der Zeit der Hünen herrühren, von deren ungeheuerlicher Größe des Volkes Phantasie sich die kühnsten Bilder schuf. Zwei Hünen bekämpften und verfolgten einander; der eine fliehende schritt über die Elbe, wie ein Kind über einen Graben schreitet, und so war er mit wenigen Schritten in der Gegend von Egeln. Da hob er den einen Fuß nicht hoch genug auf, stieß sich damit an der Turmspitze der alten Burg, stolperte und fiel mit der Nase gerade auf einen Feldstein bei Westeregeln, und zwar mit so großer Heftigkeit, daß er das Nasenbein brach und eine große Lache Blutes ihm entströmte. Das ist das Hünenblut. Andere sagen, ein Hüne, der bei Westeregeln gewohnt, sei zum Spaß oft über das Dorf hinüber- und herübergesprungen und habe sich endlich bei einem Sprunge an der Turmspitze die Zehe aufgeritzt. Da sei aus der kleinen Wunde im großen Bogen das Blut niedergeflossen und habe jene noch immer rote Lache gebildet, die man noch heute das Hünenblut nennt.

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