355. Die stummen Frösche

355. Die stummen Frösche

Zu Schwante in der Nähe von Oranienburg ist der adelige Rittersitz der Familie von Redern. Die Gegend ringsum ist äußerst reich an Fröschen, weil in den nahen ausgedehnten Forsten der Sumpfstellen gar viele sind. Nun war zu einer Zeit ein Herr von Redern bedeutend erkrankt, und da die Frösche absonderlich zur Nachtzeit einen untümlichen Lärm mit ihrem Geschrei machten, so konnte der Kranke in keiner Nacht schlafen, und sein Zustand wurde immer schlimmer. Da kam eines Tages ein Armer in das Haus und bettelte. Die Edelfrau reichte ihm mit eigner Hand eine Gabe und weinte. Da fragte der Arme, warum sie denn weine, und sie sagte ihm, daß ihr Mann so krank läge, und daß es mit ihm nicht besser werden könne, weil das Froschgeschrei ihm keine Minute des Schlummers genießen lasse. Darauf sagte der Bettler: Wenn dem gnädigen Herrn damit, daß die Frösche schweigen, kann geholfen werden, dann soll ihm geholfen werden. Da ward ihm, wenn er solches Wunder bewirken könne, ein ganzer Sack voll Korn, so schwer er selbst ihn zu tragen vermöge, verheißen. Jetzt ging der Bettler aus dem Schlosse, umging es im weiten Umkreis, soweit nur eine Froschstimme schallen und gehört werden mochte, und brauchte seine geheime Kunst. Und siehe, da verstummte das laute Froschgeplärr und tat keiner wieder ein Maul auf, und der Edelmann bekam Schlaf und genas; und der Arme bekam seinen Sack voll Roggen und sagte im Scheiden: Auf hundert Jahre wird es gut tun, länger nicht – dann mögen andere sehen, was sie können.

Immer noch sind die Frösche zu Schwante stumm, was ihnen sehr störend ist, die hundert Jahre sind noch nicht vorüber, aber bald. Bisweilen fängt schon einer oder der andere an zu probieren, ob noch Stimme vorhanden, besinnt sich aber schnell, daß es noch nicht an der Zeit ist, und schweigt. Aber wenn die hundert Jahre herum sind, Himmel, was wird das für eine Lust und für ein Fest unter den Fröschen werden! Schwante, dann freue dich!

*

 

356. Es spukt in Tegel

356. Es spukt in Tegel

– – Wir haben ja aufgeklärt!
Das Teufelspack, es fragt nach keiner Regel,
Wir sind so klug, und dennoch spukt’s in Tegel,

läßt Altmeister Goethe im Faust den Proktophantasmisten sagen. Ja, es hat sehr in Tegel gespukt. Tegel ist ein ehemaliges Jagdhaus des Großen Kurfürsten, das in der Umgegend zum Unterschiede vom Dorfe Tegel Schloß Tegel heißt. Dort nistete sich zu Ende des vorigen Jahrhunderts ein Poltergeist ein, der Tag und Nacht rumorte und den Bewohnern keine Ruhe ließ. Zunächst entsprach dieses Gespenst seiner Natur durch Poltern, dann begann es mit Steinen nach den Leuten zu werfen, welche Steine zum Überfluß sehr heiß waren und mutmaßlich unmittelbar aus dem Kalkofen der Hölle. Man hörte es auch mit Peitschen in den Stuben knallen, und auf diese Weise war seine Gesellschaft keinesweges angenehm. Mit dem Feuer ging dieses Gespenst ganz gefährlich um, und die Eßwaren ließ es auch nicht unangetastet. Auch zeigte es sich bisweilen sichtbar, bald groß, bald klein, bald schwarz, bald weiß, bald eins, bald zwei, auch zu dritt beliebte es sich sehen zu lassen. Und war doch eine Zeit, wo die Aufklärung im schönsten Gange, im blühendsten Wachstums war. Ganz Berlin war voll davon, in allen Kreisen der Gesellschaft wurde von nichts gesprochen als von dem Spuk in Tegel, Bücher wurden darüber geschrieben – und endlich ist der Geist wieder hinweggekommen, man hat nicht erfahren, wohin. Einige sagten, er sei in den Tegelsee gebannt worden, Spötter aber behaupteten, der damalige Besitzer des kleinen bescheidenen Jagdschlößchens, der bekannte Buchhändler Nicolai, habe ihn in die von ihm besorgte kritische Zeitschrift Allgemeine deutsche Bibliothek gebannt, darin der Tegler Poltergeist hernach noch oft genug Rumor gemacht habe.

*

 

357. Zauberweiber in Berlin

357. Zauberweiber in Berlin

Zu Berlin lebten im Jahre 1553 zwei arge Zauberinnen, die konnten Reif und Schnee, Eis und Hagel machen und machten dessen auch, die Frucht zu verderben. Einstmals stahlen sie einer Nachbarin ein junges Kind, töteten und zerstückelten es und kochten es in ihrem verfluchten Hexenkessel. Die Mutter, welche ihr Kind vermißte und suchte, kam zu diesen Weibern unversehens, warf einen Blick in den Kessel, sah darin ihres verlorenen Kindes Gliederlein und entwich schweigend, die Untat dem Rate anzuzeigen. Der sandte alsbald Männer, welche die Weiber ergriffen und gefangen hinwegführten. Da sie nun peinlich befragt wurden, was sie mit ihrem Geköch für eine Absicht gehabt, so gestanden sie ein, sie hätten ein Unwetter zuwege brauen wollen und einen darauffolgenden großen Frost mit Eis, daß alle Blüte und alle künftige Frucht hätte verderben sollen. Da wurde ihnen nach Verdienst gelohnet; sie wurden auf Schleifen zum Tore hinausgeführt, unterwegs mit glühenden Zangen gezwickt und draußen auf dem Anger lebendig verbrannt.

Ein paar andere solche Hexenweiber und liebste Teufelsbuhlen zu Berlin waren zu einer Zeit in einem Wirtshaus beisammen, die hatten jede eine Gelte voll Wasser vor sich, rührten darinne, streuten schwarzes Pulver hinein und hatten dabei viel unverständlichen Gemürmels. Der Wirt, der selbigen Weibern nicht über den Weg traute, hatte in der Wand ein Guckloch und lugte und lauschte, was sie trieben. Und da fragte die eine: Was meinst? Soll es dem Korn gelten oder dem Weine? – Allen beiden! antwortete die andere. – Und wann? fragte die erste wieder. – Morgen in aller Frühe, ehe der Tau fällt, sprach die andere. Darauf haben sich die Hexenweiber zu Bette gelegt, und da hat sich der Wirt in die Kammer geschlichen und die Gelten über die Schlafenden ausgeschüttet und dazu gerufen: Allen beiden! Da wurde im Augenblick das Wasser zu Eis, das umschloß die Weiber und umgab sie rings gleich einer Rinde, darinne sie erfroren und erstickten. Die Flur mit Korn und Wein aber war gerettet.

*

 

358. Die gespenstigen Mäher

358. Die gespenstigen Mäher

Zur Zeit der Haferernte im Jahre 1559 ward in der Nähe der Stadt Köln an der Spree ein verwunderlich und seltsam Gesicht erblickt. Man sahe auf dem Felde mit einem Male fünfzehn Männer, die sich als Mäher anstellten, obschon niemand sie bestellt hatte; bald darauf gesellten sich diesen funfzehn noch zwölf andere, und waren schon die ersten von sonderbarem Ansehen, so waren die nachgekommenen noch schrecklicher, denn die ersten hatten doch Häupter gleich andern und gleich wirklichen Menschen, die letzten aber hatten keine Häupter, und waren scheußlich und gräßlich gestaltet. Diese siebenundzwanzig Mäher führten in ihren Händen große Sensen und hieben mit diesen mit mächtiger Gewalt in den Hafer hinein, daß es nur so rauschte, als wenn Schwaden auf Schwaden dahinsänke, und dennoch fiel kein einziger Halm, sondern der Hafer blieb stehen, nach wie vor, auch ward vom Tritt sotaner Mäher keine Ähre geknickt oder gebogen. Über diese wunderbare und grauenhafte Erscheinung erscholl großes Geschrei am Hofe und in der Stadt Berlin, und viele Hunderte zogen hinaus, diese Mäher zu sehen. Darunter waren etliche, die wollten ihren Mut sehen lassen, gingen furchtlos auf die Mäher zu und fragten sie, woher sie kämen, wer sie seien, wer sie zu solcher Verrichtung berufen, allein auf keinerlei Fragen haben die Männer geantwortet, sondern nur immerfort mähend in den Hafer gehauen. Da nun die Beherztesten noch näher gingen und die Mäher greifen wollten, glitten sie vor ihnen her wie Schatten, ungreifbar, und setzten ihr fruchtloses Geschäft scheinbaren Hafermähens ununterbrochen fort. Solches Gesicht hat einige Tage angehalten, darauf sind die Mäher nicht mehr gesehen worden. Da nun die allgemeine Meinung war, daß diese Erscheinung auf keinen Fall etwas Gutes vorbedeuten könne, so versammelte Kurfürst Joachim der Andere die gelahrtesten Prediger in der Mark, damit sie ein Urteil fassen und fällen sollten, was dieses unerklärbare Gesicht bedeute. Lange berieten die Prediger und suchten und fanden in der Heiligen Schrift, in den Propheten und in der Offenbarung mancherlei Stellen, die sich auf jenes Gesicht anwenden ließen, und von denen manche gut paßten, andere aber wie die Faust auf das Auge, und einigten sich dahin, daß sie eine große Pestilenz prophezeiten, wo der grimme Tod als Mäher seine Garben niederschlagen werde – es war aber nichts mit der Prophezeiung und ist keine Pestilenz gekommen.

*

 

35. Sankt Ottilia

35. Sankt Ottilia

Es saß auf Hohenburg ein stolzer Graf, Herr Attich geheißen, dessen Frau gebar ihm ein Mägdlein, und das war blind. Darob ergrimmte Herr Attich und schrie: Ein blindes Kind will ich nicht, fort mit dem Wurme, und schlagt ihm den Schädel an einem Felsen ein!, und tobte fort, die Mutter aber sandte alsbald die Amme in Begleitung treuer Knechte mit dem blinden Kinde weit, weit von dannen, gen Palma, das liegt jenseits der Alpenberge in Friaul, dort war ein Frauenmünster, und dorthin ward Herrn Attichs Töchterlein gebracht. Im Bayerlande aber war ein Bischof mit Namen Erhardus, der hörte im Traume eine Stimme: Mache dich auf gen Palma in das Stift, dort findest du ein blindes Mägdelein, das sollst du taufen und Ottilia heißen. Erhardus folgte ohne Weilen der Stimme des Herrn, so er im Traume vernommen, zog gen Palma in das Stift und fand das Kind und taufte es und segnete es, und siehe, da gingen über der Taufe dem Kinde die Augen auf, und ward sehend. Und Ottilia blieb im Frauenmünster zu Palma, erwuchs darinnen züchtiglich, erlernte die Orgel schön zu spielen, der Blumen zu pflegen und ihrer Pflichten treulich zu warten. – Herr Attich aber ward vom Himmel heimgesucht, daß er Reue und Leid fühlte ob seines von ihm verstoßnen Kindes willen, und es trieb ihn zu einer Pilgerfahrt nach Welschland, sein Kind zu suchen, und da er der Tochter Aufenthalt erfahren, zog er des rechten Weges und hörte nun in Andacht das Wunder, das mit ihr sich begeben, und führte sie zurück nach Hohenburg und an das Herz ihrer Mutter. Glanz und Reichtum umgab das holde fromme Kind, aber das alles lockte sie nicht, und auch als der Ruf ihrer Schönheit und Lieblichkeit sich in der Gegend verbreitete und Freier angezogen kamen, die gern um ihre Hand werben mochten, zeigte sie sich allen abgewendet, wollte allein des Heilands Braut sein. Da nun unter diesen Freiern ein reicher Graf des Gaues war, so gelobte Herr Attich diesem sein Kind zum Ehegenoß und gebot Ottilien, sich nicht länger zu weigern. Das erschreckte die fromme Jungfrau gar sehr, sie suchte Trost und Rettung im Gebet und fand endlich einen Ratschluß, welcher kein anderer war als schnelle Flucht. Da nun der Bräutigam am Morgen angeritten kam, war die Braut abhanden und nirgend zu finden. Boten ritten und liefen wohl im Vogesengebirge umher und auf und ab all um den Rhein, und keiner fand Herrn Attichs Tochter, bis nach dreien Tagen endlich die Kunde kam, Ottilia sei in einem Schifflein über den Rhein gefahren, mutterseelenallein, und mochte wohl ein Engel ihr Ferge gewesen sein. Da forschten nun ihr Vater und der Graf gar fleißig nach ihr und waren weit aus und kamen bis gen Freiburg im Breisgau, und als sie dort im Tale ritten, sahen sie auf einmal auf einer Bergeshöhe die Jungfrau wandeln und sprengten eilend hinan. Wie nun Ottilia ihre ihr schon nahen Verfolger erkannte, erschrak sie heftig und rief den Himmel um seinen Schutz an, und da sie an eine Felswand kam, die ihre Schritte gänzlich hemmte, da tat vor ihr die Wand sich auf und schloß sich wieder hinter ihr zu. Aus dem Felsen aber rieselte alsbald ein klarer Wasserquell, und die Verfolger standen davor und wußten nicht, wie ihnen geschehen war.

Nun begann Herr Attich, aufs neue in sich zu gehen, seufzte nach der Tochter, blieb an der Quelle und rief dem starren Fels das Gelübde zu, wenn Ottilia wieder zu ihm komme, so wolle er an diesen Ort eine Kapelle bauen und aus seiner Burg ein Kloster, und das mit reichem Gut begaben. Solches alles geschah, und der Brunnen aus dem Fels ward der Ottilienbrunnen geheißen und übte wundersame Kraft an kranken Augen. Ottilia aber wurde Äbtissin des neuen Klosters, pflegte und heilte Kranke, ward ein Schutzengel des ganzen Gaues, ließ an den Bergesfuß noch ein Kloster, Niedermünster, bauen, und als sie endlich sanft und selig verschieden, ist sie heilig gesprochen worden und ward die Patronin der Augen und von Augenleidenden insonderheit angerufen.

*

 

346. Die Totenglocke

346. Die Totenglocke

Zu Calbe an der Milde, dem Sitze der edeln Herren von Alvensleben, steht das feste Haus, wie man das Stamm- und Ahnenschloß dieser alten und begüterten Familie nennt, und in diesem Hause hing eine Glocke, die begann von selbst anzuschlagen und zu läuten, wann ein Glied der Familie derer von Alvensleben mit Tode abgehen sollte, mochte sich dieses auch in den fernsten Landen befinden. So wunderbar die Eigenschaft dieser Glocke war, so wenig Angenehmes hatte sie für das lebende Geschlecht, dessen zahlreich verzweigter Stamm in vielen Gliedern blühte, wenn sie so plötzlich in das schönste Frühstück oder Mittagsmahl hinein ihre schaurige Prophetenstimme erschallen ließ. Da hatte einer des Geschlechts den einfachen und gar nicht übeln Gedanken, die Glocke zu beseitigen. Mit einem Male war sie weg, und noch heute weiß keiner, wo sie geblieben.

*

 

347. Die Frau von Alvensleben

347. Die Frau von Alvensleben

Die Chroniken melden von einer frommen adeligen Witwe aus dem alten Geschlechte derer von Alvensleben, daß sie gar gütig, gottesfürchtig, mildtätig und hülfreich gewesen, absonderlich stand sie den Bürgerfrauen zu Calbe im Werder gern bei in schweren Kindesnöten. Da kam einmal in einer Nacht eine Botin vor das Schloß und rief zu der Edelfrau hinauf, sie wolle doch ja aufstehen und sich ankleiden und ihr folgen zu einer Frau, die in äußerster Not und Gefahr schwebe und wisse ihres Leibes keinen Rat, und wohne die Wöchnerin nahebei draußen vor der Stadt. Darauf erwiderte die Edelfrau, daß es ja mitten in der Nacht sei, wo die Tore geschlossen gehalten würden, wie sie denn hinauskommen sollten? Aber die Botin antwortete, das Tor sei schon geöffnet. Und da ging die Frau von Alvensleben mit. Unterwegs flüsterte die Botin ihr zu, sie solle nicht bange sein, nur aber nichts annehmen von Essen und Trinken, was man ihr auch bieten würde. Das Tor war wirklich für sie geöffnet, und draußen im Felde währte es nicht lange, so kamen sie an einen Berg, der stand auf, und obwohl die Frau von Alvensleben nun sahe, daß dieser Gang keiner von den gewöhnlichen sei, so hatte sie doch keine Furcht und ging getrost weiter. Da kam sie in ein Gemach, darinnen fand sie ein kleines Weiblein liegen, das der Hülfe einer Wehmutter dringend bedurfte. Diese Hülfe leistete nun die Frau von Alvensleben dem kleinen Weiblein, und nachdem sie ihr Geschäft glücklich vollbracht und ein gesundes Kindlein zur Welt befördern helfen, rüstete sie sich wieder zum Hinweggehen und tat nicht, wie die gewöhnlichen Wehmütter tun, die gern und oft und viel essen und trinken und ihren Weck auch noch mitnehmen, sondern sie rührte von allem, was da für sie schon bereitstand, nichts an. Die Botin, welche sie hergeführt, brachte sie auch wieder zurück und leuchtete ihr mit der Laterne, wie sie vorher geleuchtet. Vor dem Tore des Schlosses aber blieb sie stehen, sprach noch einmal den Dank der Wöchnerin aus und gab ihr von dieser einen schönen güldnen Ring, indem sie sagte: Bewahret diesen Ring zum Andenken als ein heiliges Pfand und laßt ihn niemals von Euerm Geschlechte kommen. Solange der Ring in Euerm Geschlechte aufbehalten bleibt, so lange wird es fortblühen, geht er verloren, dann verlöschet Euer ganzer Stamm!

Als Hernachmals das Alvenslebensche Geschlecht sich in zwei Linien teilte, bis zu welcher Zeit der Ring sorglich aufbewahrt worden sein soll, da habe man, sagen einige, auch den Ring geteilt, doch damit viel Gutes nicht erzielt. Denn die eine Hälfte des Ringes sei in einem Feuer zerschmolzen, und seitdem sei auch die Linie, die sie besessen, in Verfall und Abnehmen gekommen und ergehe ihr nicht gut. Andere aber sagen, der Ring sei noch unversehrt aufbehalten, und damit er ganz sicher bewahrt bleibe, sei er in Lübeck in einem hohen Hause verwahrlich niedergelegt, wieder andere behaupten, er befinde sich noch bis zur Stunde im Hause zu Calbe und sei von einem gewöhnlichen einfachen Goldreif in nichts unterschieden.

*

 

348. Der Adel der Marken

348. Der Adel der Marken

Da Kaiser Heinrich der Finkler, auch der Städtegründer geheißen, zu Stendal saß, hatte er im Sinne, gegen die Wenden zu ziehen, die damals noch jenseit der Elbe seßhaft waren, und rüstete lebhaft gegen sie, wie nicht minder der Wendenkönig Mizisla gegen ihn. Der hatte seinen Hauptsitz in Brandenburg und sandte Botschaft an Heinrich, die gar trotzig lautete. Da ließ der Kaiser einen alten räudigen Hund vorführen, vor der Abgesandten Augen erbärmlich stäupen und an einem Baume aufhängen, aus welcher symbolischen Antwort jene Heinrichs Sinn genugsam erkennen konnten. Darauf schrieb der Kaiser einen großen Landtag gen Stendal aus, rief alle Sachsen, Thüringer, Märker und sonstige Verbündete zusammen und ernannte viele tapfere und tüchtige Mannen, die nicht zu dem Fürsten- und Herrenstande gehörten, zu eitel Rittern und Edelingen und sprach: Adel – edel! Eid – halt! – und gab ihnen Waffen und Wappen; die aber zuvor schon Hauptleute und Heerführer gewesen, die wurden zu Grafen und Herren ernannt; so schuf sich Kaiser Heinrich ein kräftiges, dankbares und anhängliches Heer, rückte damit mitten im Winter über die zugefrorene Elbe vor Brandenburg, schlug Lager auf dem Eise, stürmte die Stadt, nahm sie ein, zerstreute und erschlug das Heer der Feinde und begründete seinem Volke feste Sitze in dem Obotritenlande. Daher der zahlreiche Adel in den Marken, die vielen reichen und blühenden edeln Geschlechter, daher die alte, feste, durch den Lug und Trug der Schwarmgeister nicht zu untergrabende unerschütterliche Treue gegen ihren König und sein Haus, die nicht nur in den edeln Geschlechtern, die im ganzen Volke der Märker lebt und ein Fels ist und ein rechter Markstein, über den die welschen Gaukler und ihre Affen nimmer schreiten dürfen.

Nach erkämpftem Siege erbaute Kaiser Heinrich auf dem Harlungerberge der Jungfrau Maria eine runde Kirche, baute weiter abwärts ein Blockhaus und nannte es Werben, weil er allda ferner um den Sieg werben wollte, den er auch erwarb, denn alle die Neugeadelten fochten neben denen vom alten Adel wie Löwen, und ihre Tapferkeit gewann dem Kaiser den Sieg.

*

 

34. Chorkönig

34. Chorkönig

Das alte Münster zu Straßburg hatte Chlodwig erbaut, der Frankenkönig; es war ursprünglich nur ein hölzern Gebäu, und im Jahre 1002 brannte es Hermann, Herzog von Elsaß und Schwaben, der mit Kaiser Heinrich um die Kaiserkrone stritt, fast ganz zum Grunde nieder, doch blieb das Chor Karl des Großen stehen, aber 1007 schlug das Wetter hinein, und der Rest des Baues sank in Trümmer. Da geschah es, daß Kaiser Heinrich II. im Jahre 1012 gen Straßburg kam, des Münsters Untergang beklagte und sich die Regel und Ordnung der Chorherren vorlegen ließ, die gefiel ihm also wohl, daß er bei sich beschloß, der Bürde seiner Königskrone zu entsagen und ein Chorherr in Unser Lieben Frauen Münster zu Strasburg zu werden. Das erschreckte gar sehr alle seine Getreuen, denn das Reich bedurfte seiner, und redeten ihm zu, von diesem Vorhaben abzustehen; Kaiser Heinrich aber, den man seines frommen Sinnes und seiner Mildtätigkeit gegen Klöster und Stifte den Heiligen nannte – er war auch der Begründer des Bistums Bamberg – wollte mitnichten von seinem Vorsatz lassen. Nun war zu Straßburg ein Bischof, der hieß Werinhard, als dieser sähe, daß der Kaiser sich nicht abbringen ließe von seinem Vorhaben, so nahm er vor, ihm die geistlichen Gelübde abzunehmen, vor allem das Gelübde des Gehorsams. Wie der Kaiser das geleistet hatte, befahl er ihm kraft Gottes und in dessen Namen, die Kaiserkrone zu behalten und des Reiches Regiment und Herrschaft, das seiner nicht entraten könne. Der Kaiser sah sich überlistet, doch gebot er, so solle fortan an seiner Statt ein anderer Chorherr im Frauenmünster Gott dienen und das Amt versehen und am Altar für ihn singen und beten, der solle der Chorkönig heißen. Stiftete auch eine reiche Pfründe in das Gotteshaus, das war die Chorkönigspfründe, die hat bestanden weit über tausendundsiebenhundert Jahre. Und Bischof Werinhard war es, der hernach im Jahre 1015 den Grundstein zu dem steinernen Münster in Straßburg legte.

*

 

349. Das Fräulein bei Wittenberge

349. Das Fräulein bei Wittenberge

Unterhalb Werben beginnt eine Landschaft, die nennt man in der Priegnitz, da liegt noch ein Fleck, heißt die alte Stadt, und darüber, wo jetzt Ackerfeld ist, erhebt sich ein hoher Hügel. Das soll die Stätte sein, wo früher das Schloß der Herren von Wittenberge stand und zu seinem Fuße das alte Wittenberge. Es ist nicht geheuer an diesen verödeten Stätten, und man sagt insonderheit, daß ein verwünschtes Fräulein dort wandere. Dieses Fräulein, als es noch im Leben wandelte, war einem Ritter verlobt, der von ihr hinweg in den Krieg ziehen mußte, und brach ihm die Treue. Als er voll Sehnsucht nach ihr heimkehrte, fand er sie als eines andern Weib, und zwar als das eines der Herren von Wittenberge. Darüber wurde der Hintergangene Bräutigam also zornig, daß er ein Heer sammelte, dem von Wittenberge Fehde bot und Burg und Stadt angriff, gewann und zerstörte. Dafür, daß durch seine Untreue so viele unschuldige Menschen umkommen mußten, wurde das Fräulein verwünscht, ruhelos umzugehen bis an das Ende der Tage. Von da an begannen die Einwohner der Stadt, soviel ihrer geflüchtet waren, die Stadt an einer andern Stelle wieder aufzubauen. Dieselbe hat jetzt eine berühmte Eisenbahnstation, und denkt dort niemand mehr an das wandelnde Fräulein.

*