385. Von den Schweckhäuserbergen

385. Von den Schweckhäuserbergen

In der Göttinger Gegend zwischen den Dorfschaften Waake, Landolfshausen und Mackenrode, die recht in einem Dreieck zueinander liegen, liegen auch drei Berghöhen, welche man vereint die Schweckhäuserberge nennt. Eine dieser Höhen ist etwas länglich gedehnt, wie so manches in dieser Erdenwelt, die heißt der lange Schweckhäuserberg, und derselbe trug früherhin auf seinem Gipfel ein Ritterschloß. Obschon keine Trümmer davon mehr vorhanden sind, gehen doch die Einwohner der drei genannten Orte gern hinauf auf den Gipfel, der freien Natur und schönen Aussicht zu genießen, besonders am ersten Ostertag, und erzählen sich mancherlei Mär und Sage von diesen Bergen. Daß ein Heidentempel droben gestanden mit einem ehernen Riesenbilde, hohl, wie der Herkules auf der Wilhelmshöhe bei Kassel, das die Heidenpriester zu allerlei Trug und Blendwerk benutzt, und statt selbst zu predigen, hätten sie das metallene Bild predigen lassen. In den Bergen aber seien Zwerge seßhaft gewesen. Von sotanen Zwergen hat einer die Tochter eines Schafhirten gern gesehen, aber sie liebte bereits einen treuen Schäfer und war für den Quarksen nicht zu Hause, zumal er neben der Kleinheit vorn und hinten mit einem merklichen Verdruß aufwartete, kleine Schweinsäugelein, beträchtliche Lippenwülste, Schlappohren, ein aschgraues Gesicht und die Annehmlichkeiten grüner Zähne und stets feuchter Nase, etwa wie der Spiegelschwab im Volksmärchen, besaß. Doch hatte der Zwerg eine große Tugend, er war über die Maßen reich und spendierlich und schenkte drauf und drein, und da die Mutter besagten Mägdeleins, das Lorchen hieß, die Gaben nicht zurückwies, so vermeinte der Zwergenmann, er habe nun ein Recht, und sagte endlich kurz und rund zur Alten: Daß du es weißt, deine Tochter wird mein, es wäre denn, du wüßtest meinen Namen zu nennen; kannst du das, wenn ich wiederkomme, so soll es auch gehen wie im Kindermärchen, dann will ich weichen, und das Lorchen soll freie Wahl haben, nach dem Orakel der Gänseblume, zwischen Edelmann, Bettelmann, Schulmeister, Pfarr. Damit ging er nicht in bester Laune hinweg. – Das war der Mutter des Mägdleins gar unlieb zu hören, klagte es dem Liebhaber ihrer Tochter und riet ihm um sein selbst und seiner Liebe willen, des Zwergen Namen auszukundschaften. Das däuchte nun freilich dem jungen Gesellen ein schweres Stück und war’s auch in der Tat, denn es gibt der Wichtlein wohl ab und auf all um den Rhein, in Preußen und Reußen, dünken sich Wunders viel zu sein und zu bedeuten, und so einer nach ihnen umfragt in allen Landen, so hat niemand die Tausendteufelskröpel jemals auch nur nennen hören. – Der Schäfer spähte nun gar fleißig umher, und als einmal der Zwerg sich zeigte, schlich er ihm nach, allein plötzlich verschwand der Zwerg an einem Steinfelsen. Als der Schäfer zum Fels trat, sah er eine schöne rote Blume darauf blühen, und innen hörte er hämmern und klingen. Der Zwerg schmiedete und sang dazu:

Hier sitz‘ ich, Gold schnitz‘ ich,
Ich heiße Holzrührlein, Bonneführlein.
Wenn das die Mutter wüßt‘.
Behielt‘ sie ihr Lürlein.

Das nahm sich der Schäfer zu Ohren und hinterbrachte es schnell seiner Liebsten und ihrer Mutter. Bald darauf kam der Zwerg wieder und fragte: Weißt du meinen Namen? – Ach! sagte die Alte, wie kann ich Euern Namen wissen? Ihr werdet wohl am Ende Vitzliputzli heißen! – Nein, so heiße ich nicht! grölzte der Zwerg. Oder Peter Neffert! riet die Alte neckend weiter. – Nein, so gar nicht! antwortete jener. Ich frage zum dritten und letzten Mal: wie heiße ich? – Da sang die Alte:

Im Felsen sitzt Ihr, Gold schnitzt Ihr!
Ihr heißet Holzrührlein, Bonneführlein.
Und weil das die Mutter weiß.
Kriegt Ihr nicht mein Lürlein!

Das hat dir der Teufel gesagt, Weib! schrie voll Ärger der Zwerg, fuhr ab und ließ sich nimmermehr wieder sehen. Der Schäfer aber hat das Lorchen geheiratet und ist mit ihr gar glücklich geworden.

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376. Sündelstein und Lügenstein

376. Sündelstein und Lügenstein

Mit großen Steinen hat sich der Teufel immer gern zu schaffen gemacht. Ein solcher liegt bei Osnabrück, ragt dreizehn Fuß tief aus der Erde, und die Bauern sagen von ihm, der Teufel habe ihn an einer Kette gehalten und durch die Lüfte geführt, um da oder dort diese oder jene Kirche einzuschlagen. Dies habe er auch an einer Kapelle versuchen wollen, aber eines sündlosen Priesters Gebet habe ihn gezwungen, den Stein fallen zu lassen. Noch zeigen die Bauern im Stein die Stelle, wo die Kette gesessen, und nennen ihn den Sündelstein.

So auch liegt ein ähnlicher Fels auf dem Domplatz zu Halberstadt, mit dem der Teufel als Vater der Lügen dem Dombau ein Ende machen wollte. Der Baumeister aber nahm diese Absicht wahr und verhieß in aller Schnelle dem Teufel, ein Weinhaus neben den Dom zu bauen, sobald dieser letztere vollendet sei, da warf der Teufel den Stein hin. Man sieht daran noch die Spur des glühenden Daumens. Hinterdrein hielt der Baumeister nicht Wort. Der Stein heißt deshalb der Lügenstein.

Bei der Mündner Glashütte im Geismar-Wald liegt auch ein Stein, in den hat ein daraufsitzender Feldherr seine Spur gedrückt. Er zweifelte an seinem Glücke, und daß er so wenig siegen werde, als der Stein weich werden. Und siehe, da erweichte sich der Stein, was außerdem wunderselten geschieht.

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377. Die Wittekindsburgen

377. Die Wittekindsburgen

Held Wittekind, oder Widukind, der Sachsenherzog, hatte eine Burg in der Gegend von Minden auf einem schönen Berge, da, wo das Wesergebirge beginnt und man einen reizenden Punkt der Gegend die Porta westphalica nennt, die hieß die Wittekindsburg oder Wekingsburg, auch Wittgenstein. Eine andere stand auf dem Werder, da wo die Herforder Werre in die Weser fließt, und eine dritte hatte Wittekind nahe der heutigen Stadt Lübbecke erbaut, die hieß die Babylonie. Von allen gehen noch Sagen um im Lande Westfalen. Die Burg bei Minden, oder der Ort selbst, habe erst Visingen geheißen, da habe Karl der Große, als Wittekind Christ geworden, gern einen Bischofsitz alldort begründen wollen und begründet. Denn es sei Raum genug vorhanden gewesen, auch bedurften die Menschen in jenen frühen Zeiten, obschon sie größer und stärker waren wie das heutige Geschlecht, des Raumes ungleich weniger wie letzteres. Und da habe Wittekind zu dem Bischof gesprochen: Es soll mein gut Schloß Visingen an der Weser gelegen zu gleichem Recht mein und dein sein und kein Streiten um das Mein und Dein: min-din, und von da sei der neue Sitz Mindin genannt worden, daraus dann hernachmals Minden entstand. Auch Wettin, der Sachsenfürsten hehre Stammburg, soll Wittekind erbaut haben, und Wittenberg dankt ihm nicht minder seine Gründung.

Nahe der Burg am Werder soll ein greiser Christenpriester dem Helden Wittekind auf dessen Jagdgange im tiefen Walde begegnet sein und zu ihm gesprochen haben, er solle an Christum glauben und an die Macht des ewigen Gottes. Da habe der Heidenheld ein Zeichen dieser Macht gefordert, und der Priester habe im Gebet zu Gott gefleht um solch ein Zeichen. Mache, daß Wasser aus diesem Felsen springt, so will ich die Taufe annehmen! habe Wittekind gerufen, und da habe sich das Roß emporgebäumt, mit dem Huf an den Fels geschlagen, und ein Wasserstrahl sei aus dem Gestein gerauscht. Da stieg der Held vom Roß und betete und baute nachderhand eine Kirche an den heiligen Ort, die hieß dann Bergkirchen, und der Born darunter quillt noch heute und heißt der Wittekindsborn.

Als aber der große Wittekind nach einem Leben voll mannlicher Kämpfe gestorben war – manche sagen, in einer Schlacht gegen den Schwabenherzog Gerwald gefallen –, da ist zwar sein Leib in Engern, wo er auch eine Burg hatte, beigesetzt worden, aber viele haben ihn nachher doch noch wiedergesehen. Die Sage geht, daß die Schlacht auf dem Wittenfelde gar vielen braven Streitern das Leben gekostet, und daß der Held endlich flüchtend gegen Ellerbruch gezogen. Da nun im Heerestroß viele Weiber und Kinder gewesen, die nicht gut fortzubringen, da habe sich das Sprüchwort erfüllt: Krupp unter, krupp unter (krieche ein), die Welt ist dir gram – und es habe sich unten an der Babylonie der Berg aufgetan, und Wittekind sei mit seinem ganzen flüchtigen Heer und allem Gefolge hineingezogen und habe sich da hineinverwünscht für ewige Zeiten. Manches Mal sieht man ihn in gewissen Zeiten mit auserlesenem Gefolge im Wesergebirge auf weißen Pferden reiten, da besucht er seine Burgen, auch wird das Heer erblickt mit blinkenden Spießen, und lauter Lärm wird dann vernommen, Rossegewieher und Hornschall, und die Anwohner sagen, es bedeute Krieg, wenn der Wittekind aus der Babylonie ausreite, wie dort vom Rodenstein und Schnellert die verwandte Sage geht. Auch um den grundlosen Kolk, einen Moorsee in Westfalen, spuken zur Nacht Wittekinds Heerscharen und ziehen nach der Widekesburg – einer öden Trümmerstätte.

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378. Wittekinds Grab und Gedächtnis

378. Wittekinds Grab und Gedächtnis

Da Wittekind, der große Sachsenheld, der, solange es ihm nur möglich war, die Freiheit seines Volkes gegen Kaiser Karls Unterdrückung schirmte, gestorben war, so fand er sein erstes Begräbnis zu Engern in dem Stift, was er selbst begründet und erbaut, doch ward seinem Gebein, wie ihm selbst im Leben, wenig Ruhe beschieden. Denn hernachmals wurde es von Engern in einen schlechten Kasten nach Herford gebracht, und hernach aber nach Engern, doch wurde sein Gebein gleich dem eines Heiligen verehrt, auch sein Andenken in so hohen Ehren gehalten, wie kaum ein anderes eines deutschen Fürsten und Helden aus so früher Zeit, denn vormals ließen alle Fürsten zu Sachsen mit Stolz ihren Namen bis zu Wittekind zurückführen, ebenso die alten Herzoge zu Bayern, zu Schwaben, die Kapetinger in Frankreich, die Herrscher Oldenburgs und Dänemarks, Savoyens und andere. Da wollten alle Wittekinder sein. Kaiser Karl IV. hat des Helden Grabmal hoch geehrt und erneuern lassen. Es war darauf eine Schrift in Kreuzesform und des Helden Bild nach uralter Art mit perlengezierten Schuhen, Purpurtunika mit edelstein- und sternenbesäetem Überwurf, gar köstlich, und einem Hute, der einer Krone ähnlich.

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37. Die Münsteruhr

37. Die Münsteruhr

Zu Straßburg im Münster ist ein kostbar und verwunderungswürdiges Uhrwerk, das seinesgleichen in der ganzen Welt nicht hat. Hoch und stolz, ein wundersames figurenreiches Gebäu, steht es da vor Augen, aber leider steht es eben und geht schon längst nicht mehr. Im Piedestal zeigt sich neben einem Himmelsglobus ein Pelikan, darüber erhebt sich ein Kalender, in dessen Mitte die Erdkugel ersichtlich ist, zu beiden Seiten stehen der Sonnengott und die Mondgöttin, welche mit ihren Pfeilen Tages- und Nachtstunden zeigen. Schildhalter an den vier Winkeln des Kalendariums lassen Wappen erblicken. Darüber fuhren in Wagen, von verschiedenen Tiergespannen gezogen, die sieben Planetengötter als Tagesboten, jeden Tag zeigte sich sanft vorrückend ein anderes Gespann, stand in der Mitte zur Mittagsstunde und gab dann allmählich dem nachfolgenden Raum. Darüber ein großer Viertelstundenzeiger und zur Seite vier Gebilde, die Schöpfung, Tal Josaphat, Jüngstes Gericht und Verdammnis. Zur Rechten des Beschauers steht ein freier Treppenturm am Uhrgebäu, zur Linken ein ähnlicher von anderer Form mit Göttergestalten, auf der Spitze ein großer Hahn, welcher die Stunden krähte und mit den Flügeln schlug. Am Sockel der Türme halten zwei große aufrechtsitzende Löwen je einer den Helm mit dem Kleinod, der andere das Wappenschild Straßburgs. Recht in der Mitte ist das riesiggroße mannigfach verzierte und mit kunstvollem Triebwerk versehene Zifferblatt, umgeben von den Bildern der vier Jahreszeiten, darüber steht: Dominus Lux Mea-Quem Timeo. Den Zeiger bildet ein geschlängelter Drache, dessen Zungenpfeil auf die Stundenzahl deutet. Über dem Zifferblatte zeigte ein kleinerer Kreis mit der Mondesscheibe genau des Mondes wechselnde Zeiten. Darüber zeigten sich zwischen Schildhaltern und Wappenfiguren wandelnde Gestalten der Menschenalter, welche an die offen hängenden Viertelstundenglocken anschlugen, über ihnen hängt die Stundenglocke; nach jedem Viertelstundenschlage trat der Tod hervor, die Stunde zu schlagen, aber da begegnete ihm die Gestalt unsers Heilands und wehrte ihm, erst wenn die Stunde voll war, durfte der Tod sein Stundenamt üben. Hoch empor über allem diesen hob sich noch eine gotische Krone mit den freistehenden Gestalten der vier Evangelisten, die Tiere der Offenbarung neben sich, und über diesen standen zwei musizierende Engel, dahinter aber barg sich gar ein schönes klangvolles Glockenspiel, auch ist noch manch anderes künstliches Bildwerk an der Münsteruhr zu sehen und sind auch gedankenvolle Sprüche daran zu lesen. Dieses herrlichen Werkes Meister hieß Isaak Habrecht, der hatte gar lange gesonnen Tag und Nacht und gearbeitet unermüdlich, bis er es vollendet, und bis es durch seinen lebendigen Gang alle Welt zum Erstaunen hinriß. Da es nun vollbracht war, so gedachte der Meister, auch anderswo seine unvergleichliche Kunst zu üben, da blies der böse Feind dem Rate der Stadt Straßburg schlimmen Neid in das Herz, und sollte seine Stadt solch Wunderwerk nur einzig und allein haben. Und weil die Herren im Rate glaubten, wenn sie dem Meister Habrecht auch verböten, der Stadt Weichbild zu verlassen, werde er Straßburg dennoch den Rücken kehren, so wurden sie miteinander eins, ihn des Augenlichtes zu berauben. Das ward dem Meister angesagt, und wie er es vernahm, schauderte ihm, und sprach: Nur einmal noch muß ich mein Uhrwerk sehen, möcht etwan noch was daran bessern, denn ich’s später nicht mehr vermag, wenn ich nicht sehend bin. Das wurde ihm vergönnt, und dann stieg der Meister zu seinem künstlichen Bau hinauf und trat hinein und schaffte was darin, eine kurze Weile. Und hernach haben sie auf dem Rathaus den Meister des Augenlichts beraubt. Aber siehe – da stockte mit einem Male das Uhrwerk. Christus und der Tod und die Alter der Menschen wandelten nicht mehr, das Glockenspiel verstummte, der Hahn krähte nicht, die Uhrglocken tönten nicht, der Zeigerdrache zeigte nicht, die Götter fuhren nicht mehr – alles stand. Bald aber nach der grausamen Tat wurden Meister Habrechts geblendete Augen aufgetan zum ewigen Licht – und vergebens sendete der Rat nach Künstlern umher, die das Uhrwerk wieder in Gang bringen sollten. Viele kamen, viele probten und pösselten daran und darin herum, keiner bracht’s in Gang, von alter Zeit zu neuer Zeit, immer wieder – sie verdarben mehr, als sie gut machten, und so steht im Münster das Uhrwerk heute noch, wunderbar anzuschauen, aber ungangbar, und die Zeiger zeigen noch Tag und Stunde, an denen so grauenhafte undankvolle Untreue an dem kunstreichen Meister verübt ward.

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379. Der Soester Schatz

379. Der Soester Schatz

Nicht weit von Soest in Westfalen lag ein altes zerstörtes Haus, Mauerreste eines Burgstalles etwa, darinnen sollte, so ging die Sage, ein großer Schatz in eiserner Truhe verborgen liegen, bewacht von einer verwünschten Jungfrau und einem schwarzen Hunde. Es müsse und werde einst, so meldete die Sage weiter, ein fremder Edelmann kommen, den nie eines Weibes Brust gesäugt, der werde die Jungfrau erlösen, den Schatzkasten gewinnen und mit einem feurigen Schlüssel ihn erschließen. Trotz dieser bestimmt ausgesprochenen Vorhersagung wagten sich aber doch unterschiedliche Schatzgräber, fahrende Schüler, Teufelsbanner und solche Vaganten mehr an des Schatzes Hebung, jedoch vergeblich, denn sie sahen so seltsame Gesichte und erhielten zumeist so übeln Willkommen, daß ihnen die Lust, wiederzukehren, auf immer verging. Einst geschah es, daß ein junges Mädchen aus einem nahen Dorfe ein paar Geißen hütete und ganz zufällig in den Hof des alten Gemäuers kam, da trat unversehens eine Jungfrau auf das Kind zu und fragte, was es da zu schaffen habe. Das Mägdlein sagte, es suche Beeren und Kirschen für sich und Futter für seine Ziegen. Da zeigte die Jungfrau auf ein Körbchen voll Kirschen und sagte: So nimm dort von den Kirschen, komme aber nicht wieder, damit dir nicht Übels begegnet. Das Kind erschrak, furchtsam griff es nach den Kirschen und nahm nur sieben Stück und eilte aus dem Gemäuer. Als es die Kirschen draußen essen wollte, waren sie in das reinste Gold verwandelt. Die Jungfrau aber soll das Los zahlreicher Schwestern teilen, sie soll noch immer unerlöst sein.

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380. Die Königstochter

380. Die Königstochter

In Oberhessen ist ein Berg gelegen, heißt der Christenberg, darauf stand vorzeiten ein Schloß, darin ein König wohnte, welcher nur eine einzige Tochter hatte, welche wundersam begabt war. Dieser König hatte einen Feind, welcher mit Heeresmacht kam und ihn in seinem Schlosse belagerte. Eines Tages blickte die Tochter hinaus, da sahe sie einen Wald sich gegen das Schloß bewegen und rief:

Vater, gebt Euch gefangen!
Der grüne Wald kommt gegangen!

Nun hieß aber auch der Feind des belagerten Königs Grünewald, und so hatte der Tochter Rede einen Doppelsinn. Da sie nun so klug und verständig war, sandte ihr Vater sie dem Feinde entgegen, damit sie mit ihm unterhandle. Und da unterhandelte sie, daß sie freien Abzug haben solle und mitnehmen, soviel sie auf einem Esel fortbringen könne. Darauf setzte sie ihren Vater auf den Esel, packte dem letztern auch noch nebenbei ein Ziemliches an Schätzen auf und zog von dannen, indem sie den Esel leitete. Als sie eine gute Strecke so fortgegangen war, war sie müde und der Esel noch mehr, da hielt sie an einer hübschen Stelle an und sprach: Hier wolle mer ruhen. Als sie nun geruht hatten und weiterkamen, erreichten sie durch Wildnisse das Gebirge und fanden einen Flecken. Da sagte die Tochter: Hier hat’s Feld! – Und sind allda geblieben und haben sich ein Schloß gebaut und haben das Hatzfeld genannt, und von jenem Ort der Rast empfing das Dorf Wollmar den Namen.

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381. Die grüne und die dürre Linde

381. Die grüne und die dürre Linde

Hinter dem Geißenberge in Westfalen, auf dem vordessen weit verrufene Räuber hausten, besonders einer, Johann Hübner genannt, der nur ein Auge hatte und stets ein eisernes Wams trug, erhebt sich mit drei Spitzen der Kindelsberg, auf dem hat auch ein Schloß gestanden, das war voll Ritter, die gerade so schlimm und so schlecht waren wie ihre Nachbarn, die Räuber auf dem Geißenberge, nur daß sie reich waren und ein ergiebiges Silberbergwerk besaßen; dieser Reichtum aber war es eben, der sie übermütig machte. Sie spielten nur mit goldnen und silbernen Kegeln und Kugeln, wie die Einwohner zu Reichmannsdorf bei Saalfeld in Thüringen, buken sich dicke Kuchen von Semmelteig so groß wie Kutschenräder und machten Löcher hinein und steckten sie an die Achsen, während teure Zeiten waren und die Menschen kein Brot zu essen hatten, bis Gottes Langmut über der Ritter Frevel und Sünden ein Ende nahm und ihre Strafe einen Anfang. Spät eines Abends kam ein weißes Männlein in das Schloß auf dem Kindelberge und prophezeite, alle gottlosen Bewohner der Burg würden sterben, und nur der jüngste Sohn und eine Tochter, die beide fromm waren, würden am Leben bleiben; zum Wahrzeichen werde morgenden Tages eine trächtige Kuh im Burgstalle zwei Lämmer werfen. Das Männlein wurde als töricht verlacht und spöttlich aus der Burg gewiesen – und des andern Tages kalbte die Kuh nicht, sondern sie lammte. Da war der Schrecken und die Angst groß, und am dritten Tage kam eine schwinde Krankheit, gleich einer Pestilenz, und raffte alle die Gottlosen dahin. Der am Leben bleibende jüngste Sohn zog mit einem jungen Grafen von der Mark in den Krieg und verlobte ihm seine Schwester, um welche auch, wiewohl vergebens, einer der Raubritter vom Geißenberge warb, den man nur den Ritter mit dem schwarzen Pferde nannte. Sie wies ihn aber ab und sagte, sie werde ihn lieben, wenn die Linde vor ihrem Fenster dürr sei und nie mehr grüne. Da hob der Raubritter heimlich die grüne Linde aus und setzte eine dürre hin, und als er nun ihre Hand forderte, die doch schon versagt war, sprach sie zu ihm: Ich kann dich doch nicht lieben, und wenn ein ganzer dürrer Lindenwald draußen stände. Da stach ihr der Ritter sein Schwert durchs Herz. An demselben Tage kehrte ihr Verlobter mit ihrem Bruder aus dem Kriege heim, und als er sein Lieb ermordet fand, schwur er sie zu rächen, zog aus und erschlug den Ritter mit dem schwarzen Pferde. Dann begrub er mit dem Bruder die Jungfrau, und sie setzten eine grüne Linde auf ihr Grab und einen großen Stein, der immer noch vorhanden ist.

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382. Die zwei Gleichen

382. Die zwei Gleichen

Nicht weit von Göttingen liegen auf einer Berghöhe zwei Burgruinen, Altengleichen und Neuengleichen genannt. Die Sage geht, daß in sehr frühen Zeiten zwei Grafen aus dem Sachsenlande sie erbaut, welche dann von diesen Burgsitzen aus das Land bedrückt und beraubt hätten, da seien sie unter der Regierung Kaiser Otto IV. befehdet, von den Bewohnern des Landes vertrieben und ihre Burgen zerstört worden, darauf sie sich nach Thüringen gewendet und dort die unter dem Namen der drei Gleichen bekannten Bergschlösser erbaut hätten. Es beruht das aber alles auf Nachrichten, die nur als Sage annehmlich klingen. Die einst schönen und stattlichen Nachbarburgen bei Göttingen gehörten zwei Dynasten, Ezike und Elle von Reinhausen genannt. Der letztere dieser Brüder, Elle, brachte ein mannlich Geschlecht hervor, davon ein Sproß mit dem Bischofshut von Hildesheim sein Haupt geschmückt sah. Doch endlich blühte dieses Geschlecht dennoch ab, und die Burgen sind hernachmals an die Familie von Uslar gekommen. Diese war in zwei Linien geteilt; das Haupt der einen hatte Altengleichen mit drei Vierteilen der Herrschaft inne, das Haupt der andern bewohnte Neuengleichen und besaß nur das letzte Viertel der Gleichenschen Herrschaft. Solcher Ungleichheit halber liebten sich diese beiden Herren keineswegs, sie haßten sich vielmehr recht gründlich und so sehr, daß einer den andern mit einem Pfeilschuß zu töten beschloß. Diesen argen Gedanken blies jedem von beiden der Teufel zu gleicher Zeit ein, und die beiden im Haß einander gleichen Bewohner der Burgen Gleichen gedachten an einem und demselben Morgen jeder den Nachbar und Feind zu erlegen. Der Teufel lenkte jedem zugleich den Schuß in das Herz hinein, und so starben sie wie jene Ritter auf den zwei einander nachbarlich nahen Rheinburgen, die man die Brüder nennt.

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383. Burg Plesse

383. Burg Plesse

Auf dem Plesseberge, anderthalb Stunden von Göttingen, liegt die Trümmer des ehemaligen Bergschlosses Plesse. Von dieser Burg gehen gar mancherlei Sagen. Ein Kind ward lebendig in der Mauer beigesetzt, als man die Burg erbaute, um sie, nach frühem Wahn, unüberwindlich zu machen. Vor fünfzig Jahren fand man das Särglein mit den Gebeinen. Hinter der Burg ging ein Felsenbrunnen zur Tiefe, in dessen Gemäuer ein heimlicher verborgener Eingang zu einem unterirdischen Gang in das Innere der Burg führte, so daß man aus der Burg Wasser holen konnte, auch wenn sie belagert war. Ein mannhaftes Rittergeschlecht nannte sich nach der Burg edle Herren von Plesse, und obschon die einst stattliche Burg in Trümmern liegt, bewachen und beschirmen die Rittergeister noch ihren einstigen Wohnsitz. Einem Maurer, der Steine aus dem Burggemäuer brach, um sie drunten zu verwenden, schreckte ein seltsames unerklärbares Geräusch, daß er fast darüber die Besinnung verlor und endlich von dannen eilte, ohne je wieder hinauf und nach Burgsteinen zu begehren. Der letzte edle Herr von Plesse war Dietrich VI., mit ihm ist am 22. Mai 1571 das Geschlecht ausgestorben, und dann ist alsbald die Plesse ein Zankapfel zwischen Braunschweig und Hessen geworden, bis endlich die Burg nach manchem Streit an Hannover gelangt ist. Hauseten oben über der Erde auf Plesse große und tapfere Ritter, so hauste ebendaselbst unter der Erde ein kleines winziges Völklein, von dem eine gar wunderliche Mär umgeht.

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