Drittes Kapitel

Drittes Kapitel

Als Fortunat wieder die Anhöhe erreichte, traute er seinen Augen kaum. Der schönste Morgenglanz blitzte jetzt über die gezirkelten Rasenfiguren und Tulpenbeete, an den Statüen hingen Mieder, Poschen und Schleier umher, ein frischer Wind ging durch den Garten, und ließ, die Zweige teilend, bald ein paar bloße Mädchenarme, bald ein ganzes zierliches Bildchen flüchtig erblicken. Und so glich der Garten mit den bunten Tüchern, die wie Frühlingsfahnen von den Büschen flatterten, mit den funkelnden Strahlen der Wasserkünste und dem heiteren Sonnenhimmel darüber auf einmal jenen alten Landschaften, wo alle Hecken von schwärmenden Nymphen wunderbar belebt sind. Erstaunt drang er weiter vor, da sah er eine junge Dame in wunderlichem Schmuck mit Reifrock, Mieder und gesticktem Fächer vor einem Springbrunnen stehen, sie bespiegelte sich, fröhlich plaudernd, im Wasser, schüttelte lachend die schweren blitzenden Ohrgehänge und sah wieder hinein. Auf einmal wandte sie sich, er glaubte in dem frischen Gesichtchen Florentine, die Amtmannstochter, zu erkennen, die er vorhin am Fenster gesehen. Aber nun erschallte ein lauter Schrei, und aus allen Hecken, in Taft und Seide rauschend, fuhren erschrocken fliehende Mädchengestalten durchs Grüne, als hätte der Wind Aprikosenblüten umhergestreut.

Fortunat folgte ihnen zu der Amtmannswohnung, wo sie verschlüpft waren. Aber hier hielt ihn neue Verwirrung fest, er fand auch dort alles in lebhafter Bewegung. Aus dem Mörserstampfen im Hause und dem ernstwichtigen Durcheinanderrennen der Mägde, zwischen dem man von Zeit zu Zeit die Kommandostimme der Amtmannin vernahm, schloß er sogleich auf ein großes Kuchenbacken im Innern. Draußen aber auf dem Rasen sah man große Teppiche ausbreiten, Sofas und Polsterstühle ausklopfen, überall wurden die verdunkelnden Doppelfenster ausgehoben, die Morgensonne schien lustig durch das ganze Haus, und einzelne Schwalben kreuzten jauchzend über dem Platze.

Ein langer, hagerer Mann mit dünnem Hals und hervorstehenden Augen schien besonders selig im dem Rumor, man sah ihn überall im dicksten Haufen schreiend, helfend und anordnend. Von diesem erfuhr Fortunat endlich, nicht ohne Müh, und wiederholte Fragen, daß die Pachterstöchter aus der Nachbarschaft angekommen und mit Florentine im Garten den alten gräflichen Hofstaat ausprobiert hätten, und daß alle diese Anstalten auf den feierlichen Empfang des heute erwarteten Studenten Otto zielten, der nach den eingelaufenen Nachrichten früher hier eintreffen könnte, als man anfangs glaubte. Der Mann aber war der Förster des Orts, der früher selbst das Gymnasium frequentiert und seitdem eine wütende Vorliebe für Studenten hatte. – Fortunaten war diese unverhoffte Wirtschaft ein willkommenes Fest. Er mischte sich ohne Verzug in das bunte Getümmel, um den Lärm womöglich noch größer zu machen. Dem Förster stellte er vor, wie unerläßlich es sei, den Gefeierten durch ein Triumphtor einzuführen, worauf beide sogleich voll Eifer forteilten, um die nötigen Materialien zu dem neuen Werke herbeizuschaffen. Unterwegs begegneten sie Waltern, der soeben mit einem Buche in den Garten ging. »Ich muß mich ein wenig sammeln«, sagte er flüchtig zu Fortunat, »ich freute mich so auf den stillen Tag im Freien, und nun bricht aller Plunder herein, es is mir einmal nicht gegeben, mit den Leuten über nichts zu schwatzen, es ist unleidlich!«

Inzwischen verzögerte sich Ottos Ankunft von Stunde zu Stunde. Walter hatte nicht lange gelesen, sondern revidierte in seiner praktischen Lust mit dem Amtmann die Höfe, Scheunen und Ställe. Im Garten wurden die Vögel schon still, Florentine und ihre jungen Freundinnen, wieder bequem in ihren gewöhnlichen Kleidern, flüchteten vor der steigenden Sonne aus einem Schatten zum andern, die immer kürzer wurden, jede hatte ein Stück frischen Kuchen in der Hand, sie wußten nicht, was sie in der Hitze anfangen sollten mit der langen Zeit. Auch ein junger Wirtschaftsschreiber mit Sporen und neuem Frack hatte sich eingefunden. Er trug den Mädchen die Tücher nach, focht mit seiner Reitgerte galant in die Luft und wußte durch Schnalzen auf Lindenblättern und andere artige Kunststücke sich bei den Frauenzimmern angenehm zu machen.

Plötzlich versetzte der Knall eines Böllers alles in die größte Verwirrung, aus allen Hecken und Türen stürzten die Erwartenden nach der Richtung hin, wo die Explosion erfolgt war. Dort gewahrten sie schon von fern den Förster am Abhange des Gartenberges, wie er soeben durch ein altes Perspektiv, das erwütend immer länger und länger hervorschob, in die Gegend hinausblickte. Als die andern endlich atemlos und fragend anlangten, warf er auf einmal das Fernrohr fort, ergriff eine neben ihm stehende Lunte und löste, zum Schrecken der laut schreienden Damen, einen zweiten Böller. Und in der Tat, in demselben Augenblick wurde durch den sich teilenden Pulverdampf zwischen den Kornfeldern am blaugewundenen Strom im Tal ein Reiter in bunter studentischer Tracht sichtbar, der nun auch seinerseits die harrenden auf dem Berge erblickte, und, freudig seinen Hut schwenkend, die Sporen einsetzte. »Otto! Otto!« rief alles fröhlich durcheinander und winkte ihm mit den Schnupftüchern entgegen. Der Reiter hatte untedes den Fuß des Berges erreicht, schwang sich vom Pferde, und auf dem nächsten Wege zwischen den grünen Rebengeländern aufsteigend erschien ein schöner Jüngling von etwas kleiner, zierlich schlanker Gestalt mit einem feinen Gesicht und fast träumerischen Augen.

Aber am Eingang zur ersten Allee wurde er plötzlich durch eine seltsame Erscheinung aufgehalten. Ein schöner Tannenbaum stand dort am Abhang von alters her, wie ein dunkler Ritter auf der Wacht, und ragte mit dem Wipfel bis über die Anhöhe hinauf. Auf einmal rauschte er mit den grünen Kronen und zeigte sein Riesenhaupt mit rotbraunem Gesicht und langem Schilfbart, das Haar phantastisch von wilden Blumen und Eichenlaub umkränzt. »Salve!« redete das Haupt, die Augen sichtbar bewegend, den erstaunten Studenten an:

Salve! Herr Doktor oder Magister!
Bin ein alter Bursch und haß die Philister,
Bin der Waldmann aus dem Gebirge hier,
Darf nicht näher treten zu dir,
Kann nicht zu dir kommen in Haus und Zimmer,
Trät dort alle den Plunder in Trümmer,
Drum schau ich über den Wipfel hier hinaus;
Und bist du der alte noch immer,
So lad ich dich wieder in mein grünes Haus!
Da gehn, wie damals, noch mit Gefunkel
Die Quellen verworren durchs kühle Dunkel,
Waldhornsklänge und Vögelschall,
Von fern dazwischen der Wasserfall,
Und über uns rauschend die Buchen und Fichten,
Erzählen dir wieder die alten Geschichten. –
Doch hast du über Pandekten und Latein
Seitdem vergessen die Sprache mein,
So magst du über deinem Buche hocken und lesen!
Das meine ich doch gescheiter gewesen!
Dann halt ich auf ewig meinen großen Mund,
Wir sehen uns nimmermehr wieder – und –

Und – hier blieb der Gebirgsgeist plötzlich stecken, man hörte eine andere Stimme immer lauter, aber vergeblich soufflieren. Darüber geriet das Haupt nach und nach ins Wackeln, auf einmal kollerte es zwischen den Zweigen auf die Anhöhe herunter, und prasselnd hinterdrein der Förster und Fortunat zu großem Gelächter und Ergötzen der Umstehenden.

Otto stürzte dem schimpfenden, sich abstäubenden Waldmann herzlich in die Arme, dann sah er mit den schönen Augen Fortunaten nachdenklich an. »Gott weiß es«, sagte er, »ich verstehe die Waldessprache noch immer, und was ich auch seitdem hinzugelernt habe, sie ist und bleibt doch meine rechte Muttersprache!« – Nun bemerkte er erst die andern in der Allee und fiel jubelnd dem Amtmann und seiner Frau und endlich auch den Mädchen in die Runde um den Hals, die errötend und verlegen sich des Ungestümen nicht erwehren konnten. Aber kein Mensch konnte zu Worte kommen, denn der unermüdliche Förster, der in seinem Eifer gar keine Notiz von der Rührung nahm, hatte insgeheim Pauken und Trompeten herbestellt, die jetzt furchtbar in die Ohren der Damen schmetterten, Böller auf Böller wurde dazwischen gelöst, er selbst aber rührte sehr künstlich die Pauken, auf die er zuletzt hinaufsprang und, Schlegel und Hut hoch über sich in die Luft werfend, unaufhörlich hurra schrie. Die Amtmannin wurde ganz zornig in dem Lärm, auch Otto schien verlegen und gestört. Da war der tolle Förster endlich mit seinem Empfange fertig geworden, und, noch ganz erhitzt von dem pappenen Riesenkopfe, in dem er vorhin gesteckt, führte er nun mit einer wunderlichen, ungelenken Grandezza die fremden Mädchen nach der Amtmannswohnung hin.

Hier unter den Bäumen standen auf einer altmodischen Kaffeeserviette, in welche verschiedene Städte und Hirschjagden rot gewirkt waren, unzählige kleine chinesische Tassen aufgepflanzt, ein ungeheuerer Kaffeekrug dampfte einladend dazwischen, die junge Dienstmagd im Sonntagsputz brachte eine Schüssel mit den in Kuchen gebackenen Namenszügen Ottos herbei und küßte dem neu angekommenen jungen Herrn hocherrötend die Hand. Der Förster, der alte Junggesell, war inzwischen in den vollen Redestrom seiner Feiertagslaune geraten und brachte alle seine alten Jagdspäße und lateinischen Brocken wieder aufs Tapet, worüber die Pachterstöchter, die ihn insgeheim für einen gewandten Weltmann und Gelehrten hielten, jedesmal in ein unmäßiges Lachen ausbrachen. Bald aber nahm Otto die Aufmerksamkeit ausschließlich in Anspruch, noch in der vollen Heimatsfreude des ersten Wiedersehens erzählte er von seinem Studentenleben in Halle, er sprach so frisch, und als nun gar der Amtmann die funkelnden Weinflaschen auf den Tisch setzte, glitten alle Gedanken fröhlich mit dem bunten Studentenschifflein am Giebichenstein und den blühenden Kirschgärten die Saale hinab in das gelobte Land der Jugend.

So war unvermerkt der Abend herangekommen, der Förster und die Mädchen hatten sich heimlich ins Haus geschlichen, Otto erzählte noch immer, als plötzlich die Tür sich weit auftat und bei dem Geschwirr einer Geige ein ganzer Hofstaat von Damen und Herren in Reifröcken, Haarbeuteln und altfranzösischen Fräcken sich rauschend herausbewegte. Man erkannte sogleich den Förster unter ihnen, er führte feierlich die jungen Leute vom Tisch den verlegen knicksenden Damen auf, die Geige schwirrte von neuem, und so entspann sich unversehens ein Tanz auf dem Rasen. Waltern wollt‘ es gar nicht gelingen, er wurde immer verlegener, je mehr die andern über ihn lachten, auch die beiden Pachterstöchter konten sich in ihren Staat nicht finden, in dem sie sich, wie in einem Gehäuse, nur schwerfällig bewegten und alle Augenblicke verwickelten. Jeder sprang, so gut er konnte, und als nun vom Schwung der Reifröcke die Lichter verlöschend flackerten, ergriff der Wirbel endlich auch die Alten am Weintisch, der Förster führte die sich vergebens sträubende Amtmannin zu einer Sarabande, jeder der übrigen wählte gleichfalls seine Dame, und es entstand eine wundersame, künstliche Verschlingung, wobei der Förster durch kühne Schwenkungen alles in Erstaunen setzte.

Auf einmal fuhr Florentine aus dem leuchtenden Kreise wie eine Sternschnuppe in den finstern Garten hinaus. Ihre Brust flog über dem knappen, seidenen Mieder, sie atmete erschöpft in der kühlen Nachtluft, dabei blickte sie immerfort nach den Bäumen zurück, als erwartete sie noch jemand. Fortunat bemerkte sie, ihn hatte unter den abenteuerlichen Gestalten nach und nach die Hofluft der alten Zeit unwiderstehlich ergriffen, er folgte rasch dem Mädchen nach, faßte sie zierlich an den äußersten Fingerspitzen und promenierte so feierlich mit ihr auf den geschnörkelten Gängen. Sie ließ ihm lachend die Finger, sah aber immer ungeduldiger zurück. So waren sie in galantem Diskurs an eine einsame Grotte gekommen, noch ein Überbleibsel jenes grillenhaften Schmuckes altmodischer Gärten. Bunte Muscheln blitzten im Mondschein von Decke und Wänden, ausgestopfte Reiher und Wasservögel standen mit weit aufgesperrten Schnäbeln auf Kristallriffen umher. – »Süßer Gott der Liebe«, sagte Fortunat, »das ist recht eine Grotte zum Schnäbeln, o wären wir doch jetzt zwei Turteltäubchen!« – Sie sah ihn einen Augenblick verschmitzt an, dann drehte sie leise einen verborgenen Kran, auf einmal spritzten alle Schnäbel funkelnde Wasserstrahlen grade auf Fortunat, und eh‘ er sich noch besinnen konnte, war seine wilde Taube in dem Sprühregen verflogen.

Er schüttelte sich lachend ab, und als er zu der Gesellschaft zurückkam, stand Florentine schon wieder am Tisch vor der Mutter, die ihr besorglich die Locken aus der heißen Stirn strich. Sie hatte die langen Augenwimpern tief gesenkt, denn es tat ihr nun heimlich leid um Fortunats neuen Frack, die flackernden Lichter spielten auf ihrem Gesicht und dem glitzernden Mieder, so sah sie in den rauschenden Wogen von Taft und bunten Schleifen wie ein Elfchen aus, das aus einer Tulpe guckt. – Walter sah sie lange unverwandt an, dann faßte er Fortunaten unter dem Arm und führte ihn rasch in den Garten. »Ist sie nicht wunderschön? O wie bin ich doch glücklich!« rief er aus und erzählte nun dem Freunde, daß er seit längerer Zeit mit Florentine verlobt sei, daß sie auf den Rat der Eltern nur noch eine bevorstehende Gehaltserhöhung Walters abwarteten und dann in dem Städtchen Haus und Garten mit der Aussicht auf Hohenstein kaufen und dort im Grünen sich für die ganze Lebenszeit miteinander einrichten wollten.

Kaum eine Stunde darauf aber war alles verklungen, aus den Tälern schallte das Zirpen der Heimchen herauf, man hörte nur noch die Kalesche der Pachterstöchter auf dem steinigen Wege durch die Nacht fortrumpeln, in der Ferne zerplatzten einige Leuchtkugeln, die der unermüdliche Förster noch aus seinem Gärtchen warf. – O glückselige, bangsame Einsamkeit, dachte Fortunat, wer es wie Walter über sich gewönne, sich ganz darin zu versenken!

Einundzwanzigstes Kapitel

Einundzwanzigstes Kapitel

Wir finden den Baron Manfred fern von seinem stillen, grünen Revier wieder, aus dem ihn eine Familienangelegenheit von besonderer Dringlichkeit verlockt hatte. Das Geschäft, das er heiter zu ordnen gedacht, war indes durch Mißverständnisse unerwartet verwickelt geworden, und unruhig, ja ernstlich besorgt verließ er soeben das Schloß einer ihm verwandten Dame, bei der er mehrere Tage verweilt.

Schon auf dem Schlosse hatte ihn ein verworrenes Gerücht interessiert, das sich weiterhin in den Dörfern immer wunderbarer ausschmückte. Es war die fast märchenhafte Sage von der Einsamkeit eines aufgehobenen Klosters im benachbarten Gebirg und von einem Mönch, der seit kurzer Zeit dort umgehe, während andere ihn wieder für einen wahnsinnigen Einsiedler hielten. Aber auch diese wußten nicht, wann und woher er gekommen; man nannte ihn nur den Waldbruder Vitalis. – Da Manfreds Weg ihn durch das Gebirge führte, beschloß er endlich, den geheimnisvollen Eremiten in seiner eigenen Klause aufzusuchen.

Es war ein schöner Sommerabend, als er zwischen Wiesen und nickenden Kornfeldern den bezeichneten Bergen zuritt. Ein Gewitter war über das Gebirge fortgezogen, und blitzende Tropfen hingen noch in Zweigen und Gras, aus dem ein erquickender Wohlgeruch emporstieg. Ein Holzhauer hatte ihm den Pfad nach der Einsiedelei gewiesen, die Gegend wurde immer höher, kühler und stiller, nur die Abendglocken schallten noch durch das feierliche Rauschen des Waldes aus den Tälern herauf. – In dieser kräftigen Einsamkeit konnte er sich eines zürnenden Mißtrauens gegen den Einsiedler nicht erwehren, den er soeben kennenlernen sollte. Es kam ihm kleinlich, ja verrucht vor, inmitten allgemeiner Lust und Not sich so in hochmütige Selbstliebe abzusondern und über die andern zu stellen. Der Mensch, sagte er zu sich selbst, der Mensch allein verwirrt alles mit seiner Leidenschaft und Affektation!

Durch solche Betrachtungen war er nach und nach ganz in Eifer geraten und nahm sich eben ernstlich vor, den Einsiedler durch vernünftige Überredung womöglich der Welt wieder zuzuwenden, als sein Pferd sich plötzlich scheute und heftig zur Seite sprang. Denn eine wundersame Gestalt war auf einmal zwischen den Bäumen hervorgetreten, unter denen nun auch die in den Fels gehauene, von wilden Weinranken kühl verhangene Einsiedelei nebst einem sorgfältig umzäunten Gärtchen sich zeigte. Der Eremit trug einen breiträndigen Pilgerhut, ein ungeheurer, alter Schlafpelz, der ihm überall zu weit war, rauschte im Grase hinter ihm her, während er aus einer langen Pfeife Tabak rauchte. Manfred traute seinen Augen nicht. »Wie!« rief er, »Herr Dryander – Sie also sind der Vitalis!?« – »Vitalis? Warum denn nicht?«erwiderte Dryander gelassen, »aber bleiben Sie mir mit dem dummen, wilden Pferde ein wenig vom Leibe.«

Manfred band sein Pferd an einen Baum und folgte dem Doktor, der sich fast bei jedem Schritt auf den Pelz trat, zu der Klause. Dort fehlte nichts zum Hausrat eines vollkommenen Waldbruders, ein weißer Totenschädel glänzte aus der Grotte, an deren hinterer Felswand ein großes, schmuckloses Kruzifix aufgerichtet war, ein Brevier lag auf der Bank vor der Klause, noch aufgeschlagen. Manfred sah lange finster umher, endlich brach er los. »Das ist kein bloßer Scherz«, sagte er, »es wäre zu frevelhaft. Aber auch der bitterste Ernst ist hier ein Frevel. Armer, grillenhafter, wetterwendischer Mensch, gehe erst zu den Einfälitgen in die Lehre, erkenne erst unten im Gedränge das unsichtbare Kreuz, das der Herr mitten im Leben aufgerichtet, eh‘ du es selbst zu fassen und in Seinem Namen die Welt zu belehren und zu richten wagst!« – »Amen, mein Sohn!« unterbrach ihn hier Dryander mit milder Stimme, »aber nimmermehr wird es dir gelingen, durch lose Worte mir das Rauhe meines Eremitenpelzes herauszukehren, denn mich erbarmt in tiefster Seele deine Verblendung. Also von der Welt Rumor, mein Sohn, hoffst du noch immer zu lernen, sondern niederzustürzen auf die Knie, denn mitten in der Stille der Waldeseinsamkeit, plötzlich und von Waffen blitzend, kommt der Engel des Herrn!« – Hier zog und qualmte der Zelot so heftig aus seiner Tabakspfeife, die ihm über dem Reden ausgehen wollte, daß Manfred mitten in seinem Ärger in ein lautes Gelächter ausbrach. Das steckte Dryandern an, er stimmt unaufhaltsam mit ein. Beide aber wandten sich erschrocken, als plötzlich hinter ihnen das herzhafte Lachen noch eines Dritten dareinschallte.

Ein großer, starkknochiger Mann mit gebräuntem Gesicht und wild herabhängendem Haar, eine grobe Kutte mit einem Strick um den Leib gebunden, trat aus dem Gebüsch hervor und konnte sich, noch immer lachend, gar nicht satt sehen an dem abenteuerlichen Aufzuge des Dichters. Es ergab sich nun, daß der Neuangekommene der eigentliche Besitzer der Klause sei und daß Dryander erst vor wenigen Stunden, auf seiner Fußreise vom Gewitter überrascht und ganz durchnäßt, sich hierher geflüchtet und, während der Eremit in den Wald nach Holz gegangen, es sich in dessen trockenem Pelze bequem gemacht hatte.

Der Einsiedler machte sich nun sogleich mit Manfreds Pferde zu schaffen, er zäumte es ab, warf ihm Heu vor, streichelte und betrachtete es mit großem Wohlgefallen. »Eine saubere Kreatur!« sagte er, »da versteh‘ ich mich noch drauf aus meinen jungen Jahren, als ich bei dem löblichen Kürassierregiment stand.« – Darauf traf er mit gleichem Eifer Anstalten, seine Gäste zu bewirten, die unterdes einige nähere Blicke in die kleine Wirtschaft tun konnten. Im Garten hatten Kartoffeln und Kohl fast alle Blumen verdrängt; am Eingange desselben aber fiel ihnen ein frisch gegrabenes Grab auf. »Das ist nur so gegen die überflüssigen Weltgedanken«, sagter der Einsiedler – »succumbit humi bos et Caesar.« Quer über dem Grabe waren zwei große Speckschwarten auf Stangen befestigt. Der Einsiedler meinte, in der Hütte kämen ihm sonst die Ratten darüber.

Er setzte nun Weinflaschen und Gläser auf den steinernen Tisch vor der Klause, die Gäste mußten sich auf der Bank herumsetzen, er wollte einmal etwas Neues aus der Welt hören. Dryander, den der viele Kohl im Garten ärgerte, nannte ihn einen Canonicus in herbis und sprach wütend das tollste Küchenlatein, der Einsiedler antwortete ebenso und schien erst recht vergnügt in dieser barbarischen Sprachverwirrung. Dazwischen rauchte er, heftig dampfend, stinkenden Tabak aus einer kurzen ungarischen Pfeife, im Wein aber tat er wenig Bescheid, er mache ihn, sagte er, aufgeblasen und zänkisch. Er erzählte ihnen, daß er Frater Sammler in dem Kloster oben gewesen, nach dessen Aufhebung aber sich hier angesiedelt habe und bei den Bauern in der Runde, die ihn aus alter Bekanntschaft mit allem, was er brauche, reichlich versähen, sehr gut seine Rechnung finde. Überhaupt sei es ihm im Leben immer gut gegangen. Schon als Kind habe er mit seinem alten Vater, einem blinden Geiger, so viel erbettelt, daß er die Schulen besuchen konnte. Später sei er zum Kürassierregiment eingezogen aber gleich in der ersten Bataille so übel zugerichtet worden, daß sie ihn doch wieder hätten laufen müssen. Als er darauf in sein Dorf zurückgekommen, habe seine Braut unterdes einen andern geheiratet, den sie nun halb tot keife. »Laus Deo!« schloß er, mit seinem Glase lustig anstoßend.

Manfred betrachtete, nicht ohne tiefe Wehmut, den fidelen Einsiedler, den das Leben mit allen seinen Stößen nicht hatte unterkriegen können und der nun die Frömmigkeit frisch weg wie ein löbliches Handwerk trieb. – »Es ist ganz unmöglich«, rief er endlich nach einigem Nachsinnen aus, »auch Sie sind nicht der Vitalis!«

»Oho!« erwiderte der Waldbruder, »ich und Herr Vitalis! wo denkt Ihr hin, nicht seine Schuhriemen aufzulösen, bin ich würdig und ich tät’s ihm gern heut und allezeit, wenn er es litte! Nein, nein, der wohnt dort im ehemaligen Konvente.« – »Als Nachteule«, sagte Dryander, »um die Mäuse wegzuschnappen, die nach deinen Speckschwarten gehen.« – »Still«, fiel ihm der Einsiedler mit überfliegender Röte schnell ins Wort, »schnattert nicht so ungewaschen ins Zeug hinein, wenn Ihr nichts von der Geistlichkeit versteht. ›Contenti estote‹, sagte einmal ein Kapuziner in einer Komödie, die ich noch als Soldat gesehen habe, das heißt: begnügt euch mit eurem Kommißbrote, wenn ihr das Himmelsmanna nicht vertragen könnt!« – »Na, seid nur nicht gleich so grob«, lachte Dryander, den der Vorwurf heimlich wurmte.

»Abgemacht!« rief der gutmütige Klausner. »Aber vom Herrn Vitalis muß ich euch noch erzählen.« – Er rückte voll Eifer näher und dampfte so hastig aus der ungarischen Pfeife, daß Dryander sich an das andere Ende des Tisches setzte. – »Seht«, sagte er, »es war gerade eine so schöne, sternklare Sommernacht wie Anno 1814, da wir über den Rhein rückten. Ich hatte meinen Rosenkranz eben abgebetet und stand auf und zog, wie ich alle Mitternacht zu tun pflege, die Glocke über meiner Hütte, denn den Kranken unten in den Dörfern, wenn alles schläft, ist es tröstlich, das Glöcklein von den Bergen zu hören. Auch das Wild ist’s schon gewöhnt, ich hab‘ jedesmal meine Freude daran, wie die Rehe dann im Mondschein dort auf die Wiese herausgekommen und das Weiden vergessen und die Köpfe hoch nach dem Klange wenden, als wollten die armen Dinger auch Gott loben. Nun, jedes tut, was es kann. Aber diesmal schnaubten sie auf einmal, und eh‘ ich mich’s versah, waren sie plötzlich nach allen Seiten zerstoben. Ich tret‘ heraus, da steht ein schöner, wilder Jägersmann dicht vor mir. »Laudetur Jesus Christus«, sage ich. Er aber, ohne Amen zu sagen: »Was machst du da?« – »Wie Ihr seht, Herr, ich bin ein Einsiedler und bete, wenn die andern schlafen.« – »Und schläfst, wenn die andern beten, das ist alles eins!« – »Gewiß, so lösen wir einander ab auf der himmlischen Schildwacht.« – Der Jäger darauf stöbert mir in der Hütte herum, sieht mein Moosbett, das Kreuz, den Totenkopf. »Vollständige Dekoration«, sagt er, »bist du so faul, daß dich der Kahlkopf da mit seinen gefletschten Zähnen erst jeden Abend ins Gewissen beißen muß, um zu beten?« – »Herr«, erwidere ich, »Ihr werdet mir nichts weismachen, ich bin Soldat und Mönch in dem Kloster da droben gewesen und weiß wohl, daß es leichter ist, eine Festung als das Himmelreich zu erobern. Nun möcht‘ ich doch den Prahlhans sehen, der eine Festung ohne Bajonett, Leiter und Handwerkszeug nehmen wollte! Und Ihr wollt den Himmel, der höher liegt, stürmen, nackt und erbärmlich, wie Ihr seid, ohne Wehr und Rüstung und tägliche Übung in den Waffen? Ich sage Euch: Demut ist der Anfang und Ende, hochmütiger Mensch!« – Der Fremde sah mich groß an mit funkelnden Augen, dann stützte er auf dem Tische den Kopf in die Hand, ich meint‘, er betrachtete den Totenkopf, der vor ihm lag, aber er mochte wohl andere Gedanken haben. Sitz du, solange du willst, dachte ich, ich fürcht‘ dich nicht, ich trau‘ dir nicht. Damit streckt‘ ich mich auf meine Streu und behielt ihn in den Augen, bis sie mir am Ende zufielen.

Als ich aufwachte, waren meine Augen noch immer auf den Tisch gerichtet, aber der Jäger saß nicht mehr auf demselbigen Punkt. Als ich aber vor die Klause trat, sah ich ihn in der Morgendämmerung schon von dem alten Kloster herabkommen. Es war ein prächtiger Morgen, die Hähne krähten unten in den Dörfern, hin und her klang schon eine Morgenglocke durch die stille Luft. Auch der Fremde, nachdem er mich freundlich gegrüßt hatte, blieb stehen und sah lange ins Tal hinaus. »Sieh«, sagte er, »das ist ein Friede Gottes überall, als zögen die Engelscharen singend über die Erde! die armen Menschenkinder! Sie hören’s nur wie im Traum. Müde da unten, verirrt in der Fremde und Nacht, wie sie weinend rufen und des Vaters Haus suchen, und wo ein Licht schimmert, klopfen sie furchtsam an die Tür, und es wird ihnen aufgetan, aber sie sollen den Fremden dienen um das tägliche Brot; darüber werden sie groß und alt und kennen die Heimat und den Vater nicht mehr. O wer ihnen allen den Frieden bringen könnte! Aber wer das ehrlich will, muß erst Frieden stiften in sich selbst, und wenn er darüber zusammenbräche, was tut’s! – Sieh, Gesell, und das ist geistliches Recht und Tagewerk.«

Ich alter Kerl stand ganz verblüfft vor ihm, denn ich verstand schon gleich damals so viel davon, daß ich bisher eigentlich noch gar nichts verstanden hatte von meinem Metier. Vor meiner eigenen Tür wollt‘ ich kehren und die ewige Seligkeit für mich allein zusammenknicken, wie ein filziger Schuft, als wär’s dem lieben Gott um mich allein zu tun in der Welt. – Und seht, von der Stund‘ ab blieb der Jäger hier auf den Bergen und wohnte im Kloster droben und machte sich gemein mit mir, wie ein getreuer Kamerad, und ist doch ein grundgelehrter Herr. »Denn du gefällst mir«, sagte er, »du machst keine Flausen mit deiner Frömmigkeit.« Und wenn ich faste, so hungert er, und wenn ich aufwache, so hat er die ganze Nacht gewacht und gebetet und trinkt keinen Wein und mag keinen Speck, und will ich alter Narr manchmal verzagen, so singt er ein schönes Lied, und – kurz, das ist der Herr Vitalis, von dem ihr unten gehört habt.«

Der Einsiedler wandte sich hier und machte sich etwas mit dem Tische zu tun, denn er schämte sich, weil ihm die Tränen in den Augen standen. Manfred aber stand auf, ein überraschender Gedanke schien durch seine Seele zu fliegen. »Führt mich zu Vitalis hinauf«, sagte er, »ich muß ihn durchaus sprechen!« Der Einsiedler schüttelte bedenklich den Kopf. »Ich will’s wohl tun«, aber seht Euch vor, wenn Euch bloß die Neugier treibt. – Da war erst neulich einer, ein junges Blut, der wollte durchaus mit Einsiedler werden. – Aber ich dacht‘ mir’s gleich – denn zum gottseligen Leben gehört eine gute, feste Natur – wenn er nachts mit mir im Walde stand, da schauerte ihn, wie ein Mädchen, unsere alten Gebete waren ihm noch nicht schön genug, er setzte sie in künstliche Verse, dann weinte er auch zuviel und hatte allerhand Sehnsuchten. Zuletzt hatter er gar ein junges, hübsches Hirtenmädchen aufgespürt, die wollt‘ er mit Gewalt bekehren, aber sie war schon frömmer als er, und eh‘ er sich’s versah, verliebt‘ er sich in sie, da wurde er ganz traurig – und kurz, wie ich’s vorausgesagt hatte, mit dem Herrn Vitalis ist nicht zu spaßen, der jagt‘ ihn wieder fort «

»Hieß der junge Mann nicht Otto?« fragte Dryander – »Wahrhaftig, so nannte er sich«, erwiderte der Einsiedler verwundert.

Die Nacht war indes völlig hereingebrochen, als sich alle drei auf den Weg nach dem Kloster machten. Der Eremit schritt mit einer Fackel auf einem schmalen, halbverwachsenen Fußsteige voran, die andern folgten schweigend und erwartungsvoll. Unterwegs fragte Manfred den Doktor, wo er denn seine kleine Frau gelassen? – »Sie ist unter die Husaren gegangen«, sagte Dryander trocken und mochte durchaus nicht nähere Auskunft geben.

So waren sie, nach einem mühseligen Gange, zu der Ruine gekommen, der Widerschein der Fackel, als sie durch das Tor gingen, beleuchtete den stillen Klosterhof mit seinen alten Bäumen und dem verfallenen Brunnen in der Mitte. Ihr Führer sah sich nach allen Seiten um. »Sollte er noch im Gebirge sein?« sagte er und öffnete knarrend eine eichene Tür. Sie kamen in eine kleine Halle, aber auch dort war niemand zu finden. Nur ein Strohsack auf dem Boden, ein Kreuz auf dem Tisch und einige Bücher bezeichneten Vitalis‘ Wohnung durch das verfallene Fenster aber sah wunderbar die Nacht herein. Als sie an die Öffnung traten, flatterte verstörtes Nachtgevögel scheu aus den Mauerritzen empor, einzelne Mauerstücke hatten unter ihren Füßen sich abgelöst, sie lauschten, wie es schallend tiefer und immer tiefer hinabrollte. Da trat auf einmal der Mond drüben zwischen den Wolken hervor, sie sahen nichts als stille Schlünde unter sich und das dunkle Chaos uralter Wipfel. – »Entsetzlich!« rief Manfred, in Gedanken hinabschauend.

Hier aber wurden sie plötzlich durch Dryanders Geschrei unterbrochen. Er war neugierig vorgetreten, da hatte ihn der Schwindel gefaßt, er griff krampfhaft in des Einsiedlers Kutte. »Sagt‘ ich’s doch«, rief dieser, »ist dir wohl, so bleibe unten, arbeite und lobe Gott und laß allen Vorwitz!« Damit packte er den Doktor beim Kragen und schleuderte ihn von dem Abgrund zurück und zur Zelle hinaus.

Indem sie aber nun ins Freie wieder heraustraten, sahen sie auf einmal zu ihrem Erstaunen zwei fremde Gestalten erschrocken über den Klosterhof hinwegstreichen. »Er ist’s, um Gottes willen nur schnell!« flüsterte der eine, in demselben Augenblick waren beide zwischen dem alten Gemäuer in der Nacht wieder verschwunden. Bei dem Klang der Stimme fuhr Manfred sichtbar zusammen, er hatte die Flüchtlinge in der scharfen Beleuchtung der Fackel unausgesetzt mit den Augen verfolgt; jetzt stürzte er ihnen selbst nach. Aber der Einsiedler schritt mit seinem langen Beinen aus, daß die Kutte rauscht, und faßte ihn mächtig am Arm. »Seid Ihr toll«, rief er, »ich weiß nicht, wer es war, aber das weiß ich, daß Ihr bei Nacht im unbekannten Gebirge das Gesindel nicht fangt, sondern den Hals brecht, wenn Ihr kein Gemsbock seid!« – Manfred mußte ihm nach kurzem Besinnen recht geben, dann aber trieb er plötzlich mit auffallender Hast zur ungesäumten Rückkehr und blieb still und nachdenklich, während sie vorsichtig zwischen den Felsen hinabstiegen.

»Ich muß noch diese Stunde fort, suche aber bald noch einmal den Vitalis auf«, sagte er, als sie endlich bei der Einsiedelei wieder ankamen, schüttelte seinem Wirt herzlich die Hand und schwang sich sogleich auf sein Pferd. – Der Einsiedler hatte kaum die Zeit, ihm den nächsten Weg zu bezeichnen, und sah ihm dann ganz verwundert lange nach. – »Daß ich ein Narr wäre, in dieser Spuknacht weiterzuziehen«, meinte Dryander und bat sich noch eine lange Pfeife Tabak aus, er freute sich darauf, die ganze Nacht einmal das Einsiedlerleben recht gemächlich mit durchzumachen, auch wollte er noch einige von den Nachtliedern des Eremiten abschreiben.

Manfred aber ritt eifrig den Tälern zu, da hörte er nach einiger Zeit, wie im Traum, oben noch des Einsiedlers Glöcklein schallen, die Rehe weideten wieder zur Seite, seine ganze Seele fühlte sich von der Todesstille wie in ein Grab verschüttet. Die Mitternacht aber hatte unterdes den Himmel weit aufgetan und ihre wunderbaren Schleier über die Erde geworfen. So immer tiefer und freudiger stieg er eratmend in die träumende Sommernacht hinunter, schon hörte er unten von fern die Ströme wieder rauschen, und die Nachtigallen schlugen, von einem einsamen Schlosse klang noch eine Gitarre herüber, und Düfte wehten erquickend aus den blühenden Gärten herauf. Von dem letzten Abhang des Berges rief er, wie erlöst, hinab, »Gegrüßt, du schönes Leben, ja ich spür’s, ich habe dich wieder!«

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Auf der Donau glitt bei dem heitersten Wetter ein Schiff zwischen den schönen, waldigen Bergen und Burgen hinab. Von Zeit zu Zeit erschallte ein so herzhaftes Lachen von dem Schiffe, daß die Vorübergehenden am Ufer stehenblieben und vor Lust mitlachen mußten, ohne zu wissen warum. Es waren reisende Kaufleute, Studenten und Jäger, die auf dem Verdeck im Kreise umherlagen, in ihrer Mitte ein kleiner, stämmiger Mann mit Reisetasche und breitkrempigem Pilgerhut, der ihnen aus seinem eigenen Leben die unerhörtesten Abenteuer erzählte und jedesmal ganz entrüstet war, wenn sie lachten und ihm nicht glauben wollten. Abgesondert aber von dem lustigen Häuflein stand mitten im Schiff ein wunderschöner Jüngling in zierlicher Jägertracht an den Mast gelehnt, er hatte eine Zither im Arm, die er in der Kajüte gefunden, ihm zu Füßen saß ein anderer hübscher Junge. Beide konnte man für Schüler halten, die zur Vakanz reisten, und es war anmutig zu sehen, wie die fröhlichen Bilder, bald im kühlen Schatten der Felsen, bald von der Abendsonne hell beschienen, zwischen den wechselnden Landschaften dahinflogen. Der eine am Mast blickte frisch unter seinem Reisehut in das Grün hinaus und sang:

»Sie stand wohl am Fensterbogen
Und flocht sich traurig ihr Haar,
Der Jäger war fortgezogen,
Der Jäger ihr Liebster war.
Und als der Frühling gekommen,
Die Welt war von Blüten verschneit,
Da hat sie ein Herz sich genommen
Und ging in die grüne Heid.
Sie legt das Ohr an den Rasen,
Hört ferner Hufe Klang –
Das sind die Rehe, die grasen
Am schattigen Bergeshang.
Und abends die Wälder rauschen,
Von fern nur fällt noch ein Schuß,
Da steht sie stille, zu lauschen:
»Das war meines Liebsten Gruß!«
Da sprangen vom Fels die Quellen,
Da flogen die Vöglein ins Tal,
»Und wo ihr ihn trefft, ihr Gesellen,
Grüßt mir ihn tausendmal!«

Die Gesellschaft war längst auf den schönen Gesang aufmerksam geworden; der abenteuerliche Pilger trat vor den Sänger und sang ihm sogleich nach derselben Melodie zu:

»Das klingt wie ein Waldhorn in Träumen,
Was irrst du durch das Gestein,
Mein Rehlein, unter den Bäumen?
Ich will dein Jäger sein!«

Der Sänger sah ihn einen Augenblick von der Seite an und antwortete, ohne sich lange zu besinnen:

»Sie aber lachte im Wandern:
›Du hast einen kecken Mund,
Ich aber mein einen andern,
Du bist mir zu kurz und rund!‹«

Hier erschallte ein allgemeines Gelächter, der Sänger erschrak darüber, warf schnell die Zither fort und setzte sich zu seinem Gesellen. Der Runde aber war nicht so leicht aus dem Felde zu schlagen, er machte sich, sehr vergnügt, sogleich mit Witzen an die beiden und wollte sie ins Bockshorn jagen. »Mein zärtlicher Herr Jäger«, sagte er, »mir scheint, Ihr seid viel mehr geschossen, als Ihr jemals geschossen habt.« – »Und Ihr, scheint mir, habt Euch verschossen«, versetzte das muntere Jägerbürschchen, »denn der Witz brennt Euch von der Pfanne.« – »Wird Euch wenigstens kein Härchen über der Oberlippe versengen! Wett‘ ich doch, Ihr hättet gar zu gern einen Schnauzbart an Eurem Mund.« – »Wenn die Schnauze darunter hübscher wär‘ als Euere!« – »Ich bitt‘ Euch, schnauzt mich nur nicht so an. Aber, Bart beiseite, ich fürcht‘, er wird gleich grau sprossen, denn nach Eurem verliebten Liede macht Euch ein Mädchen viel Not.« – »Nein, zwei, so närrisch sie sind, ich hab sie schon ganz müde gejagt.« – »Daß die Jungfern nur dabei nicht fallen! Wo jagt Ihr sie hin?« – »Unter die Haube.« – »Was! führt Ihr Hauben mit Euch?« – »Gewiß, da guckt her!« – Hier lüftete der Jäger ein Felleisen, das hinter ihm lag. Der Pilgrim, der etwas kurzsichtig war, fuhr neugierig mit der Nase hinzu, und eh‘ er sich’s versah, hatte ihm das Bürschchen von hinten eine schneeweiße Schlafmütze über den Kopf gestülpt.

Nun aber war der aufrecht stehende Zipfel der Nachtmütze nicht anders als wie ein Blitzableiter, in den plötzlich von allen Seiten alle Witze, matte und feurige, durcheinander einschlugen. Darüber wurde der Pilger ganz hirnschellig, man wußte bei seinem wunderlichen Wesen nicht recht, ob es ihm Ernst oder Spaß war mit der Wut. Der junge Jäger, da er unverhofft solche Wirtschaft angerichtet, saß unterdes mäuschenstill und blickte nur ein paarmal scheu herüber. Als er aber den Pilger so auf das allerlustigste schimpfen hörte und unter seiner Schlafhaube wohl die Hasenohren sah, konnt‘ er’s doch nicht lassen; er sprang von neuem auf, schnalzte mit seiner Reitgerte und parlierte immerfort keck mit drein. Die lustigen Vögel im Schiff hetzten: sie sollten sich miteinander schießen, der Abend brach auch herein und vermehrte die Verwirrung, der Pilger schwor, er wolle noch heut mit der Degenspitze aus dem schönen Jungen eine junge Schöne herauskitzeln! Das Jägerbürschen aber flüsterte heimlich seinem Gesellen zu: »Was fangen wir nun an? Ich bitt‘ dich, Hänschen, rat mir!« – Da stieß das Schiff am Land.

Während die anderen nun ihre Bündel, Tabakspfeifen und Feldflaschen noch zusammenfassten, eilte Dryander – denn niemand anders war der abenteuerliche Pilgrim schon voraus und flog in größter Hast nach dem Wirtshaus an dem breiten Gastwirt vorüber, der das Schiff gemächlich an der Tür erwartete und ihm verwundert nachsah. In der Gaststube fand er einen jungen Mann, der auf der Brüstung des offenen Fensters saß und in das fröhliche abendliche Getümmel hinausschaute; dieser wandte sich schnell – er erkannte seinen Fortunat. Ohne in der Konfusion sich zu verwundern oder ihn erst zu begrüßen, rief ihm Dryander sogleich entgegen: »Verfluchte Teufelsgeschichte! hast du deine Kuchenreiter mit? So ein Mädchen von Junge! Aber ich will ihm den Bart unter der Nase wegputzen, wenn er nur einen hätt‘! Da ist nichts zu lachen dabei! Er hat gut treffen, ich bin wie ein Bienenkorb gegen seine Taille, und –« »Halt ein!« unterbrach ihn Fortunat, immer heftiger lachend, »du zerplatzst ja wie eine Bombe, was gibt’s denn da auf einmal?« – Aber Dryander war zu erbost, er schimpfte unaufhaltsam über die Albernheit der Ritterlichkeit, der Duelle, der Ehre, die, wie eine Regimentsfahne, erst von Kugeln zerfetzt und lumpig sein sollte, um ein Ansehen zu haben. Indem er sich aber so in Vergleichungen erschöpfte, kam das Getümmel draußen wachsend immer näher und näher. »Dummes Zeug!« schloß er endlich und entwischte mit solcher Geschwindigkeit aus der Tür, daß er seinen Hut im Zimmer vergaß.

Fortunat ließ ihn laufen. »Was wird es sein!« dachte er, »die alte Posse: Sorgen ohne Not und Not ohne Sorgen. Die Rakete wird draußen verprasseln, ohne eben den Erdkreis in Brand zu stecken.« – Unterdes hatte die Stube sich nach und nach lärmend gefüllt, Felleisen, Mäntel und Tabaksbeutel lagen auf Stühlen und Tischen umher, die muntere Schiffsgesellschaft machte sich behaglich breit, der eine schrie nach Wein, der andere nach Kaffee, alle waren noch ganz voll von den lustigen Händeln, und da sie vom Wirt erfuhren, daß die beiden Jäger ein eigenes Zimmer bezogen, beredeten sie sich, wie sie morgen zum Duell die Pistolen blind laden, dem Pilger Knallkugeln unter die Füße legen wollten usw. Als aber nun allmählich aus mehreren Schlünden dicker Tabaksqualm emporzuwirbeln begann, zog Fortunat, nachdem er in dem Lärm vergeblich nach einem Leuchter gerufen, auch über Dryander keine nähere Auskunft erhalten hatte, sich ohne Licht in sein Zimmer zurück, da er morgen mit Sonnenaufgang wieder aufzubrechen gedachte.

Seine Stube ging nach dem Garten hinaus, die Glastür stand noch weit offen, wie er sie vor einigen Stunden verlassen. Alle Bewohner des Hauses hatten mit den Gästen vollauf zu tun, es war so still draußen, daß man den Ruderschalg einzelner Fischer aus der Ferne hören konnte. Ermüdet setzte er sich auf die Schwelle hin. Da hörte er Stimmen im Garten, in einer fremden Sprache, wie es ihm schien. Bald bemerkte er beim hellen Mondschein zwei unbekannte Gestalten, die sich hier wohl für unbelauscht halten mochten. Der eine, wie ein Jäger gekleidet, saß mit untergeschlagenen Beinen auf dem Rasen, er hatte den Hut abgenommen und in der Kühle sein Wämschen gelüftet, sein wunderschönes Haar floß in reichen Locken herab; der Mond glänzte blendend auf seiner entblößten Schulter. Der andere kniete hinter ihm und schien die Locken zu ordnen, während sie leise und lebhaft miteinander schwatzten. Ein Brunnen, den Fortunat vor dem Gebüsch nicht sehen konnte, plauderte um die Wette mit ihnen, und je nachdem die Luft sich bewegte, klang bald das Plätschern, bald die liebliche Stimme wie ein Glöcklein aus der stillen Mondnacht herüber. Die Nacht aber hatte unterdes die Gegend draußen wunderbar verwandelt, zwischen den alten Bäumen hindurch sah man weit in die Täler hinaus, da lag verworren im Mondschein, wie glänzende Kuppeln, Trümmer und prächtige Gärten, in dem nahen Städtchen unten sang ein Student noch vor seiner Liebsten Tür, dazwischen immerfort wieder das Rauschen des Brunnens – Fortunat saß wie im Traum, er dachte an Italien, an Rom, und unwillkürlich in Gedanken rief er – »Fiametta!«

Bei dem Klange reckten die beiden, wie Rehe, wenn das Laub raschelt, plötzlich die Köpfchen in die Höh, sprangen scheu auf und flogen dem Hause zu. Fortunat trat ihnen erstaunt entgegen, da stutzte das Jägerbürschchen plötzlich und sah ihn einen Augenblick durchdringend an, dann aber warf es sich auf einmal atemlos an seinen Hals, ihn fest umklammernd und schluchzend, er fühlte des Jünglings Tränen unaufhaltsam über seine Wangen rinnen; seine Locken rollten rings um ihn her, es war, als würde er in seinen Armen ganz und gar vergehen. Nun aber wußt‘ er’s wohl, wen er im Arme hielt. »Meine liebe, liebe Fiametta!« rief er aus tiefstem Herzensgrunde. Da ließ das schöne verkleidete Mädchen los, stellte sich, ihre Locken aus dem Gesicht schüttelnd, dicht vor ihn und blickte ihn aus den Tränen so fröhlich an, daß es ihm recht durch die Seele ging. Darauf schnell wieder besonnen, zog sie ihn schweigend mit sich in sein Zimmer hinein. Er sah im Vorüberschweifen dem andern Gesellen ins Gesicht und erkannte seines Liebchens Kammerjungfer, die über und über rot wurde. In der Stube aber steckte Fiametta ihr Haar wieder auf, während sie die Kammerjungfer mit einem heimlichen Auftrage fortschickte. Dann trieb sie Fortunaten, in sichtbarer Furcht, geheimnisvoll und ohne ihm Rede und Antwort zu stehen, zur unverzüglichen Abreise, half ihm unter tausend Späßen mitten in ihrer Angst und Hast seine Sachen rasch in ein Bündel schnüren und drängte ihn fort, fort, aus dem Hause, aus dem Garten und immer weiter. Draußen auf einem abgelegenen Platz fanden sie Fortunats Diener mit seinen beiden gesattelten Pferden, die Kammerjungfer hatte ihn hergeführt. Sie sollte mit dem Diener auf dem Schiffe weiterreisen, Fiametta selbst aber schwang sich schnell auf das eine Pferd. Fortunat wußte nicht, wie ihm geschah, und ehe er sich fassen konnte, waren Kammerjungfer und Wirtshaus schon hinter ihnen verschwunden.

Als sie im Freien waren, fragte Fiametta mit tief gesenkten Augen kaum hörbar: »Was macht denn Annidi?« Fortunat mußte sich fast auf den Namen besinnen. »Annidi?« – sagte er, »sie hat in Rom den Studenten Otto geheiratet. Aber wie kommst du auf die?« – Fiametta sah ihn groß an: »Ist sie denn nicht deine Liebste gewesen?« »Mein Gott«, erwiderte Fortunat nach einigem Nachdenken, »so warst du es wohl, die an jenem Abend im schwarzen Mäntelchen an mir vorüberstreifte, als mich Otto zu seinem Mädchen führte, das ich damals noch gar nicht kannte.« – »Ja freilich«, erwiderte Fiametta lebhaft, »und ich spielte dann einmal des Abends die Annidi in unserem Garten, die Kammerjungfer mußte deine Kleider anziehen und so über den Gartenzaun zu mir kommen, da kamst du auf einmal selber, wir hatten dich nicht so früh zurückerwartet.« – »O vernagelter Kopf, der ich war!« rief Fortunat, sich vor die Stirn schlagend aus, »hätt‘ ich das damals gewußt!« – Sie lachte seelenvergnügt, und ihre Augen glänzten von Tränen.

Währenddes ritten sie eilig an dem Städtchen vorüber, zwischen den schlafenden Gärten und Landhäusern immer tiefer in die weite, sternhelle Nacht hinein. Die Nachtigallen schlugen von den waldigen Bergen, über das stille Feld hörte man die Hunde von ferne bellen, Fiametta sah sich öfters ängstlich um. »Sieh«, sagte Fortunat, »mir ist wie einem Vogel in der Luft, ich folge dir über die ganze Erde! Jetzt aber sage mir auch, warum blickst du so scheu zurück? wie kamst du vorhin auf das Schiff? was in aller Welt hast du vor?« – »Ach, das ist eine lange, traurige Geschichte«, entgegnete Fiametta, »die muß ich von Anfang anfangen.« – Sie ritt dicht neben ihm, und, selbst wie in Träumen in der träumerischen Nacht, halb an ihn gelehnt, begann sie folgendermaßen zu erzählen:

»Als du in Rom auf einmal verschwunden warst und nun der Winter kam, und es regnete Tag und Nacht, und der Vater saß abends in dem großen Saale am Kaminfeuer und sprach kein Wort, und alles war so still im ganzen Hause, daß man die Turmuhr gehen hörte, da wurde ich plötzlich krank. Da träumte mir, ich wäre auf einer Anhöhe über Rom im Abendglanze eingeschlafen. Als ich aber erwachte, war es schon finstere Nacht, mich fror und ich kannte die Gegend nicht wieder. Da kam durch das Dunkel ein Jäger vom Berge herab. »Ach, führ mich zur Stadt hinunter«, rief ich, »horch, da klingt in der Ferne noch die Glocke vom Kapitol« »Das ist die Turmuhr, die schlägt auf meinem Schloß im Walde«, sagte der Jäger, dann wandt‘ er sich plötzlich – du selbst warst der Jäger, aber du kanntest mich nicht mehr. – Nun stiegst du weiter den Berg hinab, ich rief voll Angst und konnte dir so schnell nicht folgen. Da ging gegenüber der Mond auf, und auf einmal, so weit ich sehen konnte, lag die ganze fremde Gegend tief verschneit und flimmerte im hellen Mondschein, als sollt‘ ich sterben vor Wehmut.

Als ich mich von der Krankheit wieder erholte, stand eines Morgens der Vater vor meinem Bett, das Fenster stand offen, die Bäume draußen waren schon wieder grün und die Vögel sangen. »Steh nur auf«, sagte mein Vater, »wir reisen nach Deutschland!« – Er hatte sein Vermögen verloren, das Haus, unser Garten sollten verkauft werden, er mochte das nicht mit ansehen. So fuhren wir in einer schönen Frühlingsnacht von Rom fort, die Brunnen rauschten auf den stillen Gassen, in unserem Garten schlugen die Nachtigallen, als wüßten sie’s auch, und als die Paläste und Kuppeln allmählich hinter und im Mondglanz versanken, sah ich meinen Vater zum erstenmal weinen.«

»Wo ist der Vater jetzt?« unterbrach sie Fortunat hier. Fiametta aber ritt ein Weilchen schweigend vor sich hin, er merkte, daß sie selber weinte. Dann sah sie sich plötzlich wieder nach allen Seiten um und fuhr gefaßter fort:

»Mein armer Vater fand’s in Deutschland nicht so, wie er sich’s gedacht. Die mächtigen Verwandten, auf die er gerechnet hatte, weil sie in der Jugend brüderlich zusammen gelebt, waren seitdem alt und anders geworden, die meisten lange tot, ihre Kinder, die ihn nicht mehr kannten, sahen ihn verwundert und neugierig an, er konnte sich in der verwandelten Welt nicht zurechtfinden und starb vor Gram. – Das war eine furchtbare Nacht, ich erinnere mich nur der schwarzverhangenen Pferde und Gestalten und des Fackelscheins zwischen den dunklen Bäumen – und als die Glockenklänge allmählich verhallten, saß ich allein mit einer alten, schwarzgekleideten Dame im Wagen, wir fuhren rasch durch unbekannte Gegenden, sie sprach immerfort französisch zu mir, aber ich hörte nur das dumpfe Rasseln des Wagens in der Nacht, mir war’s, als führen wir selber ins Grab. Die Dame aber war eine reiche, kinderlose Tante, die mich nun zu sich genommen hatte. Sie wohnte auf einem großen Schloß, das einsam am Abhange des Gebirges mitten in einem prächtigen Parke lag, der wimmelte von seltsamen Tauben und Pfauen, in dem klaren Bassin vor dem Schloß spielten bunte ausländische Fische wie Vögel in der Luft, weiterhin in einem zierlich vergitterten Wäldchen weidete ein schöner Goldfasan. Die Tante hatte ihre Freude daran, mich recht auszuputzen, obgleich wir nur selten Besuch hatten, da ging ich denn in prächtigen Kleidern, und wenn ich manchmal so allein im Garten stand, kam ich mir selber in der Einsamkeit wie ein verzauberter Goldfasan vor. An den Sommernachmittagen aber pflegte die Tante mit mir am Garten auf einem schattigen Hügel zu sitzen, von dem man weit hinaussehen konnte, wie der Strom und die Straßen glänzend durchs Land gingen, Reiter und Wagen zogen da wie in einem Schattenspiel rasch vorbei, manchmal kam der Klang eines Posthorns aus der Ferne herüber. »Dort geht es nach Italien hinaus«, sagte die Tante – mir war zum Sterben bange.

Eines Abends saßen wir auch dort, ich zerpflückte in Gedanken eine Sternblume: ob du kommst oder nicht kommst? »Er kommt!« rief ich auf einmal erschrocken aus, warf die Blume fort und flog vom Hügel, am Schloß vorüber, immerfort ins Tal hinab. Denn zwei Reiter kamen unten vom Wald, der eine im grünen Reiserock, gerade wie du! Als ich atemlos unten anlangte, stutzt sein Pferd – es war ein ganz fremdes Gesicht. Er mocht‘ es wohl erraten, wer ich bin, er schwang sich schnell vom Pferde, und indem er die Zügel seinem Bedienten zuwarf, reichte er mir höflich den Arm und führte mich wie eine Gefangene zurück. Ich glaubte, die Tante würde schmälen, aber sie besorgte nur, daß mir die Erhitzung nicht schade, strich mir die Locken aus der Stirn und nannte mich ein artiges Kind, daß ich ihren Vetter, den sie viele Jahre nicht gesehen, so freundlich empfangen. Sie nannte ihn Baron Manfred

»Manfred?« sagte Fortunat erstaunt, »den Namen habe ich oft von Lothario gehört. Doch den kennst du ja nicht.« – Fiametta schüttelte das Köpfchen und fuhr weiter fort:

»Bisher hatte ich fast wie im Traume gelebt, mit dem Fremden aber kam auf einmal Hast und Unruhe in unsere ländliche Stille. Nichts war ihm recht in unserer Wirtschaft, alles wollte er gescheuter einrichten und sah mich dabei oft so sonderbar an, daß ich erschrak, denn er schaute so klug drein, als könnte er meine Gedanken lesen. Vor Verdruß darüber hatte ich mich eines Tages in der schwülen Mittagszeit mitten ins Gras gelegt, alle Vögel schwiegen, nur die Bienen summten, einzelne Wolken flogen über die stille Gegend fort, ich dachte an die alten Zeiten, an dich, an unseren Garten in Rom. Da kam auf einmal die Tante mit ihrem Vetter im Buchengang herunter. Ich hob mich im Grase halb empor, sie bemerkten mich nicht. »Ich habe auch schon daran gedacht«, sagte die Tante, »so kann es mit Fiametta nicht länger bleiben, sie vergeht mir hier in der Einsamkeit wie eine Blume.« – »Abgesehen selbst von allem, was ich Ihnen eben erzählt habe«, erwiderte der Vetter, »so wüßte ich in der Tat keine bessere Partie für das Fräulein als den Baron, jung, reich, unabhängig.« – »Und Sie übernehmen es also«, fragte die Tante wieder, »ihn zu uns zu bringen?«

Ich konnte seine Antwort nicht mehr verstehen. Aber wie wenn der Blitz neben mir eingeschlagen hätte, sprang ich schnell auf und flog zu meiner italienischen Kammerjungfer und erzählte ihr alles. Da war nicht lange Zeit zum Besinnen, ihr war hier so bang auf dem Schlosse wie mir, sie wollte unter dem Vorwande einer Maskerade Jägerkleider für uns beide herbeischaffen, und wir beschlossen, zu einer jungen, fröhlichen Tante in Wien zu entfliehen, die ich noch aus Rom kannte und die mich vor der dummen Partie beschützen sollte.

Seitdem sahen mich die Tante und der Vetter noch häufiger geheimnisvoll und schmunzelnd an. Besonders aber ganz abscheulich war mir nun der kluge Vetter, wenn er mit seinen spitzigen Blicken, wie eine Spinne mit ihren langen Beinen, nach mir zielte. »Ja, spinne und laure du nur!« dachte ich. Und als er nun wirklich abreiste, um den Bräutigam zu holen, da fuhren wir, während alles schon schlief, in unsere Jägerkleider und stiegen in der schönsten Sommernacht mit klopfenden Herzen sacht die Treppe hinab durchs leere Schloß, den stillen Garten entlang, bis wir endlich im freien Felde tief aufatmeten. Da sah’s draußen so frisch und waldkühl aus! – Noch dieselbe Nacht aber hatten wir uns im Gebirge verirrt. Fragen mochten wir nicht, so kamen wir zuletzt gar an ein verfallenes Schloß. Mich schauerte und fror, die Jungfer weinte, da tat sich plötzlich eine Tür auf, drei Männer mit Windlichtern traten heraus – der eine war der Vetter, verwildert und bleich im Widerschein der Fackeln – ich glaube, er geht um bei Nacht, was hatt‘ er sonst zu tun da droben? Aber erkannt hat er mich und setzt mir sicherlich nach. Wie wir da heruntergekommen, weiß ich nicht mehr, aber als der Tag endlich anbrach, sahen wir die Donau im Tale funkeln, ein Schiff wollt eben abgehn, wir stiegen mit ein, und so fuhr ich in Lust und Angst und bekam Händel und sollte mich duellieren und – »Und ich«, fiel Fortunat ein, »habe den verflogenen Goldfasan wieder eingefangen und lass‘ ihn nun nimmermehr los!«

Fortunat war voller Freude und doch verwirrt, er wußte gar nicht, was er mit dem lieblichen Kinde nun anfangen sollte, das sich so ganz in seine Arme geworfen, auch war die Angst vor dem Erwischen nicht gering.

Unterdessen flogen schon einzelne Streiflichter durch die stille Luft. »Wie bist du schön geworden!« sagte Fortunat, sie fast erstaunt betrachtend. Da wurde sie über und über rot, jetzt dachte sie erst daran, daß sie so ganz allein mit ihm war. Aus den fernen Dörfern aber hörte man schon einzelne Stimmen, über die wogenden Kornfleder schossen ihnen die ersten Sonnenstrahlen blitzend entgegen – so ritten sie fröhlich in den prächtigen Morgen hinein.

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Als Otto – von dem strengen Vitalis verstoßen – so einsam von dem Gebirge der Einsiedler hinabstieg, weinte er sich recht von Herzensgrunde aus. Dann wurde ihm erst leichter. Er fühlte wieder einen rechten Trieb und Mut, nach dem Höchsten in der Welt zu streben, er wollte endlich ehrlich Frieden stiften in seiner Seele und so neugeboren zu dem Einsiedler zurückkehren, ja es kam ihm in diesen glücklichen Stunden gering vor, selbst sein Dichten zu lassen, wenn es ihn wieder in Eitelkeit verstricken wollte. Die stille Nacht sah ihn dabei von den Bergen, wie eine milde Mutter, fast wehmütig an. – Indessen verloschen nach und nach die Sterne am Himmel, und wie nun die Morgenkühle über die Felder kam und unten der Strom und von drüben die Spiegelfenster eines Schlosses lustig aufblitzen: da erschien dem Verweinten die Erde wieder so jung und frisch wie nach einem Gewitterregen, in den tröpfelnden Bäumen über ihm dehnten die Vögel erwachend die Flügel und sahen ihn neugierig an, als wollten sie fragen: Gesell, wo bist du so lange gewesen? – Er wanderte fröhlich den ganzen Tag, und als er endlich auf dem letzten Berge aus dem Walde trat, erblickte er auf einmal in der Ferne mitten zwischen Gärten die alte, braune Stadt, wie eine von Efeu übergrünte Ruine. Ermüdet streckte er sich unter den Bäumen hin, er sah Handwerksbursche, Reiter und schlanke Bauermädchen heiter durchs Grün auf dem Gebirgspfade hinabziehn, die Vögel sangen im Walde, einzelne Wolkenschatten flogen wechselnd über die glänzende Landschaft – so schlummerte er ein und träumte von der schönen, waldkühlen Jugendzeit.

Er mußte lange geschlafen haben, denn als er erschrocken wieder um sich blickte, ging die Sonne schon unter und vergoldete die Giebel und Türme der Stadt. Voll Erstaunen sah er sich ganz von Blumen bedeckt, als hätt‘ es Rosen geregnet. Da hörte er eine schöne Stimme lustig durch die Abendluft klingen. Ein eleganter Reisewagen stand tiefer am Saume des Waldes, zwei junge Damen, die, wie es schien, den steilen Berg zu Fuß herabgekommen, stiegen soeben wieder ein. Die eine wandte sich noch einmal und blickte nach ihm herüber, er mußte verwirrt und geblendet niedersehen, so schön war sie. »Nach der Bergvorstadt!« rief sie dem Postillion zu – da flog der Wagen in den duftigen Abend hinein, er hörte das Posthorn noch lange aus der Ferne schallen.

In der Stadt fand er seine Wohnung bereit: ein kleines, freundliches Stübchen im dritten Stock, alte Kupferstiche an den Wänden, der Boden neu mit Sand bestreut, ein Glas mit frischen Blumen unter dem Spiegel. Eine alte Frau empfing ihn sehr gesprächig und händigte ihm ein Briefchen ein. Sein Jugendfreund, der hier alles für ihn besorgt hatte, meldete ihm, daß ihn leider unvorhergesehene Geschäfte über Land geführt, in wenigen Wochen hoffte er wieder zurück zu sein – so befand sich denn Otto unerwartet ganz allein in der fremden Stadt. Er konnte sich nach der langen Gebirgseinsamkeit gar nicht wieder zurechtfinden, alles kam ihm neu und wunderbar vor, der heitere Reisetag hallte noch in seiner Seele nach, und als er das Fenster öffnete, dämmerte die unbekannte Gegend so seltsam über die Dächer herauf, es war ihm, als hörte er noch immer das Posthorn fern aus der Frühlingsnacht herübertönen. Er konnte nicht widerstehen, er mußte noch einen Streifzug durch die Stadt machen.

Unten erkundigte er sich nach der Bergvorstadt, er hatte sich geschämt die Alte danach zu fragen. Man wies ihn nach einer entfernten Anhöhe, die mit einzelnen Villen und weitläuftigen Gärten geheimnisvoll in die Straße hereinsah. Das nächtliche Wandern in einer unbekannten, großen Stadt hat etwas Märchenhaftes, die Häuser und Türme stehn wie im Traum im Mondschein, auf den Straßen schwärmt es noch laut und behaglich in der Maskenfreiheit der lauen Nacht, dann plötzlich alle wieder still im engen, dunklen Gäßchen, nur die Dachluken klappen im Wind, eine Nachtigall schlägt wehmütig am Fenster. – Otto schlenderte in Gedanken immer fort, alte Reiselieder fallen ihm ein, er sang leise vor sich hin, er wußte selbst nicht, was er draußen wollte. Endlich hatte er die Höhe erreicht, je weiter er kam, je stiller und ländlicher wurde die Straße, seitwärts schienen sich prächtige Gärten hinabzusenken. Oft blieb er stehn und sah zurück über die Stadt hin, zwischen den vielen verworrenen Lichtern ging das dumpfe Rasseln der Wagen wie ein ferner Sturm, zuweilen brach ein Schwarm verstörte Dohlen aus einem alten Kirchendach und durchkreiste schreiend die Nacht, eine Spieluhr vom Turm sang ihr frommes Lied in der Einsamkeit der Lüfte. Von der andern Seite aber war die Gasse schon offen, ein frischer Hauch wehte herüber, er hörte eine Mühle gehn, die er nicht sah, dann Hundegebell von fern und da und dort noch Stimmen im dunklen Feld.

Auf einmal erklang eine Gitarre und einzelne Töne eines wunderschönen Gesanges, träumerisch vom Winde verweht, wie wenn die Nachtluft durch die Saiten einer Harfe geht. Er eilte zu dem Garten, woher die Töne kamen, das Pförtchen war nur angelehnt, er trat hinein. Da stutzte er, denn es war, als flöge der Schatten einer fliehenden Gestalt heimlich zwischen den Gebüschen hin, sonst war alles still. Neugierig ging er weiter in die dunklen Schatten der alten Bäume hinein, der Mondschein glänzte seitwärts über die Rasenplätze. Da bemerkte er einen Weiher, von Trauerweiden umhangen, eine weiße Statue schimmerte durch die Zweige herüber: eine Nymphe, die halb abgewandt am Weiher auf ihrem Arme ruhte, den andern verschlafen über das Haupt gelehnt. – Er wollte eben näher hinzutreten, als plötzlich tiefer aus dem Garten ein heller Lichtschimmer durch die Bäume funkelte und ebenso schnell wieder verschwand. Erschrocken, zögernd, wandte er sich zurück, er suchte das Pförtchen wieder, aber die Streiflichter des Mondes und die schwankenden Schatten der Bäume dazwischen verwirrten ihn ganz, und eh‘ er sich besinnen konnte, stand er vor den Marmorstufen eines hohen, altertümlichen Palastes. In demselben Augenblick schüttelt sich der Fliederstrauch über ihm, daß er ganz von Tau und Blüten verschneit wird, er hört ein heimliches Kichern hinter sich, eine schlanke, weiße Mädchengestalt guckt verstohlen durch die Zweige und faßt ihn schnell an der Hand. »Siehst du, das ist der Willkomm, weil du mich überrascht hast«, flüstert sie mit der lieblichsten Stimme, »das ist ja prächtig, daß du schon heute kommst.« So führte sie, vorangehend, den Erstaunten über die Stufen durch eine dunkle Halle, plötzlich treten sie ein ein erleuchtetes Gemach, sie wendet sich rasch herum – er erkennt mit freudigem Schrecken die reisende Dame von heut abend im Walde.

Sie sah ihn erstaunt an, indem sie seine Hand losließ. Dann bemerkte sie eine ihrer Rosen, die er noch im Knopfloch trug, eine flüchtige Röte flog über ihr schönes Gesicht. »Aber«, sagte sie kopfschüttelnd, »wie haben Sie mich denn so bald aufgefunden?« Er erzählte nun sein Erwachen auf dem Berge, seine Unruhe darauf und den Streifzug durch die schöne Nacht. Aber sie war ganz zerstreut, sie schien auf etwas zu sinnen. Dann sprang sie schnell zur Tür hinaus, er hörte sie draußen lebhaft mit jemand sprechen.

In dieser seltsamen Lage schaute er betroffen im Zimmer umher. Eine Alabasterlampe beleuchtete wunderbar das kostbarste Gerät, auf dem eine Gitarre und aufgeschlagene Notenhefte unordentlich herumlagen. Hohe, ausländische Gewächse rankten sich schlangenartig an den Wänden empor und hingen mit ihren glühenden Blüten in die träumerische Dämmerung herein, als spiegelten sie sich in dem reichen Teppich am Boden.

»Armer Junge! du wirst recht müde sein«, sagte jetzt die Unbekannte, indem sie fröhlich wieder hereintrat und ihn auf den Diwan niederzog. Sie setzte sich dicht neben ihn, ein Bein über das andere geschlagen, er mußte ihr erzählen, woher er gekommen, wer er sei, und was er hier treibe. – »Also so sieht ein Dichter aus!« – rief sie erstaunt, als sie seinen Namen hörte, dabei wandte sie ihn an beiden Achseln zu sich herum und sah ihm mit den großen, schönen Augen gerade ins Gesicht, er mußte die seinen errötend niederschlagen. »Come è bello!« sagte sie kaum hörbar für sich. Darauf nahm sie eine Pfirsich aus der Kristallschale vor ihnen, biß mit ihren weißen Zähnen herzhaft hinein und reichte sie ihm hin. Aber Otto war ganz verwirrt, aus ihren Augen leuchtete zuweilen eine irre, wilde Flamme, die ihn schreckte, in dieser seltsamen Verstimmung konnte er durchaus den rechten Ton nicht finden und saß blöde und unbeholfen neben der vornehmen, schönen Frau. Da lachte sie plötzlich mutwillig auf, er wußte nicht worüber, dann sprang sie auf und brachte aus einem verborgenen Wandschrank ein zierlich gebundenes Buch her vor. »Kennst du das?« fragte sie, ihm den funkelnden Goldschnitt vorhaltend; es waren seine Gedichte. – »Ich kenn‘ sie noch nicht«, sagte sie, »lies mir was vor daraus.«

Sie setzten sich wieder, er blättete unentschlossen und begann endlich eines seiner liebsten Gedichte von der schönen Meerfei Melusina. – »Und daß du’s nur weißt«, unterbrach ihn die Dame, »ich bin selbst die Melusina; du darfst nur in den Nächten vom Montag und Donnerstag in den Garten kommen. Frag nicht nach mir und plaudre nicht davon; wenn du mich ein einziges Mal bei Tage erblickst, sehen wir uns niemals mehr wieder.« Otto sah sie verwundert an, dann las er wieder weiter. Es war ein langer Romanzenzyklus, er hatte ihn in der glücklichsten Jugendzeit gedichtet und seitdem nicht wiedergesehn; jetzt nach so langer Zeit, in der märchenhaften Umgebung, ergriff es ihn selber wunderbar, er las aus ganzer Seele fort und immer fort. Zuletzt beim Umschlagen des Blattes blickte er einmal flüchtig zur Seite – die schöne Frau lag fest eingeschlafen neben ihm. – Er schwieg, ihn schauerte heimlich, denn die schlanke Gestalt in dem weißen Nachtgewand ruhte halb abgewendet, den einen Arm nachlässig über ihr Haupt geschlagen, gerade wie die Statue vorhin am Weiher. In dieser plötzlichen Stille öffnete sich auf einmal leise die Tür, ein schwarzgelocktes Mädchenköpfchen guckte herein, überblickte spöttisch den Schauplatz dieser tiefen Ruhe und winkte ihm dann, ihr zu folgen. »Still, still« – sagte sie, als er heraustrat, ihn an der Hand schnell fortführend – »jetzt müssen Sie sacht fort, der Mond ist eben untergegangen vor Langerweile.« Draußen sang sie halb für sich:

Ein Fink saß schlank auf grünem Reis
Pink, Pink!
Der Jäger da mit rechtem Fleiß
Zu zielen an und messen fing,
Und zielt‘ und dacht: jetzt bist du mein
Fort war das lust’ge Vögelein:
Pink, pink! mußt flinker sein!

»Was singst du da so lustig?« fragte Otto. – »Ich pink‘ nur ein wenig Feuer an im Dunkeln«, entgegnete das Mädchen, »wollen Sie sich vielleicht ein Pfeifchen dran anstecken und noch etwas lesen von den zwölf schlafenden Jungfrauen?« – Sie plauderte mutwillig noch vielerlei in den Wind hinein – so gingen sie rasch durch den stillen Garten. Otto blickte im Vorbeigehen noch einmal nach dem Weiher hinüber, dort ruhte die Statue wieder auf ihrem Marmorpfühl, ein eingeschlummerter Schwan fuhr bei ihren Tritten mit dem Kopf aus den Flügeldecken hervor, sah sie schlaftrunken an und träumte dann weiter. – »Gute Nacht, Herr Morpheus!« sagte das Mädchen an der Gartentür mit einem schnippischen Knicks und schob ihn lachend hinaus.

Er hörte das Pförtchen hinter sich zuklappen, es war ihm wunderbar, so plötzlich allein unter dem stillen, weiten Sternenhimmel. In der ganzen Gegend regte sich kein Laut mehr, nur die Uhren schlugen fern in der Stadt, es war lange Mitternacht vorüber.

Seit dieser Zeit war es um ihn geschehn, die schönen Mondnächte beleuchteten noch oft seinen einsamen Gang zu dem stillen Zaubergarten. Das geheimnisvolle Grauen in der Lust verlockte ihn nur noch mehr, er mochte nicht nach dem Namen der schönen Frau fragen, ja er hütete sich, ihr Revier bei Tage zu betreten – war sie ja doch sein mit Leib und Seele! Aber in seiner stillen Stube dann, nach solchen durchschwelgten Nächten, überkam es ihn oft wie Alphornsklänge den Schweizer in der Fremde. Da befiel ihn eine tiefe Angst, er dichtete hastig oft ganze Nächte hindurch, er wollte mit Poesie sich selber überflügeln – als wäre das Talent ein Ding für sich ohne den ganzen Menschen! – So zwischen halber Lust und Reue, versank er nach und nach immer tiefer in Melancholie, Verzagen an sich selbst, in Liederlichkeit und Armut, bis zuletzt ein zehrendes Fieber die müde Seele in seinen Traummantel einhüllte: da hörte er in seinen Phantasien das Posthorn wieder durch die Frühlingsnacht, dazwischen Waldesrauschen und das Glöcklein des Einsiedlers aus der Ferne.

Er hatte mehrere Wochen krank gelegen. Als er endlich wieder zu sich kam, konnte er sich gar nicht besinnen, wo er war. Die Sonne schien über die Dächer freundlich durch das kleine Zimmer, eine Katze nickte auf dem Fensterbrett, nebenan hörte er einen Kanarienvogel singen, dann wieder eine Wanduhr dazwischen picken, sein alte Wirtin saß auf einem Lehnstuhl neben ihm am Bett und war über ihrem Strickzeug eingeschlummert. Er sah lange verwirrt in dieser Stille umher, eh‘ er sie weckte. Nun fuhr sie freudig empor und erzählte ihm, wie sie schon für seine Seele gebetet, wie er irre geredet im Fieber, daß sein Freund noch immer nicht zurück sei, aber ein unbekanntes junges Mädchen sei vor langer Zeit einmal ins Haus gekommen und habe nach ihm gefragt. – Da dämmerte ihm allmählich alles wieder auf. »Kam das Mädchen nicht aus der Bergvorstadt?« fragte er und beschrieb ausführlich Schloß und Garten. Aber die Alte schüttelte den Kopf, der Palast, sagte sie, sei schon seit vielen Jahren unbewohnt – sie glaubte, er phantasierte wieder. Otto fuhr mit der Hand über seine Stirn, er war wie im Traume.

Eines Abends aber, als die Alte ausgegangen war, hatte er sich rasch angekleidet und ging heimlich die Treppe hinab, über die wohlbekannten Gassen und Plätze in die Vorstadt hinaus. Die Abendsonne funkelte lustig durch die Straße, Kinder spielten vor den Toren, die Mädchen plauderten an den Brunnen, und Lerchen hingen jubelnd hoch im rötlichen Duft, er taumelte, wie berauscht, in der ungewohnten Luft. So kam er an den Garten der Geliebten, das Pförtchen war zu, aber er hatte den Schlüssel noch seit dem letzten Gange in der Rocktasche. Er schloß hastig auf und trat mit klopfendem Herzen hinein. Unterdes war die Sonne untergegangen, es war schon tiefes Abendrot. In der wunderbaren Beleuchtung kam ihm alles wie verwandelt vor; die Gänge, die er bisher nur bei Nacht flüchtig gesehen, schienen wüst und verwildert, und mit Schrecken fielen ihm die Worte der Alten wieder ein, als er endlich den Palast erblickte, denn kein Laut regte sich im ganzen Hause. Das Gras wuchs aus den Ritzen der Marmorstufen, die Türen und Fenster waren alle fest verschlossen, nur der Wind klappte eben mit einer halbzerbrochenen Lade, seitwärts schlug eine Nachtigall im Gebüsch, er hatte sie oft gehört, wenn er in den schwülen Sommernächten hier zum Liebchen schlich. – »Mein Gott, wo bin ich denn so lange gewesen!« sagte er in Gedanken versunken. – Da hörte er plötzlich in einiger Entfernung ein wohlbekanntes Lied aus alter Zeit:

Jetzt wandr ich erst gern!
Am Fenster nun lauschen
Die Mädchen, es rauschen
Die Brunnen von fern «

Voll Freude antwortete er sogleich mit den folgenden Worten desselben Liedes:

Aus schimmernden Büschen
Dein Plaudern, so lieb,
Erkenn ich dazwischen
Ich höre mein Lieb!

»Barmherziger Gott – Kordelchen!« rief er auf einmal erschrocken aus. Die Schauspielerin stand vor ihm, sorgfältig geschmückt, frischgepflückte, bunte Blumen im Haar. – »Ist er noch immer nicht zu Hause?« fragte sie, nach dem Palaste schauend. – »Wer denn?« entgegnete Otto ganz verwirrt. – Bei dem Klange seiner Stimme horchte sie hoch auf und sah ihn lange unverwandt an. »Ich kenn‘ dich recht gut«, sagte sie dann mit einem schlauen Lächeln, »weißt du noch, wie du uns in jener regnichten Nacht zum erstenmal trafst, als wie nach einem kleinen Städtchen zogen? Damals hatt‘ ich ein Loch im Strumpf, Kamilla stichelte darauf, denn Kamillen sind bitter – ach nein, du bist’s nicht!« schloß sie traurig. Dann hing sie sich in seinen Arm und flüsterte ihm geheimnisvoll zu: »Ich weiß wohl, wie er eigentlich heißt, aber ich verrat’s nicht, sag du’s auch nicht weiter, denn die Nacht hat Ohren – Ohren

Und Augen verstohlen,
Wenn alles im Schlaf,
Da kommt er mich holen
’s ist ein vornehmer Graf.

»Kordelchen! Kordelchen!« rief jetzt eine Stimme außerhalb des Gartens. Das Mädchen riß sich schnell los und verschwand wie ein aufgescheuchtes Reh zwischen den Bäumen. – Otto sah ihr lange nach, dann, plötzlich vom Entsetzen ergriffen, floh er unaufhaltsam über die öden Gänge, aus dem Garten, durch die einsame Vorstadt fort. Es war indes schon völlig dunkel geworden, die Sterne spielten munter am Himmel, von dem fernen Turm in der Stadt sang die Spieluhr wieder ihr frommes Lied; er mußte sein Gesicht mit beiden Händen verdecken, es war, als zögen Engel über ihn singend durch die stille Nacht.

Zu Hause aber schnürte er hastig sein Reisebündel; noch denselben Abend, ungeachtet der Vorstellungen der besorgten Alten, verließ er die Stadt.

Der Eilwagen rollte auf der glänzenden Straße in die schöne Sommernacht hinaus, der Postillion knallte lustig, daß es weit über die stillen Felder schallte. Vorn im Kabriolett plauderte ein Knabe, der zum erstenmal von Hause fuhr, munter mit dem Kondukteuer, dann sah er wieder lange stumme in die Gegend, wie da die dunklen Schatten der Pappeln und seitwärts Büsche, Wälder und Dörfer im Mondschein vorüberflogen, und wenn das Posthorn erklang, stiegen allmählich prächtige Schlösser und wunderbare Gärten und Gebirge mit Wasserfällen in der dämmernden Ferne vor ihm auf. Dann dachte er nach Hause, wie die Seinigen jetzt alle ruhig schalfen, der Mond scheint durchs Fenster über die Bilder an der Wand, nur eine Fliege summt tönend durch die stille Stube – da kam er sich auf einmal so verlassen vor hier draußen, und doch so tapfer und frei in der Fremde. – So reisefrisch war auch Otton früher gar manche schöne Frühlingsnacht zumute gewesen, heute saß er still vor sich hinbrütend im dunklen Wagen, es war ihm bei dem einförmigen, schlaftrunkenen Rasseln, als ging es immerfort bergunter, unaufhaltsam einem unbekannten Abgrunde zu. Zuweilen blitzte der Mond oder das vorüberfliegende Licht eines Bauerhauses durch den Wagen und streifte flüchtig bald eine bleiche Nase, bald einen martialischen Schnurrbart, bald die Glasaugen einer Brille. Sie schwatzten viel von einer wunderschönen Opersängerin und einem reichen Grafen S., einem lockeren Zeisig. – »Nein, ein Dompfaff«, rief der eine, »denn sie hat ihn pfeifen gelehrt.« – »Vogel ist Vogel«, meinte ein anderer kurz: »sie hat ihn tüchtig gerupft, nun ist sie selber davongeflogen.« – »Eine barocke Idee«, sagte der mit der Brille, »sich da in dem verfallenen Palast in der Vorstadt einzunisten!« – Otto, aus seinem Gedanken auffahrend, horchte plötzlich auf. – »Nisten!« fiel der Schnurrbart ein, »Turteltauben nisten grade am liebsten in alten Ruinen, da ist’s hübsch düster und nachtigallenhaft. Ja, mein Lieber, das hatte alles seine guten Wege, nämlich so unter den Bäumen sacht fort, die plaudern nichts aus. Konnte man wohl diskreter handeln als der Graf? er ließ ihrer Treue ein Hinterpförtchen offen. Nun, nun, er ist ein Mann von kostbaren Erfahrungen, sie war wenigstens nicht seine prima Donna, und, ich denke, er hatte eben auch keine Solopartie bei ihr.« – Ein schallendes Gelächter erfolgte hier. Otton schnitt es durch die Seele, sie sprachen offenbar von seiner wundersamen Melusina! Es war ihm, as hätten die Gesellen mit ihren schmutzigen Reisestiefeln auf einmal einen köstlichen Teppich umgeschlagen, und er sähe nun die groben, rohen Fäden der glühenden Traumblumen – ihm graute recht vor dieser faden Kehrseite des Lebens.

Hier hielt der Wagen plötzlich vor einem Hause mitten im Felde, ein Mann in Nachtmütze und Pelz trat verschlafen mit einer Laterne heraus, um einige Pakete zu übergeben und andere in Empfang zu nehmen. Währenddes öffnete sich hinter ihm leise der Schieber des kleinen Fensters, der Widerschein der Laterne beleuchtete flüchtig ein wunderschönes Mädchengesicht, das schnell wieder zurückfuhr. Otto erschrak, die Züge waren ihm bekannt, er konnte sich aber durchaus nicht besinnen. Da gähnte der Mann im Pelz. »Friß mich nicht, Mauschel!« rief ihm der lustige Kondukteur vom Kutschbock, zu. – »Ich esse kein Schweinefleisch«, entgegnete der Jude trocken. Die Passagiere lachten, der Postillion knallte, und rasselnd flog der Wagen wieder in die stille Nacht hinaus.

Auf der nächsten Mittagsstation verließ Otto seine Reisegesellschaft, die jetzt schlummernd in allen Winkeln der Passagierstube umherlag, während die Rüstigeren, überwacht und verdrießlich, nach Kaffee, Rum und Butterbroten durcheinanderschrien. Von hier aus gingen Seitenwege nach Hohenstein, dort im schattigen Grün wollte er ausruhen; er hofft‘ es noch vor Nacht zu erreichen, so matt und krank er sich auch fühlte. Er fragte nach dem nächsten Wege, man wies ihn auf einen Fußsteig, der gerade durch die Wälder führen sollte. Einsam schritt er nun zwischen die Berge hinein. Wie so anders, dachte er, als ich vor vielen Jahren hier auswanderte! Nun ist es Schlafenszeit, und alles ist vorüber. – Die schleichende Gewalt der Krankheit, von der durchwachten Nacht und Anstrengung neu geschürt, brach und reckte und dehnte ihn heimlich in allen Gliedern, er mußte öfters rasten, und verließ endlich vor Ermüdung den Fußsteig, um, womöglich, ein Dorf zu erlangen. Aber kein Haus wollte sich zeigen, es war so still den Wald entlang, daß man die Spechte picken hörte. So hatte er Zeit und Weg verloren; der Abend funkelte schon durch die Wipfel, die Gegend wurde ihm immer fremder, je weiter er fortging.

Da erblickte er seitwärts ein kleines Mädchen, das im Walde Blumen pflückte. Als er hinzutrat, wandte sie sich schnell herum, es war ihm plötzlich vor den klaren, unschuldigen Augen, wie in den Himmelsgrund zu sehen. Die Abendsonne schimmerte durch die blonden Locken, er streichelte und küßt‘ es herzlich auf die blanke Stirn.

Das schien dem armen Kinde selten zu begegnen, es suchte emsig in seiner Schürze und reichte ihm eine wilde weiße Rose, und als er fragte, ob es ihm den Weg aus dem Walde weisen könne, gab es ihm vertraulich die Hand, während es mit der andern sorgfältig das Schürzchen zusammenhielt, um seine Blumen nicht zu verlieren. Wie sie so miteinander fortgingen, wurde das schöne Kind immer vergnügter und gesprächiger. Es erzählte, es wäre gar nicht mehr so lange hin, da käme wieder Weihnachten, wo die vielen Lichter in den vornehmen Häusern brennten, dann säß es in der Kammer auf seinem Bettchen am Fenster, da flimmerten draußen die Sterne so schön über dem Schnee, und das Christkindlein flöge durch die Nacht über den stillen Garten hin und brächt‘ ihm von seinen Eltern viele kostbare Sachen: neue rote Schuh und ein Mützchen. – »Wo wohnen denn deine Eltern?« fragte Otto. – Die Kleine sah ihn erstaunt an, dann wies sie nach dem Himmel. – »Aber wo führst du mich denn jetzt hin?« fragte er fast betroffen wieder. – »Nach Hause -« entgegnete das Kind. – Ihn schauerte unwillkürlich bei dem Doppelsinn der Antwort.

Auf einmal traten sie an einem Abhange aus dem Walde heraus, Otto stand wie geblendet. Denn tief unter ihm lag plötzlich seine Heimatsgegend im stillen Abendglanze ausgebreitet: das schattige Städtchen, jenseits seiner Eltern Garten und Haus, der vergoldete Strom dann im Wiesengrund und die fernen Berge dahinter – alles wie er’s in der Fremde wohl manchmal im Traume gesehen. Ganz erschöpft sank er unter dem Baume hin. »O stille, alte Zeit«, rief er aus, »wie liegst du so weit, weit von hier!« – Die Kleine hatte sich zu seinen Füßen ins Gras gesetzt. »Nein, nein«, sagte sie, »so ist es nicht, ich will dich’s lehren.« Und bei dem Vogelschall selbst wie ein Waldvöglein, sang sie mit dem kindischen Stimmchen:

Waldeinsamkeit,
Du grünes Revier,
Wie liegt so weit
Die Welt von hier!
Schlaf nur, wie bald
Kommt der Abend schön,
Durch den stillen Wald
Die Quellen gehn,
Die Mutter Gottes wacht,
Mit ihrem Sternenkleid
Bedeckt sie dich sacht
In der Waldeseinsamkeit,
Gute Nacht, gute Nacht!

Otton dunkelte es vor den Augen, da ging auf einmal ein Leuchten über die Gegend wie ein Blitz in der Nacht: stille Abgründe fernab, Gärten und Paläste wunderbar im Mondglanz, er erkannte unten die goldenen Kuppeln und hörte durch die stille Luft herüber die Glocken wieder gehen und die Brunnen rauschen in Rom, und das Kind sang wieder dazwischen:

O du stille Zeit!
Kommst, eh wir’s gedacht,
Über die Berge weit
Nun rauscht es so sacht
In der Waldeinsamkeit,
Gute Nacht

»Still, still«, lachte die Kleine, »er schläft « aber der müde Wandersmann wachte nimmer auf.

Vierzehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Über einer der verborgensten Schlüfte der Schweiz rauschte leise die Nacht, nur ein Bach stieg zwischen den Felsen hernieder und plauderte, da die Menschen schliefen, heimlich mit der Wetterfahne auf der ärmlichen Waldherberge, die in dem stillen Grunde lag. Da fuhr auf dem Heuboden des Hauses ein Gesell verwirrt aus dem Schlafe empor. Es war Fortunat, der auf seiner Reise nach Italien spät des Abends das Wirtshaus erreicht und gern das luftige Nachtlager bestiegen hatte, da die wenigen Fremdenstuben schon von anderen Reisenden besetzt waren. Dort hatte ihn ein Traum erweckt, es war ihm plötzlich, als hätte eine altbekannte Stimme unten seinen Namen genannt. Er lauschte hinab, es rührte sich kein Laut. Draußen aber flimmerten noch die Sterne, da setzte er sich in das offene Dachfenster auf die obersten Sprossen der Leiter und sah den weiten, stillen Kreis von Gletschern im hellsten Mondschein über den Wäldern, nur der dumpfe Donner einer Lawine hallte von Zeit zu Zeit durch die große Einsamkeit herüber.

Jetzt erst fiel ihm der grillenhaft verworrene Bau des Hauses auf, er betrachtete schläfrig die kleinen hölzernen Galerien, Winkel und Erker, als auf einmal in dem alten Seitenanbau sich ein Laden öffnete und eine Dame, dicht in einen langen Schleier gehüllt, am Fenster erschien. Fortunat, scharf hinblickend, schauerte innerlichst zusammen – es war der Hut, das Reitkleid, Gestalt und Art der Gräfin Juanna! – Der Mond funkelte über ihren Gürtel, wie damals auf der Jagd, dann wurde das Fenster schnell wieder geschlossen. Gleich darauf aber sah er den Wirt zwei gesattelte Pferde auf den Hof führen, die Dame trat mit einem fremden Mann aus dem Hause, alles ganz sacht und leise, wie Wolken in der Nacht, sie flüsterten heimlich untereinander und mit dem Wirt, der ihm auf einmal selbst gespenstisch vorkam, und eh‘ er sich noch besinnen konnte, war die ganze Erscheinung, wie ein Zug Verstorbener, im wechselnden Mondlicht zwischen den Felsen und Bäumen verschwunden.

Fortunat war geblendet wie einer, der nachts in den Blitz gesehen; er eilte nun die Leiter hinab, der Hof war leer, als wäre nichts geschehen, aber zu seinem Erstaunen hörte er nun in einiger Entfernung Waffenklang durch die Stille. »Fechten die Toten in der Luft?« dachte er und verfolgte rasch die Richtung. Da erblickte er bald durch das auseinandergebogene Gesträuch zwei Männer, die auf einer mondhellen Wiese in heftigem Zweikampf begriffen waren. Gestalt, Tracht und Haltung, je länger er hinsah, schien ihm nicht fremd. – »Um Gott, ihr Phantasten«, rief er endlich aus, »was habt ihr wieder vor!« denn jetzt erkannte er deutlich den langen Lord und den Maler Albert von dem fürstlichen Jagdschloß.

Als die Kämpfenden ihn bemerkten, traten sie, die Spitzen ihrer Degen senkend, jeder feierlich einen Schritt zurück und verneigten sich kurz und ernst voreinander, dann stürzte der erhitzte Lord, der vor Eifer keine Zeit zum Verwundern und Begrüßen hatte, sogleich auf Fortunaten los. »Entscheiden Sie selbst«, rief er, »und ich behaupt‘ es nochmals und tausendmal: es gibt keinen kategorischen Imperativ, die Tugend ist nur der Flügelschlag der primitiven Freiheit der Seele, die Ahnung des geistigen Urstoffs, und dieser endlose Urstoff läßt sich so wenig durch Großmut, Keuschheit definieren, daß -« »Keineswegs!« entgegnete Albert ganz empört, »es gibt ein absolutes Sittengesetz, die Tugend, sie ist kein leerer Schall!« – »Aber, so sagt doch nur, was denn? Was gibt’s denn?« unterbrach sie endlich Fortunat höchst erstaunt und erfuhr nun nach und nach abgebrochen in einzelnen, verworrenen Sätzen von den Heftigen, daß sie beide, in der festen Überzeugung von einer Entführung Juannas durch Lothario, an jenem unglücklichen Abend, sobald die Gräfin vermißt wurde, die Jagd mit dem Schwure verlassen hatten, sie zurückzubringen oder niemals wiederzukehren. Sehr bald, so behaupteten sie, seien sie auch wirklich den Flüchtlingen auf die Spur gekommen, die sie bis zu diesem einsamen Wirtshaus verfolgt hätten. »Und nun, da wir am Ziele sind«, fuhr der Maler fort, »läßt dieser Herr da plötzlich seine großmütige Larve fallen und will die Gräfin als seine eigene Beute entführen. Aber mit diesem Schwerte, das in dem großen Kriegsjahre dreizehn geweiht ist, bewahre ich die Unschuld jener Dame gegen jeden Verführer, er mag ein deutscher Komödiant oder ein englischer Lord sein!« – Und hiermit gingen sie von neuem aufeinander los und führten ihre Schulterquarten und Schlenkerprimen mit einer bewundernswürdigen Künstlichkeit und Pedanterie aus.

Da fuhr auf einmal der dicke Wirt aus der Haustür wütend zwischen die Fechtenden hinein, er hatte einen umgekehrten Tisch über dem Kopfe, wie ein Stier mit vier Hörnern, die schon gezückten Schwerter klatschten flach auf seinen rindsledernen Schlafpelz. »Tausend Parlament«, schrie er, »Schändlichmens, Lordmajors oder Oberstlieutenant, ich frage den Teufel darnach! Ich nehme nicht tausend Pfund Sperling für den Skandal, verjagt mir da mit eurem Geklimper die besten Gäste, ist das ein Ständchen für eine schöne, ausländische Gräfin!« – »Gräfin! ist sie schon fort? Wohin?« unterbrachen ihn hier die Duellanten, ihre Degen rasch einsteckend. – »Ausländisch?« stotterte Albert vor Eifer, »was für eine Sprache redete sie?« – »Wahrhaftig, mir kam’s ganz spanisch vor«, erwiderte der Wirt und schien nun, indem er die beiden geheimnisvoll nach dem Stalle führte, mit ihnen angelegentlich von der Fremden zu sprechen, Fortunat konnte nur noch bemerken, daß der Schalk ihnen eine ganz andere Richtung wies, als die Dame vorhin eingeschlagen hatte. – Als er zurückkam, wollte ihn Fortunat selbst über die Gräfin näher ausfragen. Aber der dicke, schlaue Mann war nicht zu haschen, er sprach von tollen Nächten, Spukgeistern und fahrenden Hexen und brach mit solchem Lärmen den Tag an, daß der Hofhund anschlug und Knechte und Mägde aus allen Winkeln herausfuhren. Mitten in dieser Konfusion hörte Fortunat plötzlich den Lord und den Maler von der andern Seite durch die Dämmerung miteinander disputieren, und ehe er ihnen noch nachrufen konnte, hatten sie in ihren langen, bis an die Knöchel herabhängenden Wachstaftmänteln, aus denen die englischen Pferde ihre dünnen Hälse seltsam hervorstreckten, sich zwischen den fliegenden Morgennebeln schon verloren.

So stand er noch ein Weilchen ganz verwirrt, dann berichtigte auch er schnell seine Zeche, schwang sich auf sein Pferd und schlug den Waldpfad ein, den die geheimnisvolle Erscheinung vor Tagesanbruch genommen. Er ritt den ganzen Morgen fort: aber er fand sie nicht mehr wieder.

Fünfzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Die Sonne war eben über Rom untergegangen, als Fortunat von den Bergen mit der Abendkühle in die Stadt einzog. Nur ein Streifen des Meeres in der Ferne und das Kreuz der Peterskuppel brannten noch im Widerschein, dazwischen der Klang unzähliger Abendglocken, und Gärten, Paläste und einsames Gebirg unten wunderbar zerworfen – es war ihm, als zöge er in ein prächtiges Märchen hinein. »Ecco là!« rief auf einmal sein Vetturin und hielt still. Sie standen vor einem großen, altmodischen Palast, welcher zum Teil unbewohnt schien und in der Dämmerung melancholisch auf den einsamen Platz herniederschaute, wo hohes Gras aus dem Pflaster drang und ein Springbrunnen einförmig rauschte. Es war das Haus des Marchese A., in welchem befreundete Reisende für Fortunaten die Wohnung besorgt hatten.

Ein alter Diener, mit klugen, kurzen Blicken das geringe Gepäck des genügsamen Reisenden musternd, führte diesen die breiten Marmortreppen hinan, während er in großem Wortschwall die Abwesenheit des Marchese entschuldigte, welcher erst heut vom Lande zurückkehrte und nicht ermangeln werde, den schuldigen Empfang morgen nachzuholen.

Die ersten Stunden in einer großen, unbekannten Stadt gehören zu den einsamsten im Leben, auch Fortunaten überflog das Gefühl, als sei er jetzt in der Fremde. Er verlor sich ganz in den hohen Gemächern und betrachtete, als der Diener sich entfernt hatte, vor Langerweile die Stuckverzierungen an den Decken, die schweren, altmodischen Stühle, die hohen Spiegel mit goldenen Rahmen sowie die umherhängenden Jagdbilder, Kavaliere in seltsamen Trachten vorstellend, halb Ritter, halb Gecken, einen Hirsch mit galanter Reiterkühnheit verfolgend, und junge, schöne Damen in Reifröcken unter einem prächtigen Zelt im Walde, Jagdhörner in den Händen, denen der glückliche Jäger seine Beute zu Füßen legte. – Draußen schien ein großer Garten zu liegen, weit über den Garten her schlugen viele Uhren in der Ferne, es war ihm, als sei er schon gestorben und hörte die Totenglocke über sich.

In diesen Betrachtungen unterbrach ihn das Rasseln eines Wagens, der vor dem Schlosse zu halten schien. Er sah durchs Fenster und konnte bei dem Schein einer Fackel nur noch bemerken, wie eine schlanke Mädchengestalt aus der altmodischen Karosse behende in das Haus schlüpfte. Im andern Flügel des Palastes hörte man nun Türen auf- und zuwerfen, gehen und lachen, dann war plötzlich alles wieder still. – Bald darauf aber vernahm er im Garten einzelne, langgezogene Klänge einer weiblichen Stimme, wie eine Nachtigall, durch das Rauschen der Wipfel, durch welche die Glühwürmer leuchtend hinzogen. Der Mond trat eben hervor und verwandelte alles in Traum. Da öffnete Fortunat alle Flügeltüren, ergriff seine Gitarre und schritt durch die lange Reihe der Gemächer singend auf und nieder.

Es rauschen die Wipfel und schauern;
Als machten zu dieser Stund
Um die halb versunkenen Mauern
Die alten Götter die Rund.
Hier hinter den Myrtenbäumen
In heimlich dämmender Pracht,
Was sprichst du wirr, wie in Träumen,
Zu mir, phantastische Nacht?
Es funkeln auf mich alle Sterne
Mit glühendem Liebesblick,
Es redet trunken die Ferne
Wie von künftigem, großem Glück!

Der schönste Frühlingsmorgen funkelte vor dem Palast über den Garten, da grünte und sang schon alles in der reizenden Verwilderung, in den ausgetrockneten Becken der Wasserkünste jagten sich jubelnd bunte Vögel, üppig blühende Ranken umschlangen mutwillig die Marmorstatüen, als wollte der Frühling sie mit Küssen ersticken. Arglos zwischen den nackten Götterbildern stand Fiametta, die vierzehnjährige Tochter des Marchese, mit ihrer Kammerjungfer Lenore plaudernd, die ihr die schönen, dunklen Haarflechten aufsteckte. Sie war ihr heute ungeduldig entsprungen, beide waren neugierig, ihren Gast, den gestern angekommenen Engländer, zu sehen, wofür sie jeden Reisenden hielten. »Mir träumte heut von ihm«, sagte Fiametta, »er sah aus wie die jungen deutschen Maler mit den langen, blonden Locken und stand in einer unbekannten, prächtigen Gegend, die schimmerte und blitzte, daß ich vor Blendung gar nicht hinsehen konnte. Ich wußt‘ es wohl, es war der Morgen, der schon durch die roten Gardinen schimmerte, aber ich drückte die Augen fest zu -« hier hielt sie ein und lachte in sich. – Lenore sah sie fragend an. – »Nein, nein«, meinte Fiametta leicht errötend, »was er mir da ins Ohr sagte, sag‘ ich nicht wieder – ob er noch jung sein mag?« – Lenore erzählte, daß sie gestern abends noch im Garten gewesen, da habe sie seinen Schatten im Zimmer auf und nieder schwanken gesehen, lang und dünn wie der Perpendikel einer Turmuhr – »Oder einer Spieluhr, denn ich hört‘ es wohl herüberklingen«, fiel ihr Fiametta ins Wort, während sie ihr Füßchen auf den Nacken eines umgestürzten Apollos stellte und sich die zierlichen Schuhe festband. Jetzt sahen sie auf einmal zwischen den Zweigen hindurch den besprochenen Gast selbst, sich streckend und dehnend, aus der Schloßtür treten und verschlüpften, wie Lazerten, schnell zwischen Blumen und Unkraut hinter ein halbverfallenes Gemäuer, wo er vorüber mußte und durch dessen Ritze sie ihn ungesehen betrachten konnten. Lenore fand ihn sehr schön, Fiametta dagegen kritisierte, heimlich flüsternd, sein schlichtes, braunes Haar, seinen dreisten Gang, und seltsamen Anzug. – Als er an die Mauer kam, sagte sie leis: »Ich schreck ihn.« Lenore fuhr abwehrend nach ihrer Hand, aber die kleine Marchesin hatte schon den über die Mauer herüberlangenden Ast eines blühenden Apfelbaumes gefaßt und schüttelte kurz und rasch, daß Fortunat von den Blütenflocken ganz verschneit war; dann liefen sie beide schnell davon.

Fortunat aber war heute längst über alles Verwundern hinaus. Schon beim Erwachen in den hohen Trumeau blickend, der Himmel und Bäume abspiegelte, hatte er geglaubt, so entkleidet mitten im Garten zu liegen und war erschrocken aufgesprungen; da hörte er draußen Lachen und Mädchenstimmen in den schönen fremden Lauten, wie Glöckchen, verlockend durch die morgenfrische Wildnis gehen. So war er die helle, stille Marmortreppe hinabgeeilt, um Rom, den Garten, den jungen Frühling und den alten Marchese zu begrüßen.

Nach allen Seiten fröhlich umschauend, wurde er in einiger Entfernung vor sich einen stattlichen Herrn mit gepudertem Haar, Schnallenschuhen und einen alten, hofmäßigen Kleide gewahr, welcher ein junges Frauenzimmer am Arm führte, während ein Bedienter in verschossener Liverei mit einem Sonnenschirm und in sichtbarer Langeweile ihnen langsam nachschlenderte. Seine Vermutung bestätigte sich bald, es war der alte Marchese A., welcher seinen Gast kaum bemerkt hatte, als er ihn in französischer Sprache sehr feierlich willkommen hieß und ihm in seiner Begleiterin seine Tochter Fiametta vorstellte, die errötend ihre langen schwarzen Augenwimpfern senkte, da sie auf Fortunats Rock noch einige Apfelblüten erblickte. Dann lud er den Fremden ein, an ihrer Morgenpromenade teilzunehmen. Fortunaten war es, da sie nun in künstlicher Verschlingung zierlicher Redensarten an den Buchsbaumwänden durch die langen Alleen mit perspektivischen Aussichten gemessen dahinschritten, als wüchse ihm langsam ein Haarbeutel im Nacken und ein Stahldegen zwischen den Rockschößen heraus, und er ginge immer tiefer und tiefer in jene gute, alte, wunderliche Zeit hinein, wie er sie aus Büchern und Bildern wohl noch kannte. Dazwischen machten ihn die dunklen, funkelnden Augen Fiamettas recht innerlichst vernügt, und so kam er selbst, eh‘ er’s wußte, immer lustiger in die auserlesenste Galanterie, und es störte die Illusion kaum noch, als sich der Marchese zuletzt ganz unerwartet nach einem seiner entfernten Verwandten in Deutschland, dem Grafen Victor von Hohenstein, erkundigte. Fortunat nannte ihn einen homme de lettres, der sein Siècle machte.

Marchese: Er ist aus einem alten Hause.

Fortunat: Bewohnt es aber wenig, sondern ist seit geraumer Zeit auf den Parnaß verzogen, wo er sich seine eigenen Luftschlösser baut.

Marchese: Ein barocker Einfall für einen Kavalier.

Fiametta: Ich möchte einmal einen Dichter sehen.

Fortunat: Ihren Augen, meine Gnädigste, kann das nicht schwer werden, wo der Frühling zaubert, muß selbst der nordische Boreas durch die Blumen sprechen.

Fiametta: Haben Sie auch Blumen in Deutschland?

Fortunat mit galantem Blick: So schöne nicht.

Während dieses Diskurses hatten sie sich wieder bis an den Palast herangeschlungen, man schied mit vielen Verbeugungen am Portal unter großem Geschrei der Sperlinge in den zerbröckelten Säulenknäufen. Fortunaten war es, als hätt‘ er in aller Frühe eine Menuett getanzt, im Garten aber sangen die Vögel und rauschten die Bäume wieder, als sprächen sie noch immer von den funkelnden Augen der schönen Marchesin.

Sechzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Die ersten Tage verstrichen Fortunaten wie im Rausche, alles schimmerte vor seiner Seele, er mochte in dem Glanze noch nichts deutlich unterscheiden. Der beste Führer durch Rom und der Plan der Stadt lagen auf dem Tische aufgeschlagen, jeden Morgen ging er mit dem festen Vorsatze aus, seinen regelmäßigen, auf dem Plane im voraus rot punktierten Umlauf zu beginnen, aber eine überraschende Aussicht zog ihn an, ein Bänkelsänger, der einen Kreis von Lumpengesindel um sich versammelte, lenkte ihn von seinem Wege ab und hielt ihn lange auf, oft folgte er durch ganze Straßen ein paar seltsamen Männergestalten, deren römische Nasen und ausdrucksvolle Gebärden ihm eben besonders auffielen, und wenn er dann ermüdet von dem müßigen Umherschlendern zurückkehrte, mußte er sich dennoch eingestehen, daß er in der kurzen Zeit mehr gesehen und erfahren hatte, als sein gedruckter Führer sich träumen ließ.

Auf einem solchen Streifzuge hatte er sich eines Abends in ein entlegenes Labyrinth kleiner Gassen verirrt, die Bewohner saßen plaudernd vor den Türen, schöne, halbnackte Kinder spielten und lärmten in dem Abendschimmer. Da hörte er unerwartet weiterhin ein lautes Gezänk in deutscher Sprache herüberschallen und eilte neugierig dem Haus zu, woher der Lärm kam. Auf einmal sprang die Haustür hastig auf, und ein wohlgekleideter, nicht mehr ganz junger Mann kam so unsanft herausgeflogen, daß er den Hut vom Kopf verlor. »Mein Gott! Du, Grundling!« rief Fortunat überrascht aus – es war der deutsche Reisende, der ihm die Wohnung in dem Palast besorgt hatte. – »Da bist du ja wie gerufen«, sagte dieser ganz ruhig seinen Hut abstaubend, »ich will dich sogleich bei Landsleuten einführen.« Hiermit versuchte er den Drücker der Tür, fand sie aber hinter sich verschlossen. »Hat nichts zu sagen«, meinte er nun, winkte Fortunaten und führte den Erstaunten in das leerstehende Nebenhaus, im Dunkeln vorsichtig tappend, zwischen wüstem Gerülle hindurch. Währenddes hörten sie im Innern nebenan eine männliche und eine weibliche Stimme immerfort lebhaft miteinander zanken. »Das sind nun meine goldene Träume!« rief der Mann. – »Träume?« erwiderte das Mädchen schnippisch, »so zwick dich in die Nase, damit du erwachst, ich glaube, du bist heut wirklich betrunken.« – »Was wußtest du je von der Trunkenheit der göttlichen Kunst!« fiel er ihr wieder ins Wort, »ich Tor, der ich meinte, dich mit emporzuheben! Nun zerrst du mich selbst mit hinab und machst mir die Welt so gemein, daß ich ihr alle meine Farbentöpfe an den Kopf werfen möchte!« – »Nun, einen deiner Pinsel wenigstens hast du schon hinausgeschmissen«, entgegnete das Mädchen lachend. – »Da meint sie mich«, sagte Grundling zu Fortunat, »fideles, genialisches Volk!«

Jetzt öffnete er am Ende eines schmalen, finsteren Ganges eine Hintertür, und sie traten in ein großes, wüstes, von einem Kaminfeuer zweifelhaft erleuchtetes Gemach, wo Fortunat zu nicht geringer Verwunderung in den Zankenden Kordelchen und Guido erkannte. Die erstere saß auf einem Koffer, wo sie Wäsche zu flicken schien. Kaum hatte sie Fortunaten erblickt, als sie, aufspringend, alles wegwarf, ihm mit großer Freude an den Hals flog und ihn tüchtig abküßte. Guido, bleich und verstört, stand schweigend und schien einen Augenblick verlegen. Kordelchen aber erzählte in aller Geschwindigkeit, Herr Grundling, der in Rom bekannt sei wie in seiner eigenen Tasche, habe Guidon in den Bildergalerien und bei allen Malern herumgeführt, vor kurzem seien sie in einem großen, philosophischen Disput über die Kunst zurückgekehrt, da habe Grundling Guidos angefangene Bilder und Zeichnungen getadelt, daraus sei der ganze Spektakel entstanden. – »Wie du alles wieder verdrehst!« fiel ihr Guido heftig ins Wort, »es ist nicht um den Plunder auf meiner Staffelei dort! Vor den übermächtigen, alten Bildern in den Werkstätten unserer frommen, ernsten deutschen Künstler, da tat es plötzlich einen langen Blitz über mein ganzes leben von allen Decken, Wänden herab und verbrannte, was hinter mir lag. Da wußt‘ ich’s auf einmal, wer ich bin, ein weinerlicher, erbärmlicher Wicht, der noch nichts gemalt und erdacht hat!« – Hier brach seine Stimme, er setzte schnell seinen Hut auf und stürzte, ohne jemanden zu begrüßen, trotzig zur Tür hinaus.

»Es ist doch ein schöner Junge, besonders wenn er böse wird«, sagte Kordelchen, ihm nachsehend. Grundling zündete unterdessen an dem Kamin, wo Überbleibsel vom Mittagessen aufgewärmt wurden, gelassen seinen Zigarren an, während Fortunat Guidon nacheilen wollte. Aber Kordelchen vertrat ihm den Weg. »Ich bitte Sie, lieber Baron«, sagte sie, »tun Sie ihm nicht den Gefallen, denn er will doch nur bedauert und widerlegt sein. Je mehr man ihn tröstet und streichelt, je ungebärdiger wird er, wie ein ungezogenes Kind, das sich selbst in die Zunge gebissen hat.«

Sie fing nun, unbekümmert um die Gegenwart der beiden Fremden, vor den Trümmern eines zerbrochenen Spiegels sich schnell zu putzen an, wobei sie Fortunat sehr lustig erzählte, wie sie nach Rom gekommen. Das fröhliche Mädchen, schon früh für die Bühne dressiert, hatte durch ihr Zusammentreffen mit Lothario zum ersten Male in ihrem Leben Lust und Leid in ihrer tieferen Gewalt erfahren, ohne sich weiter ihren Zustand klarzumachen. Als nun aber der unbeständige Freund so plötzlich verschwunden war, wurden ihr Theater, Sorti und alle die alten Gesichter langweilig, und der enthusiastische Guido beredete sie um so leichter, ihn nach Italien zu begleiten, als sie dadurch an Lotharios Untreue sich zu rächen und insgeheim diesen hier wiederzufinden meinte, was sie aber allen verschwieg. Unterwegs hatte sie sich unzählige Male mit Guido entzweit und wieder versöhnt, sie galt für seine Frau, hier in Rom endlich zerstreute sie die neue Welt, und so führte sie gedankenlos ihr gewohntes, leichtfertiges Leben mit einer gewissen Unschuld fort, die dabei nichts Arges hatte. – »Aber wie sind Sie damals in der Schweiz den Lord und den Albert wieder losgeworden?« fragte sie plötzlich Fortunaten. – »Wie!« sagte dieser erstaunt, »so wart ihr es in jener Nacht?! – »Freilich«, erwiderte sie lachend, »ich kannte ihre Einbildung, und ritt und trug mich wie die arme Gräfin, um die irrenden Ritter zu foppen.«

Währenddes machte Grundling dem Mädchen bei ihrer Toilette auf seine schwerfällige Art den Hof, was sie sogleich zu benutzen wußte, indem sie beständig etwas zu kommandieren hatte, bald mußte er ihr ein Tuch holen, bald eine Nadel suchen, dann reichte sie ihm ihr Füßchen hin, um ihr den Schuh festzubinden, was der trockene Schalk mit ungeschickter Umständlichkeit ausführte. Darauf wollte sie ihre Gäste auf nordische Weise mit Tee bewirten, aber da waren die Teelöffel verlegt, die Tassen voll Farbenkleckse, zudem war es schon finster, und je mehr man suchte, je größer wurde die Verwirrung, bis Kordelchen endlich, den Einfall wieder aufgebend, die beiden Männer lustig zu einem Seitenpförtchen hinausschob, um ihnen ihren sogenannten Garten zu zeigen.

So gelangten sie durch das dunkelverbaute Hinterhaus auf einen kleinen, grünen Platz, dessen Aussicht Fortunaten wunderbar überraschte. Denn hinter den Weingeländen und duftigen Gärten, die sich terrassenartig senkten, lag plötzlich die Nacht mit ihren Trümmern und zerbrochenen Säulen wie ein Buch der Vergangenheit unter ihnen aufgeschlagen, dessen Anfangsbuchstaben der Mond rätselhaft vergoldete. Da hörten sie von fern aus den Gärten einzelne Akkorde einer Laute, bald darauf sang eine schöne männliche Stimme:

Jetzt wandr ich erst gern!
Am Fenster nun lauschen
Die Mädchen, es rauschen
Die Brunnen von fern.
Aus schimmernden Büschen
Ihr Plaudern, so lieb,
Erkenn ich dazwischen,
Ich höre mein Lieb!
Der Dichter ins Haus.

Kordelchen, die aufmerksam hinabgelauscht hatte, besann sich nicht lange und antwortete sogleich nach derselben Melodie:

Ich höre mein Lieb,
Beim wechselnden Scheine
Verläßt er die Seine
Und kommt wie ein Dieb.
Es hallt von den Steinen,
Die Wipfel wehn sacht
Und sagen’s der Deinen
Ja, hüt dich bei Nacht!

Der Sänger unten schien es vernommen zu haben, er sang, immer näher und näher kommend, lustig entgegen:

Ja hüt dich! bei Nacht
Pflegt Amor zu wandern,
Ruft leise die andern,
Da schreiten erwacht
Die Götter zur Halle
Ins Freie hinaus,
Es bringt sie dir alle

Die Stimme schien Fortunaten bekannt, da rauschte es in dem nächsten Gebüsch, und mit einem leichten Satze schwang sich der Sänger zwischen dem alten Gemäuer zu ihnen herauf, daß seine Laute an den Zweigen einen fröhlichen Klang gab. – » Otto!« rief Fortunat freudig aus, denn es war niemand anders, als der poetische Student aus Hohenstein. Fast aber hätte er ihn nicht wiedererkannt, so verwandelt, von der Sonne gebräunt und rüstig erschien der Jüngling. Er hatte Fortunats Ankunft schon erfahren, und erzählte ihm nun sogleich voller Entzücken von seiner Reise und dem hiesigen Aufenthalt, er war wie berauscht in den fremden Lüften. Kordelchen neckte ihn mit seinem römischen Liebchen, und Grundling schwor, das sei das schönste Frauenzimmer, das er jemals gesehen, alle Maler stiegen nach, wenn sie, ihr Fruchtkörbchen auf dem Kopfe mit dem einen Arm unterstützend, schlank und zierlich über den Markt ging; einem Landsmann habe sie bei dieser Gelegenheit einmal eine Feige umsonst gereicht, nämlich hinters Ohr.

Während sie noch so sprachen, hörten sie hinter sich im Hause heftig gehen und die Türen zuschlagen. Es war Guido, der, in der ungebärdigsten Laune zurückgekehrt, nach Licht rief und im Finstern mit den Stühlen umherwarf. – »Heraus, du verstörter Poltergeist mit deinem dummen Künstlerunglück!« rief Grundling in das Haus hinein. – »Laßt mich jetzt ungeschoren, das rat‘ ich euch«, erwiderte Guido zornig von innen, »wem sein Himmel über dem Haupte zusammenbrach, dem kommt’s auf ein paar Scherben mehr oder weniger nicht an.« – Hier aber verwickelte er sich unter dem alten Gerümpel des Hausflurs mit den Füßen in umherliegende Schläuche, er zuckte ungeduldig, darüber geriet ein übereinandergeschichteter Turm von leeren Weintonnen und Maler, unaufhaltsam übereinanderkollernd, zum Hause herausgestürzt kamen. Grundling, der sich vorwitzig der Türe genähert hatte, konnte nicht so schnell entspringen, eine Tonne hüpfte ihm zwischen die Beine, er wollte sich an Otton festhalten, erwischte aber nur seine Laute, mit der er krachend niederfiel. Otto schalt auf Grundling, Grundling auf Guido, Guido auf mehrere alte Weiber, die über den Lärm keifend aus allen Dachfenstern herausfuhren. Mitten aus dieser Verwirrung brach endlich das tiefe, weitschallende Lachen Grundlings mit solcher vehementen Herzlichkeit, daß es bald Handelnde und Zuschauer unaufhaltsam mit fortriß.

Diese unerwartete Explosion zerstreute die letzten Wölkchen an dem leicht beweglichen Horizont. Auch Guido hatte darüber seine hochmütige Zerknirschung gänzlich wieder vergessen. Man holte Wein herbei, und Kordelchen forderte Grundlingen auf, da sie sich eben alle wie in der Arche Noah so fröhlich zusammengefunden hätten, bei der schönen, warmen Nacht seine Lebensgeschichte zum besten zu geben, was von den andern mit großem Applaus aufgenommen wurde.

Grundling langte nun aus seinem tiefen Schubsack erst mehrere Stücke eines Pfeifenrohrs hervor, die er umständlich zusammensetzte, und einen ungeheuern Pfeifenkopf vollpfropfte, während er auf einem der umgestürzten Weinfässer Platz nahm. Die andern hatten sich, um dem Qualme des schlechten Tabaks zu entgehen, vorsichtig außer dem Winde um ihn her gesetzt, worauf derselbe endlich folgendermaßen begann:

»Du wirst dich noch erinnern, Fortunat, wie ich in Heidelberg mich so in die Wissenschaften verbissen hatte, daß ich gar nicht mehr loskommen konnte.« – »Allerdings«, erwiderte Fortunat, »du und dein grüngräulicher Mantel hatten schon mehrere Studentengenerationen überlebt, als ich dort ankam. Du warst ein hartnäckiger Kantianer und standst, noch immerfort nach der Aufklärung hinweisend, wie ein alter Meilenzeiger, den man mitten im Kornfelde vergessen, nachdem Fichte und Schelling längst andere Straßen gezogen hatten. Du verachtetest damals uns Jüngere unsäglich, die wir den neuen Weg eingeschlagen.« – »Nun bei Gott, das tu‘ ich auch jetzt noch«, rief Grundling, indem er dicke Tabakswolken von sich stieß. – »Auf einmal aber warst du in Heidelberg spurlos verschwunden«, sagte Fortunat. »Ein von den Ferien zurückkehrender Student hatte deinen Mantel mitten auf der Heerstraße gefunden, den wir sodann mit einem philosophischen Leichensermon feierlich zur Erde bestattet haben. Wie ging das zu?« – »Das will ich euch wohl berichten«, entgegnete Grundling.

»Es trieb sich dazumal ein schlanker, junger Mensch in Heidelberg herum, den niemand näher kannte, er war nicht Student, nicht Philister, aber verdammt schlau. Das kam mir gleich verdächtig vor, denn ich habe in solchen Stücken eine feine Nase. Ich fühlte dem Patron bei schicklicher Gelegenheit auf den Zahn, da sprach er von Fürsten, Ministern und Bischöfen! – versteht ihr? Bischöfen – mit denen er oft an naher Berührung stände, von Rührung, Stimmung der Seelen usw., aber alles glatt und durcheinandergeschlungen, wie ein Aal. Da schoß mir endlich ganz das Blatt. Ja, liebe Freunde, es war niemand anders als ein geheimer Jesuit, so ein verdammter proselytenmacherischer Emissär! Nun, ihr kennt mich, von Stund‘ an faßt‘ ich den Kerl scharf ins Auge, sann und beobachtete ihn bei Tag und Nacht. Eines Abends sehr spät wandle ich eben in meinem Mantel vor dem Tore so für mich auf und nieder, als ich auf einmal den Emissär sacht und vorsichtig in ein dunkles Gebüsch schlüpfen sehe. Ich, nicht zu faul, lenke sogleich meine Schritte dahin, arbeite mich durch Strauch und Dorn immer tiefer nach, und was erblick‘ ich?! – Unter einer hohen Linde im dämmernden Mondschein steht der Emissär in erhabener Stellung, neben ihm ein sehr junger Mensch, der soeben, die rechte Hand zum Himmel gereckt, einen feierlichen Schwur ablege. Nun halt‘ ich mich nicht länger, ich stürze hervor und donnere den Seelenverkäufer an, daß er sich unterfange, diesen Sitz der Aufklärung mit der pestilenzialischen Finsternis des Mittelalters zu verdüstern et cetera. Unterdes fing auch über meiner Rede ein Hund in der Nähe zu bellen an, einige Personen bewegten sich von fern zwischen den Bäumen, die Überraschten wurden immer verlegener, ich fuhr in meinen Ermahnungen immer nachdrücklicher fort. Aber was geschieht? Der Kerl von Jesuit packt mich auf einmal von hinten, der andere an die Füßen, daß ich die Balance verliere, so werfen sie mich in eine verfluchte Kalesche am Gebüsch, die ich vorher gar nicht bemerkt hatte, schwingen sich mit herauf, der Kutscher peitscht in die Pferde, und fort geht es über Stock und Stein in die finstere Nacht hinein. – Als ich wieder zu mir selbst kam, fand ich mit Vergnügen, daß meine Pfeife in der Konfusion nicht ausgegangen war, auch hatte ich den Tag über viel gesessen, etwas Motion konnte nicht schaden, die Nacht war schön, kein Mensch oder Dorf in der Runde – so dacht‘ ich denn: laß sie fahren! Und setzte meine Ermahnungen ruhig wieder fort. Aber es dauerte nicht lange, so war der junge Proselyt darüber eingeschlafen. Der Jesuit dagegen, wie es die Art dieses schlauen Ordens ist, wich mir mit sophistischen Redensarten bald rechts, bald links aus, dann zog er eine Flasche guten, schweren Weines aus der Wagentasche und trank mir zu. Ich kam immer mehr ins Feuer, wir disputierten und tranken, ich verbreitete mich ausführlich über Aufklärung, Mönchtum, dicke Finsternis et cetera, aber Gott weiß, wie das zuging, es war mir, wie ich so fortsprach, als schritt‘ ich in der Rage unserem Säkulum um einige Jahrhunderte so unaufhaltsam vor, daß ich meine Gedanken gar nicht mehr halten konnte, vergeblich blickte ich unverwandt auf den dreieckigen Hut des Kutschers vor mir, Bäume und Dörfer und Wälder und Gedanken flogen und verwickelten sich mir im Mondschein durcheinander, nur manchmal hört‘ ich noch den Jesuiten dazwischen schnarchen, bis mir zuletzt selbst alle Sinne vergingen. – Als ich wieder aufwachte, war der Jesuit und Proselyt und Wagen und alles fort, und ich liege rücklings auf einem Rasenkanapee an der Chaussee in der angenehmsten Morgenkühle. Aber wie lieg‘ ich da! In einem kompletten Jesuiterroquelaure mit unzähligen Knöpfen vom Kinn bis an die Fußspitzen und ein kleines, schwarzes Barett auf dem Haupt!«

Hier brachen sämtliche Zuhörer in ein lautes Gelächter aus, nachdem Kordelchen schon während der ganzen Erzählung öfters heimlich gekichert hatte. »Dummes Zeug!« rief Grundling ärgerlich und stürzte zwei Gläser Wein hintereinander aus, »was ist da zu lachen? Das war kein Spaß. Vom Felde glotzten mich ein paar Bauern groß an, ich schämte mich in dem Aufzuge, als ob ich nackt wäre, und sprang geschwind ins Gebüsch. Aber die Bauern, wie sie das sehen, fangen an zu schreien, und hurra hinter mir drein! Ich springe und schlüpfe und duck‘ mich in Gräben, an Zäunen, laufe in der Verwirrung gerade ins Dorf hinein, verwickle mich mit dem langen Roquelaure im Gesträuch, da fahren euch Hunde, Kinder und Weiber aus allen Löchern, und alles schreit Mordio. – So brachten sie mich ganz atemlos zum Pastor. Da hatt‘ ich nun gut reden, daß ich kein Jesuit, sondern eigentlich ein Philosoph sei, je mehr ich von Aufklärung sprach und auf die Jesuiten schimpfte, je schlauer und verdächtiger lächelte der Pastor dazu. Endlich gab er zu essen, ich hatte einen erstaunlichen Appetit. Über der Mahlzeit hör‘ ich draußen ein Pferd schnauben und scharren, der Pastor geht hinaus, ich vernehme eine feine Silberstimme, die sich voller Verwunderung und sehr eifrig nach mir erkundigt. Als ich ans Fenster trete, erblick‘ ich unter den alten Linden vor dem Pfarrhause ein hohes, schlankes Frauenzimmer zu Pferde, im Jagdhabit mit nickenden Federn auf dem Haupt. Sie ritt soeben wieder fort, ich konnte ihr Gesicht nicht mehr sehen, aber sie machte von hinten einen recht majestätischen Eindruck auf meine Sinne. – Nun kam und ging der Pastror wieder hin und her und hatte immerfort das fatale Lächeln im Gesicht, ich merkte, daß Boten abgeschickt wurden, ich hörte insgeheim vom Gerichtshalter etcetera flüstern, da wurde mir zuletzt angst, und gegen Abend schlüpfte ich unvermerkt durchs Hinterpörtchen, um die Nacht über nach Heidelberg fortzuwandern. Wie ich aber so vor dem Dorfe am Schloßpark vorüberziehe, hör‘ ich drin dieselbe Silberstimme sehr angenehm zur Laute singen. Das ficht mich an, ich trete in den Park, immer dreister und weiter – es war richtig die Reiterin. Sie hatte mich schon erblickt. – »O meine Ahnung! Wußt‘ ich’s doch, daß du kommen würdest, frommer Vater«, sagte sie, zu mir tretend. Nun hätte das doch mit dem Teufel zugehen müssen, wenn ich ihr Vater hätte sein sollen, denn sie war älter als ich und häßlich, lang und vertrocknet. Sie erzählte mir nun in der Geschwindigkeit, daß sie Schriftstellerin sei unter dem Namen Blancheflour, ich würde ihre Schriften wohl kennen, sie habe diesen wichtigen Moment in ihres Herzens Herzen längst ersehnt. – »Aber was wollen Sie denn eigentlich?« fragte ich ganz verblüfft. – »Nun mein Gott! katolisch werden! Aber du kennst wohl meine geistlichen Hymnen noch nicht, ehrwürdiger Vater?« – Und nun fing sie, eh‘ ich’s mir versah, wütend zu deklamieren an, bei jedem Vers trat sie in der Verzückung einen Schritt näher, ich einen Schritt zurück, bis an eine Laube, wo ich geschwind entwischen will. Da brechen auf einmal zwei junge Leute aus dem Buschwerk und gerade auf mich los; es war der Bruder des Fräuleins und sein akademischer Freund, ein durchreisender englischer Lord. Der Lord, der uns für verliebt hält, nimmt sich sogleich der verfolgten Unschuld der Jungfrau an, es werden Hieber angeschleppt, und ich muß mich auf der Stelle mit ihm duellieren. Ihr wißt, ich führte eine gute Klinge, der Lord ebenfalls, wir konnten einander nichts anhaben. Nun ging’s drauf, – das Fräulein lag in Ohnmacht – Schlenkerpriemen und Schulterquarten, daß ich mein Barett vom Kopf verlor. »Nur noch einen Gang!« rief der Lord entzückt aus – meinetwegen! – und wieder einen und noch einen! – Darüber wird mir endlich der Lord ganz gewogen, wirft den Hieber weg und embrassiert mich. – Nun fand sich’s, daß er auch ein heller, philosophischer Kopf, und ebenso erpicht auf Menschenbildung war als ich. Ich mußte mit ihm aufs Schloß, da hatte er alle Koffer foll neuer Konstitutionen, die er bei den verschiedenen Nationen anbringen wollte. Wir disputieren zusammen die ganze Nacht, wir werden ein Herz und ein Sinn, trinken Brüderschaft, und er proponiert mir, mit ihm zu reisen. Das Fräulein behandelte mich nun schnöde und verächtlich. Aber ich fragte nichts darnach, am folgenden Morgen saß ich mit dem Lord auf dem Wagen, und wir fuhren durch die Schweiz über Rom, Neapel, zwischen Kalabrien und Sizilien durch «

Halt! halt ein!« riefen hier die andern lachend dazwischen, »dein Lebenslauf kommt auf einmal so verteufelt ins Stürzen, daß einem ordentlich der Wind am Hute pfeift.«

»Was da halt!« erwiderte Grundling, trinkend und wieder einschenkend. »Aber in Spanien ging’s uns kurios. Das ist ein verteufelt hitziges Land, kaum hat man dort das Samenkorn der Weisheit in den Boden gelegt, so schießt’s einem auch schon gleich unter den Beinen empor, Disteln und Unkraut, da ist kein Halten mehr, und eh‘ man sich’s versieht, ist einem in dem verrückten Klima die ganze Vegetation über den Kopf gewachsen wie eine ungeheure Pelzmütze. Das haben wir dazumal wohl erfahren. Wir hatten uns durch Prozessionen, an Klöstern und Feudalsitzen vorüber, schon ziemlich tief ins Land hineingeärgert und ritten eines Abends soeben dem Gebirge zu, als sich ein paar wackere Burschen zu uns gesellten. Wem’s Ernst ist, der feiert nicht gern. Wir knüpften sogleich ein Gespräch aus dem Gebiet der praktischen Philosophie mit ihnen an, bald holten wir noch ein paar Wanderer ein und wieder ein paar, bis wir zuletzt am Fuße des Berges auf einen großen, hellen Haufen stießen. Ich besinne mich nicht lange und haranguiere das Volk. Ich sprach vom Aberglauben, von der Freiheit des Willens et cetera, ich kam immer mehr ins Feuer mit donnernder Stimme und zuckenden Gedankenblitzen, das zündet gleich rechts und links, die Kerls jauchzen, schreien Bravi und wieder Bravi, und eh‘ man die Hand umdreht, mitten in der Rede, heben sie mit Piken und Stangen ein altes, abgebrochenes Zelt hoch über ihre Köpfe, schwingen vor Entzücken mich und den Lord auf den Baldachin hinauf und tragen uns so im Triumph auf ein altes, adeliges Schloß zu. Da war’s doch nicht anders, als wollten sie mit unseren Köpfen die Mauern einrennen, denn in der Begeisterung fragten sie den Teufel darnach, daß das Schloßtor viel zu niedrig war für unseren Baldachin. Zum Glück erblickt‘ ich nebst dem Lord noch zu rechter Zeit einen Balkon gerade vor uns über dem Tore, wir erfaßten schnell das Geländer, die Kerls schritten wie toll unter uns weg, und so blieben wir draußen am Balkon hängen mit den Beinen in der Luft. Jetzt aber entstand unter uns ein Spektakel, ein Gedränge und Gewürge – denn die Kerls waren Guerillas – die vom Schloß fielen aus, die Guerillas ein – zwischen unseren Beinen hindurch flogen die Kugeln immerfort hin und her, der Lord verwünschte unsere Philosophie, worüber wir noch heftig aneinandergerieten. Wie wir nun so bedenklich hängen und streiten, stürzt plötzlich oben im prächtigen Mondschein zwischen blühenden Pomeranzenbäumen das Schloßfräulein auf den Balkon heraus, dunkle Locken, Alabasterhals und -busen und eine Laute im Schwanenarm. Die sieht mich penetrant an und bleibt wie verzaubert stehen, sie sieht mich noch einmal an – und: »O mein Traum!« ruft sie und läßt die Laute fallen. Darauf, schnell wieder gefaßt, erwischt sie mich hinten beim Kragen und hilft erst mir, dann dem Lord rasch übers Geländer auf den Balkon, in das Pomeranzengemach hinein. Jetzt aber war guter Rat teuer; ich unbewaffnet, kein Schwert in der Nähe, und von unten heult das Gedrossel, wie ein versessener Sturmwind, durch das alte Haus immer höher und näher herauf. Der Lord wirft sich noch geschwind an den Sekretär des Fräuleins hin, schreibt sein Testament und setzt mich zu seinem Universalerben ein. Unterdes aber – ihr kennt die südliche Glut – verliebt sich die Prinzessin«

»Prinzessin!« rief Fortunat, »du nanntest die eben noch schlechtweg vorhin Fräulein!«

»Verliebt sich die Prinzessin«, fuhr Grundling immer schneller redend und trinkend fort, »immer heftiger in mich, und erzählte mir, wie sie mich schon früher einmal im Traume gesehen, mit Uniform und dreieckigem Hut durchs Morgenrot auf Wolken schwebend, et cetera. Jetzt war auch der Lord mit dem Petschieren des Testaments fertig, die Prinzessin wollte uns aus dem Schlachtgetümmel heimlich salvieren, wir retirierten durch Kammern und lange Gänge unaufhaltsam immer höher hinauf, wobei uns noch der eigensinnige Lord gefährlich wurde, der niemals seine prallen, hirschledernen Hosen ablegen mochte, die nun in dem Mondschein von weitem leuchteten. So kamen wir endlich auf das flache Schloßdach hinaus, da standen wieder blühende Granaten und Limonien, in der Mitte plätscherte eine Wasserkunst sehr angenehm, in der Goldfischchen bei dem klaren Mondschein lustig hin und her fuhren. Aber da war nicht lange Zeit zur Ergötzlichkeit. Unter uns der Kriegslärm, vor uns der nächtliche Abgrund, dazwischen die schöne Herzogin mit der südlichen Glut immer dicht hinter mir drein: ich soll katholisch werden und sie heiraten, oder ich und sie müßten auf der der Stelle sterben! Ich aber kann mich in der Konfusion nicht resolvieren, da zieht sie einen unvernünftig langen Dolch aus dem Gürtel, preßt mich mit dem linken Arm fest an ihre Brust, holt mit dem rechten hinter meinem Rücken aus und will mich und sich zugleich durch und durch stechen. In demselben Augenblicke platzt die Falltür neben uns mit einem ungeheuren Knall, daß die Stücke meilenweit auseinanderfliegen. Sie hatten schon lange darunter gestemmt, und nun, wie wenn ein Champagnerstöpsel unverhofft losgeht, kamen auf einmal Guerillas, Schloßsoldaten und Alguazils, die einen mit den Ellbogen, die andern mit den Stiefeln voraus, mit unglaublicher Vehemenz aus dem Loche senkrecht emporflogen, und sowie einer auf das Dach wieder niederfiel, fuhr er seinem Nachbar gleich wieder in die Haare, so verbissen waren sie untereinander. Die verliebte Königin, da sie nun alles verloren sieht, faßt mich beim Arme und rasch mit mir fort an den Rand der Zinne; aber ihr wißt, ich hielt niemals viel auf Kleider, mein ganzer Ärmel läßt oben in der Naht los, und die Königin stürzt sich mit meinem Ärmel in den Abgrund hinab, in der Luft noch: »Don Grundlinghio!« rufend. – Unterdes bekommt mein Lord plötzlich seinen englischen Spleen. Eh‘ ich’s mich versehe, duckt er sich kopfüber in das Bassin der Wasserkunst. Das war nun aber so klein und seicht, daß ihm die Lederhosen oben trocken heraushingen. Ich schreie, die gestörten Goldfische stoßen wütend auf seinen Backenbart, alles umsonst! Er stampft und stopft sich selber immer tiefer hinein und ersäuft sich so mit aller Gewalt. Es war ein kritischer Moment, Feinde ringsum, ich ziehe schnell mein Schwert und mähe mich von Etage zu Etage hinunter, ein umgefallener Alguazil beißt mich in dem Gemetzel in die Wade, ich spick‘ ihn fest an den Boden.

»Aber was Teufel!« fuhr Grundling hier plötzlich mit sichtbarem Schrecken von seinem Sitze auf, »stehen denn die Toten wieder auf? Da geht wahrhaftig der Lord vorüber!« – Und in der Tat, durch die offenen Türen des Hauses sah man draußen auf der Gasse beim hellsten Mondschein die gelben Lederhosen eines rasch vorübergehenden Mannes schimmern. Überrascht sprangen nun auch die andern auf, denn sie glaubten in der Figur ihren langen Lord vom fürstlichen Hofe wiederzuerkennen. Eine schlanke Mädchengestalt, mit welcher die Eile des Fremden vielleicht in einigem Zusammenhang stehen mochte, schlüpfte unterdes, noch einmal zurückblickend, schnell um die dunkle Straßenecke. Grundling aber hatte den Engländer schon erreicht, und sie sahen nun beide in der Dämmerung wie zwei Schatten im Reiche der Toten dahinschweben.

»Laßt die Phantasten laufen!« sagte Kordelchen in der Haustür. »Wißt ihr denn nun aber auch, wer den Grundling eigentlich aus Heidelberg fortgeschafft hat? Der vermeintliche Proselytenknabe war ich selbst, und der sogenannte Jesuit niemand anders als ein junger Schauspieler, der mich damals heimlich von Heidelberg entführte. Wir mußten wohl den tollen Kauz über Hals und Kopf mit auf den Wagen packen, wenn er mit seinem Lärm nicht alles verraten sollte; mein Freund hatte in seiner kleinen Theatergarderobe zufällig eine Jesuitenkleidung, in die wir dann den Trunkenen hineinknöpften und des Nachts auf der Landstraße wieder aussetzten.« – »Nun wahrlich«, rief Fortunat lachend aus, »das ist ja ein wahrer Sturmbeutel voll Lügen!«

Währenddes ruhte Guido, der nach den heftigen Gemütsbewegungen über Grundlings Erzählung eingeschlummert war, draußen im Gärtchen, noch im Schlafe malerisch über einen zertrümmerten Säulenknauf hingestreckt. Otto aber blickte immerfort unverwandt in die Straße hinaus, auch er hatte vorhin jene flüchtige Mädchengestalt bemerkt und schien zerstreut und unruhig. Endlich hielt er sich nicht länger und schlug Fortunaten hastig noch einen Streifzug durch die Stadt vor, was dieser mit Freuden annahm. Kordelchen blickte beide listig an: »Felicissima notte!« sagte sie dann mit einem ganz besonderen, schelmischen Nachdruck, und als sich Otto unwillig darüber zu ihr wandte, war das wilde Mädchen schon im Hause und hatte die Tür laut lachend hinter sich verschlossen.

Sie eilten nun aus dem Gewirre der kleinen, engen Gäßchen ins Freie hinaus, Zithern schwirrten von fern durch die stille Luft, die Straßen waren noch voll Menschen, die fröhlich plaudernd und singend in der erquickenden Kühle auf und nieder schwärmten. Otto war still und schritt in Gedanken immer schneller und schneller, bis sie zuletzt an einen einsamen Platz kamen, wo er sogleich auf ein kleines, unansehnliches Haus zueilte. Er fand die Tür verschlossen und klopfte leise an; es blieb alles still drin, er klopfte noch einmal lauter. Da ließ sich eine überaus anmutige Stimme im Hause vernehmen: »Mein Herr, ich kann den Schlüssel im Dunkeln nicht finden, auch wacht die Mutter noch, aber habt die Güte, rechts die Straße hinabzugehen, dann links um die Ecke, über die Brücke fort, dann wieder rechts, das vierte Gäßchen links hinein, so kommt Ihr in einen kleinen Hof, und wenn Ihr dort nicht auf den Kettenhund stoßt und die Leiter findet, so könnt Ihr mir von dem Dache unseres Hinterhauses noch eine gute Nacht sagen; aber sputet Euch und fallt nicht, denn ich bin schon sehr schläfrig.« Und kaum hatte sie ausgeredet, so hörten sie sie schon, leise lachend, die Treppe hinanspringen. – »Annidi!« rief nun Otto, nun höchst verwundert hinauf. Auf diesen Ton öffnete sich schnell ein Fenster über ihnen, und eine Mädchengestalt von überraschender Schönheit mit rabenschwarzem Haar und Augen erschien im hellsten Mondglanz. »Bist du es!« rief sie erstaunt aus, »ich meinte, es wäre der lange Engländer, der mir vorhin wie auf hohen Stelzen nachkam.« Jetzt bemerkte sie auch Fortunaten, stutzte und war bemüht, ihr loses Halstuch vor dem Fremden rasch in Ordnung zu bringen. Otto hatte sich unterdes auf einen Stein gestellt und reichte so bis ans Fenster. Das Mädchen legte den schönen Arm vertraulich um seinen Nacken, sich hinausbeugend, daß ihre dunklen Locken aufgingen und den Freund von allen Seiten umgaben; dabei sah sie unverwandt Fortunaten an, dem sie nicht recht zu trauen schien. »Nein! Nein!« rief sie endlich, nicht ohne Koketterie ihre Locken wieder aus der Stirn schüttelnd, »was fragt ihr fremden Herren nach dem Ruf eines armen römischen Mädchens! Die Nachbaren wachen noch, und alle Fenster sehen im Mondschein wie glänzende Augen her, gute Nacht!« Hiermit warf sie noch unversehens jedem einen frischen Blumenstrauß ins Gesicht und schloß schnell das Fenster.

Währenddes waren zwei Frauenzimmer, dicht in seidene Mäntel verhüllt, eilig über den Platz gegangen. Fortunaten kam es vor, als hätten sie ihn im Vorüberstreifen scharf und verwundert angesehen. Er hörte sie darauf leise und eifrig miteinander sprechen, die eine sah noch einmal zurück, dann waren beide schnell verschwunden.

»O wie wunderschön sie ist!« rief Otto, noch immer nach dem Fenster schauend, aus und erzählte nun begeistert, wie er sein Liebchen auf einem ländlichen Feste zum ersten Male gesehen, wie sie mit ihren armen Eltern eingezogen, aber fröhlich lebe, wie sie von ihm Deutsch und er von ihr Poesie lerne, weil ihre Gegenwart, gleich der Morgenröte, alles verzaubere und verwandle. So gingen sie langsam durch die verlockende Nacht, die Nachtigallen schlugen aus allen Gärten und zahllose Brunnen rauschten von fern.

Siebenzehntes Kapitel

Siebenzehntes Kapitel

Die Villa des Marchese A. mit ihren kühlen Schatten, hohen, ausländischen Blumen und weißen Marmorbildern lag wie eine Insel in dem Weltgewühl, auf die sich Fortunat einsam verschlagen fühlte. Oft tönte es wunderlich in seine Morgenträume hinein, wie wenn eine Hochzeit in weiter Ferne schwirrend durch eine anmutige Landschaft ginge; wenn er erwachte, erkannte er Fiamettas liebliche Stimme, die treppauf treppab singend, plaudernd und lachend das ganze Haus schon mit fröhlichem Klang erfüllte. Eines Morgens fand er sogar einen frischen, vollen Blumenstrauß auf seinem Tischchen am Bett, er begriff nicht, wie er über Nacht dahin gekommen, und da er der kleinen Marchesin dafür danken wollte, schob sie’s lachend auf ihre Kammerjungfer Lenore, die ihn gestern dort vergessen, aber sie wurde über und über rot dabei. – Einmal kam er spät des Abends von einer Wanderung zurück, als er im Garten noch singen hörte, er meinte Fiamettas Stimme zu erkennen und wollte ihr noch eine gute Nacht sagen. Da war’s ihm, als säh er ihr Figürchen, verstohlen winkend und flüsternd, bald hier, bald dort durch das Gebüsch schimmern, er folgte immer eifriger durch Hecken und Dorn in eine ganz unbekannte Gegend des Gartens hinein, die schadenfrohen Nesseln stichelten auf seine seidenen Strümpfe, Eidechsen schlüpften überall neugierig durch das Gestrüpp. Plötzlich stand er vor einem Gartenhause, die Tür war fest zu, durch die geschlossenen Jalousien aber glaubte er im Mondschein flüchtig zwei frische Augen funkeln zu sehen. Sonst war alles still im ganzen Garten, und beschämt und verdrießlich wanderte er wieder nach dem alten Schlosse zurück. Aber es half ihm nichts, der Morgen kam doch wieder und das liebliche Stimmchen mit ihm wie ein Zaubervolge im Walde, der ihn neckend immer tiefer in das grüne Labyrinth verlockte, von dem kein Ende abzusehen war.

So waren mehere Wochen vergangen, Fortunat hatte, um sich alle Liebestorheit aus dem Sinn zu schlagen, sich endlich mit einer Art von Wut auf die Sehenswürdigkeiten der Stadt geworfen, mancherlei Studien und Ausflüge in die Umgegend gemacht und darüber seine deutschen Freunde fast ganz vernachlässigt. Er freute sich daher recht, als eines Tages Otto unerwartet gegen Abend zu ihm ins Zimmer trat, und bestürmte ihn sogleich mit Fragen nach Hohenstein, dessen grüne Stille mit allen ihren geliebten Personen ihm bei des Studenten Anblick wieder einmal ganz lebendig wurde. Aber zu seiner Verwunderung beantwortete Otto alles nur obenhin, ausweichend und beinahe verlegen. Dagegen schien ihn irgendeine gegenwärtige große Freude zu drängen, seinem Herzen Luft zu machen. Gegen seine sonstige zurückhaltende Gewohnheit teilte er unaufgefordert mehrere soeben vollendete Gedichte mit, sprach voll fröhlicher Zuversicht von seinen Plänen zu künftigen großen Arbeiten und entwickelte einen solchen bunten Reichtum der Seele, daß Fortunat wie in ein Kaleidoskop hineinzusehen glaubte.

Draußen wehte es unterdes schon wieder kühl über die Stadt, sie machten noch einen Gang ins Freie und Otto, sein Gespäch leidenschaftlich fortsetzend, führte den Freund zwischen kleinen Häusern und Weinbergen unvermerkt in eine schöne, abgelegene Gegend hinaus, die Fortunat noch nicht kannte. Garten stieß an Garten, ein unübersehbares, blühendes Paradies mit zierlichen Villen und Balkonen, auf denen manche schlanke Gestalt zwischen den Wipfeln erschien, alles von der untergehenden Sonne zauberhaft durchblitzt und beleuchtet. – »Wenn ich jemals aus diesem Glanze wieder in die dumpfe Enge meines deutschen Gebirgsstädtchens zurück müßte, wo sie jetzt wohl vor den Türen unter ihren hölzernen Lauben sitzen, die Hände vor Kälte fest eingewickelt, und nichts vernehmen als das Glöcklein der Bergleute und den Schlag des Eisenhammers von fern, und die Berge sehen von allen Seiten finster auf den stillen Markt herein, und der feuchte Wind schlägt den Kohlenrauch nieder und verhüllt alles wie ein Grab – mich schauert ordentlich bei dem Gedanken!« – »Hüt dich wohl«, entgegnete Fortunat, »es ist ein wunderbares Lied in dem Waldesrauschen unserer heimatlichen Berge; wo du auch seiest, es findet dich doch einmal wieder, und wär‘ es durchs offene Fenster im Traum, keinen Dichter noch ließ seine Heimat los.« – Otto schwieg nachsinnend – es war heut fast etwas Freudeverstörtes in seinem ganzen Wesen.

Auf einmal bog er rasch mitten in das Blütenmeer von Gärten hinein. Sie kamen an ein kleines, aber wohlgebautes, reinliches Haus, von Efeu, Weinlaub und blühenden Bäumen reizend überwachsen und verdeckt; die Tauben, die sich auf dem Dache in der Abendsonne spiegelten, die offenstehenden Fenster und Türen, wo bunte Schmetterlinge flimmernd ein und aus flatterten, alles gab ein wunderliches Bild südlicher Häuslichkeit. Otto führte seinen Begleiter ohne weiteres gerade durch das Haus in ein dahinter gelegenes einsames Gärtchen, umgeben von Nachbargärten, die von allen Seiten blühend hereinhingen und jede Aussicht verschlossen.

»Wo sind wir denn hier?« fragte endlich Fortunat erstaunt. Indem aber erschien ein Mädchen in der Haustür, er erkannte sogleich die schöne Annidi wieder. Sie begrüßte ihn etwas verwirrt und beschämt, dann trat sie unter eine Weinlaube und begann aus ihrem Handkörbchen einen Tisch reinlich zu decken, Gläser und Teller aufzustellen. Draußen im Nachbargarten hörten sie einen Knaben fröhlich singen:

Es sang ein Vöglein hier jedes Jahr:
Wie schön das Kränzlein im dunklen Haar!
Heuer ist’s Vöglein nicht wiederkommen;
Wer hat dir das schöne Kränzlein genommen?

Nun hielt sich Otto nicht länger, es kam alles heraus: daß Annidis Eltern seine Besuche ohne bestimmte Erklärung nicht weiter dulden wollten, daß er seit einigen Tagen mit dem Mädchen verheiratet und sich nun samt den Ihrigen hier eingenistet habe. Fortunat erschrak über diese ganz unerwartete Entdeckung und überdachte schnell die wunderlichen Folgen, die diese Übereilung für Otto herbeiführen mußte. Doch wurde er bald durch die liebliche Erscheinung der jungen Frau wieder beschwichtigt, die sich, ihrer neuen Lage noch ungewohnt, fortwährend mehr zierlich dienend als mitgenießend erwies, als sie sich nun fröhlich unter der Laube um den Tisch setzten. Auch ihre Eltern gesellten sich jetzt zu ihnen, zu Fortunats heimlichem Unbehagen, den die gewöhnlichen, welsch gekniffenen Gesichter störten. Sie mischten sich öfters ungeschickt mit in das Gespräch, redeten viel von guter Wirtschaft und dem nötigen Fleiße ihres Schwiegersohnes im Büchermachen, und Fortunat konnte wohl bemerken, daß sie ihn selbst als einen Zeitverderber und zweideutigen Kameraden Ottos scheel ansahen. – Unbekümmert saß und schmauste unterdes das glückliche Ehepaar, Annidi auf einem Fußbänkchen mit beiden Armen auf Ottos Knie gestützt und die gebratenen Kastanien ausschälend, die sie jede zur Hälfte miteinander teilten. Der Mond schimmerte schon durch das Weinlaub, Otto war seligstill, die junge Frau überaus schön, drüben sang der Knabe wieder:

»Wer hat dir das Kränzlein genommen?«

Fortunaten aber überwältigte mitten in dieser Stille eine unwiderstehliche Wehmut, als sei Otto nun hier in der Fremde märchenhaft verzaubert. Es wollte ihm das Herz zersprengen, er schützte ein dringendes Geschäft vor, ergriff schnell seinen Hut und nahm tief gerührt Abschied von dem Freunde, wie von einem Verstorbenen. Als er zurückblickte, standen Otto und Annidi noch in der Haustür. Glühwürmchen schwärmten leuchtend durch das Rebengelände, er sah von der schönen Frau nur noch die glänzenden Augen und Schultern, Otto erschien todbleich im Mondschein.

In wirren Gedanken war Fortunat hastig nach Hause geeilt. Der Mond schien prächtig über den alten Garten, er lauschte, ob er Fiametta nicht wieder singen hörte, doch alles blieb still. Als er aber um den Pfeiler des Schlosses trat, fuhr er heftig zusammen, denn in einer der Alleen glaubte er plötzlich sich selber zu erblicken. Unverwandt starrte er hin, die Gestalt zeigte sich noch einmal im hellsten Mondlicht, es war seine Kleidung, sein Gang, seine Haltung, und doch schien es wieder ein ganz fremder junger Mann. Jetzt blieb der Unbekannte lauernd hinter einer Hecke stehen. Da kam auf einmal Fiametta aus dem Gebüsch hervorgesprungen, besah ihn lachend rundum, dann gingen sie Arm in Arm tiefer in den Garten hinein. Mitten im fröhlichen Plaudern aber schienen sie plötzlich Fortunats Schatten auf dem Rasen zu bemerken, er sah sie erschrocken entfliehen, und bald war die ganze Erscheinung im Dunkel wieder verschwunden.

Fortunat aber hatte sich im Schloß gewandt und ging heftig in seinem Zimmer auf und nieder. »Also diesem galt das Abendliedchen letzthin, o ich Tor!« sagte er mit einem bittern Gefühl, das er sich selbst nicht eingestehen mochte. Es war fest beschlossen, er wollte sogleich morgen weiter nach Neapel reisen, ohne Fiametta noch einmal wiederzusehen. Noch in der Nacht schrieb er sein Vorhaben dem Marchese, der eben auf dem Lande war, und packte, in geheimer Wut lustige deutsche Lieder singend, seinen Koffer. Dabei schwirrten ihm die Worte aus einem alten Liede:

Das Kränzlein ist herausgerissen,
Ganz ohne Scheu sie mich anlacht:
Geh du vorbei: sie wird dich grüßen,
Winkt dir zu einer schönen Nacht.

immerfort durch den Sinn, daß er darüber aus Herzensgrunde hätte weinen mögen.

Am folgenden Morgen hatte er noch einige weitläufige Gänge, um das nötige Reisegeld zu erheben; so war die Mittagsstunde herangekommen, die Zeit der zauberischen Schwüle, die im Süden alles Lebendige überwältigt. Dennoch wollte er nicht abreisen, ohne vorher noch einen Streifzug durch den Garten zu machen. Da rührte sich jetzt kein Blättchen in der weiten, träumerischen Stille, die Vögel schwiegen, nur einzelne Schlangen sonnten sich ringelnd auf den einsamen Gängen, alle Menschen lagen wie tot. Es war das erstemal, daß er hier zu dieser Stunde wach war, und dieses Schlafen der Natur mit offenen Augen erschreckte ihn gespentisch. Er flüchtete nach einem kühlen Gartenhause, blieb aber überrascht im Eingange stehen, da er Fiametta, gleichfalls schlummernd, drin erblickte. Sie ruhte auf dem rechten Arme, das Gesicht von den losgelösten Locken halbverdeckt, heiter atmend, wie ein schönes Kind. Einige abgebrochene Worte hielten ihn fest. Sie sprach im Schlaf, immer deutlicher und zusammenhängender, aber zu seinem Erstaunen ganz in der ausländischen Weise, wie er selbst das Italienische zu sprechen pflegte. In wunderlichem Dialog hörte er nun, wie er aus ihrem eigenen Munde ihr gestand, daß er sich nur so kalt stelle, daß er sie aber eigentlich herzlich liebe. – Er erschrak, daß sie so aus seiner Seele redete. – Nun lachte sie in sich und entgegnete fröhlich: das wisse sie ja lange schon! – Dann sprach sie leise, immer leiser, als spräch‘ sie ihm ins Ohr, er konnte nichts verstehen, bis sie zuletzt, tief aufseufzend, sich zu regen begann.

Fortunat eilte ganz verwirrt nach dem Schlosse zurück, schon rührte sich’s wieder in allen Straßen, der Postillon draußen mahnte zur Abreise, er warf sich schweigend in den Wagen, und das lieblichste Rätsel, das er nicht zu lösen wußte, erfüllte seine ganze Seele.

Achzehntes Kapitel

Achzehntes Kapitel

Mehrere Monate sind seitdem verflossen, die Sonne glüht auf den Quadern der öden Paläste, und die Reichen sind längst auf ihre Villen geflüchtet, denn auf den Trümmern der alten Stadt sitzt die Aera cattiva schon wie ein verhülltes Gespenst, Fieber und Wahnsinn brütend. Wie ist Ottos Einsiedelei seitdem so seltsam verwildert! Die Ranken an der Haustür wuchern bis über das Dach hinaus, in dem Gärtchen hat üppiges Unkraut, in roten und gelben Blüten brennend, Beete und Gänge verschlungen. – Da kehrte Otto eines Tages ermüdet von einem weiten Spaziergang zurück, er fand im Hause alles ausgeflogen, nur die Bienen summten einförmig in dem stillen Garten, er fühlte sich unbeschreiblich verlassen, Hausflur, Stuben und Bäume kamen ihm in der ungewohnten Einsamkeit auf einmal so fremd vor, daß er erschrak. Er ging einigemal im Garten auf und nieder, dann setzte er sich zwischen den tief herabhängenden Zweigen an den Tisch und schrieb folgende Zeilen:

Die Nachtigall schweigt, sie hat ihr Nest gefunden,
Träg ziehn die Quellen, die so kühle sprangen,
In trüber Schwüle liegt die Welt gefangen,
So hat den Lenz der Sommer überwunden.
Noch nie hat es die Brust so tief empfunden,
Mir war’s, als ob viel Stimmen heimlich sangen:
Auch dein Lenz, froher Sänger, ist vergangen,
Auf welkem Laub nun liegst du selbst gebunden.
O komm, Geliebte, komm zu mir zurücke!
Daß ich in deinen Augen wieder lesen
Mein Hoffen kann, mein Singen und mein Lieben!
Doch weh! wie fremd sind plötzlich deine Blicke,
Als wärst du’s, die ich meinte, nie gewesen –
Wie einsam bin ich in der Welt geblieben.
Mein Weib schwärmt beständig,
Und Deutschland liegt so weit,
Das Dichten geht elendig
In meiner Einsamkeit.
Ich dehne alle Glieder
Aus dieser schwülen Gruft,
O Herr, gib Frühling wieder,
Luft, frische, freie Luft!

Als er von dem Blatt aufsah, hörte er draußen Vorübergehende reden in der fremden Sprache, aber ein Vogel über ihm sang wie ehemals in Hohenstein – er drückte die Stirn über beide Arme auf den Tisch und weinte aus Herzensgrunde.

Da hörte man plötzlich im Hause eine liebliche Stimme einzelne Klänge aus Opernarien theatralisch anschlagen. Eine junge Dame in reicher, eleganter Kleidung trat in den Garten und hob den seidenen Hut vom Köpfchen, die reichen Locken ringelten über den schönen, vollen Nacken hinab – es war Annidi, wie war sie seitdem so prächtig geworden! Sie warf ihre Handschuh der dienstfertig herbeieilenden Mutter nachlässig zu, während ihr Vater, der sie als Bedienter begleitet zu haben schien, im Hause Schal und Sonnenschirm niederlegte. »Der Graf Archimbaldi läßt dich grüßen«, sagte sie zu Otto, »aber die ganze Noblesse wundert sich, lieber Mann, daß du so menschenscheu bist und immerfort studierst, der lustige Duca sagte: Weisheit mache weiße Köpfe. Auch die junge Malerfrau war heute dort, mein Gott, wie war die angezogen! Der junge Mensch flüsterte mir heimlich ins Ohr, sie sei wahrscheinlich, erst halb schraffiert und grundiert, ihrem Pinsel von Mann entlaufen.«

Hier brach sie plötzlich erschrocken ab, da Otto endlich aufsah und ihr das bleiche, wüste Gesicht zuwandte. Sie hielt ihn für krank, sie ließ es sich nicht ausreden. Die Mutter mußte sogleich nach der Küche laufen, es wurde Tee gekocht, herzstärkende Tropfen geholt und Kräuter gestampft mit großem Geräusch. – »Mir geschieht schon recht«, rief Otto mit schneidender Bitterkeit aus, »ihr habt ganz recht, mit den Fingern nach mir zu weisen. Doch ich will einen Strich durch die Rechnung meines Lebens machen, o ja, ich will ja auch lustig sein, daß mir das Herz zerspringt!« – Aber wie es in solchen fällen wohl geht, Annidi hatte ihn ganz mißverstanden. – »Wahrhaftig«, – sagte sie, vertraulich näher tretend – »Du magerst mir ganz ab bei dem Leben, und ich wollt‘ es dir schon lange einmal sagen: so fleißig wie du bist, es kann dir ja doch am Ende einerlei sein, was du schreibst. Da ist der junge Schreiber uns gegenüber, du schreibst eine bessere Hand als er, das sagen alle, und was verdient der, wie lebt der gegen uns!«

Da kam die Mutter mit dem Tee, Otto wies sie so heftig von sich, daß Kanne und Tassen übereinanderstürzten. »Das kommt von dem ewigen Sitzen und Brüten«, sagte der erstaunte Vater in der Haustür. – »Ja, und jede Henne brütet doch mehr aus fürs Haus als er«, brummte die Mutter. Otto aber, um nur aus alle dem Plunder herauszukommen, war schon aus dem Garten und Hause fort und schweifte, so müde er war, in der Abendkühle durch die Gassen und dunkelnden Felder, bis die Nacht völlig hereinbrach.

Als er zurückkehrte, war schon alles still im Hause, es ärgerte ihn heimlich, daß Annidi nicht besorgter war um ihn. Er fand sie droben eingeschlafen, der Mondschein machte ihre Züge so mild, ach, und sie war so schön! Da blickte er durchs offene Fenster über die Dächer in die mondbeglänzten Abgründe der Stadt hinab, einzelne Wolken flogen darüber nach seiner fernen Heimat zu. – »Wunderbar«, sagte er zu sich selbst, »schon in meiner Kindheit, wie oft bei stiller Nacht im Traume hört‘ ich der fernen Roma Glocken schallen, und nun, da ich hier bin, hör‘ ich sie wie damals wieder aus weiter, weiter Ferne, als gäb‘ es noch eine andere Roma weit hinter diesen dunkelen Hügeln.«

In dieser Zeit traf es sich, daß in der Nähe von Rom auf dem Lande eine Kirchweihe gefeiert wurde. Annidi dünkte sich zu vornehm, um an dem Feste teilzunehmen. Otto aber, den es heimlich verdroß, warf einmal alle Papiere und Bücher beiseite und eilte hinaus ins Freie. Es war in den ersten linden Herbsttagen, ein warmer Regen hatte die Gegend erfrischt, Otto atmete tief auf, es war ihm, als wanderte er wieder nach Hohenstein. Je tiefer er ins Tal hinabstieg, je belebter wurden allmählich Busch und Felder, bunte Züge von Reitern und Spaziergängern schlangen sich wie Blumenkränze durchs Grün, von den Waldeswiesen schimmerten farbige Zelte, zwischen denen zerstreute Gruppen fröhlich lagerten, während luftige Gestalten im Ballspiel über den Rasen hin und her schwebten. Mitten in dieser Wirrung aber bemerkte Otto einen schlanken Zitherbuben, der auf seinem geschmückten Pferde langsam über die beglänzte Au dahinritt. Ein voller Kranz von frischem Weinlaub umschloß seinen Hut, von dem bunte Bänder in der Abendluft flatterten, von Zeit zu Zeit gab er einen vollen Klang auf der Zither. – Otto folgte der zierlichen Erscheinung, erstaunte aber nicht wenig, als der Knabe auf einmal deutsch zu singen begann:

    Die Lerch, der Frühlingsbote,
Sich in die Lüfte schwingt,
Eine frische Reisenote
Durch Wald und Herz erklingt!

»Mein Gott«, rief Otto sich besinnend aus, »das ist ja das Reiselied, das ich so oft in Deutschland gesungen habe.« – Er trat näher, der Zitherbube sang wieder:

Die Wolken ziehn hernieder,
Die Lerche senkt sich gleich
Gedanken gehn und Lieder
Ins liebe deutsche Reich.

Aber eh‘ ich ihnen selbst nachreite, muß ich vorher trinken, denn ich bin erdurstet«, unterbrach sich hier plötzlich der Knabe, während er vor einer Laube anhielt und lachend von seinem Pferdchen dem Otto fast in die Arme sprang. Dieser erkannte er nun Kordelchen, die ihn schon längst in der Menge hinter sich bemerkt hatte.

Sie zog ihn in die Laube, Guido und ihre anderen Begleiter, sagte sie, kauerten soeben wie Nachteulen in Ruinen und Felsenritzen, um zu zeichnen, überdies habe sie sich auch mit ihnen verzankt. – »Aber wie siehst du aus!« rief sie dann, Otton genauer betrachtend, »nüchtern und blaugrün, wie eine leere Weinflasche! Das kommt vom Ehestande. Armer Junge! bliebst du mir treu, so wärest du nicht in das Unglück geraten.« – Sie bestellte nun Wein, und sie setzten sich zusammen in die Laube. Otto hatte seit Monaten keinen Bekannten gesehen, nun war ihm nach der langen Einsamkeit wie einem Genesenen, der zum erstenmal wieder in die frische Luft kommt. »Sieh, Kordelchen«, sagte er fröhlich, »gerade in solchen linden Tagen war es auch, als wir uns zum erstenmal in Deutschland sahen.« – »Ganz recht«, erwiderte sie mit leuchtenden Augen, »wir rasteten eben unter einer alten Burg im Grün, da kam er aus dem Walde und sagte, er wollte mit uns ziehen.« – Sie meinte Lotharion, Otto dachte, sie spräche von ihm. »Wahrhaftig«, fuhr er fort, »mir ist heute als käme der Frühling wieder.« »Ach nein, nein«, sagte sie traurig, »der kommt nicht mehr wieder.« – Sie nippte schnell am Weinglas, um die Augen zu verbergen, die von Tränen glänzten, dann wandte sie das schöne, von Locken und Weinlaub verhängte Gesichtchen wieder heiter nach Otto herum. Da bemerkte sie, daß er, auf beiden Armen über den Tisch gelehnt, sie mit einem langen, wirren Blick ansah, den sie gar wohl verstand; sie schien davon überrascht, beugte sich plötzlich vor ihn und sah ihm halb fragend in die Augen. Da hielt er sich nicht länger, er drückte sie mit glühenden Küssen an sich. Sie erwiderte flüchtig den Kuß und sprang dann rasch auf. »Ei Ehemann!« rief sie mit dem Finger drohend, schwang sich behend auf ihr Pferdchen, und war im Augenblick zwischen den Zelten und Büschen verschwunden.

Otto hatte nun den Wein zu bezahlen, die Neige kam ihm jetzt schal vor, da sie die brennendroten Lippen nicht mehr darin kühlte. Draußen aber war unterdes der Abend verklungen und verblüht, nur von den Bergen sah man noch einzelne Leuchtkugeln aufsteigen. Wie im Taumel wanderte er zwischen den Gitarrenklängen, dem Singen und Plaudern der Heimschwärmenden durch die laue Nacht, als mitten in dem Jubel eine dunkle Gestalt an ihm vorüberstreifte, dann aber, plötzlich zurückgewandt, ihm fest ins Auge blickte. Mit Erstaunen sah er den Maler Albert vor sich stehen: ganz bleich, verwildert und abgerissen. – »Mein Gott! Wie kommen Sie nach Rom, und in diesem Zustande?« rief der Überraschte aus. – »Verloren, alles verloren!« erwiderte Albert finster und mit solchem Ausdruck des tiefsten Grams, daß Otton schauderte. »Aber hier belauscht uns der Mond noch, auch er ist falsch in diesem Lande«, fuhr er fort, indem er Ottos Hand faßte und ihn tiefer in den Wald hineinzog. Rasch und unzusammenhängend erfuhr nun Otto, daß sein wunderlicher Landsmann, von heimlich aufschlagenden Freiheitsflammen von neuem auf diesen vulkanischen Boden verlockt, schon seit längerer Zeit hier heimlich mit wenigen Gleichgesinnten seine Kunst, Gut und Leben an eine Tollheit gesetzt, daß aber jetzt alle Pläne gescheitert und er selbst als Carbonaro verfolgt werde. – Der gutmütige Otto bot sogleich alle seine Kräfte, Geld und Verbindungen zur Hülfe an, er wollte den Unglücklichen zunächst in seinem Hause verbergen, bis sich Gelegenheit fände, ihn heimlich aus dem Lande zu schaffen. Aber Albert schüttelte den Kopf, daß ihm die langen, struppigen Haare Augen und Wangen bedeckten. »Nicht um mich handelt sich’s hier«, sagter er, »sondern um die Schmach der Zeit. Horch, wie sie draußen jauchzen und mit den Sklavenketten lustig klingeln – das ist’s, was mir das Herz frißt!« Hier hörte man verworrene Männerstimmen weiter unten im Walde, die sich zu nähern schienen. Albert blickte wild um sich und zog einen Degen unter seinem Mantel hervor. Otto erkannte sogleich das Schwert vom großen Kriegsjahre dreizehn wieder. »Die Sbirren sind mir auf der Spur«, flüsterte er, »eilen Sie fort, es ist gefährlich, die Bahn eines Geschicks zu kreuzen.« Aber Otto war fest entschlossen, lieber das Äußerste zu wagen, als den Verwirrten in dieser Not zu verlassen. Rasch und geräuschlos schritten sie unterdes immer höher ins Gebirge hinauf, Albert hieb sich mit seinem Schwerte Bahn durch das Gestrüpp, aus welchem verstörte Schlangen nach den Steinritzen schlüpften. So waren sie auf einen Felsen gekommen, der schwindelerregend über eine unermeßliche, dämmernde Tiefe hinüberhing. Albert stand am äußersten Rande und wies mit seinem Schwerte schweigend in die Ferne. – »Großer Gott, wie herrlich!« rief Otto überrascht aus – Rom lag da unten still und feierlich im Mondglanz. – Da hörte er auf einmal ein Geräusch, er sah Albert plötzlich wanken, sinken. Der Unglückliche hatte sich mit heidnischer Tugend in sein eignes Schwert gestürzt. – »Grüße das Vaterland – ich sterbe – frei«, sagte er ohne Zeichen des Schmerzes, wehrte die Hand des hinzugesprungenen Otto kräftig ab und glitt, eh‘ ihn dieser wieder fassen konnte, rettungslos in den Abgrund hinab.

Entsetzt beugte sich Otto über die Felsenwand, es war alles still unten, nur der Strom rauschte zornig herauf – da faßte ihn ein unwiderstehliches Grauen, halb bewußtlos schwang er sich von Klippe zu Klippe den Berg hinunter. Im Fliehen bemerkte er seitwärts in dem Abgrunde mehrere dunkle, bewaffnete Gestalten mit Fackeln, die den Toten in ihrer Mitte gräßlich beleuchteten. Nun schlugen hin und wieder Hunde an, einzelne Stimmen wurden in dem Tale wach, der Widerschein der Windlichter spiegelte sich wild im Flusse. Otto wagte nicht mehr zurückzublicken, schauernd flog er über die stillen Felder, durch die leeren Gassen fort zu seiner einsamen Wohnung.

Hier fiel es ihm erst ein, daß er bei den Seinigen hinterlassen, diese Nacht auf dem Lande zubringen zu wollen. Er fand nun die Türen verschlossen, alles im Hause schien längst zu schlafen. Unmutig stieg er daher über den Zaun in den Garten, wo er sich sogleich auf die Bank in der Laube hinwarf. Das leise Rauschen in den Zweigen sang gar bald den Ermüdeten ein. Da träumte ihm, er läge in dem schönen Garten zu Hohenstein und sähe die steinernen Götterbilder vor sich im hellen Mondschein auf den Gängen stehen. Es war, als flüsterten sie in der Stille heimlich untereinander, und als er recht hinsah, regte sich das Venusbild und stieg langsam von dem marmornen Fußgestell herab. Mit Grauen erkannte er seine Annidi, sie kam gerade auf ihn zu, eine Marmorkälte durchdrang plötzlich alle seine Glieder, daß er erschrocken aufwachte. Als er aber noch ganz verwirrt umherblickte, stand wirklich die weiße Gestalt in der Haustür, leise flüsternd nach jemand zurückgewandt, den er nicht sehen konnte. Auf einmal schlug sie einen weiten Mantel auseinander, und Annidi trat aus den Falten hervor. Ein junger, hoher Mann umschlang und küßte sie, dann warf sie ihm lachend den Mantel zu und schlüpfte ins Haus, der Fremde schwang sich rasch über den Garten Zaun – und alles war wieder totenstill.

Otto starrte lange regungslos auf den dunklen Fleck, wo der furchtbare Spuk zerronnen. Darauf stürzte er aus dem Garten in die Nacht hinaus, ohne zu wissen wohin – er hatte ja nun keine Heimat mehr auf Erden! – Die Straßen waren öde, die Wasserkünste im Mondschein, die ihm sonst so bräutlich rauschten, kamen ihm jetzt gespenstisch vor, wie verschleierte Nixen, im Winde sich beugend und neigend, als flüsterten sie heimlich von ihm und seiner Schande. Unwillkürlich hatte er den Weg zu Guidos Wohnung eingeschlagen, er wollte ihn wecken, er mußte in dieser Stunde jemand haben, dem er alles sagte. Zu seinem Erstaunen fand er die Tür nur leicht angelehnt, ein Licht brannte drin. Als er in die Stube trat, sah er Kordelchen auf der Erde knien zwischen Wäsche und Kleidern, die sie eifrig in einen Mantelsack packte. Sie blickte erstaunt, fast erschrocken nach ihm herum. »Was willst du denn jetzt hier?« sagte sie, »Guido ist noch auf dem Lande, und kommt erst in einigen Tagen zurück.« – Otton aber wollte das Herz zerspringen, er warf sich auf das Sofa und brach, sein Gesicht mit beiden Händen bedeckend, in ein unaufhaltsames Weinen aus. Da stutzte Kordelchen, sie ließ alles liegen, setzte sich zu ihm und tröstete und streichelte ihn neugierig und mit herzlicher Teilnahme, bis sie nach und nach sein ganzes Unglück erfahren. Sie hörte alles still und nachdenklich an. Als er aber schwieg, sprang sie plötzlich fröhlich auf. »Wir reisen zusammen!« rief sie aus, »das ist eine langweilige Wirtschaft hier, und ich und Guido, wir paßten eigentlich niemals zusammen. Wenn er sich betrinkt, so ist das genial, wenn er sich verliebt, so ist’s Andacht, und wenn ich ihn darüber auslache, so wird er wütend und will mich durchaus mit sich emporflügeln, wie er’s nennt. Ich hab’s schon seit einigen Wochen beschlossen, ich reise heimlich fort und zurück nach Deutschland, ich habe soeben Geld genug, die Pferde sind bestellt – kurz: wir reisen noch heute!« – Dabei wartete sie gar keine Antwort ab, sondern rumorte und packte inzwischen immer lustig fort, Otto wußte nicht, wie ihm geschah, durch das offene Fenster wehte frische Reiseluft herein, der Morgen dämmerte schon leise über der stillen Stadt.

Wer dem Teufel läßt ein Haar, den faßt er ganz und gar. So brannte der Kuß von gestern noch immer heimlich fort auf Ottos Lippen, über den Trümmern seines Glücks war über Nacht eine üppig blühende Wildnis schimmernder Erinnerungen und Hoffnungen giftig aufgeschossen. – Und als die ersten Streiflichter des Morgens über die Berge flogen und die früherwachten Lerchen noch halbverträumt in den Lüften hingen, da zogen Otto und Kordelchen schon durch die stillen Felder nach Deutschland zu und sahen Rom, wie in einem Feuermeer, langsam hinter sich versinken.

Währenddes war Fortunat in Neapel und Sizilien umhergestreift. In seiner poetischen Behaglichkeit hatte er sich alles aus dem Sinn geschlagen und macht überhaupt aus seiner Liebe gar nichts als ein langes Gedicht in vielen Gesängen und verschiedenen Silbenmaßen, worin ein schönes, schlankes italienisches Mädchen die Hauptfigur spielte. Da begab sich’s aber, daß er im Schreiben sich nach und nach in diese Figur selbst verliebte, und je verliebter er wurde, je ähnlicher wurde sie unvermerkt der kleinen Marchesin, als ob Fiametta oft plötzlich zwischen den Blütengewinden der Verse hervorguckte und, ihn auslachend, ausrief: »Siehst du, ich hab‘ dich doch!« – Ja, als er in Sizilien eines Abends auf einem hohen, senkrechten Felsen über dem Meere eingeschlummert war, träumte ihm, die blaue Flut teile sich leise, und mit langem, grünem Haar und glänzenden Schultern tauche Fiametta unten empor, in irren Tönen wehmütig klagend. – Als er erwachte, war der Mond schon über dem Meere aufgegangen, in der Ferne aber sah er ein Segel schwellend durch die weite Stille nach dem jenseitigen Ufer Italiens hinübergleiten. – Da faßte ihn eine unwiderstehliche Sehnsucht, und schon die folgende Nacht segelt‘ er selber hinüber. Und so geschah es, daß aus demselben Morgenrot, in welchem Rom hinter Otto versank, die Gärten, Trümmer und Kuppeln vor dem glückseligen Fortunat duftig wieder emporsteigen.

Sein erster Gang war zu dem Palast des Marchese, mit klopfendem Herzen betrat er den stillen Hof. Er horchte, ob sich nicht irgendwo Fiamettas heitere Stimme vernehmen ließe, doch alles blieb lautlos, wie ausgestorben. So ging er durch die offene, luftige Säulenhalle in den Garten. Da sangen die Vögel und rauschten die Brunnen noch immer wie damals. Aber an der Hauptallee sah er Wäsche zum Trocknen aufgehängt, einzelne Ziegen weideten ungestört zwischen den verwilderten Blumenbeeten. Endlich glaubte er in einiger Entfernung deutsch reden zu hören. Er ging dem Klange nach und begegnete einem alten, unbekannten, etwas schäbigen Diener. Hastig fragte er nach dem Marchese A. und seiner Tochter. Der Alte sah ihn von oben bis unten an und sagte dann verdrießlich: dieser Palast sei von einem deutschen Kavalier bewohnt. Fortunat war wie im Traum. – Er verlangte nun, den Herrn zu sprechen. Der Bediente wies schweigend nach einer Laube und ging fort, ohne sich weiter um den Gast zu bekümmern.

Hellen Halses aber mußte nun Fortunat auflachen, als er in die bezeichnete Laube trat und in dem deutschen Kavalier unseren Freund Grundling erkannte: in dem geblümten Schlafrock des Marchese auf einem halbzerrissenen damastenen Sofa ausgestreckt, eine lange Tabakspfeife und ein Buch in der Hand, Talglicht, Fidibus und Kaffeekanne vor sich. Der Vielgereiste, an das wechselnde Kommen und Gehen in Rom längst gewöhnt, schien nicht im mindesten erstaunt, Fortunaten wiederzusehen. »Mir ist’s eben recht«, sagte er, »daß der alte Marchese bankerutt gemacht -« »Was! Der Marchese A.?« rief Fortunat höchst überrascht aus.

»Ja, eben recht, sag ich, daß er seinen Palast und Rom verlassen mußte, so konnt‘ ich mich hier in der liederlichen Wirtschaft seiner Gläubiger ziemlich wohlfeil einmieten. – Wenn nur«, fuhr er, seine Pfeife plötzlich grimmig wegsetzend, fort, »in der unvernünftigen Hitze der Tabak nicht so in die Zunge bisse!«

Hier verlor Fortunat alle Geduld. »Nun rede zum Teufel einmal ordentlich!« rief er, Grundling rasch an der Brust fassend, »wo ist Fiametta? Was macht sie?« – »In Deutschland wahrscheinlich und weint«, erwiderte Grundling gelassen. – »Warum weint sie?« – »Weil sie ein junges, albernes Ding ist, dem ein konfuser Wein, der noch moussiert, lieblicher in die Nase sticht als ein würdiges, abgelegenes Gewächs; das will heißen: die einen brutalen Phantasten, der sein Liebchen verläßt und seine Freunde drosselt, charmanter findet als -« »Und wem gehört jetzt dieser Palast?« unterbrach ihn Fortunat ungeduldig wieder. – »Einem filzigen Kaufmann, der ihn, seiner Entlegenheit wegen, abtragen lassen und die Steine verkaufen will.« – »So führ mich gleich zu ihm!« – Das war Grundlingen, der sich gern umhertrieb, eben recht. Wenige Minuten nach diesem Verhör waren sie schon auf der Straße, und Fortunat erfuhr nun noch unterwegs, daß Fiametta unmittelbar nach seiner Abreise aus Rom bedeutend erkrankt und bald darauf mit ihrem Vater plötzlich abgereist sei. Weder er noch der Kaufmann wisse, wohin sie sich gewendet. Auch Ottos und Kordelchens Flucht hatte der Müßiggänger schon erfahren. »Der Otto«, sagte er, »war beständig in poetischem Tran, das mußte ein Ende mit Katzenjammer nehmen.«

Während dieses Berichts waren sie bei dem Kaufmann angelangt. Dieser war, gleich Grundlingen, nicht wenig erstaunt, als nun Fortunat den alten, verfallenen Palast und Garten des Marchese zu kaufen verlangte. Die Hast und Jugend des Fremden weckte in dem Italiener merkantilische Gelüste und abenteuerliche Forderungen, da kam er aber bei Grundling übel an, welcher sogleich ein so heftiges Gezänk darüber anfing und mit solchem Geschrei fortsetzte, daß sie in einigen Stunden, ganz erschöpft, endlich, doch noch um einen leidlichen Kaufpreis einig wurden. Fortunat hatte erst kürzlich bedeutende Wechsel aus Deutschland bezogen, sie reichten eben hin, die Summe und eine genügsame Weiterreise notdürftig zu decken. Mit bewundernswürdiger Beharrlichkeit und Resignation trieb er nun das Geschäft, wie einen Kreisel, unausgesetzt zum Ausgange und endigte damit, den hocherfreuten Grundling zum Schloßwart seines neuen Besitztums einzusetzen.

Kaum aber hatten sie den Garten wieder erreicht, da erscholl im Hofe schon der fröhliche Klang eines Posthorns. Fortunat hatte seinen Wagen hierherbestellt, aus den früheren Gesprächen mit dem alten Marchese glaubte er zu ahnen, wohin er sich gewendet. Und als er nun endlich tief aufatmend draußen in den prächtigen Abend hineinfuhr, blühten alle Gärten, und ein Regenbogen stand über der Gegend, als müßte nun alles, alles wieder gut werden.

Neunzehntes Kapitel

Neunzehntes Kapitel

Auf dem fürstlichen Jagdschlosse, wo im vorigen Jahre alles so bunt und fröhlich war, sieht es jetzt ganz anders aus. Die Vögel picken frühmorgens auf der marmornen Treppe zwischen den Säulen, ein lässiger Gärtnerbursch dehnt sich in der Morgenkühle und schickt sich an, die verschlungenen Gänge notdürftig in Ordnung zu bringen, die überall blühend verwildern. In der alten Pracht funkeln die Sommernächte wieder über den stillen Grund, aber keine Gitarren erklingen mehr, nur die getreuen Nachtigallen schlagen wie damals in den Gebüschen, als klagten sie noch um Juannas verlorene Schönheit.

Der Fürst gedachte nicht mehr des Schlosses, er war selber lange verwildert. Zwischen Genuß und Reue, Lust und Grauen war er allmählich immer tiefer hinabgestiegen in die schimmernden Abgründe, wo mit verlockendem Gesang die Nixen im Mondschein auf den Klippen ihr feuchtes Haar kämmen, das ferne Wetterleuchten der Religion verwirrte ihn nur noch mehr; so hatte er sich im schönen Leben verirrt und konnte sich nicht wieder nach Hause finden. Da schlug die himmlische Liebe ihren Sternenmantel um den Todmüden. Er verfiel in eine schwere Krankheit, und als er wieder genas, war auf einmal alles vorbei. Die Leute nannten ihn wahnsinnig, er aber war vergnügt und blätterte Tag für Tag mit stiller, herzlicher Lust in den alten Bilderbüchern, die er als Kind gelesen; alles andere hat er vergessen. Sie hatten ihn endlich in einem entlegenen Flügel des Schlosses absondern müssen von der Welt, die er nur noch wie im Traume von ferne sah, nur die unschuldigen Vögel sangen alle Morgen vor seinen Fenstern von der alten Zeit, daß er oft erschrocken von seinen Bildern aufhorchte. – Aus seiner Hand aber hatte die Fürstin rasch die Zügel des Regiments ergriffen und lenkte keck, die Rosse peitschend, in die neue Freiheit hinaus.

In dieser Zeit kam Lothario eines Abends einsam von dem Gebirge herab. Wir wissen nicht, wohin er wanderte, sein Weg führte ihn durch die Stadt. Der Mond trat manchmal heimlich lauernd zwischen den Wolken hervor, da lag die alte Residenz unten wie eine Ruine phantastisch in der schwülen Nacht umher, es war schon alles still, nur ein Mädchen sang noch zur Gitarre aus einem Garten drüben und die Nachtigallen schlugen von den Bergen.

Er kehrte in einem wenig besuchten Gasthause ein, das draußen auf einer Anhöhe lag und eine weite Aussicht über die Stadt hatte. Dort mußte er lange pochen, eh‘ jemand erschien. Ein alter Diener sagte endlich, es sei alles in die Stadt gezogen, wo heute zum Geburtstag der Fürstin ein großes Fest gegeben werde. – Lothario nahm nun im oberen Stockwerk einen Saal in Besitz und öffnete rasch alle Fenster. Die prächtige Nacht duftete fast berauschend herauf. Er ließ Licht und Wein bringen, er fühlte seit langer Zeit wieder einmal eine rechte Lust zu dichten. – Als er sich aber so einsam hinsetzte und hastig trank und schrieb, da war’s ihm, als riefe es durch die Stille seinen Namen, erst leise, dann lauter, und der Teufel sähe ihm beim Schreiben über die Schulter und flüsterte zu ihm: »Nur zu, nur zu! die unschuldige Welt mit vornehmen Worten belogen und verführt, ich will dich dafür auf die Zinnen des Ruhms stellen, und die Welt soll dir huldigen!« –

Er sprang auf und erschrak, als er sich flüchtig in einem Wandspiegel erblickte, so bleich und wüst sah er aus. Da streifte der Wind klingend die Saiten einer Gitarre, die am offenen Fenster lag. Der Mond aus blassen Wolken beschien soeben wieder die stillen Bäume und unten die alte Stadt. Er trat mit der Gitarre ans Fenster und sang:

Lieder schweigen jetzt und Klagen,
Nun will ich erst fröhlich sein,
All mein Leid will ich zerschlagen
Und Erinnern – gebt mir Wein!
Wie er mir verlockend spiegelt
Sterne und der Erde Lust,
Stillgeschäftig dann entriegelt
All die Teufel in der Brust,
Erst der Knecht und dann der Meister
Bricht er durch die nacht herein,
Wildester der Lügengeister,
Ring mit mir, ich lache dein!
Und den Becher voll Entsetzen
Werf ich in des Stromes Grund,
Daß sich nimmer dran soll letzen
Wer noch fröhlich und gesund!
Lauten hör ich ferne klingen,
Lust’ge Bursche ziehn vom Schmaus,
Ständchen sie den Liebsten bringen,
Und das lockt mich mit hinaus.
Mädchen hinterm blühnden Baume
Winkt und macht das Fenster auf,
Und ich steige wie im Traume
Durch das kleine Haus hinauf.
Schüttle nur die dunklen Locken
Aus dem schönen Angesicht!
Sieh, ich stehe ganz erschrocken:
Das sind ihre Augen Licht.
Locken hatte sie wie deine,
Bleiche Wangen, Lippen rot –
Ach, du bist ja doch nicht meine,
Und mein Lieb ist lange tot!
Hättest du nur nicht gesprochen
Und so frech geblickt nach mir,
Das hat ganz den Traum zerbrochen
Und nun grauet mir vor dir.
Da, nimm Geld, kauf Putz und Flimmern,
Fort und lache nicht so wild!
O ich möchte dich zertrümmern,
Schönes, lügenhaftes Bild!
Spät von dem verlornen Kinde
Kam ich durch die Nacht daher,
Fahnen drehten sich im Winde,
Alle Gassen waren leer.
Oben lag noch meine Laute
Und mein Fenster stand noch auf,
Aus dem stillen Grunde graute
Wunderbar die Stadt herauf.
Draußen aber blitzt’s von weiten,
Alter Zeiten ich gedacht,
Schauernd reiß ich in den Saiten
Und ich sing die halbe Nacht.
Die verschlafnen Nachbarn sprechen,
Daß ich nächtlich trunken sei
O du mein Gott! und mir brechen
Herz und Saitenspiel entzwei!

Es blitzte wirklich von weitem, aber es waren nur einzelne Raketen, die von Zeit zu Zeit fern über dem dunklen, fürstlichen Parke lustig aufstiegen. Da fiel ihm das Fest wieder ein, von dem der alte Diener vorhin sprach, er beschloß, selbst noch hinzugehen.

Lässig schlenderte er durch die lange Vorstadt; bis dorthin war das Fest nicht gedrungen, die kleinen Häuser standen still und dunkel, nur wenige Laternen flackerten im Winde, der Nachtwächter schickte sich eben an, die zehnte Stunde auszurufen; von fern aber über die hellbeleuchteten Dächer und Schornsteine qualmte ihm schon der trübrote Schein der Illumination entgegen wie die aufgehende Sonne an einem nebligen Herbstmorgen. So war er ans Theater gekommen. Durch ein hohes, verhangenes Fenster glaubte er drin die Schauspieler mit aller Gewalt der Leidenschaft pathetisch deklamieren zu hören, ihn schauerte, so kühl und nüchtern war es dagegen hier draußen. Eine lange Reihe von Wagen, auf ihre Herrschaften wartend, stand an der finsteren Mauer, die Kutscher schlummerten auf ihren hohen Kutschböcken, der eine zog gähnend seine Taschenuhr heraus und hielt sie an den ungewissen Schein der Laterne. »Was Teufel spielen sie denn heut so lange?« fragte er einen Kerl, der eben an einem Eckpfeiler seine Fackel putzte, daß die Funken auf einen Augenblick das ganze langweilige Chaos wunderlich beleuchteten. Dieser nannte ein bekanntes Stück vom Grafen Victor von Hohenstein. – Da fuhr Lothario unwillkürlich zusammen. Er ging rasch hinein, ein gutes Trinkgeld schaffte ihm von dem verwunderten Logendiener noch einen Platz in der Fremdenloge.

Das Haus war prächtig erleuchtet und zum Erdrücken voll, aus der fürstlichen Loge zwischen den reichen Vorhängen blitzt‘ und schimmerte es von Sternen, Lichtern und schönen Frauenaugen blendend herüber. Das Stück war fast zu Ende. Es war, seltsam genug, eben Juannas frühere Geschichte in Spanien, alle wilden Waldbäche der Leidenschaft stürzten in dieser letzten Szene wie in einen mächtigen Strom zusammen. Die Schauspielerin, welche Juanna vorstellte, hatte, vielleicht bewußtlos, nach und nach das ganze Wesen der Gräfin angenommen: ihre frische Waldkühle, ihre Stimme, das strenge, schöne Gesicht, so funkelte sie mit den dunkelen Augen grade auf Lothario herüber. – Lothario sprang erschüttert auf, eine Totenstille herrschte im ganzen Hause. Da auf einmal beginnt ein Flüstern unten, es wächst und steigt allmählich durch alle Reihen der Zuschauer, viele Köpfe und immer mehrere wenden sich erstaunt nach Lothario herum. – »Was gibt’s da?« frägt die Fürstin, sich weit aus ihrer Loge hervorlehnend. – Ein Kammerherr drängt sich eilig vor, auf Lothario deutend: »Dort, der Dichter selbst, sie haben ihn erkannt, Graf Victor von Hohenstein.« – » Der?!« – entgegnet die Fürstin und sinkt verwirrt auf ihren Sessel zurück.

Unterdes war der Vorhang gefallen, ein wütender Applaus brach plötzlich los, sich immer wieder erneuernd. Den Grafen Victor aber – denn er war es wirklich – erfaßte ein seltsames Grauen vor dem hohlen Sturm des Beifalls, er sah noch einmal dazwischen einen sengenden Blick der Fürstin nach ihm herüberschießen, dann stürzte er entsetzt über die noch leeren Treppen ins Freie hinaus.

Mit welchen Gedanken sah er nun den weiten, gestirnten Himmel wieder! Die plötzliche Erinnerung an die Zeit, wo er das Stück geschrieben, versenkte seine ganze Seele wie ein ein Meer von Wehmut. Auf dem Gebirge in Spanien, als er an jenem stillen Abend, im Wald auf den Franzosen St. Val zielend, zum erstenmale Juanna erblickte, da war’s ihm, wie in die Sonne zu sehen – sie war schon lange untergegangen, aber Wald und Berge schimmerten und sprühten noch in wunderbaren Funken – damals dichtete er das Schauspiel von der wilden Gräfin. Da dachte er nicht, daß es so kommen würde! Und als es dann Friede und alles wieder still und nüchtern wurde, kehrte auch er nach Deutschland zurück, und der Frühling und das Grün der wechselnden Landschaften breiteten sich wie ein Schleier milde über das schöne Bild im Herzen. Aber nach der ernsten, bewegten Zeit, in der er ehrlich gerungen, kam ihm zu Hause nun alles so klein und unbedeutend vor, ihm war wie einem Schiffer nach langer, stürmischer Fahrt, der den Boden unter sich noch immer wanken fühlt und aus dem Wirtshaus am Ufer sehnsüchtig wieder in den kühlen Wogenschlag hinaussieht. In solcher Laune war er nach kurzem Umhertreiben, um sich von der guten Gesellschaft zu erholen, zum Teil auch aus grillenhafter, flüchtiger Neigung zu Kordelchen, unerkannt unter dem Namen Lothario mit der Schauspielerbande ausgezogen, wo wir ihn in jener regnerischen Nacht zum ersten Male trafen. – Hier hörte er plötzlich, daß die verlorengeglaubte Gräfin Juanna noch lebe und zu der ihr verwandten fürstlichen Familie geflüchtet, mit der sie auf dem nahem Jagdschlosse sich aufhalte. Da gab’s auf einmal frischen Klang! Sein Plan war gleich gemacht. Durch seine geheime Vermittelung erfolgte die Einladung der Schauspielergesellschaft nach dem Jagdschloß, er begleitete sie in seiner Verkleidung, denn es schien ihm lächerlich, ja sinnlos, um diese märchenhafte Diana auf dem gewöhnlichen Paradepferde gräflicher Galanterie zu freien. – Bei seiner eignen, sorglosen Unvorsichtigkeit konnte indes die Sache nicht ganz verborgen bleiben, der Fürst und seine Gemahlin wenigstens hatten unbestimmte Kunde von seinem Vorhaben, noch ehe die Truppe bei ihnen ankam. Insbesondere hatte die Fürstin, mit dem den Frauen in solchen Dingen eigentümlichen Scharfsinn, die eigentliche Absicht gar wohl erraten. Zwar erwarteten sie täglich den Baron Manfred auf dem Schloß, den sie insgeheim zu Juannas Bräutigam ausersehen. Dennoch konnten sie’s nicht lassen, die interessante Genialität einer so romantischen Maskerade um so leichtsinniger zu begünstigen, da im schlimmsten Falle Victor noch immer als eine bessere Partie für die unbemittelte Gräfin erschien als der etwas unscheinbare Manfred. So schwiegen sie recht mit innerlicher Lust und spielten die Getäuschten, täuschten aber unbewußt nur sich selbst, indem sie den zufällig dazwischengekommenen Fortunat, da er gleich von Anfang so rätselhaft auftrat, für den heimlich erwarteten Grafen hielten. – Victorn aber verlockte indes Juannas Schönheit nach und nach immer tiefer in das wildeste Labyrinth ausschweifender Wünsche, er gab ihren herausfordernden Blicken eine Deutung, die sie selber niemals kannte. Da hörte er auf der Jagd zum erstenmal von der nahen Ankunft des unbekannten Bräutigams – es war ihm unerträglich: er entschloß sich rasch, Juanna zu entführen, nur so, meinte er, könne diese wilde Nymphennatur bezwungen werden, gleichwie eine still aufsteigende Flamme sich plötzlich entfaltet, wenn der Sturm sie zerwühlt. – »Ja, kühne, schlanke Flamme!« sagte er nun tausendmal zu sich selbst, »wie griffst du plötzlich zornig in die Waldesnacht und klettertest furchtbar schön die Felswand auf und nieder, daß alle Wipfel donnernd in die Gluten sanken! Die lust’gen Wälder meiner Jugend sind verbrannt.«

In solchen Gedanken war Victor jetzt durch mehrere Straßen fortgeschritten. Die Wagen rasselten aus dem Theater, der hoffärtige Patriotismus kokettierte aus tausend geputzten Fenstern, Kinder zogen in dem magischen Licht lärmend durch die Gassen und brachten jedem brennenden Teertopf ein Vivat. Wohin er sich wandte, immer neue Feueralleen zogen sich durch die Nacht, bis er endlich unerwartet an den fürstlichen Garten kam. Ein Feuerwerk, wie es schien, war eben abgebrannt, nur einzelne Schwärmer stiegen noch empor und erleuchteten im Zerplatzen seltsam die Gegend und die verworrene Menge, die sich nun jauchzend nach allen Seiten verlief. Bei dem flüchtigen Widerschein glaubte Victor auf einen Augenblick sein Wirtshaus jenseits auf der stillen Anhöhe gesehen zu haben. Der Wege unkundig an dem fremden Ort, schlägt er die nächste Richtung ein und tritt durch ein Pförtchen, das er nur angelehnt findet, zwischen die Bäume hinein, verschlungene Gänge führen ihn immer weiter, auf einmal sieht er sich mitten im fürstlichen Park. Der Himmel ist schwül bezogen, zahllose Glühwürmchen schweifen in den dunklen Gängen, die weißen Statuen stehen einsam im Mondschein umher; da ist’s, als hört‘ er leise seinen Namen nennen, ein Flüstern geht seitwärts durchs Gebüsch, dann alles wieder still. – Jetzt schimmern auch die hohen Schloßfenster schon herüber, drin sieht er im hellen Glanz sich Masken wundersam bewegen, die eine Saaltür öffnet sich, ein Schwall von Licht und Klängen schlägt heraus – da fährt er innerlichst zusammen, denn bei dem brennenden Streiflicht sieht er plötzlich Juannas Gestalt zwischen den Bäumen entschlüpfen. Außer sich folgt er nach, er erblickt sie von neuem: Reitkleid, Gürtel und Hut, wie sie in Spanien getragen, endlich erreicht er sie, sie wendet sich rasch, mit Grauen sieht er in die dunklen Augenhöhlen einer Larve.

Er steht wie eingewurzelt vor ihr, während sie ihn schweigend zu betrachten scheint. – »Du fernes Wetterleuchten«, sagt er endlich ganz verwirrt, »ich folge dir, und wär‘ es in den Wahnsinn!« – Da erhebt sich auf einmal tiefer im Garten ein wunderbarer Gesang, fast ohne Melodie, in wenigen herzzerreißenden Tönen. Sie schauert, als bräch‘ der Tag an, ihre schwarzen Locken ringeln sich von beiden Seiten herab, er sieht die dunklen Augen aus der Larve funkeln. – »Morgen!« flüstert sie dann kaum hörbar und verschwindet schnell zwischen den wechselnden Schatten.

Victor aber flieht entsetzt durch den Garten, der Mondschein wiegt sich träumend auf dem Gebüsch, seitwärts schwanken Wasserkünste im Wind, wie Feen in langen, wallenden Schleiern. Plötzlich hört er den Gesang wieder erschallen. Auf dem steinernen Rande des Springbrunnens sieht er einen eingeschlummerten Mann sitzen, ohne Hut, mit dem Haupt vorüber nickend, der singt im Schlaf. Bei einem flüchtigen Mondblick glaubt er den bleichen, kranken Fürsten zu erkennen.

So kommt er ganz verstört in die Stadt zurück. Dort hat sich unterdes alles verwandelt. Nur einzelne Menschen irren noch beim ungewissen Schein der Laternen, die verlöschend flackern, zerrissene Wolken fliegen über die Dächer, die Nacht war finster und stürmisch geworden. Da schweiften zwei weibliche Gestalten eilig durch das Dunkel. »Wo schleppst du mich hin?« fragte die eine. – »Sahst du ihn nicht vorhin?« entgegnete die andere, »ich muß ihn haschen!«

»Kordelchen! Du?« rief Victor plötzlich vor ihnen stehend aus – »du siehst ja so blaß im Laternenschein, wie eine Leiche mit spielenden, funkelnden Augen.« – »Ach, dummes Zeug, red nicht so graulich«, sagte die Komödianten. – Er wollte fort, aber sie hatte sich schon fest in seinen Mantel verwickelt.

Sie standen an der offenen Tür eines kleinen Hauses. Ihre leichtfertige Begleiterin, die zu ihrem Verdruß noch gar nicht beachtet worden, wünschte schnippisch viel Vergnügen und verließ sie empfindlich. Kordelchen aber hatte ihren späten Gast bereits hineingedrängt. Ein schwüler Duft von halbvertrockneten Blumensträußen, die an den Fenstern standen, quoll ihnen aus der kleinen Stube entgegen. Das tief heruntergebrannte Licht, dem eine leere Flasche zum Leuchter diente, verbreitete eine ungewisse Dämmerung über ärmliches Hausgerät, zerbrochene Spiegel, Notenbücher und Kleidungsstücke, die überall unordentlich umherlagen. Mitten in dieser Verwirrung war ein wohlgekleideter Mann am Tische fest eingeschlafen, die Feder lag umgefallen noch zwischen seinen Fingern auf dem halbbeschriebenen Blatte vor ihm.

»Still, still, der wird ein Paar Augen machen!« sagte Kordelchen, indem sie Victorn leise an der Hand in einen entfernten Winkel führte und ihn dabei, eh‘ er sich’s versah, herzhaft in den Finger biß. Dann setzte sie sich auf einen Reiskoffer, öffnete ihre Schürze, die voll Knackmandeln war, und fing vergnügt an zu naschen und zu plaudern, man sah ihr recht die Freude aus den muntern Augen glänzen. So in aller Geschwindigkeit erzählte sie ihm, daß sie mit Otton aus dem langweiligen Italien entflohen, seit einigen Tagen hier sei und wieder aufs Theater wolle. Auf einmal sah sie Victorn lange ins Gesicht. »Armer Lothario«, sagte sie, »du siehst schlecht aus. Dacht‘ ich’s doch gleich, als du damals die Augen so hoch warfst, siehst du, wer hieß dich Gemsen jagen! – Aber so iß doch mit – und hast du die Fürstin heut gesehen? – sie ist als Gräfin Juanna maskiert.« – Dazwischen warf sie wieder Mandelschalen nach dem Schreiber hinüber, der noch immer schlief.

Da fuhr dieser erschrocken auf – es war Otto – sie wollte sich totlachen, wie er so wild aus dem Schlaf umherstierte. Aber Victor, bisher wie in Gedanken verloren, hatte sich bei dem unerwarteten Anblick des wüsten Gesichts plötzlich aufgerichtet. »Um Gottes willen, Otto!« rief er mit tief erschütterter Stimme, »flieh, flieh in die Nacht hinaus, in den Krieg, bau das Feld, spalte Holz, bettle von Haus zu Haus – nur fort von hier!« – »Geh, geh!« sagte Kordelchen, von ihrem Koffer springend, »du bist ja so pathetisch wie der steinerne Komtur aus dem Don Juan.« – Otto, den Kopf auf beide Arme gestützt, ahnet heimlich, was jener meint, Lotharios Urteil gilt ihm alles, seine ganze Seele hängt lauschend wie an einem jähen Absturz. – Aber Victors Sinn war heut wie ein schneidendes Schwert. – »Und red mir nicht von Poesie, von Dichterberuf«, fuhr er fort, »du hast nicht mehr davon als ein verliebtes Mädchen. Es gibt nur wenige Dichter in der Welt, und von den wenigen kaum einer steigt unversehrt in diese märchenhafte, prächt’ge Zaubernacht, wo die wilden, feurigen Blumen stehen und die Liederquellen verworren nach den Abgründen gehen, und der zauberische Spielmann zwischen dem Waldesrauschen mit herzzerreißenden Klängen nach dem Venusberg verlockt, in welchem alle Lust und Pracht der Erde entzündet und wo die Seele, wie im Traum, frei wird mit ihren dunkelen Gelüsten«

Hier hielt sich Otto nicht länger. Es überlief ihn eiskalt, als zuckte ein Blitz durch die Nacht und erleuchtete auf einmal gräßlich sein ganzes verlorenes Leben. Noch ganz verwirrt, im Innersten getroffen, ergriff er wie ein Rasender einen nahe gelegenen Theaterdegen und drang sinnlos auf Victorn ein. Dieser schleuderte den Wütenden weit von sich, daß ihm der Degen entfiel. »Ruhig!« rief er, »und bedenke meine Worte, ehe alles zu spät! Mich aber laß, ich habe mit mir selbst zu fechten, Gott gnad‘ uns beiden!« – So eilte er aus dem Hause fort.

Draußen auf der leeren Gasse hörte man noch Kordelchen klagen, die ihm betroffen nachgestürzt. »Lothario!« rief sie außer sich, »lieber, schöner, verrückter Lothario! ich bitt‘ dich um Gottes willen, kehre um, nur noch ein einziges Mal komm zurück! Es ist ja alles nicht wahr, was die Leute sagen, ich war dir immer im Herzen treu, was kann ich dafür, daß ich arm und schön bin? Ach, verlaß mich nicht, ich habe sonst niemanden auf der Welt! Wickle mich ins Schnupftuch, steck mich in deine Rocktasche, wenn du mir nicht traust, ich will still sitzen und dich ansehen, wenn du mich nur wieder liebhast, du wilder, abscheulicher Kerl!« – So bat sie rührend, lachte und schimpfte, bis sie zuletzt unaufhaltsam in heftiges Weinen ausbrach.

Aber Victor hörte sie nicht mehr. Er trat aus dem dunklen Stadttor, einzelne Morgenstreifen zuckten schon über die stille Gegend. – Durch seine Seele gingen übermächtige Gedanken. Aus der tiefen Nacht seines Grams stieg allmählich Stern auf Stern, ihm war, als müßt‘ nun alles anders werden.