Vierzehnter Gesang

Vierzehnter Gesang

Odysseus vom Sauhirten Eumäos in die Hütte geführt, und mit zwei Ferkeln bewirtet. Seine Versicherung von Odysseus‘ Heimkehr findet nicht Glauben. Erdichtete Erzählung von sich. Die Unterhirte treiben die Schweine vom Felde, und Eumäos opfert ein Mastschwein zum Abendschmaus. Stürmische Nacht. Odysseus verschafft sich durch Erdichtung einen Mantel zur Decke, indes Eumäos draußen die Eber bewacht.

Aber Odysseus ging den rauhen Pfad von dem Hafen
Über die waldbewachs’nen Gebirge, hin wo Athene
Ihm den trefflichen Hirten bezeichnete, welcher am treusten
Haushielt unter den Knechten des göttergleichen Odysseus.
5
Sitzend fand er ihn jetzt an der Schwelle des Hauses, im Hofe,
Welcher hoch, auf weitumschauendem Hügel, gebaut war,
Schön und ringsumgehbar und groß. Ihn hatte der Sauhirt
Selber den Schweinen erbaut, indes sein König entfernt war,
Ohne Penelopeia, und ohne den alten Laertes,
10
Von gesammelten Steinen, und oben mit Dornen umflochten.
Draußen hatt‘ er Pfähle von allen Seiten in Menge
Dicht aneinander gepflanzt, vom Kern der gespalteten Eiche.
Innerhalb des Gehegs hatt‘ er zwölf Köfen bereitet,
Einen nahe dem andern, zum nächtlichen Lager der Schweine.
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Fünfzig lagen in jedem der erdaufwühlenden Schweine,
Alle gebärende Mütter; und draußen schliefen die Eber,
Weit geringer an Zahl: denn schmausend verminderten diese
Täglich die göttlichen Freier, es sandte jenen der Sauhirt
Immer die besten zum Schmause von allen gemästeten Ebern;
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Und der übrigen Zahl war nur dreihundert und sechzig.
Auch vier große Hunde, wie reißende Tiere, bewachten
Stets den Hof; sie erzog der männerbeherrschende Sauhirt.
Jetzo zerschnitt er des Stiers schönfarbiges Leder, und fügte
Sohlen um seine Füße. Die untergeordneten Hirten
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Hatten sich schon zerstreut: drei hüteten weidende Schweine;
Aber der vierte war in die Stadt gesendet, ein Mastschwein
Hinzuführen, den Zoll für die übermütigen Freier,
Daß beim festlichen Schmaus ihr Herz an dem Fleische sich labte.
Plötzlich erblickten Odysseus die wachsambellenden Hunde,
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Und sie stürzten auf ihn lautschreiend. Aber Odysseus
Setzte sich klüglich nieder, und legte den Stab ans den Händen.
Dennoch hätt‘ er auch dort unwürdige Schmerzen erduldet;
Aber der Sauhirt lief aus der Türe mit hurtigen Füßen
Hinter den bellenden her, und warf aus den Händen das Leder,
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Scheltend verfolgt‘ er die Hund‘, und zerstreute sie hierhin und dorthin
Mit geworfenen Steinen; und jetzo sprach er zum König:
Alter, es fehlte nicht viel, so hätten die Hunde mit einmal
Dich zerrissen, und mich hätt‘ ewige Schande getroffen!
Und mir gaben die Götter vorhin schon Kummer und Trübsal.
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Denn um den göttlichen König die bittersten Tränen vergießend,
Sitz‘ ich hier, und sende die fettgemästeten Schweine
Andern zum Schmause, da jener vielleicht des Brotes entbehret,
Und die Länder und Städte barbarischer Völker durchwandert!
Wenn er anders noch lebt, und das Licht der Sonne noch schauet!
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Aber folge mir, Greis, in meine Hütte, damit du,
Wann sich deine Seele mit Brot und Weine gelabt hat,
Sagest, von wannen du kommst, und welche Leiden du littest.
Also sprach er, und führt‘ ihn hinein, der treffliche Sauhirt,
Hieß den folgenden Gast sich auf ein laubichtes Lager
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Setzen, und breitete drauf der buntgesprenkelten Gemse
Großes und zottichtes Fell, worauf er zu schlafen gewohnt war.
Und Odysseus freute sich dieses Empfanges, und sagte:
Zeus beschere dir, Freund, und die andern unsterblichen Götter,
Was du am meisten verlangst, weil du so gütig mich aufnimmst!
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Ihm antwortetest du, Eumäos, Hüter der Schweine:
Fremdling, es ziemte mir nicht, und wär‘ er geringer als du bist,
Einen Gast zu verschmähn; denn Gott gehören ja alle
Fremdling‘ und Darbende an. Doch kleine Gaben erfreun auch,
Heißt es bei unser einem; denn also geht es mit Knechten,
60
Welche sich immer scheun, weil ihre gebietenden Herren
Jünglinge sind. Denn ach! ihm wehren die Götter die Heimkehr,
Der mir Gutes getan und ein Eigentum hätte gegeben,
Was auch der gütigste Herr je seinem Diener geschenkt hat:
Nämlich Haus und Hof und ein liebenswürdiges Ehweib:
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Weil er ihm treulich gedient, und Gott die Arbeit gedeihn ließ.
Also gedeiht auch mir die Arbeit, welche mir obliegt;
Und mein Herr, wenn er hier sanft alterte, lohnte mir’s reichlich!
Aber er starb! Das Geschlecht der Helena müsse von grundaus
Stürzen, die in den Staub so viele Männer gestürzt hat!
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Denn auch jener zog, Agamemnons Ehre zu rächen,
Gegen Ilion hin, und bekämpfte die Reisigen Trojas.
Also sprach er; und schnell umband er den Rock mit dem Gürtel,
Ging zu den Köfen, worin der Ferkel Menge gesperrt war,
Und zwei nahm er heraus, und schlachtete beide zur Mahlzeit;
75
Sengte sie, haute sie klein, und steckte die Glieder an Spieße,
Briet sie über der Glut, und setzte sie hin vor Odysseus,
Brätelnd noch an den Spießen, mit weißem Mehle bestreuet;
Mischte dann süßen Wein in seinem hölzernen Becher,
Setzte sich gegen ihm über, und nötigt‘ ihn also zum Essen:
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Iß nun, fremder Mann, so gut wir Hirten es haben,
Ferkelfleisch; die gemästeten Schweine verzehren die Freier,
Deren Herz nicht Furcht vor den Göttern kennet, noch Mitleid.
Alle gewaltsame Tat mißfällt ja den seligen Göttern;
Tugend ehren sie nur und Gerechtigkeit unter den Menschen!
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Selbst die barbarischen Räuber, die durch Kronions Verhängnis
An ein fremdes Gestad‘ anlandeten, Beute gewannen,
Und mit beladenen Schiffen die Heimat glücklich erreichten,
Fühlen dennoch im Herzen die Macht des empörten Gewissens!
Aber diesen entdeckte vielleicht die Stimme der Götter
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Jenes traurigen Tod, da sie nicht werben, wie recht ist,
Und zu dem Ihrigen nicht heimkehren; sondern in Ruhe
Fremdes Gut unmäßig und ohne Schonen verprassen.
Alle Tag‘ und Nächte, die Zeus den Sterblichen sendet,
Opfern die Üppigen stets, und nicht ein Opfer, noch zwei bloß!
95
Und verschwelgen den Wein mit ungezähmter Begierde.
Reichlich war er gesegnet an Lebensgütern; es hatte
Keiner der Edlen so viel, nicht dort auf der fruchtbaren Feste,
Noch in Ithaka hier; nicht zwanzig Männer zusammen
Haben so viel Reichtümer. Ich will sie dir jetzo beschreiben.
100
Rinderherden sind zwölf auf der Feste, der weidenden Schafe
Eben so viel, auch der Schweine so viel, und der streifenden Ziegen.
Mietlinge hüten sie teils, und teils leibeigene Hirten.
Hier in Ithaka gehn elf Herden streifender Ziegen
Auf entlegenen Weide, von wackern Männern gehütet.
105
Jeder von diesen sendet zum täglichen Schmause den Freiern
Immer die trefflichste Ziege der fettgemästeten Herde.
Unter meiner Gewalt und Aufsicht weiden die Schweine,
Und ich sende zum Schmause das auserlesenste Mastschwein.
Also sprach er; und schnell aß jener des Fleisches, begierig
110
Trank er des Weins, und schwieg; er dachte der Freier Verderben.
Als er jetzo gespeist, und seine Seele gelabet,
Füllete jener den Becher, woraus er zu trinken gewohnt war,
Reichte den Wein ihm dar; und er nahm ihn mit herzlicher Freude,
Redete jenen an, und sprach die geflügelten Worte:
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Lieber, wer kaufte dich denn mit seinem Vermögen? Wie heißt er,
Jener so mächtige Mann und begüterte, wie du erzählest,
Und der sein Leben verlor, Agamemnons Ehre zu rächen?
Nenne mir ihn; vielleicht ist er von meiner Bekanntschaft.
Zeus und die Götter des Himmels, die wissen es, ob ich von ihm nicht
120
Botschaft verkündigen kann! Ich sah viel Männer auf Reisen!
Ihm antwortete drauf der männerbeherrschende Sauhirt:
Alter, kein irrender Mann, der Botschaft von jenem verkündigt,
Möchte so leicht bei der Frau und dem Sohne Glauben gewinnen.
Solche Wanderer suchen gewöhnlich milde Bewirtung
125
Durch die schmeichelnde Lüg‘, und reden selten die Wahrheit.
Jeder Fremdling, wen auch das Schicksal nach Ithaka führet,
Geht zu meiner Königin hin, und schwatzet Erdichtung.
Freundlich empfängt und bewirtet sie ihn, und forschet nach allem,
Und der Traurenden Antlitz umfließen Tränen der Wehmut,
130
Wie es dem Weibe geziemt, der fern ihr Gatte verschieden.
Und bald würdest auch du, o Greis, ein Märchen ersinnen,
Deckte dir jemand nur die Blöße mit Mantel und Leibrock.
Aber ihm rissen vielleicht die Hund‘ und die Vögel des Himmels
Schon die Haut von dem weißen Gebein, und die Seele verließ es;
135
Oder ihn fraßen die Fische des Meers, und seine Gebeine
Dorren an fremdem Gestade, vom wehenden Sande bedecket.
Also verlor er das Leben, und seine verlassenen Freunde
Klagen ihm alle nach, und ich am meisten; denn nimmer
Find‘ ich einen so gütigen Herrn, wohin ich auch gehe;
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Käm‘ ich auch wieder ins Haus, das Vater und Mutter bewohnen,
Wo ich geboren ward, und meine Jugend verlebte.
Auch bewein‘ ich die Eltern nicht so sehr, da ich doch herzlich
Wünsche, sie wieder zu sehn und meiner Väter Gefilde;
Als Odysseus‘ Verlust mein ganzes Leben verbittert!
145
Ja, ich schäme mich, Fremdling, ihn bloß beim Namen zu nennen,
Ob er es zwar nicht hört; denn er pflegte mich gar zu liebreich!
Sondern ich nenn‘ ihn, auch fern, stets meinen älteren Bruder.
Ihm antwortete drauf der herrliche Dulder Odysseus:
Lieber, weil du es denn ganz leugnest, und nimmer vermutest,
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Daß er zur Heimat kehrt, und stets ungläubig dein Herz bleibt;
Siehe, so will ich es nicht bloß sagen, sondern beschwören:
Daß Odysseus kömmt! Zum Lohn für die fröhliche Botschaft
Sollst du sogleich, wann jener in seine Wohnung zurückkommt,
Mich mit schönen Gewanden, mit Rock und Mantel, bekleiden.
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Eher, wie sehr ich auch jetzo entblößt bin, nähm‘ ich sie nimmer!
Denn der ist mir verhaßt, wie die Pforten der untersten Tiefe,
Welcher, von Mangel verführt, mit leeren Erdichtungen schmeichelt!
Zeus von den Göttern bezeug‘ es, und diese gastliche Tafel,
Und Odysseus‘ heiliger Herd, zu welchem ich fliehe:
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Daß dies alles gewiß geschehen wird, wie ich verkünde!
Selbst noch in diesem Jahre wird wiederkehren Odysseus!
Wann der jetzige Mond abnimmt, und der folgende zunimmt,
Wird er sein Haus betreten, und strafen, wer seiner Gemahlin
Und des glänzenden Sohnes Gewalt und Ehre gekränkt hat!
165
Ihm antwortetest du, Eumäos, Hüter der Schweine:
Alter, ich werde wohl nie den Lohn der Botschaft bezahlen,
Noch wird Odysseus je heimkehren! Trinke geruhig
Deinen Wein, und laß uns von etwas anderem reden.
Hieran erinnre mich nicht; denn meine Seele durchdringet
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Schmerz, wann einer mich nur an den besten König erinnert!
Was du geschworen hast, laß gut sein; aber Odysseus
Komme, wie ich es wünsche, und seine Penelopeia,
Und Laertes der Greis, und Telemachos göttlich an Bildung!
Jetzo bewein‘ ich von Herzen den Sohn des edlen Odysseus!
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Ach! Telemachos nährten, wie eine Pflanze, die Götter;
Und ich hofft‘ ihn dereinst nicht schlechter unter den Männern,
Als den Vater, zu finden, an Geist und Bildung ein Wunder:
Doch der Unsterblichen einer verrückt‘ ihm die richtigen Sinne,
Oder ein sterblicher Mensch! Er ging, den Vater zu suchen,
180
Nach der göttlichen Pylos; nun stellen die mutigen Freier
Ihm, wann er heimkehrt, nach: damit Arkeisios‘ Name
Und sein Heldengeschlecht aus Ithaka werde vertilget!
Aber laß uns davon nicht weiter reden; er möge
Fallen, oder entfliehn, und Gottes Hand ihn bedecken.
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Auf! erzähle mir jetzo von deinen Leiden, o Alter!
Auch verkündige mir aufrichtig, damit ich es wisse:
Wer, wes Volkes bist du, und wo ist deine Geburtstadt?
Und in welcherlei Schiff kamst du? wie brachten die Schiffer
Dich nach Ithaka her? was rühmen sich jene für Leute?
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Denn unmöglich bist du doch hier zu Fuße gekommen!
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Dieses will ich dir gern und nach der Wahrheit erzählen.
Wären wir beide mit Speis‘ auf lange Zeiten versorget,
Und erfreuendem Wein, und blieben hier stets in der Hütte
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Ruhig sitzen am Mahl, und andre bestellten die Arbeit;
Siehe dann könnte leicht ein Jahr verfliegen, und dennoch
Hätt‘ ich nicht die Erzählung von allen Leiden vollendet,
Welche der Götter Rat auf meine Seele gehäuft hat.
Aus dem weiten Gefilde von Kreta stamm‘ ich; mein Vater
200
War ein begüterter Mann, und noch viel andere Söhne
Wurden in seinem Hause geboren und auferzogen,
Echte Kinder der Frau. Doch mich gebar ein erkauftes
Kebsweib; aber es ehrte mich, gleich den ehlichen Kindern
Kastor, Hylakos‘ Sohn, aus dessen Blut ich gezeugt hin.
205
Dieser ward, wie ein Gott, im kretischen Volke geehret,
Wegen seiner Gewalt, Reichtümer und rühmlichen Söhne.
Aber ihn führeten bald des Todes Schrecken in Aïs
Schattenbehausung hinab; die übermütigen Söhne
Warfen darauf das Los, und teilten das Erbe des Vaters.
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Mir beschieden sie nur ein Haus und wenige Güter.
Aber ich nahm mir ein Weib aus einem der reichsten Geschlechter,
Das ich durch Tugend gewann; denn ich war kein entarteter Jüngling,
Noch ein Feiger im Kriege! Doch nun ist alles vergangen!
Dennoch glaub‘ ich, du wirst noch aus der Stoppel die Ähre
215
Kennen; denn ach! es drückte mich sehr viel Drangsal zu Boden!
Wahrlich, Entschlossenheit hatte mir Ares verliehn und Athene
Und vertilgende Kraft! Wann ich, dem Feinde zu schaden,
Mit erlesenen Helden im Hinterhalte versteckt lag;
Schwebte mir nimmer des Todes Bild vor der mutigen Seele:
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Sondern ich sprang zuerst von allen hervor, und streckte
Jeglichen Feind in den Staub, den meine Schenkel ereilten.
Als focht ich im Krieg‘, und liebte weder den Feldbau,
Noch die Sorge des Hauses, und blühender Kinder Erziehung;
Aber das Ruderschiff war meine Freude beständig.
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Schlachtengetös‘ und blinkende Speer‘ und gefiederte Pfeile:
Lauter schreckliche Dinge, die andre mit Grauen erfüllen!
Aber ich liebte, was Gott in meine Seele geleget;
Denn dem einen gefällt dies Werk, dem anderen jenes.
Eh‘ der Achaier Söhne gen Troja waren gesegelt,
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Führt‘ ich neunmal Männer in schnellgeruderten Schiffen
Gegen entlegene Völker, und kehrte mit Beute zur Heimat.
Hievon nahm ich zuerst das schönste Kleinod, und vieles
Teilte das Los mir zu. So mehrte sich schnell mein Vermögen,
Und ich ward geehrt und hochgeachtet in Kreta.
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Aber da Zeus‘ Vorsehung die jammerbringende Kriegsfahrt
Ordnete, welche das Leben so vieler Männer geraubt hat;
Da befahlen sie mir, mit Idomeneus, unserm Beherrscher,
Führer der Schiffe zu sein gen Ilios; alle Versuche
Mich zu befrein mißlangen; mich schreckte der Tadel des Volkes.
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Und neun blutige Jahre durchkämpften wir Söhne der Griechen;
Und im zehnten verheerten wir Priamos‘ türmende Feste,
Steurten dann heim mit den Schiffen; und Gott zerstreute die Griechen.
Über mich Armen verhängte der Rat Kronions ein Unglück.
Denn nur einen Monat verweilt‘ ich daheim, mit dem Weibe
245
Meiner Jugend, den Kindern und meinem Gesinde mich freuend.
Und mich reizte mein Herz, mit göttergleichen Gefährten
Einige Schiffe zu rüsten, und nach dem Ägyptos zu segeln.
Und ich rüstete neun, und schnell war die Menge versammelt.
Hierauf schmausten bei mir sechs Tage die lieben Gefährten,
250
Und ich schlachtete viele gemästete Tiere zum Opfer
Für die seligen Götter, und zum erfreuenden Schmause.
Aber am siebenten Tage verließen wir Kreta, und fuhren,
Unter dem lieblichen Wehn des reinen beständigen Nordwinds,
Sanft, wie mit dem Strome, dahin; und keines der Schiffe
255
Wurde verletzt; wir saßen, gesund und fröhliches Mutes,
Auf dem Verdeck, und ließen vom Wind‘ und Steuer uns lenken.
Aber am fünften Tag‘ erreichten wir des Ägyptos‘
Herrlichen Strom, und ich legte die gleichen Schiffe vor Anker.
Dringend ermahnt‘ ich jetzo die lieben Reisegefährten,
260
An dem Gestade zu bleiben, und unsere Schiffe zu hüten,
Und versendete Wachen umher auf die Höhen des Landes.
Aber sie wurden von Trotz und Übermute verleitet,
Daß sie ohne Vorzug der Ägypter schöne Gefilde
Plünderten, ihre Weiber gefangen führten, die Männer
265
Und unmündigen Kinder ermordeten. Und ihr Geschrei kam
Schnell in die Stadt. Sobald der Morgen sich rötete, zogen
Streiter zu Roß und Fuße daher, und vom blitzenden Erze
Strahlte das ganze Gefild. Der Donnerer Zeus Kronion
Sendete meinen Gefährten die schändliche Flucht, und es wagte
270
Keiner dem Feinde zu stehn; denn ringsum drohte Verderben.
Viele töteten sie mit eisernen Lanzen, und viele
Schleppten sie lebend hinweg zu harter sklavischer Arbeit.
Aber Kronion Zeus gab selber diesen Gedanken
Mir ins Herz: (o hätte mich lieber des Todes Verhängnis
275
Dort in Ägyptos ereilt, denn meiner harrte nur Unglück!)
Eilend nahm ich den schöngebildeten Helm von dem Haupte,
Und von der Schulter den Schild, und warf den Speer aus der Rechten,
Ging dem Wagen des Königs entgegen, küßt‘ und umarmte
Seine Knie‘, und er schenkte mir voll Erbarmen das Leben,
280
Hieß in den Wagen mich steigen, und führte mich Weinenden heimwärts.
Zwar es stürzten noch oft mit eschenen Lanzen die Feinde
Mich zu ermorden heran, denn sie waren noch heftig erbittert;
Aber er wehrte sie ab, aus Furcht vor der Rache Kronions,
Welcher die Fremdlinge schützt, und ihre Beleidiger strafet.
285
Sieben Jahre blieb ich bei ihm, und sammelte Reichtum
Von dem ägyptischen Volke genung; denn sie gaben mir alle.
Doch wie das achte Jahr im Laufe der Zeiten herankam;
Siehe da kam ein phönikischer Mann, ein arger Betrüger
Und Erzschinder, der viele Menschen ins Elend gestürzt hat.
290
Dieser beredete mich, mit ihm nach Phönike zu fahren,
Wo der Bube sein Haus und sein Erworbenes hatte.
Und ein volles Jahr verweilt‘ ich bei ihm in Phönike.
Aber da jetzt die Monden und Tage waren vollendet,
Und ein anderes Jahr mit den kreisenden Horen herankam;
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Führt‘ er gen Libya mich im meerdurchwallenden Schiffe,
Unter dem listigen Schein, als braucht‘ er mich bei der Ladung:
Um mich dort zu verkaufen, und großen Gewinn zu erwerben.
Ihn begleitet‘ ich zwar argwöhnend, aber ich mußte.
Und sie steurten, im Wehn des reinen beständigen Nordwinds,
300
Über Kreta dahin; doch Zeus beschloß ihr Verderben.
Als wir das grüne Gestade von Kreta jetzo verlassen,
Und ringsum kein Land, nur Meer und Himmel zu sehn war;
Breitete Zeus Kronion ein dunkelblaues Gewölk aus
Über das laufende Schiff, und Nacht lag über der Tiefe.
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Und nun donnerte Zeus, der hochgeschleuderte Strahl schlug
Schmetternd ins Schiff, und es schwankte vom Donner des Gottes erschüttert,
Alles war Schwefeldampf, und die Männer entstürzten dem Boden.
Ähnlich den Wasserkrähn, bekämpften sie, rings um das Schiff her,
Steigend und sinkend die Flut; doch Gott nahm ihnen die Heimkehr.
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Aber Kronion gab, in der schrecklichen Angst und Betäubung,
Selber den hohen Mast des blaugeschnäbelten Schiffes
Mir in die Hände, damit ich noch dem Verderben entflöhe.
Diesen umschlang ich, und trieb durch den Sturm und die tobenden Fluten.
Und neun Tage trieb ich umher; in der zehnten der Nächte
315
Warf mich ans Land der Thesproten die hochherrollende Woge.
Allda nahm mich Pheidon, der edle thesprotische König,
Freundlich und gastfrei auf; denn es fand sein Sohn am Gestade
Mich von Frost und Arbeit Entkräfteten liegen, und führte
Mich mit stützender Hand zu seines Vaters Palaste,
320
Und bekleidete mich mit prächtigem Mantel und Leibrock.
Jener erzählte mir dort von Odysseus, welcher, zur Heimat
Kehrend, ihn hätte besucht, und viele Freundschaftgenossen.
Und er zeigte mir auch die gesammelten Güter Odysseus‘,
Erzes und Goldes die Meng‘ und künstlichgeschmiedetes Eisens;
325
Daß bis ins zehnte Glied sein Geschlecht noch könnte versorgt sein.
Solch ein unendlicher Schatz lag dort im Hause des Königs.
Jener war, wie es hieß, nach Dodona gegangen, aus Gottes
Hochgewipfelter Eiche Kronions Willen zu hören,
Wie er in Ithaka ihm, nach seiner langen Entfernung,
330
Heimzukehren beföhle, ob öffentlich, oder verborgen.
Pheidon beschwur es mir selbst, und beim Trankopfer im Hause,
Segelfertig wäre das Schiff, und bereit die Gefährten,
Um ihn heimzusenden in seiner Väter Gefilde.
Aber mich sandt‘ er zuvor: denn ein Schiff thesprotischer Männer
335
Ging zu dem weizenreichen Dulichion. Diesen befahl er,
Mich sorgfältig dahin zum König Akastos zu bringen
Aber ihrem Herzen gefiel der grausamste Ratschluß
Über mir, daß ich ganz in des Elends Tiefe versänke.
Als das segelnde Schiff nun weit von dem Ufer entfernt war,
340
Droheten jene mir gleich mit dem schrecklichen Tage der Knechtschaft.
Meinen Mantel und Rock entrissen mir jetzo die Räuber,
Und umhüllten mir drauf den häßlichen Kittel und Leibrock,
Beide zerlumpt, wie du selber mit deinen Augen hier siehest.
Und am Abend erreichten wir Ithakas sonnige Hügel.
345
Jetzo banden sie mich im schöngezimmerten Schiffe
Fest mit dem starkgeflochtenen Seil, und stiegen dann selber
An das Gestad‘, und nahmen die schnellbereitete Mahlzeit.
Aber die Götter lösten mir leicht die Knoten der Fessel.
Und ich band um das Haupt die zusammengewickelten Lumpen,
350
Ließ am geglätteten Steuer mich nieder, legte mich vorwärts
Auf das Wasser, und schwamm, mit beiden Händen mich rudernd,
Hurtig von dannen, und bald war ich ferne von ihnen gekommen.
Jetzo stieg ich ans Land, kroch unter ein dickes Gebüsche,
Schmiegte mich hin, und lag. Die andern suchten indessen
355
Mich lautkeuchend umher; allein sie fanden nicht ratsam,
Tiefer ins Land zu gehn. Sie kehrten zurück, und bestiegen
Wieder das hohle Schiff; und mich entrissen die Götter
Leicht der Gefahr, und führten zu eines verständigen Mannes
Hütte mich hin. Denn noch verlängt das Schicksal mein Leben.
360
Ihm antwortetest du, Eumäos, Hüter der Schweine:
Unglückseliger Fremdling, ich fühl‘ es im innersten Herzen,
Was du von deinen Leiden und Irren mir alles erzählt hast.
Eins nur scheinet mir nicht in der Ordnung, das von Odysseus;
Nimmer glaub‘ ich es dir! Was zwingt dich, ehrlicher Alter,
365
So in den Wind zu lügen? Ich weiß zu gut von der Heimkehr
Meines Herren Bescheid! Er ist den Unsterblichen allen
Ganz verhaßt! Nicht einmal vor Troja ließ man ihn sterben,
Noch in den Armen der Freunde, nachdem er den Krieg vollendet;
Denn ein Denkmal hätt‘ ihm das Volk der Achaier errichtet,
370
Und so wäre zugleich sein Sohn bei den Enkeln verherrlicht!
Sondern er ward unrühmlich ein Raub der wilden Harpyen.
Aber ich lebe hier bei den Schweinen so einsam, und komme
Nie in die Stadt, wo nicht die kluge Penelopeia
Mir zu kommen gebeut, wenn Botschaft irgendwoher kam.
375
Ringsum sitzen sie dann, und fragen den Fremdling nach allem:
Einige grämen sich um den langabwesenden König,
Andere freuen sich drob, die seine Habe verprassen.
Aber mir ward die Lust zu fragen gänzlich verbittert,
Seit mich jüngst ein ätolischer Mann durch Märchen getäuscht hat.
380
Dieser war Totschlages halber schon weit geflüchtet, und irrte
Endlich zu meiner Hütte, wo ich mit Freundschaft ihn aufnahm.
Und er verkündigte mir: Bei Idomeneus unter den Kretern
Hab‘ er ihn bessern gesehen die sturmzerschlagenen Schiffe,
Und er käme gewiß, im Sommer oder im Herbste,
385
Mit dem unendlichen Schatz und den göttergleichen Gefährten.
Drum, unglücklicher Greis, den mir ein Himmlischer zuführt,
Trachte nicht meine Gunst durch Lügen dir zu erschmeicheln.
Denn nicht darum werd‘ ich dich ehren oder bewirten,
Sondern aus Furcht vor dem gastlichen Zeus, und weil du mich jammerst.
390
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Wahrlich, du trägst ein sehr ungläubiges Herz in dem Busen,
Da mir der Eidschwur selbst nicht dein Zutrauen gewinnet!
Aber wohlan! wir wollen uns jetzt vergleichen, und Zeugen
Sei’n die Unsterblichen uns, des hohen Olympos Bewohner!
395
Kehrt er wieder zurück zu diesem Hause, dein König;
Siehe dann sollst du mich, mit Rock und Mantel bekleidet,
Gen Dulichion senden: denn dort verlanget mein Herz hin.
Kehret er nicht zurück, dein König, wie ich verkünde;
Alsdann reize die Knechte, vom Felsen herab mich zu stürzen:
400
Daß die Bettler hinfort sich scheuen, Lügen zu schwatzen.
Ihm antwortete drauf der edle Hüter der Schweine:
Fremdling, da wäre mir traun! bei allen Menschen auf Erden
Großes Lob und Verdienst für jetzt und immer gesichert,
Hätt‘ ich dich erst in die Hütte geführt, und freundlich bewirtet,
405
Und erschlage dich dann, und raubte dein liebes Leben!
Freudigkeit gäbe mir das, vor Zeus Kronion zu beten!
Aber die Stunde zum Essen ist da; bald kommen die Leute
Heim, mit mir in der Hütte das köstliche Mahl zu bereiten.
Also besprachen diese sich jetzo untereinander.
410
Und nun kamen die Schwein‘ und ihre Hirten vorn Felde.
Diese schlossen sie drauf in ihre Ställe zum Schlafen,
Und laut tönte das Schreien der eingetriebenen Schweine.
Aber seinen Gehilfen befahl der treffliche Sauhirt:
Bringt das fetteste Schwein, für den fremden Gast es zu opfern,
415
Und uns selber einmal zu erquicken, da wir so lange
Um weißzahnichte Schweine Verdruß und Kummer erduldet,
Während andre umsonst all‘ unsere Mühe verprassen!
Also sprach er, und spaltete Holz mit dem grausamen Erze.
Jene führten ins Haus ein fett fünfjähriges Mastschwein,
420
Stellten es drauf an den Herd. Es vergaß der treffliche Sauhirt
Auch der Unsterblichen nicht, denn fromm war seine Gesinnung!
Sondern begann das Opfer, und warf in die Flamme das Stirnhaar
Vom weißzahnichten Schwein, und flehte den Himmlischen allen,
Daß sie dem weisen Odysseus doch heimzukehren vergönnten;
425
Schwung nun die Eichenkluft, die er beim Spalten zurückwarf,
Schlugs, und sein Leben entfloh; die andern schlachteten, sengten,
Und zerstückten es schnell. Das Fett bedeckte der Sauhirt
Mit dem blutigen Fleische, von allen Gliedern geschnitten;
Dieses warf er ins Feuer, mit feinem Mehle bestreuet.
430
Und sie schnitten das übrige klein, und steckten’s an Spieße.
Brieten’s mit Vorsicht über der Glut, und zogen’s herunter,
Legten dann alles zusammen auf Küchentische. Der Sauhirt
Stellte sich hin, es zu teilen; denn Billigkeit lag ihm am Herzen.
Und in sieben Teile zerlegt‘ er alles Gebratne:
435
Einen legt‘ er den Nymphen, und Hermes, dem Sohne der Mäa,
Betend den andern hin; die übrigen reicht‘ er den Männern.
Aber Odysseus verehrt‘ er den unzerschnittenen Rücken
Vom weißzahnichten Schwein, und erfreute die Seele des Königs.
Fröhlich sagte zu ihm der erfindungsreiche Odysseus:
440
Liebe dich Vater Zeus, wie ich dich liebe, Eumäos,
Da du mir armen Manne so milde Gaben verehrest!
Drauf antwortetest du, Eumäos, Hüter der Schweine:
Iß, mein unglückseliger Freund, und freue dich dessen,
Wie du es hast. Gott gibt uns dieses, und jenes versagt er,
445
Wie es seinem Herzen gefällt; denn er herrschet mit Allmacht.
Sprach’s, und weihte den Göttern die Erstlinge, opferte selber
Funkelnden Wein, und gab ihn dem Städteverwüster Odysseus
In die Hand; er saß bei seinem beschiedenen Anteil.
Ihnen verteilte das Brot Mesaulios, welchen der Sauhirt
450
Selber sich angeschafft, indes sein König entfernt war:
Ohne Penelopeia, und ohne den alten Laertes,
Hatt‘ er von Taphiern ihn mit eigenem Gute gekaufet.
Und sie erhoben die Hände zum leckerbereiteten Mahle.
Und nachdem die Begierde des Tranks und der Speise gestillt war,
455
Trug Mesaulios wieder das Brot von dannen; und alle,
Von dem Brot und dem Fleische gesättigt, eilten zur Ruhe.
Eine grauliche Nacht, unerleuchtet vom schwindenden Monde,
Kam; es regnete Zeus, naßstürmend sauste der Westwind.
Beim Entkleiden versucht‘ Odysseus, ob ihm der Sauhirt
460
Nicht den Mantel vielleicht darbieten, oder der Knechte
Einem es würde befehlen, da er für ihn so besorgt war:
Höre mich jetzt, Eumäos, und hört, ihr übrigen Hirten!
Rühmend red‘ ich ein Wort, vom betörenden Weine besieget,
Welcher den Weisesten oft anreizt zum lauten Gesange,
465
Ihn zum herzlichen Lachen und Gaukeltanze verleitet,
Und manch Wort ihm entlockt, das besser wäre verschwiegen.
Aber weil das Geschwätz doch anfing, will ich’s vollenden.
Wollte Gott, ich grünte noch jetzt in der Fülle der Jugend,
Als da vor Troja wir uns im Hinterhalte verbargen!
470
Führer waren Odysseus, und Atreus‘ Sohn Menelaos,
Und der dritte war ich; denn sie verlangten es selber.
Als wir jetzo die Stadt und die hohe Mauer erreichten,
Legten wir nahe der Burg, im dichtverwachsenen Sumpfe,
Zwischen Weiden und Schilfen uns nieder, unter der Rüstung.
475
Eine stürmische Nacht brach an; der erstarrende Nordwind
Stürzte daher; und stöbernder Schnee, gleich duftigem Reife,
Fiel anfrierend herab, und umzog die Schilde mit Glatteis.
Alle die andern lagen, gehüllt in Mantel und Leibrock,
Mit dem Schilde die Schulter bedeckt, und schlummerten ruhig.
480
Aber ich Unbesonnener ließ den Mantel beim Weggehn
Meinen Gefährten zurück, denn ich achtete gar nicht der Kälte;
Und ging bloß mit dem Schild‘ und schöngegürteten Leibrock.
Doch in der dritten Wache der Nacht, da die Sterne sich neigten,
Stieß ich Odysseus, der mir zur Seiten lag, mit dem Arme,
485
Und sprach schaudernd zu ihm; und schnell war er munter, und hörte:
Edler Laertiad‘, erfindungsreicher Odysseus,
Lange bleib‘ ich nicht mehr bei den Lebenden; sondern mich tötet
Frost, denn ich ließ den Mantel zurück; mich verführte mein Dämon,
Bloß im Rocke zu gehn: und nun ist keine Errettung!
490
Also sprach ich, und schnell beschloß er dieses im Herzen;
So wie immer der Held zum Rat und Kampfe bereit war:
Eilend erwidert‘ er mir mit leiseflüsternder Stimme:
Schweige jetzt, damit kein andrer Achaier dich höre!
Sprach’s, und stützte das Haupt auf den Ellenbogen und sagte:
495
Hört, ihr Lieben, ein göttlicher Traum erschien mir im Schlafe.
Wir sind weit von den Schiffen entfernt! O ginge doch einer,
Atreus‘ Sohn‘ Agamemnon, dem Hirten der Völker, zu sagen,
Daß er noch mehren vom Ufer hieher zu eilen geböte!
Also sprach er; und Thoas, der Sohn Andrämons, erhub sich
500
Eilend, und warf zur Erde den schönen purpurnen Mantel,
Und lief schnell zu den Schiffen; und ich umhüllte mir freudig
Sein Gewand, und lag, bis die Morgenröte heraufstieg.
Wollte Gott, ich grünte noch jetzt in der Fülle der Jugend!
Ach! dann schenkte mir wohl ein Sauhirt hier in der Hütte
505
Einen Mantel, aus Lieb‘ und Achtung gegen den Tapfern!
Nun verachten sie mich, weil ich so elend bedeckt bin!
Ihm antwortetest du, Eumäos, Hüter der Schweine:
Greis, untadelig ist das Geheimnis, so du erzählest;
Und kein unnütz Wort ist deinen Lippen entfallen.
510
Drum soll’s weder an Kleidung, noch etwas anderen, dir mangeln,
Was unglücklichen Fremden, die Hilfe suchen, gebühret,
Jetzt! Doch morgen mußt du in deine Lumpen dich hüllen.
Denn nicht viele Mäntel und oftveränderte Röcke
Haben wir anzuziehn; nur einen hat jeglicher Sauhirt.
515
Kehrt einst wieder zurück der geliebte Sohn von Odysseus,
Gerne wird dich dieser mit Rock und Mantel bekleiden,
Und dich senden, wohin es deinem Herzen gelüstet.
Also sprach er, erhub sich, und setzte neben dem Feuer
Ihm ein Bette, bedeckt mit Fellen von Ziegen und Schafen.
520
Und Odysseus legte sich hin. Da bedeckte der Sauhirt
Ihn mit dem großen wollichten Mantel, womit er sich pflegte
Umzukleiden, wenn draußen ein schrecklicher Winterorkan blies.
Also schlummerte dort Odysseus; neben Odysseus
Legten die Jünglinge sich zum Schlummer. Aber der Sauhirt
525
Liebte nicht, in dem Bett‘, entfernt von den Schweinen, zu schlafen;
Sondern er waffnete sich, hinauszugehn; und Odysseus
Freute sich, daß er so treu des Entfernten Güter besorgte.
Erstlich hängt‘ er ein scharfes Schwert um die rüstigen Schultern,
Hüllte sich dann in den windabwehrenden wollichten Mantel,
530
Nahm das zottichte Fell der großen gemästeten Ziege,
Nahm auch den scharfen Speer, den Schrecken der Menschen und Hunde,
Eilte nun hin, zu ruhn, wo die hauerbewaffneten Eber
Lagen, unter dem Hange des Felsen, geschirmt vor dem Nordwind.

Dreizehnter Gesang

Dreizehnter Gesang

Odysseus, von neuem beschenkt, geht am Abend zu Schiffe, wird schlafend nach Ithaka gebracht, und in Phorkis Bucht ausgesetzt. Das heimkehrende Schiff versteinert Poseidon. Odysseus in Götternebel verkennt sein Vaterland. Athene entnebelt ihm Ithaka, verbirgt sein Gut in der Höhle der Nymphen, entwirft der Freier Ermordung, und gibt ihm die Gestalt eines bettelnden Greises.

Also sprach er; und alle verstummten umher, und schwiegen,
Horchten noch, wie entzückt, im großen schattigen Saale.
Ihm antwortete drauf Alkinoos wieder, und sagte:
Da du zu meiner hohen mit Erz gegründeten Wohnung
5
Kamst; so hoff‘ ich, Odysseus, dich sollen doch jetzt von der Heimfahrt
Keine Stürme verwehn, wie sehr du auch immer geduldet!
Aber gehorchet nun, ihr alle, meiner Ermahnung,
Die ihr beständig allhier, in meinem Palaste, des roten
Ehrenweines genießt, und des Sängers Begeisterung anhört.
10
Kleider liegen bereits in der schöngeglätteten Lade
Für den Fremdling, auch Gold von künstlicher Arbeit, und andre
Reiche Geschenke, so viel die phäakischen Fürsten ihm brachten.
Laßt uns noch jeden ein groß dreifüßig Geschirr und ein Becken
Ihm verehren. Wir fodern uns dann vom versammelten Volke
15
Wieder Ersatz; denn einen belästigten solche Geschenke.
Also sprach er; und allen gefiel die Rede des Königs.
Hierauf gingen sie heim, der süßen Ruhe zu pflegen.
Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,
Eilten sie alle zum Schiffe mit männerehrendem Erze.
20
Aber die heilige Macht Alkinoos legte das alles,
Selber das Schiff durchgehend, mit Sorgfalt unter die Bänke;
Daß es die Ruderer nicht an der Arbeit möchte verhindern.
Hierauf gingen sie alle zur Burg, und besorgten das Gastmahl.
Ihnen versöhnte der König mit einem geopferten Stiere
25
Zeus den donnerumwölkten Kroniden, der alles beherrschet.
Und sie verbrannten die Lenden, und feirten das herrliche Gastmahl,
Fröhliches Muts; auch sang vor ihnen der göttliche Sänger,
Unter den Völkern geehrt, Demodokos. Aber Odysseus
Wandte zur strahlenden Sonn‘ oft ungeduldig sein Haupt auf,
30
Daß sie doch unterginge; denn herzlich verlangt‘ ihn zur Heimat.
Also sehnt sich ein Pflüger zur Mahlzeit, welcher vom Morgen
Bis zum Abend die Brache mit rötlichen Stieren geackert;
Freudig sieht er, wie sich die leuchtende Sonne hinabsenkt,
Eilet zur Abendkost, und dem Gehenden wanken die Kniee:
35
Also freute sich jetzt Odysseus der sinkenden Sonne.
Schnell begann er darauf zu den rudergeübten Phäaken,
Aber vor allen wandt‘ er sich gegen den König, und sagte:
Weitgepriesener Held, Alkinoos, mächtigster König!
Sendet mich jetzt, nach geopfertem Trank, in Frieden; und lebt wohl!
40
Denn ich habe nun alles, was meine Seele gewünscht hat:
Eine sichere Fahrt und werte Geschenke. Die Götter
Lassen mir alles gedeihn! daß ich unsträflich die Gattin
Wiederfinde daheim, und unbeschädigt die Freunde.
Ihr, die ich jetzo verlasse, beglückt noch lange die Weiber
45
Eurer Jugend, und Kinder! Euch segnen die Götter mit Tugend
Und mit Heil, und nie heimsuche die Insel ein Unglück!
Also sprach er; es lobten ihn alle Fürsten, und rieten,
Heimzusenden den Gast, weil seine Bitte gerecht war.
Aber die heilige Macht Alkinoos sprach zu dem Herold:
50
Mische Wein in dem Kelche, Pontonoos; reiche dann allen
Männern im Saal‘ umher; daß wir dem Vater Kronion
Flehn, und unseren Gast zu seiner Heimat befördern.
Sprach’s; und Pontonoos mischte des herzerfreuenden Weines,
Ging umher, und verteilte die vollen Becher. Sie gossen
55
Flehend den Göttern des Tranks, die den weiten Himmel bewohnen,
Jeder von seinem Sitz. Da erhub sich der edle Odysseus,
Gab in Aretens Hand den schönen doppelten Becher,
Redete freundlich sie an, und sprach die geflügelten Worte:
Lebe beständig wohl, o Königin, bis dich das Alter
60
Sanft beschleicht und der Tod, die allen Menschen bevorstehn!
Jetzo scheid‘ ich von dir. Sei glücklich in diesem Palaste,
Samt den Kindern, dem Volk, und Alkinoos, deinem Gemahle!
Eilend ging nun der Held Odysseus über die Schwelle.
Und die heilige Macht Alkinoos sandte den Herold,
65
Ihn zu dem rüstigen Schiff ans Meergestade zu führen.
Auch die Königin ließ ihn von drei Jungfrauen begleiten:
Eine trug ihm den schöngewaschenen Mantel und Leibrock;
Diese sandte sie mit, die zierliche Lade zu bringen;
Jene folgte dem Zuge mit Speis‘ und rötlichem Weine.
70
Als sie jetzo das Schiff und des Meeres Ufer erreichten,
Nahmen eilig von ihnen die edlen Geleiter Odysseus‘
Alles, auch Speis‘ und Trank, und legten es nieder im Schiffe;
Betteten jetzt für Odysseus ein Polster und leinenen Teppich
Auf dem Hinterverdeck des hohlen Schiffes, damit er
75
Ruhig schliefe. Dann stieg er hinein, und legte sich schweigend
Auf sein Lager. Nun setzten sich alle hin auf die Bänke,
Nach der Ordnung, und lösten das Seil vom durchlöcherten Steine,
Beugten sich vor und zurück, und schlugen das Meer mit dem Ruder.
Und ein sanfter Schlaf bedeckte die Augen Odysseus‘,
80
Unerwecklich und süß, und fast dem Tode zu gleichen.
Wie wenn auf ebener Bahn vier gleichgespannete Hengste
Alle zugleich hinstürzen, umschwirrt von der treibenden Geißel,
Hoch sich erhebend, und hurtig zum Ziele des Laufes gelangen:
Also erhob sich das Steuer des Schiffs, und es rollte von hinten
85
Dunkel und groß die Woge des lautaufrauschenden Meeres.
Schnell und sicheres Laufes enteilten sie; selber kein Habicht
Hätte sie eingeholt, der geschwindeste unter den Vögeln.
Also durcheilte der schneidende Kiel die Fluten des Meeres,
Heimwärts tragend den Mann, an Weisheit ähnlich den Göttern.
90
Ach! er hatte so viel unnennbare Leiden erduldet,
Da er die Schlachten der Männer und tobende Fluten durchkämpfte;
Und nun schlief er so ruhig, und alle sein Leiden vergessend.
Als nun östlich der Stern mit funkelndem Schimmer emporstieg,
Welcher das kommende Licht der Morgenröte verkündet;
95
Schwebten sie nahe der Insel im meerdurchwallenden Schiffe.
Phorkys, dem Greise des Meers, ist eine der Buchten geheiligt,
Gegen der Ithaker Stadt, wo zwo vorragende schroffe
Felsenspitzen der Reede sich an der Mündung begegnen.
Diese zwingen die Flut, die der Sturm lautbrausend heranwälzt,
100
Draußen zurück; inwendig am stillen Ufer des Hafens
Ruhn unangebunden die schöngebordeten Schiffe.
Oben grünt am Gestad‘ ein weitumschattender Ölbaum.
Eine Grotte, nicht fern von dem Ölbaum, lieblich und dunkel,
Ist den Nymphen geweiht, die man Najaden benennet.
105
Steinerne Krüge stehn und zweigehenkelte Urnen
Innerhalb; und Bienen bereiten drinnen ihr Honig.
Aber die Nymphen weben auf langen steinernen Stühlen
Feiergewande, mit Purpur gefärbt, ein Wunder zu schauen.
Unversiegende Quellen durchströmen sie. Zwo sind der Pforten:
110
Eine gen Mitternacht, durch welche die Menschen hinabgehn;
Mittagwärts die andre geheiligte: diese durchwandelt
Nie ein sterblicher Mensch; sie ist der Unsterblichen Eingang.
Jene lenkten hinein, denn sie kannten den Hafen schon vormals.
Siehe da eilte das Schiff bis an die Hälfte des Kieles
115
Stürmend ans Land: so stark war der Schwung von der Ruderer Händen.
Und sie stiegen vom Schiffe mit zierlichen Bänken ans Ufer,
Hoben zuerst Odysseus vom Hinterverdecke des Schiffes,
Samt dem leinenen Teppich und schönen purpurnen Polster,
Und dann legten sie ihn, wie er schlummerte, nieder im Sande.
120
Und sie enthoben das Gut, das die edlen Phäaken beim Abschied
Ihm geschenkt, durch Fügung der mutigen Pallas Athene.
Dieses legten sie alles zuhauf am Stamme des Ölbaums,
Außer dem Wege, daß kein vorübergehender Wandrer
Heimlich zu rauben käme, bevor Odysseus erwachte.
125
Und nun fuhren sie heim. Doch Poseidaon vergaß nicht
Seiner Drohung, die er dem göttergleichen Odysseus
Ehmals hatte gedroht; er forschte den Willen Kronions:
Vater Zeus, auf immer ist bei den unsterblichen Göttern
Meine Ehre dahin, da Sterbliche meiner nicht achten,
130
Jene Phäaken, die selbst von meinem Blute gezeugt sind!
Sieh, ich vermutet‘, es sollte nach vielen Leiden Odysseus
Kommen ins Vaterland; denn gänzlich hätt‘ ich die Heimkehr
Nimmer gewehrt, da dein allmächtiger Wink sie verheißen:
Und sie bringen im Schlaf ihn über die Wogen, und setzen
135
Ihn in Ithaka aus, und geben ihm teure Geschenke,
Erzes und Goldes die Meng‘, und schöngewebete Kleider,
Mehr als Odysseus je aus Ilion hätte geführet,
Wär‘ er auch ohne Schaden mit seiner Beute gekommen!
Ihm antwortete drauf der Wolkenversammler Kronion:
140
Welche Red‘ entfiel dir, du erderschütternder König?
Nimmer verachten dich die Götter! vermessene Kühnheit
Wär‘ es, den ältesten mächtigsten Gott mit Verachtung zu reizen.
Weigert sich aber ein Mensch, durch Kraft und Stärke verleitet,
Dich, wie er soll, zu ehren; so bleibt dir ja immer die Rache.
145
Tue jetzt, wie du willst, und deinem Herzen gelüstet!
Drauf erwiderte jenem der Erderschüttrer Poseidon:
Gerne vollendet‘ ich gleich, Schwarzwolkichter, was du gestattest;
Aber ich fürchte mich stets vor deinem eifernden Zorne.
Jetzo will ich das schöngezimmerte Schiff der Phäaken,
150
Das vom Geleiten kehrt, im dunkelwogenden Meere
Plötzlich verderben; damit sie sich scheun, und die Männergeleitung
Lassen; und rings um die Stadt will ich ein hohes Gebirg ziehn.
Ihm antwortete drauf der Wolkenversammler Kronion:
Teuerster, dieser Rat scheint meinem Sinne der beste.
155
Wann die Bürger der Stadt dem näher rudernden Schiffe
Alle entgegen schaun, dann verwandel‘ es nahe dem Ufer
Zum schiffähnlichen Fels; daß alle Menschen dem Wunder
Staunen; und rings um die Stadt magst du ein hohes Gebirg ziehn.
Als er solches vernommen, der Erderschüttrer Poseidon,
160
Ging er gen Scheria hin, dem Lande der stolzen Phäaken.
Allda harrt‘ er; und bald kam nahe dem Ufer das schnelle
Meerdurchgleitende Schiff. Da nahte sich Poseidaon,
Schlug es mit flacher Hand, und siehe! plötzlich versteinert,
Wurzelt‘ es fest am Boden des Meers. Drauf ging er von dannen.
165
Aber am Ufer besprachen mit schnellgeflügelten Worten
Sich die Phäaken, die Führer der langberuderten Schiffe.
Einer wendete sich zu seinem Nachbar, und sagte:
Wehe! wer hemmt im Meere den Lauf des rüstigen Schiffes,
Welches zur Heimat eilte? Wir sahn es ja völlig mit Augen!
170
Also redeten sie, und wußten nicht, was geschehn war.
Aber jetzo begann Alkinoos in der Versammlung:
Weh mir! es trifft mich jetzo ein längst verkündetes Schicksal.
Mir erzählte mein Vater vordem, uns zürne Poseidon,
Weil wir ohne Gefahr jedweden zu Schiffe geleitet.
175
Dieser würde dereinst ein treffliches Schiff der Phäaken,
Das vom Geleiten kehrte, im dunkelwogenden Meere
Plötzlich verderben, und rings um die Stadt ein hohes Gebirg ziehn.
So weissagte der Greis; das wird nun alles erfüllet.
Aber wohlan! gehorcht nun alle meinem Befehle.
180
Laßt die Männergeleitung, woher auch ein Sterblicher komme,
Unserem Volke zu flehn; und opfert jetzo Poseidon
Zwölf erlesene Stiere! Vielleicht erbarmt er sich unser,
Daß er nicht rings um die Stadt ein hohes Felsengebirg zieht.
Also sprach er, und bange bereiteten jene das Opfer.
185
Also beteten dort zum Meerbeherrscher Poseidon,
Für der Phäaken Stadt, die erhabenen Fürsten und Pfleger,
Stehend um den Altar. Da erwachte der edle Odysseus,
Ruhend auf dem Boden der lange verlassenen Heimat.
Und er kannte sie nicht; denn eine Göttin umhüllt‘ ihn
190
Rings mit dunkler Nacht, Zeus‘ Tochter, Pallas Athene,
Ihn unkennbar zu machen, und alles mit ihm zu besprechen:
Daß ihn weder sein Weib noch die Freund‘ und Bürger erkennten,
Bis die üppigen Freier für allen Frevel gebüßet.
Alles erschien daher dem ringsumschauenden König
195
Unter fremder Gestalt: Heerstraßen, schiffbare Häfen,
Wolkenberührende Felsen, und hochgewipfelte Bäume.
Jetzo erhub er sich, stand; und da er sein Vaterland ansah,
Hub er bitterlich an zu weinen, und schlug sich die Hüften
Beide mit flacher Hand, und sprach mit klagender Stimme:
200
Weh mir! zu welchem Volke hin ich nun wieder gekommen?
Sind’s unmenschliche Räuber, und sittenlose Barbaren;
Oder Diener der Götter, und Freunde des heiligen Gastrechts?
Wo verberg‘ ich dies viele Gut? und wohin soll ich selber
Irren? O wäre doch dies im phäakischen Lande geblieben!
205
Und mir hätte dagegen ein anderer mächtiger König
Hilfe gewährt, mich bewirtet und hingesendet zur Heimat!
Jetzo weiß ich es weder wo hinzulegen, noch kann ich’s
Hier verlassen, damit es nicht andern werde zur Beute!
Ach! so galt denn bei jenen Gerechtigkeit weder, noch Weisheit,
210
Bei des phäakischen Volks erhabenen Fürsten und Pflegern,
Die in ein fremdes Land mich gebracht! Sie versprachen so heilig,
Mich nach Ithakas Höhn zu führen; und täuschten mich dennoch!
Zeus vergelt‘ es ihnen, der Leidenden Rächer, der aller
Menschen Beginnen schaut, und alle Sünde bestrafet!
215
Aber ich will doch jetzo die Güter zählen und nachsehn,
Ob sie mir etwas geraubt, als sie im Schiffe davon flohn.
Also sprach er, und zählte die Becken und schönen Geschirre
Mit drei Füßen, das Gold und die prächtig gewebeten Kleider;
Und ihm fehlte kein Stück. Nun weint‘ er sein Vaterland wieder,
220
Wankt‘ umher am Ufer des lautaufrauschenden Meeres,
Und wehklagete laut. Da nahte sich Pallas Athene,
Eingehüllt in Jünglingsgestalt, als Hüter der Herden,
Zart und lieblich von Wuchs, wie Königskinder einhergehn.
Diese trug um die Schultern ein wallendes feines Gewebe,
225
Einen Spieß in der Hand, und Sohlen an glänzenden Füßen.
Als sie Odysseus erblickte; da freut‘ er sich, ging ihr entgegen,
Redete freundlich sie an, und sprach die geflügelten Worte:
Lieber, weil du zuerst mir an diesem Orte begegnest,
Sei mir gegrüßt, und nahe dich nicht mit feindlichem Herzen;
230
Sondern beschütze mich selbst und dieses. Wie einem der Götter,
Fleh ich dir, und umfasse die werten Kniee voll Demut.
Auch verkündige mir aufrichtig, damit ich es wisse:
Wie benennt ihr das Land, die Stadt, und ihre Bewohner?
Ist dies eine der Inseln voll sonnenreicher Gebirge;
235
Oder die meereinlaufende Spitze der fruchtbaren Feste?
Ihm antwortete Zeus‘ blauäugichte Tochter Athene:
Fremdling du bist nicht klug, oder ferne von hinnen gebürtig;
Da du nach diesem Lande mich fragst! Ich dächte, so gänzlich
Wär‘ es nicht unberühmt; und sicherlich kennen es viele:
240
Alle die morgenwärts, und wo die Sonne sich umdreht,
Wohnen, oder da hinten, gewandt zum nächtlichen Dunkel.
Freilich ist es rauh, und taugt nicht Rosse zu tummeln;
Doch ganz elend auch nicht, wiewohl es an Ebnen ihm mangelt.
Reichlich gedeihet bei uns die Frucht des Feldes, und reichlich
245
Lohnet der Wein; denn Regen und Tau befruchten das Erdreich.
Treffliche Ziegenweiden sind hier, auch Weiden der Rinder;
Waldungen jeglicher Art, und immerfließende Bäche.
Fremdling, Ithakas Ruf ist selbst nach Troja gekommen;
Und das, sagen sie, liegt sehr fern vom achaiischen Lande!
250
Also sprach er; da freute der herrliche Dulder Odysseus
Sich im innersten Herzen des Vaterlandes, das jetzo
Pallas Athene ihm nannte, des Wetterleuchtenden Tochter.
Und er redte sie an, und sprach die geflügelten Worte;
Doch vermied er die Wahrheit mit schlauabweichender Rede,
255
Und sein erfindungsreicher Verstand war in steter Bewegung:
Ja, von Ithaka hört‘ ich in Kretas weitem Gefilde,
Ferne jenseit des Meers. Nun komme ich selber mit diesem
Gute hieher, und ließ den Kindern noch eben so vieles,
Als ich entfloh. Ich nahm Idomeneus‘ Sohne das Leben,
260
Jenem hurtigen Helden Orsilochos, welcher in Kreta
Alle geübtesten Läufer an Schnelle der Füße besiegte.
Denn er wollte mich ganz der troischen Beute berauben,
Derenthalb ich so viel unnennbare Leiden erduldet,
Blutige Schlachten der Männer und tobende Fluten durchkämpfend,
265
Weil ich seinem Vater zu dienen nimmer gewillfahrt,
In dem troischen Land‘, und selbst ein Geschwader geführet.
Aber mit ehernem Speer erschoß ich ihn, als er vom Felde
Kam; ich laurte versteckt mit einem Gefährten am Wege.
Eine düstere Nacht umhüllte den Himmel, und unser
270
Nahm kein Sterblicher wahr, und heimlich raubt‘ ich sein Leben.
Dennoch, sobald ich jenen mit ehernem Speere getötet,
Eilt‘ ich ans Ufer des Meers zum Schiffe der stolzen Phöniker,
Flehte sie an, und gewann sie mit einem Teile der Beute;
Daß sie an Pylos Gestade mich auszusetzen versprachen,
275
Oder der göttlichen Elis, die von den Epeiern beherrscht wird.
Aber leider! sie trieb die Gewalt des Orkanes von dannen,
Ihnen zum großen Verdruß; denn sie dachten mich nicht zu betrügen.
Und wir irrten umher, und kamen hier in der Nacht an.
Mühsam ruderten wir das Schiff in den Hafen, und niemand
280
Dachte der Abendkost, so sehr wir auch ihrer bedurften;
Sondern wir stiegen nur so ans Ufer, und legten uns nieder.
Und ich entschlummerte sanft, ermüdet von langer Arbeit.
Jene huben indes mein Gut aus dem Raume des Schiffes,
Legten es auf dem Sande, wo ich sanft schlummerte, nieder;
285
Stiegen dann ein, und steurten der wohlbevölkerten Küste
Von Sidonia zu; ich blieb mit traurigem Herzen.
Also sprach er; da lächelte Zeus‘ blauäugichte Tochter,
Streichelt‘ ihn mit der Hand; und schien nun plötzlich ein Mädchen,
Schöngebildet und groß und klug in künstlicher Arbeit.
290
Und sie redet‘ ihn an, und sprach die geflügelten Worte:
Geist erfoderte das und Verschlagenheit, dich an Erfindung
Jeglicher Art zu besiegen, und käm‘ auch einer der Götter!
Oberlistiger Schalk voll unergründlicher Ränke,
Also gebrauchst du noch selbst im Vaterlande Verstellung
295
Und erdichtete Worte, die du als Knabe schon liebtest?
Aber laß uns hievon nicht weiter reden; wir kennen
Beide die Kunst: du bist von allen Menschen der erste
An Verstand und Reden, und ich bin unter den Göttern
Hochgepriesen an Rat und Weisheit. Aber du kanntest
300
Pallas Athene nicht, Zeus‘ Tochter, welche beständig
Unter allen Gefahren dir beistand, und dich beschirmte,
Und dir auch die Liebe von allen Phäaken verschaffte.
Jetzo komm‘ ich hieher, um dir Anschläge zu geben,
Und zu verbergen das Gut, so viel die edlen Phäaken
305
Dir Heimkehrenden schenkten, durch meine Klugheit geleitet:
Auch zu verkünden, daß deiner im schöngebauten Palaste
Viele Drangsal noch harrt. Doch du ertrage sie standhaft,
Und entdecke dich keinem der Männer oder der Weiber,
Daß du von Leiden verfolgt hier ankamst; sondern erdulde
310
Schweigend dein trauriges Los, und schmiege dich unter die Stolzen.
Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Schwer, o Göttin, erkennt dich ein Sterblicher, dem du begegnest,
Sei er auch noch so geübt; denn du nimmst jede Gestalt an.
Dennoch weiß ich es wohl, daß du vor Zeiten mir hold warst,
315
Als wir Achaier noch die hohe Troja bekriegten.
Aber seit wir die Stadt des Priamos niedergerissen,
Und von dannen geschafft, und ein Gott die Achaier zerstreuet,
Hab‘ ich dich nimmer gesehn, Zeus‘ Tochter, und nimmer vernommen,
Daß du mein Schiff betratst, mich einer Gefahr zu entreißen;
320
Sondern immer, im Herzen von tausend Sorgen verwundet,
Irrt‘ ich umher, bis die Götter sich meines Jammers erbarmten:
Außer daß du zuletzt in dem fetten phäakischen Eiland
Mich durch Worte gestärkt, und zu der Stadt mich geführt hast.
Jetzo fleh‘ ich dich an bei deinem Vater: (ich fürchte
325
Immer, ich sei noch nicht in Ithaka, sondern durchirre
Wieder ein anderes Land, und spottend habest du, Göttin,
Mir dies alles verkündet, um meine Seele zu täuschen:)
Sage mir, bin ich denn wirklich im lieben Vaterlande?
Drauf antwortete Zeus‘ blauäugichte Tochter Athene:
330
Stets bewahrest du doch im Herzen jene Gesinnung:
Darum kann ich dich auch im Unglück nimmer verlassen,
Weil du behutsam bist, scharfsinnig und männliches Herzens.
Jeder irrende Mann der spät heimkehrte, wie freudig
Würd‘ er zu Hause nun eilen, sein Weib und die Kinder zu sehen!
335
Aber dich kümmert das nicht, zu wissen oder zu fragen,
Eh‘ du selber dein Weib geprüft hast, welche beständig
So im Hause sitzt; denn immer schwinden in Jammer
Ihre Tage dahin, und unter Tränen die Nächte.
Zwar ich zweifelte nie an der Wahrheit, sondern mein Herz war
340
Überzeugt, du kehrtest ohn‘ alle Gefährten zur Heimat;
Aber ich scheuete mich, Poseidon entgegen zu kämpfen,
Meines Vaters Bruder, der dich mit Rache verfolgte,
Zürnend, weil du das Auge des lieben Sohnes geblendet.
Aber damit du mir glaubest, so zeig‘ ich dir Ithakas Lage.
345
Phorkys, dem Greise des Meers, ist dieser Hafen geheiligt;
Hier am Gestade grünt der weitumschattende Ölbaum;
Dieses ist die große gewölbete Grotte des Felsens,
Wo du den Nymphen oft vollkommene Opfer gebracht hast;
Jenes hohe Gebirg ist Neritons waldichter Gipfel.
350
Sprach’s, und zerstreute den Nebel; und hell lag vor ihm die Gegend.
Siehe da freuete sich der edle Dulder Odysseus
Herzlich des Vaterlandes, und küßte die fruchtbare Erde.
Und nun fleht‘ er den Nymphen mit aufgehobenen Händen:
Zeus‘ unsterbliche Töchter, ihr hohen Najaden, ich hoffte
355
Nimmer, euch wieder zu sehn; seid nun in frommem Gebete
Mir gegrüßt: bald bringen wir euch Geschenke, wie ehmals,
Wenn mir anders die Gnade von Zeus‘ siegprangender Tochter
Jetzo das Leben erhält, und den lieben Sohn mir gesegnet!
Drauf antwortete Zeus‘ blauäugichte Tochter Athene:
360
Sei getrost, und laß dich diese Gedanken nicht kümmern!
Aber wohlan, wir wollen im Winkel der heiligen Grotte
Gleich verbergen das Gut, damit es in Sicherheit liege,
Und uns dann beraten, was jetzo das Beste zu tun sei.
Also sprach die Göttin, und ging in die dämmernde Grotte,
365
Heimliche Winkel umher ausspähend. Aber Odysseus
Brachte das Gut hinein, die schöngewebeten Kleider,
Gold und daurendes Erz, das ihm die Phäaken geschenket,
Und verbarg es behende; dann setzte Pallas Athene
Einen Stein vor die Türe, des Wetterleuchtenden Tochter.
370
Hierauf setzten sie sich am Stamme des heiligen Ölbaums,
Und beschlossen den Tod der übermütigen Freier.
Also redete Zeus‘ blauäugichte Tochter Athene:
Edler Laertiad‘, erfindungsreicher Odysseus,
Denk itzt nach, wie dein Arm die schamlosen Freier bestrafe,
375
Welche nun schon drei Jahr‘ obwalten in deinem Palaste,
Und dein göttliches Weib mit Brautgeschenken umwerben.
Aber mit herzlichen Tränen erwartet sie deine Zurückkunft.
Allen verheißt sie Gunst, und sendet jedem besonders
Schmeichelnde Botschaft; allein im Herzen denket sie anders.
380
Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Weh mir! ich wäre gewiß, wie Atreus‘ Sohn Agamemnon,
Nun des schmählichsten Todes in meinem Hause gestorben,
Hättest du, Göttin, mir nicht umständlich das alles verkündigt!
Aber nun gib mir Rat, wie ich die Freier bestrafe.
385
Stehe du selber mir bei, und hauche mir Mut und Entschluß ein,
Wie vordem, da wir Troja die prächtiggetürmte zerstörten!
Stündest du nun so eifrig mir bei, blauäugichte Göttin,
Siehe so ging ich getrost dreihundert Feinden entgegen,
Heilige Göttin, mit dir, wenn du mir Hilfe gewährtest!
390
Drauf antwortete Zeus‘ blauäugichte Tochter Athene:
Gerne steh ich dir bei; du sollst mein nimmer entbehren,
Wann wir die Arbeit einst beginnen. Auch hoff‘ ich, es werde
Mancher mit Blut und Gehirn den weiten Boden besudeln,
Von der Rotte der Freier, die deine Habe verzehren.
395
Aber damit dich keiner der sterblichen Menschen erkenne;
Muß einschrumpfen das schöne Fleisch der biegsamen Glieder,
Und das bräunliche Haar vom Haupte verschwinden; ein Kittel
Dich umhüllen, den jeglicher Mensch mit Ekel betrachte;
Triefend und blöde sein die anmutstrahlenden Augen:
400
Daß du so ungestalt vor allen Freiern erscheinest,
Deinem Weib‘, und dem Sohne, den du im Hause verließest.
Hierauf gehe zuerst dorthin, wo der treffliche Sauhirt
Deiner Schweine hütet, der stets mit Eifer dir anhängt,
Und Telemachos liebt und die züchtige Penelopeia.
405
Sitzend findest du ihn bei der Schweine weidender Herde,
Nahe bei Korax‘ Felsen, im arethusischen Borne.
Allda mästen sie sich mit lieblichen Eicheln, und trinken
Schattiges Wasser, wovon das Fett den Schweinen entblühet.
Bleib bei jenem, und setze dich hin, und frage nach allem.
410
Ich will indes gen Sparta, dem Lande rosiger Mädchen,
Gehn, und deinen Sohn Telemachos rufen, Odysseus:
Welcher zu Menelaos in Lakedämons Gefilde
Fuhr, um Kundschaft zu spähn, ob du noch irgendwo lebtest.
Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
415
Warum sagtest du ihm nicht alles, da du es wußtest?
Etwa damit auch er, in des Meeres wüsten Gewässern
Todesgefahren durchirrte, da Fremde sein Eigentum fressen?
Drauf antwortete Zeus‘ blauäugichte Tochter Athene:
Sorge für deinen Sohn nicht allzu ängstlich, Odysseus.
420
Ich geleitet‘ ihn selbst, damit er dort in der Fremde
Ruhm sich erwürb‘; auch sitzt er, ohn allen Kummer, geruhig
In des Atreiden Palast, und hat dort volle Genüge.
Jünglinge lauern zwar auf ihn im schwärzlichen Schiffe,
Daß sie ihn töten, bevor er in seine Heimat zurückkehrt.
425
Aber ich hoffe das nicht; erst deckt die Erde noch manchen
Von der Rotte der Freier, die deine Habe verzehren.
Also sprach die Göttin, und rührt‘ ihn sanft mit der Rute.
Siehe da schrumpfte das schöne Fleisch der biegsamen Glieder,
Und die bräunlichen Haare des Hauptes verschwanden, und ringsum
430
Hing an den schlaffen Gliedern die Haut des alternden Greises;
Triefend und blöde wurden die anmutstrahlenden Augen.
Statt der Gewand‘ umhüllt‘ ihn ein häßlicher Kittel und Leibrock,
Beide zerlumpt und schmutzig, vom häßlichen Rauche besudelt.
Auch bedeckt‘ ihn ein großes Fell des hurtigen Hirsches,
435
Kahl von Haaren. Er trug einen Stab und garstigen Ranzen,
Allenthalben geflickt, mit einem geflochtenen Tragband.
Also besprachen sie sich, und schieden. Pallas Athene
Ging zu Odysseus‘ Sohn in die göttliche Stadt Lakedämon.

Zwölfter Gesang

Zwölfter Gesang

Ankunft in Meer und Tageslicht bei Ääa. Elpenors Bestattung. Kirke meldet die Gefahren des Wegs: erst die Sirenen; dann rechts die malmenden Irrfelsen, links die Enge zwischen Skylla und Charybdis; jenseits diesen die Sonnenherden in Thrinakia. Abfahrt mit Götterwind. Nach Vermeidung der Sirenen, läßt Odysseus die Irrfelsen rechts, und steuert an Skyllas Fels in die Meerenge, indem Charybdis einschlurft; Skylla raubt sechs Männer. Erzwungene Landung an Thrinakia, wo durch Sturm ausgehungert, die Genossen heilige
Rinder schlachten. Schiffbruch; Odysseus auf der Trümmern zur schlurfenden Charybdis zurückgetrieben, dann nach Ogygia zur Kalypso.

Als wir jetzo die Flut des Oceanstromes durchsegelt,
Fuhren wir über die Woge des weithinwogenden Meeres
Zur ääischen Insel, allwo der dämmernden Frühe
Wohnung und Tänze sind, und Helios leuchtender Aufgang.
5
Jetzo landeten wir am sandigen Ufer der Insel,
Stiegen alsdann aus dem Schiff‘ ans krumme Gestade des Meeres,
Schlummerten dort ein wenig, und harrten der heiligen Frühe.
Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,
Sandt‘ ich einige Freunde zur Wohnung der göttlichen Kirke,
10
Unsers toten Gefährten Elpenors Leichnam zu holen.
Eilig fällten wir Holz auf der höchsten Spitze des Landes,
Und bestatteten ihn mit vielen Tränen und Seufzern.
Als der Tote nunmehr und des Toten Rüstung verbrannt war,
Häuften wir ihm ein Grab, und errichteten drüber ein Denkmal,
15
Pflanzten dann hoch auf das Grab sein schöngeglättetes Ruder.
Also bestellten wir dies nach der Ordnung. Doch unsre Zurückkunft
Aus dem Reiche der Nacht blieb Kirke nicht lange verborgen;
Denn bald kam sie geschmückt, und ihre begleitenden Jungfraun
Trugen Gebacknes und Fleisch samt rotem funkelnden Weine.
20
Und sie trat in die Mitte, die hehre Göttin, und sagte:
Arme, die ihr lebendig in Aïdes Wohnung hinabfuhrt!
Zweimal schmeckt ihr den Tod, den andre nur einmal empfinden.
Aber wohlan, erquickt euch mit Speis‘ und funkelndem Weine
Hier, bis die Sonne sinkt; und sobald der Morgen sich rötet,
25
Schifft! Ich will euch den Weg und alle Gefahren des Weges
Selbst verkünden, damit nicht hinfort unselige Torheit,
Weder zu Wasser noch Land‘, euch neuen Jammer bereite.
Also sprach sie, und zwang der Edlen Herz zum Gehorsam.
Also saßen wir dort den Tag, bis die Sonne sich neigte,
30
An der Fülle des Fleisches und süßen Weines uns labend.
Als die Sonne nun sank, und Dunkel die Erde bedeckte,
Legten sich jene zur Ruh am festgebundenen Schiffe.
Aber mich nahm bei der Hand die Göttin, führte mich abwärts,
Legte sich neben mir nieder, und fragete, was mir begegnet!
35
Und ich erzählte darauf umständlich die ganze Geschichte.
Jetzt antwortete mir die hohe Kirke, und sagte:
Dieses hast du denn alles vollbracht; vernimm nun, Odysseus,
Was ich dir sagen will: Des wird auch ein Gott dich erinnern.
Erstlich erreichet dein Schiff die Sirenen; diese bezaubern
40
Alle sterblichen Menschen, wer ihre Wohnung berühret.
Welcher mit törichtem Herzen hinanfährt, und der Sirenen
Stimme lauscht, dem wird zu Hause nimmer die Gattin
Und unmündige Kinder mit freudigem Gruße begegnen;
Denn es bezaubert ihn der helle Gesang der Sirenen,
45
Die auf der Wiese sitzen, von aufgehäuftem Gebeine
Modernder Menschen umringt und ausgetrockneten Häuten.
Aber du steure vorbei, und verkleibe die Ohren der Freunde
Mit dem geschmolzenen Wachse der Honigscheiben, daß niemand
Von den andern sie höre. Doch willst du selber sie hören;
50
Siehe dann binde man dich an Händen und Füßen im Schiffe,
Aufrecht stehend am Maste, mit festumschlungenen Seilen:
Daß du den holden Gesang der zwo Sirenen vernehmest.
Flehst du die Freunde nun an, und befiehlst die Seile zu lösen;
Eilend feßle man dich mit mehreren Banden noch stärker!
55
Sind nun deine Gefährten bei diesen vorüber gerudert,
Dann bestimm‘ ich den Weg nicht weiter, ob du zur Rechten
Oder zur Linken dein Schiff hinsteuren müssest; erwäg‘ es
Selber in deinem Geist. Ich will dir beide bezeichnen.
Hier stürmt gegen den Fuß der überhangenden Klippen
60
Hochaufbrausend die Woge der bläulichen Amphitrite.
Irrende Klippen nennt sie die Sprache der seligen Götter.
Selbst kein fliegender Vogel, noch selbst die schüchternen Tauben
Eilen vorbei, die Zeus dem Vater Ambrosia bringen;
Sondern der glatte Fels raubt eine von ihnen beständig!
65
Aber der Vater erschafft eine andre, die Zahl zu ergänzen.
Und noch nimmer entrann ein Schiff, das ihnen sich nahte;
Sondern zugleich die Trümmer des Schiffs und die Leichen der Männer
Wirbelt die Woge des Meers und verzehrende Feuerorkane.
Eins nur steurte vorbei von den meerdurchwandelnden Schiffen,
70
Argo, die Allbesungne, da sie von Äëtes zurückfuhr;
Und bald hätte die Flut auch sie an die Klippe geschmettert,
Doch sie geleitete Here, die waltende Göttin Jasons.
Dorthin drohn zween Felsen: der eine berühret den Himmel
Mit dem spitzigen Gipfel, vom düsterblauen Gewölke
75
Rings umhüllt, das nimmer zerfließt; und nimmer erhellen
Heitere Tage den Gipfel, im Sommer oder im Herbste.
Keiner vermochte hinauf, und keiner hinunter zu steigen,
Wenn er auch zwanzig Händ‘ und zwanzig Füße bewegte;
Denn der Stein ist so glatt, als wär‘ er ringsum behauen.
80
In der Mitte des Felsen ist eine benachtete Höhle,
Abendwärts, gewandt nach des Erebos‘ Gegend, allwo ihr
Euer gebogenes Schiff vorbeilenkt, edler Odysseus.
Von dem Boden des Schiffes vermöchte der fertigste Schütze
Nicht den gefiederten Pfeil bis an die Höhle zu schnellen.
85
Diese Höhle bewohnt die fürchterlich bellende Skylla,
Deren Stimme hell, wie der jungen saugenden Hunde
Winseln tönt, sie selbst ein greuliches Scheusal, daß niemand
Ihrer Gestalt sich freut, wenn auch ein Gott ihr begegnet.
Siehe das Ungeheuer hat zwölf abscheuliche Klauen,
90
Und sechs Häls‘ unglaublicher Läng‘, auf jeglichem Halse
Einen gräßlichen Kopf, mit dreifachen Reihen gespitzter
Dichtgeschlossener Zähne voll schwarzes Todes bewaffnet.
Bis an die Mitte steckt ihr Leib in der Höhle des Felsens,
Aber die Köpfe bewegt sie hervor aus dem schrecklichen Abgrund,
95
Blickt heißhungrig umher, und fischt sich rings um den Felsen
Meerhund‘ oft und Delphine, und oft noch ein größeres Seewild,
Aus der unzähligen Schar der brausenden Amphitrite.
Noch kein kühner Pilot, der Skyllas Felsen vorbeifuhr,
Rühmt sich verschont zu sein; sie schwingst in jeglichem Rachen
100
Einen geraubeten Mann aus dem blaugeschnäbelten Schiffe.
Doch weit niedriger ist der andere Felsen, Odysseus,
Und dem ersten so nahe, daß ihn dein Bogen erreichte.
Dort ist ein Feigenbaum mit großen laubichten Ästen;
Drunter lauert Charybdis, die wasserstrudelnde Göttin.
105
Dreimal gurgelt sie täglich es aus, und schlurfet es dreimal
Schrecklich hinein. Weh dir, wofern du der Schlurfenden nahest!
Selbst Poseidaon könnte dich nicht dem Verderben entreißen:
Darum steure du dicht an Skyllas Felsen, und rudre
Schnell mit dem Schiffe davon. Es ist doch besser, Odysseus,
110
Sechs Gefährten im Schiff zu vermissen, als alle mit einmal!
Also sprach sie; und ich antwortete wieder, und sagte:
Göttin, ich flehe dich an, verkünde mir lautere Wahrheit:
Kann ich nicht dort dem Strudel der wilden Charybdis entfliehen,
Aber Skylla bestrafen, sobald sie die Meinigen anfällt?
115
Also sprach ich; mir gab die hohe Göttin zur Antwort:
Unglückseliger, denkst du auch hier der kriegrischen Taten
Und der Gewalt, und weichst nicht einmal unsterblichen Göttern?
Denn nicht sterblich ist jene; sie ist ein unsterbliches Scheusal,
Furchtbar und schreckenvoll und grausam und unüberwindlich.
120
Nichts hilft Tapferkeit dort; entfliehn ist die einzige Rettung.
Denn verweilst du am Felsen, zum Kampfe gerüstet; so fürcht‘ ich,
Daß dich das Ungeheuer von oben herunter noch einmal
Mit sechs Rachen ereil‘, und dir sechs Männer entreiße.
Rudre denn hurtig vorüber, und rufe die Göttin Kratäis,
125
Skyllas Mutter an, die die Plage der Menschen geboren:
Diese wird sie bezähmen, daß sie nicht ferner dir schade.
Jetzt erreichst du die Insel Thrinakia. Siehe da weiden
Viele fette Rinder und Schafe des Sonnenbeherrschers:
Sieben Herden der Rinder, und sieben der trefflichen Schafe,
130
Fünfzig in jeglicher Herd‘; und diese vermehren sich niemals,
Noch vermindern sie sich. Zwo Göttinnen pflegen der Weide,
Lieblichgelockte Nymphen, Lampetia und Phaetusa,
Die mit der schönen Neära der Hochhinwandelnde zeugte.
Denn die göttliche Mutter, sobald sie die Töchter erzogen,
135
Sandte sie fern hinweg in Thrinakias Insel, des Vaters
Fette Schafe zu hüten und sein schwerwandelndes Hornvieh.
Wenn du nun, eingedenk der Heimfahrt, diese verschonest;
Siehe dann mögt ihr, obzwar unglücklich, gen Ithaka kehren.
Wenn du sie aber beraubst; alsdann weissag‘ ich Verderben
140
Deinem Schiff‘ und den Freunden; und so du auch selber entrinnest,
Kehrst du doch spät, unglücklich, und ohne Gefährten, zur Heimat.
Also sprach sie; da kam die goldenthronende Eos;
Und die hohe Göttin verließ mich, und ging durch die Insel,
Aber ich eilte zum Schiff‘, und ermahnete meine Gefährten,
145
Einzusteigen, und schnell am Ufer die Seile zu lösen.
Und sie traten ins Schiff, und setzten sich hin auf die Bänke,
Saßen in Reihn, und schlugen die graue Woge mit Rudern.
Jene sandte vom Ufer dem blaugeschnäbelten Schiffe
Günstigen segelschwellenden Wind, zum guten Begleiter,
150
Kirke, die schöngelockte, die hehre melodische Göttin.
Eilig brachten wir jetzt die Geräte des Schiffes in Ordnung,
Saßen dann still, und ließen vom Wind und Steuer uns lenken.
Jetzo begann ich, und sprach zu den Freunden mit inniger Wehmut:
Freunde, nicht einem allein, noch Zweenen, gebührt es zu wissen,
155
Welche Dinge mir Kirke, die hohe Göttin, geweissagt.
Drum verkünd‘ ich sie euch, daß jeder sie wisse; wir mögen
Sterben, oder entfliehn dem schrecklichen Todesverhängnis.
Erst befiehlt uns die Göttin, der zauberischen Sirenen
Süße Stimme zu meiden, und ihre blumige Wiese.
160
Mir erlaubt sie allein, den Gesang zu hören; doch bindet
Ihr mich fest, damit ich kein Glied zu regen vermöge,
Aufrecht stehend am Maste, mit festumschlungenen Seilen.
Fleh‘ ich aber euch an, und befehle die Seile zu lösen;
Eilend fesselt mich dann mit mehreren Banden noch stärker.
165
Also verkündet‘ ich jetzo den Freunden unser Verhängnis.
Und wie geflügelt entschwebte, vom freundlichen Winde getrieben,
Unser gerüstetes Schiff zu der Insel der beiden Sirenen.
Plötzlich ruhte der Wind; von heiterer Bläue des Himmels
Glänzte die stille See; ein Himmlischer senkte die Wasser.
170
Meine Gefährten gingen, und falteten eilig die Segel,
Legten sie nieder im Schiff, und setzten sich hin an die Ruder;
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen.
Aber ich schnitt mit dem Schwert‘ aus der großen Scheibe des Wachses
Kleine Kugeln, knetete sie mit nervichten Händen;
175
Und bald weichte das Wachs, vom starken Drucke bezwungen,
Und dem Strahle des hochhinwandelnden Sonnenbeherrschers.
Hierauf ging ich umher, und verkleibte die Ohren der Freunde.
Jene banden mich jetzo an Händen und Füßen im Schiffe,
Aufrecht stehend am Maste, mit festumschlungenen Seilen;
180
Setzten sich dann, und schlugen die graue Woge mit Rudern.
Als wir jetzo so weit, wie die Stimme des Rufenden schallet,
Kamen im eilenden Lauf, da erblickten jene das nahe
Meerdurchgleitende Schiff, und huben den hellen Gesang an:
Komm, besungner Odysseus, du großer Ruhm der Achaier!
185
Lenke dein Schiff ans Land, und horche unserer Stimme.
Denn hier steurte noch keiner im schwarzen Schiffe vorüber,
Eh‘ er dem süßen Gesang aus unserem Munde gelauschet;
Und dann ging er von hinnen, vergnügt und weiser wie vormals.
Uns ist alles bekannt, was ihr Argeier und Troer
190
Durch der Götter Verhängnis in Trojas Fluren geduldet:
Alles, was irgend geschieht auf der lebenschenkenden Erde!
Also sangen jene voll Anmut. Heißes Verlangen
Fühlt‘ ich weiter zu hören, und winkte den Freunden Befehle,
Meine Bande zu lösen; doch hurtiger ruderten diese.
195
Und es erhuben sich schnell Eurylochos und Perimedes,
Legten noch mehrere Fesseln mir an, und banden mich stärker.
Also steuerten wir den Sirenen vorüber; und leiser,
Immer leiser, verhallte der Singenden Lied und Stimme.
Eilend nahmen sich nun die teuren Genossen des Schiffes
200
Von den Ohren das Wachs, und lösten mich wieder vorn Mastbaum.
Als wir jetzo der Insel entruderten, sah ich von ferne
Dampf und brandende Flut, und hört‘ ein dumpfes Getöse.
Schnell entflogen den Händen der zitternden Freunde die Ruder;
Rauschend schleppten sie alle dem Strome nach, und das Schiff stand
205
Still, weil keiner mehr das lange Ruder bewegte.
Aber ich eilte durchs Schiff, und ermahnete meine Gefährten,
Trat zu jeglichem Mann, und sprach mit freundlicher Stimme:
Freunde, wir sind ja bisher nicht ungeübt in Gefahren;
Und nicht größere drohet uns jetzt, als da der Kyklope
210
Mit unmenschlicher Kraft im dunkeln Felsen uns einschloß;
Dennoch entflohn wir auch jener durch meine Tugend und Weisheit;
Und ich hoffe, wir werden uns einst auch dieser erinnern.
Auf denn, Geliebteste, tut, was ich euch jetzo befehle!
Ihr, schlagt alle des Meers hochstürmende Woge mit Rudern,
215
Sitzend auf euren Bänken! Vielleicht verstattet Kronion
Zeus, daß wir, durch die Flucht, doch diesem Verderben entrinnen.
Aber dir, o Pilot, befehl‘ ich dieses; verschleuß es
Tief im Herzen, denn du besorgst das Steuer des Schiffes!
Lenke das Schiff mit aller Gewalt aus dem Dampf und der Brandung,
220
Und arbeite gerad‘ auf den Fels zu; daß es nicht dorthin
Unversehens sich wend‘, und du ins Verderben uns stürzest!
Also sprach ich, und schnell gehorchten sie meinem Befehle.
Aber von Skylla schwieg ich, dem unvermeidlichen Unglück!
Daß nicht meine Gefährten, aus Furcht des Todes, die Ruder
225
Sinken ließen, und all‘ im Schiffe zusammen sich drängten.
Jetzo dacht‘ ich nicht mehr des schreckenvollen Gebotes,
Welches mir Kirke geboten, mich nicht zum Kampfe zu rüsten;
Sondern ich gürtete mich mit stattlichen Waffen, und faßte
Zween weitschattende Speer‘ in der Hand, und stieg auf des Schiffes
230
Vorderverdeck; denn ich hoffte, die Felsenbewohnerin Skylla
Dorther kommen zu sehn, um mir die Freunde zu rauben.
Aber ich schaute sie nirgends, obgleich die Augen mir schmerzten,
Da ich nach jeder Kluft des braunen Felsen emporsah.
Seufzend ruderten wir hinein in die schreckliche Enge:
235
Denn hier drohete Skylla, und dort die wilde Charybdis,
Welche die salzige Flut des Meeres fürchterlich einschlang;
Wenn sie die Flut ausbrach; wie ein Kessel auf flammendem Feuer,
Brauste mit Ungestüm ihr siedender Strudel, und hochauf
Spritzte der Schaum, und bedeckte die beiden Gipfel der Felsen.
240
Wenn sie die salzige Flut des Meeres wieder hineinschlang,
Senkte sich mitten der Schlund des reißenden Strudels, und ringsum
Donnerte furchtbar der Fels, und unten blickten des Grundes
Schwarze Kiesel hervor. Und bleiches Entsetzen ergriff uns.
Während wir nun, in der Angst des Todes, alle dahinsahn,
245
Neigte sich Skylla herab, und nahm aus dem Raume des Schiffes
Mir sechs Männer, die stärksten an Mut und nervichten Armen.
Als ich jetzt auf das eilende Schiff und die Freunde zurücksah;
Da erblickt‘ ich schon oben die Händ‘ und Füße der Lieben,
Die hoch über mir schwebten; sie schrien und jammerten alle
250
Laut, und riefen mir, ach! zum letztenmale! beim Namen.
Wie am Vorgebirge mit langer Rute der Fischer
Laurend den kleinen Fischen die ködertragende Angel,
An dem Horne des Stiers, hinab in die Fluten des Meeres
Wirft, und die zappelnde Beute geschwind‘ ans Ufer hinaufschwenkt:
255
Also wurden sie zappelnd empor an dem Felsen gehoben.
Dort an der Höhle fraß sie das Ungeheuer, und schreiend
Streckten jene nach mir, in der grausamsten Marter, die Händ‘ aus.
Nichts Erbärmlichers hab‘ ich mit meinen Augen gesehen,
So viel Jammer mich auch im stürmenden Meere verfolgte!
260
Als wir jetzo die Felsen der Skylla und wilden Charybdis
Flohn, da erreichten wir bald des Gottes herrliche Insel,
Wo die Herden des hochhinwandelnden Helios weiden,
Viele treffliche Schaf‘ und viel breitstirniges Hornvieh.
Als ich noch auf dem Meer‘ im schwarzen Schiffe heranfuhr:
265
Hört‘ ich schon das Gebrüll der eingeschlossenen Rinder,
Und der Schafe Geblök. Da erwacht‘ in meinen Gedanken
Jenes thebäischen Sehers, des blinden Teiresias‘ Warnung,
Und der ääischen Kirke, die mir aufs Strengste befohlen,
Ja die Insel zu meiden der menschenerfreuenden Sonne.
270
Und mit trauriger Seele begann ich zu meinen Gefährten:
Höret meine Worte, ihr teuren Genossen im Unglück,
Daß ich euch sage, was mir Teiresias‘ Seele geweissagt,
Und die ääische Kirke, die mir aufs Strengste befohlen,
Ja die Insel zu meiden der menschenerfreuenden Sonne;
275
Denn dort würden wir uns den schrecklichsten Jammer bereiten.
Auf denn, Geliebteste, lenkt das Schiff bei der Insel vorüber!
Also sprach ich; und jenen brach das Herz vor Betrübnis.
Aber Eurylochos gab mir diese zürnende Antwort:
Grausamer Mann, du strotzest von Kraft, und nimmer ermüden
280
Deine Glieder, sie sind aus hartem Stahle gebildet!
Daß du den müden Freunden, von Arbeit und Schlummer entkräftet,
Nicht ans Land zu steigen erlaubst, damit wir uns wieder
Auf der umflossenen Insel mit lieblichen Speisen erquicken;
Sondern befiehlst, daß wir die Insel meiden, und blindlings
285
Durch die dickeste Nacht im düstern Meere verirren!
Und die Stürme der Nacht sind fürchterlich; Schiffe zertrümmert
Ihre Gewalt! Wo entflöhn wir dem schrecklichen Todesverhängnis,
Wenn nun mit einmal im wilden Orkan der gewaltige Südwind
Oder der sausende West herwirbelte, welche die Schiffe
290
Oft auch gegen den Willen der herrschenden Götter zerschmettern?
Laßt uns denn jetzo der Nacht aufsteigenden Schatten gehorchen,
Und am Ufer ein Mahl bei dem schnellen Schiffe bereiten.
Morgen steigen wir ein, und steuren ins offene Weltmeer.
Also sprach er; und laut rief jeder Eurylochos Beifall,
295
Und ich erkannte jetzt, daß ein Himmlischer Böses verhängte;
Drauf antwortet‘ ich ihm, und sprach die geflügelten Worte:
Freilich, Eurylochos, zwingt ihr mich einzelnen leicht zum Gehorsam.
Aber wohlan! jetzt schwöret mir alle den heiligen Eidschwur:
Wenn wir irgendwo Herden von Rindern oder von Schafen
300
Finden, daß keiner mir dann, durch schreckliche Bosheit verblendet,
Weder ein Rind noch ein Schaf abschlachte, sondern geruhig
Esse der Speise, die uns die unsterbliche Kirke gereicht hat!
Also sprach ich; und schnell beschwuren sie, was ich verlangte.
Als sie es jetzo gelobt, und vollendet den heiligen Eidschwur;
305
Landeten wir in der Bucht mit dem starkgezimmerten Schiffe,
Nahe bei süßem Wasser; und meine Gefährten entstiegen
Alle dem Schiff‘, und bereiteten schnell am Ufer die Mahlzeit.
Und nachdem die Begierde des Tranks und der Speise gestillt war,
Da beweineten sie der lieben Freunde Gedächtnis,
310
Welche Skylla geraubt, und vor der Höhle verschlungen;
Auf die Weinenden sank allmählich der süße Schlummer.
Schon war die dritte Wache der Nacht, und es sanken die Sterne;
Siehe da sendete Zeus, der Wolkenversammler, der Windsbraut
Fürchterlich zuckenden Sturm, verhüllt‘ in dicke Gewölke
315
Meer und Erde zugleich; und dem düstern Himmel entsank Nacht.
Als nun die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,
Zogen wir unser Schiff in die felsenbeschattete Grotte,
Welche die schönen Reigen und Sitze der Nymphen verbirget.
Jetzo rief ich die Freunde zur Ratsversammlung, und sagte:
320
Freunde, wir haben ja noch im Schiffe zu essen und trinken;
Darum schonet der Rinder, daß uns kein Böses begegne!
Diese Rinder und Schafe sind jenes furchtbaren Gottes
Helios‘ Eigentum, der alles sicher und höret.
Also sprach ich, und zwang ihr edles Herz zum Gehorsam.
325
Aber der Süd durchstürmte den ganzen Monat, und niemals
Hub sich ein anderer Wind, als der Ost und der herrschende Südwind.
Doch so lang‘ es an Speis‘ und rotem Weine nicht fehlte,
Schoneten jene der Rinder, ihr süßes Leben zu retten.
Und da endlich im Schiffe der ganze Vorrat verzehrt war,
330
Streiften sie alle aus Not, vom nagenden Hunger gefoltert,
Durch die Insel umher, mit krummer Angel sich Fische
Oder Vögel zu fangen, was ihren Händen nur vorkam.
Jetzo ging ich allein durch die Insel, um einsam die Götter
Anzuflehn, ob einer den Weg mir zeigte zur Heimkehr.
335
Als ich, die Insel durchgehend, mich weit von den Freunden entfernet,
Am windfreien Gestade; da wusch ich die Händ‘, und flehte
Alle Götter an, die Bewohner des hohen Olympos,
Und sie deckten mir sanft die Augen mit süßem Schlummer.
Aber Eurylochos reizte die andern Freunde zum Bösen:
340
Höret meine Worte, ihr teuren Genossen im Unglück.
Zwar ist jeglicher Tod den armen Sterblichen furchtbar;
Aber so jammervoll ist keiner, als Hungers sterben.
Auf denn, und treibt die besten der Sonnenrinder zum Opfer
Für die Unsterblichen her, die den weiten Himmel bewohnen.
345
Kommen wir einst zurück in Ithakas heimische Fluren,
Seht dann weihen wir schnell dem hohen Sonnenbeherrscher
Einen prächtigen Tempel, mit köstlichem Schmucke gezieret.
Aber beschließt der Gott, um gehörnete Rinder entrüstet,
Unser Schiff zu verderben, und ihm willfahren die Götter;
350
Lieber will ich mit einmal den Geist in den Fluten verhauchen,
Als noch lang‘ hinschmachten auf dieser einsamen Insel!
Also sprach er, und laut rief jeder Eurylochos Beifall.
Und sie trieben die besten der Sonnenrinder zum Opfer
Eilend daher; denn nahe dem blaugeschnäbelten Schiffe
355
Weideten jetzt, breitstirnig und schön, die heiligen Rinder.
Diese umstanden die Freunde, den Göttern flehend, und streuten
Zarte Blätter, gepflückt von der hochgewipfelten Eiche;
Denn an Gerste gebrach es im schöngebordeten Schiffe.
Also fleheten sie, und schlachteten, zogen die Haut ab,
360
Schnitten die Lenden aus, umwickelten diese mit Fette,
Und bedeckten sie drauf mit blutigen Stücken der Glieder.
Auch an Weine gebrach es, das brennende Opfer zu sprengen;
Aber sie weihten mit Wasser die röstenden Eingeweide.
Als sie die Lenden verbrannt, und die Eingeweide gekostet,
365
Schnitten sie auch das übrige klein, und steckten’s an Spieße.
Meinen Augen entfloh nunmehr der liebliche Schlummer,
Und ich ging zu dem rüstigen Schiff am Ufer des Meeres.
Aber sobald ich mich nahte dem gleichgeruderten Schiffe,
Kam mir der süße Duft des Opferrauches entgegen.
370
Da erschrak ich, und rief wehklagend den ewigen Göttern:
Vater Zeus, und ihr andern, unsterbliche selige Götter!
Ach! ihr habt mir zum Fluche den grausamen Schlummer gesendet,
Daß die Gefährten indes den entsetzlichen Frevel verübten!
Und Lampetia stieg zu Helios‘ leuchtendem Sitze
375
Schnell mit der Botschaft empor, daß jene die Rinder getötet;
Dieser entbrannte vor Zorn, und sprach zu den ewigen Göttern:
Vater Zeus, und ihr andern, unsterbliche selige Götter,
Rächt mich an den Gefährten Odysseus‘, des Sohnes Laertes,
Welche mir übermütig die Rinder getötet, die Freude
380
Meiner Tage, so oft ich den sternichten Himmel hinanstieg,
Oder wieder hinab vom Himmel zur Erde mich wandte!
Büßen die Frevler mir nicht vollgültige Buße des Raubes;
Steig‘ ich hinab in Aïdes Reich, und leuchte den Toten!
Ihm antwortete drauf der Wolkenversammler Kronion:
385
Helios, leuchte forthin den unsterblichen Göttern des Himmels,
Und den sterblichen Menschen auf lebenschenkender Erde.
Bald will ich jenen das rüstige Schiff mit dem flammenden Donner
Mitten im dunkeln Meer, in kleine Trümmer zerschmettern!
Dieses erfuhr ich hernach von der schöngelockten Kalypso,
390
Die es selbst von Hermeias, dem Göttergesandten, erfahren.
Als ich jetzo das Schiff und des Meeres Ufer erreichte,
Schalt ich die Missetäter vom ersten zum letzten; doch nirgends
Fand ich Rettung für uns, die Rinder lagen schon tot da.
Bald erschienen darauf die schrecklichen Zeichen der Götter;
395
Ringsum krochen die Häute, es brüllte das Fleisch an den Spießen,
Rohes zugleich und gebratnes, und laut wie Rindergebrüll scholl’s.
Und sechs Tage schwelgten die unglückseligen Freunde
Von den besten Rindern des hohen Sonnenbeherrschers.
Als nun der siebente Tag von Zeus Kronion gesandt ward,
400
Siehe da legten sich schnell die reißenden Wirbel der Windsbraut;
Und wir stiegen ins Schiff, und steurten ins offene Weltmeer,
Aufgerichtet den Mast, und gespannt die schimmernden Segel.
Als wir das grüne Gestade Thrinakias jetzo verlassen,
Und ringsum kein Land, nur Meer und Himmel zu sehn war;
405
Breitete Zeus Kronion ein dunkelblaues Gewölk aus
Über das laufende Schiff, und Nacht lag über der Tiefe.
Und nicht lange mehr eilte das laufende Schiff; denn mit einmal
Kam lautbrausend der West mit fürchterlich zuckenden Wirbeln.
Plötzlich zerbrach der Orkan die beiden Taue des Mastbaums;
410
Aber der Mast fiel krachend zurück, und Segel und Stange
Sanken hinab in den Raum; die Last des Fallenden stürzte
Hinten im Schiff dem Piloten aufs Haupt, und zerknirschte mit einmal
Alle Gebeine des Haupts; da schoß er, ähnlich dem Taucher,
Köpflings herab vom Verdeck, und der Geist entwich den Gebeinen.
415
Und nun donnerte Zeus; der hochgeschleuderte Strahl schlug
Schmetternd ins Schiff: und es schwankte, vom Donner des Gottes erschüttert;
Alles war Schwefeldampf, und die Freund‘ entstürzten dem Boden.
Ähnlich den Wasserkrähn, bekämpften sie, rings um das Schiff her,
Steigend und sinkend die Flut; doch Gott nahm ihnen die Heimkehr.
420
Einsam durchwandelt‘ ich jetzo das Schiff; da trennte der Wogen
Sturz von den Seiten den Kiel, und trug die eroberten Trümmer;
Schmetterte dann auf den Kiel den Mastbaum nieder; an diesem
Hing noch das Segeltau, von Ochsenleder geflochten.
Eilend ergriff ich das Tau, und verband den Kiel und den Mastbaum;
425
Setzte mich drauf, und trieb durch den Sturm und die tobenden Fluten.
Jetzo legten sich schnell die reißenden Wirbel des Westes;
Doch es erhub sich der Süd, der, mit neuen Schrecken gerüstet,
Wieder zurück mich stürmte zum Schlunde der wilden Charybdis.
Und ich trieb durch die ganze Nacht; da die Sonne nun aufging,
430
Kam ich an Skyllas Fels und die schreckenvolle Charybdis.
Diese verschlang an jetzo des Meeres salzige Fluten;
Aber ich hob mich empor, an des Feigenbaumes Gezweige
Angeklammert, und hing, wie die Fledermaus, und vermochte
Nirgendwo mit den Füßen zu ruhn, noch höher zu klimmen.
435
Denn fern waren die Wurzeln, und nieder schwankten die Äste,
Welche, lang und groß, Charybdis mit Schatten bedeckten.
Also hielt ich mich fest an den Zweig, bis der Kiel und der Mastbaum
Wieder dem Strudel entflögen; und endlich nach langem Harren
Kamen sie. Wann zum Mahle der Richter aus der Versammlung
440
Kehrt, der viele Zwiste der hadernden Jüngling‘ entschieden;
Zu der Stund‘ entstürzten Charybdis‘ Schlunde die Balken.
Aber ich schwung mich von oben mit Händen und Füßen hinunter,
Und sprang rauschend hinab in den Strudel neben die Balken,
Setzte mich eilend darauf, und ruderte fort mit den Händen.
445
Aber Skylla ließ mich der Vater der Menschen und Götter
Nicht mehr schaun; ich wäre sonst nie dem Verderben entronnen!
Und neun Tage trieb ich umher; in der zehnten der Nächte
Führten die Himmlischen mich gen Ogygia, wo Kalypso
Wohnet, die schöngelockte, die hehre melodische Göttin;
450
Huldreich nahm sie mich auf… Doch warum erzähl‘ ich dir dieses?
Hab‘ ich es doch schon dir und deiner edlen Gemahlin
Gestern in diesem Gemach erzählt; und es ist mir zuwider
Einmal erzählete Dinge von neuem zu wiederholen.

Elfter Gesang

Elfter Gesang

Ein nördlichen Götterwind führt den Odysseus zum Gestade der nächtlichen Kimmerier, wo der Weltstrom Okeanos ins Meer einströmt. An der Kluft, die in Aïdes unterirdisches Reich hinabgeht, opfert er Totenopfer; worauf die Geister aus der Tiefe dein Blute nahn. Elpenor fleht um Bestattung. Die Mutter wird vom Blute gehemmt, bis Teiresias getrunken und geweissagt. Dann trinkt die Mutter, und erkennt ihn. Dann Seelen uralter Heldinnen. Dann Agamemnon mit den Seinigen. Achilleus mit Patroklos und Antilochos; auch Ajas, Telamons Sohn. In der Ferne der richtende Minos; Orion jagend; Tityos, Tantalos und Sisyphos gequält. Des
Herakles‘ Bild annahend. Rückfahrt aus dem Okeanos.

Als wir jetzo das Schiff und des Meeres Ufer erreichten,
Zogen wir erstlich das Schiff hinab in die heilige Meersflut,
Stellten die Masten empor und die Segel im schwärzlichen Schiffe,
Brachten darauf die Schafe hinein, und traten dann selber
5
Herzlich bekümmert ins Schiff, und viele Tränen vergießend.
Jene sandte vom Ufer dem blaugeschnäbelten Schiffe,
Günstigen segelschwellenden Wind, zum guten Begleiter,
Kirke die Schöngelockte, die hehre melodische Göttin.
Eilig brachten wir jetzt die Geräte des Schiffes in Ordnung,
10
Saßen dann still, und ließen vom Wind und Steuer uns lenken.
Und wir durchschifften den Tag mit vollem Segel die Wasser.
Und die Sonne sank, und Dunkel umhüllte die Pfade.
Jetzo erreichten wir des tiefen Oceans Ende.
Allda liegt das Land und die Stadt der kimmerischen Männer.
15
Diese tappen beständig in Nacht und Nebel; und niemals
Schauet strahlend auf sie der Gott der leuchtenden Sonne;
Weder wenn er die Bahn des sternichten Himmels hinansteigt,
Noch wenn er wieder hinab vom Himmel zur Erde sich wendet:
Sondern schreckliche Nacht umhüllt die elenden Menschen.
20
Und wir zogen das Schiff an den Strand, und nahmen die Schafe
Schnell aus dem Raum; dann gingen wir längs des Oceans Ufer,
Bis wir den Ort erreichten, wovon uns Kirke gesaget.
Allda hielten die Opfer Eurylochos und Perimedes.
Aber nun eilt‘ ich, und zog das geschliffene Schwert von der Hüfte,
25
Eine Grube zu graben, von einer Ell‘ ins Gevierte.
Hierum gossen wir rings Sühnopfer für alle Toten:
Erst von Honig und Milch, von süßem Weine das zweite,
Und das dritte von Wasser, mit weißem Mehle bestreuet.

Dann gelobt‘ ich flehend den Luftgebilden der Toten,
30
Wann ich gen Ithaka käm, eine Kuh, unfruchtbar und fehllos,
In dem Palaste zu opfern, und köstliches Gut zu verbrennen,
Und für Teiresias noch besonders den stattlichsten Widder
Unserer ganzen Herde, von schwarzer Farbe, zu schlachten.
Und nachdem ich flehend die Schar der Toten gesühnet,
35
Nahm ich die Schaf‘, und zerschnitt die Gurgeln über der Grube;
Schwarz entströmte das Blut: und aus dem Erebos kamen
Viele Seelen herauf der abgeschiedenen Toten.
Jüngling‘ und Bräute kamen, und kummerbeladene Greise,
Und aufblühende Mädchen, im jungen Grame verloren.
40
Viele kamen auch, von ehernen Lanzen verwundet,
Kriegerschlagene Männer, mit blutbesudelter Rüstung.
Dicht umdrängten sie alle von allen Seiten die Grube
Mit graunvollem Geschrei; und bleiches Entsetzen ergriff mich.
Nun befahl ich, und trieb aufs äußerste meine Gefährten,
45
Beide liegenden Schafe, vom grausamen Erze getötet,
Abzuziehn und ins Feuer zu werfen, und anzubeten
Aïdes‘ schreckliche Macht und die strenge Persephoneia.
Aber ich eilt‘, und zog das geschliffene Schwert von der Hüfte,
Setzte mich hin, und ließ die Luftgebilde der Toten
50
Sich dem Blute nicht nahn, bevor ich Teiresias fragte.
Erstlich kam die Seele von unserm Gefährten Elpenor.
Denn er ruhte noch nicht in der weitumwanderten Erde;
Sondern wir hatten den Leichnam in Kirkes Wohnung verlassen,
Weder beweint noch begraben; uns drängten andere Sorgen.
55
Weinend erblickt‘ ich ihn, und fühlete herzliches Mitleid,
Und ich redet‘ ihn an, und sprach die geflügelten Worte:
Sag‘, Elpenor, wie kamst du hinab ins nächtliche Dunkel?
Gingst du schneller zu Fuß, als ich im schwärzlichen Schiffe?
Also sprach ich; und drauf begann er mit schluchzender Stimme:
60
Edler Laertiad‘, erfindungsreicher Odysseus,
Ach ein feindlicher Geist und der Weinrausch war mein Verderben!
Schlummernd auf Kirkes Palast, vergaß ich in meiner Betäubung,
Wieder hinab die Stufen der langen Treppe zu steigen;
Sondern ich stürzte mich grade vom Dache hinunter; der Nacken
65
Brach aus seinem Gelenk, und die Seele fuhr in die Tiefe.
Doch nun fleh‘ ich dich an bei deinen verlassenen Lieben,
Deiner Gemahlin, dem Vater, der dich als Knaben gepfleget,
Und bei dem einzigen Sohne Telemachos, welcher daheim blieb;
Denn ich weiß es, du kehrst zurück aus Aïdes Herrschaft,
70
Und dein rüstiges Schiff erreicht die Insel Ääa!
Dort, begehr‘ ich von dir, gedenke meiner, o König:
Laß nicht unbeweinet und unbegraben mich liegen,
Wann du scheidest, damit dich der Götter Rache nicht treffe!
Sondern verbrenne mich, samt meiner gewöhnlichen Rüstung,
75
Häufe mir dann am Gestade des grauen Meeres ein Grabmal,
Daß die Enkel noch hören von mir unglücklichem Manne!
Dieses richte mir aus, und pflanz‘ auf den Hügel das Ruder.
Welches ich lebend geführt, in meiner Freunde Gesellschaft.
Also sprach er; und ich antwortete wieder, und sagte:
80
Dies, unglücklicher Freund, will ich dir alles vollenden.
Also saßen wir dort, und redeten traurige Worte;
Ich an der einen Seite, der über dem Blute das Schwert hielt,
Und an der andern der Geist des kummervollen Gefährten.
Jetzo kam die Seele von meiner gestorbenen Mutter,
85
Antikleia, des großgesinnten Autolykos‘ Tochter,
Welche noch lebte, da ich zur heiligen Ilios schiffte.
Weinend erblickt‘ ich sie, und fühlete herzliches Mitleid;
Dennoch verbot ich ihr, obgleich mit inniger Wehmut,
Sich dem Blute zu nahn, bevor ich Teiresias fragte.
90
Jetzo kam des alten Thebäers Teiresias‘ Seele.
Haltend den goldenen Stab; er kannte mich gleich, und begann so:
Edler Laertiad‘, erfindungsreicher Odysseus,
Warum verließest du doch das Licht der Sonne, du Armer,
Und kamst hier, die Toten zu schaun und den Ort des Entsetzens?
95
Aber weiche zurück, und wende das Schwert von der Grube,
Daß ich trinke des Blutes, und dir dein Schicksal verkünde.
Also sprach er; ich wich, und steckte das silberbeschlagene
Schwert in die Scheid‘. Und sobald er des schwarzen Blutes getrunken,
Da begann er und sprach, der hocherleuchtete Seher:
100
Glückliche Heimfahrt suchst du, o weitberühmter Odysseus:
Aber sie wird dir ein Gott schwer machen; denn nimmer entrinnen
Wirst du dem Erderschüttrer! Er trägt dir heimlichen Groll nach,
Zürnend, weil du den Sohn des Augenlichtes beraubt hast.
Dennoch kämet ihr einst, obzwar unglücklich, zur Heimat,
105
Möchtest du nur dein Herz und deiner Freunde bezähmen,
Wann du jetzo, den Schrecken des dunkeln Meeres entfliehend,
Mit dem rüstigen Schiff‘ an der Insel Thrinakia landest,
Und die weidenden Rinder und feisten Schafe da findest,
Heilig dem Sonnengotte, der alles siehet und höret.
110
Denn so du, eingedenk der Heimkunft, diese verschonest,
Könner ihr einst, obzwar unglücklich, gen Ithaka kommen.
Aber verletzest du sie; alsdann weissag‘ ich Verderben
Deinem Schiff‘ und den Freunden. Und wenn du selber entrinnest,
Wirst du doch spät, unglücklich, und ohne Gefährten zur Heimat
115
Kommen, auf fremdem Schiff‘, und Elend finden im Hause,
Übermütige Männer, die deine Habe verschlingen,
Und dein göttliches Weib mit Brautgeschenken umwerben:
Aber kommen wirst du, und strafen den Trotz der Verräter.
Hast du jetzo die Freier, mit Klugheit, oder gewaltsam
120
Mit der Schärfe des Schwerts, in deinem Palaste getötet;
Siehe dann nimm in die Hand ein geglättetes Ruder, und gehe
Fort in die Welt, bis du kommst zu Menschen, welche das Meer nicht
Kennen, und keine Speise gewürzt mit Salze genießen,
Welchen auch Kenntnis fehlt von rotgeschnäbelten Schiffen,
125
Und von geglätteten Rudern, den Fittichen eilender Schiffe.
Deutlich will ich sie dir bezeichnen, daß du nicht irrest.
Wenn ein Wanderer einst, der dir in der Fremde begegnet,
Sagt, du tragst eine Schaufel auf deiner rüstigen Schulter;
Siehe dann steck‘ in die Erde das schöngeglättete Ruder,
130
Bringe stattliche Opfer dem Meerbeherrscher Poseidon,
Einen Widder und Stier und einen mutigen Eber.
Und nun kehre zurück, und opfere heilige Gaben
Allen unsterblichen Göttern, des weiten Himmels Bewohnern,
Nach der Reihe herum. Zuletzt wird außer dem Meere
135
Kommen der Tod, und dich, vom hohen behaglichen Alter
Aufgelöseten, sanft hinnehmen, wann ringsum die Völker
Froh und glücklich sind. Nun hab‘ ich dein Schicksal verkündet.
Also sprach er; und ich antwortete wieder, und sagte:
Ja, Teiresias, selbst die Götter beschieden mir solches!
140
Aber verkündige mir, und sage die lautere Wahrheit.
Dort erblick‘ ich die Seele von meiner gestorbenen Mutter:
Diese sitzet still bei dem Blut, und würdigt dem Sohne
Weder ein Wort zu sagen, noch grad‘ ins Antlitz zu schauen.
Wie beginn‘ ich es, Herrscher, daß sie als Sohn mich erkenne?
145
Also sprach ich; und schnell antwortete jener, und sagte:
Leicht ist, was du mich fragst; ich will dir’s gerne verkünden.
Wem du jetzo erlaubst der abgeschiedenen Toten,
Sich dem Blute zu nahn, der wird dir Wahres erzählen;
Aber wem du es wehrst, der wird stillschweigend zurückgehn.
150
Also sprach des hohen Teiresias‘ Seele, und eilte
Wieder in Aïdes‘ Wohnung, nachdem sie mein Schicksal geweissagt,
Aber ich blieb dort sitzen am Rande der Grube, bis endlich
Meine Mutter kam, des schwarzen Blutes zu trinken.
Und sie erkannte mich gleich, und sprach mit trauriger Stimme:
155
Lieber Sohn, wie kannst du hinab ins nächtliche Dunkel,
Da du noch lebst? Denn schwer wird Lebenden dieses zu schauen.
Große Ströme fließen und furchtbare Fluten dazwischen;
Und vor allen der Strom des Oceans, welchen zu Fuße
Niemand, sondern allein im rüstigen Schiffe durchwandert.
160
Schweifst du jetzo hieher, nachdem du vom troischen Ufer
Mit dem Schiff‘ und den Freunden so lange geirret? Und kamst du
Noch gen Ithaka nicht, und sahst zu Hause die Gattin?
Also sprach sie; und ich antwortete wieder, und sagte:
Meine Mutter, mich trieb die Not in Aïdes‘ Wohnung,
165
Um des thebäischen Greises Teiresias‘ Seele zu fragen.
Denn noch hab‘ ich Achaia, noch hab‘ ich unsere Heimat
Nicht berührt; ich irre noch stets von Leiden zu Leiden,
Seit ich zuerst in dem Heere des göttlichen Agamemnons
Hin gen Ilion zog, zum Kampf mit den Reisigen Trojas.
170
Aber verkündige mir, und sage die lautere Wahrheit:
Welches Schicksal bezwang dich des schlummergebenden Todes?
Zehrte dich Krankheit aus? Oder traf dich die Freundin der Pfeile
Artemis unversehns mit ihrem sanften Geschosse?
Sage mir auch von dem Vater und Sohne, den ich daheim ließ.
175
Ruht noch meine Würde auf ihnen, oder empfing sie
Schon ein anderer Mann; und glaubt man, ich kehre nicht wieder?
Melde mir auch die Gesinnung von meiner Ehegenossin:
Bleibt sie noch bei dem Sohn, und hält die Güter in Ordnung;
Oder ward sie bereits die Gattin des besten Achaiers?
180
Also sprach ich; mir gab die teure Mutter zur Antwort:
Allerdings weilt jene mit treuer duldender Seele
Noch in deinem Palast; und immer schwinden in Jammer
Ihre Tage dahin, und unter Tränen die Nächte.
Deine Würde empfing kein anderer; sondern in Frieden
185
Baut Telemachos noch des Königes Erbe, und speiset
Mit am Mahle des Volks, wie des Landes Richter gebühret;
Denn sie laden ihn alle. Dein Vater lebt auf dem Lande,
Wandelt nie in die Stadt, und wählet nimmer zum Lager
Bettgestelle, bedeckt mit Mänteln und prächtigen Polstern;
190
Sondern den Winter schläft er, bei seinen Knechten im Hause,
Neben dem Feuer im Staube, mit schlechten Gewanden umhüllet.
Und in den milderen Tagen des Sommers und reifenden Herbstes,
Bettet er überall im fruchtbaren Rebengefilde
Auf der Erde sein Lager von abgefallenen Blättern.
195
Seufzend liegt er darauf, bejammert dein Schicksal, und häufet
Größeren Schmerz auf die Seele; und schwerer drückt ihn das Alter.
Denn so starb auch ich, und fand mein Todesverhängnis.
Sohn, mich tötete nicht die Freundin der treffenden Pfeile
Artemis unversehns mit ihrem sanften Geschosse.
200
Auch besiegten mich nicht Krankheiten, welche gewöhnlich
Mit verzehrendem Schmerze den Geist den Gliedern entreißen.
Bloß das Verlangen nach dir, und die Angst, mein edler Odysseus,
Dein holdseliges Bild nahm deiner Mutter das Leben!
Also sprach sie; da schwoll mein Herz vor inniger Sehnsucht,
205
Sie zu umarmen, die Seele von meiner gestorbenen Mutter.
Dreimal sprang ich hinzu, an mein Herz die Geliebte zu drücken;
Dreimal entschwebte sie leicht, wie ein Schatten oder ein Traumbild,
Meinen umschlingenden Armen; und stärker ergriff mich die Wehmut.
Und ich redte sie an, und sprach die geflügelten Worte:
210
Meine Mutter, warum entfliehst du meiner Umarmung?
Wollen wir nicht in der Tiefe, mit liebenden Händen umschlungen,
Unser trauriges Herz durch Tränen einander erleichtern?
Oder welches Gebild‘ hat die furchtbare Persephoneia
Mir gesandt, damit ich noch mehr mein Elend beseufze?
215
Also sprach ich; mir gab die treffliche Mutter zur Antwort:
Mein geliebtester Sohn, Unglücklichster aller, die leben!
Ach! sie täuschet dich nicht, Zeus‘ Tochter Persephoneia!
Sondern dies ist das Los der Menschen, wann sie gestorben.
Denn nicht Fleisch und Gebein wird mehr durch Nerven verbunden;
220
Sondern die große Gewalt der brennenden Flamme verzehret
Alles, sobald der Geist die weißen Gebeine verlassen.
Und die Seele entfliegt, wie ein Traum, zu den Schatten der Tiefe.
Aber nun eile geschwinde zum Lichte zurück, und behalte
Alles, damit du es einst der lieben Gattin erzählest.
225
Also besprachen wir uns miteinander. Siehe da kamen
Viele Seelen, gesandt von der furchtbaren Persephoneia,
Alle Gemahlinnen einst und Töchter der edelsten Helden.
Diese versammelten sich um das schwarze Blut in der Grube.
Jetzo sann ich umher, wie ich jedwede befragte.
230
Aber von allen Entwürfen gefiel mir dieser am besten:
Eilend zog ich das lange Schwert von der nervichten Hüfte,
Und verwehrte den Seelen, zugleich des Blutes zu trinken.
Also nahten sie sich nacheinander; jede besonders
Meldete mir ihr Geschlecht; und so befragt‘ ich sie alle.
235
Jetzo erblickt‘ ich zuerst die edelentsprossene Tyro,
Welche sich Tochter nannte des tadellosen Salmoneus,
Und die Ehegenossin von Kretheus, Äolos‘ Sohne.
Diese liebte vordem den göttlichen Strom Enipeus,
Der durch seine Gefilde, der Ströme schönster, einherwallt.
240
Einst lustwandelte sie an Enipeus‘ schönen Gewässern;
Siehe da nahm der Erderschüttrer seine Gestalt an,
Und beschlief sie im Sand‘, an der Mündung des wirbelnden Stromes.
Rings um die Liebenden stand, wie ein Berg, die purpurne Woge,
Hochgewölbt, und verbarg den Gott und die sterbliche Jungfrau.
245
Schmeichelnd löst‘ er den Gürtel der Keuschheit, und ließ sie entschlummern.
Und da jetzo der Gott das Werk der Liebe vollendet;
Drückt‘ er des Mädchens Hand, und sagte mit freundlicher Stimme:
Freue dich, Mädchen, der Liebe! Du wirst im Laufe des Jahres
Herrliche Söhne gebären. Denn nicht unfruchtbaren Samen
250
Streut ein unsterblicher Gott. Du pfleg‘ und nähre sie sorgsam.
Jetzo gehe zu Haus‘, und schweig, und sage dies niemand:
Ich, dein Geliebter, bin der Erderschüttrer Poseidon.
Also sprach er, und sprang in des Meers hochwallende Woge.
Tyro ward schwanger, und kam mit Pelias nieder und Neleus,
255
Welche beide des großen Zeus‘ gewaltige Diener
Wurden: Pelias einst, der iaolkischen Fluren
Herdenreicher Beherrscher, und Neleus, der sandigen Pylos.
Andere Söhne gebar dem Kretheus die Fürstin der Weiber,
Äson und Pheres, und drauf Amythaon, den Tummler der Rosse.
260
Auch Antiope kam, die schöne Tochter Asopos‘,
Rühmend, sie habe geruht in Zeus‘ des Kroniden Umarmung.
Und sie gebar dem Gott zween Söhne, Amphion und Zethos.
Diese bauten zuerst die siebentorichte Thebä,
Und befestigten sie; denn unbefestigt konnten
265
Beide, wie stark sie auch waren, die große Thebä nicht schützen.
Hierauf kam Alkmene, Amphitryons Ehegenossin,
Welche den Allbesieger, den löwenbeherzten Herakles
Hatte geboren, aus Zeus‘, des großen Kroniden, Umarmung.
Auch Megare, die Tochter des übermütigen Kreions,
270
Und des nimmerbezwungnen Amphitryoniden Gemahlin.
Hierauf kam Epikaste, die schöne, Ödipus‘ Mutter,
Welche die schrecklichste Tat mit geblendeter Seele verübet.
Ihren leiblichen Sohn, der seinen Vater ermordet,
Nahm sie zum Mann! Allein bald rügten die Götter die Schandtat.
275
Ödipus herrschte, mit Kummer behäuft, in der lieblichen Thebä,
Über Kadmos‘ Geschlecht, durch der Götter verderblichen Ratschluß.
Aber sie fuhr hinab zu den festen Toren des Todes,
Denn sie knüpft‘ an das hohe Gebälk, in der Wut der Verzweiflung,
Selbst das erdrosselnde Seil, und ließ unnennbares Elend
280
Jenem zurück, den Fluch der blutgeschändeten Mutter.
Jetzo nahte sich Chloris, die schöne Gemahlin von Neleus.
Mit unzähligen Gaben gewann er die schönste der Jungfraun,
Sie, die jüngste Tochter des Jasiden Amphions,
Welcher der Minyer Stadt Orchomenos mächtig beherrschte.
285
Pylos Fürstin gebar dem Neleus herrliche Söhne,
Nestor gebar sie ihm, und Chromios, und den berühmten
Periklymenos; drauf die weitbewunderte Pero.
Diese liebeten alle benachbarten Fürsten; doch Neleus
Gab sie keinem, der nicht des mächtigen Königs Iphikles‘
290
Breitgestirnete Rinder aus Phylakes Auen entführte.
Schwer war die Tat, und nur der treffliche Seher Melampus
Unternahm sie: allein ihn hinderte Gottes Verhängnis,
Seine grausamen Band‘, und die Hirten der weidenden Rinder.
Aber nachdem die Monden und Tage waren vollendet,
295
Und ein neues Jahr mit den kreisenden Horen herankam;
Siehe da löste den Seher der mächtige König Iphikles,
Weil er ihm prophezeit. So geschah der Wille Kronions.
Jetzo erblickt‘ ich Leda, Tyndareos‘ Ehegenossin,
Welche ihrem Gemahl zween mutige Söhne geboren:
300
Kastor durch Rosse berühmt, und Polydeikes im Faustkampf.
Diese leben noch beid‘ in der allernährenden Erde.
Denn auch unter der Erde beehrte sie Zeus mit dem Vorrecht,
Daß sie beid‘ abwechselnd den einen Tag um den andern
Leben und wieder sterben, und göttlicher Ehre genießen.
305
Drauf kam Iphimedeia, die Ehegenossin Aloeus,
Rühmend, sie habe geruht in Poseidaons Umarmung.
Und sie gebar zween Söhne, wiewohl ihr Leben nur kurz war:
Otos voll göttlicher Kraft, und den ruchtbaren Ephialtes.
Diese waren die längsten von allen Erdebewohnern,
310
Und bei weitem die schönsten, nach jenem berühmten Orion.
Denn im neunten Jahre, da maß neun Ellen die Breite
Ihres Rumpfes, da maß neun Klaftern die Höhe des Hauptes.
Und sie drohten sogar den Unsterblichen, ihren Olympos
Mit verheerendem Sturm und Schlachtengetümmel zu füllen.
315
Ossa mühten sie sich auf Olympos zu setzen, auf Ossa
Pelions Waldgebirg‘, um hinauf in den Himmel zu steigen.
Und sie hätten’s vollbracht, wär‘ ihre Jugend gereifet.
Aber sie traf Zeus‘ Sohn, den die reizende Leto geboren,
Beide mit Todesgeschoß, eh‘ unter den Schläfen des Bartes
320
Blume wuchs, und dem Kinn die zarten Sprößlinge bräunten.
Drauf kam Phädra und Prokris, und Ariadne die schöne,
Jene Tochter Minos des Allerfahrnen, die Theseus
Einst aus Kreta entführte zur heiligen Flur von Athenä.
Aber er brachte sie nicht; denn in der umflossenen Dia
325
Hielt sie Artemis an, auf Dionysos Verkündung.
Mära und Klymene kam, und das schändliche Weib Eriphyle,
Welche den teuren Gemahl um ein goldenes Kleinod verkaufte.
Aber ich kann unmöglich sie alle beschreiben und nennen,
Welche Weiber und Töchter berühmter Helden ich schaute.
330
Sonst vergeht die ambrosische Nacht; und die Stunde gebeut mir,
Schlafen zu gehn, bei den Freunden in unserm gerüsteten Schiffe,
Oder auch hier, Die Reise befehl‘ ich euch und den Göttern.
Also sprach er; und alle verstummten umher, und schwiegen,
Horchten noch, wie entzückt, im großen schattigen Saale.
335
Endlich begann Arete, die lilienarmige Fürstin:
Sagt mir doch, ihr Phäaken, was haltet ihr von dem Manne,
Seiner Gestalt und Größe, mit solchem Geiste vereinigt?
Seht, das ist mein Gast! Doch jeder hat teil an der Ehre.
Darum sendet ihn nicht so eilend, und spart die Geschenke
340
Bei dem darbenden Manne nicht allzukärglich; ihr habt ja
Reiche Schätze daheim, durch die Gnade der Götter, verwahret!
Hierauf sprach zur Versammlung der graue Held Echeneos,
Welcher der älteste war von allen phäakischen Männern:
Freunde, nicht unserem Wunsch, noch unsrer Erwartung entgegen,
345
Redete jetzt voll Weisheit die Königin; darum gehorchet!
Aber Alkinoos selber gebührt es zu reden und handeln.
Ihm antwortete drauf Alkinoos wieder, und sagte:
Ja dies Wort soll wahrlich erfüllet werden, wofern ich
Leben bleib‘, ein König der rudergeübten Phäaken!
350
Aber der Fremdling wolle, wie sehr er zur Heimat verlanget,
Noch bis morgen bei uns verweilen, bis ich das ganze
Ehrengeschenk ihm bereitet. Die Fahrt liegt allen am Herzen,
Aber vor allen mir; denn mein ist die Herrschaft des Volkes.
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
355
Weitgepriesener Held, Alkinoos, mächtigster König!
Zwänget ihr mich allhier auch ein ganzes Jahr zu verweilen,
Und betriebt nur die Fahrt, und schenktet mir Ehrengeschenke;
Gerne willigt‘ ich ein; auch wäre mir besser geraten,
Wenn ich mit vollerer Hand in mein liebes Vaterland kehrte.
360
Weit willkommener würd‘ ich und weit ehrwürdiger allen
Männern in Ithaka sein, die mich Heimkehrenden sähen.
Ihm antwortete drauf Alkinoos wieder, und sagte:
Deine ganze Gestalt, Odysseus, kündet mit nichten
Einen Betrüger uns an, noch losen Schwätzer; wie viele
365
Sonst die verbreiteten Völker der schwarzen Erde durchstreifen,
Welche Lügen erdichten, woher sie keiner vermutet.
Aber in deinen Worten ist Anmut und edle Gesinnung;
Gleich dem weisesten Sänger, erzähltest du die Geschichte
Von des argeiischen Heers und deinen traurigen Leiden.
370
Aber verkündige mir, und sage die lautere Wahrheit,
Ob du einige sahst der göttlichen Freunde, die mit dir
Hin gen Ilion zogen, und dort ihr Schicksal erreichten.
Diese Nächte sind lang, sehr lang! und noch ist die Stunde
Schlafen zu gehn nicht da. Erzähle mir Wundergeschichten.
375
Selbst bis zur heiligen Frühe vermöcht‘ ich zu hören, so lange
Du in diesem Gemache mir deine Leiden erzähltest!
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Weitgepriesener Held, Alkinoos, mächtigster König!
Reden hat seine Stund‘, und seine Stunde der Schlummer.
380
Aber wenn du verlangst, mich weiter zu hören, so will ich
Ohne Weigern dir jetzt noch tränenwerteres Unglück
Meiner Freunde verkünden, die nachmals ihr Leben verloren;
Die den blutigen Schlachten des troischen Krieges entrannen,
Und auf der Heimkehr starben, durch List des heillosen Weibes.
385
Als sich auf den Befehl der schrecklichen Persephoneia
Alle Seelen der Weiber umher in die Tiefe zerstreuet;
Siehe da kam die Seele von Atreus‘ Sohn Agamemnon
Traurend daher, umringt von anderen Seelen, die mit ihm,
In Ägisthos‘ Palaste, das Ziel des Todes erreichten.
390
Dieser erkannte mich gleich, sobald er des Blutes gekostet.
Und nun weint‘ er laut, und vergoß die bittersten Tränen,
Streckte die Hände nach mir, und strebte mich zu umarmen.
Aber ihm mangelte jetzo die spannende Kraft und die Schnelle,
Welche die biegsamen Glieder des Helden vormals belebte.
395
Weinend erblickt‘ ich ihn, und fühlete herzliches Mitleid;
Und ich redet‘ ihn an, und sprach die geflügelten Worte:
Atreus‘ rühmlicher Sohn, weitherrschender Held Agamemnon,
Welches Schicksal bezwang dich des schlummergebenden Todes?
Tötete dich auf der Fahrt der Erderschüttrer Poseidon,
400
Da er den wilden Orkan lautbrausender Winde dir sandte?
Oder ermordeten dich auf dem Lande feindliche Männer,
Als du die schönen Herden der Rinder und Schafe hinwegtriebst,
Oder indem sie die Stadt und ihre Weiber verfochten?
Also sprach ich; und drauf antwortete jener und sagte:
405
Edler Laertiad‘, erfindungsreicher Odysseus,
Nein, mich tötete nicht der Erderschüttrer Poseidon,
Da er den wilden Orkan lautbrausender Winde mir sandte;
Noch ermordeten mich auf dem Lande feindliche Männer.
Sondern Ägisthos bereitete mir das Schicksal des Todes,
410
Samt dem heillosen Weibe! Er lud mich zu Gast, und erschlug mich
Unter den Freuden des Mahls: so erschlägt man den Stier an der Krippe!
Also starb ich den kläglichsten Tod; und alle Gefährten
Stürzten in Haufen umher, wie hauerbewaffnete Eber,
Die man im Hause des reichen gewaltigen Mannes zur Hochzeit,
415
Oder zum Feiergelag‘ abschlachtet, oder zum Gastmahl.
Schon bei vieler Männer Ermordung warst du zugegen,
Die in dem Zweikampf blieben, und in der wütenden Feldschlacht;
Doch kein Anblick hätte dein Herz so innig gerühret,
Als wie wir um den Kelch und die speisebeladenen Tische
420
Lagen im weiten Gemach, und rings der Boden in Blut schwamm!
Jämmerlich hört‘ ich vor allen Kassandra, Priamos‘ Tochter,
Winseln, es tötete sie die tückische Klytämnestra
Über mir; da erhub ich die Hände noch von der Erde,
Und griff sterbend ins Schwert der Mörderin. Aber die Freche
425
Ging von mir weg, ohn einmal die Augen des sterbenden Mannes
Zuzudrücken, noch ihm die kalten Lippen zu schließen.
Nichts ist scheußlicher doch, nichts unverschämter auf Erden,
Als ein Weib, entschlossen zu solcher entsetzlichen Schandtat,
Wie sie jene verübt, die Grausame! welche den Liebling
430
Ihrer Jugend mit List hinrichtete! Ach wie entzückte
Mich die Hoffnung, daheim von meinen Leuten und Kindern
Freudig begrüßt zu werden; doch jene, das Scheusal an Bosheit!
Hat ihr eignes Gedächtnis, und alle Weiber der Nachwelt
Ewig entehrt, wenn eine sich auch des Guten befleißigt!
435
Also sprach er; und ich antwortete wieder und sagte:
Wehe! wie fürchterlich hat Kronions waltende Vorsicht
Durch arglistige Weiber, den Samen Atreus‘ von Anfang
Heimgesucht! Wie viele sind Helenens halber gestorben!
Und du verlorst, heimkehrend, durch Klytämnestra dein Leben!
440
Also sprach ich; und drauf antwortete jener, und sagte:
Laß deshalben auch du von dem Weibe nimmer dich lenken,
Und vertrau‘ ihr nicht aus Zärtlichkeit jedes Geheimnis;
Sondern verkündige dies, und jenes halte verborgen!
Aber Odysseus, du wirst nicht sterben durch deine Gemahlin;
445
Denn sie ist rechtschaffen, und Weisheit adelt die Seele
Von Ikarios Tochter, der klugen Penelopeia.
Ach wir verließen sie einst als junge Frau im Palaste,
Da wir zum Streit auszogen, und ihr unmündiges Knäblein
Lag an der Brust, der nun in den Kreis der Männer sich hinsetzt.
450
Glücklicher Sohn! ihn schaut einst wiederkehrend sein Vater,
Und er begrüßt den Vater mit frommer kindlicher Liebe!
Aber mir hat mein Weib nicht einmal den freudigen Anblick
Meines Sohnes erlaubt; sie hat zuvor mich ermordet.
Höre nun meinen Rat, und bewahr‘ ihn sorgsam im Herzen:
455
Lande mit deinem Schiff ans vaterländische Ufer
Heimlich, nicht öffentlich an; denn nimmer ist Weibern zu trauen!
Aber verkündige mir, und sage die lautere Wahrheit:
Habt ihr etwa gehört von meinem noch lebenden Sohne,
In Orchomenos, oder vielleicht in der sandigen Pylos,
460
Oder bei Menelaos in Spartas weiten Gefilden?
Denn noch starb er nicht auf Erden, der edle Orestes.
Also sprach er; und ich antwortete wieder, und sagte:
Warum fragst du mich das, Sohn Atreus? Ich weiß nicht, ob jener
Tot sei, oder noch lebe; und Eitles schwatzen ist unrecht.
465
Also standen wir beide, mit trauervollen Gesprächen
Herzlich bekümmert da, und viele Tränen vergießend.
Siehe da kam die Seele des Peleiden Achilleus,
Und die Seele Patroklos‘, des tapfern Antilochos‘ Seele,
Und des gewaltigen Ajas, des ersten an Wuchs und Bildung
470
In dem achaiischen Heer, nach dem tadellosen Achilleus.
Mich erkannte die Seele des schnellen äakischen Helden,
Und sie begann wehklagend, und sprach die geflügelten Worte:
Edler Laertiad‘, erfindungsreicher Odysseus,
Welche noch größere Tat, Unglücklicher, wagest du jetzo?
475
Welche Kühnheit, herab in die Tiefe zu steigen, wo Tote
Nichtig und sinnlos wohnen, die Schatten gestorbener Menschen!
Also sprach er; und ich antwortete wieder, und sagte:
Peleus‘ Sohn, o Achilleus, du trefflichster aller Achaier,
Wegen Teiresias mußt‘ ich herab, wenn etwa der Seher
480
Mir weissagte, wie ich zur felsichten Ithaka käme.
Denn noch hab‘ ich Achaia, noch hab‘ ich unsere Heimat
Nicht berührt; ich leide noch stets! Doch keiner, Achilleus,
Glich an Seligkeit dir, und keiner wird jemals dir gleichen.
Vormals im Leben ehrten wir dich, wie einen der Götter,
485
Wir Achaier; und nun, da du hier bist, herrschest du mächtig
Unter den Geistern: drum laß dich den Tod nicht reuen, Achilleus!
Also sprach ich; und drauf antwortete jener, und sagte:
Preise mir jetzt nicht tröstend den Tod, ruhmvoller Odysseus.
Lieber möcht‘ ich fürwahr dem unbegüterten Meier,
490
Der nur kümmerlich lebt, als Tagelöhner das Feld baun,
Als die ganze Schar vermoderter Toten beherrschen.
Aber verkündige mir von meinem trefflichen Sohne,
Ob an der Spitze des Heers er schaltete, oder daheim blieb.
Melde mir auch, wo du Kunde vom großen Peleus vernahmest,
495
Ob er noch weitgeehrt die Myrmidonen beherrsche,
Oder ob man ihn schon durch Hellas und Phtia verachte,
Weil vor hohem Alter ihm Händ‘ und Schenkel erheben.
Denn ich wandle nicht mehr ein Helfer im Lichte der Sonnen,
Wie ich war, da ich einst in Trojas weitem Gefilde,
500
Für die Danaer streitend, die tapfersten Völker erlegte.
Käm‘ ich in jener Kraft nur ein wenig zum Hause des Vaters;
Schaudern vor der Gewalt der unüberwundenen Hände
Sollte, wer ihn antastet, des Königes Ehre zu rauben.
Also sprach er; und ich antwortete wieder, und sagte:
505
Keine Kunde hab‘ ich vom großen Peleus vernommen.
Aber von deinem Sohn Neoptolemos, deinem Geliebten
Will ich, wie du verlangst, dir lautete Wahrheit verkünden.
Denn ich selber hab‘ ihn im gleichgezimmerten Schiffe
Her von Skyros gebracht zu den schöngeharnischten Griechen.
510
Wann wir Achaier vor Ilions Stadt uns setzten zum Kriegsrat;
Redet‘ er immer zuerst, und sprach nicht flatternde Worte:
Nur der göttliche Nestor und ich besiegten den Jüngling.
Wann wir Achaier vor Ilions Stadt auszogen zur Feldschlacht;
Blieb er nimmer im Schwarm, noch unter den Haufen der Heerschar:
515
Sondern er eilte vorauf mit freudiger Kühnheit, und stürzte
Viele Männer dahin im schrecklichen Waffengetümmel.
Alle will ich sie dir nicht nennen oder beschreiben,
Wie viel Volkes dein Sohn, für die Danaer streitend, erlegte;
Sondern Eurypylos nur, den kriegrischen Telephiden.
520
Diesen durchstach er mit ehernem Spieß, und viele Keteier
Sanken blutig um ihn, durch Weibergeschenke verleitet.
Nach dem göttlichen Memnon war er der schönste der Feinde.
Als wir nun stiegen ins Roß, wir tapfersten Helden Achaias,
Welches Epeios gebaut; und mir die Sorge vertraut ward,
525
Unser festes Gehäuse zu öffnen, oder zu schließen:
Siehe da saßen viele der hohen Fürsten und Pfleger,
Trockneten ihre Tränen, und bebten an Händen und Füßen.
Aber ich habe nie mit meinen Augen gesehen,
Daß der blühende Jüngling erblaßte, oder sein Antlitz
530
Feige Tränen benetzten; mit Flehen bat er mich oftmal,
Ihn aus dem Rosse zu lassen, ergriff die eherne Lanze,
Legte die Hand an das Schwert, und drohte den Troern Verderben.
Als wir die hohe Stadt des Priamos endlich zerstöret;
Stieg er, mit Ehrengeschenken und großer Beute bereichert,
535
Unbeschädigt ins Schiff, von keinem fliegenden Erze,
Noch von der Schärfe des Schwerts verwundet; welches doch selten
Tapfere Streiter verschont; denn blindlings wütet der Kriegsgott.
Also sprach ich; da ging die Seele des schnellen Achilleus
Zur Asphodeloswiese mit großen Schritten hinunter,
540
Freudenvoll, daß ich ihm des Sohnes Tugend verkündigt.
Aber die anderer Seelen der abgeschiedenen Toten
Standen traurend da, und sprachen von ihrer Betrübnis.
Nur allein die Seele des telamonischen Ajas
Blieb von ferne stehn, und zürnte noch wegen des Sieges,
545
Den ich einst vor den Schiffen, mit ihm um die Waffen Achilleus
Rechtend, gewann; sie setzte zum Preis die göttliche Mutter,
Und die Söhne der Troer entschieden und Pallas Athene.
Hätt‘ ich doch nimmermehr in diesem Streite gesieget!
Denn ein solches Haupt birgt ihrenthalben die Erde:
550
Ajas, der an Gestalt und Edeltaten der größte
Unter den Danaern war, nach dem tadellosen Achilleus.
Diesen redet‘ ich an, und sagte mit freundlicher Stimme:
Ajas, Telamons Sohn, des Herrlichen! mußtest du also
Selbst nach dem Tode den Groll forttragen wegen der Rüstung,
555
Welche der Götter Rat zum Verderben der Griechen bestimmte?
Denn du sankst, ihr Turm in der Feldschlacht; und wir Achaier
Müssen, wie um das Haupt des Peleiden Achilleus,
Stets um deinen Verlust leidtragen! Doch keiner ist hieran
Schuldig, als Zeus, der, entbrannt vom schrecklichen Eifer, Achaias
560
Kriegerscharen verwarf, und dein Verhängnis dir sandte!
Aber wohlan, tritt näher zu mir, o König, und höre
Meine Red‘, und bezwinge den Zorn des erhabenen Herzens.
Also sprach ich; er schwieg, und ging in des Erebos Dunkel
Zu den übrigen Seelen der abgeschiedenen Toten.
565
Dennoch hätte mich dort der Zürnende angeredet,
Oder ich ihn; allein mich trieb die Begierde des Herzens,
Auch die Seelen der andern gestorbenen Helden zu schauen.
Und ich wandte den Blick auf Minos, den göttlichen, Zeus‘ Sohn!
Dieser saß, in der Hand den goldenen Scepter, und teilte
570
Strafe den Toten und Lohn; sie rechteten rings um den König,
Sitzend und stehend, im weitgeöffneten Hause des Aïs.
Und nach diesem erblickt‘ ich den ungeheuren Orion.
Auf der Asphodeloswiese verfolgt‘ er die drängenden Tiere,
Die er im Leben einst auf wüsten Gebirgen getötet:
575
In den Händen die eherne, nie zerbrechliche Keule.
Auch den Tityos sah ich, den Sohn der gepriesenen Erde.
Dieser lag auf dem Boden, und maß neun Hufen an Länge;
Und zween Geier saßen ihm links und rechts, und zerhackten
Unter der Haut ihm die Leber: vergebens scheuchte der Frevler,
580
Weil er Leto entehrt, Zeus‘ heilige Lagergenossin,
Als sie gen Pytho ging, durch Panopeus‘ liebliche Fluren.
Auch den Tantalos sah ich, mit schweren Qualen belastet.
Mitten im Teiche stand er, den Kinn von der Welle bespület,
Lechzte hinab vor Durst, und konnte zum Trinken nicht kommen.
585
Denn so oft sich der Greis hinbückte, die Zunge zu kühlen;
Schwand das versiegende Wasser hinweg, und rings um die Füße
Zeigte sich schwarzer Sand, getrocknet vom feindlichen Dämon.
Fruchtbare Bäume neigten um seine Scheitel die Zweige,
Voll balsamischer Birnen, Granaten und grüner Oliven,
590
Oder voll süßer Feigen und rötlichgesprenkelter Äpfel.
Aber sobald sich der Greis aufreckte, der Früchte zu pflücken;
Wirbelte plötzlich der Sturm sie empor zu den schattigen Wolken.
Auch den Sisyphos sah ich, von schrecklicher Mühe gefoltert,
Einen schweren Marmor mit großer Gewalt fortheben.
595
Angestemmt, arbeitet‘ er stark mit Händen und Füßen,
Ihn von der Au aufwälzend zum Berge. Doch glaubt‘ er ihn jetzo
Auf den Gipfel zu drehn: da mit einmal stürzte die Last um;
Hurtig mit Donnergepolter entrollte der tückische Marmor.
Und von vorn arbeitet‘ er, angestemmt, daß der Angstschweiß
600
Seinen Gliedern entfloß, und Staub sein Antlitz umwölkte.
Und nach diesem erblickt‘ ich die hohe Kraft Herakles,
Seine Gestalt; denn er selber feiert mit den ewigen Göttern
Himmlische Wonnegelag‘, und umarmt die blühende Hebe,
Zeus des Gewaltigen Tochter und Heres mit goldenen Sohlen.
605
Ringsum schrie, wie Vögelgeschrei, das Geschrei der gescheuchten
Flatternden Geister um ihn; er stand der greulichen Nacht gleich,
Hielt den entblößten Bogen gespannt, und den Pfeil auf der Senne,
Schauete drohend umher, und schien beständig zu schnellen.
Seine Brust umgürtet‘ ein fürchterlich Wehrgehenke,
610
Wo, getrieben aus Gold, die Wunderbildungen strahlten:
Bären, und Eber voll Wut, und grimmig funkelnde Löwen,
Treffen und blutige Schlachten und Niederlagen und Morde.
Immer feire der Künstler, auf immer von seiner Arbeit,
Der ein solches Gehenke mit hohem Geiste gebildet!
615
Dieser erkannte mich gleich, sobald er mit Augen mich sahe,
Wandte sich seufzend zu mir, und sprach die geflügelten Worte:
Edler Laertiad‘, erfindungsreicher Odysseus,
Armer, ruht auch auf dir ein trauervolles Verhängnis,
Wie ich weiland ertrug, da mir die Sonne noch strahlte?
620
Zeus‘ des Kroniden Sohn war ich, und duldete dennoch
Unaussprechliches Elend; dem weit geringeren Manne
Dient‘ ich, und dieser gebot mir die fürchterlichsten Gefahren.
Selbst hier sandt‘ er mich her, den Hund zu holen; denn dieses
Schien dem Tyrannen für mich die entsetzlichste aller Gefahren.
625
Aber ich brachte den Hund empor aus Aïdes Wohnung;
Hermes geleitete mich und Zeus‘ blauäugichte Tochter.
Also sprach er, und ging zurück in Aïdes Wohnung.
Aber ich blieb, und harrete dort, ob etwa noch jemand
Von den gestorbenen Helden des Altertumes sich nahte.
630
Und noch manchen vielleicht, den ich wünschte, hätt‘ ich gesehen:
Theseus und seinen Freund Peirithoos, Söhne der Götter;
Aber es sammelten sich unzählige Scharen von Geistern
Mit graunvollem Getös, und bleiches Entsetzen ergriff mich.
Fürchtend, es sende mir jetzo die strenge Persephoneia
635
Tief aus der Nacht die Schreckengestalt des gorgonischen Unholds,
Floh ich eilend von dannen zum Schiffe, befahl den Gefährten,
Hurtig zu steigen ins Schiff, und die Seile vom Ufer zu lösen;
Und sie stiegen hinein, und setzten sich hin auf die Bänke.
Also durchschifften wir die Flut des Oceanstromes,
640
Erst vom Ruder getrieben, und drauf vom günstigen Winde.

Zehnter Gesang

Zehnter Gesang

Äolos, der Winde erregt und stillt, entsendet den Odysseus mit günstigem West, und gibt ihm die Gewalt über die andern in einem Zauberschlauch. Nahe vor Ithaka öffnen ihn die Genossen; der Sturm wirft sie nach dem schwimmenden Eilande zurück, woher, von Äolos verjagt, sie in die fabelhafte Westgegend geraten. Die Lästrygonen vertilgen elf Schiffe; in den übrigen erreicht er Ääa. Kirke verwandelt die Hälfte der Seinigen in Schweine. Er selbst, durch ein Heilkraut des Hermes geschützt, gewinnt die Liebe der Zauberin, und rettet die Freunde. Nach einem Jahre fodert er Heimkehr; Kirke befiehlt ihm zuvor, zum Eingange des Totenreichs am Okeanos zu schiffen, und den Teiresias zu befragen. Elpenors Tod.

Und wir kamen zur Insel Äolia. Diese bewohnte
Äolos, Hippotes‘ Sohn, ein Freund der unsterblichen Götter.
Undurchdringlich erhebt sich rings um das schwimmende Eiland
Eine Mauer von Erz, und ein glattes Felsengestade.
5
Kinder waren ihm zwölf in seinem Palaste geboren,
Lieblicher Töchter sechs, und sechs der blühenden Söhne.
Und er hatte die Töchter den Söhnen zu Weibern gegeben.
Bei dem geliebten Vater und ihrer herrlichen Mutter
Schmausen sie stets, bewirtet mit tausend köstlichen Speisen.
10
Und das duftende Haus erschallt von Tönen der Flöte
Tages, aber des Nachts ruht neben der züchtigen Gattin
Jeder auf prächtigen Decken im schöngebildeten Bette.
Und wir kamen zu ihrer Stadt und schönem Palaste.
Einen Monat bewirtet‘ er mich, und forschte nach allem,
15
Ilions Macht, der Achaier Schiffen, und unserer Heimfahrt;
Und ich erzählt‘ ihm darauf umständlich die ganze Geschichte.
Als ich nun weiter verlangte, und ihn um sichre Geleitung
Bat, versagt‘ er mir nichts, und rüstete mich zu der Abfahrt.
Und er gab mir, verschlossen im dichtgenäheten Schlauche
20
Vom neunjährigen Stiere, das Wehn lautbrausender Winde.
Denn ihn hatte Kronion zum Herrscher der Winde geordnet,
Sie durch seinen Befehl zu empören oder zu schweigen.
Und er knüpfte den Schlauch mit glänzendem silbernen Seile
Fest in dem hohlen Schiffe, daß auch kein Lüftchen entwehte.
25
Vor mir ließ er den Hauch des freundlichen Westes einherwehn,
Daß sie die Schiff‘ und uns selbst heimführeten. Aber dies sollte
Nicht geschehn; denn wir sanken durch eigene Torheit in Unglück.
Schon durchsegelten wir neun Tag‘ und Nächte die Wogen;
Und in der zehnten Nacht erschien uns das heimische Ufer,
30
Daß wir schon in der Nähe die Feuerwachen erblickten.
Jetzo schlummert‘ ich ein, ermüdet von langer Arbeit;
Denn ich lenkte beständig das Steur, und ließ der Gefährten
Keinen dazu, um geschwinder das Vaterland zu erreichen.
Und die Genossen besprachen sich heimlich untereinander,
35
Wähnend, ich führte mit mir viel Gold und Silber zur Heimat,
Äolos‘ Ehrengeschenke, des hippotadischen Königs.
Und man wendete sich zu seinem Nachbar, und sagte:
Wunderbar! Dieser Mann gewinnt die Achtung und Liebe
Aller Menschen, wohin er auch kommt, in Städten und Ländern!
40
Aus der troischen Beute wie manches unschätzbare Kleinod
Bringet er mit! und wir, die alle Gefahren geteilet,
Kehren am Ende doch mit leeren Händen zur Heimat.
Nun hat Äolos dieses Geschenk aus besonderer Freundschaft
Ihm verehrt! Auf, laßt uns denn eilen und sehen, was dies sei,
45
Wie viel Silber und Gold in diesem Schlauche doch stecke.
Also sprach man. Es siegte der böse Rat der Genossen;
Und sie lösten den Schlauch, und mit einmal entsausten die Winde.
Plötzlich ergriff sie der Sturm, und schleudert‘ weit in das Weltmeer
Hin die Weinenden, ferne vom Vaterlande. Da fuhr ich
50
Schnell aus dem Schlaf, und erwog in meiner unsträflichen Seele:
Ob ich vom Schiffe hinab in die tobenden Wogen mich stürzte,
Oder es schweigend erduldet , und noch bei den Lebenden bliebe;
Aber ich duldet‘ und blieb, und lag mit verhülletem Antlitz
Auf dem Verdeck; und es warf der Orkan aufbrausend die Schiffe
55
Nach der äolischen Insel zurück; es seufzten die Männer.
Allda stiegen wir aus an den Strand, und schöpften uns Wasser.
Schnell bereiteten uns die Gefährten ein Mahl bei den Schiffen.
Und sobald wir das Herz mit Trank und Speise gestärket,
Eilt‘ ich, von unserem Herold und einem Gefährten begleitet,
60
Zu der herrlichen Burg des Äolos. Diesen erblickt‘ ich
Sitzend mit seinem Weib‘ und seinen Kindern beim Schmause.
Und wir gingen ins Haus, und setzten uns neben den Pfosten
Auf die Schwelle dahin; sie erschraken im Herzen, und fragten:
Siehe woher, Odysseus? Welch böser Dämon verfolgt dich?
65
Haben wir doch die Fahrt so sorgsam gefördert, damit du
Heim in dein Vaterland, und wohin dir’s beliebte, gelangtest!
Also sprach man; und ich antwortete, trauriges Herzens:
Meine bösen Gefährten, die sind mein Verderben, mit diesen
Ein unseliger Schlaf! Ach helft mir, Freunde! Ihr könnt es.
70
Also wollt‘ ich sie mir mit schmeichelnden Worten gewinnen.
Aber sie schwiegen still; der Vater gab mir zur Antwort:
Hebe dich eilig hinweg von der Insel, du Ärgster der Menschen!
Denn es geziemet mir nicht, zu bewirten, noch weiter zu senden
Einen Mann, den die Rache der seligen Götter verfolget.
75
Hebe dich weg, denn du kömmst mit dem Zorne der Götter beladen!
Also sprach er, und trieb mich Seufzenden ans dem Palaste.
Und wir steuerten jetzo mit trauriger Seele von dannen.
Aber den Männern entschwand das Herz am ermüdenden Ruder,
Unserer Torheit halben, weil weiter kein Ende zu sehn war.
80
Als wir nun sechs Tag‘ und Nächte die Wogen durchrudert,
Landeten wir bei der Feste der Lästrygonen, bei Lamos
Stadt Telepylos an. Hier wechseln Hirten mit Hirten;
Welcher heraustreibt, hört das Rufen des, der hereintreibt.
Und ein Mann ohne Schlaf erfreute sich doppeltes Lohnes,
85
Eines als Rinderhirte, des andern als Hirte der Schafe;
Denn nicht weit sind die Triften der Nacht und des Tages entfernet.
Jetzo erreichten wir den trefflichen Hafen, den ringsum
Himmelanstrebende Felsen von beiden Seiten umschließen,
Und wo vorn in der Mündung sich zwo vorragende Spitzen
90
Gegeneinander drehn; ein enggeschlossener Eingang!
Meine Gefährten lenkten die gleichgezimmerten Schiffe
Alle hinein in die Bucht, und banden sie dicht bei einander
Fest; denn niemals erhob sich eine Welle darinnen,
Weder groß und klein; rings herrschst spiegelnde Stille.
95
Ich allein blieb draußen mit meinem schwärzlichen Schiffe,
An dem Ende der Bucht, und band es mit Seilen am Felsen,
Kletterte dann auf den zackichten weitumschauenden Gipfel.
Aber es zeigte sich nirgends die Spur von Stieren und Pflügern;
Sondern wir sahn nur Rauch von der Erd‘ am Himmel hinaufziehn.
100
Jetzo sandt‘ ich Männer voraus, das Land zu erkunden,
Was für Sterbliche dort die Frucht des Halmes genössen,
Zween erles’ne Gefährten; ein Herold war ihr Begleiter.
Und sie stiegen ans Land, und gingen die Straße, worauf man
Holzbeladene Wagen vom hohen Gebirge zur Stadt fährt.
105
Ihnen begegnete dicht vor der Stadt ein Mädchen, das Wasser
Schöpfte, des Lästrygonen Antiphates rüstige Tochter.
Diese stieg zu der Nymphe Artakia sprudelnder Quelle
Nieder; denn daraus schöpften die Lästrygonen ihr Wasser.
Und sie traten hinzu, begrüßten das Mädchen, und fragten,
110
Wer dort König wäre, und welches Volk er beherrschte.
Jene wies sie sogleich zum hohen Palaste des Vaters.
Und sie gingen hinein in die Burg, und fanden des Königs
Weib, so groß wie ein Gipfel des Bergs; und ein Grauen befiel sie.
Jene rief den berühmten Antiphates aus der Versammlung,
115
Ihren Gemahl, der ihnen ein schreckliches Ende bestimmte.
Ungestüm packt‘ er den einen Gefährten, und tischte den Schmaus auf.
Aber die übrigen Zween enteilten, und flohn zu den Schiffen.
Und er erhub ein Gebrüll durch die Stadt; und siehe; mit einmal
Kamen hieher und dorther die rüstigen Lästrygonen
120
Zahllos zuhauf, sie glichen nicht Menschen, sondern Giganten.
Diese schleuderten jetzt von dem Fels unmenschliche Lasten
Steine herab; da entstand in den Schiffen ein schrecklich Getümmel,
Sterbender Männer Geschrei und das Krachen zerschmetterter Schiffe.
Und man durchstach sie, wie Fische, und trug sie zum scheußlichen Fraß hin.
125
Während diese die Männer im tiefen Hafen vertilgten,
Eilt‘ ich geschwind, und riß das geschliffene Schwert von der Hüfte,
Und zerhaute die Seile des blaugeschnäbelten Schiffes.
Dann ermahnt‘ ich und trieb aufs äußerste meine Genossen,
Hurtig die Ruder zu regen, daß wir dem Verderben entrönnen;
130
Keuchend schlugen sie alle die Flut, aus Furcht vor dem Tode.
Aber glücklich enteilte mein Schiff von den hangenden Klippen
Über das Meer; die andern versanken dort all‘ in den Abgrund.
Also steuerten wir mit trauriger Seele von dannen,
Froh der bestandnen Gefahr, doch ohne die lieben Gefährten.
135
Und wir kamen zur Insel Ääa. Diese bewohnte
Kirke, die schöngelockte, die hehre melodische Göttin,
Eine leibliche Schwester des allerfahrnen Äätes.
Beide stammten vom Gotte der menschenerleuchtenden Sonne;
Ihre Mutter war Perse, des großen Okeanos‘ Tochter.
140
Allda liefen wir still mit unserm Schiff‘ ans Gestade
In die schirmende Bucht; ein Gott war unser Geleiter.
Und wir stiegen ans Land, wo wir zween Tag‘ und zwo Nächte
Ruhten, zugleich von der Arbeit und von dem Kummer entkräftet.
Als nun die Morgenröte des dritten Tages emporstieg,
145
Nahm ich die Lanz‘ in die Hand, und hängte das Schwert um die Schulter,
Eilte vom Schiff, und bestieg den Hügel, ob ich vielleicht wo
Spuren von Menschen erblickte, und ihre Stimme Vernähme.
Als ich jetzt von der Höhe des schroffen Felsen umhersah,
Kam es mir vor, daß Rauch von der weitumwanderten Erde
150
Hinter dem dicken Gebüsch aus Kirkes Wohnung emporstieg.
Jetzo sann ich umher, und erwog den wankenden Vorsatz,
Hin nach dem dunkeln Rauche zu gehn, und weiter zu forschen.
Dieser Gedanke erschien mir Zweifelnden endlich der beste:
Erst zu dem schnellen Schiffe zu gehn am Strande des Meeres,
155
Meine Genossen mit Speise zu stärken, und Späher zu senden.
Als ich schon nahe war dem gleichberuderten Schiffe,
Da erbarmte sich mein, des Einsamen, einer der Götter.
Und es lief ein gewaltiger Hirsch mit hohem Geweihe
Mir auf den Weg; er sprang aus der Weide des Waldes zum Bache
160
Lechzend hinab, denn ihn brannten bereits die Strahlen der Sonne.
Diesen schoß ich im Lauf, und traf ihm die Mitte des Rückgrats,
Daß die eherne Lanz‘ am Bauche wieder herausfuhr;
Schreiend stürzt‘ er dahin in den Staub, und das Leben entflog ihm.
Hierauf zog ich, den Fuß anstemmend, die eherne Lanze
165
Ans der Wunde zurück, und legte sie dort auf den Boden
Nieder. Dann brach ich am Bache mir schwanke weidene Ruten,
Drehete links und rechts ein klafterlanges Geflechte,
Und verband die Füße des mächtigen Ungeheuers.
Hängt‘ es mir über den Hals, und trug es zum schwärzlichen Schiffe,
170
Auf die Lanze gestützt; denn einer Schulter und Hand war
Viel zu schwer die Last des riesenmäßigen Tieres.
Vor dem Schiffe warf ich es hin, und redete jedem
Meiner Genossen zu mit diesen freundlichen Worten:
Lieben, wir werden ja doch, trotz unserm Grame, nicht früher
175
Sinken in Aïdes Reich, eh‘ der Tag des Schicksals uns abruft!
Auf denn, so lange das Schiff noch Trank und Speise verwahret,
Eßt nach Herzensbegier, damit uns der Hunger nicht töte!
Also sprach ich; und schnell gehorchten sie meinem Befehle,
Kamen aus ihren Hüllen, am Ufer des wüsten Meeres,
180
Und verwunderten sich des riesenmäßigen Hirsches.
Und nachdem sie die Augen an seiner Größe geweidet,
Wuschen sie ihre Hände, das herrliche Mahl zu bereiten.
Also saßen wir dort den Tag bis die Sonne sich neigte,
An der Fülle des Fleisches und süßen Weines uns labend.
185
Als die Sonne nun sank, und Dunkel die Erde bedeckte,
Legten wir uns zum Schlummer am Strande des rauschenden Meeres.
Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,
Rief ich alle Gefährten zur Ratsversammlung, und sagte:
Höret jetzo mich an, ihr meine Genossen im Unglück!
190
Freunde, wir wissen ja nicht, wo Abend oder wo Morgen;
Nicht, wo die leuchtende Sonne sich unter die Erde hinabsenkt,
Noch, wo sie wiederkehrt: drum müssen wir schnell uns bedenken,
Ist noch irgend ein Rat; ich sehe keinen mehr übrig.
Denn ich umschauete dort von der Höhe des zackichten Felsens
195
Diese Insel, die rings das unendliche Meer umgürtet,
Nahe liegt sie am Land‘; und in der Mitte der Insel
Sah ich Rauch, der hinter dem dicken Gebüsche hervorstieg.
Also sprach ich; und ihnen brach das Herz vor Betrübnis,
Da sie des Lästrygonen Antiphates Taten bedachten,
200
Und des Kyklopen Gewalt, des grausamen Menschenfressers.
Und sie weineten laut, und vergossen häufige Tränen.
Aber sie konnten ja nichts mit ihrer Klage gewinnen.
Jetzo teilt‘ ich die Schar der wohlgeharnischten Freunde
In zween Haufen, und gab jedwedem einen Gebieter.
205
Diesen führte ich selbst, der edle Eurylochos jenen.
Eilend schüttelten wir im ehernen Helme die Lose;
Und das Los des beherzten Eurylochos sprang ans dem Helme.
Dieser machte sich auf mit zweiundzwanzig Gefährten;
Weinend gingen sie fort, und verließen uns traurend am Ufer.
210
Und sie fanden im Tal des Gebirgs die Wohnung der Kirke,
Von gehauenen Steinen, in weitumschauender Gegend.
Ihn umwandelten rings Bergwölfe und mähnichte Löwen,
Durch die verderblichen Säfte der mächtigen Kirke bezaubert.
Diese sprangen nicht wild auf die Männer, sondern sie stiegen
215
Schmeichelnd an ihnen empor mit langen wedelnden Schwänzen.
Also umwedeln die Hunde den Hausherrn, wenn er vom Schmause
Wiederkehrt; denn er bringt beständig leckere Bissen:
Also umwedelten sie starkklauige Löwen und Wölfe.
Aber sie fürchteten sich vor den schrecklichen Ungeheuern.
220
Und sie standen am Hofe der schöngelocketen Göttin,
Und vernahmen im Haus anmutige Melodieen.
Singend webete Kirke den großen unsterblichen Teppich,
Fein und lieblich und glänzend, wie aller Göttinnen Arbeit.
Unter ihnen begann der Völkerführer Polites,
225
Welcher der liebste mir war und geehrteste meiner Genossen:
Freunde, hier wirket jemand, und singt am großen Gewebe
Reizende Melodieen, daß rings das Getäfel ertönet;
Eine Göttin, oder ein Weib; wir wollen ihr rufen!
Also sprach Polites; die Freunde gehorchten, und riefen.
230
Jene kam, und öffnete schnell die strahlende Pforte,
Nötigte sie; und alle, die Unbesonnenen, folgten.
Nur Eurylochos blieb, denn er vermutete Böses.
Und sie setzte die Männer auf prächtige Sessel und Throne,
Mengte geriebenen Käse mit Mehl und gelblichem Honig
235
Unter pramnischen Wein, und mischte betörende Säfte
In das Gericht, damit sie der Heimat gänzlich vergäßen.
Als sie dieses empfangen und ausgeleeret, da rührte
Kirke sie mit der Rute, und sperrte sie dann in die Köfen.
Denn sie hatten von Schweinen die Köpfe, Stimmen und Leiber,
240
Auch die Borsten; allein ihr Verstand blieb völlig, wie vormals.
Weinend ließen sie sich einsperren; da schüttete Kirke
Ihnen Eicheln und Buchenmast, und rote Kornellen
Vor, das gewöhnliche Futter der erdaufwühlenden Schweine.
Und Eurylochos kam zu dem schwärzlichen Schiffe geeilet,
245
Uns das herbe Verhängnis der übrigen Freunde zu melden.
Aber er konnte kein Wort aussprechen, so gern er auch wollte.
Denn die entsetzliche Angst beklemmte sein Herz; die Augen
Waren mit Tränen erfüllt, und Jammer umschwebte die Seele.
Lange hatten wir all‘ ihn voll Erstaunen befraget;
250
Endlich hub er an, und erzählte der Freunde Verderben:
Edler Odysseus, wir gingen, wie du befahlst, durch die Waldung!
Fanden im Tal des Gebirgs die schöngebauete Wohnung,
Von gehauenen Steinen, in weitumschauender Gegend!
Allda wirkte jemand, und sang am großen Gewebe:
255
Eine Göttin, oder ein Weib! Ihr riefen die andern!
Jene kam, und öffnete schnell die strahlende Pforte,
Nötigte sie; und alle, die Unbesonnenen! folgten.
Ich allein blieb draußen, denn ich vermutete Böses!
Aber mit einmal waren die andern verschwunden, und keiner
260
Kehrte zurück; so lang‘ ich auch saß, und nach ihnen mich umsah!
Also sprach er; und ich warf eilend das silberbeschlagne
Große eherne Schwert um die Schulter, samt Bogen und Köcher;
Und befahl ihm, mich gleich des selbigen Weges zu führen.
Aber er faßte mir flehend mit beiden Händen die Kniee,
265
Und wehklagete laut, und sprach die geflügelten Worte:
Göttlicher, lasse mich hier, und führe mich nicht mit Gewalt hin!
Denn ich weiß es, du kehrst nicht wieder von dannen, und bringest
Keinen Gefährten zurück! Drum laß uns geschwinde mit diesen
Fliehn! Vielleicht daß wir noch dem Tage des Fluches entrinnen!
270
Also sprach er; und ich antwortete wieder, und sagte:
Nun so bleibe denn du, Eurylochos, hier auf der Stelle!
Iß und trink dich satt, bei dem schwarzen gebogenen Schiffe!
Aber ich geh‘ allein! denn ich fühle die Not, die mich hintreibt!
Also sprach ich, und ging von dem Schiff‘ und dem Ufer des Meeres.
275
Jetzo nähert‘ ich mich, die heiligen Tale durchwandelnd,
Schon dem hohen Palaste der furchtbaren Zauberin Kirke;
Da begegnete mir Hermeias mit goldenem Stabe
Auf dem Wege zur Burg, an Gestalt ein blühender Jüngling,
Dessen Wange sich bräunt, im holdesten Reize der Jugend.
280
Dieser gab mir die Hand, und sagte mit freundlicher Stimme:
Armer, wie gehst du hier so allein durch die bergichte Waldung,
Da du die Gegend nicht kennst? Bei Kirke sind deine Gefährten
Eingesperrt, wie Schweine, in dichtverschlossenen Ställen.
Gehst du etwa dahin, sie zu retten? Ich fürchte, du kehrest
285
Nicht von dannen zurück, du bleibest selbst bei den andern.
Aber wohlan! ich will dich vor allem Übel bewahren!
Nimm dies heilsame Mittel, und gehe zum Hause der Kirke,
Sicher, von deinem Haupte den Tag des Fluches zu wenden.
Alle verderblichen Künste der Zauberin will ich dir nennen.
290
Weinmus rührt sie dir ein, und mischt ihr Gift in die Speise:
Dennoch gelingt es ihr nicht, dich umzuschaffen; die Tugend
Dieser heilsamen Pflanze verhindert sie. Höre nun weiter.
Wann dich Kirke darauf mit der langen Rute berühret,
Siehe dann reiße du schnell das geschliffene Schwert von der Hüfte,
295
Spring auf die Zauberin los, und drohe sie gleich zu erwürgen.
Diese wird in der Angst zu ihrem Lager dich rufen;
Und nun weigre dich nicht, und besteige das Lager der Göttin,
Daß sie deine Gefährten erlös‘, und dich selber bewirte.
Aber sie schwöre zuvor der Seligen großen Eidschwur,
300
Daß sie bei sich nichts anders zu deinem Schaden beschlossen;
Daß sie dir Waffenlosen nicht raube Tugend und Stärke.
Also sprach Hermeias, und gab mir die heilsame Pflanze,
Die er dem Boden entriß, und zeigte mir ihre Natur an:
Ihre Wurzel war schwarz, und milchweiß blühte die Blume;
305
Moly wird sie genannt von den Göttern. Sterblichen Menschen
Ist sie schwer zu graben; doch alles vermögen die Götter.
Und der Argosbesieger enteilte zum hohen Olympos
Durch die waldichte Insel; ich ging zum Hause der Kirke
Hin, und viele Gedanken bewegten des Gehenden Seele.
310
Und ich stand an der Pforte der schöngelocketen Göttin,
Stand und rief; und die Göttin vernahm des Rufenden Stimme
Kam sogleich, und öffnete mir die strahlende Pforte,
Nötigte mich herein; und ich folgte mit traurigem Herzen.
Hierauf führte sie mich zu ihrem silberbeschlagnen
315
Schönen prächtigen Thron, mit füßestützendem Schemel,
Mischte mir dann ein Gemüs‘ im goldenen Becher zu trinken,
Und vergiftet‘ es tückisch mit ihrem bezaubernden Safte.
Und sie reichte mir’s hin; ich trank es, und ohne Verwandlung.
Drauf berührte sie mich mit der Zauberrute, und sagte:
320
Gehe nun in den Kofen, und liege bei deinen Gefährten.
Also sprach sie; da riß ich das schneidende Schwert von der Hüfte,
Sprang auf die Zauberin los, und drohte sie gleich zu erwürgen:
Aber sie schrie, und eilte gebückt, mir die Kniee zu fassen;
Laut wehklagend rief sie die schnellgeflügelten Worte:
325
Wer, wes Volkes bist du? und wo ist deine Geburtstadt?
Staunen ergreift mich, da dich der Zaubertrank nicht verwandelt!
Denn kein sterblicher Mensch ist diesem Zauber bestanden,
Welcher trank, sobald ihm der Wein die Zunge hinabglitt.
Aber du trägst ein unbezwingliches Herz in dem Busen!
330
Bist du jener Odysseus, der, viele Küsten umirrend,
Wann er von Ilion kehrt im schnellen Schiffe, auch hieher
Kommen soll, wie der Gott mit goldenem Stabe mir saget?
Lieber! so stecke dein Schwert in die Scheid‘, und laß uns zusammen
Unser Lager besteigen, damit wir, beide versöhnet
335
Durch die Freuden der Liebe, hinfort einander vertrauen!
Also sprach sie; und ich antwortete wieder, und sagte:
Kirke, wie kannst du begehren, daß ich dir freundlich begegne?
Da du meine Gefährten im Hause zu Schweinen gemacht hast,
Und mich selber behältst, und mir arglistig befiehlest,
340
In die Kammer zu gehn, und auf dein Lager zu steigen;
Daß du mich Waffenlosen der Tugend und Stärke beraubest?
Nein! ich werde nimmer dein Lager besteigen, o Göttin,
Du willfahrest mir denn, mit hohem Schwur zu geloben,
Daß du bei dir nichts anders zu meinem Verderben beschließest!
345
Also sprach ich; und eilend beschwur sie, was ich verlangte.
Als sie es jetzo gelobt, und vollendet den heiligen Eidschwur,
Da bestieg ich mit Kirke das köstlichbereitete Lager.
Und in dem hohen Palaste der schönen Zauberin dienten
Vier holdselige Mägde, die alle Geschäfte besorgten.
350
Diese waren Töchter der Quellen und schattigen Haine,
Und der heiligen Ströme, die in das Meer sich ergießen.
Eine von diesen bedeckte die Throne mit zierlichen Polstern:
Oben legte sie Purpur, und unten den leinenen Teppich.
Und die andere stellte die schönen Tische von Silber
355
Vor die Throne, und setzte darauf die goldenen Körbe.
Und die dritte mischte in silberner Schale den süßen
Herzerfreuenden Wein, und verteilte die goldenen Becher.
Aber die vierte Magd trug Wasser, und zündete Feuer
Unter dem großen Dreifuß an, das Wasser zu wärmen.
360
Und nachdem das Wasser im blinkenden Erze gekochet,
Führte sie mich in das Bad, und strömt‘ aus dem dampfenden Kessel
Lieblichgemischtes Wasser mir über das Haupt und die Schultern,
Und entnahm den Gliedern die geistentkräftende Arbeit.
Als sie mich jetzo gebadet, und drauf mit Öle gesalbet,
365
Da umhüllte sie mir den prächtigen Mantel und Leibrock,
Und dann führte sie mich ins Gemach zum silberbeschlagnen
Schönen künstlichen Thron, mit füßestützendem Schemel.
Eine Dienerin trug in der schönen goldenen Kanne
Über dem silbernen Becken das Wasser, beströmte zum Waschen
370
Mir die Händ‘, und stellte vor mich die geglättete Tafel.
Und die ehrbare Schaffnerin kam, und tischte das Brot auf,
Und der Gerichte viel aus ihrem gesammelten Vorrat,
Und befahl mir zu essen. Doch meinem Herzen gefiel’s nicht;
Sondern ich saß zerstreut, und ahnete Böses im Herzen.
375
Kirke bemerkte mich jetzt, wie ich dasaß, ohne die Speise
Mit den Händen zu rühren, versunken in tiefe Schwermut;
Und sie nahte sich mir, und sprach die geflügelten Worte:
Warum sitzest du so wie ein Stummer am Tische, Odysseus,
Und zerquälst dein Herz, und rührest nicht Speise noch Trank an?
380
Ist dir noch bange vor Hinterlist? Du mußt dich nicht fürchten!
Denn ich habe dir’s ja mit hohem Eide geschworen!
Also sprach sie; und ich antwortete wieder, und sagte:
Kirke, welcher Mann, dem Recht und Billigkeit obliegt,
Hätte das Herz, sich eher mit Trank und Speise zu laben,
385
Eh‘ er die Freunde gerettet, und selbst mit Augen gesehen?
Darum, wenn du aus Freundschaft zum Essen und Trinken mich nötigst;
Gib sie frei, und zeige sie mir, die lieben Gefährten!
Also sprach ich. Sie ging, in der Hand die magische Rute,
Aus dem Gemach, und öffnete schnell die Türe des Kofens,
390
Und trieb jene heraus, in Gestalt neunjähriger Eber.
Alle stellten sich jetzt vor die mächtige Kirke, und diese
Ging umher, und bestrich jedweden mit heilendem Safte.
Siehe da sanken herab von den Gliedern die scheußlichen Borsten
Jenes vergifteten Tranks, den ihnen die Zauberin eingab.
395
Männer wurden sie schnell, und jüngere Männer, denn vormals,
Auch weit schönerer Bildung und weit erhabneres Wuchses.
Und sie erkannten mich gleich, und gaben mir alle die Hände;
Alle huben an, vor Freude zu weinen, daß ringsum
Laut die Wohnung erscholl. Es jammerte selber die Göttin.
400
Und sie nahte sich mir, die hehre Göttin, und sagte:
Edler Laertiad‘, erfindungsreicher Odysseus,
Gehe nun hin zu dem rüstigen Schiff‘ am Strande des Meeres;
Zieht vor allen Dingen das Schiff ans trockne Gestade,
Und verwahrt in den Höhlen die Güter und alle Geräte.
405
Dann komm eilig zurück, und bringe die lieben Gefährten.
Also sprach sie, und zwang mein edles Herz zum Gehorsam.
Eilend ging ich zum rüstigen Schiff am Strande des Meeres,
Und fand dort bei dem rüstigen Schiffe die lieben Gefährten,
Welche trostlos klagten, und häufige Tränen vergossen.
410
Wie wenn im Meierhofe die Kälber den Kühen der Herde,
Welche satt von der Weide zum nächtlichen Stalle zurückgehn,
Alle mit freudigen Sprüngen entgegen eilen; es halten
Keine Gehege sie mehr, sie umhüpfen mit lautem Geblöke
Ihre Mutter: so flogen die Freunde, sobald sie mich sahen,
415
Alle weinend heran; und ihnen war also zu Mute,
Als gelangten sie heim in Ithakas rauhe Gefilde
Und in die Vaterstadt, wo jeder geboren und groß ward.
Und sie jammerten laut mit diesen geflügelten Worten:
Göttlicher Mann, wir freun uns so herzlich deiner Zurückkunft,
420
Als gelangten wir jetzo in Ithakas heimische Fluren!
Aber wohlan! erzähl‘ uns der übrigen Freunde Verderben!
Also riefen sie aus; und ich antwortete freundlich:
Laßt uns vor allem das Schiff ans trockne Gestade hinaufziehn,
Und in den Höhlen die Güter und alle Geräte verwahren!
425
Und dann machet euch auf, mich allesamt zu begleiten,
Daß ihr unsere Freund‘ in Kirkes heiliger Wohnung
Essen und trinken seht; denn sie haben da volle Genüge!
Also sprach ich; und schnell gehorchten sie meinem Befehle.
Nur Eurylochos suchte die übrigen Freunde zu halten;
430
Und er redte sie an, und sprach die geflügelten Worte:
Arme, wo gehen wir hin? Welch heißes Verlangen nach Unglück
Treibt euch, in Kirkes Wohnung hinabzusteigen? Sie wird uns
Alle zusammen in Schwein‘, in Löwen und Wölfe verwandeln,
Und uns Verwandelte zwingen, ihr großes Haus zu bewachen!
435
Ebenso ging es auch dort den Freunden, die des Kyklopen
Felsengrotte besuchten, geführt von dem kühnen Odysseus!
Denn durch dessen Torheit verloren auch jene das Leben!
Also sprach er; und ich erwog den wankenden Vorsatz,
Mein geschliffenes Schwert von der nervichten Hüfte zu reißen,
440
Und sein Haupt, von dem Rumpfe getrennt, auf den Boden zu stürzen,
Ob er gleich nahe mit mir verwandt war. Aber die Freunde
Sprangen umher, und hielten mich ab mit flehenden Worten:
Göttlicher Held, wir lassen ihn hier, wenn du es befiehlest,
Bleiben an dem Gestad‘ um unser Schiff zu bewahren.
445
Aber führe du uns zu Kirkes heiliger Wohnung.
Also sprachen die Freunde, und gingen vom Strande des Meeres.
Auch Eurylochos blieb nicht bei dem gebogenen Schiffe,
Sondern folgte, geschreckt durch meine zürnende Drohung.
Aber der übrigen Freund‘ in der Wohnung hatte die Göttin
450
Sorgsam gepflegt, sie gebadet, mit duftendem Öle gesalbet,
Und mit schönen Gewanden, mit Rock und Mantel, bekleidet.
Und wir fanden sie jetzo im Saal beim fröhlichen Schmause.
Als sie einander gesehn, und sich nun alles erzählet;
Weinten und jammerten sie, daß rings die Wohnung ertönte.
455
Aber sie nahte sich mir, die hehre Göttin, und sagte:
Edler Laertiad‘, erfindungsreicher Odysseus!
Reget jetzo nicht mehr den unendlichen Jammer! Ich weiß ja,
Wie viel Elend ihr littet im fischdurchwimmelten Meere,
Und wie viel ihr zu Lande von feindlichen Männern erduldet.
460
Aber wohlan! eßt jetzo der Speis‘, und trinket des Weines,
Bis ihr so frischen Mut in eure Herzen gesammelt,
Als womit ihr zuerst der vaterländischen Insel
Rauhe Gefilde verließt! Nun seid ihr entkräftet und mutlos,
Und erinnert euch stets der mühsamen Irren, und niemals
465
Stärkt euch die Freude den Mut: ihr habt sehr vieles erlitten!
Also sprach sie, und zwang ihr edles Herz zum Gehorsam.
Und wir saßen ein ganzes Jahr von Tage zu Tage,
An der Fülle des Fleisches und süßen Weines uns labend.
Als nun endlich das Jahr von den kreisenden Horen erfüllt ward,
470
Und mit dem wechselnden Mond viel Tage waren verschwunden;
Da beriefen mich heimlich die lieben Gefährten, und sagten:
Unglückseliger, denke nun endlich des Vaterlandes;
Wenn dir das Schicksal bestimmt, lebendig wieder zu kehren
In den hohen Palast, und deiner Väter Gefilde.
475
Also bewegten die Freunde mein edles Herz zum Gehorsam.
Und wir saßen den ganzen Tag bis die Sonne sich neigte,
An der Fülle des Fleisches und süßen Weines uns labend.
Als die Sonne nun sank, und Dunkel die Erde bedeckte,
Legten sich meine Genossen im schattigen Hause zum Schlummer.
480
Und ich bestieg mit Kirke das köstlichbereitete Lager,
Faßt‘ ihr flehend die Knie‘; und die Göttin hörte mein Flehen.
Und ich redte sie an, und sprach die geflügelten Worte:
Kirke, erfülle mir jetzt das Gelübde, so du gelobtest,
Mich nach Hause zu senden! Mein Herz verlanget zur Heimat,
485
Und der übrigen Freunde, die rings mit Weinen und Klagen
Meine Seele bestürmen, sobald du den Rücken nur wendest.
Also sprach ich; mir gab die hehre Göttin zur Antwort:
Edler Laertiad‘, erfindungsreicher Odysseus.
Länger zwing‘ ich euch nicht, in meinem Hause zu bleiben.
490
Aber ihr müßt zuvor noch eine Reise vollenden,
Hin zu Aïdes‘ Reich und der strengen Persephoneia,
Um des thebäischen Greises Teiresias‘ Seele zu fragen,
Jenes blinden Propheten, mit ungeschwächtem Verstande.
Ihm gab Persephoneia im Tode selber Erkenntnis;
495
Und er allein ist weise: die andern sind flatternde Schatten.
Also sagte die Göttin; mir brach das Herz vor Betrübnis.
Weinend saß ich auf Kirkes Bett, und wünschte nicht länger,
Unter den Lebenden hier das Licht der Sonne zu schauen.
Als ich endlich mein Herz durch Weinen und Wälzen erleichtert;
500
Da antwortet‘ ich ihr, und sprach die geflügelten Worte:
Kirke, wer soll mich denn auf dieser Reise geleiten?
Noch kein Sterblicher fuhr im schwarzen Schiffe zu Aïs.
Also sprach ich; mir gab die hehre Göttin zur Antwort:
Edler Laertiad‘, erfindungsreicher Odysseus,
505
Kümmre dich nicht so sehr um einen Führer des Schiffes!
Sondern richte den Mast, und spanne die schimmernden Segel;
Dann sitz ruhig, indes der Hauch des Nordes dich hintreibt!
Aber bist du im Schiffe den Ocean jetzo durchsegelt,
Und an dem niedern Gestad‘ und den Hainen Persephoneiens,
510
Voll unfruchtbarer Weiden und hoher Erlen und Pappeln;
Lande dort mit dem Schiff‘ an des Oceans tiefem Gestrudel,
Und dann gehe du selber zu Aïdes dumpfer Behausung.
Wo in den Acheron sich der Pyriphlegethon stürzet,
Und der Strom Kokytos, ein Arm der stygischen Wasser,
515
An dem Fels, wo die zween lautbrausenden Ströme sich mischen;
Nahe bei diesem Orte gebiet‘ ich dir, edler Odysseus,
Eine Grube zu graben, von einer Ell‘ ins Gevierte.
Rings um die Grube geuß Sühnopfer für alle Toten:
Erst von Honig und Milch, von süßem Weine das zweite,
520
Und das dritte von Wasser, mit weißem Mehle bestreuet.
Dann gelobe flehend den Luftgebilden der Toten:
Wenn du gen Ithaka kommst, eine Kuh, unfruchtbar und fehllos,
In dem Palaste zu opfern, und köstliches Gut zu verbrennen,
Und für Teiresias noch besonders den stattlichsten Widder
525
Eurer ganzen Herde, von schwarzer Farbe, zu schlachten.
Hast du den herrlichen Scharen der Toten geflehet, dann opfre
Einen Bock und ein Schaf von ungezeichneter Schwärze,
Ihre Häupter gekehrt zum Erebos; aber du selber
Wende dein Antlitz zurück nach den Fluten des Stromes. Dann werden
530
Viele Seelen kommen der abgeschiedenen Toten.
Jetzo ermahn‘ und treib aufs äußerste deine Gefährten,
Beide liegenden Schafe, vom grausamen Erze getötet,
Abzuziehn, und ins Feuer zu werfen, und anzubeten
Aïdes schreckliche Macht und die strenge Persephoneia.
535
Aber du reiße schnell das geschliffene Schwert von der Hüfte,
Setze dich hin, und laß die Luftgebilde der Toten
Sich dem Blute nicht nahn, bevor du Teiresias ratfragst.
Und bald wird der Prophet herwandeln, o Führer der Völker,
Daß er dir weissage den Weg und die Mittel der Reise,
540
Und wie du heimgelangst auf dem fischdurchwimmelten Meere.
Also sprach sie; da kam die goldenthronende Eos.
Und sie bekleidete mich mit wollichtem Mantel und Leibrock;
Aber sich selber zog die Nymphe ihr Silbergewand an,
Lang, anmutig und fein; und schlang um die Hüfte den schönen
545
Goldgetriebenen Gürtel, und schmückte das Haupt mit dem Schleier.
Aber ich ging durch die Burg, und ermunterte meine Gefährten,
Trat zu jeglichem Mann, und sprach die freundlichen Worte:
Lieget nun nicht länger, vom süßen Schlummer umduftet!
Laßt uns reisen, denn schon ermahnt mich die göttliche Kirke!
550
Also sprach ich, und zwang ihr edles Herz zum Gehorsam.
Aber ich führt‘ auch von dannen nicht ohne Verlust die Gefährten.
Denn der Jüngste der Schar Elpenor, nicht eben besonders
Tapfer gegen den Feind, noch mit Verstande gesegnet,
Hatte sich heimlich beiseit‘ auf Kirkes heilige Wohnung,
555
Von der Hitze des Weins sich abzukühlen, gelagert.
Jetzo vernahm er den Lärm und das rege Getümmel der Freunde;
Plötzlich sprang er empor, und vergaß in seiner Betäubung,
Wieder hinab die Stufen der langen Treppe zu steigen;
Sondern er stürzte sich grade vom Dache hinunter; der Nacken
560
Brach aus seinem Gelenk, und die Seele fuhr in die Tiefe.
Zu der versammelten Schar der übrigen sprach ich im Gehen:
Freunde, ihr wähnt vielleicht, zur lieben heimischen Insel
Hinzugehn; doch Kirke gebeut eine andere Reise,
Hin zu Aïdes‘ Reich und der strengen Persephoneia,
565
Um des thebäischen Greises Teiresias‘ Seele zu fragen.
Als sie dieses vernommen, da brach ihr Herz vor Betrübnis;
Jammernd setzten sie sich in den Staub, und rauften ihr Haupthaar:
Aber sie konnten ja nichts mit ihrer Klage gewinnen.
Während wir nun zu dem rüstigen Schiff am Strande des Meeres
570
Herzlich bekümmert gingen, und viele Tränen vergießend;
Ging auch Kirke dahin, und band bei dem schwärzlichen Schiffe
Einen Bock und ein Schaf von ungezeichneter Schwärze,
Leicht uns vorüberschlüpfend. Denn welches Sterblichen Auge
Mag des Unsterblichen Gang, der sich verhüllet, entdecken?

Neunter Gesang

Neunter Gesang

Odysseus erzählt seine Irrfahrt von Troja. Siegende Kikonen. Bei Maleia Nordsturm, der ihn ins Unbekannte zu den Lotophagen verschlägt. Dorther zu den einäugigen Kyklopen verirrt, besucht er Poseidons Sohn Polyphemos, der sechs seiner Genossen frißt, dann, im Schlafe geblendet, den Fliehenden Felsstücke nachschleudert.

Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Weitgepriesener Held, Alkinoos, mächtigster König,
Wahrlich es füllt mit Wonne das Herz, dem Gesange zu horchen,
Wenn ein Sänger, wie dieser, die Töne der Himmlischen nachahmt.
5
Denn ich kenne gewiß kein angenehmeres Leben,
Als wenn ein ganzes Volk ein Fest der Freude begehet,
Und in den Häusern umher die gereiheten Gäste des Sängers
Melodieen horchen, und alle Tische bedeckt sind
Mit Gebacknem und Fleisch, und der Schenke den Wein aus dem Kelche
10
Fleißig schöpft, und ringsum die vollen Becher verteilet.
Siehe das nennet mein Herz die höchste Wonne des Lebens!
Jetzo gefällt es dir, nach meinen kläglichen Leiden
Mich zu fragen, damit ich noch mehr mein Elend beseufze.
Aber was soll ich zuerst, was soll ich zuletzt dir erzählen?
15
Denn viel Elend häuften auf mich die himmlischen Götter!
Sagen will ich zuerst, wie ich heiße: damit ihr mich kennet,
Und ich hinfort, so lange der grausame Tag mich verschonet,
Euer Gastfreund sei, so fern ich von hinnen auch wohne.
Ich hin Odysseus, Laertes Sohn, durch mancherlei Klugheit
20
Unter den Menschen bekannt; und mein Ruhm erreichet den Himmel.
Ithakas sonnige Höhn sind meine Heimat; in dieser
Türmet sich Neritons Haupt mit rauschenden Wipfeln; und ringsum
Dicht aneinander gesät, sind viele bevölkerte Inseln,
Same, Dulichion und die waldbewachsne Zakynthos.
25
Ithaka liegt in der See am höchsten hinauf an die Feste,
Gegen den Nord; die andern sind östlich und südlich entfernet.
Rauh ist diese, doch nähret sie rüstige Männer; und wahrlich
Süßer als Vaterland ist nichts auf Erden zu finden!
Siehe mich hielt bei sich die hehre Göttin Kalypso
30
In der gewölbeten Grotte, und wünschte mich zum Gemahle;
Ebenso hielt mich auch die ääische Zauberin Kirke
Trüglich in ihrem Palast, und wünschte mich zum Gemahle:
Aber keiner gelang es, mein standhaftes Herz zu bewegen.
Denn nichts ist doch süßer, als unsere Heimat und Eltern,
35
Wenn man auch in der Fern‘ ein Haus voll köstlicher Güter,
Unter fremden Leuten, getrennt von den Seinen, bewohnet!
Aber wohlan! vernimm itzt meine traurige Heimfahrt,
Die mir der Donnerer Zeus vom troischen Ufer beschieden.
Gleich von Ilion trieb mich der Wind zur Stadt der Kikonen
40
Ismaros hin. Da verheert‘ ich die Stadt, und würgte die Männer.
Aber die jungen Weiber und Schätze teilten wir alle
Unter uns gleich, daß keiner leer von der Beute mir ausging.
Jetzo warnet‘ ich zwar die Freunde, mit eilendem Fuße
Weiter zu fliehn; allein die Unbesonnenen blieben.
45
Und nun ward in dem Weine geschwelgt, viel Ziegen und Schafe
An dem Ufer geschlachtet, und viel schwerwandelndes Hornvieh.
Aber es riefen indes die zerstreuten Kikonen die andern
Nahen Kikonen zu Hilfe, die tapferer waren und stärker,
Aus der Mitte des Landes. Sie waren geübt, von den Wagen,
50
Und wenn es nötig war, zu Fuß mit dem Feinde zu kämpfen.
Zahllos schwärmten sie jetzt, wie die Blätter und Blumen des Frühlings,
Mit dem Morgen daher. Da suchte Gottes Verderben
Uns Unglückliche heim, und überhäuft‘ uns mit Jammer.
Bei den rüstigen Schiffen begann die wütende Feldschlacht,
55
Und von Treffen zu Treffen entschwirrten die ehernen Lanzen.
Weil der heilige Tag noch mit dem Morgen emporstieg,
Wehrten wir uns, und trotzten der Übermacht der Kikonen.
Aber da nun die Sonne zur Stunde des Stierabspannens
Sank, da siegte der Feind, und zwang die Achaier zum Weichen.
60
Jedes der Schiffe verlor sechs wohlgeharnischte Männer;
Und wir andern entflohn dem schrecklichen Todesverhängnis.
Also steuerten wir mit trauriger Seele von dannen,
Froh der bestandnen Gefahr, doch ohne die lieben Gefährten.
Doch nicht eher enteilten die gleichgeruderten Schiffe,
65
Ehe wir dreimal jedem der armen Freunde gerufen,
Welche der siegende Feind auf dem Schlachtgefilde getötet.
Aber nun sandt‘ auf die Schiffe der Wolkenversammler des Nordwinds
Fürchterlich heulenden Sturm, verhüllt in dicke Gewölke
Meer und Erde zugleich; und dem düstern Himmel entsank Nacht.
70
Schnell mit gesunkenen Masten entflohen die Schiff‘; und mit einmal
Rasselte rauschend der Sturm, und zerriß die flatternden Segel.
Eilend zogen wir sie, aus Furcht zu scheitern, herunter,
Und arbeiteten uns mit dem Ruder ans nahe Gestade.
Zwo graunvolle Nächte und zween langwierige Tage
75
Lagen wir mutlos dort, von Arbeit und Kummer entkräftet.
Aber da nun die dritte der Morgenröten emporstieg,
Richteten wir die Masten, und spannten die schimmernden Segel,
Setzten uns hin, und ließen vom Wind‘ und Steuer uns lenken.
Jetzo hofften wir sicher den Tag der fröhlichen Heimkehr.
80
Aber als wir die Schiff um Maleia lenkten, da warf uns
Plötzlich die Flut und der Strom und der Nordwind fern von Kythera.
Und neun Tage trieb ich, von wütenden Stürmen geschleudert,
Über das fischdurchwimmelte Meer; am zehnten gelangt‘ ich
Hin zu den Lotophagen, die blühende Speise genießen.
85
Allda stiegen wir an das Gestad‘, und schöpften uns Wasser.
Eilend nahmen die Freunde das Mahl bei den rüstigen Schiffen.
Und nachdem wir uns alle mit Trank und Speise gesättigt,
Sandt‘ ich einige Männer voran, das Land zu erkunden,
Was für Sterbliche dort die Frucht des Halmes genössen:
90
Zween erlesene Freund‘; ein Herold war ihr Begleiter.
Und sie erreichten bald der Lotophagen Versammlung.
Aber die Lotophagen beleidigten nicht im geringsten
Unsere Freunde; sie gaben den Fremdlingen Lotos zu kosten.
Wer nun die Honigsüße der Lotosfrüchte gekostet,
95
Dieser dachte nicht mehr an Kundschaft oder an Heimkehr:
Sondern sie wollten stets in der Lotophagen Gesellschaft
Bleiben, und Lotos pflücken, und ihrer Heimat entsagen.
Aber ich zog mit Gewalt die Weinenden wieder ans Ufer,
Warf sie unter die Bänke der Schiff, und band sie mit Seilen.
100
Drauf befahl ich und trieb die übrigen lieben Gefährten,
Eilend von dannen zu fliehn, und sich in die Schiffe zu retten,
Daß man nicht, vom Lotos gereizt, der Heimat vergäße.
Und sie traten ins Schiff, und setzten sich hin auf die Bänke,
Saßen in Reihn, und schlugen die graue Woge mit Rudern.
105
Also steuerten wir mit traurigen Seele von dannen.
Und zum Lande der wilden gesetzelosen Kyklopen
Kamen wir jetzt, der Riesen, die im Vertraun auf die Götter
Nimmer pflanzen noch sä’n, und nimmer die Erde beackern.
Ohne Samen und Pfleg‘ einkeimen alle Gewächse,
110
Weizen und Gerste dem Boden, und edle Reben, die tragen
Wein in geschwollenen Trauben, und Gottes Regen ernährt ihn.
Dort ist weder Gesetz, noch öffentliche Versammlung;
Sondern sie wohnen all‘ auf den Häuptern hoher Gebirge
In gehöhleten Felsen, und jeder richtet nach Willkür
115
Seine Kinder und Weiber, und kümmert sich nicht um den andern.
Gegenüber der Bucht des Kyklopenlandes erstreckt sich,
Weder nahe noch fern, ein kleines waldichtes Eiland,
Welches unzählige Scharen von wilden Ziegen durchstreifen.
Denn kein menschlicher Fuß durchdringt die verwachsene Wildnis;
120
Und nie scheuchet sie dort ein spürender Jäger, der mühsam
Sich durch den Forst arbeitet, und steile Felsen umklettert.
Nirgends weidet ein Hirt, und nirgends ackert ein Pflüger;
Unbesäet liegt und unbeackert das Eiland
Ewig menschenleer, und nähret nur meckernde Ziegen.
125
Denn es gebricht den Kyklopen an rotgeschnäbelten Schiffen,
Auch ist unter dem Schwarm kein Meister, kundig des Schiffbaus,
Schöngebordete Schiffe zu zimmern, daß sie mit Botschaft
Zu den Völkern der Welt hinwandelten: wie sich so häufig
Menschen über das Meer in Schiffen einander besuchen;
130
Welche die Wildnis bald zu blühenden Auen sich schüfen.
Denn nicht karg ist das Land, und schmückte jegliche Jahrszeit.
Längs des grauen Meeres Gestade winden sich Wiesen,
Reich an Quellen und Klee. Dort rankten die edelsten Reben;
Und leicht pflügte der Pflug, und dicke Saatengefilde
135
Reiften jährlich der Ernte; denn fett ist unten der Boden.
Und der Hafen so sicher! Kein Schiff bedarf da der Fessel,
Weder geworfener Anker, noch angebundener Seile;
Sondern es läuft auf den Sand, und ruhet, bis es dem Schiffer
Weiter zu fahren beliebt, und günstige Winde sich heben.
140
Oben am Ende der Bucht entrieselt der felsichten Grotte
Silberblinkend ein Quell, von Pappelweiden umschattet.
Allda landeten wir. Ein Gott war unser Geleiter
Durch die finstere Nacht: wir sahn nicht, wohin wir uns wandten.
Dickes Dunkel umdrängte die Schiff‘; es leuchtet‘ am Himmel
145
Weder Mond noch Stern, in schwarze Wolken gehüllet.
Niemand erblickte daher mit seinen Augen die Insel;
Selbst die langen Wogen, die hin ans Ufer sich wälzten,
Sahen wir nicht, bevor die starken Schiffe gelandet.
Und nachdem wir gelandet, da zogen wir nieder die Segel,
150
Stiegen dann aus den Schiffen ans krumme Gestade des Meeres,
Schlummerten dort ein wenig, und harrten der heiligen Frühe.
Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,
Wanderten wir umher, und besahen wundernd das Eiland.
Und es trieben die Nymphen, Kronions liebliche Töchter,
155
Kletternde Ziegen uns hin, zum Schmause meiner Gefährten.
Eilend holten wir Bogen und langgeschaftete Spieße
Aus den Schiffen hervor, und in drei Geschwader geordnet
Schossen wir frisch; und Gott erfreut‘ uns mit reichlichem Wildbret.
Zwölf war die Zahl der Schiffe, die mir gehorchten; und jedem
160
Teilte das Los neun Ziegen, und zehn erlas ich mir selber.
Also saßen wir dort den Tag, bis die Sonne sich neigte,
An der Fülle des Fleisches und süßen Weines uns labend.
Denn noch war in den Schiffen der rote Wein nicht versieget,
Sondern wir hatten genung; denn reichlich schöpften wir alle
165
In die Eimer, da wir die Stadt der Kikonen beraubten.
Und wir sahen den Rauch des Kyklopenlandes, und hörten
Ihre murmelnde Stimm‘, und die Stimme der Ziegen und Schafe.
Als die Sonne nun sank, und Dunkel die Erde bedeckte,
Legten wir uns zum Schlummer am Strande des rauschenden Meeres.
170
Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,
Rief ich alle Gefährten zur Ratsversammlung, und sagte:
Bleibt ihr übrigen jetzt, ihr meine lieben Gefährten.
Ich und meine Genossen wollen im Schiffe hinüber
Fahren, und Kundschaft holen, was dort für Sterbliche wohnen:
175
Ob unmenschliche Räuber, und sittenlose Barbaren;
Oder Diener der Götter, und Freunde des heiligen Gastrechts.
Also sprach ich, und trat ins Schiff, und befahl den Gefährten,
Einzusteigen, und schnell die Seile vom Ufer zu lösen.
Und sie traten ins Schiff, und setzten sich hin auf die Bänke,
180
Saßen in Reihn und schlugen die graue Woge mit Rudern.
Als wir das nahe Gestad‘ erreichten, sahn wir von ferne
Eine Felsenhöhl‘ am Meer in der Spitze des Landes,
Hochgewölbt und umschattet mit Lorbeerbäumen. Hier pflegten
Viele Ziegen und Schafe des Nachts zu ruhen; und ringsum
185
War ein hohes Gehege von Felsenstücken gebauet,
Von erhobenen Fichten und himmelanwehenden Eichen.
Allda wohnt‘ auch ein Mann von Riesengröße, der einsam
Stets auf entlegene Weiden sie trieb, und nimmer mit andern
Umging, sondern für sich auf arge Tücke bedacht war.
190
Gräßlich gestaltet war das Ungeheuer, wie keiner,
Welchen der Halm ernährt: er glich dem waldichten Gipfel
Hoher Kettengebirge, der einsam vor allen emporsteigt.
Eilend befahl ich jetzo den übrigen lieben Gefährten,
An dem Gestade zu bleiben, und unser Schiff zu bewahren;
195
Und ging selber mit zwölf der Tapfersten, die ich mir auskor,
Einen ziegenledernen Schlauch auf der Achsel, voll schwarzes
Süßes Weines, den mir einst Maron, der Sohn Euanthes,
Schenkte, der Priester Apollons, der über Ismaros waltet.
Diesen verschoneten wir, und seine Kinder und Gattin,
200
Ehrfurchtsvoll; denn er wohnete dort in Phöbos Apollons
Heiligem Schattenhain. Drum schenkt‘ er mir köstliche Gaben:
Schenkte mir sieben Talente des schöngebildeten Goldes;
Schenkte mir einen Kelch von lauterem Silber; und endlich
Schöpft‘ er mir dieses Weines in zwölf gehenkelte Krüge:
205
Süß und unverfälscht, ein Göttergetränk! Auch wußte
Keiner der Knecht‘ im Hause darum, und keine der Mägde;
Nur er selbst, und sein Weib, und die einzige Schaffnerin wußten’s.
Gab er ihn preis, dann füllt‘ er des süßen funkelnden Weines
Einen Becher, und goß ihn in zwanzig Becher voll Wasser
210
Und den schäumenden Kelch umhauchten balsamische Düfte,
Göttlicher Kraft: da war es gewiß nicht Freude zu dursten!
Hiermit füllt‘ ich den großen Schlauch, den Ranzen mit Speise;
Denn mir ahnete schon im Heldengeiste, wir würden
Einen Mann besuchen, mit großer Stärke gerüstet,
215
Grausam und ungerecht, und durch keine Gesetze gebändigt.
Eilig wanderten wir zur Höhl‘ und fanden den Riesen
Nicht daheim; er weidete schon auf der Weide die Herden.
Und wir gingen hinein, und besahen wundernd die Höhle.
Alle Körbe strotzten von Käse; Lämmer und Zicklein
220
Drängeten sich in den Ställen, und jede waren besonders
Eingesperrt: die Frühling‘ allein, allein auch die Mittlern,
Und die zarten Spätling‘ allein. Es schwammen in Molken
Alle Gefäße, die Wannen und Eimer, worinnen er melkte.
Anfangs baten mich zwar die Freunde mit dringenden Worten,
225
Nur von den Käsen zu nehmen, und wegzuschleichen; dann wieder,
Hurtig zu unserm Schiff‘ aus den Ställen die Lämmer und Zicklein
Wegzutreiben, und über die salzigen Fluten zu steuern.
Aber ich hörete nicht; (ach, besser hätt‘ ich gehöret!)
Um ihn selber zu sehn, und seiner Bewirtung zu harren:
230
Ach für meine Gefährten ein unerfreulicher Anblick!
Und wir zündeten Feuer, und opferten; nahmen dann selber
Von den Käsen und aßen, und setzten uns voller Erwartung,
Bis er kam mit der Herd‘. Er trug eine mächtige Ladung
Trockenes Scheiterholz, das er zum Mahle gespaltet.
235
Und in der Höhle stürzt‘ er es hin; da krachte der Felsen;
Und wir erschraken, und flohn in den innersten Winkel der Höhle.
Aber er trieb in die Kluft die fetten Ziegen und Schafe
Alle zur Melke herein; die Widder und bärtigen Böcke
Ließ er draußen zurück, im hochummaurten Gehege.
240
Hochauf schwenkt‘ er und setzte das große Spund vor den Eingang:
Fürchterlich groß! die Gespanne von zweiundzwanzig starken
Und vierrädrigen Wagen, sie schleppten ihn nicht von der Stelle,
Jenen gewaltigen Fels, den das Ungeheuer emporhub.
Jetzo saß er, und melkte die Schaf‘ und meckernden Ziegen
245
Nach der Ordnung, und legte den Müttern die Säugling‘ ans Euter;
Ließ von der weißen Milch die Hälfte gerinnen, und setzte
Sie zum Trocknen hinweg in dichtgeflochtenen Körben;
Und die andere Hälfte verwahrt‘ er in weiten Gefäßen,
Daß er beim Abendschmause den Durst mit dem Tranke sich löschte.
250
Und nachdem er seine Geschäft‘ in Eile verrichtet,
Zündet‘ er Feuer an, und sah uns stehen, und fragte:
Fremdlinge, sagt, wer seid ihr? Von wannen trägt euch die Woge?
Habt ihr wo ein Gewerb‘, oder schweift ihr ohne Bestimmung
Hin und her auf der See: wie küstenumirrende Räuber,
255
Die ihr Leben verachten, um fremden Völkern zu schaden?
Also sprach der Kyklop. Uns brach das Herz vor Entsetzen
Über das rauhe Gebrüll, und das scheußliche Ungeheuer.
Dennoch ermannt‘ ich mich, und gab ihm dieses zur Antwort:
Griechen sind wir, und kommen von Trojas fernem Gestade,
260
Über das große Meer von mancherlei Stürmen geschleudert,
Als wir ins Vaterland hinsteuerten: andere Fahrten,
Andere Bahnen verhängt‘ uns Kronions waltende Vorsicht!
Siehe wir preisen uns Völker von Atreus‘ Sohn Agamemnon,
Welchen der größte Ruhm itzt unter dem Himmel verherrlicht,
265
Weil er die mächtige Stadt und so viele Völker vertilgt hat!
Jetzo fallen wir dir zu Füßen, und flehen in Demut:
Reich‘ uns eine geringe Bewirtung, oder ein andres
Kleines Geschenk, wie man gewöhnlich den Fremdlingen anbeut!
Scheue doch, Bester, die Götter! Wir Armen flehn dir um Hilfe!
270
Und ein Rächer ist Zeus den hilfeflehenden Fremden,
Zeus der Gastliche, welcher die heiligen Gäste geleitet!
Also sprach ich; und drauf versetzte der grausame Wütrich:
Fremdling, du bist ein Narr, oder kommst auch ferne von hinnen!
Mir befiehlst du, die Götter zu fürchten, die Götter zu ehren?
275
Wir Kyklopen kümmern uns nicht um den König des Himmels,
Noch um die seligen Götter; denn wir sind besser, als jene!
Nimmer verschon‘ ich euer aus Furcht vor der Rache Kronions,
Dein und deiner Gesellen, wofern es mir selbst nicht gelüstet!
Sage mir an: wo bist du mit deinem Schiffe gelandet?
280
Irgendwo in der Fern‘, oder nahe? damit ich es wisse!
Also sprach er voll Tück‘; allein ich kannte dergleichen.
Eilend erwidert‘ ich ihm die schlauersonnenen Worte:
Ach mein Schiff hat der Erderschütterer Poseidaon
Mir an den Klippen zerschmettert, indem er ans schroffe Gestade
285
Eures Landes es warf, und der Sturm aus dem Meer es verfolgte!
Ich nur und diese Gefährten entflohn dem Schreckenverhängnis!
Also sprach ich; und nichts versetzte der grausame Wütrich!
Sondern fuhr auf, und streckte nach meinen Gefährten die Händ‘ aus,
Deren er zween anpackt‘, und wie junge Hund‘ auf den Boden
290
Schmetterte: blutig entspritzt‘ ihr Gehirn, und netzte den Boden.
Dann zerstückt‘ er sie Glied für Glied, und tischte den Schmaus auf,
Schluckte darein, wie ein Leu des Felsengebirgs, und verschmähte
Weder Eingeweide, noch Fleisch, noch die markichten Knochen.
Weinend erhuben wir die Hände zum Vater Kronion,
295
Als wir den Jammer sahn, und starres Entsetzen ergriff uns.
Doch kaum hatte der Riese den großen Wanst sich gestopfet
Mit dem Fraße von Menschenfleisch und dem lauteren Milchtrunk;
Siehe da lag er im Fels weithingestreckt bei dem Viehe.
Jetzo stieg der Gedank‘ in meine zürnende Seele:
300
Näher zu gehn, das geschliffene Schwert von der Hüfte zu reißen,
Und ihm die Brust zu durchgraben, wo Zwerchfell und Leber sich treffen,
Mit nachbohrender Faust; doch ein andrer Gedanke verdrängt‘ ihn.
Denn so hätt‘ ich uns selbst dem schrecklichen Tode geopfert:
Unsere Hände vermochten ja nicht von der hohen Pforte
305
Abzuwälzen den mächtigen Fels, den der Riese davorschob.
Drum erwarteten wir mit Seufzen die heilige Frühe.
Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,
Zündet‘ er Feuer an, und melkte die Ziegen und Schafe
Nach der Ordnung, und legte den Müttern die Säugling‘ ans Euter.
310
Und nachdem er seine Geschäft‘ in Eile verrichtet,
Packt‘ er abermal Zween, und tischte die Stücke zum Schmaus auf.
Nach dem Frühstück trieb er die feiste Herd‘ aus der Höhle.
Spielend enthob er die Last des großen Spundes, und spielend
Setzt‘ er sie vor, als setzt‘ er auf seinen Köcher den Deckel.
315
Und nun trieb der Kyklop mit gellendem Pfeifen die Herde
Auf das Gebirg‘. Ich blieb in der Höhle mit tausend Entwürfen,
Rache zu üben, wenn mir Athene Hilfe gewährte.
Aber von allen Entwürfen gefiel mir dieser am besten.
Neben dem Stalle lag des Kyklopen gewaltige Keule,
320
Grün, aus Olivenholze gehaun. Zum künftigen Stabe
Dorrte sie hier an der Wand, und kam uns vor nach dem Ansehn,
Wie der ragende Mast des zwanzigrudrichten Lastschiffs,
Welches mit breitem Bauch auf dem großen Wasser dahinfährt:
Diesem schien sie an Läng‘, und diesem an Dicke zu gleichen.
325
Und ich haute davon, soviel die Klafter umspannet,
Reichte meinen Gefährten den Pfahl, und hieß ihn mir glätten;
Und sie schabten ihn glatt. Ich selber schärfte die Spitze
Oben, und härtete sie in der lodernden Flamme des Feuers,
Drauf verbarg ich den Knittel bedachtsam unter dem Miste,
330
Welcher dick und breit durch die ganze Höhle gesät war.
Jetzo befahl ich den andern, durchs heilige Los zu entscheiden,
Wer sich wagen sollte, mit mir den gehobenen Knittel
Jenem ins Auge zu drehn, sobald ihn der Schlummer befiele.
Und es traf gerade das Los, die ich heimlich mir wünschte,
335
Vier von meinen Gefährten; ich selbst war der fünfte mit ihnen.
Und am Abende kam er mit seiner gemästeten Herde,
Und trieb schnell in die weite Kluft die Ziegen und Schafe,
Mütter und Böcke zugleich, und ließ nichts draußen im Vorhof:
Weil er etwas besorgt‘, oder Gott es also geordnet.
340
Hochauf schwenkt‘ er und setzte das große Spund vor den Eingang.
Und nun saß er, und melkte die Schaf‘ und meckernden Ziegen
Nach der Ordnung, und legte den Müttern die Säugling‘ ans Euter.
Und nachdem er seine Geschäft‘ in Eile verrichtet,
Packt‘ er abermal Zween, und tischte die Stücke zum Schmaus auf.
345
Jetzo trat ich näher, und sagte zu dem Kyklopen,
Einen hölzernen Becher voll schwarzes Weines in Händen:
Nimm, Kyklop, und trink eins; auf Menschenfleisch ist der Wein gut!
Daß du doch lernst, welch ein Trunk in unserem Schiffe ruhte!
Diesen rettet‘ ich dir zum Opfer, damit du erbarmend
350
Heim mich sendetest. Aber du wütest ja ganz unerträglich!
Böser Mann, wer wird dich hinfort von den Erdebewohnern
Wieder besuchen wollen? Du hast nicht billig gehandelt!
Also sprach ich. Er nahm und trank, und schmeckte gewaltig
Nach dem süßen Getränk‘, und bat noch einmal zu füllen:
355
Lieber, schenk mir noch eins, und sage mir gleich, wie du heißest;
Daß ich dich wieder bewirt‘, und deine Seele sich labe!
Wiß, auch uns Kyklopen gebiert die fruchtbare Erde
Wein in geschwollenen Trauben, und Gottes Regen ernährt ihn.
Aber der ist ein Saft von Ambrosia oder von Nektar!
360
Also sprach er; ich bracht‘ ihm von neuem des funkelnden Weines.
Dreimal schenkt‘ ich ihm voll, und dreimal leerte der Dumme.
Aber da jetzo der geistige Trank in das Hirn des Kyklopen
Stieg; da schmeichelt‘ ich ihm mit glatten Worten, und sagte:
Meinen berühmten Namen, Kyklop? Du sollst ihn erfahren.
365
Aber vergiß mir auch nicht die Bewirtung, die du verhießest!
Niemand ist mein Name; denn Niemand nennen mich alle,
Meine Mutter, mein Vater, und alle meine Gesellen.
Also sprach ich; und drauf versetzte der grausame Wütrich:
Niemand will ich zuletzt nach seinen Gesellen verzehren;
370
Alle die andern zuvor! Dies sei die verheißne Bewirtung!
Sprach’s, und streckte sich hin, fiel rücklings, und lag mit gesenktem
Feistem Nacken im Staub; und der allgewaltige Schlummer
Überwältiget‘ ihn: dem Rachen entstürzten mit Weine
Stücke von Menschenfleisch, die der schnarchende Trunkenbold ausbrach.
375
Und nun hielt ich die Spitze des Knittels in glimmende Asche,
Bis sie Feuer fing, und stärkte mit herzhaften Worten
Meine Gefährten, daß keiner sich feig‘ im Winkel verkröche.
Aber da eben jetzo der Ölbaumknittel im Feuer
Drohte zu brennen, so grün er auch war, und fürchterlich glühte;
380
Zog ich ihn eilend zurück aus dem Feuer, und meine Gefährten
Standen um mich; und ein Himmlischer haucht‘ uns Mut in die Seele.
Und sie faßten den spitzen Olivenknittel, und stießen
Ihn dem Kyklopen ins Aug‘, und ich, in die Höhe mich reckend,
Drehete. Wie wenn ein Mann, den Bohrer lenkend, ein Schiffholz
385
Bohrt; die Unteren ziehn an beiden Enden des Riemens,
Wirbeln ihn hin und her; und er flieget in dringender Eile:
Also hielten auch wir in das Auge den glühenden Knittel,
Drehten, und heißes Blut umquoll die dringende Spitze.
Alle Wimpern und Augenborsten versengte die Lohe
390
Seines entflammten Sterns; es prasselten brennend die Wurzeln.
Wie wenn ein kluger Schmied die Holzaxt oder das Schlichtbeil
Aus der Ess‘ in den kühlenden Trog, der sprudelnd emporbraust,
Wirft und härtet; denn dieses ersetzt die Kräfte des Eisens:
Also zischte das Aug‘ um die feurige Spitze des Ölbrands.
395
Fürchterlich heult‘ er auf, daß rings die dumpfige Kluft scholl.
Und wir erschraken und flohn in den innersten Winkel. Doch jener
Riß aus dem Auge den Knittel, mit vielem Blute besudelt,
Schleudert‘ ihn ferne von dannen mit ungebärdigem Grimme;
Und nun ruft er mit Zetergebrüll den andern Kyklopen,
400
Welche ringsum die Klüfte des stürmischen Felsen bewohnten.
Und sie vernehmen das Brüllen, und drängten sich dorther und daher,
Standen rund um die Höhl‘, und fragten, was ihn betrübte:
Was geschah dir für Leid, Polyphemos, daß du so brülltest
Durch die ambrosische Nacht, und uns vom Schlummer erwecktest?
405
Raubt der Sterblichen einer dir deine Ziegen und Schafe?
Oder würgt man dich selbst, arglistig oder gewaltsam?
Ihnen erwiderte drauf aus der Felsenkluft Polyphemos:
Niemand würgt mich, ihr Freund‘, arglistig! und keiner gewaltsam!
Drauf antworteten sie, und schrien die geflügelten Worte:
410
Wenn dir denn keiner Gewalt antut in der einsamen Höhle;
Gegen Schmerzen, die Zeus dir schickt, ist kein anderes Mittel:
Flehe zu deinem Vater, dem Meerbeherrscher Poseidon!
Also schrien sie, und gingen. Mir lachte die Seele vor Freude,
Daß sie mein falscher Name getäuscht und mein trefflicher Einfall.
415
Aber ächzend vor Qual, mit jammervollem Gewinsel
Tappte der blinde Kyklop, und nahm den Stein von der Pforte,
Setzte sich dann in die Pforte, mit ausgebreiteten Händen,
Tastend, ob nicht vielleicht mit den Schafen einer entwischte.
So einfältig hielt mich in seinem Herzen der Riese.
420
Aber ich sann umher, das sicherste Mittel zu finden,
Wie ich meine Gefährten und mich von dem schrecklichen Tode
Rettete. Tausend Entwürf‘ und Listen wurden ersonnen;
Denn es galt das Leben; und fürchterlich drang die Entscheidung!
Doch von allen Entwürfen gefiel mir dieser am besten.
425
Seine Widder waren sehr feist, dickbuschichter Vliese,
Groß und stattlich von Wuchs, mit brauner Wolle bekleidet.
Diese band ich geheim mit schwanken Ruten zusammen,
Wo der Kyklop auf schlief, das gottlose Ungeheuer!
Drei und drei: der mittelste Bock trug einen der Männer,
430
Und zween gingen beiher, und schirmten meine Gefährten.
Also trugen jeglichen Mann drei Widder. Ich selber
Wählte mir einen Bock, den trefflichsten unter der Herde.
Diesen ergriff ich schnell beim Rücken, wälzte mich nieder
Unter den wollichten Bauch, und lag mit duldendem Herzen,
435
Beide Hände fest im Gekräusel der Flocken verwickelt.
Also erwarteten wir mit Seufzen die heilige Frühe.
Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,
Eilten die Männer der Herde mit Ungestüm auf die Weide.
Aber es blökten am Stalle die ungemelkten Mütter;
440
Denn die Euter strotzten von Milch. Der grausame Wütrich
Saß von Schmerzen gefoltert, und tastete sorgsam die Rücken
Aller steigenden Widder, und ahnete nicht in der Dummheit,
Daß ich sie unter die Brust der wollichten Böcke gebunden.
Langsam folgte nun der übrigen Herde mein Widder,
445
Schwerbeladen mit Wolle, und mir, der mancherlei dachte.
Streichelnd betastet‘ auch ihn das Ungeheuer, und sagte:
Süßes Böckchen, wie geht’s? Du kommst zuletzt aus der Höhle?
Ei du pflegst mir ja sonst nicht hinter der Herde zu bleiben!
Trabst ja so hurtig voran, und pflückst dir zuerst auf der Weide
450
Gräschen und Blümelein; eilst auch zuerst in die Wellen der Flüsse;
Trachtest auch immer zuerst in den Stall zu kommen des Abends!
Nun der letzte von allen? Ach geht dir etwa das Auge
Deines Herren so nach? Der Bösewicht hat mir’s entrissen,
Er samt seinem Gesindel, indem er mit Wein mich berauschte,
455
Niemand! Ich mein‘, er ist mir noch nicht dem Verderben entronnen!
Hättest du nur Gedanken wie ich, und verstündest die Sprache;
Daß du mir sagtest, wo jener vor meiner Stärke sich hinbirgt!
Ha! auf den Boden geschmettert, wie sollte sein Hirn durch die Höhle
Hiehin und dahin zerspritzen! Wie würde mein Herz von dem Jammer
460
Sich erlaben, den mir der Taugenicht machte, der Niemand!
Also sprach er, und ließ den Widder von sich hinausgehn.
Als wir uns von der Höhl‘ und dem Hof‘ ein wenig entfernet,
Macht‘ ich zuerst vom Widder mich los, und löste die andern.
Eilend trieben wir jetzo die wohlgemästeten großen
465
Hochgeschenkelten Böcke durch mancherlei Krümmen zum Schiffe.
Und mit herzlicher Freud‘ empfingen die lieben Gefährten
Uns Entflohne des Todes, und klagten schluchzend die andern.
Aber ich ließ es nicht zu; ich deutete jedem mit Blicken,
Nicht zu weinen; befahl dann, die schöne wollichte Herde
470
Hurtig ins Schiff zu werfen, und über die Wogen zu steuern.
Und sie traten ins Schiff, und setzten sich hin auf die Bänke.
Saßen in Reihn, und schlugen die graue Woge mit Rudern.
Als ich so weit nun war, wie die Stimme des Rufenden schallet,
Da begann ich, und rief dem Kyklopen mit schmähenden Worten:
475
Ha, Kyklope, so recht! Nicht eines Feigen Gefährten
Hast du, wütiger Ries‘, in der dunkeln Höhle gefressen!
Lange hattest du das mit deinen Sünden verschuldet!
Grausamer, weil du die Gäste nicht scheutest in deiner Behausung
Aufzuschlucken; drum strafte dich Zeus und die übrigen Götter!
480
Also rief ich. Noch wütender tobte der blinde Kyklope,
Riß herunter und warf den Gipfel des hohen Gebirges.
Aber er fiel jenseits des blaugeschnäbelten Schiffes
Nieder, und wenig gefehlt, so traf er die Spitze des Steuers.
Hochauf wogte das Meer von dem stürzenden Felsen, und plötzlich
485
Raffte mit Ungestüm der strudelnde Schwall der Gewässer,
Landwärts flutend, das Schiff, und warf es zurück an das Ufer.
Aber ich nahm mit den Händen geschwind eine mächtige Stange,
Stieß es vom Land‘, und trieb und ermahnete meine Gefährten,
Hurtig die Ruder zu regen, daß wir dem Verderben entrönnen,
490
Deutend und nickend; sie flogen ans Werk, und ruderten keuchend.
Als wir nun doppelt so weit in das hohe Meer uns gerettet,
Siehe da rief ich von neuem dem Wüterich. Aber die Freunde
Sprangen umher, und schweigten mich alle mit freundlichen Worten:
Waghals! willst du noch mehr den grausamen Riesen erbittern,
495
Welcher mit seinem Geschoß in die See hinspielet, und eben
Wieder ans Ufer uns warf, wo Tod und Verderben uns drohte?
Hätt‘ er von dir nur ein Wort, nur deine Stimme vernommen;
Wahrlich mit einem geschleuderten Fels hätt‘ er unsere Schädel
Samt den Balken des Schiffes zerschellt! Er versteht sich aufs Schleudern!
500
Aber sie strebten umsonst, mein edles Herz zu bewegen.
Und ich rief dem Kyklopen von neuem mit zürnender Seele:
Hör, Kyklope! Sollte dich einst von den sterblichen Menschen
Jemand fragen, wer dir dein Auge so schändlich geblendet;
Sag‘ ihm: Odysseus, der Sohn Laertes, der Städteverwüster,
505
Der in Ithaka wohnt, der hat mein Auge geblendet!
Also rief ich ihm zu; und heulend gab er zur Antwort:
Weh mir! es trifft mich jetzo ein längstverkündetes Schicksal!
Hier war einst ein Prophet, ein Mann von Schönheit und Größe,
Telemos, Eurymos‘ Sohn, bekannt mit den Zeichen der Zukunft,
510
Und bis ins Alter beschäftigt, sie uns Kyklopen zu deuten;
Der weissagte mir alles, was jetzt nach Jahren erfüllt wird:
Durch Odysseus‘ Hände würd‘ ich mein Auge verlieren.
Doch erwartet‘ ich immer, ein großer und stattlicher Riese
Würde mich hier besuchen, mit großer Stärke gerüstet!
515
Und nun kommt so ein Ding, so ein elender Wicht, so ein Weichling,
Und verbrennt mir das Auge, nachdem er mit Wein mich berauschet!
Komm doch her, Odysseus! Ich will dich herrlich bewirten,
Und dir ein sicher Geleit vom hohen Poseidon verschaffen.
Denn ich bin sein Sohn, und rühmend nennt er sich Vater!
520
Dieser kann mich auch heilen, wenn’s ihm gelüstet; kein andrer
Unter den seligen Göttern, noch unter den sterblichen Menschen!
Also sprach der Kyklop! ich gab ihm dieses zur Antwort:
Könnt‘ ich nur so gewiß auch deines Geistes und Lebens
Dich entledigen, und in die Schattenwohnungen senden,
525
Als dein Auge selbst der hohe Poseidon nicht heilet!
Also sprach ich. Da streckt‘ er empor zum sternichten Himmel
Seine Händ‘, und flehte dem Meerbeherrscher Poseidon:
Höre mich, Erdumgürter, du bläulichgelockter Poseidon,
Bin ich wirklich dein Sohn, und nennst du rühmend dich Vater!
530
Gib, daß Odysseus, der Sohn Laertes, der Städteverwüster,
Der in Ithaka wohnt, nicht wiederkehre zur Heimat!
Oder ward ihm bestimmt, die Freunde wiederzusehen,
Und sein prächtiges Haus, und seiner Väter Gefilde;
Laß ihn spät, unglücklich, und ohne Gefährten, zur Heimat
535
Kehren auf fremdem Schiff‘, und Elend finden im Hause!
Also sprach er flehend; ihn hörte der Bläulichgelockte.
Und nun hub er von neuem noch einen größeren Fels auf,
Schwung ihn im Wirbel, und warf mit unermeßlicher Stärke.
Aber er fiel diesseits des blaugeschnäbelten Schiffes
540
Nieder, und wenig gefehlt, so traf er die Spitze des Steuers.
Hochauf wogte das Meer von dem stürzenden Felsen; und vorwärts
Trieben die Fluten das Schiff, und warfen es an das Gestade.
Also erreichten wir des Eilands Bucht, wo die andern
Schöngebordeten Schiffe beisammen ruhten, und ringsum
545
Traurend die Freunde saßen, und uns beständig erwartend.
Jetzo landeten wir am sandigen Ufer des Eilands,
Stiegen dann aus dem Schiff ans krumme Gestade des Meeres,
Nahmen vom hohlen Schiffe die Herd‘, und teilten sie alle
Unter uns gleich, daß keiner leer von der Beute mir ausging.
550
Aber den Widder schenkten die schöngeharnischten Freunde
Mir bei der Teilung voraus. Ihn opfert‘ ich an dem Gestade
Zeus Kronion, dem Wolkenversammler, der alles beherrschet,
Und verbrannte die Lenden. Doch er verschmähte das Opfer;
Unversöhnt beschloß er in seinem Rate Vertilgung
555
Aller rüstigen Schiff‘ und meiner lieben Gefährten.
Also saßen wir dort den Tag, bis die Sonne sich neigte,
An der Fülle des Fleisches und süßen Weines uns labend.
Als die Sonne nun sank, und Dunkel die Erde bedeckte,
Legten wir uns zum Schlummer am Strande des rauschenden Meeres.
560
Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,
Trat ich selber ins Schiff, und ermahnete meine Gefährten,
Einzusteigen, und schnell die Seile vom Ufer zu lösen.
Und sie traten ins Schiff, und setzten sich hin auf die Bänke,
Saßen in Reihn, und schlugen die graue Woge mit Rudern.
565
Also steuerten wir mit trauriger Seele von dannen,
Froh der bestandnen Gefahr, doch ohne die lieben Gefährten.

Achter Gesang

Achter Gesang

Alkinoos empfiehlt dem versammelten Volke die Heimsendung des Fremdlings und ladet die Fürsten samt den Reisegefährten zum Gastmahl. Kampfspiele. Odysseus wirft die Scheibe. Tanz zu Demodokos‘ Gesang von Ares und Aphrodite. Andere Tänze. Odysseus wird beschenkt. Beim Abendschmaus singt Demodokos von dem hölzernen Roß; den weinenden Fremdling ersucht der König um seine Geschichte.

Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,
Stand die heilige Macht Alkinoos‘ auf von dem Lager.
Auch Odysseus erhub sich, der göttliche Städtebezwinger.
Und die heilige Macht Alkinoos‘ führte den Helden
5
Zu der Phäaken Markte, der bei den Schiffen erbaut war.
Allda setzten sie sich auf schöngeglättete Steine
Nebeneinander. Die Stadt durchwandelte Pallas Athene,
Gleich an Gestalt dem Herold des weisen Phäakenbeherrschers;
Auf die Heimkehr denkend des großgesinnten Odysseus,
10
Ging sie umher, und sprach zu jedem begegnenden Manne:
Auf, und kommt, der Phäaken erhabene Fürsten und Pfleger,
Zu dem Versammlungsplatz, des Fremdlings Bitte zu hören,
Welcher neulich im Hause des weisen Alkinoos ankam,
Hergestürmt von dem Meer, an Gestalt den Unsterblichen ähnlich.
15
Also sprach sie, das Herz in aller Busen erregend.
Und es wimmelten schnell die Gäng‘ und Sitze des Marktes
Von dem versammelten Volk. Da schauten viele bewundernd
Auf Laertes erfindenden Sohn; denn Pallas Athene
Hatte mit göttlicher Hoheit ihm Haupt und Schultern umgossen,
20
Hatt‘ ihn höher an Wuchs und jugendlicher gebildet:
Daß bei allen Phäaken Odysseus Liebe gewönne,
Ehrenvoll und hehr, und aus den Spielen der Kämpfer
Siegreich ginge, womit die Phäaken ihn würden versuchen.
Als die Versammelten jetzt in geschlossener Reihe sich drängten,
25
Hub Alkinoos an, und redete zu der Versammlung:
Merket auf, der Phäaken erhabene Fürsten und Pfleger,
Daß ich rede, wie mir das Herz im Busen gebietet.
Dieser Fremdling (ich kenn‘ ihn nicht,) ist, irrend vom Morgen
Oder vom Abendlande, zu meinem Hause gekommen,
30
Und verlangt nun weiter, und fleht um Bestimmung der Abfahrt.
Laßt uns denn jetzo die Reise beschleunigen, wie wir gewohnt sind.
Denn kein Fremdling, der Schutz in meinen Wohnungen suchet,
Harret lange mit Seufzen, daß man zur Heimat ihn sende.
Auf! wir wollen ein schwärzliches Schiff von den neueren am Strande
35
Wälzen ins heilige Meer, und zweiundfünfzig der besten
Jüngling‘ im Volk erlesen, die sich schon vormals gezeiget!
Habt ihr die Ruder gehörig an euren Bänken befestigt,
Dann steigt wieder ans Land, und stärkt euch in unserm Palaste
Schnell mit Speise zur Fahrt; ich will euch allen bereiten.
40
Dieses ist mein Befehl an die Jünglinge. Aber ihr andern
Sceptertragenden Fürsten, versammelt euch zu dem Palaste,
Daß wir den Fremdling zuvor in meinem Saale bewirten.
Niemand weigere sich! Ruft auch den göttlichen Sänger,
Unsern Demodokos her; denn ihm gab Gott überschwenglich
45
Süßen Gesang, wovon auch sein Herz zu singen ihn antreibt.
Also sprach er, und ging. Die Sceptertragenden alle
Folgten ihm; und der Herold enteilte zum göttlichen Sänger.
Aber die zweiundfünfzig erlesenen Jünglinge gingen,
Nach des Königs Befehl, ans Ufer der wüsten Gewässer.
50
Als sie jetzo das Schiff am Strande des Meeres erreichten,
Zogen sie eilig das schwärzliche Schiff ins tiefe Gewässer,
Trugen den Mast hinein und die Segel des schwärzlichen Schiffes,
Hängten darauf die Ruder in ihre ledernen Wirbel,
Alles, wie sich’s gehört, und spannten die schimmernden Segel.
55
Und sie stellten das Schiff im hohen Wasser des Hafens,
Gingen dann in die Burg des weisen Phäakenbeherrschers.
Allda wimmelten schon die Säle, die Hallen und Höfe
Von den versammelten Gästen; es kamen Jüngling‘ und Greise.
Aber Alkinoos gab der Schar zwölf Schafe zum Opfer,
60
Acht weißzahnichte Schwein‘, und zween schwerwandelnde Stiere.
Diese zogen sie ab, und bereiteten hurtig das Gastmahl.
Jetzo kam auch der Herold, und führte den lieblichen Sänger,
Diesen Vertrauten der Muse, dem Gutes und Böses verliehn ward;
Denn sie nahm ihm die Augen, und gab ihm süße Gesänge.
65
Und Pontonoos setzt‘ ihm den silberbeschlagenen Sessel,
Mitten unter den Gästen, an eine ragende Säule;
Hängte darauf an den Nagel die lieblichklingende Harfe
Über des Sängers Haupt, und führt‘ ihm die Hand, sie zu finden.
Vor ihn stellte der Herold den schönen Tisch und den Eßkorb,
70
Und den Becher voll Weins, zu trinken, wann ihm beliebte.
Und sie erhoben die Hände zum leckerbereiteten Mahle.
Aber als die Begierde des Tranks und der Speise gestillt war,
Trieb die Muse den Sänger, das Lob der Helden zu singen.
Aus dem Liede, des Ruhm damals den Himmel erreichte,
75
Wählt‘ er Odysseus‘ Zank und des Peleiden Achilleus:
Wie sie einst miteinander am festlichen Mahle der Götter
Heftig stritten, und sich der Führer des Heers Agamemnon
Herzlich freute beim Zwiste der tapfersten Helden Achaias.
Denn dies Zeichen war ihm von Phöbos Apollon geweissagt,
80
In der heiligen Pytho, da er die steinerne Schwelle
Forschend betrat; denn damals entsprang die Quelle der Trübsal
Für die Achaier und Troer, durch Zeus des Unendlichen Ratschluß.
Dieses sang der berühmte Demodokos. Aber Odysseus
Faßte mit nervichten Händen den großen purpurnen Mantel,
85
Zog ihn über das Haupt, und verhüllte sein herrliches Antlitz;
Daß die Phäaken nicht die tränenden Wimper erblickten.
Als den Trauergesang der göttliche Sänger geendigt,
Trocknet‘ er schnell die Tränen, und nahm vom Haupte den Mantel,
Faßte den doppelten Becher, und goß den Göttern des Weines.
90
Aber da jener von neuem begann, und die edlen Phäaken
Ihn zum Gesang ermahnten, vergnügt durch die reizenden Lieder;
Hüllt‘ Odysseus wieder sein Haupt in den Mantel, und traurte.
Allen übrigen Gästen verbarg er die stürzende Träne;
Nur Alkinoos sah aufmerksam die Trauer des Fremdlings,
95
Welcher neben ihm saß, und hörte die tiefen Seufzer.
Und der König begann zu den ruderliebenden Männern:
Merket auf, der Phäaken erhabene Fürsten und Pfleger.
Schon hat unsere Herzen das gleichverteilete Gastmahl
Und die Harfe gelabt, des festlichen Mahles Gespielin;
100
Laßt uns denn jetzt aufstehen, und alle Kämpfe beginnen:
Daß der Fremdling davon bei seinen Freunden erzähle,
Wann er zu Hause kommt, wie wir vor allen geübt sind,
In dem Kampfe der Faust, im Ringen, im Sprung und im Wettlauf.
Also sprach er, und ging; es folgten ihm alle Phäaken.
105
Aber der Herold hängt‘ an den Nagel die klingende Harfe,
Faßte Demodokos‘ Hand, und führt‘ ihn aus dem Palaste,
Ging dann vor ihm einher des Weges, welchen die andern
Edlen des Volkes gingen, zu schauen die Spiele der Kämpfer.
Und sie eilten, verfolgt vom großen Getümmel des Volkes,
110
Auf den Markt. Da erhuben sich viele der Edlen zum Wettkampf,
Stand Akroneos auf, Okyalos dann, und Elatreus,
Nauteus dann, und Prymneus, Anchialos dann, und Eretmeus,
Anabesineos dann, und Ponteus, Proreus, und Thoon,
Auch Amphialos, Sohn von Tektons Sohn Polyneos,
115
Und Euryalos, gleich dem menschenvertilgenden Kriegsgott:
Auch Naubolides kam, an Wuchs und Bildung der schönste
Aller schönen Phäaken; Laodamas einzig war schöner.
Drauf erhuben sich drei von Alkinoos‘ trefflichen Söhnen:
Erst Laodamas, Halios dann, und der Held Klytoneos.
120
Diese versuchten zuerst miteinander die Schnelle der Füße.
Ihnen ward von dem Stande das Ziel gemessen, und eilend
Flogen sie alle mit einmal dahin durch die staubende Laufbahn.
Aber alle besiegte der edle Held Klytoneos.
So viel Raum vor den Stieren die pflügenden Mäuler gewinnen,
125
So weit eilte der Held vor den übrigen Läufern zum Ziele.
Andre versuchten darauf im mühsamen Ringen die Kräfte,
Und Euryalos ging von allen Siegern ein Sieger.
Aber Amphialos war im Sprunge von allen der beste;
Und die Scheibe zu werfen der beste von allen Elatreus;
130
Und im Kampfe der Faust besiegte Laodamas alle.
Als die Kämpfer ihr Herz mit den edlen Spielen erfreuet,
Sprach Alkinoos‘ Sohn Laodamas zu der Versammlung:
Freunde, kommt und fragt den Fremdling, ob er auch ehmals
Kämpfe gelernt und versteht. Unedel ist seine Gestalt nicht,
135
Seine Lenden und Schenkel, und beide nervichten Arme,
Und die hohe Brust, und der starke Nacken; auch Jugend
Mangelt ihm nicht! Doch hat ihn vielleicht sein Leiden entkräftet;
Denn nichts Schrecklichers ist mir bekannt, als die Schrecken des Meeres,
Einen Mann zu verwüsten, und wär‘ er auch noch so gewaltig.
140
Ihm antwortete drauf Euryalos wieder, und sagte:
Wahrlich mit großem Rechte, Laodamas, hast du geredet.
Gehe nun selbst, und fodre ihn auf, und reiz‘ ihn mit Worten!
Als der treffliche Sohn Alkinoos‘ solches vernommen,
Ging er schnell in die Mitte des Volks, und sprach zu Odysseus:
145
Fremder Vater, auch du mußt dich in den Kämpfen versuchen,
Hast du deren gelernt; und sicher verstehst du den Wettkampf.
Denn kein größerer Ruhm verschönt ja das Leben der Menschen,
Als, den ihnen die Stärke der Händ‘ und Schenkel erstrebet.
Auf denn, versuch‘ es einmal, und wirf vom Herzen den Kummer.
150
Deine Reise, die wird nicht lange mehr dauern; das Schiff ist
Schon ins Wasser gesenkt, und bereit sind deine Gefährten.
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Warum fodert ihr mich, Laodamas, höhnend zum Wettkampf?
Meine Trübsal liegt mir näher am Herzen, als Kämpfe.
155
Denn ich habe schon vieles erduldet, schon vieles erlitten;
Und nun sitz‘ ich hier in eurer Heldenversammlung,
Heimverlangend, und flehe dem König und allen Phäaken.
Und Euryalos gab ihm diese schmähende Antwort:
Nein wahrhaftig! o Fremdling, du scheinst mir kein Mann, der auf Kämpfe
160
Sich versteht, so viele bei edlen Männern bekannt sind;
Sondern so einer, der stets vielrudrichte Schiffe befähret,
Etwa ein Führer des Schiffs, das wegen der Handlung umherkreuzt,
Wo du die Ladung besorgst, und jegliche Ware verzeichnest,
Und den erscharrten Gewinst! Ein Kämpfer scheinst du mitnichten!
165
Zürnend schaute auf ihn und sprach der weise Odysseus:
Fremdling, du redest nicht fein; du scheinst mir ein trotziger Jüngling.
Wisse, Gott verleiht nicht alle vereinigte Anmut
Allen sterblichen Menschen: Gestalt und Weisheit und Rede.
Denn wie mancher erscheint in unansehnlicher Bildung;
170
Aber es krönet Gott die Worte mit Schönheit; und alle
Schaun mit Entzücken auf ihn; er redet sicher und treffend,
Mit anmutiger Scheu; ihn ehrt die ganze Versammlung;
Und durchgeht er die Stadt, wie ein Himmlischer wird er betrachtet.
Mancher andere scheint den Unsterblichen ähnlich an Bildung;
175
Aber seinen Worten gebricht die krönende Anmut,
Also prangst auch du mit reizender Bildung; nicht schöner
Bildete selber ein Gott: doch dein Verstand ist nur eitel.
Siehe du hast mir das Herz in meinem Busen empöret,
Weil du nicht billig sprachst! Ich bin kein Neuling im Wettkampf,
180
Wie du eben geschwatzt; ich rühmte mich einen der ersten,
Als ich der Jugend noch und meinen Armen vertraute.
Jetzt umringt mich Kummer und Not; denn vieles erduldet
Hab‘ ich in Schlachten des Kriegs, und den schrecklichen Wogen des Meeres.
Aber auch jetzt, so entkräftet ich bin, versuch‘ ich den Wettstreit!
185
Denn an der Seele nagt mir die Red‘, und du hast mich gefodert!
Sprach’s; und mitsamt dem Mantel erhub er sich, faßte die Scheibe,
Welche größer und dicker und noch viel schwerer an Wucht war,
Als womit die Phäaken sich untereinander ergötzten.
Diese schwung er im Wirbel, und warf mit der nervichten Rechte;
190
Und hinsauste der Stein. Da bückten sich eilig zur Erden
Alle Phäaken, die Führer der langberuderten Schiffe,
Unter dem stürmenden Stein. Weit über die Zeichen der andern
Flog er, geschnellt von der Faust. Und Athene setzte das Merkmal,
Eines Mannes Gestalt nachahmend, und sprach zu Odysseus:
195
Selbst ein blinder Mann mit tappenden Händen, o Fremdling,
Fände dein Zeichen heraus; denn nicht vermischt mit der Menge,
Weit vor den übrigen ist es! In diesem Kampfe sei sicher!
Kein Phäake wird dich erreichen, oder besiegen.
Also rief ihm die Göttin. Der herrliche Dulder Odysseus
200
Freute sich, einen gewogenen Mann im Volke zu sehen;
Und mit leichterem Herzen begann er zu den Phäaken:
Schleudert jetzo mir nach, ihr Jünglinge! Bald soll die andre,
Hoff‘ ich, eben so weit, vielleicht noch weiter, entfliegen!
Jeden anderen Kampf, wem Herz und Mut ihn gebietet,
205
Komm und versuch‘ ihn mit mir; denn ihr habt mich höchlich beleidigt!
Auf die Faust, im Ringen, im Lauf, ich weigre mich keines!
Jeder phäakische Mann, nur nicht Laodamas, komme!
Denn er ist mein Wirt! Wer kämpfte mit seinem Beschützer?
Wahrlich vernunftlos ist und keines Wertes der Fremdling,
210
Welcher in fernem Lande den Freund, der ihn speiset und herbergt,
Zum Wettkampfe beruft; er opfert sein eigenes Wohl hin.
Sonst werd‘ ich keinen von euch ausschlagen oder verachten,
Sondern jeden erkennen, und seine Stärke versuchen.
So gar schlecht bin ich, traun! in keinem Kampfe der Männer!
215
Wohl versteh‘ ich die Kunst, den geglätteten Bogen zu spannen;
Ja ich träfe zuerst im Haufen feindlicher Männer
Meinen Mann mit dein Pfeil, und stünden auch viele Genossen
Neben mir, und zielten mit straffem Geschoß auf die Feinde.
Philoktetes allein übertraf mich an Kunde des Bogens,
220
Als vor Ilions Stadt wir Achaier im Schnellen uns übten.
Doch vor den übrigen Schützen behaupt‘ ich selber den Vorrang,
So viel Sterbliche jetzo die Frucht des Halmes genießen.
Denn mit der Vorzeit Helden verlang‘ ich keine Vergleichung,
Weder mit Eurytos, dem Öchalier, noch mit Herakles,
225
Die den Unsterblichen sich an Bogenkunde verglichen.
Drum starb Eurytos auch so plötzlich, ehe das Alter
Ihn im Hause beschlich; denn zürnend erschoß ihn Apollon,
Weil er ihn selbst, der Vermeßne, zum Bogenstreite gefodert.
Und mit dem Wurfspieß treff‘ ich so weit, als kein andrer mit Pfeilen.
230
Bloß an Schnelle der Füße besorg‘ ich, daß der Phäaken
Einer vielleicht mich besiege. So über die Maßen entkräftet
Hat mich das stürmende Meer! Denn ich saß nicht eben mit Zehrung
Reichlich versorgt im Schiff; drum schwand die Stärke den Gliedern.
Also sprach er, und alle verstummten umher, und schwiegen.
235
Endlich hub Alkinoos an, und sprach zu Odysseus:
Fremdling, wir sagen dir Dank, daß du uns solches verkündest,
Und die glänzende Tugend uns aufhellst, die dich begleitet;
Zürnend, weil dieser Mann dich vor den Kämpfern geschmäht hat.
Künftig soll deine Tugend gewiß kein Sterblicher tadeln,
240
Welcher Verstand besitzt, anständige Worte zu reden!
Aber höre nun auch mein Wort, damit du es andern
Helden erzählen kannst, wann du in deinem Palaste
Sitzest bei deinem Weib und deinen Kindern am Mahle,
Und dich unserer Tugend und unserer Taten erinnerst,
245
Welche beständig Zeus von der Väter Zeiten uns anschuf.
Denn wir suchen kein Lob im Faustkampf oder im Ringen;
Aber die hurtigsten Läufer sind wir, und die trefflichsten Schiffer,
Lieben nur immer den Schmaus, den Reigentanz, und die Laute,
Oft veränderten Schmuck, und warme Bäder, und Ruhe.
250
Auf denn, und spielt vor uns, ihr besten phäakischen Tänzer:
Daß der Fremdling davon bei seinen Freunden erzähle,
Wann er zu Hause kommt, wie wir vor allen geübt sind,
In der Lenkung des Schiffes, im Lauf, im Tanz und Gesange.
Einer gehe geschwind, und hole die klingende Harfe
255
Für Demodokos her, die in unserem Hause wo lieget.
Also sagte der Held Alkinoos. Aber der Herold
Eilte zur Königsburg, die klingende Harfe zu holen.
Jetzo erhuben sich auch die neun Kampfrichter vom Sitze,
Welche das Volk bestellt die edlen Spiele zu ordnen,
260
Maßen und ebneten schnell die schöne Fläche des Reigens.
Aber der Herold kam und brachte die klingende Harfe
Für Demodokos her. Er trat in die Mitte, und um ihn
Standen die blühenden Jüngling‘, erfahren im bildenden Tanze;
Und mit gemessenen Tritten entschwebten sie. Aber Odysseus
265
Sah voll stiller Bewundrung die fliegende Eile der Füße.
Lieblich rauschte die Harfe; dann hub der schöne Gesang an.
Ares Liebe besang und Aphroditens der Meister,
Wie sich beide zuerst in Hephästos‘ prächtiger Wohnung
Heimlich vermischt. Viel schenkte der Gott, und entehrte des hohen
270
Feuerbeherrschers Lager. Doch plötzlich bracht‘ ihm die Botschaft
Helios, der sie gesehn in ihrer geheimen Umarmung.
Aber sobald Hephästos die kränkende Rede vernommen,
Eilet‘ er schnell in die Esse, mit rachevollen Entwürfen:
Stellt auf den Block den gewaltigen Amboß, und schmiedete starke
275
Unauflösliche Ketten, um fest und auf ewig zu binden.
Und nachdem er das trügliche Werk im Zorne vollendet,
Ging er in das Gemach, wo sein Hochzeitbette geschmückt war,
Und verbreitete rings um die Pfosten kreisende Bande;
Viele spannt er auch oben herab vom Gebälke der Kammer,
280
Zart wie Spinnengewebe, die keiner zu sehen vermöchte,
Selbst von den seligen Göttern: so wunderfein war die Arbeit!
Und nachdem er den ganzen Betrug um das Lager verbreitet,
Ging er gleichsam zur Stadt der schöngebaueten Lemnos,
Die er am meisten liebt von allen Ländern der Erde.
285
Ares schlummerte nicht, der Gott mit goldenen Zügeln,
Als er verreisen sahe den kunstberühmten Hephästos.
Eilend ging er zum Hause des klugen Feuerbeherrschers,
Hingerissen von Liebe zu seiner schönen Gemahlin.
Aphrodite war eben vom mächtigen Vater Kronion
290
Heimgekehrt und saß. Er aber ging in die Wohnung,
Faßte der Göttin Hand, und sprach mit freundlicher Stimme:
Komm, Geliebte, zu Bette, der süßen Ruhe zu pflegen!
Denn Hephästos ist nicht daheim; er wandert vermutlich
Zu den Sintiern jetzt, den rauhen Barbaren in Lemnos.
295
Also sprach er, und ihr war sehr willkommen die Ruhe.
Und sie bestiegen das Lager, und schlummerten. Plötzlich umschlangen
Sie die künstlichen Bande des klugen Erfinders Hephästos;
Und sie vermochten kein Glied zu bewegen oder zu heben.
Aber sie merkten es erst, da ihnen die Flucht schon gehemmt war.
300
Jetzo nahte sich ihnen der hinkende Feuerbeherrscher.
Dieser kehrte zurück, bevor er Lemnos erreichte,
Denn der lauschende Gott der Sonne sagt‘ ihm die Tat an.
Eilend ging er zu Hause, mit tiefbekümmerter Seele,
Stand in dem Vorsaal still; und der rasende Eifer ergriff ihn.
305
Fürchterlich ruft er aus, und alle Götter vernahmen’s:
Vater Zeus, und ihr andern, unsterbliche selige Götter!
Kommt und schaut den abscheulichen unausstehlichen Frevel:
Wie mich lahmen Mann die Tochter Zeus‘ Aphrodite
Jetzo auf immer beschimpft, und Ares den Bösewicht herzet;
310
Darum, weil jener schön ist und grade von Beinen, ich aber
Solche Krüppelgestalt! Doch keiner ist schuld an der Lähmung,
Als die Eltern allein! O hätten sie nimmer gezeuget!
Aber seht doch, wie beid‘ in meinem eigenen Bette
Ruhn, und der Wollust pflegen! Das Herz zerspringt mir beim Anblick!
315
Künftig möchten sie zwar, auch nicht ein Weilchen, so liegen!
Wie verbuhlt sie auch sind, sie werden nicht wieder verlangen,
So zu ruhn! Allein ich halte sie fest in der Schlinge,
Bis der Vater zuvor mir alle Geschenke zurückgibt,
Die ich als Bräutigam gab für sein schamloses Gezüchte!
320
Seine Tochter ist schön, allein unbändiges Herzens!
Also sprach er. Da eilten zum ehernen Hause die Götter:
Poseidaon kam, der Erdumgürter; und Hermes
Kam, der Bringer des Heils; es kam der Schütze Apollon.
Aber die Göttinnen blieben vor Scham in ihren Gemächern.
325
Jetzo standen die Götter, die Geber des Guten, im Vorsaal;
Und ein langes Gelächter erscholl bei den seligen Göttern,
Als sie die Künste sahn des klugen Erfinders Hephästos.
Und man wendete sich zu seinem Nachbar, und sagte:
Böses gedeihet doch nicht; der Langsame haschet den Schnellen!
330

Also ertappt Hephästos, der Langsame, jetzo den Ares,
Welcher am hurtigsten ist von den Göttern des hohen Olympos,
Er der Lahme, durch Kunst. Nun büßt ihm der Ehebrecher!
Also besprachen sich die Himmlischen untereinander.
Aber zu Hermes sprach Zeus‘ Sohn, der Herrscher Apollon:
335
Hermes, Zeus‘ Gesandter und Sohn, du Geber des Guten,
Hättest du auch wohl Lust, von so starken Banden gefesselt,
In dem Bette zu ruhn bei der goldenen Aphrodite?
Ihm erwiderte darauf der geschäftige Argosbesieger:
O geschähe doch das, ferntreffender Herrscher Apollon!
340
Fesselten mich auch dreimal so viel unendliche Bande,
Und ihr Götter sähet es an, und die Göttinnen alle:
Siehe so schlief‘ ich doch bei der goldenen Aphrodite!
Also sprach er; da lachten laut die unsterblichen Götter.
Nur Poseidon lachte nicht mit; er wandte sich bittend
345
Zum kunstreichen Hephästos, den Kriegsgott wieder zu lösen.
Und er redet‘ ihn an, und sprach die geflügelten Worte:
Lös‘ ihn! Ich stehe dafür: er soll, wie du es verlangest,
Vor den unsterblichen Göttern dir alles bezahlen, was recht ist.
Drauf antwortete jenem der hinkende Feuerbeherrscher:
350
Fodere solches nicht, du Erdumgürter Poseidon!
Elende Sicherheit gibt von Elenden selber die Bürgschaft.
Sage, wie könnt‘ ich dich vor den ewigen Göttern verbinden,
Flöhe nun Ares fort, der Schuld und den Banden entrinnend?
Ihm erwiderte drauf der Erderschüttrer Poseidon:
355
Nun Hephästos, wofern denn auch Ares fliehend hinwegeilt,
Um der Schuld zu entgehn; ich selbst will dir dieses bezahlen!
Drauf antwortete jenem der hinkende Feuerbeherrscher:
Unrecht wär‘ es und grob, dir deine Bitte zu weigern.
Also sprach er, und löste das Band, der starke Hephästos.
360
Und kaum fühlten sich beide der mächtigen Fessel entledigt,
Sprangen sie hurtig empor. Der Kriegsgott eilte gen Threke.
Aber nach Kypros ging Aphrodite, die Freundin des Lächelns,
In den paphischen Hain, zum weihrauchduftenden Altar.
Allda badeten sie die Charitinnen, und salbten
365
Sie mit ambrosischem Öle, das ewige Götter verherrlicht;
Schmückten sie dann mit schönen und wundervollen Gewanden.
Also sang der berühmte Demodokos. Aber Odysseus
Freute sich des Gesangs von Herzen; es freuten sich mit ihm
Alle Phäaken, die Führer der langberuderten Schiffe.
370
Und Alkinoos hieß den mutigen Halios einzeln
Mit Laodamas tanzen, weil keiner mit ihnen sich wagte.
Diese nahmen sogleich den schönen Ball in die Hände,
Welchen Polybos künstlich aus purpurner Wolle gewirket.
Einer schleuderte diesen empor zu den schattigen Wolken,
375
Rückwärts gebeugt; dann sprang der andere hoch von der Erde
Auf, und fing ihn behend‘, eh‘ sein Fuß den Boden berührte.
Und nachdem sie den Ball gradauf zu schleudern versuchet,
Tanzten sie schwebend dahin auf der allernährenden Erde,
Mit oft wechselnder Stellung; die andern Jünglinge klappten
380
Rings im Kreise dazu; es stieg ein lautes Getös‘ auf.
Und zu Alkinoos sprach der göttergleiche Odysseus:
Weitgepriesener Held, Alkinoos, mächtigster König!
Siehe du rühmtest dich der trefflichsten Tänzer auf Erden,
Und du behauptest den Ruhm! Mit Staunen erfüllt mich der Anblick.
385
Aber die heilige Macht Alkinoos‘ erfreute sich innig.
Und er redete schnell zu den ruderliebenden Männern:
Merket auf, der Phäaken erhabene Fürsten und Pfleger!
Dieser Fremdling scheint mir ein Mann von großem Verstande.
Laßt uns ihm ein Geschenk, wie das Gastrecht fodert, verehren.
390
Denn in unserm Volke sind zwölf ehrwürdige Fürsten,
Welche Gerechtigkeit üben; und mir gehorchen die zwölfe.
Jeder von diesen hole nun einen Mantel und Leibrock,
Sauber und fein, samt einem Talente des köstlichen Goldes.
Dieses wollen wir alle zugleich dem Fremdlinge bringen,
395
Daß er fröhlichen Mutes zum Abendschmause sich setze.
Aber Euryalos soll mit Worten und mit Geschenken
Ihn versöhnen; denn nicht anständig hat er geredet.
Also sprach der König, und alle riefen ihm Beifall.
Schnell, die Geschenke zu holen, entsandte jeder den Herold.
400
Aber Euryalos gab dem Könige dieses zur Antwort:
Weitgepriesener Held, Alkinoos, mächtigster König!
Gerne will ich den Gast versöhnen, wie du befiehlest,
Und dies Schwert ihm verehren. Die Kling‘ ist von Erze geschmiedet,
Und von Silber das Heft, die elfenbeinerne Scheide
405
Neu vom Künstler geglättet. Es wird nicht wenig ihm wert sein.
Also sprach er, und reicht‘ ihm das Schwert mit silbernen Buckeln;
Und er redet‘ ihn an, und sprach die geflügelten Worte:
Freue dich, Vater und Gast! Und fiel ein kränkendes Wort hier
Unter uns vor, so mögen es schnell die Stürme verwehen!
410
Dir verleihn die Götter, die Heimat und deine Gemahlin
Wieder zu sehn, nachdem du so lang‘ in Trübsal umherirrst!
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Auch du freue dich, Lieber; dich segnen die Götter mit Heile!
Und du müssest hinfort des Schwertes nimmer bedürfen,
415
Welches du mir anjetzt mit versöhnenden Worten gereicht hast!
Sprach’s, und hängt‘ um die Schulter das Schwert mit silbernen Buckeln.
Und die Sonne sank; da kamen die schönen Geschenke.
Edle Herolde trugen sie schnell zu Alkinoos‘ Wohnung.
Hier empfingen und legten Alkinoos‘ treffliche Söhne
420
Bei der Mutter sie hin, die köstlichen Ehrengeschenke.
Aber die heilige Macht Alkinoos‘ führte die andern;
Und sie kamen und setzten auf hohen Thronen sich nieder.
Und die heilige Macht Alkinoos‘ sprach zu Arete:
Komm, Geliebte, und bring die beste der zierlichen Laden;
425
Lege darein den schöngewaschenen Mantel und Leibrock.
Dann setzt Wasser zum Sieden im ehernen Kessel aufs Feuer,
Daß er, wenn er zuvor sich gebadet, und nebeneinander
Alle Geschenke gesehn der tadellosen Phäaken,
Froher genieße des Mahls, und froher horche dem Liede.
430
Dieses schöne Gefäß von Golde will ich ihm schenken.
Daß er in seinem Palaste für Zeus und die übrigen Götter
Opfer gieße, und sich beständig meiner erinnre.
Also sprach er; und schnell gebot Arete den Mägden,
Eilend ein groß dreifüßig Geschirr aufs Feuer zu setzen.
435
Und sie setzten das Badegeschirr auf das lodernde Feuer,
Gossen Wasser hinein, und legten Holz an die Flamme;
Rings umschlug sie den Bauch des Geschirrs, und es kochte das Wasser.
Aber die Königin brachte dem Fremdling die zierliche Lade
Aus der Kammer hervor, und legte die schönen Geschenke,
440
Gold und Kleider, hinein, was ihm die Phäaken gegeben,
Legte darauf den Mantel hinein, und den prächtigen Leibrock.
Und sie redet‘ ihn an, und sprach die geflügelten Worte:
Siehe nun selbst den Deckel, und schürze behende die Knoten;
Daß dich keiner beraub‘ auf der Heimfahrt, während du etwa
445
In dem schwärzlichen Schiffe des süßen Schlummers genießest.
Als er dieses vernommen, der herrliche Dulder Odysseus,
Fügt‘ er den Deckel auf, und schürzte behende den Knoten,
Dessen geheime Kunst ihn die mächtige Kirke gelehret.
Und die Schaffnerin kam, und bat ihn, eilig zum Baden
450
In die Wanne zu steigen. Ein herzerfreuender Anblick
War ihm das warme Bad; denn keiner Pflege genoß er,
Seit er die Wohnung verließ der schöngelockten Kalypso;
Dort ward seiner beständig wie eines Gottes gepfleget.
Als ihn die Mägde jetzo gebadet, mit Öle gesalbet,
455
Und ihm die Kleider umhüllt, den Mantel und prächtigen Leibrock,
Stieg er hervor aus dem Bad‘, und ging zu den trinkenden Männern.
Aber Nausikaa stand, geschmückt mit göttlicher Schönheit,
An der hohen Pforte des schöngewölbeten Saales,
Und betrachtete wundernd den göttergleichen Odysseus;
460
Und sie redet‘ ihn an, und sprach die geflügelten Worte:
Lebe wohl, o Fremdling, und bleib‘ in der Heimat auch meiner
Eingedenk, da du mir zuerst dein Leben verdanktest.
Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
O Nausikaa, Tochter des edlen Phäakenbeherrschers,
465
Lasse mich jetzo nur Zeus, der donnernde Gatte der Here,
Glücklich zur Heimat kehren, und schaun den Tag der Zurückkunft!
Täglich werd‘ ich auch dort, wie einer Göttin, voll Ehrfurcht
Dir danksagen; du hast mein Leben gerettet, o Jungfrau!
Also sprach er, und setzte sich hin zur Seite des Königs.
470
Jene teileten schon das Fleisch, und mischten des Weines.
Aber der Herold kam, und führte den lieblichen Sänger,
Welchen die Völker verehrten, Demodokos, näher, und setzte
Ihn in die Mitte des Saals, an die hohe Säule gelehnet.
Und dem Herolde rief der erfindungsreiche Odysseus,
475
Und zerteilte den Rücken, sein großes ehrendes Anteil
Vom weißzahnichten Schweine, mit frischem Fette bewachsen:
Herold, reiche dies Fleisch Demodokos hin, daß er esse.
Gerne möcht‘ ich ihm Liebes erweisen, wie sehr ich auch traure.
Alle sterblichen Menschen der Erde nehmen die Sänger
480
Billig mit Achtung auf und Ehrfurcht; selber die Muse
Lehrt sie den hohen Gesang, und waltet über die Sänger.
Also sprach Odysseus. Der Herold reicht‘ es dem edlen
Helden Demodokos hin; er nahm’s, und freute sich herzlich.
Und sie erhoben die Hände zum leckerbereiteten Mahle.
485
Jetzo war die Begierde des Tranks und der Speise gestillet,
Und zu Demodokos sprach der erfindungsreiche Odysseus:
Wahrlich vor allen Menschen, Demodokos, achtet mein Herz dich!
Dich hat die Muse gelehrt, Zeus‘ Tochter, oder Apollon!
So zum Erstaunen genau besingst du das Schicksal der Griechen,
490
Alles was sie getan und erduldet im mühsamen Kriegszug,
Gleich als hättest du selbst es gesehen oder gehöret.
Fahre nun fort, und singe des hölzernen Rosses Erfindung,
Welches Epeios baute mit Hilfe der Pallas Athene,
Und zum Betrug in die Burg einführte der edle Odysseus,
495
Mit bewaffneten Männern gefüllt, die Troja bezwangen.
Wenn du mir dieses auch mit solcher Ordnung erzählest;
Siehe dann will ich sofort es allen Menschen verkünden,
Daß ein waltender Gott den hohen Gesang dir verliehn hat.
Sprach’s; und eilend begann der gottbegeisterte Sänger,
500
Wie das Heer der Achaier in schöngebordeten Schiffen
Von dem Gestade fuhr, nach angezündetem Lager.
Aber die andern, geführt vom hochberühmten Odysseus,
Saßen, von Troern umringt, im Bauche des hölzernen Rosses,
Welches die Troer selbst in die Burg von Ilion zogen.
505
Allda stand nun das Roß, und ringsum saßen die Feinde,
Hin und her ratschlagend. Sie waren dreifacher Meinung:
Diese, das hohle Gebäude mit grausamem Erze zu spalten;
Jene, es hoch auf den Felsen zu ziehn, und herunter zu schmettern;
Andre, es einzuweihen zum Sühnungsopfer der Götter.
510
Und der letzteren Rat war bestimmt erfüllet zu werden.
Denn das Schicksal beschloß Verderben, wann Troja das große
Hölzerne Roß aufnähme, worin die tapfersten Griechen
Alle saßen, und Tod und Verderben gen Ilion brachten.
Und er sang, wie die Stadt von Achaias Söhnen verheert ward,
515
Welche dem hohlen Bauche des trüglichen Rosses entstürzten;
Sang, wie sie hier und dort die stolze Feste bestürmten;
Und wie Odysseus schnell zu des edlen Deiphobos‘ Wohnung
Eilte, dem Kriegsgott gleich, samt Atreus‘ Sohn Menelaos,
Und wie er dort voll Mutes dem schrecklichsten Kampfe sich darbot,
520
Aber zuletzt obsiegte, durch Hilfe der hohen Athene.
Dieses sang der berühmte Demodokos. Aber Odysseus
Schmolz in Wehmut, Tränen benetzten ihm Wimper und Wangen.
Also weinet ein Weib, und stürzt auf den lieben Gemahl hin,
Der vor seiner Stadt und vor seinem Volke dahinsank,
525
Streitend, den grausamen Tag von der Stadt und den Kindern zu fernen;
Jene sieht ihn jetzt mit dem Tode ringend und zuckend,
Schlingt sich um ihn, und heult laut auf, die Feinde von hinten
Schlagen wild mit der Lanze den Rücken ihr und die Schultern,
Binden und schleppen als Sklavin sie fort zu Jammer und Arbeit;
530
Und im erbärmlichsten Elend verblühn ihr die reizenden Wangen:
So zum Erbarmen entstürzt‘ Odysseus‘ Augen die Träne.
Allen übrigen Gästen verbarg er die stürzende Träne;
Nur Alkinoos sah aufmerksam die Trauer des Fremdlings,
Welcher neben ihm saß, und hörte die tiefen Seufzer.
535
Und der König begann zu den ruderliebenden Männern:
Merket auf, der Phäaken erhabene Fürsten und Pfleger,
Und Demodokos halte nun ein mit der klingenden Harfe;
Denn nicht alle horchen mit Wohlgefallen dem Liede.
Seit wir sitzen am Mahl, und der göttliche Sänger uns vorsingt,
540
Hat er nimmer geruht von seinem traurenden Grame,
Unser Gast; ihm drückt wohl ein schwerer Kummer die Seele.
Jener halte denn ein! Wir wollen alle vergnügt sein,
Gast und Wirte zugleich; denn solches fodert der Wohlstand.
Für den edlen Fremdling ist diese Feier, des Schiffes
545
Rüstung, und die Geschenke, die wir aus Freundschaft ihm geben.
Lieb wie ein Bruder ist ein hilfeflehender Fremdling
Jedem Manne, des Herz auch nur ein wenig empfindet!
Drum verhehle mir nicht durch schlauersonnene Worte,
Was ich jetzo dich frage. Auch dieses fodert der Wohlstand.
550
Sage, mit welchem Namen benennen dich Vater und Mutter,
Und die Bürger der Stadt, und welche rings dich umwohnen?
Denn ganz namenlos bleibt doch unter den Sterblichen niemand,
Vornehm oder gering, wer einmal von Menschen gezeugt ward;
Sondern man nennet jeden, sobald ihn die Mutter geboren.
555
Sage mir auch dein Land, dein Volk und deine Geburtstadt;
Daß, dorthin die Gedanken gelenkt, die Schiffe dich bringen.
Denn der Phäaken Schiffe bedürfen keiner Piloten,
Nicht des Steuers einmal, wie die Schiffe der übrigen Völker;
Sondern sie wissen von selbst der Männer Gedanken und Willen,
560
Wissen nah und ferne die Städt‘ und fruchtbaren Länder
Jegliches Volks, und durchlaufen geschwinde die Fluten des Meeres,
Eingehüllt in Nebel und Nacht. Auch darf man nicht fürchten,
Daß das stürmende Meer sie beschädige oder verschlinge.
Nur erzählete mir mein Vater Nausithoos ehmals,
565
Daß uns Poseidon der Erderschütterer zürne,
Weil wir ohne Gefahr jedweden zu Schiffe geleiten;
Dieser würde dereinst ein rüstiges Schiff der Phäaken,
Das vom Geleiten kehrte, im dunkelwogenden Meere
Plötzlich verderben, und rings um die Stadt ein hohes Gebirg ziehn.
570
So weissagte der Greis; der Gott vollende nun solches,
Oder vollend‘ es nicht; wie es seinem Herzen gelüstet;
Aber verkündige mir, und sage die lautere Wahrheit:
Welche Länder bist du auf deinen Irren durchwandert,
Und wie fandest du dort die Völker und prächtigen Städte?
575
Welche schwärmten noch wild als sittenlose Barbaren?
Welche dienten den Göttern, und liebten das heilige Gastrecht?
Sage mir auch, was weinst du, und warum traurst du so herzlich,
Wenn du von der Achaier und Ilions Schicksale hörest?
Dieses beschloß der Unsterblichen Rat, und bestimmte der Menschen
580
Untergang; daß er würd‘ ein Gesang der Enkelgeschlechter.
Sank vielleicht auch dir in Ilions blutigen Schlachten
Irgend ein edler Verwandter, ein Eidam oder ein Schwäher,
Welche die Nächsten uns sind, nach unserem Blut und Geschlechte?
Oder etwa ein tapferer Freund von gefälligem Herzen?
585
Denn fürwahr nicht geringer, als selbst ein leiblicher Bruder,
Ist ein treuer Freund, verständig und edler Gesinnung.

Siebenter Gesang

Siebenter Gesang

Nach Nausikaa geht Odysseus in die Stadt, von Athene in Nebel gehüllt, und zum Palaste des Königs geführt, wo die Fürsten versammelt sind. Er fleht der Königin Arete um Heimsendung, und wird von Alkinoos als Gast aufgenommen. Nach dem Mahle, da Arete um die Kleider ihn fragt, erzählt er seine Geschichte seit der Abfahrt von Kalypso.

Also betete dort der herrliche Dulder Odysseus.
Aber Nausikaa flog in die Stadt mit der Stärke der Mäuler.
Als sie die prächtige Burg des Vaters jetzo erreichte,
Hielt sie still an der Pforte des Hofs. Da kamen die Brüder
5
Ringsumher, an Gestalt den Unsterblichen ähnlich; sie spannten
Von dem Wagen die Mäuler, und trugen die Wäsch‘ in die Kammer.
Jetzo ging sie hinein, und ihre Kammerbediente
Zündete Feuer an, die alte Eurymedusa.
Einst entführten die Schiffer sie aus Epeiros, und wählten
10
Für Alkinoos sie zum Ehrengeschenke, den König,
Welcher hoch, wie ein Gott, im phäakischen Volke geehrt ward;
Und sie erzog ihm die schöne Nausikaa in dem Palaste.
Als das Feuer nun brannte, besorgte sie hurtig die Mahlzeit.
Aber Odysseus ging in die Stadt; und Pallas Athene
15
Hüllt‘ ihn in finstere Nacht, aus Sorge für ihren Geliebten:
Daß ihn nicht auf dem Wege der hochgesinnten Phäaken
Einer mit Schmähungen kränkte, noch fragte, von wannen er käme.
Als er die schöne Stadt der Phäaken jetzo erreichte,
Da begegnet‘ ihm Zeus‘ blauäugichte Tochter Athene.
20
Wie ein blühendes Mädchen mit einem Wassergefäße,
Stand sie nahe vor ihm. Da sprach der edle Odysseus:
Liebe Tochter, willst du mir nicht Alkinoos Wohnung
Zeigen, welchem dies Volk als seinem König gehorchet?
Denn ich komme zu euch, ein armer irrender Fremdling,
25
Ferne von hier aus dem apischen Land; und kenne der Menschen
Keinen, welche die Stadt und diese Gefilde bewohnen.
Ihm antwortete Zeus‘ blauäugichte Tochter Athene:
Gerne will ich dir, Vater, das Haus, wohin du verlangest,
Zeigen; denn nahe dabei wohnt mein rechtschaffener Vater.
30
Gehe so ruhig fort, und folge mir, wie ich dich führe;
Schaue nach keinem Menschen dich um, und rede mit niemand.
Denn die Leute sind hier den Fremden nicht allzu gewogen,
Und bewirten sie nicht sehr freundlich, woher sie auch kommen.
Sie bekümmern sich nur um schnelle hurtige Schiffe,
35
Über die Meere zu fliegen: denn dies gab ihnen Poseidon.
Ihre Schiffe sind hurtig wie Flügel, und schnell wie Gedanken.
Als sie die Worte geredet, da wandelte Pallas Athene
Eilend voran, und er folgte den Schritten der wandelnden Göttin.
Ihn bemerkte keiner der segelberühmten Phäaken,
40
Als er die Stadt durchging: die schöngelockte Athene
Ließ es nicht zu, die furchtbare Göttin, die heiliges Dunkel
Über sein Haupt hingoß, aus Sorge für ihren Geliebten.
Wundernd sah er die Häfen und gleichgezimmerten Schiffe,
Und die Versammlungsplätze des Volks, und die türmenden Mauern,
45
Lang und hoch, mit Pfählen umringt, ein Wunder zu schauen!
Als sie die prächtige Burg des Königes jetzo erreichten,
Siehe da redete Zeus‘ blauäugichte Tochter Athene:
Fremder Vater, hier ist das Haus, wohin du verlangtest,
Daß ich dich führte. Du wirst die göttergesegneten Fürsten
50
Hier am festlichen Schmause versammelt finden; doch gehe
Dreist hinein, und fürchte dich nicht! Dem Kühnen gelinget
Jedes Beginnen am besten, und käm‘ er auch aus der Fremde.

Aber suche zuerst die Königin drinnen im Saale.
Diese heißt Arete mit Namen, und ward von denselben
55
Eltern gezeugt, von welchen der König Alkinoos herstammt.
Denn Nausithoos war des Erdumstürmers Poseidon
Und Periböens Sohn, der schönsten unter den Weibern,
Und des hochgesinnten Eurymedons jüngsten Tochter.
Dieser beherrschte vordem die ungeheuren Giganten;
60
Aber er stürzte sich selbst und sein frevelndes Volk ins Verderben.
Seine Tochter bezwang der Gott, und aus ihrer Gemeinschaft
Wuchs Nausithoos auf, der edle Phäakenbeherrscher.
Und Nausithoos zeugte Alkinoos und Rexenor,
Dieser starb ohne Söhne vom silbernen Bogen Apollons,
65
Neuvermählt im Palast; die einzige Tochter Arete
Seines Bruders nahm Alkinoos drauf zur Gemahlin:
Welcher sie ehrt, wie nirgends ein Weib auf Erden geehrt wird,
Keines von allen, die jetzo das Haus der Männer verwalten.
Also wird Arete mit herzlicher Liebe geehret
70
Von Alkinoos selbst, und ihren blühenden Kindern,
Und dem Volke, das sie wie eine Göttin betrachtet,
Und mit Segen begrüßt, so oft sie die Gassen durchwandelt.
Denn es fehlet ihr nicht an königlichem Verstande,
Und sie entscheidet selbst der Männer Zwiste mit Weisheit.
75
Fremdling, ist diese dir nur in ihrem Herzen gewogen;
O dann hoffe getrost, die Freunde wiederzusehen,
Und dein prächtiges Haus und deiner Väter Gefilde!
Also redete Zeus‘ blauäugichte Tochter, und eilte
Über das wüste Meer aus Scherias lieblichen Auen,
80
Bis sie gen Marathon kam, und den weiten Gassen Athenäs,
In die prächtige Wohnung Erechtheus. Aber Odysseus
Ging zu Alkinoos‘ hohem Palast. Nun stand er, und dachte
Vieles im Herzen, bevor er der ehernen Schwelle sich nahte.
Gleich dem Strahle der Sonn‘, und gleich dem Schimmer des Mondes
85
Blinkte des edelgesinnten Alkinoos‘ prächtige Wohnung.
Eherne Wände liefen an jeglicher Seite des Hauses
Tief hinein von der Schwelle, gekrönt mit blauem Gesimse.
Eine goldene Pforte verschloß die innere Wohnung;
Silberne Pfosten, gepflanzt auf ihrer ehernen Schwelle,
90
Trugen den silbernen Kranz; der Ring der Pforte war golden.
Jegliche Seit‘ umstanden die goldnen und silbernen Hunde,
Welche Hephästos selbst mit hohem Verstande gebildet,
Um des edelgesinnten Alkinoos‘ Wohnung zu hüten:
Drohend standen sie dort, unsterblich und nimmer veraltend.
95
Innerhalb reihten sich Sessel um alle Wände des Saales
Tief hinein von der Schwell‘; und Teppiche deckten die Sessel,
Fein und zierlich gestickt, der Weiber künstliche Arbeit.
Allda saßen stets der Phäaken hohe Beherrscher
Festlich bei Speis‘ und Trank, und schmausten von Tage zu Tage.
100
Goldene Jünglinge standen auf schöngebauten Altären
Ringsumher, und hielten in Händen brennende Fackeln,
Um den Gästen im Saale beim nächtlichen Schmause zu leuchten.
Fünfzig Weiber dienten im weiten Palaste des Königs.
Diese bei rasselnden Mühlen zermalmeten gelbes Getreide;
105
Jene saßen und webten, und dreheten emsig die Spindel,
Anzuschaun, wie die Blätter der hohen wehenden Pappel:
Und es glänzte wie Öl die schöngewebete Leinwand.
Denn gleichwie die Phäaken vor allen übrigen Männern
Hurtige Schiffe zu lenken verstehn; so siegen die Weiber
110
In der Kunst des Gewebes: sie lehrete selber Athene,
Wundervolle Gewande mit klugem Geiste zu wirken.
Außer dem Hofe liegt ein Garten, nahe der Pforte,
Eine Huf‘ ins Gevierte, mit ringsumzogener Mauer.
Allda streben die Bäume mit laubichtem Wipfel gen Himmel,
115
Voll balsamischer Birnen, Granaten und grüner Oliven,
Oder voll süßer Feigen, und rötlichgesprenkelter Äpfel.
Diese tragen beständig, und mangeln des lieblichen Obstes
Weder im Sommer noch Winter; vom linden Weste gefächelt,
Blühen die Knospen dort, hier zeitigten schwellende Früchte:
120
Birnen reifen auf Birnen, auf Äpfel röten sich Äpfel,
Trauben auf Trauben erdunkeln, und Feigen schrumpfen auf Feigen.
Allda prangt auch ein Feld, von edlen Reben beschattet.
Einige Trauben dorren auf weiter Ebne des Gartens,
An der Sonne verbreitet, und andere schneidet der Winzer,
125
Andere keltert man schon. Hier stehen die Herling‘ in Reihen,
Dort entblühen sie erst, dort bräunen sich leise die Beeren,
An dem Ende des Gartens sind immerduftende Beete,
Voll balsamischer Kräuter und tausendfarbiger Blumen.
Auch zwo Quellen sind dort: die eine durchschlängelt den Garten;
130
Und die andere gießt sich unter die Schwelle des Hofes
An den hohen Palast, allwo die Bürger sie schöpfen.
Siehe so reichlich schmückten Alkinoos‘ Wohnung die Götter.
Lange stand bewundernd der herrliche Dulder Odysseus.
Und nachdem er alles in seinem Herzen bewundert,
135
Eilet‘ er über die Schwell‘, und ging in die strahlende Wohnung.
Und er fand der Phäaken erhabene Fürsten und Pfleger.
Diese gossen des Weines dem rüstigen Argosbesieger;
Denn ihm opferte man zuletzt, der Ruhe gedenkend.
Schnell durchging er den Saal, der herrliche Dulder Odysseus,
140
Rings in Nebel gehüllt, den ihm Athene umgossen,
Bis er Alkinoos fand und seine Gemahlin Arete.
Und Odysseus umschlang mit den Händen der Königin Kniee;
Und mit einmal zerfloß um ihn das heilige Dunkel.
Alle verstummten im Saale, da sie den Fremdling erblickten,
145
Und sahn staunend ihn an. Jetzt flehte der edle Odysseus:
O Arete, du Tochter des göttergleichen Rexenors,
Deinem Gemahle fleh ich und dir, ein bekümmerter Fremdling,
Und den Gästen umher! Euch allen schenken die Götter
Langes Leben und Heil, und jeder lasse den Kindern
150
Reichtum im Hause nach, und die Würde, die ihm das Volk gab!
Aber erbarmet euch mein, und sendet mich eilig zur Heimat;
Denn ich irre schon lang‘, entfernt von den Freunden, in Trübsal!
Also sprach er, und setzt‘ am Herd in die Asche sich nieder
Neben dein Feu’r; und alle verstummten umher, und schwiegen.
155
Endlich brach die Stille der graue Held Echeneos,
Welcher der älteste war der hohen phäakischen Fürsten,
An Beredsamkeit reich, und geübt in der Kunde der Vorzeit.
Dieser erhub anitzo die Stimme der Weisheit, und sagte:
König, es ziemet sich nicht, und ist den Gebräuchen entgegen,
160
Einen Fremdling am Herd‘ in der Asche sitzen zu lassen.
Diese Männer schweigen, und harren deiner Befehle.
Auf, und führe den Fremdling zum silberbeschlagenen Sessel,
Daß er bei uns sich setze; und laß die Herolde wieder
Füllen mit Weine den Kelch; damit wir dem Gotte des Donners
165
Opfer bringen, der über die Hilfeflehenden waltet.
Und die Schaffnerin speise von ihrem Vorrat den Fremdling.
Als die heilige Macht Alkinoos‘ solches vernommen;
Faßt‘ er die Hand des tapfern erfindungsreichen Odysseus,
Richtet‘ ihn auf aus der Asch‘, und führt‘ ihn zum schimmernden Sessel
170
Nahe bei sich, und hieß den edlen Laodamas aufstehn,
Seinen mutigen Sohn, den er am zärtlichsten liebte.
Eine Dienerin trug in der schönen goldenen Kanne
Über dem silbernen Becken das Wasser, beströmte zum Waschen
Ihm die Händ‘, und stellte vor ihn die geglättete Tafel.
175
Auch die ehrbare Schaffnerin kam, und tischte das Brot auf,
Und der Gerichte viel aus ihrem gesammelten Vorrat.
Und nun aß er und trank, der herrliche Dulder Odysseus.
Aber die heilige Macht Alkinoos‘ sprach zu dem Herold:
Mische Wein in dem Kelche, Pontonoos; reiche dann allen
180
Männern im Saal‘ umher: damit wir dem Gotte des Donners
Opfer bringen, der über die Hilfeflehenden waltet.
Sprach’s; und Pontonoos mischte des süßen Weines im Kelche.
Und verteilte von neuem, sich rechtshin wendend, die Becher.
Als sie des Trankes geopfert, und nach Verlangen getrunken,
185
Hub Alkinoos an, und sprach zur edlen Versammlung:
Merket auf, der Phäaken erhabene Fürsten und Pfleger,
Daß ich rede, wie mir das Herz im Busen gebietet.
Jetzo, nachdem ihr gespeist, geht heim, und legt euch zur Ruhe.
Morgen wollen wir hier noch mehr der Ältesten laden,
190
Und den Fremdling im Hause bewirten, mit heiligen Opfern
Uns die Götter versöhnen, und dann die gefoderte Heimfahrt
Überdenken: damit er, vor Not und Kummer gesichert,
Unter unserm Geleit, in seiner Väter Gefilde
Freudig komme, und bald, er wohn‘ auch ferne von hinnen;
195
Und ihm nicht auf dem Weg‘ ein neues Übel begegne,
Eh‘ er sein Vaterland erreicht hat. Dort begegn‘ ihm,
Was ihm das Schicksal bestimmt, und die unerbittlichen Schwestern
Ihm bei seiner Geburt in den werdenden Faden gesponnen.
Aber kam vielleicht der Unsterblichen einer vom Himmel,
200
Wahrlich dann haben mit uns die Götter ein andres im Sinne!
Sonst erscheinen uns stets die Götter in sichtbarer Bildung,
Wann wir mit festlicher Pracht der Hekatomben sie grüßen;
Sitzen mit uns in Reihen, und essen von unserem Mahle.
Oft auch, wann ihnen irgend ein einsamer Wandrer begegnet,
205
Hüllen sie sich in Gestalt: denn wir sind ihnen so nahe,
Wie die wilden Kyklopen und ungezähmten Giganten.
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
O Alkinoos, hege nicht solche Gedanken! Ich sehe
Keinem Unsterblichen gleich, die den weiten Himmel bewohnen,
210
Weder an Kleidung noch Wuchs; ich gleiche sterblichen Menschen.
Kennt ihr einen, der euch der unglückseligste aller
Sterblichen scheint; ich bin ihm gleich zu achten an Elend!
Ja ich wüßte vielleicht noch größere Leiden zu nennen,
Welche der Götter Rat auf meine Seele gehäuft hat!
215
Aber erlaubt mir nun zu essen, wie sehr ich auch traure.
Denn nichts ist unbändiger, als der zürnende Hunger,
Der mit tyrannischer Wut an sich die Menschen erinnert,
Selbst den leidenden Mann mit tiefbekümmerter Seele.
Also bin ich von Herzen bekümmert; aber beständig
220
Fodert er Speis‘ und Trank, der Wüterich! und ich vergesse
Alles, was ich gelitten, bis ich den Hunger gesättigt.
Aber eilet, ihr Fürsten, sobald der Morgen sich rötet,
Mich unglücklichen Mann in meine Heimat zu senden!
Denn soviel ich erlitten, ich stürbe sogar um den Anblick
225
Meiner Güter und Knechte und meines hohen Palastes!
Also sprach er; da lobten ihn alle Fürsten, und rieten,
Heimzusenden den Gast, weil seine Bitte gerecht war.
Als sie des Trankes geopfert, und nach Verlangen getrunken;
Gingen sie alle heim, der süßen Ruhe zu pflegen.
230
Aber im Saale blieb der göttergleiche Odysseus;
Neben ihm saß der König und seine Gemahlin Arete;
Und die Mägde räumten des Mahls Geräte von hinnen.
Jetzo begann Arete, die lilienarmige Fürstin;
Denn sie erkannte den Mantel und Rock, die schönen Gewande,
235
Welche sie selber gewirkt mit ihren dienenden Jungfraun;
Und sie redet‘ ihn an, und sprach die geflügelten Worte:
Hierum muß ich dich, Fremdling, vor allen Dingen befragen:
Wer, und von wannen bist du? Wer gab dir diese Gewande?
Sagtest du nicht, du kämest hieher vom Sturme verschlagen?
240
Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Schwer, o Königin, ist es, dir alle Leiden von Anfang
Herzunennen, die mir die himmlischen Götter gesendet.
Dennoch will ich dir dieses, warum du mich fragest, erzählen.
Fern auf dem Meere liegt Ogygia, eine der Inseln,
245
Wo des Atlas‘ Tochter, die listenreiche Kalypso
Wohnet, die Schöngelockte, die furchtbare Göttin. Es pfleget
Keiner der Götter mit ihr, und keiner der Menschen, Gemeinschaft.
Mich Unglücklichen nur, mich führte zu ihrer Behausung
Irgend ein Dämon, nachdem mir der Gott hochrollender Donner
250
Mitten im Meere mein Schiff mit dem dampfenden Strahle zerschmettert!
Alle tapfern Gefährten versanken mir dort in den Abgrund.
Aber ich, der den Kiel des zertrümmerten Schiffes umschlungen,
Trieb neun Tage herum. In der zehnten der schrecklichen Nächte
Führten die Himmlischen mich gen Ogygia, wo Kalypso
255
Wohnet, die Schöngelockte, die furchtbare Göttin. Sie nahm mich
Freundlich und gastfrei auf, und reichte mir Nahrung, und sagte
Mir Unsterblichkeit zu und nimmerverblühende Jugend.
Dennoch vermochte sie nimmer mein standhaftes Herz zu bewegen.
Sieben Jahre blieb ich bei ihr, und netzte mit Tränen
260
Stets die ambrosischen Kleider, die mir Kalypso geschenket.
Als nun endlich das achte der rollenden Jahre gekommen,
Da gebot sie mir selber die Heimfahrt; weil es Kronion
Ordnete, oder ihr Herz sich geändert hatte. Sie sandte
Mich auf vielgebundenem Floß, und schenkte mir reichlich
265
Speise und süßen Wein, und gab mir ambrosische Kleider;
Ließ dann leise vor mir ein laues Lüftchen einherwehn.
Siebzehn Tage befuhr ich die ungeheuren Gewässer.
Am achtzehnten erblickt‘ ich die hohen schattigen Berge
Eures Landes von fern, und freute mich herzlich des Anblicks.
270
Ich Unglücklicher! Ach noch viele schreckliche Trübsal
Stand mir bevor, vom Zorne des Erderschüttrers Poseidon!
Plötzlich hemmt‘ er die Fahrt mit reißenden Stürmen, und hochauf
Schwoll das unendliche Meer; und die rollende Woge verbot mir,
Daß ich länger im Floße mit bangem Seufzen dahinfuhr:
275
Ihn zerschmetterte schnell die Gewalt der kommenden Windsbraut.
Aber schwimmend durchkämpft‘ ich die ungeheuren Gewässer,
Bis mich der Sturm und die Wog‘ an Euer Gestade hinanwarf.
Allda hätte mich fast ergriffen die strudelnde Brandung,
Und an die drohenden Klippen, den Ort des Entsetzens, geschmettert.
280
Aber ich eilte zurück, und schwamm herum, bis ich endlich
Kam an den Strom. Hier fand ich bequem zum Landen das Ufer,
Niedrig und felsenleer, und vor dem Winde gesichert.
Und ich sank ohnmächtig ans Land. Die ambrosische Nacht kam.
Und ich ging vom Gestade des göttlichen Stromes, und legte
285
Mich in ein dichtes Gebüsch, und häufte verdorrete Blätter
Um mich her; da sandte mir Gott unendlichen Schlummer.
Unter den Blättern dort, mit tiefbekümmerter Seele,
Schlief ich die ganze Nacht, bis zum andern Morgen und Mittag.
Als die Sonne sich neigte, verließ mich der liebliche Schlummer.
290
Und am Ufer des Meers erblickt‘ ich die spielenden Jungfraun
Deiner Tochter, mit ihnen sie selbst, den Unsterblichen ähnlich.
Dieser fleht‘ ich, und fand ein Mädchen voll edler Gesinnung.
Wahrlich sie handelte so, wie kaum ihr jugendlich Alter
Hoffen ließ; denn selten sind jüngere Leute verständig.
295
Speise reichte sie mir und funkelnden Wein zur Erquickung,
Badete mich im Strom, und schenkte mir diese Gewande.
Dieses hab‘ ich Betrübter dir jetzt aufrichtig erzählet.
Ihm antwortete drauf Alkinoos wieder, und sagte:
Fremdling, doch eine Pflicht hat meine Tochter verabsäumt!
300
Daß sie dich nicht zu uns mit ihren dienenden Jungfraun
Führte. Du hattest ja ihr zuerst um Hilfe geflehet.
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Edler, enthalte dich, die treffliche Tochter zu tadeln!
Denn sie gebot mir zu folgen mit ihren dienenden Jungfraun;
305
Aber ich weigerte mich, aus Scheu, und weil ich besorgte,
Daß sich etwa dein Herz ereiferte, wenn du es sähest.
Denn wir sind argwöhnisch, wir Menschenkinder auf Erden!
Ihm antwortete drauf Alkinoos wieder, und sagte:
Fremdling, ich trage kein Herz im Busen, welches ohn‘ Ursach‘
310
Brennte von jähem Zorn. Doch besser ist immer der Wohlstand.
Schaffte doch Vater Zeus, Athene und Phöbos Apollon,
Daß ein Mann, so wie du, so ähnlich mir an Gesinnung,
Meine Tochter begehrte, sich mir erhöre zum Eidam,
Und hier bliebe! Ich wollte dir Haus und Habe verehren,
315
Bliebest du willig hier. Doch wider Willen soll niemand
Von den Phäaken dich halten: das wolle Gott nicht gefallen!
Deine Heimfahrt aber bestimm‘ ich dir, daß du es wissest,
Morgen. Allein du wirst indessen liegen und schlafen,
Da sie die Stille des Meers durchrudern, bis du erreichest
320
Deine Heimat, dein Haus, und was dir irgendwo lieb ist;
Wär‘ es auch von hinnen noch weiter, als selbst Euböa.
Denn das liegt sehr ferne: so sagen unsere Leute,
Die es sahn, da sie einst Radamanthus den Bräunlichgelockten
Fuhren, der Tityos dort, den Sohn der Erde, besuchte;
325
Und sie kamen dahin, und vollbrachten an einem Tage
Ohne Mühe die Fahrt, und brachten ihn wieder zur Heimat.
Lernen sollst du es selber, wie sehr sie vor allen geübt sind,
Meine Jüngling‘ und Schiffe, mit Rudern das Meer zu durchfliegen!
Sprach’s; und freudig vernahm es der herrliche Dulder Odysseus.
330
Drauf begann er zu reden, und brach in ein lautes Gebet aus:
Vater Zeus, o gib, daß Alkinoos alles vollende,
Was er verheißt! Dann strahlt auf lebenschenkender Erd
Unauslöschlich sein Ruhm: ich aber kehre zur Heimat!
Also besprachen diese sich jetzo untereinander.
335
Aber den Mägden befahl die lilienarmige Fürstin,
Unter die Hall‘ ein Bette zu setzen, unten von Purpur
Prächtige Polster zu legen, und Teppiche drüber zu breiten,
Hierauf wollige Mäntel zur Oberdecke zu legen.
Und sie enteilten dem Saal‘, in den Händen die leuchtende Fackel.
340
Als sie jetzo geschäftig das warme Lager bereitet,
Gingen sie hin, und ermahnten den göttergleichen Odysseus:
Fremdling, gehe nun schlafen; dein Lager ist schon bereitet.
Also die Mägd‘; und ihm war sehr willkommen die Ruhe.
Also schlummerte dort der herrliche Dulder Odysseus,
345
Unter der tönenden Hall‘, im schöngebildeten Bette.
Aber Alkinoos schlief im Innern des hohen Palastes,
Und die Königin schmückte das Eh’bett ihres Gemahles.

Sechster Gesang

Sechster Gesang

Nausikaa, des Königs Alkinoos‘ Tochter, von Athene im Traum ermahnt, fährt ihre Gewande zu waschen an den Strom, und spielt darauf mit den Mägden. Odysseus, den das Geräusch weckte, naht flehend, erhält Pflege und Kleidung, und folgt der Beschützerin bis zum Pappelhain der Athene vor der Stadt.

Also schlummerte dort der herrliche Dulder Odysseus,
Überwältigt von Schlaf und Arbeit. Aber Athene
Ging hinein in das Land zur Stadt der phäakischen Männer.
Diese wohnten vordem in Hypereiens Gefilde,
5
Nahe bei den Kyklopen, den übermütigen Männern,
Welche sie immer beraubten, und mächtiger waren und stärker.
Aber sie führte von dannen Nausithoos, ähnlich den Göttern,
Brachte gen Scheria sie, fern von den erfindsamen Menschen,
Und umringte mit Mauren die Stadt, und richtete Häuser,
10
Baute Tempel der Götter, und teilte dem Volke die Äcker.
Dieser war jetzo schon tot und in der Schatten Behausung;
Und Alkinoos herrschte, begabt von den Göttern mit Weisheit.
Dessen Hause nahte sich jetzo Pallas Athene,
Auf die Heimkehr denkend des edelgesinnten Odysseus.
15
Und sie eilte sofort in die prächtige Kammer der Jungfrau,
Wo Nausikaa schlief, des hohen Alkinoos Tochter,
Einer Unsterblichen gleich an Wuchs und reizender Bildung.
Und zwei Mädchen schliefen, geschmückt mit der Grazien Anmut,
Neben den Pfosten, und dicht war die glänzende Pforte verschlossen.
20
Aber sie schwebte, wie wehende Luft, zum Lager der Jungfrau,
Neigte sich über ihr Haupt, und sprach mit freundlicher Stimme,
Gleich an Gestalt der Tochter des segelkundigen Dymas,
Ihrer liebsten Gespielin, mit ihr von einerlei Alter;
Dieser gleich an Gestalt erschien die Göttin, und sagte:
25
Liebes Kind, was bist du mir doch ein lässiges Mädchen!
Deine kostbaren Kleider, wie alles im Wuste herumliegt!
Und die Hochzeit steht dir bevor! Da muß doch was Schönes
Sein für dich selber, und die, so dich zum Bräutigam führen!
Denn durch schöne Kleider erlangt man ein gutes Gerüchte
30
Bei den Leuten; auch freun sich dessen Vater und Mutter.
Laß uns denn eilen und waschen, sobald der Morgen sich rötet!
Ich will deine Gehilfin sein, damit du geschwinder
Fertig werdest; denn Mädchen, du bleibst nicht lange mehr Jungfrau.
Siehe, es werben ja schon die edelsten Jüngling‘ im Volke
35
Aller Phäaken um dich; denn du stammst selber von Edlen.
Auf! erinnere noch vor der Morgenröte den Vater,
Daß er mit Mäulern dir den Wagen bespanne, worauf man
Lade die schönen Gewande, die Gürtel und prächtigen Decken.
Auch für dich ist es so bequemer, als wenn du zu Fuße
40
Gehen wolltest; denn weit von der Stadt sind die Spülen entlegen.
Also redete Zeus‘ blauäugichte Tochter, und kehrte
Wieder zum hohen Olympos, der Götter ewigem Wohnsitz,
Nie von Orkanen erschüttert, vom Regen immer beflutet,
Nimmer bestöbert vom Schnee; die wolkenloseste Heitre
45
Wallet ruhig umher, und deckt ihn mit schimmerndem Glanze:
Dort erfreut sich ewig die Schar der seligen Götter.
Dorthin kehrte die Göttin, nachdem sie das Mädchen ermahnet.
Und der goldene Morgen erschien, und weckte die Jungfrau
Mit den schönen Gewanden. Sie wunderte sich des Traumes.
50
Schnell durcheilte sie jetzo die Wohnungen, daß sie den Eltern,
Vater und Mutter, ihn sagte; und fand sie beide zu Hause.
Diese saß an dem Herd‘, umringt von dienenden Weibern,
Drehend die zierliche Spindel mit purpurner Wolle; und jener
Kam an der Pfort‘ ihr entgegen: er ging zu der glänzenden Fürsten
55
Ratsversammlung, wohin die edlen Phäaken ihn riefen.
Und Nausikaa trat zum lieben Vater, und sagte:
Lieber Papa, laß mir doch einen Wagen bespannen,
Hoch, mit hurtigen Rädern; damit ich die kostbare Kleidung,
Die mir im Schmutze liegt, an den Strom hinfahre zum Waschen.
60
Denn dir selber geziemt es, mit reinen Gewanden bekleidet
In der Ratsversammlung der hohen Phäaken zu sitzen.
Und es wohnen im Haus auch fünf erwachsene Söhne,
Zween von ihnen vermählt, und drei noch blühende Knaben;
Diese wollen beständig mit reiner Wäsche sich schmücken,
65
Wenn sie zum Reigen gehn; und es kommt doch alles auf mich an.
Also sprach sie, und schämte sich, von der lieblichen Hochzeit
Vor dem Vater zu reden; doch merkt‘ er alles, und sagte:
Weder die Mäuler, mein Kind, sei’n dir geweigert, noch sonst was.
Geh, es sollen die Knechte dir einen Wagen bespannen,
70
Hoch, mit hurtigen Rädern, und einem geflochtenen Korbe.
Also sprach er, und rief; und schnell gehorchten die Knechte,
Rüsteten außer der Halle den Wagen mit rollenden Rädern,
Führten die Mäuler hinzu, und spanneten sie an die Deichsel.
Und Nausikaa trug die köstlichen feinen Gewande
75
Aus der Kammer, und legte sie auf den zierlichen Wagen.
Aber die Mutter legt‘ ihr allerlei süßes Gebacknes
Und Gemüs‘ in ein Körbchen, und gab ihr des edelsten Weines
Im geißledernen Schlauch; (und die Jungfrau stieg auf den Wagen;)
Gab ihr auch geschmeidiges Öl in goldener Flasche,
80
Daß sie sich nach dem Bade mit ihren Gehilfinnen salbte.
Und Nausikaa nahm die Geißel und purpurnen Zügel;
Treibend schwang sie die Geißel: und hurtig mit lautem Gepolter
Trabten die Mäuler dahin, und zogen die Wäsch‘ und die Jungfrau,
Nicht sie allein, sie wurde von ihren Mägden begleitet.
85
Als sie nun das Gestade des herrlichen Stromes erreichten,
Wo sich in rinnende Spülen die nimmerversiegende Fülle
Schöner Gewässer ergoß, die schmutzigsten Flecken zu säubern;
Spannten die Jungfraun schnell von des Wagens Deichsel die Mäuler,
Ließen sie an dem Gestade des silberwirbelnden Stromes
90
Weiden im süßen Klee, und nahmen vom Wagen die Kleidung,
Trugen sie Stück für Stück in der Gruben dunkles Gewässer,
Stampften sie drein mit den Füßen, und eiferten untereinander.
Als sie ihr Zeug nun gewaschen und alle Flecken gereinigt,
Breiteten sie’s in Reihen am warmen Ufer des Meeres,
95
Wo die Woge den Strand mit glatten Kieseln bespület.
Und nachdem sie gebadet und sich mit Öle gesalbet,
Setzten sie sich zum Mahl am grünen Gestade des Stromes,
Harrend, bis ihre Gewand‘ am Strahle der Sonne getrocknet.
Als sich Nausikaa jetzt und die Dirnen mit Speise gesättigt,
100
Spieleten sie mit dem Ball, und nahmen die Schleier vom Haupte.
Unter den Fröhlichen hub die schöne Fürstin ein Lied an.
Wie die Göttin der Jagd durch Erymanthos‘ Gebüsche
Oder Taygetos‘ Höhn mit Köcher und Bogen einhergeht,
Und sich ergötzt, die Eber und schnellen Hirsche zu fällen;
105
Um sie spielen die Nymphen, Bewohnerinnen der Felder,
Töchter des furchtbaren Zeus; und herzlich freuet sich Leto;
Denn vor allen erhebt sie ihr Haupt und herzliches Antlitz,
Und ist leicht zu erkennen im ganzen schönen Gefolge:
Also ragte vor allen die hohe blühende Jungfrau.
110
Aber da sie nunmehr sich rüstete, wieder zur Heimfahrt
Anzuspannen die Mäuler, und ihre Gewande zu falten;
Da ratschlagete Zeus‘ blauäugichte Tochter Athene,
Wie Odysseus erwachte, und sähe die liebliche Jungfrau,
Daß sie den Weg ihn führte zur Stadt der phäakischen Männer.
115
Und Nausikaa warf den Ball auf eine der Dirnen;
Dieser verfehlte die Dirn‘, und fiel in die wirbelnde Tiefe;
Und laut kreischten sie auf. Da erwachte der edle Odysseus,
Sitzend dacht‘ er umher im zweifelnden Herzen, und sagte:
Weh mir! zu welchem Volke bin ich nun wieder gekommen?
120
Sind’s unmenschliche Räuber und sittenlose Barbaren;
Oder Diener der Götter, und Freunde des heiligen Gastrechts?
Eben umtönte mich ein Weibergekreisch, wie der Nymphen,
Welche die steilen Häupter der Felsengebirge bewohnen,
Und die Quellen der Flüsse und grasbewachsenen Täler!
125
Bin ich hier etwa nahe bei redenden Menschenkindern?
Auf! ich selber will hin, und zusehn, was es bedeute!
Also sprach er, und kroch aus dem Dickicht, der edle Odysseus,
Brach mit der starken Faust sich aus dem dichten Gebüsche
Einen laubichten Zweig, des Mannes Blöße zu decken;
130
Ging dann einher, wie ein Leu des Gebirgs, voll Kühnheit und Stärke,
Welcher durch Regen und Sturm hinwandelt; die Augen im Haupte
Brennen ihm; furchtbar geht er zu Rindern oder zu Schafen,
Oder zu flüchtigen Hirschen des Waldes; ihn spornet der Hunger
Selbst in verschlossene Höf‘, ein kleines Vieh zu erhaschen:
135
Also ging der Held, in den Kreis schönlockiger Jungfraun
Sich zu mischen, so nackend er war; ihn spornte die Not an.
Furchtbar erschien er den Mädchen, vom Schlamm des Meeres besudelt;
Hiehin und dorthin entflohn sie, und bargen sich hinter die Hügel.
Nur Nausikaa blieb. Ihr hatte Pallas Athene
140
Mut in die Seele gehaucht, und die Furcht den Gliedern entnommen.
Und sie stand, und erwartete ihn. Da zweifelt‘ Odysseus:
Ob er flehend umfaßte die Kniee der reizenden Jungfrau,
Oder, so wie er war, von ferne mit schmeichelnden Worten
Bäte, daß sie die Stadt ihm zeigt‘, und Kleider ihm schenkte.
145
Dieser Gedanke schien dem Zweifelnden endlich der beste.
So wie er war, von ferne mit schmeichelnden Worten zu flehen;
Daß ihm das Mädchen nicht zürnte, wenn er die Kniee berührte.
Schmeichelnd begann er sogleich die schlau ersonnenen Worte:
Hohe, dir fleh ich; du seist eine Göttin, oder ein Mädchen!
150
Bist du eine der Göttinnen, welche den Himmel beherrschen;
Siehe so scheinst du mir der Tochter des großen Kronions
Artemis gleich an Gestalt, an Größe und reizender Bildung!
Bist du eine der Sterblichen, welche die Erde bewohnen;
Dreimal selig dein Vater und deine treffliche Mutter,
155
Dreimal selig die Brüder! Ihr Herz muß ja immer von hoher
Überschwenglicher Wonne bei deiner Schöne sich heben,
Wenn sie sehn, wie ein solches Gewächs zum Reigen einhergeht!
Aber keiner ermißt die Wonne des seligen Jünglings,
Der, nach großen Geschenken, als Braut zu Hause dich führet!
160
Denn ich sahe noch nie solch einen sterblichen Menschen,
Weder Mann noch Weib! Mit Staunen erfüllt mich der Anblick!
Ehmals sah ich in Delos, am Altar Phöbos Apollons,
Einen Sprößling der Palme von so erhabenem Wuchse.
Denn auch dorthin kam ich, von vielem Volke begleitet,
165
Jenes Weges, der mir so vielen Jammer gebracht hat!
Und ich stand auch also vor ihm, und betrachtet‘ ihn lange
Staunend; denn solch ein Stamm war nie dem Boden entwachsen.
Also bewundre ich dich, und staun‘, und zittre vor Ehrfurcht,
Deine Kniee zu rühren! Doch groß ist mein Elend, o Jungfrau!
170
Gestern am zwanzigsten Tag entfloh ich dem dunkeln Gewässer;
Denn so lange trieb mich die Flut und die wirbelnden Stürme
Von der ogygischen Insel. Nun warf ein Dämon mich hieher,
Daß ich auch hier noch dulde! Denn noch erwart‘ ich des Leidens
Ende nicht; mir ward viel mehr von den Göttern beschieden!
175
Aber erbarme dich, Hohe! Denn nach unendlicher Trübsal
Fand ich am ersten dich, und kenne der übrigen Menschen
Keinen, welche die Stadt und diese Gefilde bewohnen.
Zeige mich hin zur Stadt, und gib mir ein Stück zur Bedeckung,
Etwa ein Wickeltuch, worin du die Wäsche gebracht hast!
180
Mögen die Götter dir schenken, so viel dein Herz nur begehret,
Einen Mann und ein Haus, und euch mit seliger Eintracht
Segnen! Denn nichts ist besser und wünschenswerter auf Erden,
Als wenn Mann und Weib, in herzlicher Liebe vereinigt,
Ruhig ihr Haus verwalten: den Feinden ein kränkender Anblick,
185
Aber Wonne den Freunden; und mehr noch genießen sie selber!
Ihm antwortete drauf die lilienarmige Jungfrau:
Keinem geringen Manne noch törichten gleichst du, o Fremdling.
Aber der Gott des Olympos erteilet selber den Menschen,
Vornehm oder geringe, nach seinem Gefallen ihr Schicksal.
190
Dieser beschied dir dein Los, und dir geziemt es zu dulden.
Jetzt, da du unserer Stadt und unsern Gefilden dich nahest,
Soll es weder an Kleidung, noch etwas anderm, dir mangeln,
Was unglücklichen Fremden, die Hilfe suchen, gebühret.
Zeigen will ich die Stadt, und des Volkes Namen dir sagen:
195
Wir Phäaken bewohnen die Stadt und diese Gefilde.
Aber ich selber bin des hohen Alkinoos‘ Tochter,
Dem des phäakischen Volkes Gewalt und Stärke vertraut ist.
Also sprach sie, und rief den schöngelockten Gespielen:
Dirnen, steht mir doch still! wo fliehet ihr hin vor dem Manne?
200
Meinet ihr etwa, er komme zu uns in feindlicher Absicht?
Wahrlich, der lebt noch nicht, und niemals wird er geboren,
Welcher käm‘ in das Land der phäakischen Männer, mit Feindschaft
Unsre Ruhe zu stören; denn sehr geliebt von den Göttern,
Wohnen wir abgesondert im wogenrauschenden Meere,
205
An dem Ende der Welt, und haben mit keinem Gemeinschaft.
Nein, er kommt zu uns, ein armer irrender Fremdling,
Dessen man pflegen muß. Denn Zeus gehören ja alle
Fremdling‘ und Darbende an; und kleine Gaben erfreun auch.
Kommt denn, ihr Dirnen, und gebt dem Manne zu essen und trinken;
210
Und dann badet ihn unten im Fluß, wo Schutz vor dem Wind ist.
Also sprach sie. Da standen sie still, und riefen einander,
Führten Odysseus hinab zum schattigen Ufer des Stromes,
Wie es Nausikaa hieß, des hohen Alkinoos‘ Tochter;
Legten ihm einen Mantel und Leibrock hin zur Bedeckung,
215
Gaben ihm auch geschmeidiges Öl in goldener Flasche,
Und geboten ihm jetzt, in den Wellen des Flusses zu baden.
Und zu den Jungfraun sprach der göttergleiche Odysseus:
Tretet ein wenig beiseit‘, ihr Mädchen, daß ich mir selber
Von den Schultern das Salz abspül‘, und mich ringsum mit Öle
220
Salbe; denn wahrlich schon lang entbehr‘ ich dieser Erfrischung!
Aber ich bade mich nimmer vor euch, ich würde mich schämen,
Nackend zu stehn, in Gegenwart schönlockiger Jungfraun.
Also sprach er, sie gingen beiseit‘, und sagten’s der Fürstin.
Und nun wusch in dem Strom der edle Dulder das Meersalz,
225
Welches den Rücken ihm und die breiten Schultern bedeckte,
Rieb sich dann von dem Haupte den Schaum der wüsten Gewässer.
Und nachdem er gebadet, und sich mit Öle gesalbet;
Zog er die Kleider an, die Geschenke der blühenden Jungfrau.
Siehe da schuf ihn Athene, die Tochter des großen Kronions,
230
Höher und jugendlicher an Wuchs, und goß von der Scheitel
Ringelnde Locken herab, wie der Purpurlilien Blüte.
Also umgießt ein Mann mit feinem Golde das Silber,
Welchen Hephästos selbst und Pallas Athene die Weisheit
Vieler Künste gelehrt, und bildet reizende Werke:
235
Also umgoß die Göttin ihm Haupt und Schultern mit Anmut.
Und er ging ans Ufer des Meers, und setzte sich nieder,
Strahlend von Schönheit und Reiz. Mit Staunen sah ihn die Jungfrau
Leise begann sie, und sprach zu den schöngelockten Gespielen:
Höret mich an, weißarmige Mädchen, was ich euch sage!
240
Nicht von allen Göttern verfolgt, die den Himmel bewohnen,
Kam der Mann in das Land der göttergleichen Phäaken!
Anfangs schien er gering und unbedeutend von Ansehn;
Jetzo gleicht er den Göttern, des weiten Himmels Bewohnern.
Würde mir doch ein Gemahl von solcher Bildung bescheret,
245
Unter den Fürsten des Volks; und gefiel es ihm selber zu bleiben!
Aber, ihr Mädchen, gebt dem Manne zu essen und trinken.
Also sprach sie; ihr hörten die Mägde mit Fleiß, und gehorchten:
Nahmen des Tranks und der Speis‘, und brachten’s dem Fremdling am Ufer.
Und nun aß er und trank, der herrliche Dulder Odysseus,
250
Voller Begier, denn er hatte schon lange nicht Speise gekostet.
Und ein Neues ersann die lilienarmige Jungfrau:
Lud auf den zierlichen Wagen die wohlgefalteten Kleider,
Spannte davor die Mäuler mit starken Hufen, bestieg ihn,
Und ermunterte dann Odysseus, rief ihm und sagte:
255
Fremdling, mache dich auf, in die Stadt zu gehen! Ich will dich
Führen zu meines Vaters, des weisen Helden, Palaste,
Wo du auch sehen wirst die edelsten aller Phäaken.
Tu nur, was ich dir sage; du scheinst mir nicht unverständig.
Siehe, so lange der Weg durch Felder und Saaten dahingeht,
260
Folge mit meinen Mägden dem mäulerbespanneten Wagen
Hurtig zu Fuße nach, wie ich im Wagen euch fahre.
Aber sobald wir die Stadt erreichen, welche die hohe
Mauer umringt: (An jeglicher Seit‘ ist ein trefflicher Hafen,
Und die Einfahrt schmal; denn gleichgezimmerte Schiffe
265
Engen den Weg, und ruhn, ein jedes auf seinem Gestelle.
Allda ist auch ein Markt um den schönen Tempel Poseidons,
Ringsumher mit großen gehauenen Steinen gepflastert;
Wo man alle Geräte der schwarzen Schiffe bereitet,
Segeltücher und Seile, und schöngeglättete Ruder.
270
Denn die Phäaken kümmern sich nicht um Köcher und Bogen;
Aber Masten und Ruder und gleichgezimmerte Schiffe,
Diese sind ihre Freude, womit sie die Meere durchfliegen.)
Siehe, da mied‘ ich gerne die bösen Geschwätze, daß niemand
Uns nachhöhnte; man ist sehr übermütig im Volke!
275
Denn es sagte vielleicht ein Niedriger, der uns begegnet:
Seht doch, was folgt Nausikaen dort für ein schöner und großer
Fremdling? Wo fand sie den? Der soll gewiß ihr Gemahl sein!
Holte sie diesen vielleicht aus seinem Schiffe, das fernher
Sturm und Woge verschlug? Denn nahe wohnet uns niemand.
280
Oder kam gar ein Gott auf ihr inbrünstiges Flehen
Hoch vom Himmel herab, bei ihr zeitlebens zu bleiben?
Besser war’s, daß sie selber hinausging, sich aus der Fremde
Einen Gemahl zu suchen; denn unsre phäakischen Freier
Sind ihr wahrlich zu schlecht, die vielen Söhne der Edeln!
285
Also sagten die Leut‘, und es wär‘ auch wider den Wohlstand.
Denn ich tadelte selber an andern solches Verfahren,
Wenn man, der Eltern Liebe mit Ungehorsam belohnend,
Sich zu Männern gesellte vor öffentlicher Vermählung.
Aber vernimm, o Fremdling, was ich dir rate; wofern du
290
Wünschest, daß bald mein Vater in deine Heimat dich sende.
Nah am Weg‘ ist ein Pappelgehölz, Athenen geheiligt.
Ihm entsprudelt ein Quell, und tränkt die grünende Wiese,
Wo mein Vater ein Haus mit fruchtbaren Gärten gebaut hat,
Nur so weit von der Stadt, wie die Stimme des Rufenden schallet.
295
Allda setze dich nieder im Schatten des Haines, und warte,
Bis wir kommen zur Stadt, und des Vaters Wohnung erreichen.
Aber sobald du meinst, daß wir die Wohnung erreichet;
Mache dich auf, und gehe zur Stadt der Phäaken, und frage
Dort nach meines Vaters, des hohen Alkinoos‘, Wohnung.
300
Leicht ist diese zu kennen, der kleinste Knab‘ auf der Gasse
Führet dich hin. Denn nicht auf gleiche Weise gebauet
Sind der Phäaken Paläste; des Helden Alkinoos‘ Wohnung
Strahlt vor allen. Und bist du im ringsumbaueten Vorhof,
Dann durcheile den Saal, und geh zur inneren Wohnung
305
Meiner Mutter. Sie sitzt am glänzenden Feuer des Herdes,
Drehend die zierliche Spindel mit purpurfarbener Wolle,
An die Säule gelehnt; und hinter ihr sitzen die Jungfraun.
Neben ihr steht ein Thron für meinen Vater, den König,
Wo er, wie ein Unsterblicher, ruht, und mit Weine sich labet.
310
Diesen gehe vorbei, und umfasse mit flehenden Händen
Unserer Mutter Kniee; damit du den Tag der Zurückkunft
Freudig sehest und bald, du wohnest auch ferne von hinnen.
Denn ist diese dir nur in ihrem Herzen gewogen,
O dann hoffe getrost, die Freunde wiederzusehen,
315
Und dein prächtiges Haus, und deiner Väter Gefilde!
Also sprach die Fürstin, und zwang mit glänzender Geißel
Ihre Mäuler zum Lauf; sie enteilten dem Ufer des Stromes,
Trabten hurtig von dannen, und bogen behende die Schenkel.
Aber sie hielt sie im Zügel, damit ihr die Gehenden folgten,
320
Ihre Mägd‘ und Odysseus, und schwang die Geißel mit Klugheit.
Und die Sonne sank; und sie kamen zum schönen Gehölze,
Pallas‘ heiligem Hain. Hier setzt‘ Odysseus sich nieder.
Und er betete schnell zur Tochter des großen Kronions:
Höre mich, siegende Tochter des wetterleuchtenden Gottes!
325
Höre mich endlich einmal, da du vormals nimmer mich hörtest,
Als der gestadumstürmende Gott mich zürnend umherwarf!
Laß mich vor diesem Volk Barmherzigkeit finden und Gnade!
Also sprach er flehend; ihn hörete Pallas Athene.
Aber noch erschien sie ihm nicht; sie scheute den Bruder
330
Ihres Vaters: er zürnte dem göttergleichen Odysseus
Unablässig, bevor er die Heimat wieder erreichte.

Fünfter Gesang

Fünfter Gesang

Zeus befiehlt durch Hermes der Kalypso, den Odysseus zu entlassen. Ungern gehorchend, versorgt sie den Odysseus mit Gerät, ein Floß zu bauen, und mit Reisekost. Am achtzehnten Tage der Fahrt sendet Poseidon ihm Sturm, der den Floß zertrümmert. Leukothea sichert ihn durch ihren Schleier. Am dritten Tage erreicht er der Phäaken Insel Scheria, rettet sich aus der Felsenbrandung in die Mündung des Stroms, und ersteigt einen
waldigen Hügel, wo er in abgefallenen Blättern schläft.

Und die rosige Frühe entstieg des edlen Tithonos
Lager, und brachte das Licht den Göttern und sterblichen Menschen.
Aber die Götter saßen zum Rate versammelt; mit ihnen
Saß der Donnerer Zeus, der alle Dinge beherrschet.
5
Und Athene gedachte der vielen Leiden Odysseus‘,
Welchen Kalypso hielt, und sprach zu der Götter Versammlung:
Vater Zeus, und ihr andern, unsterbliche selige Götter,
Künftig befleißige sich keiner der scepterführenden Herrscher,
Huldreich, mild und gnädig zu sein, und die Rechte zu schützen;
10
Sondern er wüte nur stets und frevle mit grausamer Seele!
Niemand erinnert sich ja des göttergleichen Odysseus
Von den Völkern, die er mit Vaterliebe beherrschte!
Sondern er liegt in der Insel, mit großem Kummer belastet,
In dem Hause der Nymphe Kalypso, die mit Gewalt ihn
15
Hält; und wünschet umsonst, die Heimat wiederzusehen:
Denn es gebricht ihm dort an Ruderschiffen und Männern,
Über den breiten Rücken des Meeres ihn zu geleiten.
Jetzo beschlossen sie gar des einzigen Sohnes Ermordung.
Wann er zur Heimat kehrt; er forscht nach Kunde vorn Vater
20
In der göttlichen Pylos und Lakedämon der großen.
Ihr antwortete drauf der Wolkenversammler Kronion:
Welche Rede, mein Kind, ist deinen Lippen entflohen?
Hast du nicht selber den Rat in deinem Herzen ersonnen,
Daß heimkehrend jenen Odysseus Rache vergelte?
25
Aber Telemachos führe mit Sorgfalt, denn du vermagst es:
Daß er ohne Gefahr sein heimisches Ufer erreiche,
Und die Freier im Schiffe vergebens wieder zurückziehn.
Sprach’s, und redete drauf zu seinem Sohne Hermeias:
Hermes, meiner Gebote Verkündiger, melde der Nymphe
30
Mit schönwallenden Locken der Götter heiligen Ratschluß
Über den leidengeübten Odysseus! Er kehre von dannen
Ohne der Götter Geleit, und ohne der sterblichen Menschen!
Einsam, im vielgebundenen Floß, von Schrecken umstürmet,
Komm‘ er am zwanzigsten Tage zu Scherias fruchtbaren Auen,
35
In das glückliche Land der götternahen Phäaken!
Diese werden ihn hoch, wie einen Unsterblichen, ehren,
Und ihn senden im Schiffe zur lieben heimischen Insel,
Reichlich mit Erz und Golde beschenkt und prächtigen Kleidern,
Mehr als jemals der Held von Ilion hätte geführet,
40
Wär‘ er auch ohne Schaden mit seiner Beute gekommen!
Also gebeut ihm das Schicksal, die Freunde wiederzuschauen,
Und den hohen Palast und seiner Väter Gefilde!
Also sprach Kronion. Der rüstige Argosbesieger
Eilte sofort, und band sich unter die Füße die schönen
45
Goldnen ambrosischen Sohlen, womit er über die Wasser
Und das unendliche Land im Hauche des Windes einherschwebt.
Hierauf nahm er den Stab, womit er die Augen der Menschen
Zuschließt, welcher er will, und wieder vom Schlummer erwecket.
Diesen hielt er und flog, der tapfere Argosbesieger,
50
Stand auf Pieria still, und senkte sich schnell aus dem Äther
Nieder aufs Meer, und schwebte dann über die Flut, wie die Möwe,
Die um furchtbare Busen des ungebändigten Meeres
Fische fängt, und sich oft die flüchtigen Fittiche netzet:
Also beschwerte Hermeias die weithinwallende Fläche.
55
Als er die ferne Insel Ogygia jetzo erreichte,
Stieg er aus dem Gewässer des dunkeln Meeres ans Ufer,
Wandelte fort, bis er kam zur weiten Grotte der Nymphe
Mit schönwallenden Locken, und fand die Nymphe zu Hause.
Vor ihr brannt‘ auf dem Herd‘ ein großes Feuer, und fernhin
60
Wallte der liebliche Duft vom brennenden Holze der Ceder
Und des Citronenbaums. Sie sang mit melodischer Stimme,
Emsig, ein schönes Gewebe mit goldener Spule zu wirken.
Rings um die Grotte wuchs ein Hain voll grünender Bäume,
Pappelweiden und Erlen und düftereicher Cypressen.
65
Unter dem Laube wohnten die breitgefiederten Vögel,
Eulen und Habichte und breitzüngichte Wasserkrähen,
Welche die Küste des Meers mit gierigem Blicke bestreifen.
Um die gewölbete Grotte des Felsens breitet‘ ein Weinstock
Seine scharrenden Ranken, behängt mit purpurnen Trauben.
70
Und vier Quellen ergossen ihr silberblinkendes Wasser,
Eine nahe der andern, und schlängelten hierhin und dorthin.
Wiesen grünten umher, mit Klee bewachsen und Eppich.
Selbst ein unsterblicher Gott verweilete, wann er vorbeiging,
Voll Verwunderung dort, und freute sich herzlich des Anblicks.
75
Voll Verwunderung stand der rüstige Argosbesieger;
Und nachdem er alles in seinem Herzen bewundert,
Ging er eilend hinein in die schöngewölbete Grotte.
Ihn erkannte sogleich die hehre Göttin Kalypso:
Denn die unsterblichen Götter verkennen nimmer das Antlitz
80
Eines anderen Gottes, und wohnt‘ er auch ferne von dannen.
Aber nicht Odysseus den Herrlichen fand er zu Hause;
Weinend saß er am Ufer des Meers. Dort saß er gewöhnlich,
Und zerquälte sein Herz mit Weinen und Seufzen und Jammern,
Und durchschaute mit Tränen die große Wüste des Meeres.
85
Aber dem Kommenden setzte die hehre Göttin Kalypso
Einen prächtigen Thron von strahlender Arbeit, und fragte:
Warum kamst du zu mir, du Gott mit goldenem Stabe,
Hermes, Geehrter, Geliebter? Denn sonst besuchst du mich niemals.
Sage, was du verlangst; ich will es gerne gewähren,
90
Steht es in meiner Macht, und sind es mögliche Dinge.
Aber komm doch näher, daß ich dich gastlich bewirte.
Also sprach Kalypso, und setzte dem Gott die Tafel
Voll Ambrosia vor, und mischte rötlichen Nektar.
Und nun aß er und trank, der rüstige Argosbesieger.
95
Und nachdem er gegessen, und seine Seele gelabet;
Da begann er und sprach zur hehren Göttin Kalypso:
Fragst du, warum ich komme, du Göttin den Gott? Ich will dir
Dieses alles genau verkündigen, wie du befiehlest.
Zeus gebot mir hieher, ohn‘ meinen Willen, zu wandern!
100
Denn wer ginge wohl gern durch dieses salzigen Meeres
Unermeßliche Flut? Ringsum ist keine der Städte,
Wo man die Götter mit Opfern und Hekatomben begrüßet!
Aber kein Himmlischer mag dem wetterleuchtenden Gotte
Zeus entgegen sich stellen, noch seinen Willen vereiteln.
105
Dieser sagt, es weile der Unglückseligste aller
Männer bei dir, die Priamos‘ Stadt neun Jahre bekämpften,
Und am zehnten darauf mit Ilions Beute zur Heimat
Kehreten, aber Athene durch Missetaten erzürnten,
Daß sie die Göttin mit Sturm und hohen Fluten verfolgte.
110
Alle tapfern Gefährten versanken ihm dort in den Abgrund;
Aber er selbst kam hier, von Sturm und Woge geschleudert.
Jetzo gebeut dir der Gott, daß du ihn eilig entlassest.
Denn ihm ward nicht bestimmt, hier fern von den Seinen zu sterben;
Sondern sein Schicksal ist, die Freunde wiederzuschauen,
115
Und sein prächtiges Haus, und seiner Väter Gefilde.
Als er es sprach, da erschrak die hehre Göttin Kalypso.
Und sie redet‘ ihn an, und sprach die geflügelten Worte:
Grausam seid ihr vor allen und neidisches Herzens, o Götter!
Jeglicher Göttin verargt ihr die öffentliche Vermählung
120
Mit dem sterblichen Manne, den sie zum Gatten erkoren.
Als den schönen Orion die rosenarmige Eos
Raubte, da zürnetet ihr so lang‘, ihr seligen Götter,
Bis in Ortygia ihn die goldenthronende Jungfrau
Artemis plötzlich erregte mit ihrem sanften Geschosse.
125
Als in Jasions Arm die schöngelockte Demeter,
Ihrem Herzen gehorchend, auf dreimalgeackertem Saatfeld
Seliger Liebe genoß; wie bald erfuhr die Umarmung
Zeus, und erschlug ihn im Zorne mit seinem flammenden Donner!
Also verargt ihr auch mir des sterblichen Mannes Gemeinschaft,
130
Den ich vom Tode gewann, als er auf zertrümmertem Kiele
Einsam trieb; denn ihm hatte der Gott hochrollender Donner
Mitten im Meere sein Schiff mit dem dampfenden Strahle zerschmettert.
Alle tapfern Gefährten versanken ihm dort in den Abgrund;
Aber er selbst kam hier von Sturm und Woge geschleudert.
135
Freundlich nahm ich ihn auf, und reicht‘ ihm Nahrung, und sagte
Ihm Unsterblichkeit zu und nimmerverblühende Jugend.
Aber kein Himmlischer mag dem wetterleuchtenden Gotte
Zeus entgegen sich stellen, noch seinen Willen vereiteln.
Mög‘ er denn gehn, wo ihn des Herrschers Wille hinwegtreibt,
140
Über das wilde Meer! Doch senden werd‘ ich ihn nimmer;
Denn mir gebricht es hier an Ruderschiffen und Männern,
Über den weiten Rücken des Meeres ihn zu geleiten.
Aber ich will ihm mit Rat beistehn, und nichts ihm verhehlen;
Daß er ohne Gefahr die Heimat wieder erreiche.
145
Ihr antwortete drauf der rüstige Argosbesieger:
Send‘ ihn also von hinnen, und scheue den großen Kronion,
Daß dich der Zürnende nicht mit schrecklicher Rache verfolge!
Also sprach er und ging, der tapfere Argosbesieger.
Aber Kalypso eilte zum großgesinnten Odysseus,
150
Als die heilige Nymphe Kronions Willen vernommen,
Dieser saß am Gestade des Meers, und weinte beständig,
Ach! in Tränen verrann sein süßes Leben, voll Sehnsucht
Heimzukehren: denn lange nicht mehr gefiel ihm die Nymphe;
Sondern er ruhte des Nachts in ihrer gewölbeten Grotte
155
Ohne Liebe bei ihr, ihn zwang die liebende Göttin;
Aber des Tages saß er auf Felsen und sandigen Hügeln,
Und zerquälte sein Herz mit Weinen und Seufzen und Jammern
Und durchschaute mit Tränen die große Wüste des Meeres.
Jetzo nahte sich ihm und sprach die herrliche Göttin:
160
Armer, sei mir nicht immer so traurig, und härme dein Leben
Hier nicht ab; ich bin ja bereit, dich von mir zu lassen.
Haue zum breiten Floß dir hohe Bäume, verbinde
Dann die Balken mit Erz, und oben befestige Bretter;
Daß er über die Wogen des dunkeln Meeres dich trage.
165
Siehe dann will ich dir Brot und Wasser reichen, und roten
Herzerfreuenden Wein, damit dich der Hunger nicht töte;
Dich mit Kleidern umhüllen, und günstige Winde dir senden;
Daß du ohne Gefahr die Heimat wieder erreichest,
Wenn es die Götter gestatten, des weiten Himmels Bewohner,
170
Welche höher als ich an Weisheit sind und an Stärke.
Als sie es sprach, da erschrak der herrliche Dulder Odysseus.
Und er redet‘ sie an, und sprach die geflügelten Worte:
Wahrlich du denkst ein andres, als mich zu senden, o Göttin,
Die du mich heißeste im Floße des unermeßlichen Meeres
175
Furchtbare Flut zu durchfahren, die selbst kein künstlichgebautes
Rüstiges Schiff durchfährt, vom Winde Gottes erfreuet!
Nimmer besteig‘ ich den Floß ohn‘ deinen Willen, o Göttin,
Du willfahrest mir denn, mit hohem Schwur zu geloben,
Daß du bei dir nichts andres zu meinem Verderben beschließest!
180
Sprach’s, und lächelnd vernahm es die hehre Göttin Kalypso,
Streichelte ihn mit der Hand, und sprach die freundlichen Worte:
Wahrlich du bist doch ein Schalk, und unermüdet an Vorsicht:
So bedachtsam und schlau ist alles, was du geredet!
Nun mir zeuge die Erde, der weite Himmel dort oben,
185
Und die stygischen Wasser der Tiefe; welches der größte
Furchtbarste Eidschwur ist für alle unsterblichen Götter:
Daß ich bei mir nichts anders zu deinem Verderben beschließe!
Sondern ich denke so und rede, wie ich mir selber
Suchen würde zu raten, wär‘ ich in gleicher Bedrängnis!
190
Denn ich denke gewiß nicht ganz unbillig, und trage
Nicht im Busen ein Herz von Eisen, sondern voll Mitleid!
Also sprach sie, und ging, die hehre Göttin Kalypso,
Eilend voran, und er folgte den Schritten der wandelnden Göttin.
Und sie kamen zur Grotte, die Göttin und ihr Geliebter.
195
Allda setzte der Held auf den Thron sich nieder, auf welchem
Hermes hatte gesessen. Ihm reichte die heilige Nymphe
Allerlei Speis‘ und Trank, was sterbliche Männer genießen;
Setzte sich dann entgegen dem göttergleichen Odysseus,
Und Ambrosia reichten ihr Dienerinnen und Nektar.
200
Und sie erhoben die Hände zum leckerbereiteten Mahle.
Als sie jetzo ihr Herz mit Trank und Speise gesättigt;
Da begann das Gespräch die hehre Göttin Kalypso:
Edler Laertiad‘, erfindungsreicher Odysseus,
Also willst du mich nun so bald verlassen, und wieder
205
In dein geliebtes Vaterland gehn? Nun Glück auf die Reise!
Aber wüßte dein Herz, wie viele Leiden das Schicksal
Dir zu dulden bestimmt, bevor du zur Heimat gelangest;
Gerne würdest du bleiben, mit mir die Grotte bewohnen,
Und ein Unsterblicher sein: wie sehr du auch wünschest, die Gattin
210
Wiederzusehn, nach welcher du stets so herzlich dich sehnest!
Glauben darf ich doch wohl, daß ich nicht schlechter als sie bin,
Weder an Wuchs noch Bildung! Wie könnten sterbliche Weiber
Mit unsterblichen sich an Gestalt und Schönheit vergleichen?
Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
215
Zürne mir darum nicht, ehrwürdige Göttin! Ich weiß es
Selber zu gut, wie sehr der klugen Penelopeia
Reiz vor deiner Gestalt und erhabenen Größe verschwindet;
Denn sie ist nur sterblich, und dich schmückt ewige Jugend.
Aber ich wünsche dennoch und sehne mich täglich von Herzen,
220
Wieder nach Hause zu gehn, und zu schaun den Tag der Zurückkunft.
Und verfolgt mich ein Gott im dunkeln Meere, so will ich’s
Dulden; mein Herz im Busen ist längst zum Leiden gehärtet!
Denn ich habe schon vieles erlebt, schon vieles erduldet,
Schrecken des Meers und des Kriegs: so mag auch dieses geschehen!
225
Also sprach er, da sank die Sonne, und Dunkel erhob sich.
Beide gingen zur Kammer der schöngewölbeten Grotte,
Und genossen der Lieb‘, und ruheten nebeneinander.
Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,
Da bekleidete sich Odysseus mit Mantel und Leibrock.
230
Aber die Nymphe zog ihr silberfarbnes Gewand an,
Fein und zierlich gewebt; und schlang um die Hüfte den Gürtel,
Schön mit Golde gestickt; und schmückte das Haupt mit dem Schleier.
Eilend besorgte sie jetzo die Reise des edlen Odysseus:
Gab ihm die mächtige Axt, von gehärtetem Erze geschmiedet,
235
Unten und oben geschärft, und sicheres Schwunges, und drinnen
War ein zierlicher Stiel von Olivenholze befestigt;
Gab ihm auch ein geschliffenes Beil, und führet‘ ihn jetzo
An der Insel Gestade voll hoher schattender Bäume,
Pappelweiden und Erlen und wolkenberührender Tannen.
240
Viele waren von Alter verdorrt, und leichter zur Schiffahrt.
Als sie den Ort ihm gezeigt, voll hoher schattender Bäume;
Kehrte sie heim zur Grotte, die hehre Göttin Kalypso.
Und er fällte die Bäum‘, und vollendete hurtig die Arbeit.
Zwanzig stürzt‘ er in allem, umhaute mit eherner Axt sie,
245
Schlichtete sie mit dem Beil, und nach dem Maße der Richtschnur.
Jetzo brachte sie Bohrer, die hehre Göttin Kalypso.
Und er bohrte die Balken, und fügte sie wohl aneinander,
Und verband nun den Floß mit ehernen Nägeln und Klammern.
Von der Größe, wie etwa ein kluger Meister im Schiffbau
250
Zimmern würde den Boden des breiten geräumigen Lastschiffs,
Baute den breiten Floß der erfindungsreiche Odysseus.
Nun umstellt‘ er ihn dicht mit Pfählen, heftete Bohlen
Ringsherum, und schloß das Verdeck mit langen Brettern.
Drinnen erhob er den Mast, von der Segelstange durchkreuzet.
255
Endlich zimmert‘ er sich ein Steuer, die Fahrt zu lenken.
Beide Seiten des Floßes beschirmt‘ er mit weidenen Flechten
Gegen die rollende Flut; und füllte den Boden mit Ballast.
Jetzo brachte sie Tücher, die hehre Göttin Kalypso,
Segel davon zu schneiden; auch diese bereitet‘ er künstlich;
260
Band die Taue des Mastes und segelwendenden Seile;
Wälzte darauf mit Hebeln den Floß in die heilige Meersflut.
Jetzt war der vierte Tag, an dem ward alles vollendet.
Und am fünften entließ ihn die hehre Göttin Kalypso,
Frischgebadet, und angetan mit duftenden Kleidern.
265
Und sie legt‘ in den Floß zween Schläuche, voll schwärzliches Weines
Einen, und einen großen voll Wasser; und gab ihm zur Zehrung
Einen geflochtenen Korb voll herzerfreuender Speisen;
Ließ dann leise vor ihm ein laues Lüftchen einherwehn.
Freudig spannte der Held im Winde die schwellenden Segel.
270
Und nun setzt‘ er sich hin ans Ruder, und steuerte künstlich
Über die Flut. Ihm schloß kein Schlummer die wachsamen Augen,
Auf die Pleiaden gerichtet, und auf Bootes, der langsam
Untergeht, und den Bären, den andre den Wagen benennen,
Welcher im Kreise sich dreht, den Blick nach Orion gewendet,
275
Und allein von allen sich nimmer im Ocean badet.
Denn beim Scheiden befahl ihm die hehre Göttin Kalypso,
Daß er auf seiner Fahrt ihn immer zur Linken behielte.
Siebzehn Tage befuhr er die ungeheuren Gewässer.
Am achtzehnten erschienen die fernen schattigen Berge
280
Von dem phäakischen Lande, denn dieses lag ihm am nächsten;
Dunkel erschienen sie ihm, wie ein Schild, im Nebel des Meeres.
Jetzo kam aus dem Lande der Äthiopen Poseidon,
Und erblickte fern von der Solymer Bergen Odysseus,
Welcher die Wogen befuhr. Da ergrimmt‘ er noch stärker im Geiste,
285
Schüttelte zürnend sein Haupt, und sprach in der Tiefe des Herzens:
Himmel, es haben gewiß die Götter sich über Odysseus
Anders entschlossen, da ich die Äthiopen besuchte!
Siehe da naht er sich schon dem phäakischen Lande, dem großen
Heiligen Ziele der Leiden, die ihm das Schicksal bestimmt hat!
290
Aber ich meine, er soll mir noch Jammer die Fülle bestehen!
Also sprach er, versammelte Wolken, und regte das Meer auf,
Mit dem erhobenen Dreizack; rief itzt allen Orkanen
Aller Enden zu toben, verhüllt‘ in dicke Gewölke
Meer und Erde zugleich; und dem düstern Himmel entsank Nacht.
295
Unter sich stürmten der Ost und der Süd und der sausende Westwind,
Auch der hellfrierende Nord, und wälzte gewaltige Wogen.
Und dem edlen Odysseus erzitterten Herz und Kniee;
Tiefaufseufzend sprach er zu seiner erhabenen Seele:
Weh mir, ich elender Mann! Was werd‘ ich noch endlich erleben!
300
Ach ich fürchte, die Göttin hat lauter Wahrheit geweissagt,
Die mir im wilden Meere, bevor ich zur Heimat gelangte,
Leiden die Fülle verhieß! Da wird nun alles erfüllet!
Ha! wie fürchterlich Zeus den ganzen Himmel in Wolken
Hüllt, und das Meer aufregt! wie sausen die wütenden Stürme
305
Aller Enden daher! Nun ist mein Verderben entschieden!
Dreimal selige Griechen und viermal, die ihr in Trojas
Weitem Gefilde sankt, der Atreiden Ehre verfechtend!
Wär‘ ich doch auch gestorben, und hätte die traurige Laufbahn
An dem Tage vollendet, als mich, im Getümmel der Troer,
310
Eherne Lanzen umflogen, um unsern erschlagnen Achilleus!
Dann wär‘ ich rühmlich bestattet, dann sängen mein Lob die Achaier!
Aber nun ist mein Los, des schmählichen Todes zu sterben!
Also sprach er; da schlug die entsetzliche Woge von oben
Hochherdrohend herab, daß im Wirbel der Floß sich herumriß:
315
Weithin warf ihn der Schwung des erschütterten Floßes, und raubte
Ihm aus den Händen das Steu’r; und mit einmal stürzte der Mastbaum
Krachend hinab vor der Wut der fürchterlich sausenden Windsbraut.
Weithin flog in die Wogen die Stang‘ und das flatternde Segel.
Lange blieb er untergetaucht, und strebte vergebens,
320
Unter der ungestüm rollenden Flut sich empor zu schwingen;
Denn ihn beschwerten die Kleider, die ihm Kalypso geschenket.
Endlich strebt‘ er empor, und spie aus dem Munde das bittre
Wasser des Meers, das strömend von seiner Scheitel herabtroff.
Dennoch vergaß er des Floßes auch selbst in der schrecklichen Angst nicht,
325
Sondern schwung sich ihm nach durch reißende Fluten, ergriff ihn,
Setzte sich wieder hinein, und entfloh dem Todesverhängnis.
Hiehin und dorthin trieben den Floß die Ströme des Meeres.
Also treibt im Herbste der Nord die verdorreten Disteln
Durch die Gefilde dahin; sie entfliehn ineinander gekettet:
330
Also trieben durchs Meer ihn die Winde bald hiehin bald dorthin.
Jetzo stürmte der Süd ihn dem Nordsturm hin zum Verfolgen;
Jetzo sandte der Ost ihn dem brausenden Weste zum Spiele.
Aber Leukothea sah ihn, die schöne Tochter des Kadmos,
Ino, einst ein Mädchen mit heller melodischer Stimme,
335
Nun in den Fluten des Meers der göttlichen Ehre genießend.
Und sie erbarmete sich des umhergeschleuderten Mannes,
Kam wie ein Wasserhuhn empor aus der Tiefe geflogen,
Setzte sich ihm auf den Floß, und sprach mit menschlicher Stimme:
Armer, beleidigtest du den Erderschüttrer Poseidon,
340
Daß er so schrecklich zürnend dir Jammer auf Jammer bereitet?
Doch verderben soll er dich nicht, wie sehr er auch eifre!
Tu nur, was ich dir sage; du scheinst mir nicht unverständig.
Ziehe die Kleider aus, und lasse den Floß in dem Sturme
Treiben; spring in die Flut, und schwimme mit strebenden Händen
345
An der Phäaken Land, allwo dir Rettung bestimmt ist.
Da, umhülle die Brust mit diesem heiligen Schleier,
Und verachte getrost die drohenden Schrecken des Todes.
Aber sobald du das Ufer mit deinen Händen berührest,
Löse den Schleier ab, und wirf ihn ferne vom Ufer
350
In das finstere Meer, mit abgewendetem Antlitz.
Also sprach die Göttin, und gab ihm den heiligen Schleier;
Fuhr dann wieder hinab in die hochaufwallende Woge,
Ähnlich dem Wasserhuhn, und die schwarze Woge verschlang sie.
Und nun sann er umher, der herrliche Dulder Odysseus;
355
Tiefaufseufzend sprach er zu seiner erhabenen Seele:
Weh mir! ich fürchte, mich will der Unsterblichen einer von neuem
Hintergehn, der mir vom Floße zu steigen gebietet!
Aber noch will ich ihm nicht gehorchen; denn eben erblickt‘ ich
Ferne von hinnen das Land, wo jene mir Rettung gelobte.
360
Also will ich es machen, denn dieses scheint mir das Beste!
Weil die Balken noch fest in ihren Banden sich halten,
Bleib‘ ich hier, und erwarte mit duldender Seele mein Schicksal.
Aber wann mir den Floß die Gewalt des Meeres zertrümmert,
Dann will ich schwimmen; ich weiß mir ja doch nicht besser zu raten!
365
Als er solche Gedanken im zweifelnden Herzen bewegte,
Siehe da sandte Poseidon, der Erdumstürmer, ein hohes
Steiles schreckliches Wassergebirg‘; und es stürzt‘ auf ihn nieder.
Und wie der stürmende Wind in die trockene Spreu auf der Tenne
Ungestüm fährt, und im Wirbel sie hiehin und dorthin zerstreuet;
370
Also zerstreute die Flut ihm die Balken. Aber Odysseus
Schwung sich auf einen, und saß, wie auf dem Rosse der Reiter;
Warf die Kleider hinweg, die ihm Kalypso geschenket,
Und umhüllte die Brust mit Inos heiligem Schleier.
Vorwärts sprang er hinab in das Meer, die Hände verbreitet,
375
Und schwamm eilend dahin. Da sah ihn der starke Poseidon,
Schüttelte zürnend sein Haupt, und sprach in der Tiefe des Herzens:
So, durchirre mir jetzo, mit Jammer behäuft, die Gewässer,
Bis du die Menschen erreichst, die Zeus vor allen beseligt!
Aber ich hoffe, du sollst mir dein Leiden nimmer vergessen!
380
Also sprach er, und trieb die Rosse mit fliegender Mähne,
Bis er gern Ägä kam, zu seiner glänzenden Wohnung.
Aber ein Neues ersann Athene, die Tochter Kronions.
Eilend fesselte sie den Lauf der übrigen Winde,
Daß sie alle verstummten, und hin zur Ruhe sich legten;
385
Und ließ stürmen den Nord, und brach vor ihm die Gewässer:
Bis er zu den Phäaken, den ruderliebenden Männern,
Käme, der edle Odysseus, entflohn dem Todesverhängnis.
Schon zween Tage trieb er und zwo entsetzliche Nächte
In dem Getümmel der Wogen, und ahnete stets sein Verderben.
390
Als nun die Morgenröte des dritten Tages emporstieg,
Siehe da ruhte der Wind; von heiterer Bläue des Himmels
Glänzte die stille See. Und nahe sah er das Ufer,
Als er mit forschendem Blick von der steigenden Welle dahinsah.
So erfreulich den Kindern des lieben Vaters Genesung
395
Kommt, der lange schon an brennenden Schmerzen der Krankheit
Niederlag und verging, vom feindlichen Dämon gemartert;
Aber ihn heilen nun zu ihrer Freude die Götter:
So erfreulich war ihm der Anblick des Landes und Waldes.
Und er strebte mit Händen und Füßen, das Land zu erreichen.
400
Aber so weit entfernt, wie die Stimme des Rufenden schallet,
Hört‘ er ein dumpfes Getöse des Meers, das die Felsen bestürmte,
Graunvoll donnerte dort an dem schroffen Gestade die hohe
Fürchterlich strudelnde Brandung, und weithin spritzte der Meerschaum.
Keine Buchten empfingen, noch schirmende Reeden, die Schiffe;
405
Sondern trotzende Felsen und Klippen umstarrten das Ufer.
Und dem edlen Odysseus erzitterten Herz und Kniee;
Tiefaufseufzend sprach er zu seiner erhabenen Seele:
Weh mir! nachdem mich Zeus dies Land ohn‘ alles Vermuten
Sehen ließ, und ich jetzo die stürmenden Wasser durchkämpfet;
410
Öffnet sich nirgends ein Weg aus dem dunkelwogenden Meere!
Zackichte Klippen türmen sich hier, umtobt von der Brandung
Brausenden Strudeln, und dort das glatte Felsengestade!
Und das Meer darunter ist tief; man kann es unmöglich
Mit den Füßen ergründen, um watend ans Land sich zu retten!
415
Wagt‘ ich durchhin zu gehn, unwiderstehliches Schwunges
Schmetterte mich die rollende Flut an die zackichte Klippe!
Schwimm‘ ich aber noch weiter herum, abhängiges Ufer
Irgendwo auszuspähn und sichere Busen des Meeres;
Ach dann fürcht‘ ich, ergreift der Orkan mich von neuem, und schleudert
420
Mich Schwerseufzenden weit in das fischdurchwimmelte Weltmeer!
Oder ein Himmlischer reizt auch ein Ungeheuer des Abgrunds
Wider mich auf, aus den Scharen der furchtbaren Amphitrite!
Denn ich weiß es, mir zürnt der gewaltige Küstenerschüttrer!
Als er solche Gedanken im zweifelnden Herzen bewegte,
425
Warf ihn mit einmal die rollende Wog‘ an das schroffe Gestade.
Jetzo wär‘ ihm geschunden die Haut, die Gebeine zermalmet,
Hätte nicht Pallas Athene zu seiner Seele geredet.
Eilend umfaßte der Held mit beiden Händen die Klippe,
Schmiegte sich keuchend an, bis die rollende Woge vorbei war.
430
Also entging er ihr jetzt. Allein da die Woge zurückkam,
Raffte sie ihn mit Gewalt, und schleudert‘ ihn fern in das Weltmeer.
Also wird der Polyp dem festen Lager entrissen;
Kiesel hängen und Sand an seinen ästigen Gliedern:
Also blieb an dem Fels von den angeklammerten Händen
435
Abgeschunden die Haut; und die rollende Woge verschlang ihn.
Jetzo wäre der Dulder auch wider sein Schicksal gestorben,
Hätt‘ ihn nicht Pallas Athene mit schnellem Verstande gerüstet.
Aber er schwung sich empor aus dem Schwalle der schäumenden Brandung,
Schwamm herum, und sah nach dem Land‘, abhängiges Ufer
440
Irgendwo auszuspähn und sichere Busen des Meeres.
Jetzo hatt‘ er nun endlich die Mündung des herrlichen Stromes
Schwimmend erreicht. Hier fand er bequem zum Landen das Ufer,
Niedrig und felsenleer, und vor denn Winde gesichert.
Und er erkannte den strömenden Gott, und betet‘ im Herzen:
445
Höre mich, Herrscher, wer du auch seist, du Sehnlicherflehter!
Rette mich aus dem Meer vor denn schrecklichen Grimme Poseidons!
Heilig sind ja, ach selbst unsterblichen Göttern, die Menschen,
Welche von Leiden gedrängt um Hilfe flehen! Ich winde
Mich vor deinem Strome, vor deinen Knieen, in Jammer!
450
Herrscher, erbarme dich mein, der deiner Gnade vertrauet!
Also sprach er. Da hemmte der Gott die wallenden Fluten,
Und verbreitete Stille vor ihm, und rettet‘ ihn freundlich
An das seichte Gestade. Da ließ er die Kniee sinken
Und die nervichten Arme; ihn hatten die Wogen entkräftet:
455
Alles war ihm geschwollen, ihm floß das salzige Wasser
Häufig aus Nas‘ und Mund; der Stimme beraubt und des Atems,
Sank er in Ohnmacht hin, erstarrt von der schrecklichen Arbeit.
Als er zu atmen begann, und sein Geist dem Herzen zurückkam,
Löst‘ er ab von der Brust den heiligen Schleier der Göttin,
460
Warf ihn eilend zurück in die salzige Welle des Flusses;
Und ihn führte die Welle den Strom hinunter, und Ino
Nahm ihn mit ihren Händen. Nun stieg der Held aus dem Flusse,
Legte sich nieder auf Binsen, und küßte die fruchtbare Erde;
Tiefaufseufzend sprach er zu seiner erhabenen Seele:
465
Weh mir Armen, was leid‘ ich, was werd‘ ich noch endlich erleben!
Wenn ich die greuliche Nacht an diesem Strome verweilte,
Würde zugleich der starrende Frost und der tauende Nebel
Mich Entkräfteten, noch Ohnmächtigen, gänzlich vertilgen;
Denn kalt wehet der Wind aus dem Strome vor Sonnenaufgang!
470
Aber klimm‘ ich hinan zum waldbeschatteten Hügel,
Unter dem dichten Gesträuche zu schlafen, wenn Frost und Ermattung
Anders gestatten, daß mich der süße Schlummer befalle:
Ach dann werd‘ ich vielleicht den reißenden Tieren zur Beute!
Dieser Gedanke schien dem Zweifelnden endlich der beste,
475
Hinzugehn in den Wald, der den weitumschauenden Hügel
Nah am Wasser bewuchs. Hier grüneten, ihn zu umhüllen,
Zwei verschlungne Gebüsche, ein wilder und fruchtbarer Ölbaum.
Nimmer durchstürmte den Ort die Wut naßhauchender Winde,
Ihn erleuchtete nimmer mit warmen Strahlen die Sonne,
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Selbst der gießende Regen durchdrang ihn nimmer: so dicht war
Sein Gezweige verwebt. Hier kroch der edle Odysseus
Unter, und bettete sich mit seinen Händen ein Lager,
Hoch und breit; denn es deckten so viele Blätter den Boden,
Daß zween Männer darunter und drei sich hätten geborgen
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Gegen den Wintersturm, auch wann er am schrecklichsten tobte.
Freudig sahe das Lager der herrliche Dulder Odysseus,
Legte sich mitten hinein, und häufte die rasselnden Blätter.
Also verbirgt den Brand in grauer Asche der Landmann;
Auf entlegenem Felde, von keinem Nachbar umwohnet,
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Hegt er den Samen des Feuers, um nicht in der Ferne zu zünden:
Also verbarg sich der Held in den Blättern. Aber Athene
Deckt‘ ihm die Augen mit Schlummer, damit sie der schrecklichen Arbeit
Qualen ihm schneller entnähme, die lieben Wimper verschließend.