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64. Nacht

Am andern Morgen sagte die Sultanin bei ihrem Erwachen zu
Dinarsade: „Höre nun, auf welche Weise der dritte Kalender den Faden
seiner wunderbaren Geschichte wieder aufnahm:“

„Ich hatte,“ sagte er, „mich am folgenden
Morgen kaum angekleidet, als die 39 anderen Schönen in mein Gemach kamen, alle
anders geschmückt, als am vorhergegangenen Tage. Sie wünschten mir einen guten
Morgen und erkundigten sich nach meinem Befinden. Hierauf führten sie mich ins
Bad, wo sie mich selbst wuschen, mir wider meinen Willen alle dort nötigen
Dienste leisteten, und mich nach dem heraus steigen ein noch prächtigeres Kleid,
als das erste, anziehen ließen.

Wir brachten fast den ganzen Tag bei der Tafel zu, und als
die Schlafstunde gekommen war, baten sie mich, wieder eine von ihnen zur
Bettgesellschaft zu wählen.

Ich wählte hierauf ein sanftes Wesen mit zarten Hüften,
wie ein Dichter sagt:

Ich erblickte an ihrem Busen zwei fest geschlossene
Knospen, die der Liebende nicht anfassen darf; sie bewacht sie mit den Pfeilen
ihrer Blicke, die sie dem entgegenschleudert, der Gewalt braucht.

Kurz, verehrte Frau, um euch nicht durch Wiederholung
derselben Sache zu langweilen, will ich euch nur sagen, dass ich ein ganzes Jahr
mit den vierzig Schönen zubrachte, und dass, während dieser ganzen Zeit, dies
wollüstige Leben nicht durch den geringsten Verdruss unterbrochen wurde.

Am Ende des Jahres indes, (nichts konnte mich mehr in
Erstaunen setzen) kamen die vierzig Mädchen eines Morgens, statt sich mir mit
ihrer gewöhnlichen Heiterkeit zu zeigen und mich zu fragen, wie ich mich
befände, in Tränen gebadet, in mein Gemach. Sie umarmten mich zärtlich, eine
nach der andern, und sagten zu mir: „Lebt wohl, lieber Prinz, – lebt wohl,
wir müssen euch verlassen.“ Ihre Tränen rührten mich. Ich bat sie, mir
die Ursache ihrer Betrübnis und dieser Trennung, von welcher sie sprächen, zu
sagen. „Im Namen Gottes, meine Schönen,“ fügte ich hinzu,
„belehrt mich, ob es in meiner Macht steht, euch zu trösten, oder ob meine
Hilfe nichts vermag.“ Statt mir bestimmt zu antworten, sagten sie;
„Wollte Gott, dass wir euch nie gesehen und gekannt hätten! Mehrere Ritter
haben uns vor euch die Ehre erzeigt, uns zu besuchen; aber kein einziger hatte
diese Liebenswürdigkeit, diese Sanftmut, diese Fröhlichkeit und diese
Verdienste, die ihr besitzt. Wir wissen nicht, wie wir ohne euch leben
sollen.“ Als sie ausgeredet hatten, fingen sie wieder bitterlich zu weinen
an. „Meine Liebenswürdigen,“ erwiderte ich, „ich bitte euch,
lasst mich nicht länger schmachten: Sagt mir die Ursache eures Schmerzes.“
– „Ach,“ entgegneten sie, „was wäre sonst wohl fähig, uns zu
betrüben, als die Notwendigkeit, uns von euch zu trennen? Vielleicht werden wir
uns niemals wieder sehen! Wenn ihr es jedoch wolltet, und dazu Gewalt über euch
hättet; so wäre es nicht unmöglich, dass wir uns wieder vereinigten.“ –
„Meine Schönen,“ versetzte ich, „ich begreife nichts von dem,
was ihr sagt, und ich bitte euch, deutlicher mit mir zu sprechen.“ –
„Nun,“ sagte die eine von ihnen, „um euch Genüge zu leisten,
sagen wir euch, dass wir alle Prinzessinnen und Königstöchter sind. Wir leben
hier zusammen so angenehm, wie ihr es gesehen habt, aber am Ende jedes Jahres
sind wir verbunden, uns, zur Erfüllung unerlässlicher Pflichten, die wir nicht
offenbaren dürfen, auf vierzig Tage zu entfernen, worauf wir wieder in dieses
Schloss zurückkehren. Gestern endete das Jahr, und wir müssen euch heute
verlassen, das ist die Ursache unserer Betrübnis. Ehe wir abreisen, werden wir
euch alle Schlüssel übergeben, und besonders die zu den hundert Türen, hinter
welchen ihr manches finden werdet, um eure Neugier zu befriedigen und eure
Einsamkeit während unserer Abwesenheit zu versüßen. Aber zu eurem Wohl und
unserem besonderen Vorteil empfehlen wir euch, dass ihr euch hütet, die goldene
Tür zu öffnen. öffnet ihr sie, so werden wir uns niemals wieder sehen, und
diese Befürchtung vermehrt unsern Schmerz. Wir hoffen, dass ihr den Rat, den
wir euch geben, benutzen werden. Es handelt sich um die Ruhe und das Glück
eures Lebens, bedenkt das wohl. Wenn ihr eurer unbedachtsamen Neugier nachgebt,
würdet ihr euch großen Schaden zufügen. Wir beschwören euch demnach, diesen
Fehltritt nicht zu begehen, und uns den Trost zu gewähren, dass wir euch in
vierzig Tagen hier wieder finden. Wir könnten wohl den Schlüssel zu der
goldenen Türe mit uns nehmen; aber es hieße einen Prinzen, wie ihr seid,
beleidigen, wenn man an seiner Behutsamkeit und Zurückhaltung zweifeln
wollte.“

Scheherasade wollte fortfahren; aber sie sah den Tag
anbrechen. Der Sultan, neugierig, zu wissen, was der Kalender nach der Abreise
der vierzig Schönen allein im Schloss machen würde, verschob es bis auf den
andern Tag, sich darüber aufzuklären.