Viertes Kapitel.

Der Domherr der Pfarrgemeinde nahm Macko die Beichte ab und bot ihm und Zbyszko so dringend Nachtherberge bei sich an, daß die beiden erst in der Frühe des folgenden Tages wieder aufbrachen.

Bei Olkusz wandten sie sich der Richtung nach Schlesien zu, an dessen Grenzen sie sich bis nach Großpolen halten mußten.

Auf beiden Seiten des Weges zog sich größtenteils dichter Wald hin, aus dem nach einbrechender Dämmerung häufig das donnerähnliche Gebrüll der Auerochsen und Büffeln erscholl. Des Nachts aber blitzten die Augen von Wölfen aus dem Dickicht hervor.

Eine weit größere Gefahr jedoch, als von den wilden Tieren, drohte dem Wanderer und dem Kaufmann auf dieser Straße von seiten der Räuber, sowie von seiten der Ritter aus Schlesien, deren Burgen sich da und dort an der Grenze erhoben. Wohl waren viele dieser Burgen durch polnische Hände zerstört worden, immerhin mußte man jedoch auf seiner Hut sein und durfte es nie unterlassen, nach Sonnenuntergang Waffen zu tragen.

So unbehelligt fuhren aber jetzt die Reisenden dahin, daß Zbyszko dieser Ruhe überdrüssig wurde, und erst als sie nur noch eine Tagreise von Bogdaniec entfernt waren, vernahmen sie plötzlich in der Nacht Schnauben und Pferdegetrappel hinter sich.

»Was für Leute mögen uns wohl nahe sein?« rief Zbyszko.

Macko, der gerade nicht schlief, schaute zu den Sternen empor und antwortete als erfahrener Mann: »Die Morgendämmerung bricht an, die Nacht geht zur Neige. Räuber werden es daher wohl schwerlich sein, denn vor dem Tageslichte bergen sie sich hinter ihren Mauern.«

Zbyszko ließ nichtsdestoweniger den Wagen anhalten, stellte seine Leute, welche den Ankommenden die Spitze bieten sollten, quer über den Weg und wartete, vor die Front reitend, was da geschehen werde.

Aber erst nach geraumer Zeit unterschied er in der Dämmerung etliche zwanzig Reiter. Einer von ihnen ritt den andern mehrere Schritte voraus. Nichts schien ihm ferner zu liegen, als sich verbergen zu wollen, schmetterte er doch mit kräftiger Stimme ein Lied in die Morgenluft. Zbyszko vermochte zwar nicht die Worte zu verstehen, nur das fröhliche »Juchhe«, das der Unbekannte fast nach jeder Strophe wiederholte, drang deutlich an sein Ohr.

»Einer von den Unsrigen!« sagte er sich. Gleichwohl aber rief er: »Halt!«

»Ruhe! Ruhe!« gebot eine Stimme in scherzhaftem Ton.

»Was seid Ihr für Leute?«

»Wo kommt Ihr denn her?«

»Weshalb folgt Ihr uns nach?«

»Weshalb verstellt Ihr uns den Weg?«

»Antworte, denn die Armbrust ist gespannt.«

»Ich bin gespannt, schießt nur!«

»Gebt eine vernünftige Antwort, sonst kommt Ihr ins Elend.«

Dem Gebot Zbyszkos ward indessen nicht entsprochen, sondern der fröhliche Gesang ertönte:

Ein Elend mit dem andern Elend
Am Scheideweg zum Tanze geht.
Juchhe, Juchhe, Juchhe!
Was taugt für beide der Tanz?
Schön ist’s zu tanzen, wenn auch groß das Elend.
Juchhe, Juchhe, Juchhe!

Staunend lauschte Zbyszko dem Liede, das indessen plötzlich abgebrochen wurde, weil der Sänger die Frage stellte: »Und wie steht es mit dem alten Macko? Lebt er noch?«

Daraufhin erhob sich Macko in dem Wagen, indem er rief: »Dem Herrn sei Dank, das sind von den Unsrigen.«

Zbyszko aber, sein Roß vorwärts treibend, bemerkte: »Wer fragt nach Macko?«

»Euer Nachbar, Zych aus Zgorzelic. Schon acht Tage lang reite ich hinter Euch her und erkundige mich bei allen Leuten, wohin Euere Fahrt geht.«

»Herbei, herbei! Ohm! Zych aus Zgorzelic ist hier!« rief Zbyszko.

Dann begrüßte er freundlich den Ankömmling, denn Zych war in der That ihr Nachbar und dazu ein guter, wegen seines Frohsinns allgemein beliebter Mensch.

»Nun, wie befindet Ihr Euch?« fragte Zych, indem er Macko die Hand schüttelte. »Geht’s noch immer so fröhlich bei Euch zu, oder ist es aus damit?«

»Ach, bei mir ist es mit dem Frohsinn vorbei! Doch sehe ich frohe Menschen gern. Lieber Gott, wenn ich nur erst wieder in Bogdaniec wäre.«

»Was ist’s mit Euch? Ich hörte ja, daß die Deutschen auf Euch geschossen haben?«

»Sie schossen auf mich. Das Eisen steckt mir noch zwischen den Rippen.«

»Gerechter Gott! Was läßt sich da thun? Habt Ihr noch nicht versucht, Bärenfett zu trinken?«

»Ihr seht, daß jeder zu Bärenfett rät,« rief Zbyszko. »Laßt uns nur erst in Bogdaniec sein. Dann werde ich des Nachts an die Bienenstöcke gehen.«

»Vielleicht wird Jagienka Bärenfett haben, und ist dies nicht der Fall, so werde ich anderswo darnach fragen lassen.«

»Wer ist Jagienka, die Eurige hieß doch Malgochna?« fragte Macko.

»Ach, Malgochna! Am heiligen Michael wird es drei Herbste, daß Malgochna in der Erde ruht. Sie war ein kraftstrotzendes Weib. Der Herr sei ihrer Seele gnädig. Jagienka ist an ihre Stelle getreten, trotzdem sie noch sehr jung ist.

Ueber dem Grabe erhebt sich ein Hügel,
So wie die Mutter, so ist auch die Tochter.
Juchhe, Juchhe, Juchhe.

Zu Malgochna sprach ich: ›Klettere nicht auf die Tanne, da Du fünfzig Jahre alt bist‹. Sie hörte nicht und kletterte hinauf. Mit einem Male brach der Ast und dann gab es einen Krach. Ich sage Euch, sie grub sich ganz in die Erde ein, und nach drei Tagen that sie den letzten Atemzug.«

»Der Herr sei ihr gnädig,« sagte Macko. »Wenn ich denke, wenn ich denke, wie sich die Burschen verkriechen mußten, wenn sie die Hände in die Seite stemmte. Und was für eine gute Wirtschafterin sie war! Also von einer Tanne stürzte sie herab? Nein, seht mir nur!«

»Wie ein Tannenzapfen fiel sie zur Erde. Ach, das war ein Kummer. Denkt nur, nach dem Begräbnis habe ich mich vor Kummer so betrunken, daß man drei Tage hindurch mich nicht wecken konnte. Man glaubte, ich werde auch alle viere von mir strecken, und später habe ich so geweint, daß meine Thränen einen Eimer gefüllt hätten. Zur Wirtschaft ist indessen Jagienka auch befähigt. Sie muß mit allem allein fertig werden.«

»Ich erinnere mich ihrer kaum. Sie war nicht größer, als ich fortzog, als eine Streitaxt und konnte unter einem Pferde hindurchgehen, ohne an dessen Bauch zu stoßen. Bah, das ist schon lange her, jetzt muß sie ausgewachsen sein.«

»Am Tag der heiligen Agnes wurde sie fünfzehn Jahre. Fast ein Jahr habe ich sie nicht mehr gesehen.«

»Und was habt Ihr getrieben? Woher kommt Ihr?«

»Aus dem Kriege. Glaubt Ihr, daß ich gern fortgezogen bin, da Jagienka doch allein zurückgeblieben ist?«

Trotzdem sich Macko recht krank fühlte, horchte er doch neugierig auf, als vom Kriege die Rede war und fragte: »Wart Ihr vielleicht mit dem Fürsten Witold bei Worskla?«

»Ja, ich bin mit ihm gewesen,« erwiderte fröhlich Zych aus Zgorzelic. »Nun, unser Herrgott zeigte sich ihm nicht gnädig, wir erlitten durch Edyga eine entsetzliche Niederlage. Die Tataren kämpfen nicht im Handgemenge, wie dies jeder christliche Ritter thut, sondern sie schießen Dich aus der Ferne in den Hals. Da könnt Ihr machen, was Ihr wollt! Doch hört nur! In unserm Heere prahlten die Ritter maßlos und sprachen also: ›Wir werden weder die Lanzen werfen, noch die Schwerter aus der Scheide ziehen, denn nur Gewürm wird vor uns herkriechen‹, so prahlten sie, aber dann, als es galt, das Eisen schwirren zu lassen, da rächte sich dies schwer – denn wie stand es nach dem Scharmützel? Kaum einer von zehn blieb am Leben. Wollt Ihr dies glauben? Mehr als die Hälfte der Krieger, siebzig litauische und russische Fürsten blieben auf dem Felde, ganz abgesehen von den Bojaren und den verschiedenen Edelleuten; kurz, zwei Wochen reichten kaum hin, um die gefallenen Mannen zu zählen.«

»Das hörte ich,« fiel hier Macko ein. »Und unseren Hilfstruppen lähmten die Ritter auch die Kraft?«

»Bah, sogar auch den neun Kreuzrittern, denn auch die mußten dem mächtigen Witold dienen. Und die Unsrigen tragen die Schuld, denn die, das wißt Ihr ja, sind da nicht vorsichtig, wo alle andern vorsichtig sind. Der Großfürst vertraute zu sehr unseren Rittern und wollte keine andere Wache um sich wie allein die Polen. Ha! ha! Die Schutzwehr um ihn ist gefallen, ihm selbst geschah nichts. Es fielen der Herr Spytko aus Mielsztyn, der Schwertträger Bernat, der Mundschenk Mikolaj, und Prokop, Przelaw, Dobrogost, Jasko aus Lazewice, Pilik Mazur, Warsz aus Michowo, der Wojwode Socha, Jasko aus Dabrewa, Pietrko aus Milaslaw, Syzzepiecki, Oderski und Famko Lagoda. Wer könnte die alle zählen! Und manche von ihnen waren mit solch zahllosen Eisenspitzen gespickt, daß sie nach dem Tode Igel glichen und man lachen mußte, wenn man sie anschaute.«

Und hier brach er in der That nicht nur in ein Lachen aus, als ob er die heiterste Geschichte erzählte – sondern er hub auch plötzlich wieder zu singen an:

»Ah, dann weißt du, was ein Tatar ist,
Wenn er die Haut dir tüchtig zerfetzt hat …«

»Und weiter, was geschah dann?« fragte Zbyszko.

»Dann wich der Großfürst zurück, aber seine Willenskraft erstarkte, wie das bei ihm gewöhnlich der Fall ist. Je größer die Bedrängnis wird, desto rascher schnellt er, wie die Haselnußstaude, wieder empor. In einem Satz befanden wir uns an der Furt beim Tawan, um sie zu schützen. Zu uns stieß hierauf noch eine Handvoll neuer Ritter aus Polen. Nun, das schadete nichts, das war ganz gut. Des andern Tages aber kam Edyga mit einem Haufen angerückt. Hei, jetzt ging’s lustig zu! Er will über den Fluß, wir aber geben ihm eins auf das Maul. Da konnte er viel ausrichten! Wir versetzten ihm tüchtige Hiebe und fingen nicht wenig Tataren. Ich selbst nahm fünf Gefangene, die ich jetzt mit nach Zgorzelic führe. Am Tage könnt Ihr wahrnehmen, welche Hundsschnauzen sie haben.«

»In Krakau war die Meinung verbreitet, der Krieg werde sich in das Königreich ziehen.«

»Da müßte Edyga thöricht sein. Er wußte es genau, was er von unsern Rittern zu halten habe, er wußte aber ebensowohl, daß die tapfersten Ritter zu Hause geblieben sind, weil der König es nicht gerne gesehen hat, daß Witold den Krieg auf eigene Faust unternahm. Ei, er ist klug – der alte Edyga! Beim Tawan merkte er sofort, daß die Streitmacht des Fürsten sich vergrößert hatte, und er schlug sich durch und zog sich bis ans Ende der Welt zurück.«

»Und Ihr kehrtet heim?«

»Ich kehrte heim, denn dort giebt es nichts mehr zu thun. In Krakau aber ließ ich mir sagen, daß Ihr nur einen kurzen Vorsprung vor mir gewonnen hättet.«

»Woher wußtet Ihr aber, daß wir es seien?«

»Das wußte ich bestimmt, hielt ich doch an allen Fütterungsplätzen Nachfrage. Hei,« fuhr er fort, sich zu Zbyszko wendend, »hei, mein Gott, wie warst Du noch klein, als ich das letzte Mal Dich sah, und jetzt bist Du, so viel ich wenigstens in der Dunkelheit bemerke, ein wahrer Auerochs. Du verstehst es gewiß längst die Armbrust zu spannen … An Kriegsläufte scheinst Du gewohnt zu sein.«

»Von klein auf wurde ich zum Kriege erzogen. Der Ohm soll Euch sagen, ob es mir an Erfahrung gebricht.«

»Das brauche ich mir nicht erst von dem Ohm bestätigen zu lassen. Ich habe in Krakau den Herrn aus Taczew gesprochen, der mir von Dir erzählte. Vielleicht will Dir aber jener Masur die Maid nicht geben, und ich wäre nicht so sehr darauf erpicht, denn mir will scheinen … Ja, Du vergißt jener Maid, wenn Du nur ein einziges Mal meine Jagienka siehst. Dann wird es Dir gar nicht schwer fallen.«

»Ihr täuscht Euch! Selbst wenn ich zehn solcher wie Euere Jagienka sehen sollte, vergesse ich das Mädchen nicht.«

»Sie hat die Anwartschaft auf Maczydoly, wo eine Mühle ist, und als ich wegging, grasten auf den Wiesen zehn gute Stuten mit Hengsten. Mehr als ein Ritter wird sich wegen Jagienka vor mir neigen. Das kannst Du mir glauben.«

Zbyszko wollte antworten: »Ich aber thue es nicht,« allein Zych aus Zgorzelic hub aufs neue zu singen an:

»Die Kniee will ich vor euch beugen,
Auf daß sie, Jagna, mein wird.«

»Euch steht der Sinn doch stets nach Scherz und Gesang!« bemerkte Macko.

»Traun, was glaubt Ihr, daß die seligen Geister im Himmel thun?«

»Sie singen!«

»Also, da seht Ihr. Die Verdammten aber vergießen Thränen. Ich ziehe es indessen vor, mich zu den Singenden und nicht zu den Weinenden zu halten. Der heilige Petrus aber wird einst folgendermaßen sprechen: ›Wir müssen ihn in das Paradies eingehen lassen, denn er ist nicht im Zaume zu halten und würde in der Hölle singen. Das schickt sich aber nicht.‹ Doch schaut, der Tag bricht an.«

Es tagte in der That. Schon nach wenigen Minuten wurde es in der weiten Ebene, auf der sie dahinzogen, völlig hell. Auf dem kleinen, inmitten der Ebene liegenden See waren etliche Leute mit dem Fischfange beschäftigt. Sobald sie indessen die bewaffneten Mannen erblickten, warfen sie ihr Geräte weg, sprangen aus dem Wasser, nahmen Hacken und Stangen zur Hand und stellten sich, zum Kampfe bereit, in drohender Stellung auf.

»Sie halten uns wohl für Räuber!« rief Zych lachend. »Heda, Ihr Fischer, wem seid Ihr unterthan?«

»Dem geistlichen Abte aus Tuleza.«

»Unserem Blutsverwandten,« rief Macko, »Ihm, dem Bogdaniec verpfändet ist. Das müssen also seine Wälder sein, die er vor Turzam gekauft haben soll.«

»Ach, was gekauft!« versetzte Zych. »Er kämpfte darum mit Wilk aus Brzezowa, und zweifellos war er siegreich. Es ist jetzt ein Jahr her, daß sie sich dieses Gefildes wegen, beritten, mit Lanze und langem Schwerte ausgerüstet, treffen wollten. Wie der Kampf endigte, weiß ich nicht, denn ich war abwesend.«

»Nun, wir sind Heimatsgenossen, der Abt und wir, er wird sich durch uns nicht bereichern wollen, vielleicht läßt er sogar etwas an der Schuld nach.«

»Vielleicht. Nur keinen Streit mit ihm. Dann wird er sich freigebig erweisen. Er ist ein ritterlicher Kämpe, dieser Abt, für ihn ist es nichts Neues, das Haupt mit dem Helm zu bedecken. Und dazu ist er gottesfürchtig, und sehr schön hält er die Andachten ab. Ihr müßt Euch doch erinnern … dermaßen singt er bei der Messe, daß davon die Schwalben aus ihren Nestern unterm Dache aufgescheucht werden. Nun, den Ruhm Gottes verbreitet er dadurch.«

»Weshalb sollte ich mich nicht erinnern! Selbst wenn er noch zehn Schritte vom Altar entfernt steht, kann er die Lichter ausblasen. – War er inzwischen einmal in Bogdaniec?«

»Gewiß. Er ist dort gewesen. Fünf neue Bauern mit den Frauen siedelte er in den ausgerodeten Wälder an. Und bei uns, in Zgorzelic, ist er auch gewesen, denn er taufte Jagienka. Gar häufig besucht er sie und nennt sie nicht anders wie Töchterchen.«

»Gebe Gott, daß er mir die Bauern überlasse!« rief Macko.

»Traun, was liegt einem solch ungeheuer Reichen an fünf Bauern, und wenn auch noch Jagienka ihn darum bittet, wird er es sicherlich thun.«

Das Gespräch verstummte nun auf einige Augenblicke, denn die Morgenröte wurde lichter und lichter, bis plötzlich hinter den dunkeln Wäldern so strahlend die Sonne emporstieg, daß alles rings umher in ihrem Lichte erglänzte. »Gelobt sei Jesus Christus!« lautete der Gruß der Ritter, die, sich bekreuzend, das Morgengebet sprachen.

Zych kam früher als die andern damit zu Ende. Er schlug sich mehrere Male auf die Brust und wandte sich dann folgendermaßen zu den Gefährten: »Nun kann ich Euch doch gut sehen. Ei, wie habt Ihr Euch verändert … Ihr, Macko, müßt vor allem erst wieder gesunden … Jagienka wird für Euch sorgen, denn auf Eurem Gehöfte fehlt es an pflegekundigen Frauenhänden. Schau, schau, daß Euch aber auch ein solches Ding zwischen den Rippen stecken muß … Das läßt sich schwer heilen. So, nun laß Dich anschauen!« wandte er sich hierauf zu Zbyszko. »Herr, Du mein Gott! Dich habe ich als ein winziges Kerlchen in der Erinnerung, das am Pelzzipfel dem Holzhauer auf den Rücken kletterte, und nun, traun, was für ein Ritter bist Du geworden! Vom Kopf bis zu den Füßen ein ganzes Herrlein, aber dabei ein breitschultriger Bursche … So einer, wie Du, kann’s mit jedem Bären aufnehmen.«

»Ach was, mit einem Bären!« rief jetzt Macko. »Viel jünger war er noch, als ihn ein Friese ›Milchbart‹ nannte; dies gefiel ihm aber ganz und gar nicht, und ohne weiteres riß er jenem mit der Hand alle Barthaare aus, so …«

»Ich weiß es,« unterbrach Zych den Sprechenden. »Es ist zwischen Euch zum Kampfe gekommen, und Ihr habt es Euerm Feinde schon heimgezahlt. Das alles hat mir der Herr aus Taczew berichtet:

Einen großen Gewinn trug der Friese davon,
Man begräbt ihn mit leerer Tasche.
Juchhe, Juchhe!«

Während des Gesanges ruhten seine Augen voll Bewunderung auf Zbyszko, der wieder seinerseits die große, kräftige Gestalt Zychs, dessen hageres Gesicht mit der ungeheuern Nase und den runden lachenden Augen neugierig musterte.

»Oh,« erklärte der junge Ritter endlich, »mit einem solchen Nachbarn kann es uns nicht schlimm ergehen, wofern Gott meinen Ohm gesunden läßt.«

»Am besten versteht man sich mit einem frohen Nachbarn, denn Frohsinn läßt keinen Hader aufkommen,« rief Zych. »Jetzt aber hört, was ich Euch als guter Christ sage. Gar lange seid Ihr nicht mehr in Eurer Heimat gewesen, wie werdet Ihr daher Bogdaniec finden? Ich rede jetzt nicht von der Bewirtschaftung – denn der Abt versteht zu wirtschaften … Ein ganzes Stückchen Wald ließ er ausroden und siedelte neue Bauern an. Aber da er fast immer abwesend ist, steht die Speisekammer sicherlich leer, und im Hause wird es, traun, ebenso an Geräten fehlen, wie an Strohbündeln zum Schlafen – ein Kranker bedarf aber der Fürsorge. Deshalb, wißt Ihr was? Begebt Euch mit mir nach Zgorzelic. Mir liegt daran, daß Ihr einen, daß Ihr zwei Monate bleibt, und während dieser Zeit kann Jagienka an Bogdaniec denken. Beratet Euch nur mit ihr, dann wird Euch der Kopf nicht schmerzen. Zbyszko soll sich der Bewirtschaftung annehmen, den geistlichen Abt aber bringe ich zu Euch nach Zgorzelic, damit Ihr sofort mit ihm ins reine kommt … Eurer, Macko, wird das Mädchen wie eines Vaters warten, für Kranke ist weibliche Pflege besser als jede andere. Nun, zu was entschließt ihr Euch? Erfüllt meine Bitte!«

»Es ist eine bekannte Sache, welch guter Mensch Ihr seid, wie gut Ihr stets wart,« entgegnete Macko, sichtlich gerührt, »aber seht Ihr, wenn ich denn doch durch diese verdammte Eisenspitze sterben muß, die mir zwischen den Rippen steckt, so möchte ich das auf meinem eigenen Grund und Boden. Denn, wenn man auch krank ist, kann man sich doch um manches kümmern, nach manchem fragen und manches erledigen. Wen der Herr ins Jenseits beruft, dem ist nicht mehr zu helfen. Ob ihm nun gute Pflege, ob ihm geringe Pflege zu teil wird, er muß dem Rufe folgen. An Beschwerden sind wir durch den Krieg gewöhnt. Selbst ein Erbsenbündel ist dem angenehm, der einige Jahre auf der nackten Erde schlief. Doch für Eure Güte danke ich Euch von Herzen, und so ich Euch nicht mehr dafür lohnen kann, wird Euch Zbyszko mit Gottes Hülfe dafür lohnen.«

Zych aus Zgorzelic, welcher thatsächlich wegen seiner Güte und seiner Hilfsbereitschaft weithin bekannt war, hörte jedoch nicht auf, den Verwundeten mit Bitten zu bestürmen. Macko aber blieb fest und erklärte stets von neuem, er wolle auf seinem eigenen Gehöfte sterben, wenn er denn doch aus dieser Welt scheiden müsse. Lange Jahre hindurch sei es ihm nicht vergönnt gewesen, Bogdaniec wieder zu sehen, jetzt aber seien sie nicht mehr weit davon entfernt, nichts könne ihn daher zurückhalten, wenn schon er vielleicht nur seine letzte Nacht daselbst zubringen werde. Gott, der Herr, sei gnädig, er gewähre ihm vielleicht seinen Wunsch, auf heimatlicher Erde die Augen zu schließen.

Bei diesen Worten trocknete er die Thränen, welche über seine Wangen flossen, dann schaute er umher und fügte hinzu: »Wenn dies die Wälder des Wilk aus Brzozowa sind, dann erreichen wir schon gegen Mittag die Heimat.«

Die Kreuzritter

… auf dem flinken Renner sprengte ein Mädchen auf ihn zu, das wie ein Mann zu Pferde saß, die Armbrust in der Hand hielt, den Jagdspeer über die Schultern trug.

»Des Wilk aus Brzozowa! Die Wälder sind ja gegenwärtig im Besitze des Abtes,« warf Zych ein.

Daraufhin flog ein Lächeln über das Antlitz des kranken Macko, und er bemerkte nach kurzem Sinnen: »Wenn sie der Abt im Besitze hat, dann werden sie vielleicht dermaleinst uns gehören.«

»Ei, ei, vor wenigen Minuten sprach er vom Tode,« rief Zych fröhlich, »und jetzt hofft er auf einmal vom Abte die Wälder zu erhalten.«

»Nicht für mich hoffe ich das, sondern für Zbyszko.«

Zych wollte antworten, doch er hielt plötzlich inne. Ein Hornsignal tönte aus dem Walde wie aus weiter Ferne zu ihnen herüber. Alle lauschten gespannt.

»Wer mag hier jagen?« rief Zych. »Seien wir auf unserer Hut.«

»Vielleicht der Abt. Sehr willkommen wäre es mir, wenn wir mit ihm zusammentreffen würden.«

»Verhaltet Euch still!« wandte sich nun Zych zu dem Gefolge. »Bewegt Euch nicht von der Stelle.«

Diesem Befehle wurde sofort Folge geleistet. Näher und näher klang das Hornsignal, und jetzt, mit einem Male hörte man Hundegebell.

»Ruhig gestanden!« wiederholte Zych. »Sie kommen –«

Zbyszko schwang sich inzwischen vom Pferde, indem er rief: »Reicht mir die Armbrust! Möglicherweise wird ein wildes Tier auf uns gejagt. Rasch, rasch!«

Schnell riß er einem Knechte die Armbrust aus der Hand, stützte sie auf die Erde, stemmte sich mit dem Bauche dagegen, beugte sich vor, drückte den Bügel zum Bogen zusammen, packte mit den Fingern beider Hände die Sehne, spannte sie wie der Blitz auf den eisernen Schneller, legte den Pfeil auf und hielt die Waffe vor sich, gegen den Wald gerichtet.

»Er hat sie gespannt! Ohne Kurbel hat er sie gespannt!« flüsterte Zych, von Staunen über diese unvergleichliche Kraft ergriffen.

»Hoho! Das ist ein Riesenbursche!« murmelte Macko voll Stolz.

Mittlerweile kam das Hornsignal und das Hundegekläffe immer näher. Auf der rechten Seite des Waldes wurde schweres Stampfen, das Krachen von Aesten und Sträuchern hörbar, bis plötzlich aus dem Dickicht, wie ein Sturmwind, ein alter zottiger Auerochse hervorbrach, den ungeheuren Kopf tief gesenkt, mit blutunterlaufenen Augen und weit heraushängender Zunge, Schrecken erregend, furchtbar anzuschauen. Das Gehölze auf der andern Seite der Straße zu erreichen suchend, setzte das Tier zum Sprunge an, fiel dabei auf die Vorderfüße, erhob sich jedoch rasch wieder und wollte gerade in das gegenüberliegende Dickicht eindringen, da schwirrte plötzlich, Unglück verheißend, die Sehne einer Armbrust, ein Pfeil sauste durch die Luft, der Auerochse bäumte sich wild auf, zuckte zusammen und stürzte, laut brüllend, wie von einem Blitzstrahle getroffen, zur Erde.

Zbyszko bewaffnete sich mit der Lanze und spannte aufs neue die Armbrust, dann näherte er sich, zum Schusse bereit, dem sich umherwälzenden Tiere, das mit seinen zottigen Beinen die Erde ringsum aufgewühlt hatte.

Nach einem kurzen Blick auf den Auerochsen wandte er sich zu dem Gefolge und rief ihm zu: »Das hat genügt, um ihm den Garaus zu machen.«

»Du bist aber einer!« ließ sich jetzt Zych vernehmen, indem er sich Zbyszko näherte, »ein einziger Schuß genügte?«

»Bah, das Tier kam ja ganz nahe, und so hat der Schuß eine furchtbare Wirkung gethan. Schaut nur her, nicht nur die Spitze, sondern der halbe Pfeil ist in die Schaufel eingedrungen.«

»Die Jäger müssen ganz in der Nähe sein; sicherlich nehmen sie das Tier für sich in Anspruch.«

»Ich gebe es ihnen nicht!« entgegnete Zbyszko. »Es ist auf der Heerstraße erlegt, und die Straße ist keines Herrn.«

»Wenn jedoch der Abt jagen sollte?«

»Selbst wenn es der Abt ist, darf er mir meine Beute nicht nehmen.«

Mittlerweile stürzte eine Meute Hunde aus dem Walde, die sich zuerst auf das Tier warfen, sich aber dann sofort unter einander zu bekriegen begannen.

»Jetzt werden auch die Jäger kommen!« rief Zych. »Oh, schaut nur! Einer von ihnen sprengt den anderen weit voran, doch sie sehen das Tier nicht. Hopp, hopp, hierher, hierher! Hier liegt es, hier!«

Mit einem Male verstummte er jedoch, bedeckte die Augen mit der Hand und bemerkte nach kurzem Schweigen: »Gerechter Gott, was ist das? Bin ich geblendet, weil mich dünkt …«

»Der auf dem Rappen« – warf Zbyszko rasch ein.

Doch Zych rief plötzlich: »Beim Herrn Jesus! Jawohl, das ist Jagienka!«

Und sofort begann er zu rufen: »Jagna! Jagna!«

Dann sprang er vorwärts, doch Zbyszko, der wie rasend dahinflog, überholte ihn, und seinen Augen bot sich der merkwürdigste Anblick in der Welt: auf dem flinken Renner sprengte ein Mädchen auf ihn zu, das wie ein Mann zu Pferde saß, die Armbrust in der Hand hielt, den Jagdspeer über den Schultern trug. Die von dem wilden Ritte aufgelösten Haare umfluteten einen schlanken Hals und ein Gesicht, das an Farbe mit der Morgenröte wetteiferte. Als die Reiterin den jungen Ritter erreicht hatte, hielt sie das Roß an, und während eines Augenblickes spiegelte sich aus ihrem Antlitz wechselsweise Zweifel, Staunen, Freude – schließlich jedoch schien sie Augen und Ohren Glauben zu schenken, denn sie rief mit einer zarten, fast noch kindlichen Stimme: »Vater, geliebtes Väterchen!«

Blitzschnell glitt sie vom Pferde, und als auch Zych zur Begrüßung abstieg, warf sie sich an seinen Hals. Geraume Zeit hindurch hörte Zbyszko nur Küsse und die beiden Worte: »Väterchen! Jagula! Väterchen! Jagula!« in freudigem Entzücken wiederholen.

Von beiden Seiten näherte sich das Gefolge. Macko fuhr in seinem Wagen herbei, und noch immer ertönten die Rufe: »Väterchen! Jagula!« und noch immer lagen sich Vater und Tochter in den Armen. Erst nach geraumer Zeit machte sich Jagienka frei und fragte: »So seid Ihr aus dem Kriege zurückgekehrt? Seid Ihr auch gesund geblieben?«

»Aus dem Kriege komme ich zurück. Meine Gesundheit blieb ungeschädigt. Doch wie steht’s mit Dir, wie steht’s mit den jüngeren Bürschlein? Ich denke, daß sie wohl sind, wie? Denn sonst würdest Du doch nicht im Walde umher schweifen. Was thust Du übrigens hier, liebstes Mägdlein?«

»Das seht Ihr doch. Ich jage,« antwortete lächelnd Jagienka.

»In fremden Wäldern?«

»Der Abt gab mir die Erlaubnis. Er schickte mir sogar zu dem Behufe Knechte und Hunde.«

Hier wendete sie sich an ihre Leute. »Scheucht die Hunde hinweg,« befahl sie, »denn sie verderben das Fell. O, wie froh, wie froh bin ich, daß ich Euch wiedersehe,« beteuerte sie hierauf dem Vater von neuem. »Bei uns ist alles wohlauf.«

»Und bin ich vielleicht nicht froh?« antwortete Zych. »Reich mir Dein Mäulchen.«

Und abermals küßten sie sich, als ob dies kein Ende nehmen wolle.

»Wir legten einen beschwerlichen Weg zurück, um diese Bestie zu erjagen. Abgesehen davon, daß zwei der Jägersleute stürzten, waren auch die Pferde ganz erschöpft. Das ist aber auch ein mächtiger Auerochse, seht nur! Drei Pfeile habe ich auf ihn abgeschossen, dem dritten erlag er.«

»Der letzte Pfeilschuß tötete ihn. Der Pfeil kam aber nicht von Dir. Dieser Ritter hier schoß ihn ab.«

Jagienka strich die Haare zurück, die ihr über die Augen fielen, und schaute scheu und nicht allzu wohlwollend auf Zbyszko.

»Weißt Du, wer das ist?« fragte Zych.

»Nein, das weiß ich nicht.«

»Ich glaube es, daß Du ihn nicht kennst. Wie ist er auch gewachsen. Aber vielleicht erinnerst Du Dich des alten Macko aus Bogdaniec?«

»Bei Gott, das ist Macko aus Bogdaniec!« rief Jagienka.

Unverweilt eilte sie auf den Wagen zu und küßte Macko die Hände. »So seid Ihr es wirklich?«

»Ich bin es, und im Wagen muß ich fahren, weil ich von den Deutschen verwundet worden bin!«

»Wieso von den Deutschen? Das geschah doch gewiß in dem Kriege mit den Tataren. Ich weiß davon, denn mehr als einmal habe ich den Vater gebeten, mich mit sich zu nehmen.«

»Wohl zog er gegen die Tataren aus, aber wir waren nicht dabei, wir gingen mit den Litauern in den Krieg, sowohl ich wie Zbyszko.«

»Wo ist aber jetzt Zbyszko?«

»Siehst Du denn nicht, daß dies Zbyszko ist?« bemerkte Macko lächelnd.

»Das ist Zbyszko?« rief das Mädchen, den jungen Ritter aufs neue anschauend.

»Freilich!«

»Gieb ihm zur Begrüßung einen Kuß!« meinte Zych fröhlich.

Jagienka wandte sich lebhaft zu Zbyszko, plötzlich aber fuhr sie zurück und erklärte, die Augen mit den Händen bedeckend: »Nein, das will ich nicht!«

»Wir kennen uns doch von klein auf!« ließ sich Zbyszko vernehmen.

»Ach ja, wir kennen uns gut. Ich erinnere mich wohl, ich erinnere mich! Vor acht Jahren ungefähr, da kamt Ihr mit Macko zu uns, und das verstorbene Mütterlein setzte uns Nüsse mit Honig vor. Kaum waren aber die Alten aus der Stube, da hieltet Ihr mir die Faust unter die Nase, die Nüsse aber verspeistet Ihr allein.«

»Das würde er jetzt nicht mehr thun!« rief Macko. »Bei dem Fürsten Witold ist er gewesen, im Schlosse in Krakau war er, die höfischen Sitten kennt er jetzt.«

Aber Jagienka schien etwas anderes durch den Kopf zu gehen, denn, sich zu Zbyszko wendend, fragte sie: »Ihr habt also den Auerochsen getötet?«

»Ja.«

»Ich möchte doch sehen, wo die Spitze steckt.«

»Ihr könnt das nicht sehen, denn der Pfeil steckt fast vollständig unter der Schaufel.«

»Beruhige Dich, er spricht die Wahrheit!« ergriff Zych das Wort. »Wir alle sahen es, daß er das Tier tötete, ich aber habe noch etwas ganz anderes wahrgenommen. Ich war Zeuge, wie er in einem Nu die Armbrust ohne Kurbel spannte.«

Zum drittenmale blickte Jagienka auf Zbyszko, diesmal jedoch voll Bewunderung.

»Ihr spanntet die Armbrust ohne Kurbel?« fragte sie.

Zbyszko bemerkte sofort an dem Ton ihrer Stimme, daß sie ihm mißtraute. Er stemmte daher sofort die Armbrust abermals zur Erde, spannte sie in einem Nu so stark, daß der Bogen krachte, und ließ sich dann, wohl zum Beweise, wie gut er höfische Sitte kenne, auf ein Knie nieder, um der Maid die Armbrust zu überreichen.

Statt die Waffe entgegenzunehmen, errötete indessen Jagienka, ohne zu wissen weshalb, und nestelte an dem Kleide, das sich während des tollen Rittes im Walde verschoben hatte.

Zweites Kapitel.

Jurands Ankunft setzte die Fürstin Anna nicht in Erstaunen, weil es häufig vorkam, daß ihn während seiner kriegerischen Unternehmungen, seiner Kämpfe mit den benachbarten deutschen Rittern plötzlich eine tiefe Sehnsucht nach Danusia überkam. Dann erschien er ganz unerwartet entweder in Warschau oder in Ciechanow oder an irgend einem anderen Orte, wo sich der Hof des Fürsten Janusz gerade befand. Wehmütige Empfindungen schwellten stets sein Herz beim Anblick seines Kindes. Ward doch Danusia mit der Zeit ihrer Mutter so ähnlich, daß er jedesmal glaubte, die Verstorbene vor sich zu sehen, wie er sie einst bei der Fürstin Anna in Warschau kennen gelernt hatte. Dann konnte man zuweilen glauben, sein starres Herz, das sich sonst nur rachsüchtigen Empfindungen hingab, müsse brechen vor Leid. Gar oft redete ihm die Fürstin zu, seine Burg zu verlassen, an deren Mauern das Blut unzähliger Erschlagenen klebte, und am Hofe bei Danusia zu bleiben.

Der Fürst selbst, welcher Jurands Mut und Bedeutung wohl zu schätzen wußte, sich aber andererseits auch von der Sorge befreien wollte, welche ihm durch die fortwährenden Zusammenstöße an der Grenze bereitet wurde, bot ihm das Amt eines Schwertträgers an. Doch umsonst. Gerade der Anblick Danusias riß die alte Wunde von neuem auf. Schon nach wenigen Tagen verlor Jurand stets die Lust am Essen, der Schlaf floh ihn, und er vermied jedes Gespräch. Alles in ihm schien sich zu empören, sein Blut geriet in Wallung, schließlich verschwand er vom Hofe und kehrte in sein sumpfiges Spychow zurück, um Leid und Groll wieder in Blut zu ersäufen. Dann pflegten die Leute zu sagen: »Wehe den Deutschen! Es sind keine Lämmer, aber Jurand stürzt sich auf sie wie der Wolf auf die Lämmer.«

Nach Ablauf einer gewissen Zeit verbreitete sich in der That häufig die Kunde von der Gefangennahme der freiwilligen ausländischen Krieger, welche sich an der Grenze bei den Kreuzrittern angesammelt hatten, und man hörte von verbrannten Schlössern, von aufgegriffenen Bauern und von Zweikämpfen auf Leben und Tod, aus welchen der schreckliche Jurand immer als Sieger hervorging. Bei der ungezügelten Natur der Masuren und der deutschen Ritter, denen von seiten des Ordens das an Masovien grenzende Land samt den Burgen verliehen worden war, hörten auch dann, wenn die masovischen Fürsten scheinbar Frieden mit dem Orden geschlossen hatten, die Kämpfe niemals ganz auf. Selbst um die Bäume im Walde zu fällen oder die Saat zu ernten, zogen die Bewohner mit Armbrust und Speer bewaffnet aus. Die Leute lebten in beständiger Sorge um den kommenden Tag, sie mußten fortwährend zum Kampfe bereit sein, denn überall zeigte sich Härte und Grausamkeit. Niemand begnügte sich damit, sich selbst zu schützen, zu verteidigen, sondern man vergalt Raub mit Raub, Brandstiftung mit Brandstiftung, feindliche Ueberfälle mit Ueberfällen. Gar oft, wenn die Deutschen behutsam am Waldessaum dahinschlichen, um irgend eine Burg zu überrumpeln, um die Bauern und das Vieh fortzuführen, thaten die Masuren zur gleichen Zeit das Gleiche. Häufig trafen sie zusammen und schlugen solange auf einander, bis sie kampfunfähig waren, oftmals forderten sich auch nur die Anführer zum Kampfe auf Leben und Tod heraus, und dann ward der Sieger unumschränkter Herrscher über das Gefolge des Besiegten. An den Warschauer Hof gelangten denn auch viele Klagen über Jurand, der Fürst hingegen beklagte sich über die häufigen Einfälle der deutschen Ritter in fremde Gebiete. Da nun von beiden Seiten Gerechtigkeit verlangt wurde, aber keine der beiden Parteien sich dem Gesetze fügen wollte oder konnte, gingen alle Räubereien, Brandstiftungen und Ueberfälle ungestraft vorüber.

Wenn sich Jurand, über Rachegedanken brütend, in seinem sumpfigen, mit Schilf bewachsenen Spychow aufhielt, drohte seinen deutschen Nachbarn so viel Unheil, daß schließlich ihre Furcht die Oberhand über ihren Haß gewann. Die an Spychow grenzenden Felder wurden nicht bebaut, wilder Hopfen und Haselnußsträucher schossen in den Wäldern empor, die Wiesen waren mit allerlei unnützen Gewächsen bedeckt. Mehrere deutsche Ritter, welche das in ihrem Vaterlande herrschende Faustrecht rücksichtslos ausübten, versuchten, sich in der Umgegend von Spychow anzusiedeln, aber jeder zog es nach einiger Zeit vor, das ihm zu Lehen gegebene Land samt dem Vieh, samt den Bauern zu verlassen, um nicht in der Nähe dieses rachsüchtigen, unerbittlichen Mannes leben zu müssen. Zuweilen verbanden sich die Ritter und zogen mit einander gegen Jurand aus, aber dies endigte für sie stets mit einer Niederlage. Nun verfiel man auf die verschiedenartigsten Mittel. So berief man einen durch seine Kraft und Stärke bekannten Ritter, der unweit Jurands hauste und aus allen Fehden siegreich hervorgegangen war, damit er letzteren zum Kampfe auf festgetretener Erde fordere. Aber als sie sich in den Schranken gegenüberstanden, verließ den Deutschen der Mut wie durch Zauber beim Anblick des schrecklichen Masuren, und er wandte sein Pferd zur Flucht. Jurand aber stieß ihm die Lanze in den unbeschützten Rücken, so daß der fremde Ritter von diesem Tage an seiner Ehre und seines Ruhmes verlustig ging. Von nun an ward Jurand noch mehr von seinen Nachbarn gefürchtet, und sobald ein Deutscher auch nur von ferne den von Spychow aufsteigenden Rauch gewahrte, bekreuzte er sich und sprach rasch ein Gebet zu seinem Schutzheiligen im Himmel, denn es ging die Rede, Jurand habe, um seiner Rache willen, seine Seele bösen Geistern verschrieben.

Ueber Spychow verbreiteten sich die ungeheuerlichsten Dinge. Man erzählte sich, durch den klebrigen Morast, zwischen Binsen, Froschlattich und Wassertümpeln führe ein so schmaler Pfad zur Burg, daß zwei Reiter nicht im stande seien, neben einander zu bleiben, sondern sich hintereinander durcharbeiten müßten. Zu beiden Seiten des Weges aber könne man die gebleichten Gebeine der deutschen Ritter liegen sehen, während sich des Nachts auf Spinnenfüßen die Köpfe der Ertrunkenen dort ergingen, um unter Winseln und Klagen die sich nähernden Menschen samt den Pferden in die Tiefe zu ziehen. Auch behaupteten viele, die Palissaden der Burg seien mit Menschenschädeln geschmückt. Wohl war es richtig, daß in den unterirdischen Gewölben in Spychow immer einige Gefangene schmachteten, und schließlich erregte der Name Jurands noch größere Furcht als all jene erfundenen Dinge von Gerippen und Ertrunkenen.

Kaum hatte Zbyszko Jurands Ankunft erfahren, als er sich mit dem Hofherrn auf den Weg machte, wenn schon er dem Zusammentreffen mit dem Vater Danusias in einer gewissen Erregung entgegensah. Daß er Danusia zu seiner Herrin erwählt, sich ihr angelobt hatte, konnte ihm niemand verwehren, aber jetzt war er ja durch die Fürstin mit Danusia verlobt worden. Was wohl Jurand darüber sagen mochte! Ob er seine Einwilligung geben werde oder nicht? Und wie würde es werden, wenn er ihn als Vater mit rauhen Worten zurückwiese und die Heirat niemals zuließe? Diese Fragen erfüllten Zbyszkos Herz mit banger Furcht, denn Danusia galt ihm mehr als alles andere auf der Welt. Einzig nur der Gedanke flößte ihm Mut ein, daß Jurand ihm jenen Ueberfall auf Lichtenstein als Verdienst, nicht als Fehler anrechnen werde, da auch der Gedanke, Danusias Mutter zu rächen, ihn dazu angetrieben hatte und er beinahe deshalb das eigene Leben eingebüßt hätte.

Unterwegs begann er den ihn geleitenden Hofherrn auszuforschen, welcher seinetwegen zu Amylej gekommen war.

»Wohin führt Ihr mich?« fragte er. »Auf das Schloß?«

»Auf das Schloß allerdings. Jurand hält sich mit dem Hofe der Fürstin dort auf.«

»Sagt mir doch, was das für ein Mensch ist, damit ich weiß was ich mit ihm reden soll.«

»Was soll ich Euch sagen? Er ist ganz anders als andere Leute. Man sagt, früher sei er heiter gewesen, das heißt, ehe ihm das Blut zu Galle geworden ist.«

»Ist er ein kluger Mann?«

»Arglistig ist er, denn andre schindet er und sich selbst giebt er nicht, wie er ist. Wohl hat er nur ein Auge, denn das andere haben ihm die Deutschen mit Pfeilen ausgeschossen, aber mit dem einen kann er einem Menschen bis ins innerste Herz sehen. Niemand ist im stande, es mit ihm aufzunehmen. Nur die Fürstin liebt er, ihr Hoffräulein hat er zur Gattin genommen und jetzt erzieht sie seine Tochter.«

Zbyszko holte tief Atem.

»Sagt mir nur, ob er sich dem Wunsche der Fürstin nicht widersetzt!«

»Ich weiß, was Ihr wissen wollt, und was ich hörte, werde ich Euch sagen. Die Fürstin redete mit ihm von Euerm Verlöbnis, denn es wäre nicht richtig gewesen zu schweigen, aber was er darauf antwortete – ist mir unbekannt.«

So sprechend, gelangten sie zum Thore. Der Hauptmann der königlichen Bogenschützen, der nämliche, welcher Zbyszko damals zum Schafott geleitet hatte, begrüßte ihn jetzt mit einem freundlichen Kopfnicken. An der Wache vorüber kamen sie bis zum Schloßhofe und wendeten sich dann rechts nach einem Seitengebäude, worin die Fürstin wohnte. Der Hofherr fragte einen Pagen, den sie am Eingänge trafen: »Wo befindet sich Jurand aus Spychow?«

»In der gewölbten Kemenate bei seiner Tochter.«

»Das ist hier!« sagte der Hofherr, auf eine Thüre zeigend.

Zbyszko bekreuzte sich, und den Vorhang an der offenen Thüre zur Seite schiebend, trat er mit klopfendem Herzen ein. Aber er gewahrte Jurand und das junge Mädchen nicht sogleich, da es in der niedrigen gewölbten Kemenate ziemlich dunkel war. Erst nach einer Weile erblickte er das helle Köpfchen Danusias, die auf dem Schoße ihres Vaters saß. Der Eintritt Zbyszkos wurde nicht bemerkt, er blieb daher am Vorhange stehen, räusperte sich und sagte schließlich: »Gelobt sei Jesus Christus!«

»Von Ewigkeit zu Ewigkeit!« erwiderte Jurand, sich erhebend.

Jetzt sprang Danusia dem jungen Ritter entgegen, und seine Hand ergreifend, rief sie aus: »Zbyszko! Mein Vater ist angekommen!«

Zbyszko küßte ihre Hand, dann trat er mit ihr zu Jurand und sagte: »Ich komme, Euch zu begrüßen. Ihr wißt doch, wer ich bin?«

Dann verneigte er sich tief und machte eine Bewegung, als ob er Jurands Knie umfassen wolle, doch dieser ergriff seine Hand, drehte ihn gegen das Licht und betrachtete ihn schweigend.

Zbyszko, der indessen seine Kaltblütigkeit wieder erlangt hatte, schaute jetzt neugierig empor und sah die mächtige Gestalt eines Mannes mit flachsblondem Haare und Bart, pockennarbigem Gesichte und stahlgrauem Auge. Ihn dünkte, dessen Blick durchbohre ihn, wodurch er abermals in Verwirrung geriet, sodaß er schließlich nicht mehr wußte, was er sagen sollte, und nur, um dem beunruhigenden Schweigen ein Ende zu machen, fragte: »So seid Ihr Jurand aus Spychow, Danusias Vater?«

Ohne ein Wort zu erwidern, ihn aber fortwährend anschauend, deutete dieser nach der Bank aus Eichenholz, worauf er selbst wieder Platz nahm.

Da wurde Zbyszko ungeduldig.

»Wisset,« sagte er, »daß es mir peinlich ist, hier zu sitzen wie vor meinem Richter!«

Jetzt erst ergriff Jurand das Wort. »Du willst Lichtenstein zum Zweikampf fordern?«

»Was sollte ich denn sonst vorhaben?« antwortete Zbyszko.

In den Augen des Herrn von Spychow blitzte ein seltsames Feuer auf, und sein strenges Gesicht wurde etwas freundlicher. Einen Blick auf Danusia werfend, fragte er weiter: »Und um ihretwillen?«

»Ja, um ihretwillen! Mein Ohm könnte Euch erzählen, daß ich gelobte, die Federbüsche von den Helmen der Deutschen herunterzureißen. Doch nicht nur drei Büsche will ich ihr bringen, sondern mindestens soviele, wie ich Finger an beiden Händen habe. Auch Eurer Rache für Danusias Mutter werde ich dadurch einigermaßen Genüge thun.«

»Wehe ihnen!« rief Jurand aus.

Zbyszko indessen, der gewahrte, daß Jurand es sehr wohl aufnahm, wenn er seinem Haß gegen die Ordensritter Ausdruck verlieh, fuhr fort: »Nein, ich werde ihnen nichts erlassen, gerade weil ich ihretwegen schon einmal beinahe mein Leben eingebüßt hätte.« Hier wendete er sich zu Danusia und fügte hinzu: »Sie aber hat mich gerettet.«

»Ich weiß es,« antwortete Jurand.

»Und Ihr seid nicht unwillig darüber?«

»Du hast sie zur Herrin erkoren, also war sie im Recht, denn dies ist ein althergebrachter ritterlicher Brauch.«

Einen Augenblick bedachte sich Zbyszko, dann jedoch sagte er in sichtlicher Erregung: »Merket wohl. Mit ihrem Schleier hat sie mir das Haupt umhüllt … Und alle Ritter hörten es, und der Franziskaner, welcher mit dem Kruzifixe neben mir stand, hörte es, wie sie sagte: ›Mein ist er!‹ Gewiß ist auch, daß ich bis zum Tode keiner andern angehören werde, so wahr mir Gott helfe!«

Bei diesen Worten kniete er nieder, und um zu zeigen, daß er die ritterlichen Sitten kenne, küßte er mit großer Ehrerbietung die Füße der auf der Banklehne sitzenden Danusia, dann erhob er sich, und zu Jurand gewendet, fragte er: »Habt Ihr jemals eine Zweite wie sie gesehen?«

Doch Jurand schlug plötzlich seine gewaltthätigen, mörderischen Hände über dem Haupte zusammen, und die Augen zudrückend, sprach er in dumpfem Tone: »Wohl sah ich eine, aber die Deutschen haben sie getötet.«

»Hört mich an!« rief nun Zbyszko voll Feuer. »Uns beiden ist dieselbe Schmach zugefügt worden, wir beide dürsten nach Rache. Jene Elenden schossen ja auch eine Schar der Unsrigen aus Bogdaniec, deren Pferde im Sumpfe stecken geblieben waren, mit ihren Pfeilen nieder. Wahrlich, einen Bessern als mich könnt Ihr für Euer Werk nicht finden. Derartige Kämpfe sind mir nichts Neues. Fragt nur den Ohm. Lanze und Streitaxt, das lange und das kurze Schwert weiß ich zu führen, und alles gilt mir gleich. Hat Euch der Oheim schon von den Friesen erzählt? Die Deutschen werde ich wie Lämmer abschlachten! Und was meine Herrin anbelangt, so gelobe ich Euch hiermit knieend, daß ich ihretwegen mit dem teuflischen Starosten kämpfen will, und daß ich ihr nicht entsagen würde, wenn man mir auch große Reichtümer, ja, wenn man mir die ganze Welt als Preis dafür böte. Und gäbe man mir auch eine Burg mit Glasfenstern – wenn ich Danusia nicht mein eigen nennen dürfte, so verließe ich diese Burg und wanderte der Heißgeliebten nach bis ans Ende der Welt.«

Das Gesicht in den Händen verborgen, saß Jurand lange Zeit da, aber endlich fuhr er, wie aus einem Traum erwachend, empor und sagte in düsterem, traurigem Tone: »Du gefällst mir, Bursche, doch gebe ich Dir meine Tochter nicht, denn Dir ist sie nicht bestimmt, die Aermste.«

Als Zbyszko dies hörte, verstummte er. Mit weit aufgerissenen Augen blickte er auf Jurand, ohne ein Wort hervorbringen zu können.

Danusia kam ihm indessen zu Hilfe. Zbyszko war ihr lieb, und es war ihr angenehm, als erwachsenes Mädchen, nicht mehr als Kind betrachtet zu werden. Ihr gefiel das Verlöbnis, ihr gefielen die zarten Dienste, die ihr der junge Ritter erwies; als sie daher vernahm, daß sie all dessen wieder beraubt werden solle, sprang sie rasch von ihrem Sitze herab, und ihr Gesichtchen auf den Knieen des Vaters verbergend, rief sie: »Väterchen, Väterchen! Du wirst sehen, wie ich weine!«

Offenbar liebte Jurand sein Kind über alles, denn er legte sanft seine Hand auf dessen Haupt. Aller Ingrimm, alle Strenge waren jetzt aus seinem Gesichte verschwunden, nur eine tiefe Trauer malte sich darin. Indessen hatte Zbyszko seine Kaltblütigkeit wieder erlangt, und er sagte: »Wie? Dem göttlichen Gebote wollt Ihr Euch widersetzen?«

»Ist es der Wille Gottes, so bekommst Du sie zum Weibe, aber meine Zustimmung kann ich Dir nicht geben. Wenn ich es vermöchte, würde ich mir zu gern Deinen Wunsch erfüllen.«

Bei diesen Worten hob Jurand Danusia empor, und, sie auf den Arm nehmend, eilte er der Thüre zu, als aber Zbyszko ihm in den Weg treten wollte, wandte er sich nochmals zu ihm und sagte: »Ob Deiner Ritterdienste bin ich Dir nicht gram, aber frage nichts mehr, denn ich kann Dir nicht Rede stehen.«

Damit verließ er die Kemenate.

Drittes Kapitel.

Am folgenden Tage suchte Jurand weder Zbyszko zu meiden, noch stellte er ihm ein Hindernis in den Weg, Danusia die verschiedenen Dienste zu erweisen, die ihm seine Ritterpflicht auferlegte. Im Gegenteile – Zbyszko bemerkte trotz des Schmerzes, der ihm das Herz zerriß, daß der finstere Herr aus Spychow ihn zuweilen voll Wohlwollen, voll Wehmut betrachtete, gerade als ob es ihn schmerze, eine so grausame Antwort erteilt zu haben. Jurand bemühte sich sogar sichtlich, soviel wie möglich mit dem jungen Edelmanne zusammenzusein, um ein Gespräch mit ihm anknüpfen zu können. Während der Reise, nach dem Aufbruche aus Krakau, mangelte es nicht an Gelegenheit dazu, geleiteten doch beide die Fürstin zu Pferde. Der gewöhnlich unendlich schweigsame Jurand zeigte sich sogar zuweilen erstaunlich gesprächig; sobald jedoch Zbyszko die geheimnisvollen Gründe zu erforschen suchte, die ihn und Danusia trennten, brach Jurand das Gespräch plötzlich ab, sein Gesicht verfinsterte sich, und er blickte unruhig auf Zbyszko, als ob er fürchte, er könne sich diesem gegenüber verraten. In der Voraussetzung, die Fürstin sei in alles eingeweiht, ergriff der junge Ritter einen geeigneten Moment, um von ihr die ersehnte Antwort zu erlangen, allein auch sie vermochte ihm nicht viel zu sagen.

»Das alles ist ein Geheimnis,« bemerkte sie. »Jurand hat selbst einmal mit mir darüber gesprochen, er bat mich aber gleichzeitig, ihn nicht weiter zu befragen, denn er wolle nicht nur nicht, er dürfe auch nicht darüber reden. Vermutlich bindet ihn irgend ein Eid, wie dies ja häufig der Fall zu sein pflegt. Gott gebe wenigstens, daß sich mit der Zeit alles zum Guten wende.«

»Was soll ich auf der Welt thun ohne Danusia!« rief nun Zbyszko. »Ohne sie wäre es mir zu Mute wie dem Hunde nach den Schlägen, wie dem Bären in der Grube. Keine Freude, keine Lust gäbe es für mich. Nein, nur Kummer, nur Seufzen. Gleich jetzt würde ich mit dem Fürsten Witold gen Tawan ziehen, um den Tod im Kampfe gegen die Tataren zu finden, allein ich muß vor allem den Ohm in die Heimat geleiten und dann den Deutschen, mitsamt den Köpfen, die gelobten Pfauenbüsche abreißen. Vielleicht erschlagen die Feinde mich – denn wozu soll ich leben, wenn ich Danusia einem andern überlassen muß?«

Daraufhin richtete die Fürstin ihre gütigen blauen Augen auf ihn, indem sie verwundert fragte: »Und würdest Du dies gutwillig zugeben?«

»Ich? Niemals, solange ich noch einen Atemzug in der Brust habe. Es sei denn, daß mir die Hand verdorre, und ich das Schwert nicht mehr zu ziehen vermöge.«

»Nun also, was willst Du denn?«

»Kann ich vielleicht gegen den Willen des Vaters ankämpfen?«

»Gerechter Gott, ist dies denn noch nie vorgekommen?« murmelte die Fürstin vor sich hin. Dann aber, sich zu Zbyszko wendend, fügte sie hinzu: »Als ob der Wille Gottes nicht mächtiger wäre als der des Vaters! Und was sagte Jurand? ›Sobald dies der Wille Gottes sein wird‹, sprach er, ›bekommt er sie zum Weibe‹.«

»Das gleiche sagte er auch mir!« rief Zbyszko. »Ist es der Wille Gottes,« sprach er, »so bekommst Du sie zum Weibe.«

»Siehst Du nun?«

»Ach, daß ich auf Euere Gnade bauen darf, huldreiche Frau, das ist mein einziger Trost!«

»Ich bin Dir wohl gesinnt, und Danusia läßt nicht von Dir. Gestern erst sagte ich zu ihr: ›Danusia, wirst Du je von Zbyszko lassen?‹ Da antwortete sie: ›Außer Zbyszko will ich keinem angehören.‹ Jung ist Danusia freilich, allein was sie sagt, das hält sie auch, denn das Mägdlein ist edel geboren und nicht hergelaufener Leute Kind. Die Mutter ist ebenso gewesen!«

»Dem Himmel sei Dank!« rief Zbyszko.

»Nur vergiß nicht, daß auch Du treu zu ihr halten mußt, denn gar viele junge Burschen sind flatterhaft, sie schwören der einen Treue, um sich gleich darauf in eine andere zu verlieben, wenn sie nicht wie an einem Seile festgehalten werden. Ich rede die Wahrheit! Es kommt oft so weit, daß sie nach jedem Mädchen seufzen, wie das Pferd nach dem Futter wiehert.«

»Der Herr Jesus möge mich strafen, wenn ich dies thue!« erklärte Zbyszko voll Eifer.

»Denke also an das, was ich Dir gesagt habe. Sobald Du den Oheim heimgeleitet haben wirst, kehrst Du an unsern Hof zurück. Dort giebt es für Dich sicherlich Gelegenheit, Dir die Sporen zu verdienen, und dann wird sich Gottes Willen offenbaren. Danusia wird während dieser Zeit reifer werden, und sie wird zum liebenden Weibe erblühen, denn jetzt liebt sie Dich zwar innig – anders kann ich nicht sagen – aber doch nicht in der Weise, wie erwachsene Mädchen zu lieben verstehen. Vielleicht neigt sich Dir Jurands Herz immer mehr zu, denn nach meinem Ermessen ist er Dir nicht gram. Du kannst auch nach Spychow gehen, um gemeinsam mit Jurand gegen die Deutschen zu ziehen, vielleicht trifft es sich, daß Du ihm irgend einen Dienst zu erweisen vermagst und ihn dadurch vollständig auf Deine Seite bringst.«

»Das alles erwog ich längst bei mir, gnädigste Fürstin, jetzt aber, da Ihr mir die Erlaubnis dazu gebt, drängt es mich, es auszuführen.«

Dieses Gespräch spornte Zbyszkos Thatendurst noch mehr an. Aber schon auf dem ersten Fütterungsplatze verschlimmerte sich der Zustand des alten Macko in einem Maße, daß eine längere Rast erforderlich ward, damit der Kranke wenigstens wieder etwas zu Kräften komme für die Weiterreise. Die gütige Fürstin Anna Danuta überließ ihm zwar alle Heilmittel und Arzneien, die sie bei sich führte, sie selbst aber, so erklärte sie, dürfe nicht länger verweilen. Die beiden Edelleute aus Bogdaniec mußten sich daher von ihr und ihrem Hofstaate verabschieden. In seiner ganzen Länge warf sich Zbyszko zuerst der Fürstin und dann Danusia zu Füßen, indem er dieser nochmals treue Ritterdienste gelobte und ihr versprach, sobald wie möglich nach Ciechanow oder nach Warschau zu kommen, schließlich nahm er sie in seine starken Arme, hob sie empor und sagte mit bewegter Stimme: »Gedenke mein, Du meine holde Blume, gedenke mein, Du Heißgeliebte!«

Danusia dagegen umschlang ihn mit ihren Armen wie eine jüngere Schwester den älteren Bruder umschlingt, drückte ihr Stumpfnäschen an seine Wange und erklärte immer wieder, während große Thränen über ihre Wangen rannen: »Ohne Zbyszko gehe ich nicht nach Ciechanow, ohne Zbyszko gehe ich nicht nach Ciechanow!«

Von all dem war Jurand Zeuge, allein er zeigte keinerlei Zorn darüber. Im Gegenteile, er verabschiedete sich sehr wohlwollend von dem Jüngling, ja, als er bereits zu Pferde saß, wandte er sich nochmals zu ihm und sagte: »Gott befohlen! Trage mir die Kränkung nicht nach!«

»Wie könnte ich Euch eine Kränkung nachtragen, da Ihr doch der Vater Danusias seid!« entgegnete Zbyszko herzlich.

Und als er sich tief vor Jurand neigte, drückte ihm dieser kräftig die Hand und ließ sich also vernehmen: »Der Herr verleihe Dir in allem Glück! Verstehst Du mich?«

Nach diesen Worten machte er sich auf den Weg. Der junge Ritter begriff sofort, was dieser gütige Ausspruch, was diese letzten Worte für ihn bedeuten sollten, er kehrte daher zu dem Wagen zurück, worin Macko lag und bemerkte: »Seht Ihr nun? Er würde einwilligen, wenn nicht irgend etwas ihn daran hinderte. Ihr seid doch in Spychow gewesen und habt einen scharfen Verstand, Ihr müßtet es daher herausbringen, was das ist.«

Macko erteilte indessen keine Antwort. Sein Zustand hatte sich zusehends verschlimmert, war doch das Fieber, welches ihn schon seit frühem Morgen quälte, in solch hohem Grade gestiegen, daß er Zbyszko, den er nicht erkannte, wie erstaunt anstarrte und dann fragte: »Hörst Du die Glocken läuten?«

Zbyszko erschrak sehr, denn ihm schoß es durch den Kopf, daß ein Kranker, der Glockengeläute zu hören glaube, dem Tode nahe sei. Er sagte sich, wenn der Alte sterbe ohne den Zuspruch eines Geistlichen, werde er, wenn auch nicht in die Hölle, so doch mindestens in das Fegefeuer kommen, daher beschloß er, ihn weiter bringen zu lassen, um so rasch wie möglich eine Pfarre zu erreichen, wo Macko die letzte Oelung erhalten konnte. So brachen sie denn auf und fuhren die ganze Nacht hindurch. Zbyszko setzte sich zu dem Kranken, der auf Heu gebettet im Wagen lag, und wachte bei ihm bis zum hellen Morgen. Von Zeit zu Zeit reichte er ihm von dem Weine, den ihnen der Kaufmann Amylej mit auf den Weg gegeben hatte, und der durstige Macko trank gierig, was ihm sichtlich Erleichterung verschaffte. Nach dem zweiten Quart kehrte sogar sein Bewußtsein wieder zurück und nach dem dritten schlief er so fest ein, daß Zbyszko sich zuweilen über ihn beugte, um sich zu überzeugen, ob er noch lebe.

Der Gedanke allein schon, daß es vielleicht bald zu Ende mit dem Ohm sein werde, bereitete Zbyszko tiefen Schmerz. Bis zur Zeit seiner Gefangenschaft in Krakau hatte er sich selbst niemals Rechenschaft darüber abgelegt, wie sehr er diesen Oheim liebte, der ihm Vater und Mutter ersetzte. Jetzt aber wußte er dies nur zu wohl, und zugleich sagte er sich, das; er nach dessen Tode vollständig vereinsamt sein werde; hatte er doch keine Blutsverwandten außer jenem Abte, dem Bogdaniec verpfändet war, keine Freunde, kurz keinen Menschen, auf dessen Hilfe er jemals rechnen durfte. Als der Morgen dämmerte, fuhr er aus diesen Gedanken empor. Ein heller, aber kalter Tag brach an. Macko befand sich offenbar besser, denn er atmete gleichmäßiger und ruhiger. Doch erst als die Sonne schon eine gewisse Wärme verbreitete, erwachte er, öffnete die Augen und sagte: »Mir ist leichter zu Mute. Wo sind wir?«

»Ganz nahe bei Olkusz … Ihr wißt doch, wo die Silberbergwerke sind, deren Ergebnisse der Schatzkammer zufließen.«

»Wenn man doch alles haben könnte, was die Erde birgt! Oh, da könnte Bogdaniec wieder aufgebaut werden.«

»Man sieht, daß es Euch besser geht,« antwortete Zbyszko lachend. »Wahrlich für eine Burg aus Stein würde das Geld reichen … Doch nun wollen wir bis zur Pfarre fahren, dort wird man uns gastlich aufnehmen, und Ihr könnt dann auch beichten. Alles steht in Gottes Hand, aber es ist doch gut, wenn man mit seinem Gewissen im Reinen ist.«

»Ich bin ein sündiger Mensch und bin froh, wenn ich in Frieden dahinfahren kann,« versetzte Macko. »Mir träumte heute nacht, daß mir der Teufel die Haut von den Sohlen gezogen hätte. Allein Gott ist mir gnädig, denn jetzt ist mir leichter geworden. Hast Du ein wenig geschlafen?«

»Wie hätte ich schlafen können! Ueber Euch mußte ich ja wachen!«

»So lege Dich jetzt einige Zeit nieder, sobald wir ankommen, wecke ich Dich.«

»Ich kann nicht schlafen!«

»Was hindert Dich daran?«

Mit großen Augen schaut Zbyszko auf den Oheim.

»Die Liebe! Was denn sonst? Von dem ewigen Schmachten und Seufzen habe ich geradezu Stiche in der Seite bekommen. Doch wenn ich mich auch nur eine kurze Zeit aufs Pferd setze, wird mir besser werden.«

Er sprang vom Wagen herab und bestieg sein Roß, das ihm von einem Türken vorgeführt ward. Unterdessen preßte Macko vor Schmerz die Hände an seine Wunde, augenscheinlich dachte er aber dabei gar nicht an sein eigenes Leiden, denn er schüttelte heftig den Kopf, schnalzte mit der Zunge und sagte schließlich: »Das wundert mich in der That, ich kann mich nicht genug wundern, wieso Du so sehr nach Liebe dürstest, denn weder Dein Vater noch ich war so.«

Statt aller Antwort richtete sich Zbyszko im Sattel hoch auf, stemmte die Arme in die Seiten, warf den Kopf empor und hub mit voller Brust zu singen an.

»Meine Thränen, ach sie rinnen bei Tag und bei Nacht,
Wohin ist sie entschwunden, die Maid, der ich stets gedacht?
Umsonst ist mein Klagen, umsonst ist mein Leid,
Ich sehe sie nimmer, die wonnige Maid.
Hei!«

Und das »Hei« drang tief in den Wald hinein und rief einen Widerhall, ein Echo hervor, das allmählich im Dickicht wieder ausklang.

Macko aber, dem seine Wunde fortwährend Schmerzen verursachte, sagte seufzend: »Früher sind die Leute klüger gewesen, verstehst Du mich? – Nichtsdestoweniger hat es auch früher Thoren gegeben,« fügte er indessen nach kurzem Sinnen hinzu.

Mittlerweile hatten sie den Wald verlassen, vor ihnen lagen die Hütten der Bergleute, in der Ferne aber erblickten sie das von König Kasimir gegründete Olkusz mit seinen zackigen Mauern und mit seinem Pfarrturme, den Wladislaw Lokietek erbaut hatte.

Erstes Kapitel.

Die Kreuzritter

Bei dem Kaufmann Amylej berieten sich Macko und Zbyszko lange, was zu thun sei. Der alte Ritter sah einem baldigen Tode entgegen, und da der Franziskaner Pater Cybek, der sich auf Wunden verstand, ein baldiges Ende vorausgesagt hatte, war es sein sehnlichster Wunsch, nach Bogdaniec zurückzukehren, damit man ihn bei seinen Vätern auf dem Kirchhofe zu Ostrawic bestatte.

Gleichwohl hatten nicht alle »Väter« dort die ewige Ruhe gefunden. Mackos Geschlecht war ehemals ein zahlreiches, kriegerisches gewesen, dessen Schlachtruf »Hagel« lautete, das ein stehendes Hufeisen mit einem Kreuze zwischen den Stollen im Wappen führte und sich dadurch vor den andern Edelleuten auszeichnete, welche kein Recht hatten, einen Wappenschild zu tragen.

Im Jahre 1331, in der Schlacht bei Plowce waren in einem Sumpfe vierundsiebenzig Ritter aus Bogdaniec von den deutschen Armbrustschützen niedergeschossen worden. Wojciech blieb allein übrig – als Erbe eines ausgedehnten Grund und Bodens, der zuvor einem großen zahlreichen Geschlechte gehört hatte. Fünf Jahre später vermählte er sich und ward Vater von zwei Söhnen, Jasko und Macko. Durch einen Auerochsen fand er den Tod auf der Jagd.

Die Söhne wuchsen unter der Obhut der Mutter auf, welche in zwei Kriegsläuften an den Deutschschlesiern die früher zugefügte Unbill rächte, im dritten jedoch unterlag. Zuvor hatte sie aber durch die Hände von Gefangenen eine kleine Burg in Bogdaniec erbauen lassen, so daß Jasko und Macko, oder wie sie durch die früheren Herrengüter genannt wurden, die Herren, zu großen, Ansehen gelangten.

Zum Manne gereift, nahm Jasko sich Jagienka aus Morcacew zum Weibe, die ihm Zbyszko gebar. Macko aber blieb unvermählt, beaufsichtigte die Ländereien und den Bruderssohn, soweit ihm dies die Kriegszüge gestattete«.

Aber als in der Zeit der einheimischen Kämpfe zwischen den Guzymaliten und den Naleczy die kleine Burg zum zweitenmal niedergebrannt wurde, die Bauern aber aus dem Lande mußten, versuchte der alleinstehende Macko umsonst, sie abermals aufzubauen. Mehrere Jahre hindurch sich vergebens abmühend, überließ er schließlich den heimatlichen Boden dem ihm blutsverwandten Abte, er selbst aber zog mit dem noch sehr jungen Zbyszko nach Litauen.

Niemals verlor er indessen Bogdaniec ganz aus den Augen. Nach Litauen war er nur deshalb gezogen, um, mit Beute bereichert, die Heimstätte zurückkaufen zu können, die er dann mit Gefangenen bevölkern wollte. Die Burg aber gedachte er neu aufzubauen, um sie Zbyszko zum Sitze anzuweisen. Jetzt besonders nach der glücklichen Rettung des Jünglings regten sich diese Pläne wieder lebhaft in seinem Sinne, und er beriet sich eingehend bei dem Kaufmann Amylej mit dem Bruderssohne darüber. Die Mittel, um Bogdaniec auszulösen, besaßen sie nun reichlich. Von der Beute und von dem Lösegeld, das die in ihre Gefangenschaft geratenen Ritter erlegen mußten, sowie durch die Geschenke Witolds waren sie in den Besitz von viel Hab und Gut gelangt. Großen Vorteil gewährte ihnen auch der Kampf auf Tod und Leben mit den zwei friesischen Rittern. Die Rüstungen allein, die sie ihnen abgenommen hatten, konnten als kleines Vermögen gelten, außer denselben gewannen sie aber ja auch Wagen, Pferde, Leute, Geld und alle möglichen kostbaren Waffen. Vieles von dieser Beute, darunter auch zwei Stücke prächtigen, flandrischen Stoffes, welche die bedächtigen, reichen Friesen mit sich auf den Wagen führten, kaufte sofort Amylej. Macko verkaufte auch die ihm gehörige, wertvolle, eroberte Rüstung, ging er doch von der Ansicht aus, daß sie ihm, in Anbetracht seines nahen Todes, keinen Nutzen gewähren werde. Der Waffenschmied, der sie erstand, veräußerte sie schon an dem darauffolgenden Tage wieder an den eine halbe Ziege im Wappen führenden Marcin aus Wrocimowice mit großem Nutzen, weil die Panzer aus Mailand stammten, und die Erzeugnisse der Mailänder Waffenschmiede damals über alle andern gestellt wurden. Zbyszko bedauerte indessen den Verkauf der Rüstung von ganzer Seele. »Wenn Gott Euch die Gesundheit wieder verleiht,« sagte er zu dem Ohm, »wo wollt Ihr dann eine zweite wie diese hier, finden?«

»Dort, wo ich auch die erste gefunden habe,« erwiderte Macko, »aber ich werde dem Tode nicht mehr entrinnen. Die Eisenspitze zwischen meinen Rippen hat sich gespalten und sitzt fest. Was ich mit der Hand fühlte und mit den Nägeln herausziehen wollte, drückte ich nur noch tiefer hinein, und jetzt giebt es keine Hilfe mehr.«

»Bärenfett solltet Ihr trinken, und das gleich zwei Kessel voll.«

»Bah, der Pater Cybek sagt auch, daß es gut wäre, wenn sich die Splitter auf irgend eine Weise herausarbeiten würden, allein woher kann ich das Fett bekommen? In Bogdaniec freilich, da braucht man nur die Axt zu nehmen und bei den Bienenstöcken in der Nacht zu lauern.«

»Na, da müßt Ihr eben nach Bogdaniec. Nur dürft Ihr nicht unterwegs sterben.«

Der alte Macko schaute den Bruderssohn voll Rührung an.

»Ich weiß, wo Du am liebsten wärest,« meinte er. »Am Hofe des Fürsten Janusz oder bei Jurand aus Spychow, um mit ihm gegen die Kreuzritter zu ziehen.«

»Das leugne ich nicht. Gerne würde ich mit dem fürstlichen Hofe nach Warschau oder nach Ciechanow reisen, allein hauptsächlich deshalb, um länger mit Danusia zusammen zu sein. Nichts bin ich mehr ohne sie, denn sie ist nicht nur meine Herrin, sie ist auch die Heißgeliebte. Ich möchte sie so gern sehen, daß wenn ich nur an sie denke, es mich mit aller Gewalt zu ihr zieht. Zu ihr würde ich mich aufmachen, selbst wenn es sich um das heilige Land handelte; jetzt aber habe ich zuvörderst Pflichten gegen Euch. Ihr habt mich nicht verlassen, ich verlasse Euch nicht. Ihr wollt nach Bogdaniec – also auf nach Bogdaniec!«

»Du bist ein guter Bursche!« rief Macko.

»Gott strafe mich, wenn ich Euch gegenüber jemals anders werde. Denkt aber jetzt daran, daß die Wagen schon bereit stehen. In einen davon ließ ich für Euch Heu streuen. Außerdem schenkte uns Amylej auch ein treffliches Federbett, doch fürchte ich, es könnte Euch zu heiß darauf werden. Wir reisen zusammen mit der Fürstin und dem ganzen Hofe, damit es Euch nicht an Pflege gebreche. Später trennen wir uns, jene wenden sich nach Masovien, und wir ziehen in die Heimat. Gott verleihe uns seinen Schutz dazu!«

»Nur noch so lange möchte ich leben, bis ich die Burg neu aufgebaut habe!« rief Macko, »denn ich bin überzeugt, Du wirst nach meinem Tod nicht allzuviel an Bogdaniec denken.«

»Weshalb sollte ich nicht daran denken?«

»Weil Dir der Krieg, weil Dir die Liebe im Kopfe stecken werden.«

»Und steckte Euch nicht selbst der Krieg im Kopfe? Gerade eben habe ich mir ganz genau ausgemalt, was ich zu thun haben werde. Hört, zu allererst baue ich die Burg auf und lasse einen tiefen Graben rings um die Wälle ziehen.«

»Daran dachtest Du?« fragte Macko gespannt. »Nun, und wenn die Burg steht, was gedenkst Du dann zu thun, sprich!«

»Sobald die Burg fertig gebaut ist, begebe ich mich an den fürstlichen Hof in Warschau oder in Ciechanow.«

»Nach meinem Tode?«

»Wenn Ihr vorher sterbt, nach Euerem Tode. Doch zuvor lasse ich Euch würdig zur Erde bestatten! Wenn Euch aber der Herr Jesus gesunden läßt, dann bleibt Ihr in Bogdaniec zurück. Mir hat die Fürstin versprochen, daß ich von dem Fürsten zum Ritter gegürtet werde. Das muß ich erreichen, denn sonst würde Lichtenstein sich mir nicht stellen.«

»Brichst Du von dort nach Marienburg auf?«

»Nach Marienburg oder in das gelobte Land, wenn Lichtenstein nur dort zu treffen wäre.«

»Darob tadle ich Dich nicht. Dein Tod oder der seine!«

»Gebt acht, bald überbringe ich Euch nach Bogdaniec dessen Handschuh, dessen Gürtel – hegt nur keine Furcht!«

»Wenn Du Dich nur vor einem Ueberfall zu schützen weißt.«

»Ich mache einen Fußfall vor dem Fürsten Janusz, damit er mir einen Geleitsbrief an den Großmeister gebe. Jetzt herrscht überall Ruhe. Mit dem Geleitsbriefe begebe ich mich nach Marienburg. Dort ist immer ein ganzer Haufen Ritter zu Gaste. Und wißt Ihr was? – Zuerst kommt Lichtenstein an die Reihe, dann werde ich Umschau halten, welche Ritter Pfauenbüsche auf dem Helme tragen – und einen nach dem andern fordere ich zum Kampfe. Gebe nur der Herr Jesus auch seinen Segen dazu, daß ich mein Gelübde vollbringen kann.« Bei diesen Worten lachte Zbyszko hell auf über seine eigenen Gedanken, und er sah aus wie ein Knabe, der verkündet, welche Ritterthaten er ausführen will, sobald er herangewachsen ist.

»Ei,« sagte Macko, den Kopf schüttelnd, »wenn Du drei Ritter aus angesehenem Geschlechte den Garaus gemacht, hast Du Dein Gelübde erfüllt. Aber dann nimmst Du ihnen gewiß auch ihre Sachen ab! Du lieber Gott!«

»Ach was drei!« rief Zbyszko aus, »schon im Gefängnisse sagte ich mir selbst, daß ich Danusia gegenüber nicht knausern werde. So viele müssen es sein als ich Finger an der Hand habe – nicht drei.«

Macko zuckte die Achseln.

»Ihr mögt Euch wundern, es nun glauben oder nicht, aber ich gehe sicherlich von Marienburg zu Jurand von Spychow. Weshalb sollte ich ihm nicht meine Verehrung bezeigen, da er doch Danusias Vater ist? Und mit ihm werde ich die Kulmer Deutschen überfallen. Ihr sagtet ja selbst, in ganz Masovien gebe es keinen Menschen, der einen solchen Ingrimm auf die Kreuzritter hat wie Jurand.«

»Und wenn er Dir Danusia nicht giebt?«

»Warum sollte er sie mir nicht geben? Er will sich an seinen Feinden rächen, ich mich an den meinigen. Und weiß er vielleicht einen, der besser ist als ich? Wenn die Fürstin die Ehe befürwortet, wird er nichts dagegen einzuwenden haben.«

»Eines habe ich nun schon bemerkt,« sagte Macko, »Du willst alle Leute aus Bogdaniec mitnehmen, damit Du ein Gefolge und das Ansehen eines Ritters hast, aber dann würde es ja an Händen fehlen, die den Boden bebauen. So lange ich lebe, gebe ich es also nicht zu; doch nach meinem Tode wirst Du sie alle mitnehmen.«

»Unser Herrgott wird mir für ein Gefolge sorgen, und da Janko von Tulcza mein Blutsverwandter ist, wird es mir nicht daran fehlen.«

In diesem Augenblick öffnete sich die Thüre, und wie zum Zeichen, daß Gott in der That dem Zbyszko für ein Gefolge sorgen werde, erschienen plötzlich zwei untersetzte Männer mit dunkler Gesichtsfarbe, von denen ein jeder einen gelben Kaftan, wie er bei den Juden gebräuchlich war, weite Pluderhosen trug und ein rotes Käppchen auf dem Haupte hatte. An der Thüre stehen bleibend, legten sie die Finger an Stirne, Mund und Brust und verneigten sich bis zur Erde.

»Wer sind diese Abtrünnigen?« fragte Macko, »was seid Ihr für Leute?«

»Euere Sklaven.« erwiderten die Eingetretenen mit fremdländischem Accent.

»Wie? Woher seid Ihr? Wer hat Euch hierher geschickt?«

»Uns schickt Herr Zawisza als Geschenk für diesen jungen Ritter, damit wir ihm als Sklaven dienen.«

»Guter Gott! Also zwei Leute mehr!« rief Macko voll Freude, »Und welchem Volke gehört ihr an?«

»Wir sind Türken!«

»Türken?« wiederholte Zbyszko. »Also werde ich zwei Türken im Gefolge haben. Habt ihr jemals Türken gesehen, Oheim?« Und auf sie zuspringend drehte er sie im Kreise umher und betrachtete sie wie ganz eigenartige, überirdische Geschöpfe.

Macko aber sagte: »Gesehen habe ich noch keine Türken, doch ich hörte, daß der Herr aus Garbow Türken im Dienste hat, die er als Gefangene mit sich nahm, als er an der Donau unter dem deutschen Kaiser Sigismund kämpfte. – Aber wie, Ihr seid ja hundsföttige Heiden!«

»Der Herr ließ uns taufen,« sagte einer der Gefangenen.

»Hattet ihr keine Mittel, Euch loszukaufen?«

»Von weit her, vom asiatischen Gestade, aus Grusso kommen wir.«

Zbyszko, der sich immer gerne vom Krieg erzählen ließ, vornehmlich wenn es sich um die Thaten des hochberühmten Zawisza aus Garbow handelte, begann nun die beiden darüber auszuforschen, wie sie in Gefangenschaft geraten waren. Allein die Berichte der Gefangenen enthielten nichts Außergewöhnliches. Vor drei Jahren hatte Zawisza eine Schar Krieger in einem Hohlwege überfallen. Ein Teil davon wurde aufgerieben, ein Teil gefangen genommen und dann verschenkt.

Zbyszko und Macko wußten sich nicht zu lassen vor Freude über das ansehnliche Geschenk, vornehmlich da es in jener Zeit an Leuten mangelte und man den Ritter reich nannte, der über viele gebot.

Mittlerweile erschien Zawisza selbst, in Gesellschaft von Powala und Paszko Zlodziej aus Viskupice. Da sie alle an Zbyszkos Befreiung mitgewirkt hatten und froh waren, ihm dies zeigen zu können, brachte ihm jeder zum Abschied eine Gabe als Andenken. Der freigebige Herr aus Taczew gab ihm eine kostbare, mit goldenen Fransen benähte Pferdedecke, Paszko ein ungarisches Schwert, das zehn Greywna 17 wert war. Diesen beiden Rittern folgten noch Lis aus Targowisko, Farnrej und Krzon aus Kozichglowy mit Martin aus Wrocimowice; zuletzt kam Zindram aus Maszkowice, ein jeder mit vollen Händen.

Zbyszko begrüßte sie mit überströmendem Herzen, fühlte er sich doch doppelt glücklich, nicht nur der Geschenke wegen, sondern auch darüber, daß die berühmtesten Ritter im ganzen Reiche solche Freundschaft für ihn an den Tag legten. Sie aber fragten besonders danach, wie es sich mit der Reise und der Wunde Mackos verhalte, indem sie als erfahrene, wenngleich junge Leute, verschiedene Salben und Arzneien empfahlen, die bei der Heilung von Wunden schon Wunder gewirkt hätten.

Doch Macko bat sie nur um Schutz für Zbyszko, weil er selbst bald in das Jenseits eingehen werde. Das Leben sei nicht leicht, wenn man einen Eisensplitter zwischen den Rippen habe, sagte er. Er beklagte sich auch darüber, daß er fortwährend Blut speie und nichts essen könne. Eine Quart ausgehülster Nüsse, zwei Spannen von einer Wurst, eine Schüssel mit einer Eierspeise – das sei seine ganze tägliche Nahrung. Der Pater Cybek habe ihm schon einige Male zur Ader gelassen, weil er es glaubte, daß dadurch das Fieber gebrochen werde und die Eßlust zurückkehre – allein auch dies habe nichts geholfen.

Gleichwohl war er so erfreut über die seinem Bruderssohn dargebrachten Geschenke, daß er sich in diesem Augenblick weniger krank fühlte, und als der Kaufmann Amylej ein Faß Wein in die Stube bringen ließ, um so angesehene Gäste zu ehren, begann er mit ihnen zu zechen. Nun wurde Zbyszkos Befreiung und sein Verlöbnis mit Danusia eifrig besprochen. Die Ritter glaubten, Jurand aus Spychow werde sich dem Willen der Fürstin nicht widersetzen, besonders wenn Zbyszko Rache für dessen Gattin nehmen und die Danusia angelobte Helmzier noch erobern werde.

»Was nun Lichtenstein anbelangt,« sagte Zawisza, »so weiß ich nicht, ob er sich Dir stellen wird, da er Ordensbruder ist und zudem die Würde eines Starosten bekleidet. Die Leute aus seinem Gefolge sagen sogar, wenn er es abwarten könne, werde er mit der Zeit sogar Großmeister.«

»Lehnt er aber den Kampf ab, so geht er seiner Ehre verlustig,« ließ sich Lis aus Tarzowisko vernehmen.

»Ihr irrt Euch,« entgegnete Zawisza. »Er ist ja kein weltlicher Ritter, und den Ordensrittern steht es nicht frei, sich zum Zweikampfe zu stellen.«

»Und doch kommt es häufig vor, daß sie sich stellen.«

»Weil die Gesetze des Ordens nicht befolgt werden. Aber zum Kampf auf Leben und Tod wird ein Kreuzritter, vornehmlich ein Komtur sich nicht stellen.«

»Ha! Im Kriege wenigstens wird er Dir nicht entgehen!«

»Aber man sagt ja, es komme nicht zum Kriege, weil die Kreuzritter jetzt unser Volk fürchten,« bemerkte Zbyszko.

Darauf entgegnete Zindram aus Maszkowice: »Lange wird dieser Friede nicht dauern. Aber mittlerweile müssen wir uns vielleicht mit Timur dem Lahmen messen, Fürst Witold trug ja von Edyga eine empfindliche Schlappe davon, das ist gewiß.«

»Das ist gewiß! Und der Wojwode Spytek ist gar nicht zurückgekehrt,« bestätigte Paszko. »Auch eine Anzahl von litauischen Fürsten blieb auf dem Felde.«

»Die hochselige Königin hatte vorausgesagt, daß es so kommen werde,« bemerkte der Herr aus Taczew.

»Ha! Und wir werden thatsächlich noch gezwungen uns auf Timur zu werfen.«

Das Gespräch wendete sich nun auf den litauischen Kriegszug gegen die Tataren. Darüber herrschte kein Zweifel, daß Fürst Witold kein kaltblütiger, sondern ein unvorsichtiger Anführer war. Er hatte eine furchtbare Niederlage bei Worskla erlitten, wo eine Menge russischer und litauischer Bojaren, samt einigen Rittern, die zu der polnischen Hilfstruppe gehörten, und sogar auch Kreuzritter gefallen waren.

Die Niederlage der Litauer konnte für das ganze Reich Jagiellos verhängnisvoll werden, weil niemand genau wußte, ob die durch ihren Sieg über Witold ermutigten Tataren nicht in das Großfürstentum einfallen würden. In solchem Falle mußte das Königreich auch in den Krieg verwickelt werden. So waren denn die Ritter, welche wie Zawisza, Farurej, Dobko und sogar wie Powala gewohnt waren, auf Abenteuer und Kämpfe an fremden Höfen auszugehen, jetzt in Krakau geblieben, weil sie nicht wußten, was die nächste Zeit bringen werde.

Denn falls Tamerlan, der siebenundzwanzig Länder beherrschte, das mongolische Reich in Unruhe versetzte, konnte die Gefahr unermeßlich werden. Und es gab Leute genug, welche voraussagten, daß es so kommen werde.

»Wenn es nötig sein sollte, werden wir uns mit dem Lahmen selbst messen,« sagten die Ritter. »In unserer Heimat wird ihm nicht alles so leicht fallen, wie in all den Ländern, welche er erobert und verwüstet hat, denn die andern christlichen Fürsten werden uns ja auch zu Hülfe kommen.«

Darauf bemerkte Zindram aus Maszkowice, welcher einen ganz besondern Haß gegen die Kreuzritter hegte, voll Bitterkeit: »Die Fürsten, das weiß ich nicht! Aber die Kreuzritter sind gewiß entschlossen, ein Bündnis mit den Tataren einzugehen und gegen uns auf der feindlichen Seite zu kämpfen.«

»Oh, das wird einen Krieg geben!« rief Zbyszko aus. »Gegen die Kreuzritter darf ich also kämpfen!«

Allein dem widersprachen die andern Ritter. Ihrer Ansicht nach kannten die Kreuzritter zwar keine Schonung ihrer östlichen Nachbarn, aber daß sie den Heiden gegen die christlichen Völker beistehen würden, war doch nicht anzunehmen. Uebrigens befand sich Timur auf einem Kriegszuge irgendwo in weiter Ferne in Asien, und der tatarische Feldherr Edyga hatte so viele Leute in der Schlacht verloren, daß ihm wahrscheinlich der eigene Sieg Schrecken einflößte.

Die Ritter standen gerade im Begriffe, sich zu entfernen, als ein Hofherr der Fürstin mit einem Falken auf der Hand eintrat. Nachdem er sich vor den Rittern verneigt hatte, wendete er sich mit eigentümlichem Lächeln zu Zbyszko: »Die hohe Frau befahl mir, Euch zu sagen,« begann er, »daß sie heute noch in Krakau übernachten und erst morgen in der Frühe aufbrechen werde.«

»Es ist gut!« erwiderte Zbyszko, »aber weshalb denn? Ist jemand erkrankt?«

»Nein; doch hat die Fürstin einen Gast aus Masovien.«

»Ist der Fürst selbst angelangt?«

»Nicht der Fürst, aber Jurand aus Spychow,« entgegnete der Hofherr.

Als Zbyszko dies hörte, geriet er in die größte Bestürzung, und sein Herz klopfte eben so heftig wie damals, als ihm das Todesurteil verlesen worden war.

  1. Eine Silbermünze, deren Wert achtundzwanzig polnische Groschen beträgt. Anmerk. der Uebersetzerinnen

Neuntes Kapitel.

Drei Tage später traf die schon angekündigte Frau mit dem hereynischen Balsam ein und zugleich mit ihr kam auch der Hauptmann der Bogenschützen aus Szczytno mit einem von den Brüdern unterschriebenen und mit Danvelds Siegel versehenen Briefe, worin die Kreuzritter Himmel und Erde zu Zeugen der Schmach anriefen, die ihnen in Masovien zugefügt worden sei, und unter Androhung der schwersten Strafe strenges Gericht wegen der Ermordung ihres Gefährten und Gastes verlangten. Der Brief enthielt auch eine von Danveld diktierte Anklage, denn er forderte in teils demütigen, teils drohenden Worten die gebührende Buße für seine schwere Verletzung und die Verhängung des Todesurteils über den jungen Böhmen. Aber der Fürst zerriß diesen Brief vor den Augen des Hauptmanns, warf ihn vor dessen Füße und rief: »Um mich zu gewinnen, schickte der Meister diese Ritter hierher, aber sie haben nur meinen Zorn erregt. Sagt ihnen daher von mir, ich wisse, daß sie selbst ihren Gast getötet haben und den jungen Böhmen töten wollten, dies werde ich dem Meister schreiben und auch hinzufügen, er möge andere Gesandte schicken, falls er wünsche, daß ich bei einem Kriege mit dem Krakauer König nicht Partei ergreife.«

»Allergnädigster Herr,« antwortete der Hauptmann, »ist dies die einzige Antwort, die ich den mächtigen Brüdern überbringen soll?«

»Wenn Euch dies nicht genügt, so sagt ihnen, daß ich sie für niederträchtige Hunde, nicht für wahre Ritter halte.«

Damit endigte die Unterredung. Der Hauptmann schickte sich zur Abfahrt an, und der Fürst brach noch am nämlichen Tage nach Ciechanow auf. So blieb denn nur die Frau mit dem Balsam zurück, den der mißtrauische Pater Wyszoniek nicht anwenden wollte, zumal der Kranke in der vorhergegangenen Nacht gut geschlafen hatte, und des Morgens zwar noch etwas ermattet aber doch fieberfrei erwacht war.

– – – – – – – – –

Pater Wyszoniek nahm es beinahe schon als sicher an, daß der Kranke genesen werde, als plötzlich ein unvorhergesehenes Ereignis alle Berechnungen und Hoffnungen zu nichte machte. Von Jurand kamen Boten mit einem an die Fürstin gerichteten Briefe, der schlimme, traurige Nachrichten enthielt. In Spychow war ein Teil von Jurands Burg abgebrannt, er selbst bei seinen Rettungsversuchen von einem brennenden Balken verletzt worden. Der Pater Kaleb, welcher in seinem Namen schrieb, berichtete zwar, daß Jurand wieder genesen werde, daß aber auch dessen eines, bisher gesundes Auge jetzt durch die Flammen Schaden genommen habe, so daß er der Sehkraft beinahe beraubt sei und ihm völlige Erblindung drohe.

Aus diesem Grunde forderte Jurand die Tochter auf, sofort nach Spychow zu kommen, da er sie noch sehen wolle, bevor völlige Dunkelheit ihn umgebe. Auch wünschte er, daß sie fortan bei ihm bleibe. Da jeder Blinde, der sich durch Almosen das Leben friste, ein Kind bei sich habe, das ihn an der Hand führe und ihm den Weg zeige, sehe er die Notwendigkeit nicht ein, weshalb er dieses einzigen Trostes beraubt werden und unter Fremden sterben solle. Der Brief enthielt auch eine warme Danksagung für die Fürstin, welche Danusia ja wie eine leibliche Mutter auferzogen habe, und schließlich gelobte Jurand, daß er trotz seiner Blindheit einmal noch nach Warschau kommen werde, um der Herrin zu Füßen zu fallen und um die Gnade zu bitten, daß er Danusia behalten dürfe.

Als der Pater Wyszoniek der Fürstin diesen Brief vorgelesen hatte, vermochte sie einige Zeit kein Wort hervorzubringen. Sie hatte die Hoffnung gehegt, Jurand, welcher fünf- oder sechsmal im Jahre seine Tochter besuchte, werde zu den nahen Festtagen kommen, und könne dann sie durch ihren eigenen Einfluß und durch des Fürsten Janusz Fürbitte seine Zustimmung zu einer baldigen Hochzeit erlangen. Aber dieser Brief vereitelte nicht nur ihre Absichten, sondern raubte ihr zugleich auch Danusia, die wie ein eigenes Kind von ihr geliebt wurde. Unwillkürlich kam ihr der Gedanke, daß Jurand vielleicht das Mädchen mit einem seiner Nachbarn vermählen wolle, um dann den Rest seiner Tage bei seiner Tochter zu verleben. Daß Zbyszko sich nach Spychow begeben konnte, daran war gar nicht zu denken, denn seine Wunden fingen erst jetzt an zu heilen, und zudem, wer vermochte vorauszusagen, wie er in Spychow aufgenommen werde? Wußte doch die Herrin, daß Jurand ihm früher rundweg die Tochter verweigert, erinnerte sie sich doch, wie er ihr selbst gesagt hatte, aus Gründen, die Geheimnis bleiben müßten, werde er niemals in die Verbindung willigen. So gebot sie denn mit schwerem Herzen, den ältesten der Boten herbeizurufen, um Näheres über das Unglück in Spychow und zugleich auch etwas über Jurands Absichten von ihm zu erfahren.

Doch wunderte sie sich, als auf ihren Befehl hin ein Mann erschien, der ihr völlig unbekannt war, nicht aber der alte Tolima, welcher den Schild hinter Jurand herzutragen pflegte und gar häufig mit ihm gekommen war. Jener Abgesandte erzählte ihr indessen, daß Tolima, der beim letzten Kampfe mit den Deutschen furchtbar verletzt worden sei, in Spychow mit dem Tode ringe, daß Jurand von schweren Leiden heimgesucht sei und um unverzügliche Rückkehr der Tochter bitte, da er immer weniger sehe und binnen kurzem vielleicht gänzlich erblinden werde. Der Bote bat sogar inständig, daß er sogleich, sobald die Pferde verschnauft hätten, mit dem jungen Mädchen aufbrechen dürfe, aber da der Abend schon angebrochen war, erhob die Fürstin Einsprache dagegen, vornehmlich um Zbyszko und Danusia, sowie sich selbst durch einen voreiligen Abschied das Herz nicht noch schwerer zu machen.

Zbyszko, den man von allem benachrichtigt hatte, lag wie betäubt da, und als die Fürstin eintrat und auf der Schwelle schon händeringend ausrief: »Da giebt es keinen Rat, denn er ist ihr Vater!« wiederholte er wie ein Echo: »Da giebt es keinen Rat!« und schloß die Augen gleich einem Menschen, welcher hofft, daß ihn der Tod bald von jeder Qual befreie.

Aber der Tod kam nicht, wennschon Zbyszkos Leid immer größer ward und ihm immer traurigere Gedanken durch den Sinn zogen, gleich den Regenwolken, welche, vom Sturm getrieben, den Sonnenschein verhüllen. Denn wie die Fürstin begriff auch Zbyszko, daß Danusia, einmal in Spychow angelangt, für ihn so gut wie verloren war. Hier am Hofe waren ihm alle gewogen, während Jurand sich vielleicht weigerte, ihn bei sich aufzunehmen, zumal wenn er sich durch ein Gelübde oder durch irgend einen andern nicht minder wichtigen Grund gebunden fühlte. Und schließlich, wie hätte er sich nach Spychow begeben können, da er krank war und sich kaum auf seinem Lager bewegen konnte? Vor einigen Tagen, als ihm durch des Fürsten Gnade der Rittergürtel und die goldenen Sporen unverhofft zuteil geworden waren, hatte er geglaubt, die übermächtige Freude werde ihn gesund machen, und er hatte inbrünstig gebetet, sich bald erheben und sich mit den Kreuzrittern messen zu dürfen, aber jetzt verlor er wieder alle Hoffnung, denn er sagte sich, wenn Danusia ihm fehle, werde ihm auch die Lust am Leben und die Kraft fehlen, gegen den Tod anzukämpfen. Wenn nun der nächste Tag kam und der übernächste, wenn der heilige Abend und die Festtage herannahten, war er allein, ob die Glieder ihn auch schmerzten, ob ihn auch ein Schwächeanfall überkam, war er allein, und die sonnige Helle, welche von Danusias Wesen ausging und wodurch sie jedes Auge erfreute, war auf einmal verschwunden. Welch süßer Trost war es, sagen zu können: ›Hast du mich lieb?‹ und dann zu sehen, wie Danusia lachend und doch verschämt ihr Gesicht mit den Händchen bedeckte, oder sich zu ihm herabbeugte und erwiderte: ›Dich, Dich Zbyszko, liebe ich allein!‹ Von jetzt an konnten nur Krankheit, Schmerz und bange Sehnsucht seine Gefährten sein, das Glück aber wandte sich von ihm und kehrte nimmer zurück.

Thränen traten in Zbyszkos Augen und rollten langsam über seine Wangen, während er, zu der Fürstin gewendet, sagte: »Allergnädigste Herrin, verläßt Danusia mich jetzt, so werde ich sie in meinem ganzen Leben niemals wiedersehen.«

Und die tief erschütterte Fürstin antwortete: »Wahrlich, es wäre kein Wunder, wenn Du aus Kummer sterben würdest. Doch unser Herr Jesus ist barmherzig.«

Um ihn einigermaßen zu trösten, fügte sie jedoch nach einer Weile hinzu: »Wenn aber Jurand vor Dir stürbe, so würde die Vormundschaft dem Fürsten und mir übertragen, und dann bekämst Du das Mädchen sofort.«

»Wenn er vor mir stürbe!« wiederholte Zbyszko.

Aber plötzlich kam ihm offenbar ein neuer Gedanke, denn er richtete sich auf und begann mit völlig veränderter Stimme: »Allergnädigste Herrin …«

Doch er wurde von Danusia unterbrochen, welche weinend hereinkam und schon an der Schwelle rief: »Weißt Du es schon, Zbyszko? O wie jammert mich mein Vater, aber wie jammerst auch Du mich, Du Armer!«

Als sie nun zu Zbyszko herantrat, da umschlang er sie mit dem gesunden Arm und sagte in schmerzlichem Tone: »Wie kann ich ohne Dich leben, geliebtes Mädchen! Nicht darum habe ich über Flüsse gesetzt, bin ich durch weite Wälder gedrungen, nicht darum gelobte ich mich Dir an und diente Dir, damit ich Dich jetzt verliere. Ach, was helfen Kummer, was helfen Thränen! Doch selbst mit dem Tod ist meine Liebe nicht zu Ende, denn wenn auch der Rasen sich über mir wölbte, so würde doch meine Seele Deiner nicht vergessen, auch nicht im Reiche unseres Herrn Jesu, auch nicht bei unserem himmlischen Vater in der ewigen Ruhe … Ich weiß, hier ist schwer Rat schaffen, und doch müssen wir Rat schaffen, müssen wir etwas wagen. Meine Glieder sind wie gelähmt, und ich leide furchtbare Schmerzen, aber falle Du der Herrin zu Füßen, weil ich es nicht vermag – und bitte um Erbarmen für uns.«

Als Danusia des Geliebten Worte vernahm, sank sie vor der Fürstin nieder und deren Knie umfassend, verbarg sie ihr helles Köpfchen in der Herrin dunklem Gewande. Diese aber richtete einen mitleidigen und zugleich verwunderten Blick auf Zbyszko.

»Wie kann ich Euch helfen?« fragte sie. »Lasse ich das Kind nicht zu dem kranken Vater, so lade ich Gottes Zorn auf mich.«

Zbyszko sank wieder in die Kissen zurück und vermochte einige Zeit nichts zu erwidern, weil ihm der Atem ausgegangen war. Langsam schob er dann auf der Brust eine Hand zu der andern heran und faltete sie wie zum Gebete.

»Ruhe ein wenig,« sagte die Fürstin, »und sobald Du kannst, erkläre mir, um was es sich handelt. Du aber, Danuska, erhebe Dich.«

»Ja, ich muß ruhen, aber Du erhebe Dich nicht, Danusia, und bitte zugleich mit mir!« ließ sich Zbyszko vernehmen. Dann begann er mit schwacher Stimme und in abgerissenen Worten: »Allergnädigste Herrin! … Schon in Krakau war ja Jurand gegen mich … er wird auch jetzt noch gegen mich sein, aber wenn Pater Wyszoniek mich mit Danusia trauen würde – dann mag sie nach Spychow ziehen, weil keine Macht der Welt mir sie dann mehr rauben kann.«

Diese Worte kamen der Fürstin so unerwartet, daß sie von ihrem Sitze aufsprang, sich dann wieder niederließ und wie wenn sie nicht recht begriffen hätte, wovon die Rede war, ausrief: »Bei den Wundenmalen unseres Herrn! … Der Pater Wyszoniek …«

»Allergnädigste Herrin! … Allergnädigste Herrin!« bat Zbyszko in eindringlichem Tone.

»Allergnädigste Herrin!« flehte auch Danusia, abermals der Fürstin Knie umfassend.

»Wie wäre dies möglich, ohne die Einwilligung des Vaters?«

»Gottes Gebote sind die mächtigsten!« antwortete Zbyszko.

»Man muß diese Gebote ehren!«

»Wer ist denn der Vater, wenn es der Fürst nicht ist? … Wer ist denn die Mutter, wenn Ihr es nicht seid, gnädigste Herrin!«

»Mein gütiges Mütterchen!« setzte Danusia hinzu.

»Daß ich ihr eine Mutter war und noch bin, ist richtig!« sagte die Fürstin. »Auch habe ich Jurand einst die Gattin zugeführt. Und wenn die Trauung einmal stattgefunden hat, dann ist nichts mehr an der Sache zu ändern. Sicherlich wird Jurand sehr aufgebracht sein, aber er hat ja dem Fürsten, seinem Herrn, gegenüber auch Verpflichtungen. Uebrigens dürfte man es ihm nicht sofort sagen, sondern erst, wenn er die Tochter einem andern geben, oder für immer ins Kloster schicken will. Und falls er wirklich ein Gelübde gethan hat – nun, so wird ihm ja keine Schuld beizumessen sein. Gegen den Willen Gottes vermag niemand etwas auszurichten … Und vielleicht ist es der Wille Gottes!«

»Anders kann es nicht sein,« rief Zbyszko.

Aber die Fürstin sagte tief bewegt: »Warte, laß mich erst zu mir selbst kommen. Wäre der Fürst hier, so würde ich sogleich zu ihm gehen und fragen: ›Soll ich ihm das Mädchen geben oder nicht?‹ … Aber ohne ihn bangt mir davor … so daß mir der Atem in der Brust stockt, und wir haben doch nicht viel Zeit, weil Danusia morgen aufbrechen soll! … Ach, lieber Jesu! Mag sie sich denn als Eheweib auf die Reise machen – dann wirst Du ja zufrieden sein. Nur bin ich noch nicht recht zu mir selbst gekommen – und welche Angst habe ich. Fühlst Du keine Angst, Danuska, sprich?«

»Wird mein Wunsch nicht erfüllt, so sterbe ich!« fiel hier Zbyszko ein.

Das junge Mädchen erhob sich, und da es stets vertraulich mit der gütigen Herrin verkehren durfte, ja sogar von ihr verhätschelt ward, schlang es die Arme um ihren Hals und umarmte sie zärtlich.

Doch die Fürstin erklärte: »Ohne den Pater Wyszoniek kann ich noch nichts bestimmen. Geh und hole ihn.«

Danusia eilte zum Pater Wyszoniek. Zbyszko aber wendete der Fürstin sein bleiches Antlitz zu und sagte: »Was der Herr Jesus über mich verhängt hat, das muß ich tragen, doch den Trost, den Ihr mir spendet, allergnädigste Fürstin, möge Gott Euch lohnen.«

»Preise mich nicht zu früh,« erwiderte die Fürstin, »denn wir wissen noch nicht, wie alles sich gestalten wird. Du mußt mir auch bei Deiner Ehre geloben, daß Du Dich der Abreise des Mädchens nicht widersetzen wirst, wenn die Trauung vollzogen ist. Und Gott verhüte, daß Du Fluch und Unheil auf Dich und sie ladest.«

»Bei meiner Ehre!« wiederholte Zbyszko.

»Sei dessen eingedenk! Und ihrem Vater gegenüber soll Danusia vorerst schweigen. Es ist besser, wenn ihm die Kunde nicht unverhofft zukommt. Von Ciechanow aus lassen wir ihn auffordern, er möge sich mit Danusia bei uns einstellen, und dann bringe ich ihm die Nachricht bei, oder ich bitte den Fürsten, es zu thun. Wenn er sieht, daß die Sache nicht mehr zu ändern ist, wird er sich zufrieden geben. Er ist Dir niemals gram gewesen.«

»Nein, er ist mir nie gram gewesen, und im Innern freut er sich vielleicht, wenn er hört, daß Danusia die Meine ist. Denn falls er wirklich ein Gelübde gethan hat, kann ihm niemand eine Schuld beimessen, weil ja alles hinter seinem Rücken geschieht.«

Der Eintritt des Paters und Danusias unterbrach das Gespräch. Die Fürstin zog ihn sofort zu Rate und erzählte ihm mit wahrem Feuereifer von Zbyszkos Vorhaben, er aber hatte kaum vernommen, um was es sich handelte, als er sich bekreuzte und voll Verwunderung sagte: »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes! Wie kann ich dies thun? Wir haben ja Advent!«

»Bei Gott! Das ist wahr!« rief die Fürstin aus.

Ein kurzes Schweigen folgte – nur die betrübten Mienen aller Anwesenden zeigten, wie tief sie von den Worten des Pater Wyszoniek getroffen wurden.

Nach einer Weile fuhr er fort: »Hätte ich Dispens, so würde ich mich nicht widersetzen, denn ich beklage Euch tief. Nach Jurands Einwilligung würde ich nicht fragen, weil die gnädige Herrin die Trauung gestattet und für die Zustimmung des Fürsten, unseres Herrn bürgt – denn für das masovische Volk sind diese beiden ja Vater und Mutter. Aber ohne den Dispens kann ich es nicht thun. Traun! Wäre der Fürstbischof Jakob aus Kurdwanow hier, der würde mir den Dispens wohl nicht verweigern – obgleich er strengen Sinnes ist, ganz anders als sein Vorgänger, der Bischof Mamphiolus, der zu allem › bene! bene!‹ sagte.«

»Der Bischof Jakob aus Kudwanow ist dem Fürsten und mir sehr zugethan,« warf die Herrin ein.

»Darum glaube ich, er würde den Dispens nicht verweigern, zumal dringende Gründe zu der Trauung vorhanden sind. Das Mädchen muß abreisen und dieser Jüngling ist krank und wird möglicherweise sterben … Hm! in articulo mortis. Aber ohne Dispens …«

»Ich könnte den Bischof Jakob später um nachträglichen Dispens bitten. Von der strengen Seite kenne ich ihn nicht, auch wird er mir diese Bitte wohl nicht abschlagen. Ich bürge sogar dafür, daß er sie mir nicht abschlägt.«

Daraufhin sagte der Pater Wyszoniek, welcher ein guter, weichherziger Mensch war: »Die Worte der Gesalbten Gottes sind schwerwiegende Worte – der Fürstbischof flößt mir zwar Angst ein, aber dies sind schwerwiegende Worte! – Vielleicht könnte der Jüngling auch etwas für die Kathedrale zu Plock stiften. – Ich weiß nicht, was ich thun soll. – Ohne Dispens wird es eine Sünde sein, und ich lade die Sünde auf mich. Hm! Unser Herr Jesus ist freilich barmherzig, und wenn jemand nicht um des eigenen Vorteiles willen sündigt, sondern nur aus Mitleid für die Leiden anderer, wird ihm um so eher verziehen. – Aber eine Sünde wird es sein, und wenn nun der Bischof nicht nachsichtig ist?«

»Der Bischof ist aber nachsichtig!« rief die Fürstin Anna.

Pater Wyszoniek, dem es vor allem am Herzen lag, Zbyszko und Danusia zu Hilfe kommen zu können, da er diese von ihrer Kindheit an kannte und sie sehr liebte, teilte schließlich die Meinung der Fürstin und zu ihr gewendet, sagte er: »Ich bin zwar ein Geistlicher, aber ich bin auch ein Diener des Fürsten. Was befiehlt mir die allergnädigste Herrin?«

»Ich will Euch nichts befehlen – ich bitte nur!« antwortete die Fürstin.

Da erhob der Pater Wyszoniek den Blick und die Hände gen Himmel.

»So mag es denn geschehen, Euerm Willen gemäß!«

Auf diese Worte hin zog Freude in aller Herzen ein. Zbyszko richtete sich wieder in seinen Kissen auf, und die Fürstin, Danusia, sowie der Pater Wyszoniek setzten sich an seinem Lager nieder und hielten Rat, wie es bei einer so wichtigen Sache nötig war. Sie beschlossen, das Geheimnis zu wahren, auf daß keine lebende Seele etwas davon erführe, sie beschlossen ferner, daß auch Jurand nichts davon hören dürfe, bis die Herrin selbst ihm in Ciechanow alles mitteilen könne. Dem Pater Wyszoniek oblag es dann, für die Fürstin einen Brief an Jurand zu schreiben und ihn aufzufordern, nach Ciechanow zu kommen, wo es bessere Heilmittel für seine Leiden gebe und er und seine Tochter weniger vereinsamt seien. Schließlich ward bestimmt, daß Zbyszko und Danusia noch beichten und des Nachts, wenn alle Leute schlafen gegangen waren, getraut werden sollten.

– – – – – – – – –

Zbyszko dachte zuerst daran, den böhmischen Knappen als Trauzeugen zu nehmen, doch kam er wieder von dieser Absicht zurück, weil ihm plötzlich einfiel, daß Hlawa ihm von Jagienka gesandt worden war. Während eines kurzen Augenblickes sah er sie im Geiste so lebhaft vor sich, daß ihn dünkte, er sehe ihr gerötetes Antlitz, ihre verweinten Augen und er höre ihre flehenden Worte: »Thue mir dies nicht an! Vergelte mir nicht Gutes mit Bösem, um meiner Liebe willen, kränke mich nicht so!«

Und plötzlich ergriff ihn tiefes Mitleid mit ihr, denn er fühlte, daß sie viel zu leiden haben werde, nirgends Trost finden könne, und daß ihr weder die Bewerbung von Cztan und Wilk, noch die reichen Gaben des Abtes Ersatz zu bieten vermochten. Daher sagte er ihr im Geiste: »Gott verleihe Dir nur Gutes und Schönes, Mädchen, aber obwohl ich Dir gerne den Himmel herabholen möchte, weiß ich Dir doch nicht zu helfen.«

Und die Ueberzeugung, daß es nicht in seiner Macht stand, ihr zu helfen, gewährte ihm zuletzt Erleichterung, und seine innere Ruhe kehrte zurück, sodaß sich seine Gedanken wieder ausschließlich mit Danusia und der Trauung beschäftigen konnten.

Da er jedoch die Hilfe des Böhmen nicht entbehren konnte, aber jetzt entschlossen war, ihm nichts von dem zu enthüllen, was geschehen sollte, ließ er ihn zu sich rufen und sagte ihm: »Ich werde heute beichten und das Abendmahl nehmen, kleide mich daher so schmuck und schön, wie wenn ich mich in die königlichen Gemächer begeben müßte.«

Der Böhme erschrak ein wenig und blickte ihn erstaunt an, doch Zbyszko, welcher sofort seine Gedanken erriet, setzte hinzu: »Fürchte nichts, man beichtet ja nicht bloß, wenn man den Tod herannahen fühlt. Zu den kommenden Festtagen wird sich zudem der Pater Wyszoniek mit der Fürstin nach Ciechanow begeben und wir müßten dann wegen eines Geistlichen bis nach Przasnysz senden.«

»Und Euer Gnaden begleitet die Fürstin nicht?«

»Wenn ich gesund werde, begleite ich sie, aber dies liegt in Gottes Hand.«

Nun beruhigte sich der Böhme, eilte an eine Lade und holte jene erbeutete weiße, mit Gold benähte Jacke, welche der junge Ritter gewöhnlich bei großen Festlichkeiten trug, sowie einen schönen Teppich, um des Kranken Lager zu bedecken. Dann richtete er Zbyszko mit Hilfe der beiden Türken empor, wusch ihn, kämmte seine langen Haare, band ihm eine scharlachrote Stirnbinde um, und schließlich als er fertig war, stützte er ihn mit den Kissen, indem er erfreut über seiner Hände Werk ausrief: »Wenn Euer Gnaden tanzen könnten, so könnte man Hochzeit feiern!«

»Ja, jetzt müßte man sie noch ohne Tanz feiern,« entgegnete Zbyszko lächelnd.

Unterdessen sann auch die Fürstin in ihrer Kammer nach, wie Danusia gekleidet werden solle. Echt weiblich geartet, legte sie dieser Angelegenheit große Bedeutung bei, und um nichts in der Welt hätte sie gestattet, daß ihre geliebte Pflegetochter sich im Alltagsgewand trauen lasse. Die Dienerinnen, denen sie sagte, Danusia müsse die Farbe der Unschuld tragen, wenn sie das Abendmahl nehme, hatten in der Truhe nicht lange nach einem weißen Kleide zu suchen, hingegen mangelte es an einer passenden Kopfbedeckung. Ein trauriges Gefühl überkam die Fürstin, als sie dies vernahm, und sie klagte laut darüber.

Die Kreuzritter

Zbyszko und Danusia wiederholten nacheinander des Geistlichen Worte: »Ich … nehme … Dich!«

»Wie könnte ich für Dich, Du Verwaiste, den Rautenkranz in diesem Walde finden?« sagte sie. »Weder ein Blümchen noch ein Blatt ist mehr zu sehen, nur etwas Moos schimmert noch unter dem Schnee hervor.«

Danusia, die schon mit aufgelösten Haaren dastand, war ebenfalls sehr niedergeschlagen, da auch ihr viel an einem Kranze lag, nach einer Weile jedoch zeigte sie auf eine an der Wand hängende Guirlande aus Immortellen und sagte: »Diese Ranken könnte man binden, denn etwas anderes werden wir nicht bekommen und Zbyszko nimmt mich auch in solchem Kranze.«

Anfangs wollte die Fürstin nicht auf diesen Vorschlag eingehen, weil ihr ein Immortellenkranz wie eine schlimme Vorbedeutung erschien, da indessen auf dem ganzen Jagdhofe keine andern Blumen aufzutreiben waren, willigte sie schließlich ein. Mittlerweile erschien der Pater Wyszoniek, der Zbyszko schon Beichte gehört hatte, und begab sich mit dem jungen Mädchen, das nun gleichfalls beichten sollte, in die Schloßkapelle.

Die Nacht sank hernieder. Auf Befehl der Fürstin ging die Dienerschaft nach dem Abendbrot zur Ruhe. Binnen kurzem ging das Feuer auf den Herden in den Gesindestuben zu Asche über und erlosch, im ganzen Waldhof ward alles stille. Nur in dem Gemache, wo die Fürstin, der Pater Wyszoniek und Zbyszko weilten, waren die Fenster noch hell erleuchtet und warfen rötliche Lichter auf den Schnee im Vorhofe.

Nach Mitternacht nahm die Fürstin Danusia an der Hand und führte sie in Zbyszkos Stube, wo der Pater Wyszoniek schon mit dem Ciborium bereit stand. Auf dem Herde brannte ein mächtiges Feuer aus Buchenholz und bei dessen hellem, aber ungleichmäßigen Lichte erblickte Zbyszko das infolge der schlaflosen Nacht etwas bleich aussehende junge Mädchen mit einem Immortellenkranze auf dem Haupte, in einem steifen, weißen, bis zur Erde reichenden Gewande. In ihrer tiefen Erregung hatte sie die Augenlider fast geschlossen, und ihre Arme sanken schlaff am Körper herab. So erinnerte sie an eine Gestalt auf einem gemalten Kirchenfenster. Ihr Wesen hatte etwas so Ueberirdisches, daß Zbyszko bei ihrem Anblick von der höchsten Verwunderung ergriffen ward, weil ihn dünkte, das Weib, das er sich erwählt, sei keine Sterbliche, sondern ein der Erde entrücktes Wesen. Dieser Eindruck ward noch verstärkt, als sie mit gefalteten Händen zur Kommunion niederkniete, den Kopf zurückbeugte und die Augen vollständig schloß. Wie eine Abgeschiedene erschien sie ihm jetzt, und bange Sorge zog in sein Herz ein. Indessen währte dies nicht lange. » Ecce Agnus Dei« ließ sich die Stimme des Geistlichen vernehmen, Zbyszko suchte sich zu sammeln und seine Gedanken wandten sich Gott zu. In der Stube vernahm man nichts als die feierlichen Worte des Pater Wyszoniek: » Domine – non sum dignus,« das Knistern der Holzspäne und das wehmütige Zirpen der Heimchen auf dem Herde. Draußen vor den Fenstern aber erhob sich ein Sturmwind, der brausend durch den schneebedeckten Wald fuhr, aber bald wieder nachließ.

Während Zbyszko und Danusia noch einige Zeit in Schweigen verharrten, nahm Pater Wyszoniek den Kelch und trug ihn in die kleine Hauskapelle zurück. Nach einiger Zeit kehrte er wieder, aber nicht allein, sondern in Begleitung des Herrn de Lorche, und als er das Erstaunen in den Mienen aller Anwesenden bemerkte, legte er den Finger auf den Mund, wie wenn er irgend einem unvorhergesehenen Ausruf zuvorkommen wollte. Dann sagte er: »Ich dachte, es werde besser sein, wenn wir zwei Trauzeugen haben, darum habe ich diesen Ritter eingeweiht, und er hat mir bei seiner Ehre und bei den Aachener Reliquien geschworen, das Geheimnis zu bewahren, so lange es nötig sei.«

Herr de Lorche kniete zuerst vor der Fürstin, dann vor Danusia nieder, hierauf erhob er sich und stand lange unbeweglich und schweigend da, während vom Feuer her rötliche Lichtchen auf die glänzende Rüstung fielen, die er trug. Er war wie überwältigt von Entzücken, denn auch ihm erschien das weißgekleidete Mädchen mit dem Immortellenkranze wie ein Engel auf dem gemalten Fenster eines gotischen Domes.

Der Geistliche führte Danusia an Zbyszkos Lager, und die Stola über die Hände der beiden legend, begann er die übliche Ceremonie. Die Fürstin vergoß Thränen der Rührung, doch im Innern war sie jetzt vollständig ruhig. Sagte sie sich doch, sie thue gut daran, diese schönen und unschuldigen Kinder zu vereinigen.

Herr de Lorche kniete zum zweitenmal nieder, und wie er sich so mit beiden Händen auf sein Schwert stützte, glich er einem Ritter, der eine Vision zu erblicken vermeint – Zbyszko und Danusia wiederholten nach einander des Geistlichen Worte: »Ich … nehme … Dich!« – und als Begleitung dieser leise geflüsterten süßen Worte knisterten die Buchenscheite, zirpten die Grillen auf dem Herde. Nach Beendigung der Ceremonie sank Danusia zu den Füßen der Fürstin nieder. Diese segnete die beiden, und das junge Paar dem Schutze des Himmels empfehlend, sagte sie: »Freuet Euch nun, daß Ihr Euch auf ewig angehört!«

Da streckte Zbyszko seinen Arm nach Danusia aus, sie schlang ihre Hände um seinen Hals, und eine Weile hörte man, wie sie sich, Mund an Mund gedrückt, zuflüsterten: »Du bist mein, Danusia!« – »Du bist mein, Zbyszko!«

Aber plötzlich ließen Zbyszkos Kräfte nach, die Erschütterung übermannte ihn und in die Kissen zurücksinkend, atmete er schwer. Doch ward er nicht bewußtlos, und er lächelte Danusia zu, als sie ihm den kalten Schweiß auf der Stirn trocknete, während er unablässig flüsterte: »Mein bist Du, Danuska!« worauf sie jedesmal ihr Köpfchen mit den lang herabwallenden Haaren zu ihm niederbeugte.

Durch diesen Anblick ward Herr de Lorche dermaßen gerührt, daß er erklärte, er habe noch in keinem Lande so zärtliche, gefühlvolle Herzen gesehen, und daher gelobe er feierlich, zu Fuß oder zu Pferd mit jedem Ritter oder Ungeheuer zu kämpfen, die es wagten, sich dem Glück des jungen Paares hindernd in den Weg zu stellen.

Die Fürstin, welche sich keine Trauung ohne Festlichkeit denken konnte, holte Wein herbei und alle labten sich daran.

Eine Stunde der Nacht nach der andern ging dahin. – Zbyszko, welcher seine Schwäche überwunden hatte, zog Danusia wieder zu sich heran und sagte: »Durch unsern Herrn Jesus bist Du nun mein, und niemand kann Dich mir rauben, aber daß Du fortgehst, thut mir weh‘, Du mein geliebtes Täubchen.«

»Ich komme ja mit dem Väterchen nach Ciechanow,« erwiderte Danusia.

»Wenn Du nur nicht krank wirst … oder Dir sonst etwas zustößt … Gott schütze Dich vor jedem Ungemach! Nach Spychow mußt Du Dich begeben, das weiß ich wohl! Gott und unserer allergnädigsten Herrin habe ich es zu danken, daß Du mein bist, denn keine irdische Gewalt kann jetzt die Trauung mehr ungeschehen machen.«

Die geheimnisvolle Trauung in nächtlicher Stille und der Gedanke an den bevorstehenden Abschied bewirkten, daß eine seltsame Trauer nicht nur Zbyszko, sondern auch alle andern überkam. Das Gespräch stockte häufig, von Zeit zu Zeit drohte auch das Feuer auf dem Herde zu erlöschen, und alles versank in Dunkelheit. Dann warf der Pater Wyszoniek wieder Holz auf die Kohlen, und da die dürren Scheite knisterten und krachten wie frisches Holz, so daß es beinahe wehmütig klang, fragte er: »Büßende Seele, was verlangst Du?«

Doch nur die Grillen antworteten ihm. Aber die Flamme stieg hoch empor, sie beleuchtete die übernächtigen Gesichtszüge der hier in der Dunkelheit Versammelten, spiegelte sich in der prächtigen Rüstung des Herrn de Lorche und warf ihren hellen Schein auf das weiße Gewand und auf den Immortellenkranz Danusias.

Draußen begannen jetzt die Hunde wieder zu bellen, gegen die Seite des Waldes zu schlugen sie an, wie wenn sie Wölfe witterten.

Und je weiter die Nacht vorrückte, je häufiger stockte das Gespräch, bis schließlich die Fürstin sagte: »Lieber Jesu! wenn solche Stimmung nach einer Trauung herrscht, wäre es besser, schlafen zu gehen; da wir aber doch nun einmal bis zum frühen Morgen wachen müssen, so spiele uns vor Deiner Abreise noch etwas auf der Laute, liebes Kind – mir und Zbyszko spiele noch etwas.«

Von Ermattung und Schlaftrunkenheit beinahe überwältigt, war Danusia nur zu gern bereit, sich durch Gesang und Spiel wieder etwas zu beleben, daher entfernte sie sich, um die Laute zu holen, und nach einer Weile damit zurückgekehrt, setzte sie sich an Zbyszkos Lager nieder. »Was soll ich spielen?« fragte sie.

»Was sonst,« antwortete die Fürstin, »als jenes Lied, das Du in Tyniec sangst, als Du Zbyszko zum erstenmal sahst!«

»Hei! Wie gut erinnere ich mich des Liedes – solange ich lebe, werde ich es niemals vergessen,« sagte Zbyszko. »Und so oft ich es irgendwo hörte, sind mir die Thränen in die Augen gekommen.«

»So will ich dies Lied singen!« erklärte Danusia.

Sogleich begann sie zu präludieren und wie gewöhnlich das Köpfchen ein wenig zurückwerfend, hub sie an:

»Wie wär‘ ich gerne
Ein Gänslein klein,
Ich flög‘ in die Ferne
Zu Jasko mein.

In Schlesien flög ich nieder
Auf grünen Rain,
Die Waise sieh wieder,
Jasienko mein!« …

Aber plötzlich brach sie ab, ihre Lippen zitterten und unter den geschlossenen Lidern hervor drangen die Thränen unaufhaltsam. Einen Augenblick noch bemühte sie sich, dieselben zurückzuhalten, doch vergeblich, und schließlich weinte sie so schmerzlich, wie damals, als sie Zbyszko im Gefängnis zu Krakau das Lied vorgesungen hatte.

»Danuska! Was fehlt Dir?« fragte Zbyszko.

»Weshalb weinst Du? Welch eine Hochzeit ist dies!« rief die Fürstin aus. »Weshalb weinst Du? Sprich!«

»Ich weiß es nicht,« sagte Danuska schluchzend. »Mir ist so traurig zu Mute! … So weh ums Herz! … Ich soll Zbyszko und Euch, gnädige Herrin …«

Nun bemühten sich alle, sie zu trösten, ihr auseinanderzusetzen, daß ihre Abwesenheit nicht lange dauern werde und daß sie zu den Festtagen gewiß mit ihrem Vater nach Ciechanow kommen könne. Zbyszko schlang den Arm um sie, preßte sie an seine Brust und küßte ihr die Thränen von den Wangen – gleichwohl vermochten sie alle den Druck nicht abzuschütteln, der auf ihnen lastete, und so ging die Nacht dahin.

Da ließ sich plötzlich von dem Vorhofe her ein lautes durchdringendes Geräusch vernehmen, so daß alle zusammenfuhren. Von ihrer Bank aufspringend rief die Fürstin: »Guter Gott! Es sind die Pferde! Sie werden schon zur Tränke geführt.«

Pater Wyszoniek blickte zum Fenster hinaus, durch dessen kleine runde Glasscheiben ein graues Dämmerlicht hereinfiel, und sagte: »Die Nacht ist vergangen und der Tag bricht an. Ave Maria, gratia plena

Dann verließ er die Stube, und als er nach wenigen Augenblicken zurückkehrte, bemerkte er: »Es tagt, doch wird es ein trüber Tag werden; Jurands Leute führen ihre Pferde zur Tränke. Und für Dich ist es an der Zeit, aufzubrechen, Du Arme!«

Als sie dies hörten, schluchzten die Fürstin sowie Danusia laut auf. Sie und Zbyszko drückten nun unverhohlen ihre Empfindungen aus, so wie zuweilen Leute aus dem Volke ihre Empfindungen ausdrücken, wenn ihnen eine Trennung bevorsteht.

»Ach, was helfen uns noch Harm und Klagen,
Mein Lieb, ade! wir müssen es tragen!
Und ob es auch schmerzt die Seele mein,
Du trautes Herz, geschieden muß sein!
Geschieden muß sein.«

In diesen schmerzlichen Worten lag etwas Feierliches, sie lauteten halb wie ein Wehruf, halb wie ein Klagegesang, der, aus dem tiefsten Innern emporströmend, den Thränen gleicht, die aus den Augen rinnen.

Zbyszko preßte Danusia zum letztenmal an seine Brust und hielt sie lange umfangen, so lange, bis er sich nicht mehr aufrecht zu halten vermochte und die Fürstin sie von ihm wegzog, damit sie sich zur Reise ankleide.

Mittlerweile war es vollständig Tag geworden. Auf dem ganzen Jagdhofe ward es lebendig, Knechte und Mägde gingen ihren Geschäften nach. Da trat der böhmische Knappe in das Zimmer Zbyszkos, um nach dessen Befinden zu fragen und etwaige Befehle entgegen zu nehmen.

»Ziehe mein Lager zum Fenster heran,« gebot der Ritter.

Der Böhme that dies mit Leichtigkeit. Er staunte zwar höchlich, als Zbyszko befahl, das Fenster zu öffnen, gehorchte aber auch diesem Befehle und deckte seinen Herrn mit einem Schafpelz zu.

Zbyszko blickte hinaus. Im Vorhofe stand ein Schlitten, um den sich Bewaffnete, Jurands Leute, auf ihren reifbedeckten, schnaubenden Pferden scharten. Die Bäume des Waldes schienen fast vollständig unter dem Schnee vergraben zu sein, von den Zäunen, Wegen und Zugängen war nichts mehr zu sehen.

Danusia, die schon ganz in Pelz gehüllt war und eine Schaube aus Fuchspelz trug, kam noch einmal in die Stube zu Zbyszko, fiel ihm um den Hals und sagte beim Abschiede: »Wenn ich Dich auch verlasse, bin ich doch die Deine!«

Und er küßte ihre Hände, ihre Wangen und ihre Augen, die unter dem Pelz kaum zu sehen waren, und sagte: »Gott schütze Dich! Gott geleite Dich! Mein bist Du nun, mein bis zum Tode!« Und da man sie wieder gewaltsam von ihm trennte, richtete er sich auf, so gut er konnte, lehnte sein Haupt an das Fenster und schaute hinaus. Da sah er durch den fallenden Schnee, gleichsam durch einen Schleier, wie Danusia sich in den Schlitten setzte, wie die Fürstin sie lange umarmt hielt, wie die Hofdamen sie küßten und wie Pater Wyszoniek das Zeichen des Kreuzes über sie machte. Vor der Abfahrt blickte sie noch einmal zu ihm empor und winkte mit der Hand.

»Gott sei mit Dir, Zbyszko!«

»Gott gebe, daß ich Dich in Ciechanow wiedersehe!«

Aber der Schnee fiel in dichten Flocken herab, es war, als ob er alles verhüllen, alles ersticken wolle, und die letzten Worte klangen so gedämpft, daß es beiden dünkte, als ob ihre Rufe schon aus weiter Ferne kämen.

Die Kreuzritter

»Wenn ich Dich auch verlasse, bin ich doch die Deine.«

Zweites Kapitel.

An der Thüre erschien jetzt die Fürstin, eine Frau in mittleren Jahren, in einem roten Mantel und einem enganliegenden grauen Gewande mit goldenem Gürtel, der vorn durch einen großen Ring am Kleide festgehalten war. Hinter der freundlich lächelnden Herrin zeigten sich einige Hoffräulein, ältere und auch halbwüchsige. Kränze aus Lilien und Rosen schmückten ihre Stirnen, und viele hatten Lauten in den Händen. Wieder andere trugen frische Blumensträuße, die sie wohl unterwegs gepflückt hatten. Bald war die ganze Stube voll, denn nach den Mädchen kamen mehrere Höflinge und Pagen. Heiter und guter Dinge traten alle ein, mit strahlenden Gesichtern, laut sprechend und singend, wie trunken von der schönen Nacht und dem hellen Mondschein. Unter den Höflingen befanden sich auch zwei fahrende Schüler, der eine mit einer Laute, der andere mit der Zither am Gürtel. Eines der Mägdlein, das noch ganz jung, vielleicht zwölf Jahre alt war, trug eine kleine, mit Kupfernägeln beschlagene Laute hinter der Fürstin her.

»Gelobt sei Jesus Christus!« sagte die Fürstin, in der Mitte des Gastzimmers stehen bleibend.

»Von Ewigkeit zu Ewigkeit, Amen!« antworteten die Anwesenden, sich tief verneigend.

»Wo ist der Wirt?«

Als dieser der Fürstin Worte vernahm, drängte er sich vor und ließ sich nach deutscher Sitte auf die Knie nieder.

»Wir wollen hier rasten und uns stärken,« sagte die Herrin. »Tummelt Euch also, denn wir sind hungrig.«

Die Bürger hatten sich bereits entfernt. Zwei Edelleute vom Orte, sowie Macko aus Bogdaniec und der junge Zbyszko verbeugten sich jetzt abermals und wollten die Gaststube verlassen, um die Gesellschaft nicht zu stören, aber die Fürstin hielt sie zurück.

»Ihr seid Edelleute, Ihr stört uns nicht. Macht Euch mit unseren Hofherren bekannt. Woher hat Euch Gott geführt?«

Nun gaben sie ihre Namen, ihr Geschlecht, ihre Beinamen und die Dörfer an, von denen sie die Namen trugen.

Als dann die Fürstin von Macko gehört hatte, woher er kam, klatschte sie in die Hände und rief: »Das trifft sich gut! Erzählt uns von Wilna, von meinem Bruder und meiner Schwester. Kommt Fürst Witold zur Entbindung der Königin und zur Taufe hierher?«

»Er wollte kommen, weiß aber nicht, ob es ihm möglich sein wird. Deshalb sandte er durch die Fürsten und Bojaren der Königin vorerst eine silberne Wiege als Geschenk. Mit dieser Wiege sind auch wir, mein Neffe und ich, gekommen und unterwegs haben wir sie bewacht.«

»Befindet sich diese Wiege hier? Ich möchte sie sehen. Ganz aus Silber ist sie?«

»Ja, ganz aus Silber. Aber sie befindet sich nicht hier. Sie ist schon nach Krakau gebracht worden.«

»Und was thut Ihr hier in Tyniec?«

»Wir kehrten hierher zurück, zu dem Prokurator des Klosters, unserm Blutsverwandten, um der Obhut des ehrwürdigen Ordens zu übergeben, was wir im Krieg gewannen und was der Fürst uns als Schenkung überließ.«

»Möge Gottes Segen darüber walten! Ist es ansehnliche Beute? Doch sagt, warum es noch ungewiß ist, ob mein Bruder kommt?«

»Für den Feldzug zu den Tataren rüstet er sich.«

»Ich sage Euch, mich quält nur das eine: die Königin hat diesem Feldzuge kein glückliches Ende prophezeit, und was sie prophezeit, trifft immer ein.«

Macko lachte. »Ei, unserer gottesfürchtigen Herrin will ich nicht widersprechen, aber mit dem Fürsten Witold zieht unsere ganze ritterliche Streitmacht aus, und es sind tüchtige Burschen, gegen die niemand aufkommt.«

»Zieht Ihr nicht mit?«

»Ich bin ja nebst den andern mit der Wiege abgesandt worden und habe zudem fünf Jahre lang den Harnisch nicht abgelegt,« entgegnete Macko, auf die vom Panzer im Lederkoller zurückgelassenen Spuren deutend. »Doch, sobald ich genügend der Ruhe gepflegt habe, gehe ich mit, und wenn ich auch selbst nicht mitgehe, so bringe ich doch meinen Bruderssohn Zbyszko dem Herrn Ipytko aus Mielsztyn, denn unter diesem Heerführer ziehen all‘ unsre Ritter aus.«

Die Fürstin Danuta blickte auf die schöne Gestalt Zbyszkos, aber das Gespräch ward durch den Eintritt eines Mönches unterbrochen, der nach der Begrüßung der Fürstin ihr demütig vorhielt, daß sie ihre Ankunft nicht durch einen Boten kund gethan habe, und daß sie sich nicht im Kloster, sondern in diesem gewöhnlichen Wirtshause aufhalte, das ihrer hohen Würde unwert sei. Im Kloster sei doch kein Mangel an Gemächern und Wohnungen, worin jedermann Unterkunft finde, und nun erst die hohe Frau, die Gattin des Fürsten, von dessen Vorfahren und Blutsverwandten die Abtei so viele Wohlthaten erhalten habe.

Aber die Fürstin antwortete in heiterem Tone: »Wir sind nur hier eingekehrt, um unsere Glieder wieder einigermaßen zu strecken, und in der Frühe müssen wir uns nach Krakau aufmachen. Bisher schliefen wir bei Tag und fuhren bei Nacht, der Kühle wegen, und obwohl hier bei unserer Ankunft die Hähne schon krähten, wollte ich die gottesfürchtigen Mönche nicht wecken, vornehmlich nicht mit solcher Gesellschaft, welche mehr an Gesang und Tanz als an Ruhe denkt.«

Da jedoch der Mönch noch weiter in sie drang, fügte sie hinzu: »Ich bleibe hier. Wir haben jetzt die beste Zeit, einige weltliche Gesänge anzuhören, aber zum Frühgottesdienst gehen wir in die Kirche, um den Tag mit Gott zu beginnen.«

»Man wird eine Messe lesen für das Wohlergehen des gnädigen Fürsten und der gnädigen Fürstin,« sagte der Mönch.

»Der Fürst, mein Gatte, wird erst nach vier oder fünf Tagen ankommen.«

»Unser Herrgott kann auch aus der Ferne seinen Segen verleihen, und mittlerweile möge es uns armen Klosterbrüdern vergönnt sein, Wein hierher zu bringen.«

»Wir werden uns dankbar dafür erweisen,« erwiderte die Fürstin.

Kaum hatte der Mönch sich entfernt, so rief sie: »Schnell, Danusia, steige auf die Bank und erfreue unser Herz mit dem nämlichen Liede, das Du in Zator gesungen hast.«

Als sie dies hörten, trugen zwei Hofherren eine Bank herein. Die fahrenden Schüler setzten sich an die beiden Enden, und das junge Mädchen, welches der Fürstin die mit Kupfernägeln beschlagene Laute nachgetragen hatte, stellte sich hinauf. Ihr Haupt war mit einem Blumenkranze geziert, die Haare hingen aufgelöst über ihre Schultern herab, sie hatte ein himmelblaues Gewand an und rote Schühchen mit langen Spitzen. Wie sie so dastand, sah sie aus wie ein wunderbar schönes Kind auf einem Heiligenbild oder in einem Kripplein in der Kirche. Offenbar war es aber nicht das erste Mal, daß sie so dastand, um der Fürstin vorzusingen, denn nicht die geringste Verwirrung zeigte sich auf ihrem Gesichte.

»Singe, Danusia, singe!« riefen die Hofdamen.

Nun nahm sie die Laute zur Hand, hob den Kopf in die Höhe wie ein Vogel, der zu singen anfängt, und die Aeuglein zudrückend, begann sie mit ihrem Silberstimmchen:

»Wie wär‘ ich gerne
Ein Gänslein klein,
Ich flög‘ in die Ferne
Zu Jasio mein!«

Die fahrenden Schüler begleiteten sie, der eine auf der Zither, der andere auf seiner großen Laute, die Fürstin, welche weltliche Gesänge über alles liebte, neigte das Haupt bald auf die eine, bald auf die andere Seite, und das Mädchen sang weiter, mit einer zarten, frischen, kindlichen Stimme, die klang wie Vogelgezwitscher im frühlingsgrünen Walde

»In Schlesien flög‘ ich nieder
Auf grünem Rain,
Die Waise sieh wieder,
Jasiulek mein!«

Und wieder begleiteten die fahrenden Schüler. Der junge Zbyszko aus Bogdaniec aber, der, von Kindheit an nur an den Krieg und dessen fürchterliche Erscheinungen gewöhnt, in seinem ganzen Leben noch nichts Aehnliches erschaut hatte, berührte den Arm eines neben ihm stehenden Masuren und fragte: »Wer ist das?«

»Ein Mägdlein vom Hofe der Fürstin. An fahrenden Sängern, welche den Hof ergötzen, fehlt es nicht, aber sie ist die beliebteste Sängerin, und die Fürstin hört keine andern Gesänge so gerne wie die ihrigen.«

»Mich wundert dies nicht. Sie ist ja ein wahrer Engel, und ich kann den Blick nicht von ihr abwenden. Wie wird sie genannt?«

»Und das wißt Ihr nicht? Danusia! Jurand aus Spychow, ein mächtiger und tapferer ›Comes‹, welcher zu den Landsassen gehört, ist ihr Vater.«

»Ach! Solch ein Wesen haben noch keine menschlichen Augen gesehen.«

»Sie wird auch von allen geliebt, sowohl ihres Gesanges als ihrer Schönheit wegen.«

»Und wer ist ihr Ritter?«

»Sie ist ja noch ein Kind.«

Durch den Gesang Danusias ward das Gespräch unterbrochen. Zbyszko blickte sie von der Seite an. Während er ihre hellen Haare, ihr erhobenes Köpfchen, ihre zugedrückten Augen und ihre ganze Gestalt betrachtete, die zugleich von dem Scheine der Wachslichter und von den durch die offenen Fenster fallenden Mondstrahlen beleuchtet wurde, staunte er immer mehr. Ihn dünkte, er habe dies schöne Bild schon einmal gesehen, ob im Traume oder zu Krakau auf einem Kirchenfenster, wußte er jedoch nicht zu sagen.

Und abermals den Arm des Hofherrn berührend, fragte er leise: »An Euerm Hofe ist sie?«

»Ihre Mutter kam aus Litauen mit der Fürstin Anna Danuta, und diese verheiratete sie an den Grafen Jurand von Spychow. Sie stammte aus einem mächtigen Geschlechte, war anmutig und mild, auch ward sie mehr als alle andern Mädchen von der Fürstin geschätzt. Sie selbst liebte die Fürstin innig, deshalb gab sie ihrer Tochter den gleichen Namen – Anna Danuta. Vor fünf Jahren nun, als bei Zlotorja die Deutschen unsern Hof überfielen, starb sie vor Schrecken. Damals nahm die Fürstin das Kind zu sich, und seit jener Zeit leitet sie dessen Erziehung. Der Vater kommt häufig an den Hof und sieht es mit Vergnügen, daß es seiner Tochter gut geht und daß sie unter dem Schutze der Fürstin steht. Allein so oft er Danusia anschaut, so oft vergießt er Thränen um die verstorbene Gattin, und dann sinnt er nur darauf, Rache an den Deutschen zu nehmen, für das, was sie ihm angethan. In ganz Masovien liebte niemand seine Ehefrau so innig, wie er die seine geliebt hatte – und ihretwegen hat er schon gar viele Deutsche ums Leben gebracht.«

Zbyszkos Augen blitzten und die Adern auf seiner Stirne schwollen an. »So ward also ihre Mutter von den Deutschen getötet?« fragte er.

»Ja und nein! Sie starb durch den Schrecken. Vor fünf Jahren war ja Frieden im Lande, niemand dachte an Krieg, und jeder konnte ungefährdet seines Weges ziehen. Der Fürst befand sich auf der Reise nach Zlotorja, wo er einen Turm bauen lassen wollte, er fuhr allein mit seinem Hofstaate, ohne Krieger, wie gewöhnlich zur Zeit des Friedens. Da überfielen ihn die Deutschen ohne Kriegserklärung, ohne jede Veranlassung. Aller Gottesfurcht Hohn sprechend, auch nicht bedenkend, daß seine Vorfahren ihnen viele Wohlthaten erwiesen hatten, banden ihn auf ein Pferd und führten ihn mit sich fort. Seine Leute aber wurden vollständig aufs Haupt geschlagen. Lange befand sich der Fürst in Gefangenschaft, und erst als König Wladislaw ihnen mit Krieg drohte, gaben sie Jurand aus Angst frei. Aber bei jenem Ueberfall starb Danusias Mutter, denn ihr Herz zog sich krampfhaft zusammen und stand dann plötzlich still.«

»Und Ihr, Herr, seid Ihr dabei gewesen? Wie nennt Ihr Euch? Ich vergaß es.«

»Mikolaj aus Dlugolas heiße ich, und Obuch werde ich genannt. Bei dem Ueberfall bin ich zugegen gewesen. Ich habe es mit angesehen, wie ein Deutscher, der Pfauenfedern als Helmzier trug, die Mutter Danusias an dem Sattel festbinden wollte, und wie sie vor seinen Augen starb. Auf mich haben sie mit der Hellebarde geschlagen, ich trage noch ein Merkmal davon.«

Bei diesen Worten zeigte er auf eine tiefe, sich unter den Haaren bis zu den Augenbrauen hinziehende Narbe in der Hirnschale.

Ein kurzes Schweigen folgte. Zbyszko blickte wieder auf Danusia, dann fragte er: »Und Ihr sagt, Herr, sie habe noch keinen Ritter?«

Doch wartete er die Antwort nicht ab, da in diesem Augenblick der Gesang verstummte. Einer der fahrenden Schüler, ein feister, starker Mensch, hatte sich plötzlich erhoben, wodurch sich die Bank auf eine Seite neigte. Danusia schwankte und streckte die Händchen aus, aber ehe sie noch fallen oder herabhüpfen konnte, sprang Zbyszko vor wie eine Wildkatze und fing sie in seinen Armen auf.

Die Fürstin, welche zuerst vor Schrecken laut geschrien hatte, lachte sogleich wieder und rief: »Das ist Dein Ritter, Danusia! Sei uns gegrüßt, o Ritter, und gieb uns die liebliche Sängerin zurück.«

»Allzu keck war die Art, wie er sie auffing!« ließen sich nun die Stimmen einiger Hofleute vernehmen.

Danusia immer noch in seinen Armen haltend, ging Zbyszko indessen auf die Fürstin zu. Das junge Mädchen hatte die eine Hand um seinen Hals geschlungen, während sie mit der andern die Laute emporhob, aus Furcht, das Instrument zu zerbrechen. Obwohl sie etwas erschreckt aussah, spielte dennoch ein Lächeln um ihre Lippen.

Als der Jüngling die Fürstin erreicht hatte, stellte er Danusia vor sich hin, er selbst aber kniete nieder, richtete stolz das Haupt auf und sagte mit einer für sein Alter erstaunlichen Kühnheit:

»Euern Worten gemäß soll es sein, edle Herrin! Es ist an der Zeit für dieses liebliche Jungfräulein, ihren Ritter zu wählen, an der Zeit auch für mich, eine Herrin zu wählen, deren Schönheit und Tugend ich verehren kann. Mit Eurer Erlaubnis werde ich das Gelöbnis ablegen, ihr unter allen Wechselfällen des Lebens Treue zu bewahren bis zum Tode.«

Auf dem Gesichte der Fürstin malte sich eine gewisse Verwunderung, aber weniger über Zbyszkos Worte, als darüber, daß alles so plötzlich kam. Es war zwar keine polnische Sitte, sich dem Dienste einer Herrin zu weihen, aber an der deutschen Grenze, in Masovien, wo häufig Ritter aus fernen Ländern zusammenströmten, kannte man sie besser als in andern Gegenden und ahmte sie sogar häufig nach. Die Fürstin hatte schon früher am Hofe ihres großen Vaters davon gehört, wo alle Sitten des Westens als Gesetz und nachahmungswürdiges Beispiel betrachtet wurden, deshalb erschien ihr das Vorhaben Zbyszkos nicht derart, daß sie oder Danusia dadurch hätte verletzt werden können. Im Gegenteil, sie freute sich, daß Herz und Augen eines Ritters sich dem lieblichen Hoffräulein zuwendeten. Daher sagte sie in heiterem Tone zu dem jungen Mädchen: »Danuska! Danuska! Willst Du ihn zu Deinem Ritter haben?«

Und die Kleine mit den herabwallenden Haaren hüpfte in ihren roten Schühchen zuerst dreimal in die Höhe, schlang dann den Arm um den Hals der Fürstin und rief mit dem Entzücken eines Kindes, dem man ein Spielzeug versprochen hat, woran sich sonst nur ältere Leute ergötzen dürfen: »Ja, ja, ich will ihn zum Ritter haben.«

Die Fürstin lachte, bis ihr die Thränen in die Augen traten, und mit ihr lachte der ganze Hof. Sich Danusias Armen entwindend sagte sie schließlich zu Zbyszko: »Nun gelobe Dich Deiner Herrin an. Was aber wirst Du ihr geloben?«

Und trotz des Gelächters unerschütterlichen Ernst bewahrend, erklärte Zbyszko, ohne sich von den Knien zu erheben: »Ich gelobe ihr, daß ich, in Krakau angelangt, meinen Schild in der Herberge aufhängen und ein Blatt daran befestigen werde, worauf von der Hand eines schriftkundigen Klerikers geschrieben steht, daß Jungfrau Danuta, Jurands Tochter, die schönste und tugendhafteste aller Frauen ist. Und wer dem widerstreitet, mit dem werde ich so lange streiten, bis eines von uns zu Grunde geht – es sei denn, daß ich noch zuvor in Gefangenschaft gerate.«

»Gut! Man sieht, Du kennst die ritterlichen Sitten. Und was soll weiter geschehen?«

»Da Herr Mikolaj aus Dlugolas zugestanden hat, daß die Mutter dieses Jungfräuleins durch Schuld eines Deutschen mit einem Pfauenbusch auf dem Helme, den letzten Seufzer aushauchte, gelobe ich hiermit, mich auf bloßem Leibe mit einem Hanfstricke zu gürten und ihn, wenn er mich auch tief in die Knochen schneidet, so lange zu tragen, bis ich drei solcher Pfauenbüsche von deutschen Rittern erbeutet und zu den Füßen meiner Herrin niedergelegt habe.«

Nun nahm die Fürstin einen feierlichen Ton an und fragte:

»Gelobst Du dies zum Scherze?«

»Nein, so mir Gott helfe und das heilige Kreuz! Und meine Gelübde will ich in der Kirche vor den Priestern wiederholen.«

»Rühmlich ist es, mit den grausamen Feinden unseres Stammes zu kämpfen, doch beklage ich Dich, weil Du so jung bist und gar leicht zu Grunde gehen kannst.«

In diesem Augenblick trat Macko aus Bogdaniec, welcher bisher wie ein Mensch, der einer vergangenen Zeit angehört, nur stillschweigend die Achseln gezuckt hatte, näher heran, denn er fühlte sich nun gedrungen, seine Ansicht auszusprechen.

»Spart Euer Mitleid, Herrin!« begann er. »Auch in der Schlacht kann jeden der Tod treffen, und für einen Edelmann, mag er nun alt oder jung sein, ist das ein ruhmreicher Tod. Zudem ist mein Bruderssohn in der Kriegskunst wohl erfahren, denn trotz seiner Jugend bestand er schon manches Treffen zu Pferde und zu Fuß, mit der Lanze und dem Beile, mit langem und mit kurzem Schwerte, mit und ohne Schild. Zwar ist es eine neue Sitte, daß ein Ritter sich dem Mägdlein, das er gerne sieht, angelobt, aber daß Zbyszko seiner Herrin drei Pfauenbüsche versprach, daraus mache ich ihm keinen Vorwurf. Er hat die Deutschen schon einmal gelaust, mag er sie noch weiter lausen, und wenn dabei ein paar Schädel bersten, wird sein Ruhm dadurch nur vergrößert werden.«

»Wie ich sehe, habe ich es nicht mit dem ersten besten zu thun,« sagte die Fürstin. Sich zu Danusia wendend, fügte sie dann hinzu: »Nimm meinen Platz ein, denn Du bist die wichtigste Person am heutigen Tage. Nur lache nicht, das schickt sich nicht.«

Danusia setzte sich an den Platz ihrer Beschützerin, dabei wollte sie sich ein ernsthaftes Ansehen geben, doch ihre blauen Augen schauten lachend auf den knieenden Zbyszko nieder, und sie konnte sich nicht enthalten, vor Freude mit den Füßchen zu baumeln.

»Gieb ihm Deinen Handschuh!« gebot die Fürstin.

Die Kreuzritter

Danusia immer noch in seinen Armen haltend, ging Zbyszko auf die Fürstin zu.

Danusia zog den Handschuh aus und reichte ihn Zbyszko, der ihn mit großer Ehrfurcht ergriff. Während er ihn an die Lippen drückte, erklärte er: »An meinem Helme soll er prangen, aber wehe dem, der darnach greift.«

Dann küßte er Danusias Hände und Füße und erhob sich. Sein bisheriger Ernst war dahin. Voll Freude darüber, daß ihn von nun an dieser ganze Hof als reifen Mann betrachten werde, schwang er Danusias Handschuh, indem er halb scherzhaft, halb im Ernste ausrief: »Nun ist’s vorbei mit Dir, Du mit dem Pfauenbusch! Nun ist’s vorbei mit Dir!«

In Begleitung von zwei älteren Mönchen trat in diesem Augenblick der Ordensbruder in die Herberge, der schon zuvor dagewesen war. Den Drei folgten Klosterbedienstete mit Lastkörben voll von Krügen mit Wein und den verschiedensten, in der Eile zusammengebrachten Leckerbissen. Die Mönche begrüßten die Fürstin, fragten sie aber dann vorwurfsvoll, weshalb sie nicht in der Abtei eingekehrt sei. Doch die Fürstin erklärte immer wieder, da sie des Tages über der Ruhe gepflegt habe, um in der Kühle der Nacht die Reise fortzusetzen, bedürfe sie eines Obdaches nicht. Nichts liege ihr daher ferner, als den hochwerten Abt und die ehrwürdigen Ordensbrüder stören zu wollen, sie gedenke nur eine kurze Rast in der Herberge zu halten.

Nach Austausch vieler höflicher Redensarten einigte man sich dahin, daß sich die Fürstin nicht nur zur Frühmesse, sondern auch zum Morgenimbiß und zur Rast in dem Kloster einfinden solle. Die leutseligen Ordensbrüder luden außer den Masuren auch die Krakauer, sowie Macko aus Bogdaniec ein. Letzterer hegte indessen ohnedies die Absicht, sich in die Abtei zu begeben, um die im Kriege erbeutete Habe oder vielmehr die von dem freigebigen Witold erhaltenen Gaben zum Auslösen von Bogdaniec, das er dem Abte verpfändet hatte, in das Kloster zu bringen. Der junge Zbyszko hörte indessen die Einladung gar nicht. Von dem Wunsche beseelt, sich umzukleiden, um in schöner Gewandung vor der Fürstin und Danusia erscheinen zu können, war er zu den Wagen geeilt, die dem Oheim und ihm gehörten und sich unter der Obhut der Dienerschaft befanden. Aus einem der Gefährte verschiedene Gewandstücke entnehmend, ließ er alles in die Gesindestube bringen. Dort wollte er sich umkleiden. Nachdem er seine Haare eilig geglättet hatte, zog er eine netzförmige Haube darüber, die von einer Bernsteinkette zusammengehalten wurde, nach vorn jedoch mit echten Perlen geschmückt war. Dann legte er eine weißseidene, mit goldenen Greifen bestickte und mit einem zierlichen Saume geschmückte Jacke an. Dies Oberkleid umschloß ein breiter, goldener Gürtel, an dem ein silbernes, mit Elfenbein eingelegtes Dolchmesser hing. All dies war nicht mit Blut beschmutzt, sondern neu und blitzend, wenngleich es einem jungen, friesischen Ritter als Beute abgenommen worden war. Hierauf zog Zbyszko wunderschöne Unterkleider an, von denen die eine Hose der Länge nach grün und rot, die andere violett und gelb gestreift war, während beide gegen oben in buntscheckigen Würfeln endigten. Ein Paar purpurrote Schnabelschuhe vollendeten den Anzug. So geschmückt, schön und strahlend, trat Zbyszko wieder in die gemeinsame Stube.

Als er auf der Schwelle stand, machte sein Anblick auf alle Anwesenden einen mächtigen Eindruck. Freude schwellte auch das Herz der Fürstin, die klar sah, wie der wohlgestaltete, junge Ritter um die liebliche Danusia warb. Dies süße Kind aber sprang im ersten Impulse gleich einem Reh auf ihn zu. Doch, sei es nun, daß die Schönheit des Jünglings, sei es, daß die laut werdenden, bewundernden Stimmen des Hofstaates sie einschüchterten, sie blieb mit einem Male stehen, schlug die Augen nieder und drehte errötend und verwirrt ihre Fingerchen hin und her.

Allein Danusia war nicht die einzige, die sich Zbyszko näherte. Die Fürstin, die Hofherren und die Hofdamen, die fahrenden Schüler und die Mönche, alle wollten den Jüngling genauer sehen. Die masurischen Mädchen schauten zugleich prüfend und bedauernd auf die glänzende Erscheinung Zbyszkos, eine jede sichtlich schmerzlich davon berührt, daß er sie nicht zu seiner Auserkorenen erwählt hatte – die älteren Frauen bewunderten seine kostbare Gewandung, kurz, rings um ihn her stand ein Kreis von Neugierigen. Zbyszko aber, mit einem herausfordernden Lächeln auf seinem jugendlichen Antlitz, drehte sich unwillkürlich hin und her, damit man ihn besser sehen konnte.

»Wer ist das?« fragte einer der Mönche.

»Das ist ein Ritter, der Bruderssohn dieses Edelmannes,« erwiderte die Fürstin, auf Macko zeigend, »der sich dem Dienste Danusias gelobt hat.«

Der Mönch zeigte keinerlei Verwunderung über diesen Ausspruch, denn ein solcher Dienst verpflichtete zu nichts. Ein Ritter diente häufig einer verheirateten Frau, und in den hervorragenden Geschlechtern, unter welchen die abendländischen Sitten gäng und gäbe waren, hatte thatsächlich eine jede Dame ihren Ritter. Diente indessen ein Ritter einer unverheirateten Frau, so harrte diese nicht bei ihm aus, nein, im Gegenteile, sie nahm meistens einen andern Gatten, während er ihr, sofern er die Tugend der Standhaftigkeit besaß, die Treue bewahrte, auch wenn er sich mit einer andern vermählte.

Selbst die große Jugend Danusias setzte die Mönche nicht allzusehr in Staunen, bekleideten doch in jener Zeit sechzehnjährige junge Leute schon das Amt eines Burgvogts. Ja, die hohe Königin Jadwiga zählte bei ihrer Ankunft aus Ungarn erst fünfzehn Jahre, und es gehörte nicht zu den Seltenheiten, daß sich dreizehnjährige Mädchen schon verheirateten. Zbyszko erregte indessen in diesem Augenblicke weit mehr das Interesse als Danusia, und alle lauschten gespannt den Worten des Macko, der, voll Stolz auf den Bruderssohn, erzählte, auf welche Weise der Jüngling zu der prächtigen Gewandung gekommen war.

»Es mag wohl jetzt ein Jahr und neun Monate her sein,« so sprach Macko, »da waren wir zu Gast gebeten bei sächsischen Rittern. Unter ihnen befand sich ein Ritter aus dem Stamme der Friesen, die gar weit an dem Meere wohnen, und der hatte einen Sohn bei sich. Letzterer war drei Jahre älter als Zbyszko. Einmal nach dem Mahle hänselte der junge Friese meinen Bruderssohn fortwährend darüber, daß er weder Schnurrbart noch Knebelbart habe. Zbyszko, der stets rasch entschlossen ist, hörte dies nicht lange ruhig an, sondern packte ihn sofort am Kinn und riß ihm alle Barthaare heraus – später aber schlugen wir uns auf Tod oder auf Knechtschaft.«

»Wie, Ihr schlugt Euch?« fragte der Herr aus Dlugolas.

»Ja. Denn auf der Seite des Sohnes kämpfte der Vater, und ich stritt auf der Seite Zbyszkos: folglich kämpften wir zu vieren, inmitten der Gäste, auf der festgetretenen Erde. Solchergestalt lautete indessen die Abmachung: wer siegte, der sollte die Wagen, die Pferde und die Diener des Besiegten erhalten. Und Gott ließ uns seinen Schutz angedeihen. Wir trugen den Sieg über die Friesen davon, wenn schon mit Aufbietung aller Kraft, denn es fehlte ihnen weder an Tapferkeit, noch an Stärke. Gar beträchtliche Beute war unser Lohn. Nicht weniger als vier Wagen, an jedem ein Paar Klepper, vier kräftige Hengste, etliche Diener und zwei Rüstungen, so auserwählt, wie man sie bei uns kaum kennt, fielen uns zu. Vom Kopf bis zu den Füßen konnten wir uns durch die Beute nach dem Kampfe wappnen, allein, außerdem bedachte uns der Herr Jesus mit gar mancherlei, denn kostbare Gewänder fanden sich in einem zierlich beschlagenen Schrein, und auch die, welche Zbyszko jetzt trägt, waren darin.«

Auf diese Worte hin blickten die beiden Krakauer und alle Masuren mit noch größerer Hochachtung auf den Ohm und dessen Bruderssohn, der Herr aus Dlugolas, genannt Obuch, hingegen bemerkte: »Ihr seid nicht saumselig, das sehe ich, vor Euch kann man Respekt haben. Wir glauben jetzt, daß jener Grünschnabel drei Büsche Pfauenfedern erbeutet.«

Wohl zog nun ein Lächeln über Mackos Antlitz, doch in seinen ungeschlachten Zügen drückte sich große Habgier aus.

Jetzt erschienen wieder Klosterbedienstete mit Lastkörben voll Wein und allerlei Leckerbissen, und ihnen folgten Dienerinnen, die Schüsseln voll Rühreier und Bratwürste trugen. Bald duftete die ganze Stube nach wohlriechendem Schweinefett. In allen Anwesenden regte sich die Lust zum Essen, und flugs eilte man zu Tisch.

Doch keines ließ sich nieder, ehe die Fürstin in der Mitte der Tafel Platz genommen hatte. Diese aber befahl Zbyszko und Danusia, sich nebeneinander zu setzen, und sagte hierauf zu Zbyszko: »Wohl ziemt es sich, daß Ihr aus einer Schüssel mit Danusia speist, doch hütet Euch wohl, damit Ihr nicht auf ihre Füße unter dem Tische tretet, wie dies andere Ritter zu thun pflegen, denn sie ist noch zu jung dazu.«

Darauf erwiderte Zbyszko: »Dies thue ich nicht, es sei denn in zwei oder drei Jahren, wenn diese Knospe erblüht sein wird, und so mir der Herr Jesus gestattet, ihr weiter zu dienen. Abgesehen davon aber, könnte ich ihr ja gar nicht auf die Füße treten, wenn ich auch wollte, denn ihre Füße berühren noch gar nicht den Boden.«

»Das ist wahr!« entgegnete die Fürstin. »Es ist mir indessen lieb, zu sehen, daß Ihr der Sitte Rechnung tragt.«

Bald trat tiefes Schweigen ein, da alle mit Essen beschäftigt waren. Zbyszko schnitt die besten Stücke von den Schweinewürsten und reichte sie Danusia, zuweilen jedoch steckte er sie ihr direkt in den Mund. Das holde Kind aber, glücklich darüber, daß ihr ein so prächtig gekleideter Ritter diente, aß mit vollen Wangen, bald ihm, bald der Fürstin zuwinkend und zulächelnd.

Nachdem die Schüsseln hinweggeräumt worden waren, gossen die Klosterbediensteten den Männern unaufhörlich, den Frauen in angemessenen Zwischenräumen süßen, herrlich duftenden Wein ein. Die Ritterlichkeit Zbyszkos trat aber dann erst so recht zu Tage, als aus dem Kloster Gefäße, ganz mit Nüssen gefüllt, gebracht wurden. Wie ließen sich die Schmausenden die Walnüsse, besonders aber die Haselnüsse schmecken, eine große Seltenheit damals, weil sie aus weiter Ferne geschickt werden mußten. Mehrere Minuten hindurch ließ sich in der Stube nichts hören als das Krachen der zwischen den Kinnladen zermalmten Schalen. Der aber irrte sich, der glaubte, Zbyszko denke nur an sich. Ihm war hauptsächlich darum zu thun, der Fürstin sowohl wie Danusia seine ritterliche Kraft, seine Enthaltsamkeit zu zeigen und sich nicht durch sichtliche Gier nach dem seltenen Leckerbissen in ihren Augen zu erniedrigen. Wohl nahm er von Zeit zu Zeit eine Handvoll Nüsse, teils Haselnüsse, teils Walnüsse, allein er steckte sie nicht zwischen die Zähne, wie es die andern thaten, sondern zerdrückte sie in seinen eisernen Fingern und reichte dann Danusia den aus der Schale herausgenommenen Kern. Doch nicht genug damit, er sorgte auch für ihre Unterhaltung, denn indem er die geschlossene Hand an die Lippen führte, blies er mit seinem kräftigen Atem die Schalen bis zur Decke. Danusia lachte dermaßen, daß die Fürstin aus Furcht, das Mägdlein könne ersticken, dem jungen Ritter Einhalt gebieten mußte. Selbst erfreut aber über das Vergnügen Danusias, fragte sie: »Nun, Danusia, bist Du froh darüber, einen solchen Ritter zu haben?«

»Oh, wie froh!« rief das Jungfräulein. Dann streckte sie ihre rosigen Fingerchen aus, berührte die weißseidene Jacke Zbyszkos, und meinte, indem sie das Händchen rasch wieder zurückzog: »Aber wird er auch morgen noch mein sein?«

»Morgen und am Sonntag, und ewig, bis zum Tode!« entgegnete Zbyszko.

Das Essen zog sich sehr lange hinaus, denn nach den Nüssen wurden süße Kuchen, voll mit Rosinen, aufgetragen. Etliche von dem Hofstaate wollten tanzen, andere wollten die fahrenden Schüler oder Danusia singen hören; allein Danusias Augen fielen schließlich zu, und ihr Köpfchen schwankte hin und her. Ein oder zweimal raffte sie sich wieder empor, blickte mit großen Augen bald auf die Fürstin, bald auf Zbyszko, ein- oder zweimal rieb sie mit den Händchen die Augenlider – dann aber lehnte sie vertrauensvoll das Köpfchen an die Schulter des Ritters und fiel in tiefen Schlummer.

»Schläft sie?« fragte die Fürstin. »Ja, ja, nun könnt Ihr Eure Dame betrachten.«

»Sie entzückt mich mehr in der Ruhe als jede andere im Tanze,« bemerkte Zbyszko, der aufrecht und unbeweglich dasaß, um das Mädchen nicht zu wecken.

Doch dies war nicht zu befürchten; selbst durch das Spiel und den Gesang der fahrenden Schüler wurde sie nicht wach. Je größer der Lärm wurde – etliche schlugen den Takt, andere klirrten mit den Schüsseln – desto fester schlief sie mit offenem Munde, gleich einem Fische. Sie erwachte erst, als bei dem leisen Krähen der Hähne und bei dem Klange der Kirchenglocken alle mit dem Rufe emporsprangen: »Zur Frühmesse! Zur Frühmesse!«

»Laßt uns zu Fuße gehen, zum Ruhme Gottes!« rief die Fürstin. Und die plötzlich munter gewordene Danusia an der Hand ergreifend, verließ sie als Erste die Herberge. Ihr folgte der ganze Hofstaat.

Der Morgen brach allgemach an. Gen Osten war der ganze Himmel wie in Licht getaucht, bald grünlich, bald rötlich schimmerte er, und mehr und mehr breiteten sich glänzende, goldene Streifen darüber aus. Der Mond schien sich vor dieser Helle nach Westen flüchten zu wollen. Immer rosiger ward das Firmament, immer heller graute der Tag. Taufrisch, heiter und ausgeruht erwachte die Welt aus ihrem Schlummer.

»Gott verlieh uns heiteres Wetter, aber es wird furchtbar heiß werden,« bemerkten die Hofleute der Fürstin.

»Das ist nicht so schlimm,« beruhigte sie der Herr von Dlugolas, »wir rasten in der Abtei und kommen gegen Abend nach Krakau.«

»Gewiß wieder nach dem Gastmahle. Dort sind ja jetzt täglich Gastmahle, und nach der Entbindung und nach den Ritterspielen werden noch viele stattfinden.«

»Ich bin gespannt darauf, wie sich Danusias Ritter halten wird.«

»Ei, das scheinen zwei wackere Gesellen zu sein. Habt Ihr gehört, was der eine über jenen Kampf zu vieren erzählte? Vielleicht schließen sie sich unserem Hofe an, denn schaut, sie beraten sich unter einander.«

Dies war auch thatsächlich der Fall. Der alte Macko war mit dem, was geschehen, nicht gar sehr zufrieden. Nachdem er sich daher, um besser reden zu können, mit Zbyszko von dem Gefolge entfernt hatte, begann er: »Um die Wahrheit zu sagen, das ist nichts für Dich. Bei mir ist das etwas anderes. Ich dränge mich bis zum König. Im Anschluß an diesen Hof gelingt es mir vielleicht eher. Wohl möglich, daß ich etwas erreiche. Eine Burg oder ein Schloß wäre nicht zu verachten. Nun, nun, wir werden ja sehen. Eins ist sicher, Bogdaniec löse ich aus. Was unsere Väter besaßen, das wollen wir auch besitzen. Aber woher sollen wir die Bauern nehmen? Die, welche der Abt hingeschickt hat, die fordert er zurück – was nützt uns aber das größte Stück Land ohne Bauern? Drum merke auf das, was ich Dir sage. Ob Du Dich nun Danusia gelobt hast oder nicht, Du gehst zu dem Fürsten Witold und mit diesem ziehst Du gegen die Tataren. Findet der Feldzug vor der Entbindung der Königin statt, dann warte weder die Niederkunft, noch die darauffolgenden Ritterspiele ab, denn aus einem solchen Feldzuge wird Dir Nutzen erwachsen. Du weißt, wie freigebig Fürst Witold ist, und Dich kennt er schon. Reichlich wirst Du belohnt werden, so Du Dich tapfer erweisest. Und was noch mehr! Sklaven kannst Du bekommen im Ueberflusse. Tataren giebt es so viel wie Ameisen auf der Welt. Im Falle des Sieges fällt ein ganzes Schock davon auf jeden. – Bei Gott, so an die fünfzig Bauern nehmen und sie in Bogdaniec ansiedeln, das wäre etwas!« fuhr Macko nach einer kurzen Pause fort. »Dann könnte das waldreiche Land ausgerodet werden. Wir beide, wir könnten uns dadurch Reichtümer sammeln. Auf dem Zuge gegen die Tataren kannst Du Dir reiche Beute erringen.«

Allein Zbyszko schüttelte das Haupt. »Ach, was Ihr nicht alles wißt! Pferdeknechte, die von Pferdefleisch leben, könnte ich höchstens in Fesseln schlagen. Sind aber die vielleicht an Feldarbeit gewöhnt? Was sollte ich daher mit ihnen in Bogdaniec thun? Und zudem, ich gelobte drei deutsche Pfauenfederbüsche. Kann ich die vielleicht in der Tatarei finden?«

»Thöricht handeltest Du, als Du ein Gelöbnis ablegtest, und das Gelöbnis entspricht Deiner Thorheit.«

»Und meine Ehre als Edelmann und Ritter? Haltet Ihr die für nichts?«

»Wie war es denn mit Nyngalla?«

»Nyngalla vergiftete den Fürsten – mich aber hat der Einsiedler von meinem Gelöbnis losgesprochen.«

»Dann wird Dich der Abt in Tyniec auch lossprechen. Der Abt kann dies noch besser als der Eremit, denn dieser hat weit eher einem Räuber als einem Mönche geglichen.«

»Das will ich aber nicht.«

»So! Und wie soll es dann werden?« fragte jetzt Macko mit mühsam unterdrücktem Zorn.

»Ihr geht eben selbst zu Witold, denn ich gehe nicht.«

»Du Knecht! Wer soll dann dem König die geziemende Ehrfurcht erweisen? Und sorgst Du Dich denn nicht um meine Knochen?«

»Auf Eure Knochen kann ein Baum stürzen, und sie zerbrechen doch nicht. Doch selbst, wenn ich mich darob sorgte, ich gehe nicht zu Witold.«

»Was gedenkst Du denn zu thun? Ha, Du willst wohl Falkenier oder Sänger an dem masurischen Hofe werden?«

»Falkenier zu sein, ist noch nicht das Schlimmste, doch Ihr wollt mich nicht anhören, Ihr wollt brummen, also brummt nur, mir kann es gleich sein.«

»Sprich, sag‘, was Du zu thun gedenkst! Ist Dir denn Bogdaniec gar nichts? Kannst Du vielleicht mit Deinen Krallen ackern, ohne Bauern?«

»Ihr bildet Euch ein, das ginge so leicht mit den Tataren; dem ist aber nicht so. Ihr vergeßt, was die Rusini sagten: ›Tataren findet man wohl erschlagen auf dem Felde, allein Sklaven erwischt man nicht, denn in der Steppe erjagt man keine Tataren.‹ Auf welche Art sollte ich sie auch erjagen? Auf den schwerfälligen Hengsten, die wir den Deutschen genommen haben? Seht Ihr nun? Und was kann ich erbeuten? Räudige Schafpelze, sonst nichts. Wie soll ich denn da als reicher Mann nach Bogdaniec kommen? › Comes9 wird man mich nennen.«

Macko blickte stumm vor sich nieder. In den Worten Zbyszkos lag viel Wahrheit. Doch nach wenigen Minuten hub der Alte wieder an: »Wenn Dich aber nun der Fürst Witold reich belohnen würde?«

»Bah, das will nichts heißen, dem einen giebt er oft zu viel, dem andern nichts.«

»So sprich, wohin Du Dich wenden willst!«

»Zu Jurand aus Spychow.«

Macko schob voll Zorn den Gurt seines ledernen Kollers hin und her, indem er rief: »Mit Blindheit möge Dich der Herr schlagen!«

»Leiht mir ein aufmerksames Ohr,« entgegnete Zbyszko ruhig. »Ich habe mit Mikolaj aus Dlugolas gesprochen, und dieser behauptet, Jurand wolle wegen seiner Frau Rache an den Deutschen nehmen. Ihm folge ich, ihm leiste ich Hilfe, Ihr und ich, wir kennen die Art der Deutschen. Für mich ist es daher erstens nichts Schreckhaftes, mit den Deutschen zusammenzutreffen, zweitens erbeute ich über der Grenze eher Pfauenfederbüsche, und drittens erlange ich dort überhaupt große Beute, denn einen Kamm aus Pfauenfedern trägt nicht der erste beste Knecht auf dem Kopfe, folglich vermehrt der Herr Jesus auch die Beute, wenn er die Zahl der Pfauenfederkämme vermehrt. Aber auch abgesehen von dem allem: der dortige Sklave ist kein Tatar. Letzteren aber im Walde anzusiedeln – daß Gott erbarme.«

»Hast Du den Verstand verloren, Bursche? Jetzt giebt es doch dort keinen Krieg, und Gott weiß, wann es einen geben wird.«

»Oh, was Ihr nicht alles wißt! Ha, ha, die Bären haben mit dem Zeidler Frieden gemacht, und die Nester der wilden Bienen werden nicht mehr zerstört, der Honig wird nicht mehr gefressen! Wohl ist kein großes Kriegsheer aufgestellt, wohl hat der König ein kunstvolles Siegel auf das Pergament gesetzt, allein trotzdem herrscht an den Grenzen noch ein furchtbares Wirrnis. Ist das eine Neuigkeit für Euch? Vieh und Herden verpfänden sie sich, so daß sie sich oftmals einer Kuh wegen die Saaten abbrennen, die Burgen belagern. Und werden nicht fortwährend Burschen und Mädchen entführt, Kaufleute auf der Landstraße gefangen genommen? Erinnert Ihr Euch denn nicht mehr der früheren Zeiten, von denen Ihr mir selbst erzählt habt? Ist es etwa jenem Nalecz schlimm gegangen, der vierzig Ritter, die sich auf dem Wege zu den Kreuzrittern befanden, aufgreifen und in einen unterirdischen Kerker werfen ließ, aus dem er sie nicht eher wieder freigab, als bis ihm der Großmeister einen Wagen voll Goldstücke schickte? Jurand aus Spychow thut auch nichts anderes, und an der Grenze giebt es immer Arbeit.«

Während einiger Minuten trat Schweigen ein. Mittlerweile war es völlig Tag geworden. Die lichten Strahlen der Sonne warfen einen güldenen Glanz auf das Felsgestein, auf dem die Abtei stand.

»Gott kann überall Glück gewähren,« ergriff schließlich Macko mit besänftigter Stimme wieder das Wort, »bitte ihn, daß er Dich segnen möge.«

»Das will ich, denn alles hängt von seiner Gnade ab.«

»Und denke an Bogdaniec, denn davon bin ich überzeugt, nicht wegen Bogdaniec, sondern wegen der plappernden Ente willst Du mit Jurand aus Spychow gegen die Deutschen ziehen.«

»Redet nicht in solcher Weise, denn sonst gerate ich in Zorn,« erwiderte Zbyszko. »Daß ich die Maid gern sehe, leugne ich nicht. Was will Nyngalla gegen sie bedeuten? Habt Ihr jemals etwas Holderes gesehen?«

»Was ficht mich ihre Holdseligkeit an? Am besten ist’s, Du vermählst Dich mit ihr, sobald sie erwachsen sein wird. Ist sie doch die Tochter eines mächtigen Grafen.«

Ein freudiges Lächeln erhellte Zbyszkos jugendfrisches Antlitz.

»Das beabsichtige ich auch. Sie ist meine Gebieterin, sie wird mein Weib. Ei, wenn Ihr Euch auch noch so sehr dagegen auflehnt, so werdet Ihr doch noch die Kinder von ihr und mir auf Euren Armen wiegen.«

Daraufhin lächelte auch Macko und erwiderte vollständig besänftigt: »Mögen es ihrer so viele sein, wie Sand am Meere. Im Alter die Freude, nach dem Tode die Seligkeit, dies uns verleihe, o Herr Jesus!«

  1. Begleiter. Anmerkung d. Ueb.

Drittes Kapitel.

Die Fürstin, Danusia, Macko und Zbyszko, sie alle waren schon häufig in Tyniec gewesen, aber unter der Schar der Hofleute gab es gar viele, die zum erstenmal die Abtei erblickten. Mit großen, staunenden Augen schauten sie auf den herrlichen Bau, auf die Zinnen, die über Felsen und Abgründe hinliefen, auf die mannigfaltigsten Baulichkeiten, welche teils auf seitwärts gelegenen Hügeln standen, teils innerhalb der Wälle emporragten und von dem Glanze der aufgehenden Sonne vergoldet wurden. Von welchem Reichtum zeugten all diese Bauten, die auf den Hügeln liegenden Gärten, die sorgsam bestellten Felder, welche sich allerorts dem Blicke darboten – sie sprachen von einem aus ewigen Zeiten herrührenden, unerschöpflichen Reichtume, an den die Leute aus dem armen Masovien nicht gewöhnt waren, und der sie daher mit Verwunderung erfüllen mußte. Wohl existierten noch in anderen Teilen des Landes, wie z. B. in Lubusz an der Oder, in Plock in Großpolen und in Mogilno uralte, große Benediktiner-Abteien, allein keine vermochte sich an Größe mit der Abtei von Tyniec zu messen, deren Ländereien an Ausdehnung die eines selbständigen Fürstentums übertrafen, deren Einkünfte den Neid damaliger Könige zu erwecken vermochten.

Je näher sie der Abtei kamen, umsomehr wuchs das Staunen der Hofleute. Oftmals glaubten sie den eigenen Augen nicht trauen zu dürfen. Die Fürstin indessen, von dem Wunsche beseelt, sich die Zeit zu verkürzen und die Neugierde der sie begleitenden Hoffräulein zu erregen, bat einen der Mönche, er möge ihnen doch die uralte, furchtbare Sage von Walgierz Wlady erzählen, von der sie in Krakau schon hatte sprechen hören. Unverweilt scharten sich nun die Mägdelein dicht um die Herrin und schritten gemächlich mit dieser der Höhe zu, in dem morgendlichen Sonnenlichte wandelnden Blumen gleichend.

»Dem Bruder Hidulf ist Walgierz schon einmal des Nachts erschienen, er möge Euch daher von ihm berichten,« erklärte einer der Mönche, indem er auf einen durch das Alter ergrauten Ordensbruder deutete, der etwas gebeugt neben Mikolaj von Dlugolas einherschritt.

»Habt Ihr ihn wirklich mit Euren eigenen Augen gesehen, ehrwürdiger Vater,« fragte die Fürstin.

»Ich habe ihn gesehen,« entgegnete düster der Mönch, »denn in einer bestimmten Zeit steht es ihm nach dem Willen Gottes frei, die höllische Unterwelt zu verlassen und sich der Welt zu zeigen.«

»Wann pflegt dies zu sein?«

Der Mönch blickte auf seine Gefährten und schwieg, herrschte doch der Glauben, der Geist von Walgierz zeige sich dann, wenn die Sitten des Ordens sich verschlechtern, und wenn die Mönche, mehr als es gestattet ist, an weltlichen Besitz, an weltliche Vergnügungen denken. Dies wollte selbstverständlich keiner offen bekennen, da indessen auch angenommen wurde, das Erscheinen des Walgierz deute auf Krieg oder auf irgend ein anderes unglückliches Ereignis, hub Bruder Hidulf nach kurzem Schweigen wieder an: »Sein Erscheinen weissagt nichts Gutes.«

»Um nichts in der Welt möchte ich ihn sehen!« rief die Fürstin, sich bekreuzend. »Doch sagt, weshalb ist er denn in der Hölle, wenn er sich, wie ich hörte, nur für das ihm angethane schwere Unrecht rächte?«

»Hätte er auch stets tugendhaft gehandelt, so wäre er doch verdammt worden,« entgegnete der Mönch in strengem Tone, »denn er lebte in heidnischen Zeiten und wurde nicht durch die heilige Taufe von der Erbsünde gereinigt.«

Bei diesen Worten zogen sich die Brauen der Fürstin schmerzlich zusammen, denn sie gedachte ihres Vaters, dessen Andenken sie treu im Herzen bewahrte. Auch er war als Heide gestorben, und mußte nun wohl in alle Ewigkeit in der Hölle brennen.

»Wir lauschen Euren Worten,« erklärte sie jedoch nach kurzer Pause.

Und Bruder Hidulf sprach also: »Es lebte in heidnischen Zeiten ein mächtiger Graf, welcher wegen seiner großen Schönheit Walgierz Wlady genannt wurde. Dieses ganze Land, soweit das Auge reicht, gehörte ihm, und bei Kriegsläuften führte er außer dem Fußvolke noch gegen hundert Lanzenreiter mit, denn alle Vogteien, im Westen bis nach Opole, im Osten bis nach Sandomierz waren ihm unterthan. Seine Herden konnte niemand zählen, und in Tyniec besaß er, wie jetzt die Kreuzritter in Marienburg, einen ganz mit Gold gefüllten Turm.«

»Ja, das weiß ich, die Kreuzritter besitzen einen solchen Turm,« warf hier die Fürstin Danuta ein.

»Und Walgierz war wie ein Riese,« fuhr der Mönch fort, »Eichbäume riß er mit der Wurzel aus, und an Schönheit, im Spiele der Laute und im Gesange kam ihm kein Mensch in der ganzen Welt gleich. Da einmal, als er sich an dem französischen Königshofe befand, ward die Königstochter Helgunde von heftiger Liebe für ihn ergriffen, und sie floh mit ihm nach Tyniec, denn nach dem Willen des Vaters sollte sie zum Lobe des Herrn in ein Kloster gehen. In Tyniec aber hausten die beiden in Unzucht mit einander, kein Priester wollte sie zusammengeben in christlicher Ehe. Zu damaliger Zeit aber lebte in Wislica ein gewisser Wislan Piêkny aus dem königlichen Geschlechte Popiel, und dieser verwüstete während der Abwesenheit von Walgierz Wlady die ganze Grafschaft Tyniec. Doch Walgierz zog nach seiner Rückkehr gegen den Wislaw Piêkny, besiegte ihn und führte ihn als Sklaven nach Tiniec. Er ahnte freilich nicht, daß jede Frau, deren Augen auf Wislaw fielen, bereit sein werde, Vater, Mutter und Ehegemahl zu verraten. So geschah es auch mit Helgunde. Solche Fesseln ersann sie für Walgierz, daß er, ein Riese, der Eichbäume entwurzelte, sich nicht zu befreien vermochte, dann übergab sie ihn dem Wislaw, welcher ihn sofort nach Wislica brachte. Hier schmachtete er im Kerker. Als er aber einstmals zu singen anhub, da hörte ihn Rynga, die Schwester des Wislaw, und Liebe ergriff sie für ihn, und sie befreite ihn aus der Gefangenschaft. Mit dem Schwerte erschlug hierauf Walgierz den Wislaw und Helgunde, überließ ihre Körper den Raben, und zog mit Rynga wieder in Tyniec ein.«

»Für welches Unrecht muß er aber dann büßen?« fragte die Fürstin.

Doch Bruder Hidulf rief: »Hätte er sich taufen lassen, hätte er Tyniec den Benediktinern übergeben, dann würde ihm der Herr seine Sünden verziehen haben, allein er that dies nicht, deshalb verschlang ihn die Hölle.«

»Es gab aber doch schon Benediktiner in diesem Königreiche?«

»Nein, dazumal sind noch keine Benediktiner in dem Königreiche gewesen, denn selbst hier lebten noch Heiden.«

»Wie hätte er dann die Taufe nehmen oder Tyniec übergeben können?«

»Er wollte sich nicht taufen lassen, und deshalb ist er vornehmlich zur ewigen Höllenstrafe verdammt,« warf hier der Mönch würdevoll ein.

»Er hat recht, er spricht billig!« ertönten jetzt einige Stimmen.

Mittlerweile hatten die Wandernden ihr Ziel erreicht. Vor dem Hauptthore des Klosters wurde die Fürstin von dem Abte an der Spitze zahlreicher Mönche und Edelleute erwartet. Wie dies stets zu sein pflegte, so waren auch jetzt viele weltliche Leute – Oekonomen, Advokaten, Prokuratoren, mannigfaltige Klosterbeamte – anwesend. Eine Menge Landbewohner, sogar mächtige Edelleute, hatten auf Grund eines ausnahmsweise in Polen geltenden Lehensrechtes klösterlichen Besitz in Pacht, und diese als »Vasallen« erschienen gern an dem Hofe des Oberlehensherrn, wurden doch nicht allzu selten am Hochaltare allerlei Wohlthaten erwiesen, Schenkungen erteilt, Erleichterungen gewährt, je nach der Laune des mächtigen Abtes, bei dem oft eine kleine Gefälligkeit, ein passendes Wort die größte Wirkung thaten. Die Aussicht auf die Festlichkeiten in der Hauptstadt hatte auch Vasallen aus entfernteren Gegenden herbeigezogen, und alle, welche keine Unterkunft in Krakau finden konnten, erhielten Obdach in Tyniec. Aus diesem Grunde konnte daher » abbas centum villarum« die Fürstin mit noch größerem Gefolge als gewöhnlich empfangen.

Der Abt, ein hochgewachsener, völlig kahlköpfiger Mann, mit einem hageren, klugen Gesichte und einem spärlichen, grauen Schnurrbart, hatte über der Stirn eine tiefe Narbe, die wohl aus seinen jungen, streitbaren Jahren herrühren mochte. Hochmütig schauten die scharfblickenden Augen unter den schwarzen Brauen hervor. Gleich den andern Mönchen war er in eine Kutte gekleidet, aber über dieser Kutte trug er einen schwarzen, rot gefütterten Mantel und um den Hals eine goldene Kette, an der ein gleichfalls goldenes, mit kostbaren Steinen besetztes Kreuz hing. Seine ganze Erscheinung verriet den Hochmut eines Menschen, dem das Befehlen zur zweiten Natur geworden, der voll Selbstvertrauen ist.

Wohlwollend, ja sogar fast unterthänig, begrüßte er indessen die Fürstin, deren Gatte aus dem gleichen Geschlechte der masurischen Fürsten stammte, aus dem nicht nur die Könige Wladislaw und Kasimir hervorgegangen waren, sondern auch von mütterlicher Seite die regierende Königin, die reichste Herrscherin der Welt. Das Haupt neigend, überschritt er die Thorschwelle, und mit einer kleinen goldenen Kapsel, die er zwischen den Fingern der rechten Hand hielt, das Zeichen des Kreuzes sowohl über Anna Danuta, sowie über deren ganzes Gefolge machend, sprach er: »Seid gegrüßt, huldreiche Frau, auf der armseligen Klosterschwelle. Möge der hl. Benedikt aus Nursia, der hl. Maurus, der hl. Bonifacius, der hl. Benedikt aus Anian und auch Johannes aus Tolamei – unsere Schutzheiligen, die in dem Glanze der Ewigkeit leben – Euch Gesundheit, Glück verleihen, und mögen sie Euch segnen siebenmal tagtäglich während der Dauer Eures Erdenlebens.«

»Taub müßten sie sein, wenn sie den gütigen Worten eines solch großen Abtes nicht Gehör schenken würden,« entgegnete mit herzlichem Tone die Fürstin, »und dies um so mehr, als wir zur Messe kommen, während welcher wir uns unter deren Schutz stellen.«

Bei diesen Worten reichte sie dem Abte die Hand, die er, nach höfischer Sitte sich auf ein Knie niederlassend, ritterlich küßte. Dann überschritten sie gemeinsam die Thorschwelle. Mit der Messe hatte man augenscheinlich nur auf sie gewartet, denn in diesem Augenblicke ertönten die Glocken und Glöckchen, Musiker, die zu Ehren der Fürstin an den Kirchenthüren aufgestellt worden waren, bliesen in ihre hellklingenden Trompeten, während andere auf ungeheuere, aus Kupfer geschmiedete, mit Fellen überzogene Kessel schlugen und dadurch einen schallenden Lärm hervorriefen. Auf Anna Danuta, die nicht als Christin geboren worden war, hatte bis jetzt jede Kirche einen großen Eindruck gemacht, die Kirche in Tyniec aber übertraf an Pracht fast alle andern, nur ganz wenige ließen sich mit ihr vergleichen. Dämmerung herrschte in dem Heiligtum, nur an dem Hochaltar zitterten einige Lichtstreifen und vermengten sich mit dem Kerzenscheine, in dem die Vergoldung und das reiche Schnitzwerk sichtbar wurden. Ein Mönch im Ornate celebrierte die Messe. Wohlriechender Weihrauch stieg aus den hin und her geschwungenen Gefäßen in leichten Ringeln in die Höhe. Bald waren Priester und Altar davon eingehüllt, so daß das Geheimnisvolle der Kirche noch erhöht wurde. Die Hände vor dem Antlitz, mit zurückgebeugtem Haupte betete Anna Danuta inbrünstig. Aber als die Orgel erklang, damals noch eine Seltenheit in den Kirchen, als in dem mächtigen Raume herrliche, süße Accorde ertönten, die gleich Engelsstimmen, die gleich Nachtigallensang anzuhören waren, richteten sich die Augen der Fürstin gen oben. Wohl prägte sich auf ihrem Gesichte Frömmigkeit und Bangen aus, aber gleichzeitig auch eine Wonne ohne Grenzen – und wer auf sie schaute, dem erschien sie wie eine Gebenedeite, die in einem wunderbaren Traumgesichte den Himmel geöffnet vor sich sah.

Wenn auch die im Heidentume aufgewachsene Tochter des Kiejstut, wie die meisten ihrer Zeitgenossen, im alltäglichen Leben freudig und vertrauensvoll auf Gottes Barmherzigkeit und Hilfe baute, so betete sie doch im Hause des Herrn mit kindlicher Demut und erhob voll Furcht die Blicke zu der geheimnisvollen und unermeßlichen Macht.

Aber auch das ganze Gefolge betete voll Hingebung, die Hofdamen hatten sich mit der Fürstin in die Stalla begeben, Zbyszko jedoch kniete inmitten der Masuren vor der Stalla und empfahl sich dem göttlichen Schutze. Immer wieder blickte er auf Danusia, die mit gesenkten Augen neben der Fürstin kniete, und stets sagte er sich dann aufs neue, es lohne sich wohl der Mühe, der Ritter eines solchen Mädchens zu sein. Er hatte ihr indessen auch nicht das erste beste Gelöbnis abgelegt. Wohl trug er unter seiner erbeuteten Jacke einen hänfenen Strick, was wollte aber dies heißen! Noch ganz andere Schwierigkeiten mußten überwunden werden. Jetzt, da ihm der Kopf wieder klar geworden war von dem Bier und von dem Weine, die er in der Herberge getrunken hatte, sann er nach, auf welche Weise er seinen Verpflichtungen nachkommen sollte. Krieg herrschte nicht. Bei den Grenzstreitigkeiten konnte er zwar mit einem Deutschen anbinden und entweder dessen Knochen zerschlagen oder selbst mit dem Kopfe dafür büßen. Das hatte er auch Macko auseinandergesetzt. Nur – das kam ihm jetzt in den Sinn – trug ja nicht jeder Deutsche Büsche aus Pfauen- oder Straußfedern auf dem Helme. Von den Gästen der Kreuzritter hatten nur die Pfauenfederbüsche auf den Helmen, welche dem Grafenstande angehörten, von den Kreuzrittern selbst nur die Komture – und von diesen nicht ein jeder. »Bevor es zu einem Kriege kommt,« so sagte er sich nun, »können Jahre vergehen, also können auch noch Jahre verstreichen, bevor ich die drei Büsche erringe. Da ich selbst noch nicht Ritter bin, darf ich auch keine Ritter zum Kampfe herausfordern. Zwar darf ich es als sicher annehmen, daß ich während der Ritterspiele, die zur Feier der Taufe angesagt sind, den Rittergurt aus den Händen des Königs empfange, aber was beginne ich dann? Ich werde zu Jurand aus Spychow gehen; mit ihm will ich ausziehen und so viel Knechte erschlagen, als es in meiner Macht liegt. Damit muß ich mich begnügen. Doch ach, die Knechte der Kreuzritter tragen keine Pfauenfederbüsche auf den Helmen.«

In seiner Bedrängnis wurde es ihm immer gewisser, daß sich ohne Beistand Gottes nichts ausführen lasse, deshalb betete er: »Verleih uns, Jesus, Krieg mit den Kreuzrittern und mit den Deutschen, denn sie sind Feinde dieses Königreiches und aller Nationen, die in unserer Sprache Deinen heiligen Namen anbeten. Segne uns und zermalme jene. Sie ziehen es vor, dem Höllenvogte zu dienen, statt sich Deinem Dienste zu weihen, Haß tragen sie gegen uns im Herzen, weil unser König und unsere Königin ihnen verbot, nachdem die Litauer die heilige Taufe erhalten hatten, mit dem Schwerte Deine christlichen Diener niederzuschlagen. Ich aber, der sündige Zbyszko, thue Buße vor Dir und vor Deinen fünf Wunden. Flehentlich bitte ich um Deine Hilfe. Sende mir zu, sobald wie möglich, drei namhafte Deutsche mit Pfauenfederbüschen auf den Helmen und gestatte mir in Deiner Gnade, sie tödlich zu treffen. Denn ich habe jene drei Büsche Deiner Dienerin, der Tochter des Jurand, dem Jungfräulein Danusia versprochen und auf meine ritterliche Ehre gelobt. Alles hingegen, was ich sonst erbeute in dem Kampfe, das schenke ich getreulich als Zehnten Deinen heiligen Kirchen, damit auch Du, o süßer Jesu, Nutzen und Ruhm durch mich erringst, und damit Du erkennst, daß ich aufrichtigen Herzens und nicht nur so gedankenlos etwas versprach. Und da meine Worte auf reiner Wahrheit beruhen, so stehe mir bei, Amen!«

Immer inbrünstiger wurde er in seinem Gebete, und immer wieder neue Gelübde legte er ab. So gelobte er, daß er nach Auslösung von Bogdaniec der Kirche alles Wachs weihe, das sich das Jahr hindurch in den Bienenstöcken ansammle. Sein Oheim Macko werde sich dem nicht widersetzen, beteuerte er in seinem Gebete, und da sich der Herr Jesus sicherlich auf das Wachs für Kerzen unendlich freue, dürfe er wohl auf dessen rasche Hilfe bauen, denn der Herr Jesus wolle doch gewiß so bald wie möglich seine Kerzen erhalten. Diese Ueberzeugung machte ihn froh und heiter. Fast mit Sicherheit rechnete er jetzt nicht nur darauf, daß es zum Krieg komme, sondern daß er auch sein Ziel erlange, wenn kein Krieg ausbreche. Vor Kraft strotzend, hätte er es allein mit einem ganzen Fähnlein aufgenommen, ja, er verstieg sich sogar so weit, daß er Danusia noch zwei Deutsche gelobte. Schließlich gewann indessen die Vernunft den Sieg über den jugendlichen Uebermut, und er sagte sich, er dürfe nicht durch allzu große Wünsche die Geduld Gottes gefährden. Selbstverständlich wuchs aber sein Vertrauen noch mehr, als er, nachdem der ganze Hof nach der Messe der Ruhe gepflogen hatte, beim Frühmahle das Gespräch hörte, das der Abt mit Anna Danuta führte.

Einesteils aus Frömmigkeit, andernteils infolge der prächtigen Geschenke, welche der Großmeister der Kreuzritter nicht sparte, hegten die meisten damaligen Fürstinnen und Königinnen große Freundschaft für diesen Orden. Sogar die gottesfürchtige Jadwiga hielt, so lange sie lebte, ihren Gemahl davon zurück, die Kreuzritter seine Macht fühlen zu lassen. Nur Anna Danuta machte darin eine Ausnahme. Ihre Familie hatte durch den Orden solche Kränkungen erfahren, daß sie die Kreuzritter von ganzer Seele haßte. Als sich daher der Abt bei ihr über Masovien erkundigte, beklagte sie sich bitter über den Großmeister. »Wie soll es denn einem Fürstentume ergehen, das solche Nachbarn hat?« erklärte sie. »Wohl ist scheinbar Ruhe, man wechselt Botschaften und Briefe, allein trotzdem weiß man von einem Tage zum andern nicht, was geschehen wird. Kein Grenzbewohner, der sich des Abends zur Ruhe legt, weiß, was seiner harrt, ob er nicht während des Schlafes in Fesseln geschlagen, ob ihm nicht ein Schwert in die Kehle gestoßen, ob ihm nicht die Decke über dem Kopfe angezündet wird. Trotz Eiden, Siegeln und Pergamenten ist man nicht sicher vor Verrat. Was geschah denn in der Nähe Zlotorgas? In Zeiten des tiefsten Friedens wurde der Fürst gefangen genommen. Die Kreuzritter behaupten, die Burgen könnten mit der Zeit furchtbar für sie werden. Allein diese Burgen dienen nur zum Schutze, kein Ueberfall wird von ihnen aus gemacht, und welcher Fürst hätte nicht das Recht, im eigenen Lande Burgen zu errichten oder umzubauen? Hat der Orden jemals Rücksicht auf Schwache genommen, hat er sich jemals durch Macht zurückhalten lassen? Schwachheit verachtet er, Macht sucht er zu Falle zu bringen. Wer ihm Gutes thut, dem lohnt er schlecht. Giebt es sonst noch einen Orden auf der Welt, der solche Wohlthaten von polnischen Fürsten erwiesen bekam, und wie lohnte er es? Da mit dem bittersten Hasse, dort mit Plünderung des Landes, hier mit Krieg und Verrat. Was nützt es, sich darob zu beklagen? Selbst die Klagen des apostolischen Stuhles verhallen ungehört. In ihrer Verstocktheit und Aufgeblasenheit hören die Kreuzritter sogar nicht auf den römischen Papst. Wohl schicken sie jetzt eine Gesandtschaft wegen der Entbindung der Königin und zu der bevorstehenden Taufe, allein sie thun dies nur deshalb, weil sie den Zorn des mächtigen Königs über das, was sie in Litauen vollführt haben, von sich abwälzen wollen. Im innersten Herzen planen sie noch immer die Vertilgung des Königreiches und des ganzen polnischen Stammes.«

Der Abt lauschte voll Aufmerksamkeit auf die Worte der Fürstin, sagte hie und da beipflichtend »ja, ja« und erklärte dann: »Ich weiß, daß an der Spitze der Gesandtschaft der Komtur Lichtenstein nach Krakau kommen wird, ein Ordensbruder, der seines vornehmen Standes, seines Mutes und seiner Klugheit wegen hoch geachtet ist. Vielleicht trefft Ihr hier mit ihm zusammen, huldreiche Frau, denn mir wurde die Kunde, daß er unserer Reliquien wegen nach Tyniec zu kommen gedenke, um hier sein Gebet zu verrichten.«

Kaum hatte jedoch die Fürstin diese Worte vernommen, so hub sie mit neuem Eifer also an: »Die Leute erzählen – und Gott gebe, daß es sich bewahrheite – es werde binnen kurzem ein großer Krieg entbrennen, in welchem das Königreich Polen mit seinen Verbündeten, also mit allen Nationen, die eine dem Polnischen ähnliche Sprache reden, gegen die Deutschen und die Kreuzritter kämpfen wolle. Es sollen ja darüber Prophezeiungen einer Heiligen vorhanden sein.«

»Ihr sprecht von Brigitta,« unterbrach der Abt die Fürstin. »Vor acht Jahren ist sie unter die Heiligen aufgenommen worden. Der fromme Peter aus Alvastern und Matthäus aus Linköping haben die Prophezeiungen aufgeschrieben, in denen ein großer Krieg vorausgesagt wird.«

Als Zbyszko diese Worte vernahm, vermochte er sich nicht zu beherrschen, sondern fragte mit einer vor Freude zitternden Stimme: »Und wird dieser Krieg bald ausbrechen?«

Allein er erhielt keine Antwort auf diese Frage, denn der Abt, ausschließlich mit der Fürstin beschäftigt, hatte entweder nichts gehört oder that, als ob er nichts gehört habe, die Fürstin aber fuhr fort: »Die jungen Krieger freilich, die sehen mit Freuden einem solchen Kriege entgegen, die alten und bedachtsamen aber sprechen also: ›Nicht die Deutschen fürchten wir, noch ihre Spieße und Schwerter, wenngleich ihre Macht groß ist, wenngleich sie voll Zuversicht sind, nein, nein, wir fürchten die Reliquien der Kreuzritter, gegen die sich nichts ausrichten läßt‹.« Hier hielt Anna Danuta inne, blickte voll Bangen auf den Abt und fügte endlich leise hinzu: »Sie sollen ja, wie allgemein gesagt wird, Holz von dem heiligen Kreuze in Besitz haben. Wie kann man daher mit ihnen Krieg führen?«

»Der König von Frankreich überschickte es ihnen,« erklärte der Abt.

Ein minutenlanges Schweigen trat ein, dann aber ergriff Mikolaj von Dlugolas das Wort, ein erfahrener Mann, der schon viel in der Welt herumgekommen war. »Ich bin in Gefangenschaft bei den Kreuzrittern gewesen,« sprach er, »und ich habe häufig Prozessionen gesehen, bei denen jene Reliquie umhergetragen worden ist. Aber außer diesem Heiligtume besitzt das Kloster von Olivia eine große Zahl anderer Reliquien, ohne welche der Orden nicht zu solcher Macht gelangt wäre.«

»Wie kann man daher im Kriege gegen sie bestehen?« wiederholte die Fürstin seufzend.

Daraufhin erwiderte der Abt, seine Stirne runzelnd, nach kurzem Ueberlegen: »Schwierig ist es auch deshalb, im Kriege gegen sie zu bestehen, weil sie Ordensbrüder sind und das Kreuz auf dem Mantel tragen; wenn sie jedoch das Maß der Sünden überschreiten, dann werden diese Heiligen und ihre Reliquien, von Ekel erfüllt, nicht nur nicht ihre Macht erhöhen, sondern sich ganz von ihnen wenden. Möge Gott das christliche Blut schonen, aber wenn es zu dem großen Kriege kommt, so haben wir ja auch in unserem Königreiche Heilige, welche für uns kämpfen werden. In den Prophezeiungen der hl. Brigitta heißt es ja: ›Ich verlieh ihnen die Nützlichkeit von Bienen und setzte sie fest an die Grenze des christlichen Landes. Allein jetzt wenden sie sich gegen mich. Denn sie kümmern sich nicht um die Seele und erbarmen sich nicht des Leibes dieses Volkes, das aus seinem Irrglauben zu dem katholischen Glauben übergegangen ist, das sich zu mir gewendet hat. Gleich Sklaven behandeln sie es; sie lehren es nicht die Gebote Gottes, und da sie es der heiligen Sakramente berauben, verdammen sie es zu noch größeren Höllenqualen, als wenn es im Heidentum verharrt hätte. Kriege führen sie, aber nur zur Stillung ihrer Habgier. Deshalb wird die Zeit kommen, in der ihnen ausgebrochen werden die Zähne, ihnen abgehauen wird die rechte Hand, es wird die Zeit kommen, in der ihnen lahm werden wird der rechte Fuß, damit sie erkennen ihre Sünden‹.«

»Das gebe Gott!« rief Zbyszko.

Auch die andern Ritter und die Ordensbrüder faßten neuen Mut beim Anhören dieser Prophezeiung, der Abt jedoch wandte sich wiederum zu der Fürstin und fuhr fort: »Deshalb vertrauet auf Gott, huldreiche Frau, denn eher sind ihre Tage gezählt als die Euren, und inzwischen nehmt gütigst die Kapsel entgegen, in welcher sich eine Fußzehe des heiligen Ptolemäus, eines unserer Schutzheiligen, befindet.«

Zitternd vor Glück streckte die Fürstin die Hand aus, kniete nieder und nahm voll Freude die Kapsel entgegen, die sie an ihre Lippen preßte. Und auch die Hofherren und die Hofdamen freuten sich mit ihrer Herrin, denn keines von ihnen zweifelte, daß sich durch dieses Geschenk Segen und Glück über alle, über das ganze Fürstentum ergießen werde. Hochbeglückt fühlte sich auch Zbyszko durch die Hoffnung, daß der Krieg sofort nach den Feierlichkeiten beginnen werde.

Viertes Kapitel.

Es war fast Mittag geworden, als die Fürstin mit ihrem zahlreichen Gefolge aus Tyniec aufbrach, um sich nach Krakau zu begeben. Gar häufig legten in damaliger Zeit die Ritter, welche in einer größeren Stadt oder auf einer Burg irgend eine bekannte Persönlichkeit aufsuchten, völlige Kriegsrüstung an. Der Sitte gemäß wurde diese freilich sofort nach Ueberschreitung der Thorschwelle wieder abgelegt, wozu gewöhnlich die Ankömmlinge von den Herren der Burgen mit den Worten aufgefordert wurden: »Legt die Rüstung ab, edle Gäste, denn Ihr seid bei Freunden!« Nichtsdestoweniger wurde großes Gewicht auf einen kriegerischen Einzug gelegt, der in aller Augen die Bedeutung des Rittertums hob. So erschienen denn auch jetzt Macko und Zbyszko, angethan mit wunderbaren Panzern und Armschienen, samt und sonders von friesischen Rittern erbeutet.

Mikolaj aus Dlugolas, der schon weit in der Welt herumgekommen war, der schon unzählige Ritter gesehen hatte und als Kenner von Kriegswaffen galt, sagte sich sofort, daß diese Panzer nur durch Mailänder geschmiedet sein konnten, die berühmtesten Panzerschmiede in der ganzen Welt. Nur die reichsten Ritter konnten sich derartige Rüstungen verschaffen, von denen eine jede als beträchtliches Erbgut angesehen wurde. Jene Friesen mußten daher namhafte Leute gewesen sein, und mit immer wachsender Bewunderung schaute Mikolaj auf Macko und Zbyszko, als deren Bezwinger. Die Helme, welche die beiden trugen, gehörten zwar nicht zu den schlechtesten, waren jedoch auch nichts Besonderes, dagegen erweckten ihre riesenhaften, schön aufgezäumten Hengste großes Staunen, ja vielfach Neid. Stolz saßen Macko und Zbyszko im Sattel und blickten kühn von ihrer Höhe aus den ganzen Hof herab. Jeder von ihnen hielt einen langen Spieß in der Hand, jeder hatte ein Schwert an der Seite und eine Streitaxt im Sattel. Der Bequemlichkeit wegen hatten sie die Schilde in den Wagen zurückgelassen, allein auch ohne sie sahen die beiden aus, als ob sie in die Schlacht, nicht aber in die Stadt zögen. Stets ritten sie in der Nähe der Kalesche, auf deren Vordersitz die Fürstin mit Danusia saß, auf deren Rücksitz die stattliche Hofdame Ofka, die Witwe von Christian aus Jarzabkow, und der alte Mikolaj aus Dlugolas Platz genommen hatten. Danusia schaute nur auf die gepanzerten Ritter, während die Fürstin immer wieder die Kapsel mit der Reliquie des heiligen Ptolemäus an die Lippen führte.

»Ich bin unendlich neugierig,« bemerkte sie schließlich, »was sich eigentlich darin befindet, allein ich wage nicht, die Kapsel selbst zu öffnen. Gar leicht könnte ich die Heiligen dadurch erzürnen. Der Bischof von Krakau soll sie öffnen.«

»Ei, besser ist es,« ließ sich aber jetzt Mikolaj von Dlugolas bedächtig vernehmen, »ein solch lockendes Kleinod nicht aus den Händen zu lassen.«

»Vielleicht habt Ihr recht,« erwiderte nach kurzem Schweigen die Fürstin, dann fügte sie hinzu: »Schon lange hat mir nichts solche Freude bereitet wie das Zusammentreffen mit dem trefflichen Abte. Allein noch größeres Vergnügen bereitet mir dies Geschenk, dient es doch zur Beruhigung meiner Angst vor den Reliquien der Kreuzritter.«

»Weise sprach der Abt und gerecht,« ließ sich nun Macko aus Bogdaniec vernehmen. »Gar viele Reliquien hatten sie bei Wilna bei sich, war es ihnen doch vor allem darum zu thun, den Fremden gegenüber zu zeigen, daß der Krieg gegen die Heiden geführt werde. Was aber folgte daraus? Die Unsrigen überzeugten sich nur zu bald, was hauptsächlich not that. In die flache Hand zu speien und mit dem Beile unter dem Ohre tüchtig zuzuhauen, das war nötig, dann fiel der Kopf mitsamt dem Helme. Wohl helfen auch die Heiligen – es wäre eine Sünde, dies zu bestreiten – allein nur den Gerechten stehen sie bei, nur denen, die einer guten Sache wegen und im Namen Gottes in die Schlacht ziehen. Wenn es daher auch zum Kriege mit den Kreuzrittern kommt, wenn alle Deutschen ihnen beistehen, so glaube ich deshalb doch, edle Frau, daß wir sie haufenweise schlagen, denn unser Volk ist größer, und der Herr Jesus verlieh uns stärkere Knochen. Was aber zudem die Reliquien anbelangt – nun, giebt es vielleicht in dem Kloster zum heiligen Kreuze nicht auch Holz vom heiligen Kreuze?«

»Das ist richtig, so wahr mir Gott lieb ist. Bei uns bleiben jedoch die Reliquien in den Klöstern, die Kreuzritter nehmen aber die ihrigen, sobald es nötig ist, in den Wagen mit sich.«

»Das ist alles einerlei! Für die Macht Gottes giebt es keine Entfernung.«

»Ist dies wirklich der Fall?« fragte die Fürstin, sich an den klugen Mikolaj von Dlugolas wendend, und dieser antwortete: »Das kann jeder Bischof bezeugen. Von Rom ist es auch weit, und der Papst regiert doch die Welt – geschweige denn erst Gott!«

Diese Worte wirkten beruhigend auf die Fürstin, die nun das Gespräch über Tyniec, über die ungewöhnliche Pracht der Abtei wieder aufnahm. Die Masuren bewunderten überhaupt die Schönheit des ganzen Landes, durch das sie jetzt kamen.

Rings umher lagen, dicht gedrängt, wohlhabende Dörfer, dabei Gärten mit Obstbäumen, Lindenhaine mit strohumhüllten Bienenstöcken und Storchennestern auf den Linden. Dann reihte sich wieder auf beiden Seiten der Landstraße ein Getreidefeld an das andere. Im Winde wogte das grüne Aehrenmeer hin und her, und gleich den Sternen am Firmamente schimmerten dunkelblaue Kornblumen und hellrote Mohnblumen daraus hervor. Ganz in der Ferne, hinter dem Ackerlande, zeigten sich finstere Wälder, aber in hellen Sonnenschein getauchte Eichen- und Erlenwäldchen erfreuten hier und dort das Ange, saftig grüne Wiesen, über denen Kibitze kreisten, lagen auf sanft ansteigenden Hügeln dazwischen. Ein fleißiges, arbeitsames Volk mußte dies Fleckchen Erde bewohnen, ein Volk, das die Feldarbeit liebte und friedlich, glücklich dahinlebte in diesem Lande, in dem Milch und Honig zu fließen schien.

»Hier merkt man Kasimirs segensreiches Walten,« rief die Fürstin, »hier möchte man leben und nicht sterben.«

»Auch der Herr Jesus freut sich über dieses Stückchen Erde,« warf Mikolaj von Dlugolas ein, »und der Segen Gottes ruht sichtlich darauf. Wie wird es aber erst dann werden, wenn auch hier erst einmal die Glocken läuten! Wo ist dann noch ein Winkel auf der Erde, in den ihr Widerhall nicht dringt. O, dann müssen die schlimmen Geister in die düsteren Wälder an der ungarischen Grenze weichen, weil sie den Glockenklang nicht hören können. Das weiß ich gewiß.«

»Ja, da ist es doch zu verwundern,« ließ sich Ofka, die Witwe des Christian aus Jarzabkow vernehmen, »daß der höllische Riese Walgierz Wlady, von dem die Mönche erzählt haben, noch immer in Tyniec auftaucht, wo doch siebenmal im Tage die Glocken läuten.«

Diese Erwägung versetzte natürlich den Mikolaj einen Augenblick in Staunen, nach kurzem Nachdenken erwiderte er jedoch: »Erstens sind die göttlichen Aussprüche unergründlich, und zweitens ist wohl vorauszusetzen, daß er für jedes Mal besonderen Befehl bekommt.«

»Mag das nun sein, wie es will, ich möchte nie dazu raten, in dem Kloster zu nächtigen. Vor Angst würde ich sterben, wenn sich mir ein solch höllischer Bewohner zeigte.«

»Ei, ei, das ist noch gar nicht so sicher, denn es wird behauptet, er sei sehr schön.«

»Selbst wenn er der anziehendste Mensch wäre, möchte ich mich von keinem Manne küssen lassen, dem Schwefel aus dem Munde kommt.«

»Ach, daß Ihr doch selbst dann ans Küssen denken müßt, wenn von Teufeln die Rede ist.«

Auf diese Worte der Fürstin hin brachen sowohl Herr Mikolaj wie die beiden Edelleute aus Bogdaniec in Lachen aus, Danusia lachte mit, und auch Anna Danuta wurde von dem Beispiele der Drei angesteckt. Ofka aus Jarzabkow aber wandte sich ärgerlich zu Mikolaj aus Dlugolas und sprach: »Er wäre mir jedenfalls lieber als Ihr.«

»Ei, malt den Teufel nicht an die Wand,« entgegnete noch immer lachend der Masur, »der Dämon zeigt sich häufig auf der Landstraße zwischen Krakau und Tyniec, und am häufigsten gegen Abend. Mit einem Male wird er Euch in Schrecken versetzen, mit einem Male wird der Riese vor Euch stehen.«

»Vor dem bösen Blick mögen wir bewahrt bleiben!« rief Ofka.

In diesem Augenblick indessen hielt Macko von Bogdaniec, der von seinem hohen Hengste aus einen weiteren Umblick hatte als die, welche in der Kalesche saßen, die Zügel an und sagte: »O, so wahr mir Gott lieb ist, was ist das?«

»Was denn?«

»Ein leibhafter Riese reitet dort auf der Höhe vor uns.«

»Ein Wort kann zur Wirklichkeit werden!« bemerkte die Fürstin. »Schwatzt keine Dummheiten!«

Nun aber hob sich Zbyszko in den Bügeln und sagte: »Leibhaftig der Riese Walgierz, kein anderer.«

Daraufhin faßte der Kutscher die Pferde vor Schrecken fest an und bekreuzigte sich, ohne die Zügel aus den Händen zu lassen, denn auch er sah nun von seinem Bocke aus auf der gegenüberliegenden Höhe einen hoch zu Rosse sitzenden Reiter daher traben.

Unwillkürlich stand die Fürstin von ihrem Sitze auf, setzte sich aber dann, wenn schon mit schreckensbleichem Antlitz, gleich wieder nieder, und ohne weiteres barg Danusia ihr Köpfchen in dem Gewande Anna Danutas. Um die Kalesche drängte sich aber nun auch das ganze Gefolge, die Hofherren und die Hofdamen, sowie alle fahrenden Schüler. Die Männer trugen zwar noch immer eine lächelnde Miene zur Schau, aber ihre unruhigen Blicke zeugten von der inneren Erregung, während die jungen, todbleichen Hoffräulein gar nicht versuchten, ihre Furcht zu verbergen. Nur Mikolaj aus Dlugolas bewahrte seinen Gleichmut und versuchte die Fürstin zu beruhigen, indem er sprach: »Fürchtet nichts, erlauchte Frau. Die Sonne ist ja noch nicht einmal untergegangen, und selbst wenn es Nacht wäre, würde Euch der heilige Ptolemäus vor Walgierz zu schützen wissen.«

Vorläufig hielt der unbekannte Reiter, als er den lange sich hinstreckenden Höhenrücken erreicht hatte, sein Pferd an und stand regungslos still. Da die Strahlen der untergehenden Sonne gerade auf ihn fielen, konnte man ihn deutlich sehen, und in der That, seine Gestalt schien das menschliche Durchschnittsmaß unendlich zu überragen. Der Zwischenraum zwischen ihm und der fürstlichen Kalesche konnte höchstens dreihundert Schritte betragen.

»Weshalb blieb er wohl stehen?« fragte einer der fahrenden Schüler.

»Weil auch wir angehalten haben!« entgegnete Macko.

»Seht nur, er blickt nach uns, als ob er sich einen heraussuchen wollte,« bemerkte ein zweiter fahrender Schüler. »Wenn ich sicher wäre, daß dies ein Mensch und kein böser Geist ist, würde ich mich ihm nähern und ihm mit der Laute über den Kopf schlagen.«

Die Frauen wurden immer hoffnungsloser und begannen laut zu beten. Zbyszko jedoch, der sich im Beisein der Fürstin und Danusias mutig erweisen wollte, erklärte: »Ich reite ihm entgegen. Was liegt mir an Walgierz!«

Umsonst rief Danusia schmerzlich und unter Thränen: »Zbyszko, Zbyszko!« – er ritt unentwegt davon mit dem festen Vorsatze, selbst den wahrhaftigen Walgierz zu durchbohren, wenn es sein müsse.

»Der fremde Reiter erscheint so riesengroß, weil er auf einer Anhöhe steht,« ergriff jetzt Macko das Wort, der sehr scharfe Augen hatte. »Er ist zwar ein etwas langer Kerl, aber ein ganz gewöhnlicher Mensch – nichts anderes. Topp, auch ich folge dem Zbyszko nach, damit es nicht zum Kampfe zwischen diesem und dem fremden Reiter kommt.«

Zbyszko war inzwischen im Trabe vorwärts geritten, wobei er überlegte, ob er sofort den Spieß anlegen oder zuerst in der Nähe beobachten solle, wie es sich eigentlich mit jenem auf der Höhe stehenden Reiter verhalte. Nach reiflichem Ueberlegen beschloß er, zuerst prüfend vorzugehen, und bald überzeugte er sich, wie recht er daran gethan, denn je näher er dem Unbekannten kam, desto mehr verlor dieser in seinen Augen von seiner ungewöhnlichen Größe. Wohl war der Fremde außerordentlich groß und saß auf einem riesigen Pferde, das sogar den Hengst Zbyszkos überragte – allein das menschliche Maß überschritt er nicht. Merkwürdigerweise war er ganz ohne Waffen; auf dem Haupte trug er eine glockenförmige Samtmütze, ein weißleinener, wallender Mantel, unter dem ein grünes Gewand hervorschaute, schützte ihn gegen den Staub. Regungslos verharrte er auf der Höhe mit gesenktem Haupte und betete inbrünstig. Augenscheinlich hatte er nur deshalb sein Pferd angehalten, weil er das Abendgebet sprechen wollte.

»Ei, das ist ja ein sonderbarer Kauz!« dachte der junge Bursche bei sich, »das ist doch nicht Walgierz.«

Und so nahe ritt nun Zbyszko zu dem Unbekannten heran, daß er ihn leicht mit dem Spieße hätte erreichen können, doch als jener den herrlich gewappneten, jungen Ritter vor sich sah, da lächelte er diesem wohlwollend zu und sprach: »Gelobt sei Jesus Christus!«

»In alle Ewigkeit!«

»Ist das dort unten nicht der Hof der masurischen Fürstin?«

»So ist’s!«

»Habt Ihr in Tyniec gespeist?«

Darauf erhielt jedoch der Fragende keine Antwort, denn Zbyszko geriet in solches Staunen, daß er die Frage gar nicht hörte. Während einiger Minuten stand er wie versteinert da. Er glaubte, seinen eigenen Augen nicht trauen zu dürfen, denn mit einemmale erblickte er ungefähr vierhundert Schritte hinter dem Unbekannten mehrere berittene Krieger, die von einem Ritter in glänzender Rüstung und in einem weißseidenen Mantel mit schwarzem Kreuze angeführt wurden. Ein stählerner Helm mit einem Pfauenbusche gleich einem Kamme bedeckte dessen Haupt.

»Ein Kreuzritter!« flüsterte Zbyszko vor sich hin.

Keinen Augenblick zweifelte er jetzt mehr daran, daß sein Gebet erhört worden sei, daß Gott in seiner Barmherzigkeit ihm den Deutschen gesandt habe, um den er in Tyniec gefleht hatte, er sagte sich, er müsse Nutzen aus der göttlichen Gnade ziehen, keine Minute dürfe er länger schwanken, und ohne viel zu überlegen, beugte er sich im Sattel vor, legte dem Pferde den Spieß zwischen die Ohren und den Schlachtruf »Hagel, Hagel!« ausstoßend, sprengte er auf den Kreuzritter los.

Die Kreuzritter

Schon glaubte Zbyszko mit der Lanze die Brust des Gegners durchstoßen zu können, als die Zügel seines Hengstes so stramm angezogen wurden, daß sich das Roß mit allen vieren in die Erde eingrub.

Vollständig verblüfft hielt letzterer sein Pferd an. Doch er bückte sich nicht nach seiner Lanze, die im Steigbügel steckte, sondern er hielt Umschau, wie um sich zu vergewissern, ob der Angriff wirklich ihm gelte.

»Neige die Lanze!« schrie Zbyszko, indem er sein Roß antrieb, »Hagel, Hagel!«

Der Zwischenraum zwischen ihm und dem Kreuzritter verkleinerte sich zusehends. Als dieser indessen bemerkte, daß der Angriff ihm galt, da richtete auch er seine Waffe. Schon glaubte Zbyszko mit der Lanze die Brust des Gegners durchstoßen zu können, als sein Spieß am Schafte von einer kraftvollen Hand gleich dürrem Rohr genickt ward, als die Zügel seines Hengstes von der gleichen Hand so stramm angezogen wurden, daß sich das Roß mit allen vieren in die Erde eingrub und wie festgewurzelt dastand.

»Thörichtes Menschlein, was beginnst Du?« ließ sich eine tiefe, drohende Stimme vernehmen. »Auf die Gesandtschaft dringst Du ein, den König beschimpfst Du!«

Zbyszko blickte empor und erkannte den gleichen riesenhaften Mann, den man für Walgierz gehalten und der vor wenigen Minuten den Hof der fürstlichen Frau in Schrecken versetzt hatte.

»Los auf den Deutschen! Was wollt Ihr, und wer seid Ihr,« rief Zbyszko von neuem, indem er den Griff seines Schwertes faßte.

»Weg mit dem Schwerte! Bei Deiner Liebe für Gott, weg mit dem Schwerte – sage ich – denn sonst fliegst Du vom Pferde. Du beleidigst des Königs Majestät, dem Gerichte wirst Du überantwortet.«

Und sich den Leuten zuwendend, welche hinter dem Kreuzritter ritten, rief er mit donnernder Stimme: »Herbei! Herbei!«

Inzwischen kam auch Macko angeritten. Schlimmes ahnend, blickte er beunruhigt darein. Allein obwohl er einsah, daß Zbyszko geradezu wahnsinnig vorging, und daß ihm aus dieser Sache schlimme Folgen erwachsen konnten, war er doch fest entschlossen, nötigenfalls den Kampf aufzunehmen. Das ganze Gefolge des fremden Ritters und des Kreuzritters bestand ungefähr aus fünfzehn Mann, von denen ein jeder mit einem Spieße oder mit einer Armbrust bewaffnet war. Bei einem Zusammentreffen mit ihnen konnten daher zwei vollständig gewappnete Ritter leicht den Sieg davontragen. Macko überlegte daher auch bei sich, ob es nicht ratsamer sei, einem allenfallsigen Urteilsspruche des Gerichtes zuvorzukommen, indem man diese Leute überritt, um sich dann an irgend einem Orte so lange verborgen zu halten, bis der erste Sturm ausgetobt hatte. Mit einem Böses weissagenden Gesichte, das ihm das Aussehen eines zum Beißen bereiten Wolfes verlieh, hielt er sein Pferd zwischen Zbyszko und dem Fremden an, griff an sein Schwert und fragte: »Wer seid Ihr, und was verleiht Euch das Recht zu solchem Auftreten.«

»Mein Recht stammt daher,« entgegnete der Unbekannte, »daß der König mir befohlen hat, ein wachsames Auge über diese Gegend zu halten, und man nennt mich Powala aus Taczew.«

Auf diese Worte hin steckten Macko und Zbyszko die schon halb gezückten Schwerter wieder in die Scheiden und senkten das Haupt. Nicht Furcht überkam sie, nein, aber sie neigten das Haupt vor dem weithin bekannten, berühmten Namen, denn Powala aus Taczew, ein mächtiger Edelmann aus hervorragender Familie, der ausgedehnte Ländereien bei Radam besaß, gehörte zu den bekanntesten Rittern in dem Königreiche. Die fahrenden Schüler feierten ihn in ihren Gesängen, besangen ihn als ein Muster an Ehre und priesen seinen Namen zugleich mit den ersten des Landes. In diesem Augenblicke vertrat er zudem die geheiligte Person des Königs, wer sich daher gegen ihn kehrte, der lief Gefahr, seinen Kopf unter dem Beile des Scharfrichters zu verlieren.

Seinen Grimm unterdrückend, begann daher auch Macko in ehrfurchtsvollem Tone: »Ruhm und Ehre Euch, o Herr – Ruhm und Ehre Eurer Tapferkeit und Mannhaftigkeit.«

»Ruhm auch Euch, o Herr!« entgegnete Powala, »wenngleich ich gewünscht hätte, unter anderen, nicht so erschwerenden Umständen Eure Bekanntschaft zu machen.«

»Was meint Ihr damit?« fragte Macko.

Allein Powala erteilte keine Antwort, sondern wandte sich zu Zbyszko.

»Konntest Du, Menschlein, nichts Besseres beginnen?« rief er. »Auf der offenen Landstraße vergreifst Du Dich an der Gesandtschaft des Königs! Weißt Du, was Dich hierfür erwartet?«

»Er ist jung und thöricht, deshalb vermag er sich nicht im Zaume zu halten. Doch Ihr werdet nicht all zu strenge richten, wenn ich Euch die ganze Sache auseinandersetze.«

»Nicht ich werde ihn richten. Mir liegt nur ob, ihn in das Gefängnis einzuliefern.«

»Weshalb?« ließ sich nun Macko vernehmen, aufs neue finster dareinblickend.

»Kraft des königlichen Befehles.«

»Er ist ein Edelmann!« rief schließlich Macko nach längerem Schweigen.

»So möge er bei seiner ritterlichen Ehre geloben, sich freiwillig dem hohen Gerichte zu stellen.«

»Ich gelobe es bei meiner Ehre!« beteuerte Zbyszko.

»Es ist gut. Wie ist Dein Name?«

Macko nannte den Namen und das Geschlecht.

»Wofern Ihr zu dem Hofe der Gattin des Fürsten Janusz gehört, so bittet sie, daß sie Fürsprache für Euch bei dem Könige einlegt.«

»Wir gehören nicht zu dem Hofe. Aus Litauen, von dem Fürsten Witold kommen wir. Wollte Gott, wir wären niemals mit dem fürstlichen Hofe zusammengetroffen. Diese Begegnung ward zum Unglück für diesen Burschen.«

Und nun erzählte Macko, was sich in der Herberge ereignet hatte, er schilderte das Zusammentreffen mit der Fürstin und sprach von dem Gelübde Zbyszkos. Zuletzt übermannte ihn aber der Zorn über Zbyszkos thörichtes Gebaren, durch das sie in eine solch bedrängte Lage geraten waren, dermaßen, daß er diesem zurief: »Wollte Gott, Du wärest in Wilna geblieben. Was hast Du Dir denn bei Deinem Thun gedacht, Du Raufbold?«

»Bah!« entgegnete Zbyszko, »ich betete wegen meines Gelübdes zu dem Herrn Jesus und flehte ihn an, daß er mich auf Deutsche stoßen lassen möge. Reiche Gabe versprach ich ihm dafür. Wie ward mir daher, als ich einen Ritter mit einem Pfauenbusche und in einem Mantel mit schwarzem Kreuze vor mir sah! Eine innere Stimme rief mir zu: Schlag‘ los auf den Deutschen, ein Wunder ist geschehen. Kurz entschlossen, sprengte ich daher auf ihn ein – wer hätte dies an meiner Stelle nicht gethan?«

»Hört mich an,« ergriff nun Powala das Wort. »Ich wünsche Euch nichts Schlimmes, denn ich sehe klar, daß dieser junge Bursche weit eher durch den seinem Alter eigenen Leichtsinn, als durch Böswilligkeit gesündigt hat. Daher wäre ich sofort bereit, seine That nicht weiter zu beachten und ihn ziehen zu lassen, als ob nichts geschehen wäre. Allein ich könnte dies nur in der Voraussetzung thun, daß jener Komtur verspricht, sich nicht bei dem Könige zu beklagen. Stellt daher diese Bitte an ihn. Vielleicht fühlt auch er Mitleid mit dem Menschlein.«

»Weit eher stelle ich mich dem Gerichte, als daß ich mich vor dem Kreuzritter beuge!« rief jetzt Zbyszko. »Nein, das thue ich nicht! Es verträgt sich nicht mit meiner Herrenehre.«

Ernst schaute daraufhin Powala aus Taczew auf den Jüngling und sagte: »Du handelst unrecht. Es wäre wahrlich besser für Dich, Du wüßtest genauer, was sich für die ritterliche Ehre schickt, als im klaren darüber zu sein, was sich nicht für sie schickt. Mich kennt man allenthalben, allein ich sage Dir, daß wenn ich eine solche That vollführt hätte, ich mich nicht schämen würde, für meine Schuld um Verzeihung zu bitten.«

Zbyszko sah wohl die Wahrheit dieser Rede ein, allein nichtsdestoweniger rief er: »Wenn die Erde hier nur ein wenig niedergetreten wird, so ist sie völlig eben. Anstatt dem Deutschen Abbitte zu leisten, ziehe ich es vor, mit ihm zu Pferde oder zu Fuß um den Tod oder um die Knechtschaft zu kämpfen.«

»Narr!« warf hier Macko ein. »Mit dem Gesandten willst Du Dich schlagen? Glaubst Du denn, jener werde sich mit Dir armem Schlucker einlassen? – Edler Herr,« wandte er sich hierauf an Powala, »übt Nachsicht mit ihm. Der Bursche ist durch den Krieg völlig verwildert. Es ist daher weit ratsamer, er bleibt dem Deutschen fern, denn er würde ihn nur beleidigen. Ich werde sprechen, ich werde bitten, und sollte der Komtur nach Beendigung der Gesandtschaft mit seinem Beleidiger an irgend einem Platze kämpfen wollen, dann stelle ich mich ihm.«

»Das ist ein Ritter aus einem hohen Geschlechte, der sich nicht einem jeden stellt!« erklärte Powala.

»Wie? Trage ich vielleicht nicht Gürtel und Sporen? Mir könnte sich selbst ein Fürst stellen.«

»Das ist wahr. Laßt Euch aber ihm gegenüber nichts davon merken, daß ich Euch zu einer Fürbitte veranlaßt habe, denn sonst würde er sich nicht mit Euch versöhnen. Nun, möge Euch Gott seinen Schutz angedeihen lassen.«

»Ich gehe Dir als leuchtendes Vorbild voran!« rief Macko dem Bruderssohne zu, »aber warte, bis ich Dir winke.«

So sprechend näherte er sich dem Kreuzritter. Starr und unbeweglich, wie eine Bildsäule, saß dieser auf seinem, an Größe einem Kamele gleichenden Rosse und blickte voll Gleichgültigkeit umher. Macko hatte sich während seiner langen Kriegszeit im Deutschen geübt; er setzte daher nun den Komtur in dessen Muttersprache auseinander, was geschehen war, schob alle Schuld auf das jugendliche Alter und auf den unklugen Sinn des jungen Burschen, dem kein anderer Gedanke gekommen sei, als daß Gott selbst ihn den Ritter mit dem Pfauenbusche geschickt habe, und bat schließlich um Verzeihung für Zbyszkos Vergehen.

Keine Muskel regte sich in dem Gesichte des Komturs. Mit erhobenem Haupte saß er auf seinem Pferde. So starr, so nichtachtend blickte er über Macko hinweg, als ob er nicht einen Menschen, sondern einen Pfahl vor sich habe. Der Edelmann aus Bogdaniec bemerkte dies wohl, und wenn auch seine weiteren Worte immer gleich höflich blieben, bäumte sich doch sein ganzes Innere sichtlich auf. Nur mühsam redete er schließlich; die roten Flecken auf seinen gebräunten Wangen legten Zeugnis für seine Erregung ab. Immer deutlicher trat es zu Tage, wie er mit sich selbst kämpfte, um nicht mit den Zähnen zu knirschen, um nicht rückhaltlos vorzugehen.

Powala beobachtete all dies. Von seinem guten Herzen getrieben, beschloß er, ihm zu Hilfe zu kommen. Auch er hatte in jungen Jahren an den ungarischen, österreichischen, burgundischen und böhmischen Höfen gar manches Abenteuer bestanden, das seinen Namen weit und breit berühmt gemacht hatte, und so wandte er sich denn nun auch in deutscher Sprache in versöhnlichem Tone und mit vorsätzlicher Heiterkeit zu Macko und sprach: »Ihr seht, o Herr, daß der edle Komtur die ganze Sache auch nicht eines Wortes wert erachtet. Nicht nur in unserem Königreiche, sondern allenthalben pflegen die Kriegerlein mit Unverstand Streitigkeiten herbeizuführen. Doch solch ein Ritter greift Kindern gegenüber weder zu dem Schwerte, noch droht er ihnen mit dem Gesetze.«

Allein auch auf diese Ansprache erteilte Lichtenstein keine Antwort. Seinen fahlgelben Schnurrbart drehend, trieb er sein Pferd au, ohne Macko und Zbyszko weiter zu beachten.

In wahnsinnigem Zorne knirschten diese geradezu mit den Zähnen, während ihre Hände unwillkürlich an die Schwerter griffen.

»Sieh Dich vor, Hund von einem Kreuzritter,« murmelte der alte Edelmann aus Bogdaniec, »ein feierliches Gelübde will ich jetzt ablegen, und ich werde Dich zu finden wissen, wenn Du kein Gesandter mehr bist.«

»Laßt es gut sein,« warf nun Powala ein, trotzdem auch ihm alles Blut heiß zum Herzen schoß, »die Fürstin muß sich jetzt für den jungen Burschen verwenden, sonst steht es schlecht um ihn.«

Nach diesen Worten ritt er dem Kreuzritter nach, erreichte ihn und redete während einiger Zeit lebhaft auf ihn ein. Doch sowohl Macko, wie Zbyszko bemerkte, daß der deutsche Ritter eben so hochmütig auf Powala blickte, wie er dies zuvor bei ihnen gethan hatte, und ihr Grimm steigerte sich immer mehr. Schon nach wenigen Minuten kehrte übrigens Powala wieder zu ihnen zurück, allein erst, nachdem sich der Kreuzritter weit genug entfernt hatte, um völlig außer Hörweite zu sein, begann er: »Ich bat für Euch, allein dies ist ein unzugänglicher Mensch. Er erklärte, er werde sich nur dann nicht beschweren, wenn Ihr das erfüllt, was er verlangen wird.«

»Was will er?«

»Er sprach folgendermaßen: ›Ich halte mich noch kurze Zeit auf zur Begrüßung der masovischen Fürstin, und ich verlange, daß jene beiden absteigen, die Helme abnehmen und auf der Erde, mit entblößtem Haupte, mich um Verzeihung bitten.‹ Schwer ist dies für Männer aus edlem Geschlechte, das begreife ich sehr wohl,« fügte Powala hinzu, indem er prüfend auf Zbyszko blickte, »aber ich rate Euch, die gestellte Bedingung zu erfüllen. Wer weiß, was sonst des jungen Burschen harret: wohl gar das Schwert des Henkers.«

Ein peinvolles Schweigen trat ein. Die Gesichter von Macko und Zbyszko sahen mit einem Male wie versteinert aus.

»Nun, was gedenkt Ihr zu thun?« fragte Powala.

Da antwortete Zbyszko so ruhig und mit solcher Würde, als ob er in einem einzigen Augenblick um zwanzig Jahre gealtert wäre: »Wie dem nun auch sein mag, der Wille des Menschen ist auch eine Macht.«

»Was soll das heißen?«

»Selbst wenn ich zwei Köpfe hätte, könnte man sie nur von dem Henker abschlagen lassen – meine Ehre kann mir aber ohne meinen Willen niemand beschimpfen.«

»Nun, und was sagt Ihr?« wandte sich daraufhin Powala fragend an Macko.

»Ich sage,« erwiderte Macko finster, »daß ich diesen Burschen von klein an aufzog … Auf ihm beruht unser Geschlecht, denn ich bin alt – aber das vermag er nicht zu thun, wenngleich er unrecht hatte.«

Und die Liebe zu seinem Bruderssohn brach nun bei ihm mit solcher Kraft hervor, daß er ihn mit seinen starken Armen umfing, während er mit bebenden Lippen fortwährend rief: »Zbyszko, Zbyszko!«

Staunen überkam den jungen Ritter bei dieser unerwarteten Liebesbezeugung, und sich der Umarmung des Ohms überlassend, meinte er: »Ei, fürwahr, ich wußte gar nicht, daß Ihr mich so sehr liebt!«

»Immer mehr sehe ich, daß Ihr echte Edelleute seid,« warf hier Powala bewegt ein, »und da mir der junge Bursche gelobt hat, sich selbst dem Gerichte zu stellen, werde ich ihn nicht gefangen nehmen. Solchen Rittern wie Euch kann man vertrauen. Seid übrigens guten Mutes. Der Deutsche beabsichtigt kurze Zeit in Tyniec zu verweilen, ich werde daher den König vor ihm sehen, und ich gedenke, diesem den Vorfall in einer Weise darzustellen, daß er nicht gar zu ausgebracht darüber sein wird. Ein Glück ist es indessen, daß es mir gelang, den Spieß zu zerbrechen – ein großes Glück ist es!«

»Ei, wenn ich schließlich doch den Kopf lassen muß,« bemerkte hier Zbyszko, »so wünschte ich wenigstens, ich hätte dem Kreuzritter die Knochen zerschlagen.«

»Wenn Du auch wohl im stande bist, Deine Ehre zu schützen,« warf hier Powala ungeduldig ein, »so verstehst Du doch nicht, Dich selbst und Deinen Mund im Zaume zu halten.«

»Einen Ausspruch zu thun, maße ich mir wohl an!« rief Zbyszko erregt, »die Knochen hätte ich ihm zerschlagen sollen.«

Und ohne ihn weiter zu beachten, richtete jetzt Powala wieder das Wort an Macko und sagte: »Glaubt mir, o Herr, Euch bleibt nichts anderes übrig, so sich dieses Menschlein aus der Schlinge herauszuziehen versteht, als ihm eine Haube über den Kopf zu stülpen, wie man es bei den Falken zu thun pflegt. Sonst endigt Euer Bruderssohn keines gewöhnlichen Todes.«

»Er könnte gerettet werden, wenn Ihr, o Herr, vor dem Könige verschweigen wollt, was sich ereignet hat.«

»Doch, was fangen wir mit dem Deutschen an? Die Zunge kann ich ihm doch nicht festbinden.«

»Das ist wahr, das ist wahr!«

Düsteren Blickes, fast zögernd, machten sich nun Macko und Zbyszko auf den Rückweg zu der Fürstin. Powala schloß sich ihnen an, und ihm folgten seine Leute, die bis jetzt mit den Mannen des Deutschen geritten waren. Deutlich war in der Ferne zwischen den masovischen Kopfbedeckungen des Kreuzritters glänzender Helm zu sehen, dessen Pfauenbusch vom Winde hin und her bewegt ward.

»Welch merkwürdige Natur doch ein solcher Kreuzritter besitzt!« begann schließlich nachdenklich der Ritter von Taczew. »Sobald es ihm schlecht geht, ist er so sanft wie ein Franziskaner. Demütig wie ein Lamm, süß wie Honig, zeigt er sich einem jeden gegenüber, als der nachsichtigste, beste Mensch erscheint er. Kaum ist er sich jedoch seiner Macht bewußt, tritt er aufs hochmütigste auf, erweist er sich erbarmungslos, so daß man glauben könnte, der Herr Jesus habe ihm einen Kieselstein, statt eines Herzens verliehen. Unter den verschiedensten Völkern habe ich doch schon Umschau gehalten, und stets überzeugte ich mich, daß der echte Ritter dessen schonte, welcher der Schwächere war, indem er sich sagte, es könne ihm nicht zur Ehre gereichen, den vor ihm Liegenden völlig darnieder zu treten. Starr und unbeugsam sind die Kreuzritter. Haltet Euere Faust über sie, sonst ergeht es Euch schlimm! Nicht nur Abbitte forderte der Gesandte von Euch, nein, Schimpf wollte er Euch anthun. Gar froh bin ich darüber, daß ihm dies nicht gelang.«

»Das wird ihm niemals gelingen!« rief Zbyszko.

»Laßt es ihn auch nicht merken, so Euch Sorge bedrückt, denn sonst würde er Euch rücksichtslos verlachen.«

Nunmehr waren die Drei wieder zu dem Hofstaate der Fürstin gestoßen. Kaum nahm jedoch der Kreuzritter die beiden Edelleute aus Bogdaniec wahr, so verfolgte er sie mit seinem hochmütigen, verächtlichen Blicke, sie aber thaten, als ob sie ihn nicht beachteten. Zbyszko hielt sich an der Seite Danusias, mit der er fröhlich über Krakau zu plaudern begann, das von der Höhe aus bereits zu sehen war, während Macko einem der fahrenden Schüler erzählte, daß der Herr von Taczew mit einer Hand Zbyszkos Spieß wie dürres Rohr am Schafte geknickt habe.

»Weshalb hat er denn dies gethan?« fragte der fahrende Schüler.

»Weil Zbyszko ihn, freilich nur zum Spaße, auf den Deutschen anlegte.«

Den Schüler dünkte zwar ein solcher Scherz nicht angemessen, doch da er sah, wie leichthin Macko darüber sprach, legte er ihm keine große Bedeutung bei. Die Stimmung des Kreuzritters ward eine immer gereiztere. In der Erwartung, daß ihm Macko und Zbyszko Abbitte leisten würden, sah er sich schmählich getäuscht, seine Augen blitzten mit einemmale zornig auf, und mit der Miene eines schwer Gekränkten verabschiedete er sich von der Fürstin.

Da vermochte der Herr von Taczew nicht länger an sich zu halten, sondern rief ihm zu: »Seid getrost, tapferer Ritter. Das Land ist ruhig und niemand wird Euch feindlich überfallen, wennschon ein gewisser junger Bursche zum Spaße …«

»Seltsam sind zwar die Sitten in diesem Lande,« entgegnete Lichtenstein, »allein nicht Schutz suchte ich bei Euch, nein, mir war es um Eure Gesellschaft zu thun. Doch voraussichtlich werden wir uns noch einmal treffen, sei es an dem hiesigen Hofe oder an einem andern …«

Die letzten Worte klangen wie eine unterdrückte Drohung, weshalb Powala feierlich erwiderte: »Das gebe Gott!«

So antwortend, neigte er sich leicht, wandte sich achselzuckend ab und sagte halblaut vor sich hin, doch so, daß die ihm Zunächststehenden es hören konnten: »Gelbschnabel! Am liebsten möchte ich Dich mit der Spitze meines Speeres aus dem Sattel heben und während dreier Vaterunser frei in der Luft halten.«

Unverweilt begann er hierauf eine Unterhaltung mit der Fürstin, die ihm wohl bekannt war. Anna Danuta fragte ihn, was denn seines Amtes sei, und er setzte ihr auseinander, daß er auf königlichen Befehl die Ordnung in der Umgegend aufrecht zu erhalten habe, die Sicherheit auf der Landstraße sei durch die große Zahl der Gäste gefährdet, die nach Krakau zogen. Gar leicht könnte sich unter ihnen ein Zwist erheben, erklärte er weiter, just eben sei er selbst Zeuge eines solchen gewesen. Er erzählte den ganzen Hergang, wennschon er aber anfänglich daran gedacht hatte, die Fürstin um Fürsprache für Zbyszko zu bitten, verschob er das nun schließlich doch auf eine spätere Zeit und vermied es, dem Streite irgend welche Bedeutung beizulegen, um die frohe Laune der Fürstin nicht zu trüben. Anna Danuta lachte sogar herzlich über den Eifer Zbyszkos, die Pfauenbüsche zu erlangen – die andern jedoch, welche der Erzählung lauschten, erkundigten sich eingehend über den Vorfall und äußerten laut ihre Bewunderung des Herrn von Taczew, der mit einer Hand den Spieß des Zbyszko zerbrochen hatte.

Der etwas prahlerisch angelegte Herr von Taczew freute sich jedoch in seinem Herzen über das Lob, das man ihm zollte, und wurde nicht müde, verschiedene seiner Thaten zu schildern, die seinen Namen bekannt gemacht hatten. So erzählte er, daß er einmal am Hofe Philipps des Kühnen von Burgund im Turniere mit einem ardennischen Ritter gekämpft habe. Nach Zertrümmerung der Speere habe er diesen umfaßt, ihn aus dem Sattel gehoben und ihn trotz seines eisernen Panzers auf Speerhöhe in die Luft geschleudert. Eine goldene Kette sei ihm dafür von Philipp dem Kühnen verliehen worden, von dessen Gemahlin aber ein Samtschuh, den er seit jener Zeit am Helme trage.

Noch größeres Staunen bemächtigte sich nun aller Hörer, nun Mikolaj von Dlugolas sagte: »In unserer heutigen verzärtelten Zeit giebt es wohl kaum Männer, wie ich sie in meiner Jugend gekannt habe, oder solche, von denen mein Vater mir erzählt hat. Wohl giebt es noch Edelleute, die einen Panzer zerbrechen, eine Armbrust ohne Schneller spannen oder ein eisernes Beil zwischen den Fingern biegen, aber die betrachten sich schon als Athleten und beehren sich über alle andern. Früher konnten dies jedoch auch Mägdlein thun …«

»Ferne sei es mir, dem zu widersprechen, daß früher die Leute kräftiger waren,« warf jetzt Powala ein, »doch auch heute findet man noch manch strammen Burschen. Mir verlieh der Herr Jesus kräftige Knochen, doch nicht zu den kräftigsten rechne ich mich in diesem Königreiche. Kennt ihr einen gewissen Zawisza aus Garbow? Dieser würde mich bezwingen.«

»Ich kenne ihn. Seine Schultern sind so breit wie die Schutzwehr des Krakauer Glockenturmes.«

»Und Dobko aus Olesnica? Er streckte einmal auf einem Turniere, das die Kreuzritter in Thorn veranstalteten, zwölf Ritter nieder, zum großen Ruhme für uns und für unser Volk.«

»Aber einer der Unseren, der Masur Staszko Ciolek 10 war stärker als Ihr und Zawisz und Dobek. Man erzählt von ihm, er habe mit der Hand einen frischen Stamm so zusammenzupressen vermocht, daß der Saft daraus gelaufen sei.«

»Das vermag ich auch!« rief Zbyszko. Und ohne daß ihn jemand um die Probe gebeten hätte, sprang er an den Rand des Weges, riß einen dicken Ast von einem Baume und drückte ihn nach und nach so kräftig vor den Augen der Fürstin und Danusias zusammen, daß der Saft thatsächlich tropfenweise auf den Weg träufelte.

»Oho! Jesus, Jesus!« rief bei diesem Anblick Ofka aus Jarzawkow, »laßt ihn nicht in den Krieg ziehen, denn es wäre schade, wenn ein solcher Bursche vor der Hochzeit zu Grunde ginge.«

»Ja, es wäre schade!« wiederholte Macko, plötzlich aufs neue finster dareinblickend.

Aber die Fürstin lächelte freudig, und selbst Mikolaj von Dlugolas gab seine Zufriedenheit kund, während die übrigen laut Zbyszko rühmten. Wurde doch zu damaliger Zeit die Kraft mehr als jede andere Gabe geschätzt. Fröhlich blickte Danusia, der die Frauen fortwährend »Freue Dich, freue Dich!« zuriefen, auf den Gefeierten. Den überaus stolz darein schauenden Zbyszko suchte indessen Mikolaj von Dlugolas sofort zu einem gewissen Maßhalten zu bringen, indem er also sprach:

»Sei nicht gar zu stolz, denn es giebt weit kräftigere Gesellen, als Du einer bist. Ich selbst war zwar nicht Augenzeuge, aber mein Vater hat mir von einem Vorgange erzählt, der sich an dem Hofe des römischen Kaisers Karl ereignet hat. Als einmal der König Kasimir zu Besuche kam mit größerem Gefolge, befand sich auch der starke Staszko Ciolek darunter, der Sohn des Wojwoden Andrzej. Der Kaiser rühmte sich seinem Gaste gegenüber, daß zu seinen Mannen ein Böhme gehöre, der jeden Bären um den Leib packe, um ihn dann mit einer Hand zu erwürgen, ja, er veranstaltete eine Vorstellung, in welcher der Böhme zwei Bären auf diese Weise tötete. Das ließ nun unsern König nicht ruhen, ihn grämte der Gedanke, man könne seine Leute geringer achten als die des Kaisers, und wenige Tage vor der Abreise sprach er daher: ›Wißt, mein Ciolek läßt sich von dem Böhmen nicht beschämen.‹ Daraufhin wurde festgesetzt, daß die beiden nach Verlauf von drei Tagen mit einander ringen sollten. Zur bestimmten Zeit versammelten sich gar viele Edelfrauen und Ritter in dem zum Kampfplatze ausersehenen Schloßhofe. Der Wettstreit dauerte jedoch nicht lange, denn binnen kurzem brach Ciolek dem Böhmen das Kreuz, zermalmte ihm alle Knochen und ließ ihn zum Ruhme des Königs erst als Toten aus den Händen. 11 Doch nicht genug damit! Ciolek, der seit dem Kampfe auch ›Knochenbrecher‹ genannt wurde, trug einmal ganz allein von einem Turme die Glocke, welche so groß war, daß sie sonst kaum von zwanzig Männern von der Stelle gebracht werden konnte.« 12

»Stand er denn damals schon im vorgeschrittenen Mannesalter?« fragte Zbyszko.

»Nein, er war noch ganz jung.«

Inzwischen war Powala aus Taczew beständig an der Seite der Fürstin geritten. Jetzt neigte er sich zu ihr, schilderte ihr wahrheitsgetreu den schlimmen Vorgang zwischen dem Kreuzritter und Zbyszko und bat sie inständigst, Fürsprache für letzteren einzulegen, der vielleicht schwer für sein unüberlegtes Vorgehen büßen müsse. Die Fürstin, der Zbyszko sehr wohl gefiel, nahm die Mitteilung voll Kummer entgegen und zeigte sich äußerst beunruhigt.

»Bei dem Bischof von Krakau bin ich wohlgelitten,« ergriff Powala nach kurzem Schweigen wieder das Wort, »ich kann also bei ihm bitten und bei der Königin. Je mehr Fürsprecher jedoch da sind, desto besser ist es für den Milchbart …«

»Wenn die Königin für ihn eintritt, wird ihm kein Haar auf dem Haupte gekrümmt werden,« erklärte Anna Danuta. »Der König stellt sie sehr hoch wegen ihrer Frömmigkeit und wegen ihrer großen Mitgift, jetzt aber verehrt er sie geradezu, da die Schmach der Unfruchtbarkeit von ihr genommen ist. In Krakau ist aber auch die Fürstin Ziemowit – eine Schwester des Königs, für die er große Liebe hegt, an sie wendet Euch. Selbstverständlich versuche auch ich alles, was in meiner Macht steht, allein jene ist ihm leiblich verwandt, und ich bin nur seine Base.«

»Der König ist aber doch sehr eingenommen für Euch, edle Frau.«

»Ach, nicht so sehr,« entgegnete in etwas schmerzlichem Tone die Fürstin. »Ich werde mit dem Gliede einer goldenen Kette abgefunden, während jene eine ganze Kette erhält, für mich wird ein Fuchspelz als ganz genügend erachtet, jene aber muß einen Zobelpelz haben. Für keinen Menschen in der Familie hegt der König eine solche Vorliebe, wie für Alexandra. Ich erinnere mich keines einzigen Tages, an dem er sie mit leeren Händen entlassen hätte …«

Unter solchen Gesprächen näherten sich die Reisenden allgemach ihrem Ziele. Auf der Landstraße wurde es stündlich lebhafter. Zahllose Landedelleute, teils in Rüstungen, teils in sommerlichen Gewändern und in Strohhüten, zogen an der Spitze ihrer Knechte in die Stadt. Etliche davon waren beritten, andere fuhren in Wagen, von ihren Frauen und Töchtern begleitet, welche auch die längst angekündigten Turniere sehen wollten. An verschiedenen Stellen war die Landstraße geradezu von Wagen mit Salz, Wachs, Getreide, Fischen, Tierfellen und Holz gesperrt, da es der Abgaben wegen den Kaufleuten nicht gestattet wurde, die Stadt zu umgehen. Gar viele Wagen mit allerlei Stoffen, mit Bierfässern, kurz, mit den mannigfaltigsten Waren beladen, fuhren in die Stadt. Schon wurden die königlichen, die herrschaftlichen und die städtischen Gärten sichtbar, die von allen Seiten Krakau mit seinen Mauern und Kirchtürmen umschlossen. In der nächsten Nähe der Stadt erreichte der Lärm seinen Höhepunkt, und an den Thoren stauten sich Wagen, Reiter und Fußgänger in einer solchen Weise, daß kaum durchzukommen war.

»Welch eine Stadt!« rief Macko. »Ein zweites Krakau giebt es nicht mehr auf der Welt!«

»Es ist, als ob immer Jahrmarkt darin wäre!« meinte einer der fahrenden Schüler. »Seid Ihr schon einmal früher hier gewesen, Herr?«

»Vor langer Zeit. Jetzt aber überrascht mich der Anblick Krakaus dermaßen, daß mich dünkt, ich sähe die Städte zum erstenmal nach einem Aufenthalte in wilder Gegend.«

»Krakau soll sich unter König Jagiello unendlich entwickelt haben.«

»Das ist wahr. Seit der litauische Großfürst den Thron bestiegen hat, sind unermeßliche litauische und russische Länderstrecken dem krakauischen Handel eröffnet worden. Infolgedessen nahm die Stadt tagtäglich an Wohlhabenheit, an Bevölkerung zu – es entstanden eine Reihe neuer Bauten, und jetzt wird Krakau zu den bekanntesten Städten der Welt gerechnet.«

»Nun, nun, die Städte der Kreuzritter sind auch nicht zu verachten,« ließ sich aufs neue der auffällig dicke fahrende Schüler vernehmen.

»Ja, wer dahin kommen könnte!« entgegnete Macko. »Welch eine Beute wäre da zu gewinnen.«

Powala erwog noch immer in seinem Sinn das Schicksal Zbyszkos, der doch nur durch sein thörichtes Vorgehen eine Schuld auf sich geladen hatte und sich jetzt einfach in den Rachen des Wolfes begab. Der Herr von Taczew besaß, trotz seiner grimmigen und rauhen Außenseite, ein taubenfrommes Herz; er konnte sich des Mitleids mit dem jungen Gesellen nicht erwehren, wußte er doch am besten von allen, was den Schuldigen treffen werde.

»Ich sinne und sinne,« wandte er sich aufs neue zu Anna Danuta, »ob man der Königin von dem Geschehnis Kunde geben soll oder nicht. Wenn der Kreuzritter die Klage unterläßt, dann kommt es nicht zur Verhandlung, doch, angenommen, er beklagt sich, dann wäre es angemessener, durch die vorherige Auseinandersetzung einem plötzlichen Zornesausbruch vorzubeugen.«

»Sobald der Kreuzritter jemand ins Verderben stürzen kann, thut er es auch,« warf die Fürstin hier ein. »Doch ich werde sofort Zbyszko zu überreden suchen, an meinem Hofe zu bleiben. Vielleicht wird es sich der König doch überlegen, allzu streng gegen einen meiner Hofleute vorzugehen.«

Und ohne lange zu zögern, ließ sie Zbyszko zu sich entbieten. Als dieser hörte, um was es sich handle, sprang er sogleich vom Pferde und sich Anna Danuta zu Fuße nähernd, erklärte er sich mit der größten Freude bereit, fortan bei ihrem Hofe zu bleiben, wobei ihm aber seine persönliche Sicherheit weit weniger am Herzen lag, als die Gewißheit, dadurch in der Nähe Danusias verharren zu können.

Powala war inzwischen zu Macko geritten. »Wo wollt Ihr wohnen?« fragte er diesen.

»In einer mir bekannten Herberge.«

»In den Herbergen giebt es längst keinen Platz mehr.«

»Dann gehen wir zu einem mir befreundeten Kaufmann, Amylej mit Namen. Vielleicht nimmt er uns auf.«

»Hört jetzt meinen Vorschlag: Kommt zu mir als meine Gäste. Euer Bruderssohn könnte zwar mit dem Gefolge der Fürstin im Schlosse wohnen, allein ich halte es für besser, wenn er dem Könige nicht gleich unter die Hände kommt. Gar häufig thut man im ersten Zornesausbruch manches, was man später unterlassen würde. Ihr müßtet ja auch dann alles teilen, was Euch gemeinsam gehört – die Wagen und die Knechte, und dazu ist Zeit nötig. Bei mir jedoch, das dürft Ihr glauben, seid Ihr gut und sicher aufgehoben.«

Obwohl beunruhigt darüber, daß Powala die Sicherheit Zbyszkos dermaßen gefährdet erachtete, willigte Macko doch mit großer Freude in den Vorschlag ein, und so ritten sie gemeinsam in die Stadt. Bei dem wunderbaren Anblick aber, der sich ihnen hier bot, vergaßen sowohl sie wie Zbyszko aufs neue für einige Zeit aller Sorgen. Denn was hatten sie bis jetzt in Litauen und an der Grenze gesehen? Einzelne Burgen, und von bedeutenderen Städten nur Wilna, das wohl teilweise schlecht aufgebaut worden war, größtenteils aber noch in Trümmern lag. Hier hingegen reihte sich ein steinernes Handelshaus an das andere, und alle konnten an Pracht mit den litauischen großfürstlichen Burgen wetteifern. Wohl gab es auch zahlreiche Häuser aus Holz in Krakau, allein selbst diese Gebäude erregten Bewunderung durch ihre Höhe und durch ihre aus kleinen, in Blei gefaßten Glasstückchen bestehenden Fenster, auf denen sich die untergehende Sonne in solch roter Glut spiegelte, daß man glauben konnte, es sei Feuer in den Häusern ausgebrochen. In den in der Nähe des Marktes liegenden Straßen standen gleichfalls ganze Reihen von hohen, teils schmalen, teils breiten Bauten, entweder aus Ziegeln oder aus Stein aufgeführt, alle mit gewölbtem Hausflur, Erkern und mit kreuzartigen Verzierungen, sowie häufig mit den Merkmalen der Leiden Christi oder mit dem Bilde der Jungfrau Maria über dem Thorbogen geschmückt. Auf beiden Seiten dieser mit Stein gepflasterten Straßen befanden sich in tiefen Gewölben die prächtigsten, wunderbarsten Warenlager, auf die Macko, gewöhnt an reiche Kriegsbeute, manch gierigen Blick warf. Unendliches Staunen riefen aber bei ihm und Zbyszko die öffentlichen Gebäude hervor, so die Kirche der Jungfrau Maria auf dem Ringe, das Rathaus mit seinem Riesenkeller, wo das Swidnicer Bier verzapft wurde, die anderen Kirchen, das geräumige mercatorium, das für ausländische Kaufleute bestimmt war, der Bau, in dem die städtische Wage stand, die Badehäuser, die Haarschneidekabinette, die Kupfer-, Gold- und Silberschmelze, die Bierbrauereien mit ihren zahllosen Fässern neben dem sogenannten Schrotamte, kurz, all diese Sehenswürdigkeiten, von denen ein der Stadt ungewohnter Mensch, selbst wenn er der wohlhabende Besitzer einer kleinen Burg sein mochte, keine Ahnung haben konnte.

Powala führte Macko und Zbyszko in sein, in der Straße Sankt Maria gelegenes Heim, befahl, ihnen eine große Stube herzurichten, übergab sie der Obhut seiner Pagen und eilte sofort in das Schloß, von wo er erst in später Nacht zurückkehrte. Trotzdem brachte er aber noch einige Freunde zum Mahle mit, die sich Trank und Speise wohl schmecken ließen. Der Wirt selbst aber zeigte eine sehr bekümmerte Miene, und als er endlich mit den beiden Edelleuten aus Bogdaniec allein war, sagte er zu Macko: »Ich habe Rücksprache mit einem Kanonikus genommen, der des Schreibens und des Rechtes kundig ist. Und wißt Ihr, was er behauptet: die Beleidigung eines Gesandten fordere ein Halsgericht. Betet daher zu Gott, damit sich der Kreuzritter nicht beschwere.«

Wenn nun auch Macko und Zbyszko dem Mahle frohgemut beigewohnt und sogar im Trinken das Maß etwas überschritten hatten, legten sie sich doch jetzt mit kummervollen Herzen zur Ruhe. Macko vermochte nicht einzuschlafen und rief schließlich: »Zbyszko!«

»Was wollt Ihr.«

»Siehst Du, wenn ich mir so alles überlege, fürchte ich immer mehr, daß es Dir Deinen Kopf kosten wird.«

»Glaubt Ihr?« fragte Zbyszko mit der Schlaftrunkenheit der Jugend und schlummerte, vom Ritte ermüdet, sich der Wand zukehrend, ruhig ein.

Am nächsten Tage begaben sich die beiden Edelleute aus Bogdaniec gemeinschaftlich mit Powala zur Frühmesse in den Dom, einesteils der Andacht wegen, andernteils aber auch, um den königlichen Hof und die Gäste zu sehen, die sich im Schlosse zusammengefunden hatten. Auf dem Wege traf Powala gar viele Menschen, die ihm bekannt waren, und unter ihnen eine große Anzahl von Rittern, weithin berühmt im In- und im Auslande. Zbyszko schaute voll Bewunderung auf alle, insgeheim das Gelübde ablegend, daß wenn seine Angelegenheit mit Lichtenstein glücklich ablaufen werde, er sich Mühe geben wolle, diesen an Tapferkeit und an allen andern Tugenden gleichzukommen. Einer von diesen Rittern, ein Verwandter des Kastellans von Krakau, kündigte ihnen die Neuigkeit an, daß ein Domherr, der zum Papste Bonifacius IX. mit einem königlichen Schreiben abgesandt worden war, um denselben zur Taufe nach Krakau einzuladen, von Rom mit der Kunde zurückgekehrt sei, der Papst wisse zwar noch nicht, ob er persönlich der Feier beiwohnen könne, doch werde er jedenfalls einen Gesandten bevollmächtigen, in seinem Namen das Kind, welches das Licht der Welt erblicken sollte, über die Taufe zu halten. Der Ritter habe auch dem Wunsche des Papstes Ausdruck verliehen, daß als Beweis von dessen besonderen Liebe für die königlichen Eltern dem Kinde der Name »Bonifacius« gegeben werde. Die baldige Ankunft des Königs Sigismund wurde auch besprochen. Man erwartete ihn mit Bestimmtheit, denn Sigismund kam stets geladen oder ungeladen an, sobald sich ihm die Gelegenheit zu einem Besuche, zu einem Gastmahle oder zu einem Turniere bot, da er in der Welt nicht nur als Herrscher, sondern auch als Sänger und Ritter bekannt sein wollte.

Powala, Zawisza aus Garbow, Dobko aus Olesnica, Naszam und noch viele andere erinnerten sich gegenseitig mit Lächeln daran, wie bei den früheren Besuchen des Sigismund der König Wladislaw sie im Geheimen gebeten hatte, im Turniere nicht gar zu heftig anzugreifen, sondern Rücksicht zu nehmen auf den Gast aus Ungarn, dessen in der ganzen Welt bekannte Eitelkeit so groß war, daß ihm jede Niederlage Thränen in die Augen trieb. Voll Interesse unterhielten sich auch die Ritter über Witold. Man erzählte sich Wunder von der Pracht der aus reinem Silber getriebenen Wiege, die von Witold und seiner Frau Anna durch die litauischen Fürsten und Bojaren zum Geschenk überbracht worden war. Es bildeten sich nach und nach, wie gewöhnlich vor der Messe, einzelne Gruppen, die sich allerlei Neuigkeiten mitteilten, und auch Macko schilderte den ihn Umstehenden die Kostbarkeit des Geschenkes und erzählte ausführlich von dem geplanten Kriegszuge Witolds gegen die Tataren, da er von allen Seiten mit Fragen bestürmt wurde. Wie er berichtete, hatten sich die Heere schon gegen den Osten von Rußland gewendet, und wenn der Plan Witolds gelingen sollte, so trug er dazu bei, die Herrschaft des Königs Jagiello fast über die halbe Welt bis zu den Grenzen Persiens und bis zu den Ufern des Arals auszudehnen. Macko, der ja bei Witold gewesen war und daher dessen Absichten genau kannte, wußte alles so beredt auseinanderzusetzen, daß sich der Kreis der Neugierigen um ihn vor der Treppe des Doms immer mehr vergrößerte. Es handelt sich hier, erklärte Macko, einfach um einen Kreuzzug. Witold selbst regiert, obwohl er sich Großfürst nennt, doch Litauen nur im Namen Jagiellos und ist nur Statthalter. Das Verdienst um den Kreuzzug wird also dem König zufallen. Welch ein Lob wird es aber dem kurz getauften Litauer eintragen, und wie förderlich wird es für die Macht Polens sein, wenn die vereinten Heere das Kreuz in solche Gegenden tragen werden, wo der Name des Erlösers nur zum Spotte genannt wird, und wo bis jetzt der Fuß des Polen und des Litauers noch nicht hingekommen ist. Der verjagte Tochtamysz, den die vereinten polnischen und litauischen Heere von neuem auf den verlorenen Thron zu setzen gedenken, wird sich als »Sohn« des Königs Wladislaw bekennen und seinem Versprechen gemäß mit der ganzen Goldenen Horde dem Kreuze huldigen.

Voll Spannung lauschten die Hörer diesen Worten, viele aber, die nicht genau wußten, um was es sich handelte, wem Witold helfen, gegen wen der Krieg geführt werden solle, fingen zu fragen an: »Sagt uns erst, gegen wen der Krieg geführt werden soll.«

»Gegen Timur den Lahmen!« antwortete Macko.

Jetzt trat einen Augenblick Schweigen ein. Wohl hatten die Ritter aus dem Westen schon die Namen der Goldenen, der Blauen und der Assowischen Horden vernommen, aber was wußten sie von den tatarischen Angelegenheiten, von den Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Horden? Dagegen gab es kaum einen Menschen in Europa, der nichts von dem schrecklichen Timur dem Lahmen oder Tamerlan gehört hatte, dessen Namen mit nicht geringerem Schrecken genannt wurde wie seiner Zeit der Name Attilas. War doch Tamerlan der »Herr der Welt« und der »Herr der Zeiten« – ein Herrscher über siebenundzwanzig unterjochte Reiche, der Herrscher über das Moskauische Rußland, der Herrscher von Sibirien, der Herrscher von China und Indien, der über Ispahan, über Haleb und über Damaskus regierte, dessen mächtige Hand über die Arabische Wüste bis nach Aegypten reichte und über den Bosporus bis an das Griechische Kaiserreich – war doch Tamerlan – der Zerstörer des Menschengeschlechtes – der Erbauer ungeheurer Pyramiden aus Menschenschädeln – ein Sieger in allen Schlachten, der niemals besiegte »Herr über Seele und Körper«.

Als sich Tochtamysz, der von ihm auf den Thron der Goldenen und der Blauen Horde erhoben und als »Sohn« anerkannt worden war, seiner Macht bewußt, sich unabhängig zu machen gesucht hatte, wurde er durch eine einzige Handbewegung des schrecklichen »Vaters« vom Throne gestürzt, und hatte sich, um Hilfe flehend, zu dem litauischen Statthalter geflüchtet. Witold beabsichtigte auch, ihm wieder zu dem Throne zu verhelfen; um dies zu ermöglichen, war es indessen vor allem nötig, sich mit dem weltbeherrschenden Lahmen zu messen.

Das war auch der Grund, weshalb sich alle so sehr für den geplanten Kriegszug interessierten, und nach kurzem Schweigen sagte einer der ältesten Ritter, Kazko aus Jaglow: »Ei, wir werden nicht mit dem ersten besten zu thun bekommen.«

»Und doch kommt bei uns nicht viel heraus,« bemerkte in weisem Tone Mikolaj aus Dlugolas, »denn ist es für uns nicht gleichgiltig, ob am Ende der Welt ein Tochtamisz oder irgend ein Kutluk über die Söhne des Belial herrschen wird?«

»Tochtamisz würde sicherlich Christ werden,« antwortete Macko.

»Das ist noch fraglich. Kann man denn den Hundsseelen trauen, die nicht an Christus glauben?«

»Um des Namens Christi willen lohnt es sich indessen schon zu sterben,« sagte Powala.

»Und der Ritterehre wegen,« fügte ein anderer Ritter hinzu; »ich kenne gar manche unter uns, die mitziehen werden. Herr Zbytko aus Mielsztyn hat eine junge und vielgeliebte Frau, und ist doch schon zu Witold gegangen.«

»Daran ist gar nichts Wunderbares,« bemerkte nun Jasko Naszam. »Denn wenn einer auch die größte Sünde auf dem Gewissen hat, so ist doch der Ablaß sicher vor einem solchen Kriege und somit die Rettung jedes Sünders.«

»Geschweige des Ruhmes in der Ewigkeit,« ergriff Powala aus Taczew wieder das Wort. »Mir soll es recht sein, wenn der Kriegszug ausgeführt wird, denn, in der That, es ist nicht der erste beste, gegen den wir ziehen werden. Timur besiegte die ganze Welt und herrscht über siebenundzwanzig Königreiche. Welch ein Lob wäre es für unser Volk, wenn wir seine Macht vernichten würden.«

»Das will ich meinen!« rief einer der Ritter. »Wenn er auch hundert Königreiche besäße, wir fürchteten ihn nicht. Mögen dies andere thun! Ihr könnt mir glauben, wenn wir nur zehntausend Bogenschützen zusammenbringen, können wir es mit der ganzen Welt aufnehmen.«

»Welches Volk soll denn den Lahmen besiegen, wenn nicht das unsrige!«

So sprachen die Ritter untereinander, und Zbyszko war jetzt ganz verwundert darüber, daß ihn niemals zuvor die Lust angewandelt hatte, mit Witold in die wilden Steppen zu ziehen. Als er in Wilna gewesen war, da hatte er sich darnach gesehnt, Krakau mit seinem königlichen Hofe zu sehen und an den ritterlichen Spielen teilzunehmen, jetzt aber dünkte es ihn, er könne dabei wenig Ruhm gewinnen. Ihm drohte außerdem ein strenger Urteilsspruch, bei Witold hätte er dagegen vielleicht einen ruhmreichen Tod gefunden.

Da mit einemmale ließ der vor Alter mit dem Kopfe zitternde, hundertjährige Kazko aus Jaklow, der jedoch nicht mehr immer Herr seiner Sinne war, sich also vernehmen: »Was überlegt Ihr lange? Ihr seid wirklich thöricht. Hat denn keiner von Euch gehört, daß die Königin ein Wunder erlebte, daß das Bild Christi zu ihr gesprochen hat? Und wenn selbst der Erlöser sich zu solchen Vertraulichkeiten herbeiläßt, weshalb sollte ihr der heilige Geist, die dritte Person der Dreieinigkeit, nicht gewogen sein? Der heilige Geist aber hat ihr die Gabe verliehen, in die Zukunft zu sehen und alles gerade so im voraus zu bestimmen, als ob es vor ihr stattfände. Und die Königin hat sich also vernehmen lassen …«

Hier hielt der Hochbetagte plötzlich inne, griff sich an die Stirn und fuhr dann fort: »Ja, ja, ich vergaß, was sie sagte, aber ich werde mich dessen bald wieder erinnern …«

Mit sichtlicher Anstrengung begann er zu überlegen, die andern aber warteten andächtig, denn es war allgemein die Ansicht verbreitet, daß die Königin die Zukunft voraussehen könne.

»Ja, ja,« bemerkte er endlich, »jetzt habe ich es! Die Königin erklärte, daß wenn alle Ritter samt und sonders mit dem Fürsten Witold gegen den Lahmen auszögen, die heidnische Macht zerstört würde. Man könne aber nicht alle Ritter entbehren wegen der Verderbtheit der christlichen Fürsten. Es sei nötig, die Grenzen zu schützen vor den Böhmen, vor den Ungarn und vor den Kreuzrittern, denn man dürfe niemand trauen. So aber nur ein Teil der Polen mit Witold auszieht, wird ihn Tamerlan oder einer von dessen Heerführern besiegen, da der Lahme über eine ungeheure Heeresmacht verfügt.«

»Jetzt herrscht aber doch Frieden an den Grenzen,« bemerkte einer der Ritter, »und der Orden selbst will dem Witold Heeresfolge leisten. Die Kreuzritter müssen dies ja thun, denn erstens wäre es eine Schmach für sie, wenn sie anders handelten, und zweitens liegt ihnen auch daran, dem heiligen Vater zu beweisen, daß sie zum Kampfe gegen die Heiden bereit sind. Wie allgemein behauptet wird, soll ja Kuno von Lichtenstein nicht nur der Taufe wegen, sondern auch um dieser Beratungen willen, hier weilen.«

»Da ist er!« rief plötzlich Macko aus.

»Fürwahr er ist’s!« stimmte Powala, sich umschauend, bei, »fürwahr er ist’s. Er weilte nur kurz bei dem Abte in Tyniec.«

»Es hat ihm wohl keine Ruhe dort gelassen,« bemerkte Macko finster.

Mittlerweile kam Kuno von Lichtenstein an den Sprechenden vorüber. Er erkannte jedoch weder Macko noch Zbyszko, da er sie zuvor bloß im Helme gesehen hatte, der selbst beim offenen Visiere nur einen kleinen Teil des Gesichtes freiließ. Im Vorbeigehen nickte der Kreuzritter dem Powala aus Taczew zu, um dann, von seinen Pagen gefolgt, die Treppen des Domes mit langsamen, majestätischen Schritten zu ersteigen.

Den Beginn der Messe verkündigend, ertönten nun laut die Glocken, deren Klang eine Schar von Dohlen und Tauben emporscheuchte, die in den Türmen nisteten. Macko und Zbyszko traten gemeinsam mit den andern in die Kirche, beide nicht wenig beunruhigt durch die rasche Wiederkehr Lichtensteins.

Doch während der ältere Edelmann seine Erregung nur schwer bemeistern konnte, wurde die Aufmerksamkeit des jüngeren bald vollständig durch den königlichen Hof in Anspruch genommen. Nie im Leben hatte er etwas Glänzenderes als diese Kirche und diese Versammlung gesehen, die bedeutendsten Männer des Königreiches, berühmt im Rate und im Kriege, waren hier versammelt. Ein Teil derer freilich, durch deren Weisheit die Ehe des Großfürsten von Litauen mit der wunderbar schönen und jugendlichen, polnischen Königin zu stande gekommen war, hatte schon das Zeitliche gesegnet, aber gar mancher von ihnen lebte noch und wurde mit ganz besonderer Ehrfurcht betrachtet. Der junge Ritter konnte sich nicht satt sehen an der imponierenden Erscheinung des Jasko aus Teczyn, des Krakauer Kastellans, der kraftvolle Strenge mit Milde und Gerechtigkeit zu vereinigen wußte; er bewunderte den klugen und ernsten Blick anderer Räte oder die charakteristischen Gesichtszüge der Rittersleute mit den über der Stirn gerade geschnittenen Haaren, welche dann in langen Locken auf Schultern und Rücken herabfielen. Etliche von ihnen trugen Netze, etliche nur Bänder, welche die Haare zusammenhielten. Die ausländischen Gäste – die Gesandten des römischen Königs, die böhmischen, ungarischen und rakuser Gesandten und ihr Gefolge erregten das größte Aufsehen durch die Pracht ihrer Gewänder. Die litauischen Knäse und Bojaren hatten trotz der sommerlichen Hitze ihre pelzverbrämten Röcke angethan. Die russischen Knäse in weiten, aber steifen, goldgestickten Gewändern, nahmen sich mit den Kirchenmauern als Hintergrund wie byzantinische Bilder aus. Aber mit der größten Spannung erwartete Zbyszko den Eintritt des Königs und der Königin, und er drängte sich so weit wie möglich zu der Stalla vor, hinter welcher, in der Nähe des Altars, zwei Kissen aus rotem Samt zu sehen waren, weil das Königspaar gewöhnlich die Messe auf den Knien zu hören pflegte. Die Versammlung mußte nicht lange warten. Durch die Thüre der Sakristei erschien zuerst der König, allen genau sichtbar. Seine schwarzen Haare, von denen einige etwas verwirrt über die Stirn hingen, fielen zu beiden Seiten lang herab, waren aber hinter die Ohren geschoben. Die dunkle Farbe seines glatt rasierten Gesichtes mußte auffallen, ebenso seine gebogene, spitze Nase. Um die Mundwinkel zogen sich tiefe Falten; mit seinen kleinen, schwarzen und glänzenden Augen blickte er lebhaft umher, als ob er sich, bevor er den Altar erreichte, über die Zahl der in der Kirche Anwesenden vergewissern wolle. Seine Züge hatten einen gutmütigen Ausdruck, aber gleichzeitig auch etwas Gespanntes, und seine hastigen, unsicheren Bewegungen bezeugten, daß er sich vor boshaften Bemerkungen fürchte. Er war daher sichtlich bemüht, stets auf seiner Hut zu sein und der Würde Rechnung zu tragen, die ihm ein unverhofftes Glück hatte zu teil werden lassen. Daß ihn indessen die geringfügigste Ursache zum Aufbrausen bringen könnte, das war nicht schwer zu erraten, und niemand mochte daran zweifeln, daß dieser Fürst, seinerzeit durch die Hinterlist der Kreuzritter aufs höchste erbost, ihrem Gesandten hatte zurufen können: »Du kommst zu mir mit dem Pergamente, und ich zu Dir mit dem Speere.«

Durch seine tiefe und wahre Frömmigkeit ward indessen jetzt seine angeborene Heftigkeit in Schranken gehalten. Nicht nur die neu getauften litauischen Fürsten, sondern auch die seit Generationen christlichen, polnischen Edelleute wurden immer erbaut durch den Anblick des Königs in der Kirche. Stets schob er von Zeit zu Zeit das Kissen hinweg, um, der größeren Buße wegen, auf den nackten Steinen zu knien; gar häufig hob er die Hände flehend empor und hielt sie so lange nach oben, bis sie von selbst vor Ermüdung zurückfielen. Er hörte wenigstens drei Messen täglich und hörte sie alle voll Inbrunst. Das Ertönen des Glöckchens bei der Wandlung erfüllte seine Seele mit Wonne. Nach Beendigung der Messe verließ er gewöhnlich die Kirche, wie vom Schlafe erquickt, beruhigt und besänftigt, und nur zu bald hatten es die Hofleute herausgefunden, daß diese Zeit die geeignetste war, wenn man seine Verzeihung erlangen oder ein Geschenk erhalten wollte.

Auch Jadwiga trat durch die Thüre der Sakristei ein. Als die in der Nähe der Stalla stehenden Ritter ihrer ansichtig wurden, knieten sie unwillkürlich nieder, ihr die Ehren wie einer Heiligen zollend. Zbyszko folgte dem Beispiele, denn niemand in der ganzen Versammlung zweifelte daran, daß Jadwiga, die seit Jahren das strengste Bußleben führte, eine Heilige sei, daß mit deren Bildern zukünftig die Kirchenaltäre geschmückt werden würden. Von Mund zu Mund ging unter den Edlen und unter dem Volke der Ruf von ihren Wunderthaten. Allgemein wurde behauptet, die Berührung ihrer Hand heile die Kranken. Menschen, welche des Gebrauches ihrer Glieder beraubt gewesen waren, hatten ihre Gesundheit wieder gewonnen, nachdem die Königin ihre Hand auf sie gelegt. Glaubwürdige Zeugen berichteten, daß sie mit eigenen Ohren gehört hatten, wie einmal Christus am Altare zu ihr gesprochen habe. Die auswärtigen Monarchen verehrten sie auf den Knien, selbst die trotzigen Kreuzritter beugten sich vor ihr und fürchteten sich, sie zu kränken, ja, Papst Bonifacius IX. nannte sie eine Heilige und eine auserwählte Tochter der Kirche. In der ganzen Welt bewunderte man ihre Thaten und dachte mit Staunen daran, wie dies wunderbar schöne Kind des angiovinischen Hauses 13 und der polnischen Piasten, wie die Tochter des mächtigen Ludwig, welche an dem glänzendsten Hofe erzogen worden war, auf ihr persönliches Glück verzichtet hatte, verzichtet hatte auf ihre erste, jungfräuliche Liebe, um als Königin sich mit einem »wilden« litauischen Fürsten zu vermählen, damit sie in Gemeinschaft mit ihm das letzte heidnische Volk Europas dem Kreuze zugänglich mache. Was die vereinigten Kräfte der Deutschen, was die Macht der Orden, was die Kreuzzüge, was all das vergossene Blut lange nicht zu stande hatten bringen können, dazu genügte ein einziges Wort von ihr. Niemals hatte der apostolische Titel ein jüngeres, schöneres Haupt umstrahlt, niemals war bis jetzt in einer Person solche Frömmigkeit und solche Aufopferung vereinigt, niemals noch war Frauenschönheit mit solcher Engelsgüte und ruhigen Ergebenheit gepaart gewesen.

Von Sängern an allen Höfen Europas wurde Jadwiga gepriesen. Aus den fernliegendsten Ländern pilgerten die Ritter nach Krakau, um die polnische Königin zu sehen. Ihr eigenes Volk, dem sie durch ihre Vermählung mit Jagiello so viel Macht und Ruhm verliehen hatte, liebte sie wie seinen Augapfel. Nur eine große Sorge hatte sie und ihr Volk bis jetzt darnieder gedrückt. Dieser von ihm Auserwählten war von Gott Jahre hindurch die Nachkommenschaft versagt geblieben. Als aber auch endlich dieser Fluch von ihr genommen war, verbreitete sich die Nachricht wie ein Blitz vom Baltischen bis an das Schwarze Meer und bis an die Karpathen und erfüllte alle Völker des großen Reiches mit Dankbarkeit. Selbst an den auswärtigen Höfen, den Hof der Kreuzritter ausgenommen, wurde die Kunde mit Freude begrüßt. In Rom ward ein Tedeum gesungen. In den polnischen Ländern aber wurzelte die Ansicht immer fester, daß alles unverzüglich geschehe, um was die heilige Frau Gott bitte.

So wallfahrte man immer häufiger zu ihr. Kranke flehten sie an, für ihr Gesunden zu beten, Abordnungen aus den verschiedensten Ländern und Kreisen stellten sich bei ihr ein, um sie zu veranlassen, ihnen beizustehen, und je nach Bedarf für sie Regen bei Trockenheit, schönes Wetter zur Ernte, glückliche Heueinfuhr, reichliches Ergebnis beim Honigsammeln, gute Beute beim Fischen, erfolgreiche Jagd zu erbitten. Die gefürchtetsten Ritter auf den Grenzschlössern und Burgen, die, nach damaliger Sitte, dem Raube und dem Kriege oblagen, schoben auf eine Mahnung von ihr die gezückten Schwerter wieder in die Scheiden, ließen ihre Kriegsgefangenen ohne Lösegeld frei, gaben die erbeuteten Herden zurück und reichten sich die Hände zur Versöhnung. Alle Unglücklichen, alle Armen drängten sich an den Pforten des königlichen Schlosses. Mit ihrer reinen, unschuldsvollen Seele übte sie einen ungeheuren Einfluß auf die Herzen der Menschen aus; stets war sie darauf bedacht, das Los ihrer Unterthanen zu erleichtern, den Stolz und Hochmut der Ritter und Herren zu vermindern, die Strenge der Richter zu mildern. Gleich der Verkündigerin des Glückes, gleich einem Engel der Gerechtigkeit und des Friedens waltete sie über das ganze Land. Und deshalb erwarteten auch alle, klopfenden Herzens, den Tag des Segens.

Nach der Aussage des Fürstbischofs Wysz von Krakau, welcher als der erfahrenste Arzt im ganzen Reiche und als der berühmteste im Ausland galt, stand die Niederkunft noch nicht so bald bevor, und wenn schon Vorbereitungen getroffen wurden, so geschah dies nur, weil es eine althergebrachte Sitte war, mit den Feierlichkeiten so zeitig wie möglich zu beginnen. Noch hatte die Königin ihre frühere Schlankheit bewahrt, doch stand sie etwas vorgebeugt da. Ihre Kleidung war fast allzu einfach. An einem glänzenden Hof erzogen und die schönste von allen Fürstinnen jener Epoche, hatte sie sich ehemals gerne mit kostbaren Stoffen, Perlen, goldenen Spangen und Ringen geschmückt, aber seit einigen Jahren schon kleidete sie sich in Nonnengewänder, und während einiger Zeit verschleierte sie sogar ihr Gesicht, aus Furcht, die eigene Schönheit könne weltliche Gedanken in ihr erwecken. Als Jagiello, voll Freude über ihren Zustand, das Schlafgemach mit Goldstoff, Byssus und Kleinodien zieren lassen wollte, erklärte sie, sie habe ja längst allem Glanz entsagt, denke nur daran, daß sie bei der Entbindung vielleicht dem Tode nahe sei und daß sie in stiller Demut, fern von allem Prunk, die Gnade hinnehmen müsse, welche ihr Gott zu teil werden lasse. Die Ersparnisse an Gold und Kleinodien wurden nun für die Akademie verwendet, und auch dazu, einige neugetaufte litauische Jünglinge an ausländische Universitäten zu schicken.

Die Königin willigte schließlich darein, ihr Nonnenkleid abzulegen, und von der Zeit an, da ihre Hoffnungen zur Gewißheit wurden, verschleierte sie auch ihr Gesicht nicht mehr, weil sie glaubte, daß sich ein Bußgewand jetzt nicht für sie eigne. Und nun blickten aller Augen voll Liebe auf dies wundervolle Antlitz, das keiner Zieraten von Gold oder von Edelsteinen bedurfte. Langsam schritt die königliche Frau von der Thüre der Sakristei zum Altar hin, den Blick emporgerichtet, in der einen Hand das Gebetbuch, in der andern den Rosenkranz haltend. Zbyszko schaute auf dies lilienweiße Gesicht, die blauen Augen, die engelreinen Züge, in denen sich süßer Frieden, unendliche Güte ausdrückten, und sein Herz fing an, heftig zu klopfen. Er wußte, daß er nach dem Gebot Gottes verpflichtet war, sowohl seinen König als auch seine Königin zu lieben, und er liebte sie in seiner Weise, aber jetzt überkam ihn plötzlich eine Liebe, die nicht auf Befehl, sondern von selbst entsteht und Ehrfurcht, Demut und Opfermut in sich schließt. Jung und heißblütig wie er war, ergriff ihn auch das Verlangen, seine Verehrung, seine Treue irgendwie zu betätigen, irgendwohin zu eilen, den Kampf mit jemand aufzunehmen, etwas zu erobern und seinen eigenen Hals dabei zu Markt zu tragen.

»Ich werde mit Fürst Witold in den Krieg ziehen,« sagte er sich, »denn wie kann ich der heiligen Herrin dienen, wenn es in der Nähe keine Gelegenheit zum Kampfe giebt?« Daß er ihr auch auf andere Art dienen könne, als mit dem Schwerte, der Lanze oder dem Beile, kam ihm gar nicht in den Sinn, dagegen war er bereit, mit aller Macht auf Timur den Lahmen loszugehen. Sogleich nach der Messe wollte er sich zu Pferde setzen, wollte er seine Kraft erproben. Auf welche Weise, wußte er aber selbst nicht. Er fühlte nur, daß seine Hände zuckten, und daß es ihn von ganzer Seele darnach verlangte, etwas Großes zu vollbringen.

Er vergaß auch wieder vollständig der Gefahr, die ihm drohte, sogar Danusias vergaß er, und als sie ihm durch die Kinderchöre, welche plötzlich ertönten, wieder in den Sinn kam, sagte er sich unwillkürlich, seine Neigung für sie sei etwas ganz anderes. Danusia hatte er Treue gelobt, ihretwegen sollten drei Deutsche mit dem Leben büßen, und sein Wort wollte er halten, aber die Königin stand ja hoch über allen andern Frauen, und als er darüber nachdachte, wie viele Tote er ihr wohl zu Füßen legen müsse, sah er ein ganzes Heer von Panzern, Helmen, Strauß- und Pfauenfedern vor sich, ja, ihn überkam die Ueberzeugung, daß er nicht genug thun könne.

Die Kreuzritter

»Langsam schritt die königliche Frau von der Thüre der Sakristei zum Altare hin, den Blick emporgerichtet …«

Indessen wendete er die Augen nicht von ihr, und in überströmender Empfindung fragte er sich, wie er sie durch ein besonderes Gebet ehren könne, da er glaubte, für eine Königin müsse man anders beten als sonst. Er war im stande, die Worte: Pater noster, qui es in coelis, sanctificetur nomen tuum« herzusagen, denn dies hatte ihn ein Franziskaner in Wilna gelehrt, aber das ganze Vaterunser konnte er nicht mehr auswendig. Und nun wiederholte er unablässig die Worte: »Gieb unserer geliebten Herrin Gesundheit und Glück, erhalte sie am Leben und wache sorgsamer über sie als über alle andern Wesen.« Inbrünstiger wurde wohl in der ganzen Kirche nicht gebetet, und doch kam dies Gebet von den Lippen eines Jünglings, über den vielleicht bald ein harter Urteilsspruch und Strafe verhängt werden sollte.

Nach Beendigung der Messe sagte sich Zbyszko, wenn es ihm vergönnt wäre, der Königin zu nahen, müsse er vor ihr niedersinken und ihre Knie umfassen, wenn auch er und die ganze Welt darüber zu Grunde ginge, doch nach der ersten Messe kam die zweite, dann die dritte, worauf sich die Herrin in ihre Kemenate begab, denn gewöhnlich fastete sie bis zum Mittag und nahm absichtlich nicht teil an den fröhlichen Mahlzeiten, bei denen man zur Belustigung des Königs und der Gäste Hofnarren und Gaukler aller Art auftreten ließ.

Jetzt kam der alte Edelmann aus Dlugolas zu Zbyszko und berief ihn vor die Fürstin.

»Du wirst bei dem Frühstück mir und Danusia aufwarten, als mein Hofkavalier,« sprach die Fürstin. »Möge es Dir nun gelingen, durch irgend einen Scherz des Königs Wohlgefallen zu erringen. Und falls der Kreuzritter Dich erkennt, wird er Dich vielleicht nicht anklagen, wenn er sieht, daß Du mich am Tische des Königs bedienst.«

Zbyszko küßte der Fürstin die Hand, dann wendete er sich zu Danusia, und wiewohl mehr an Krieg und Schlachten, als an höfische Sitten gewöhnt, wußte er offenbar dennoch, was einem Ritter geziemt, wenn er in der Frühe die Dame seines Herzens erblickt; denn er wich etwas zurück, auf seinem Gesichte malte sich der Ausdruck der Verwunderung und er rief, ein Kreuz schlagend: »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes.«

Und die blauen Augen zu ihm erhebend, fragte Danusia: »Weshalb schlägt Zbyszko ein Kreuz? Die Messe ist ja schon vorüber.«

»Weil Deine Anmut, schöne Herrin, während der Nacht so groß geworden ist, daß sie mir wunderbar erscheint.«

Doch Mikolaj aus Dlugolas, der als bejahrter Mann keinen Gefallen an den neuen ritterlichen Sitten fand, zuckte die Achseln und sagte: »Unnütz verlierst Du Deine Zeit und schwatzest ihr etwas von Schönheit vor! Einer kleinen Kröte, die noch nicht einmal erwachsen ist.«

Ergrimmt schaute ihn Zbyszko an.

»Hütet Euch, sie ›Kröte‹ zu nennen,« rief er, vor Zorn erbleichend, »und wisset dies: wenn Ihr weniger Jahre zähltet, ließe ich sofort die Erde hinter der Burg gleichtreten und dann müßte Euer oder mein Blut fließen.«

»Stille, Du Hitzkopf! Einen Rat möchte ich Dir heute noch geben!«

»Stille!« sagte auch die Fürstin. »Statt an die eigene Sicherheit zu denken, willst Du noch Streit suchen? Mir wäre lieber, ich hätte für Danusia einen gesetzteren Ritter gefunden. Aber hiermit erkläre ich Dir: wenn Du Unruhe stiften willst, gehst Du fehl. Solcher Leute bedarf man hier nicht.«

Nun schämte sich Zbyszko, daß er sich vor der Fürstin derart hatte hinreißen lassen, und er bat sie um Verzeihung. Insgeheim nahm er sich jedoch vor, falls Herr Mikolaj aus Dlugolas einen erwachsenen Sohn habe, diesen zum Zweikampf herauszufordern, denn die Strafe für die »Kröte« durfte jenem, seiner Ansicht nach, nicht erlassen werden. In den königlichen Gemächern wollte er sich mittlerweile benehmen, wie die liebe Unschuld, und niemand wollte er herausfordern, ausgenommen, daß seine Ritterehre es erheischte.

Trompetenschall verkündigte, daß das Frühstück bereit war, und Danusia an der Hand führend, begab sich die Fürstin Anna in die königlichen Zimmer, vor denen die weltlichen Würdenträger und die Ritter, ihrer harrend, standen. Die Gattin des Fürsten Ziemowit war schon zuvor eingetreten, da ihr, als der leiblichen Schwester der Königin, einer der ersten Plätze am Tische gebührte. Bald wimmelte es in den Gemächern von fremden Gästen und den geladenen einheimischen Würdenträgern und Rittern. Der König saß am obersten Ende des Tisches, neben sich hatte er den Bischof von Krakau und auf der andern Seite den Abgesandten des Papstes. Die folgenden Plätze wurden von den beiden Fürstinnen eingenommen. Neben Anna Danuta machte sich in einem großen Lehnstuhl der ehemalige Erzbischof Jan von Gnesen breit, ein von den schlesischen Piasten abstammender Fürst, der Sohn Boleslaws III., des Fürsten von Oppeln. Zbyszko hatte von diesem schon am Hofe Witolds gehört, und als er jetzt hinter der Fürstin und Danusia stand, erkannte er ihn sofort an seinen Haaren, die, in dichten Ringeln herabfallend, seinen Kopf einem Weihwedel ähnlich machten. An den Höfen der polnischen Fürsten hatte er auch den Uebernamen »Weihwedel« und sogar die Kreuzritter nannten ihn »Kropidlo«. 14 Er war bekannt wegen seines heiteren Temperamentes und seiner leichten Sitten. Nachdem er gegen den Willen des Königs das Pallium für das Erzbistum Gnesen erlangt hatte, wollte er mit bewaffneter Hand Besitz davon ergreifen, ward aber seiner Würde entsetzt und verjagt, worauf er sich mit den Kreuzrittern verband, welche ihm das elende Bistum Kamenz in Pommern verliehen. Als er dann schließlich einsah, daß es vorteilhaft ist, mit einem mächtigen König in gutem Einvernehmen zu stehen, suchte er den Herrscher zu versöhnen und kehrte in die Heimat zurück, um es hier ruhig abzuwarten, bis ein Bischofsitz frei und ihm von der Hand des gütigen Herrn übertragen werde. In späterer Zeit wurden seine Hoffnungen denn auch erfüllt, und mittlerweile bemühte er sich, durch allerlei Kurzweil das Herz des Königs zu gewinnen: zu den Kreuzrittern fühlte er sich aber stets hingezogen. Und da er am Hofe Jagiellos von den Würdenträgern und Rittern nicht gerne gesehen ward, suchte er meist die Gesellschaft Lichtensteins und setzte sich mit Vorliebe bei Tische neben ihn.

Dies war auch jetzt geschehen. Der hinter dem Lehnstuhl der Fürstin stehende Zbyszko befand sich daher so nahe bei dem Kreuzritter, daß er ihn mit der Hand hätte berühren können. Auch zuckten unwillkürlich seine Finger, aber er suchte sich zu beherrschen und ließ keine schlimmen Gedanken aufkommen. Trotzdem konnte er sich nicht enthalten, von Zeit zu Zeit forschende Blicke auf den etwas kahlen, blonden Kopf Lichtensteins zu werfen, auf dessen Hals, Schultern und Arme, um zu ermessen, ob er bei einem Zusammentreffen in der Schlacht oder im Zweikampfe viel Arbeit und Mühe mit ihm hätte. Und ihn dünkte, er könne es mit ihm aufnehmen; denn wiewohl die Schultern des Kreuzritters mächtig genug unter dem enganliegenden dunkelgrauen Tuchgewande hervortraten, war dieser gleichwohl nur ein Schwächling im Vergleich zu einem Powala, zu einem Paszko Zlodziej aus Biskupice, im Vergleich zu den beiden berühmten Sulimczyki, zu Kazon aus Kozichglowy und zu vielen andern Rittern, die am königlichen Tische saßen.

Auf all diese schaute Zbyszko mit staunender Bewunderung und mit Neid, doch seine Hauptaufmerksamkeit wendete sich dem Könige zu, welcher die Blicke nach allen Seiten umherschweifen ließ, während er unablässig seine Haare hinter die Ohren strich, wie wenn er ungeduldig darüber wäre, daß das Frühstück noch nicht begonnen hatte. Während eines kurzen Momentes weilten seine Augen auch auf Zbyszko, und dann überkam den jungen Ritter ein gewisses Angstgefühl, ja, bei dem Gedanken allein schon, daß er wohl einmal dem erzürnten Antlitz des Königs gegenüberstehen und sich verantworten müsse, empfand er eine furchtbare Erregung. Jetzt zum erstenmal dachte er daran, daß man ihn zur Verantwortung ziehen und strafen könne, denn bisher war ihm alles wie in weite Ferne entrückt und so unbestimmt erschienen, daß er sich keine Sorgen darüber gemacht hatte.

Aber der Deutsche ließ sich auch nicht träumen, daß jener Ritter, welcher ihn auf der Landstraße so verwegen angegriffen hatte, ganz nahe war.

Indessen hatte das Mahl begonnen. Man trug eine Weinsuppe auf, die mit Eiern, Zimt, Gewürznelken, Ingwer und Safran bereitet war und deren Duft das ganze Zimmer erfüllte. Zugleich fing der an der Thüre sitzende Hofnarr Charuszek an, den Gesang der Nachtigall nachzuahmen, was den König sichtlich erheiterte. Ein anderer ging dann zugleich mit der aufwartenden Dienerschaft um den Tisch herum, blieb unbemerkt hinter den Gästen stehen und ahmte das Summen der Bienen so trefflich nach, daß mancher den Löffel aus der Hand legte und sich der Fliegen zu erwehren suchte. Bei diesem Anblick brachen die andern in lautes Gelächter aus. Zbyszko bediente emsig die Fürstin sowie Danusia, und als nun auch Lichtenstein sich auf den kahlen Kopf schlug, vergaß er wiederum der Gefahr und lachte derart, daß ihm die Thränen über die Wangen liefen. Und der neben ihm stehende junge litauische Fürst Jamont, der Sohn des Statthalters von Smolensk, stimmte so herzlich mit ein, daß er beinahe die Speisen aus den Schüsseln verschüttet hätte.

Seinen Irrtum schließlich einsehend, zog der Kreuzritter seinen Geldbeutel hervor und sagte zu dem Bischof Kropidlo auf deutsch einige Worte, welche dieser, zu dem Narren gewendet, übersetzte: »Der edle Herr spricht so zu Dir: ›Du bekommst zwei Geldstücke, aber summe nicht so nahe, denn man verjagt die Bienen und schlägt auf die Drohnen los‹.«

Rasch verbarg der Narr die ihm dargereichten Geldstücke, und sich die den Hofnarren eingeräumte Freiheit zu Nutzen machend, entgegnete er: »Die Drohnen haben sich in der Gegend von Dobrzyn 15 angesiedelt, weil es dort viel Honig giebt. Schlage Du auf sie los, König Wladislaw.«

»Da hast Du auch von mir einen Groschen, denn Du hast gut geantwortet,« sagte Kropidlo, »doch vergißt Du, daß der Bienenwärter immer den Hals bricht, wenn die Strickleiter zerreißt. Auch haben sie Stacheln, diese Marienburger Drohnen, welche Dobrzyn besetzten, und gefährlich ist’s, sich ihrem Bienenstock zu nähern.«

»Ach was!« rief Zindram aus Maszkowice, der Krakauer Schwertträger, »man kann sie dennoch vertreiben!«

»Womit?«

»Mit Pulver!«

»Oder man kann mit dem Beile den Bienenstock zerhauen!« sagte der riesenhafte Paszko Zlodziej aus Biskupice.

Zbyszkos Herz zog sich krampfhaft zusammen, denn er glaubte, diese Worte müßten den Krieg verkündigen. Und Kuno Lichtenstein verstand sie ganz wohl, da er sich lange in Thorn und in Chelin aufgehalten, die polnische Sprache dort vollständig erlernt hatte und sich ihrer nur aus Hochmut nicht bediente. Jetzt aber, gereizt durch die Worte Zindrams aus Maszkowice, sah er diesen mit seinen grauen Augen durchdringend an und sagte: »Wir werden sehen!«

»Bei Plowce haben unsre Vorfahren manches gesehen und wir bei Wilna,« erwiderte Zindram.

» Pax vobiscum!« rief Kropidlo. » Pax! Pax! Sobald der Priester Mikolaj aus Kurow dem kujawischen Bistum entsagt und unserer huldreicher König es mir verleiht, halte ich Euch so schöne Predigten von der Liebe zwischen den christlichen Völkern, daß Ihr ganz tugendhaft und zerknirscht sein werdet. Was ist denn dieser Haß, wenn nicht ignis, und zudem ignis infernalis … ein furchtbares Feuer, das man nicht mit Wasser, sondern nur mit Wein löschen kann. Gebt Wein her! Und gehen wir zum Höllengott, wie der hochselige Bischof Zawisza aus Kurozwek zu sagen pflegte.«

»Und mit dem Höllengott zur Hölle, wie der Teufel sagte,« fügte der Hofnarr Charuszek hinzu.

»Der Teufel soll Dich holen!«

»Wunderschön wäre es, wenn er Euch holte! Zwar hat man bis heute noch keinen Teufel mit einem Weihwedel gesehen, aber ich glaube, daß wir noch alle diese Freude haben werden.«

»Zuerst muß ich Dich aber noch besprengen. Gebt Wein her, es lebe die Christenliebe!«

»Die wahre Christenliebe!« wiederholte mit Nachdruck Kuno Lichtenstein.

»Wie?« rief hier der Krakauer Bischof Wysz, sich stolz emporrichtend. »Leben wir denn nicht seit Ewigkeit in einem christlichen Staate? Sind denn hier die Kirchen nicht älter als in Marienburg?«

»Ich weiß es nicht,« erwiderte der Kreuzritter.

Der König war immer besonders gereizt, wenn sein Christentum in Frage gezogen ward, und da er glaubte, der Kreuzritter habe vornehmlich auf ihn angespielt, bedeckten sich seine hervortretenden Backenknochen mit roten Flecken und seine Augen blitzten.

»Was meint Ihr denn?« erwiderte er in barschem Tone. »Bin ich etwa kein christlicher König?«

»Wohl, das Königreich wird ein christliches genannt, aber die Sitten sind heidnisch geblieben,« antwortete der Kreuzritter kalt.

Nun erhoben sich drohend die Ritter: Marcin aus Wrocimowice, der das Abbild einer halben Ziege im Wappen trug, Florian aus Korytnica, Bartosz aus Wodziuka, Domarat aus Kobylany, Powala aus Taczew, Paszko Zlodziej aus Biskupice, Zindram aus Maszkowice, Jasca aus Targowisko, Krzon aus Kozichglowy, Zygmunt aus Bobowa und Staszko aus Charbimowice, lauter mächtige Fürsten, die sich schon in vielen Schlachten und Turnieren ausgezeichnet hatten. Die einen waren bleich, die andern rot vor Zorn geworden, und zähneknirschend schrien sie wirr durcheinander.

»Wehe uns! Denn er ist unser Gast und kann nicht zum Zweikampfe herausgefordert werden.«

Und Zawisza Sulimczyki, der Berühmteste unter den Berühmten, das wahre Urbild eines Ritters, wandte sich mit finsterer Miene zu Lichtenstein und sagte: »Ich erkenne Dich nicht wieder, Kuno! Wie magst Du, als Ritter, ein herrliches Volk verhöhnen, zumal Du weißt, daß Dich, den Abgesandten, keine Strafe treffen kann?«

Doch Kuno kümmerte sich wenig um die drohenden Blicke und erwiderte in bedächtigem, eindringlichem Tone: »Ehe unser Orden nach Preußen kam, führte er Krieg in Palästina, aber sogar auch dort, bei den Sarazenen, wurden die Gesandten geehrt. Ihr allein ehrt sie nicht – und darum nannte ich Eure Sitten heidnische.«

Auf diese Worte hin wurde der Tumult nur noch größer. Rings um den Tisch ließen sich wieder die Rufe vernehmen: »Wehe! Wehe!« Doch ward alles still, als der König, auf dessen Antlitz sich Zorn und Aerger malten, nach litauischer Sitte einige Male in die Hände klatschte. Und nun erhob sich der alte Jasko Topor aus Teczyn, der ernste, grauhaarige Kastellan von Krakau, der vermöge seines Amtes und seiner Würde allein schon Schrecken erweckte, und sprach: »Edler Ritter von Lichtenstein, wenn Euch als Abgesandter irgend eine Schmach widerfahren ist, so sprecht, und es soll strenge Gerechtigkeit geübt werden.«

»In keinem andern christlichen Lande wäre mir Derartiges geschehen,« entgegnete Kuno. »Gestern auf dem Wege nach Tyniec überfiel mich einer von Euern Rittern, und wennschon er an dem Kreuz auf meinem Mantel leicht hätte erkennen können, wer ich bin, trachtete er mir doch nach dem Leben.«

Als Zbyszko diese Worte vernahm, ward er totenbleich. Unwillkürlich richtete sich sein Blick auf den König, dessen Gesicht einen furchtbaren Ausdruck angenommen hatte.

Jasko aus Teczyn aber sagte in höchster Verwunderung: »Kann dies möglich sein?«

»Fragt nur den Herrn aus Taczew, welcher Zeuge des ganzen Vorfalls gewesen ist.«

Aller Augen richteten sich nun auf Powala, welcher während eines kurzen Momentes mit gesenktem Haupte, düster vor sich hinschauend, dastand und dann sprach: »Es ist so, wie er sagt!«

Als die Ritter dies hörten, riefen sie: »O der Schande! Wenn doch die Erde sich unter einem solchen Menschen aufthun würde!« Und vor Scham schlugen sie sich mit den Fäusten an die Brust und an die Schenkel, wieder andere aber schoben die Zinnschüsseln auf dem Tische hin und her, ohne zu wissen, wohin sie die Blicke wenden sollten.

»Warum hast Du ihn denn nicht erschlagen?« wütete der König.

»Weil sein Haupt dem Gerichte verfallen ist,« antwortete Powala.

»Habt Ihr ihn gefangen genommen?« fragte der Kastellan Topor aus Teczyn.

»Nein, er ist ein Edelmann und gab sein Ritterwort, daß er sich stellen werde.«

»Aber er wird sich nicht stellen,« rief Kuno, spöttisch den Kopf zurückwerfend.

In diesem Augenblick rief eine jugendliche Stimme in tieftraurigem Tone dicht hinter dem Kreuzritter: »Verhüte Gott, daß ich die Schande dem Tode vorzöge! Ich habe es gethan, ich, Zbyszko aus Bogdaniec!«

Bei diesen Worten erhoben sich die Ritter und wollten auf den unglücklichen Zbyszko zustürzen, sie wurden aber durch das grimmige Kopfschütteln des Königs zurückgehalten, der aufsprang und mit vor Wut erstickter, heiserer Stimme schrie: »Schneidet ihm den Hals ab, schneidet ihm den Hals ab! Der Kreuzritter mag dann den Kopf des jungen Mannes seinem Herrn, dem Meister zu Marienburg schicken!«

Und dem neben Zbyszko stehenden litauischen Ritter, dem Sohne des Statthalters von Smolensk, rief der König laut zu: »Halte ihn fest, Jamont!«

Voll Schrecken über den Zorn des Königs legte Jamont die zitternde Hand auf Zbyszkos Schulter. Aber dieser wandte ihm sein bleiches Antlitz zu und sagte: »Ich fliehe nicht!«

Da erhob der weißhaarige Kastellan von Krakau, Topor von Teczyn, die Hand zum Zeichen, daß er zu sprechen wünsche, und als nun eine tiefe Stille eintrat, sagte er: »Allergnädigster König! Möge sich der Komtur überzeugen, daß nicht Dein Wille, sondern unser Gesetz den mit dem Tode bestraft, der sich an der Person des Gesandten vergreift. Sonst könnte man ja glauben, daß es kein christliches Gesetz in diesem Reiche gebe. Morgen soll Gericht über den Schuldigen gehalten werden!«

Die letzten Worte sprach er mit erhobener Stimme, und offenbar nicht einmal dem Gedanken Raum gebend, daß man ihm nicht Gehör schenken könne, gebot er Jamont: »Führt ihn ins Gefängnis! Und Ihr werdet Zeugnis ablegen, Ihr, der Herr aus Taczew,« fügte er zu diesem gewendet hinzu.

»Ich will genau berichten, worin die ganze Schuld des Jünglings besteht. Wahrlich kein reifer Mann unter uns hätte sich jemals zu einer solchen That hinreißen lassen,« erwiderte Powala, düster auf Lichtenstein schauend.

»Ihr sprecht wahr!« bekräftigte sogleich ein anderer Ritter – »er ist ja noch ein Knabe! Weshalb also hat man uns alle beschimpft?«

Ein tiefes Schweigen folgte, und unwillige Blicke richteten sich auf den Kreuzritter.

Mittlerweile hatte Jamont den Angeklagten weggeführt, um ihn den Händen der Bogenschützen zu übergeben, welche am Burgthore die Wache hielten. Sein inniges Mitleid mit dem Jüngling ward noch verstärkt durch den ihm angeborenen Haß gegen die Kreuzritter. Aber als Litauer gewöhnt, dem Willen des Großfürsten blindlings zu gehorchen und selbst bestürzt über dessen Zorn, begann er unterwegs in seiner Weise, dem jungen Ritter freundschaftlich zuzureden und sagte: »Weißt Du, was ich Dir rate? Hänge Dich sofort auf. Der König ist erbost – also wird man Dir den Kopf abhauen. Warum solltest Du ihn nicht wieder guten Mutes machen? Hänge Dich auf, Kamerad! Bei uns ist dies Sitte!«

Noch halb betäubt vor Scham und Schrecken, schien Zbyszko anfangs die Worte des Knäs nicht recht zu begreifen, aber schließlich verstand er sie und blieb voll Verwunderung stehen.

»Was sagst Du?«

»Hänge Du Dich auf. Wozu solltest Du Dich erst aburteilen lassen? Den König machst Du dadurch wieder guten Mutes,« wiederholte Jamont.

»Hänge Du Dich auf!« rief der junge Ritter. »Im Grunde bist Du noch ein Heide, obwohl Du getauft bist, denn Du weißt nicht einmal, daß es bei den Christen Sünde ist, so etwas zu thun.«

Der Knäs zuckte die Achseln.

»Es würde ja nicht aus freiem Willen geschehen. Also lasse Dir den Kopf abschlagen, wenn Du dies vorziehst.«

Wohl fuhr es Zbyszko durch den Sinn, daß er den Bojaren für solche Worte zum Zweikampfe, zu Fuß oder zu Pferd, mit dem Schwerte oder mit dem Beile herausfordern müsse, doch unterdrückte er dies Verlangen sofort wieder. Sagte er sich doch, daß ihm schwerlich Zeit dafür bleibe. Daher senkte er traurig das Haupt und schweigend ließ er sich den Händen der Bogenschützen übergeben.

Im Saale wurde indessen die allgemeine Aufmerksamkeit von andern Ereignissen in Anspruch genommen. Als Danusia sah, was vorging, erschrak sie dermaßen, daß ihr der Atem in der Brust stockte. Ihr Antlitz war totenbleich, ihre Augen traten vor Entsetzen weit hervor, regungslos wie ein Wachsbild in der Kirche schaute sie auf den König. Und als sie schließlich hörte, ihrem Zbyszko solle der Kopf abgehauen werden, als er festgenommen und fortgeführt wurde, da ergriff sie unendliches Leid. Ihr ganzes Gesicht und ihre Lippen begannen zu zucken, nichts half, weder die Furcht vor dem König, noch daß sie sich mit den Zähnchen in die Lippen biß – zuletzt brach sie in so lautes, schmerzliches Schluchzen aus, daß aller Augen sich auf sie richteten, und selbst der König sagte: »Wer ist das?«

»Allergnädigster König!« rief die Fürstin Anna, »das ist die Tochter Jurands aus Spychow, die Herrin jenes unseligen Ritters. Er versprach ihr drei Pfauenbüsche von den Helmen der Deutschen, und da der Komtur eine derartige Helmzier trug, glaubte er, dieser werde ihm von Gott selbst gesandt. Nicht aus Böswilligkeit hat er dies gethan, o Herr, sondern nur aus Unverstand, deshalb sei ihm gnädig und strafe ihn nicht, auf den Knien bitten wir Dich darum!«

Bei diesen Worten erhob sie sich, und Danusia an der Hand nehmend, eilte sie mit ihr auf den König zu. Er wich etwas zurück, aber beide knieten vor ihm nieder und Danusia rief, während sie mit den Händchen die Füße des Herrschers umschlang: »Gnade für Zbyszko, König, Gnade!«

Und in leidenschaftlicher Erregung, in der höchsten Angst, verbarg sie ihr helles Köpfchen in dem weiten grauen Gewande des Königs, indem sie dessen Knie küßte und dabei zitterte wie Espenlaub. Die Fürstin Anna Zicmowit kniete auf der andern Seite und hielt die gefalteten Hände demütig zum König empor, in dessen Antlitz sich Sorge und Verwirrung ausdrückten. Zwar schob er seinen Lehnstuhl etwas zurück, doch stieß er Danusia nicht gewaltsam von sich, sondern bewegte nur beide Hände, als ob er eine Fliege von sich abwehren wolle.

»Laßt mich in Frieden!« rief er. »Der Jüngling hat eine große Schuld auf sich geladen, denn der Schimpf trifft das ganze Königreich. Sein Haupt muß fallen!«

Doch die kleinen Hände schlangen sich immer fester um seine Knie, und die kindliche Stimme klang immer trauriger: »Gnade für Zbyszko, König, Gnade für Zbyszko.«

Alsdann ließen sich auch die Ritter vernehmen:

»Des Mädchens Vater, Jurand aus Spychow, der berühmte Ritter, ist ein Schrecken für die Kreuzritter.«

»Und jener Jüngling hat sich schon bei Wilna sehr verdient gemacht,« fügte Powala hinzu.

Aber der König blieb unerschütterlich, obgleich er selbst durch Danusias Bitten gerührt war.

»Laßt mich in Frieden!« sagte er abermals. »Nicht mir hat er Böses angethan, und nicht ich kann ihn begnadigen. Mag ihm der Gesandte des Ordens verzeihen, dann verzeihe auch ich ihm, wenn nicht, so falle sein Haupt.«

»Verzeiht ihm, Kuno!« rief Zawisza Sulimczyki, der Schwarze. »Sogar der Meister wird Euch nicht darob tadeln!«

»Gnade für ihn, Herr,« riefen beide Fürstinnen.

Kuno drückte die Augen zu und erhob stolz sein Haupt, wie wenn er darüber frohlocke, daß sowohl die beiden Fürstinnen als auch so namhafte Ritter sich zu einer Bitte an ihn verstanden. Im nächsten Augenblick jedoch veränderte sich sein Gesichtsausdruck vollständig, er senkte den Kopf, faltete die Hände auf der Brust, sein Stolz verwandelte sich in Demut und in gedämpftem, sanftem Tone sprach er: »Christus, unser Erlöser, vergab dem Sünder am Kreuze und seinen Feinden …«

»So spricht ein wahrer Ritter!« rief Bischof Wysz.

»Ja, ein wahrer Ritter!«

»Weshalb sollte ich ihm nicht verzeihen, da ich nicht nur ein Christ, sondern mich ein Ordensbruder bin?« fuhr Kuno fort. »Ich verzeihe ihm von ganzem Herzen als Diener Christi und als Ordensbruder.«

»Ehre sei ihm!« rief Powala von Taczew.

»Ehre und Ruhm!« stimmten die andern bei.

»Aber,« begann der Kreuzritter wieder, »ich bin ja Gesandter hier bei Euch, und in mir ist die hohe Würde des ganzen Ordens verkörpert. Wer daher mich, den Gesandten, beleidigt, der beleidigt den Orden, und wer den Orden beleidigt, der beleidigt Christus selbst. Deshalb kann ich die Kränkung, Gott und den Menschen gegenüber, nicht verzeihen – wenn aber Eure Gesetze sie ungestraft hingehen lassen, soll es allen christlichen Magnaten kund gethan werden.«

Nach diesen Worten trat ein dumpfes Schweigen ein. Man vernahm nur Zähneknirschen, die schweren Atemzüge unterdrückter Wut und das Schluchzen Danusias.

Als der Abend anbrach, waren alle Herzen Zbyszko zugeneigt. Sogar diejenigen Ritter, welche des Morgens bereit gewesen waren, ihn auf einen Wink des Königs hin mit dem Schwerte zu durchbohren, suchten jetzt ein Mittel ausfindig zu machen, wodurch sie ihm helfen könnten. Die beiden Fürstinnen beschlossen, sich mit der Bitte an die Königin zu wenden, sie möge Lichtenstein veranlassen, von der Klage abzustehen, oder sie möge im Notfalle an den Großmeister des Ordens schreiben, auf daß er Kuno befehle, die Sache fallen zu lassen. Dieser Weg schien umso sicherer zu sein, als Jadwiga eine solche Verehrung gezollt ward, daß der Großmeister sich den Zorn des Papstes und den Tadel aller christlichen Fürsten zugezogen hätte, wenn er nicht auf ihre Bitte eingegangen wäre. Auch durfte man dies kaum annehmen, da Konrad von Jungingen ein friedliebender Mensch und weit milder war als seine Vorgänger. Unglücklicherweise aber verbot Wysz, der Bischof von Krakau, welcher der Leibarzt der Königin war, aufs strengste, die Sache auch nur mit einem Worte vor ihr zu erwähnen.

»Jedes Todesurteil macht ihr Kummer,« sagte er, »sogar wenn ein Straßenräuber der gerechten Strafe verfällt, nimmt sie es sich zu Herzen, wie wäre es also erst jetzt, da es einem Jüngling an das Leben geht, welcher sicherlich ihr Mitleid verdient. Jede Sorge könnte ihr schaden, ihre Gesundheit ist jedoch von größerer Bedeutung für das Königreich, als die Häupter von zehn Rittern zusammengenommen.« Schließlich erklärte der Bischof, wer es wage, seinen Worten entgegenzuhandeln und die Herrin zu beunruhigen, der ziehe sich den Zorn des Königs zu.

Durch diese Erklärung erschreckt, standen die beiden Fürstinnen von ihrem Vorhaben ab und beschlossen, den König so lange anzuflehen, bis er Gnade ergehen lasse. Jetzt waren auch alle Hofleute und Ritter auf Zbyszkos Seite. Powala von Taczew verkündete, er werde offen die ganze Wahrheit bekennen, doch sei er bereit, Zeugnis für den Jüngling abzulegen und dessen That als knabenhafte Unbesonnenheit darzustellen. Nichtsdestoweniger stimmten alle mit dem Kastellan Jasko aus Teczyn überein, welcher die Meinung kundgab, man müsse die Gesetze walten lassen, falls der Kreuzritter auf seinem Willen beharre. Im tiefsten Innern waren aber die Ritter um so mehr empört gegen Lichtenstein, und manche sagten ganz unverhohlen: »Gesandter ist er, und vor die Schranken kann er nicht gefordert werden, aber bei Gott, er soll keines natürlichen Todes sterben, wenn er dereinst nach Marienburg zurückkehrt.«

Und dies war keine eitle Drohung, denn nach ihrer Gürtung durften die Ritter keine leeren Versprechungen machen, und wer ein Gelöbnis gethan, mußte es vollbringen oder dabei zu Grunde gehen.

Erbitterter als alle andern zeigte sich aber der grimmige Powala. Hatte er doch ein geliebtes Töchterchen im Alter Danusias und schnitten ihm doch deren Thränen besonders ins Herz. Er besuchte den Angeklagten noch am nämlichen Tage im unterirdischen Gefängnisse, hieß ihn guten Mutes sein und erzählte ihm, wie die beiden Fürstinnen für ihn gefleht, und Danusia um ihn geweint habe. Als Zbyszko hörte, daß das junge Mädchen seinetwegen einen Fußfall vor dem König gethan hatte, ward er bis zu Thränen gerührt. Er fuhr sich mit der Hand über die Augen und kaum wissend, wie er seine Dankbarkeit ausdrücken sollte, sagte er: »O möge Gott sie dafür segnen und mir bald gestatten, gegen ihre Feinde zu kämpfen. Zu wenig habe ich ihr versprochen, ich hätte ihr geloben sollen, so viele Pfauenbüsche zu erobern als sie Jahre zählt. Und wenn nur unser Herr Jesus mich aus dieser Bedrängnis erlöst, will ich ihr gegenüber nicht kargen …«

Voll Dankbarkeit richtete er bei diesen Worten den Blick gen Himmel.

»Dein Oheim,« sagte der Herr von Taczew, »ist zu Lichtenstein gegangen, und ich will es auch thun. Ihn um Verzeihung zu bitten, wäre keine Schande für Dich, denn Du hast Dich schwer versündigt. Und nicht Lichtenstein, sondern den Gesandten bittest Du ja um Verzeihung. Bist Du bereit dazu?«

»Ja; ich bin bereit dazu, weil ein solcher Ritter wie Euer Gnaden mir sagt, daß sich dies gezieme. Aber falls er erwartet, daß ich ihm kniend Abbitte leiste, wie er es auf dem Wege von Tyniec verlangte, so möge man mir das Haupt abschlagen. Der Oheim bleibt am Leben, und der Oheim wird es meinen Feind entgelten lassen, sobald dieser nicht mehr Gesandter ist.«

»Wir wollen abwarten, was er Macko antwortet,« sagte Powala.

Doch als Macko den Kreuzritter verließ, befand er sich in der düstersten Stimmung. Er begab sich unverzüglich zum König, zu dem ihn der Kastellan geleitete. Jagiello, der sich inzwischen wieder beruhigt hatte, empfing ihn gütig, und da Macko niederkniete, befahl er ihm aufzustehen, indem er fragte, was sein Begehr sei.

»Allergnädigster Herr,« sagte Macko, »wo Schuld ist, da muß auch Strafe sein, denn sonst gäbe es keine Gerechtigkeit auf der Welt. Doch ist es meine Schuld, daß ich die angeborene Heftigkeit des Jünglings nicht zu unterdrücken suchte, sondern auch noch lobte. So habe ich ihn erzogen, und im Krieg ist er aufgewachsen von Kindheit an. Ich allein trage die Schuld, denn zuweilen sagte ich ihm: ›Zuerst schlage recht darein, und dann sieh‘ zu, wen Du getroffen hast.‹ Für den Krieg war es am besten so, in das Hofleben dagegen kann er sich nun nicht schicken. Aber der Junge ist wie lauteres Gold, er ist der letzte seines Stammes, und ich beklage ihn unendlich …«

»Mich selbst hat er beschimpft, das Reich hat er beschimpft, soll ich ihn dafür mit Honig einschmieren?« rief der König.

Macko schwieg. Irgend etwas schnürte ihm plötzlich die Kehle zusammen, und erst nach einer Weile hub er mit bewegter Stimme und in abgerissenen Tönen wieder an: »Wie sehr ich ihn liebe, wußte ich bisher nicht einmal – erst jetzt bin ich mir klar darüber geworden – seit das Unglück über uns hereingebrochen ist. Aber ich bin alt – und er ist der Letzte unseres Stammes. Wenn er stirbt, wird auch unser Geschlecht erlöschen. Gnädigster Herr und König! Erbarme Dich unserer!«

Hier kniete Macko abermals nieder, und seine im Krieg so oft erprobten Hände emporstreckend, rief er unter Thränen: »Wir verteidigten Wilna, und Gott gab uns reichliche Beute, doch wem soll ich sie nun hinterlassen? Wenn der Kreuzritter verlangt, daß eine Strafe über den Schuldigen verhängt werde, so mag es denn so sein, aber gestattet, daß ich mein Haupt für den Bruderssohn hingebe. Was ist mir das Leben ohne ihn? Er ist noch jung, er kann sein Erbgut einlösen und für eine Nachkommenschaft sorgen, wie Gott dem Menschen geboten hat. Der Kreuzritter frägt auch nicht einmal darnach, wessen Haupt fällt, wenn mir eines fällt. Und wenn meines fällt, dann wird nicht das ganze Geschlecht von der Schande getroffen werden. Freiwillig in den Tod zu gehen wird jedem schwer, aber wenn man es recht erwägt, ist es besser, daß ein Einzelner zu Grunde geht, als daß ein ganzes Geschlecht zu Grunde geht.«

Bei diesen Worten umschlang er die Knie des Königs. Dieser aber blinzelte mit den Augen, was stets bei ihm ein Zeichen von Rührung war, und schließlich sagte er: »Es ziemt mir nicht, daß ich einen gegürteten Ritter verurteile. Dies darf nicht sein! Dies darf nicht sein!«

»Es hieße der Gerechtigkeit Hohn sprechen,« warf der Kastellan ein. »Der Schuldige ist dem Gesetze verfallen, und das Gesetz ist kein Ungeheuer, das nicht weiß, wessen Blut es leckt. Bedenkt auch, daß Euer Geschlecht sich mit Schmach bedecken würde, wenn Euer Brudersohn das Opfer annähme, denn nicht nur ihn, sondern auch seine Nachkommen würde man dann für ehrlos halten.«

Darauf entgegnete Macko: »Er würde mein Opfer nicht annehmen. Könnte ich aber meine Absicht ohne sein Wissen durchsetzen, dann würde er mich rächen, wie auch ich ihn rächen will.«

»Sucht auf den Kreuzritter einzuwirken, damit er die Klage fallen läßt,« bemerkte der Herr aus Teczyn.

»Ich bin schon bei ihm gewesen.«

»Nun,« fragte der König, sich neugierig vorbeugend, »was sagte er?«

»Er sagte mir folgendes: ›Auf der Landstraße von Tyniec hättet Ihr mich um Verzeihung bitten sollen, aber damals habt Ihr nicht gewollt, und jetzt will ich nicht‹.«

»Und weshalb thatet Ihr es nicht?«

»Weil er uns gebot, vom Pferde zu steigen und auf den Knien um Vergebung zu bitten.«

Der König strich seine Haare hinter die Ohren und wollte etwas erwidern, doch in diesem Augenblicke trat ein Hofkavalier mit der Meldung ein, daß der Ritter von Lichtenstein um Gehör bitte.

Als er dies hörte, schaute Jagiello zuerst auf Jasko aus Teczyn, dann auf Macko, befahl ihnen jedoch zu bleiben, wohl in der Hoffnung, daß es ihm bei dieser Gelegenheit gelingen werde, die Angelegenheit durch sein königliches Ansehen gütlich beizulegen.

Mittlerweile trat der Kreuzritter ein, verneigte sich vor dem König und sprach: »Allergnädigster Herr! Hier ist die Anklageschrift über die Beschimpfung, welche mir in Eurem Reiche zugefügt ward.«

»Vor dem Kastellan mögt Ihr offen Klage führen,« erwiderte der König, auf Jasko aus Teczyn zeigend.

Der Kreuzritter aber erwiderte, indem er dem König gerade ins Gesicht blickte: »Ich kenne weder Euere Gesetze noch Euere Gerichtsbarkeit, das eine weiß ich aber, daß der Abgesandte des Ordens nur vor dem König selbst Klage führen darf.«

Die kleinen Augen Jagiellos funkelten. Voll Ungeduld ergriff er die Klageschrift und übergab sie Jasko aus Teczyn. Dieser entfaltete sie und begann zu lesen, aber je länger er las, desto kummervoller und trauriger ward sein Gesicht.

»Herr,« sagte er schließlich: »Ihr setzt diesem Jüngling derart zu, wie wenn er Euerm ganzen Orden gefährlich wäre. Ihr Kreuzritter fürchtet Euch wohl gar schon vor den Kindern?«

»Wir Kreuzritter fürchten niemand,« entgegnete der Komtur hochmütig.

Da fügte der alte Kastellan leise hinzu: »Selbst Gott nicht!«

Powala aus Taczew versuchte am nächsten Tage vor dem Kastellangericht alles, was in seiner Macht stand, um die Schuld Zbyszkos zu mildern. Aber vergebens schützte er dessen Jugend und Unerfahrenheit vor, vergebens behauptete er, sogar ein reifer Mann, welcher das Gelübde gethan, seiner Herrin drei Pfauenbüsche zu Füßen zu legen und Gott um Beistand angefleht hatte, würde es als göttliche Fügung ansehen, wenn er plötzlich eine solche Helmzier erblicke. Die eine Thatsache konnte der edle Ritter jedoch nicht leugnen, daß ohne sein Dazwischentreten Zbyszkos Lanze die Brust des Kreuzritters unfehlbar getroffen hätte. Auf Kunos Geheiß war nämlich der Panzer vorgezeigt worden, den er an jenem Tage getragen, und es zeigte sich, daß er aus dünnem, schmiegsamem Eisenblech war, sonst nur bei festlichen Gelegenheiten benutzt wurde, und daß Zbyszko in Anbetracht seiner außerordentlichen Kraft ihn durchbohrt und den Gesandten ums Leben gebracht hätte, wenn er nicht daran verhindert worden wäre. Darüber befragt, ob er die Absicht gehabt, den Kreuzritter zu töten, leugnete Zbyszko dies nicht.

»Ich rief ihm von weitem zu,« sagte er, »er möge die Lanze vorhalten, denn selbstverständlich hätte er sich nicht lebend den Helm vom Kopfe reißen lassen, und hätte er mir von weitem zugerufen, daß er Gesandter ist, wäre er unbehelligt geblieben.«

Diese Worte gefielen den Rittern, welche sich aus Mitgefühl für den Jüngling zahlreich versammelt hatten.

»Das ist wahr!« sagten viele, »weshalb hat er nicht gerufen?«

Aber das Antlitz des Kastellans blieb düster und ernst. Nachdem er den Anwesenden Schweigen geboten hatte, verstummte er selbst einen Augenblick, dann heftete er die durchdringenden Augen auf Zbyszko und fragte: »Vielleicht schwörst Du beim Kruzifix, daß Du den Mantel und das Kreuz nicht sahst?«

»Durchaus nicht,« antwortete Zbyszko, »hätte ich das Kreuz nicht gesehen, so würde ich gedacht haben, es sei einer unserer Ritter, und einen der Unserigen hätte ich ja nicht angegriffen.«

»Und wie könnte sich ein anderer Kreuzritter in der Nähe Krakaus aufhalten, wenn er nicht Gesandter oder im gesandtschaftlichen Gefolge wäre?«

Darauf schwieg Zbyszko, weil er nichts zu sagen wußte. Für alle war es nur allzu klar, daß ohne das Dazwischentreten des Herrn von Taczew jetzt vor dem Richter statt des Panzers des Gesandten zur ewigen Schmach des polnischen Volkes der Gesandte selbst mit durchbohrter Brust läge. Sogar die, welche Zbyszko von ganzem Herzen zugethan waren, begriffen daher, daß der Urteilsspruch nicht günstig für ihn lauten könne. In der That sagte denn auch der Kastellan nach kurzem Schweigen: »Dieweil Du in jugendlichem Ungestüm nicht erwogen hast, wen Du angreifst und es sonder Arglist thatest, wird unser Erlöser dies erwägen und Dir verzeihen, aber empfiehl Dich der heiligen Jungfrau, Unglücklicher, denn vor dem Gesetze bist Du schuldig.«

Als Zbyszko diese Worte vernahm, erbleichte er, obgleich er Aehnliches erwartet hatte, aber gleich darauf schob er seine langen Haare zurück, bekreuzte sich und sagte: »Der Wille Gottes geschehe! Wenn ich auch Schweres zu tragen habe!«

Hierauf wendete er sich zu Macko und zeigte mit den Augen auf Lichtenstein, als ob er ihn an etwas mahnen wolle, und Macko nickte mit dem Kopfe zum Zeichen, daß er ihn verstehe. Auch Lichtenstein verstand diesen Blick und diese Bewegung, und trotzdem er ein ebenso mutiges wie rachsüchtiges Herz hatte, überlief ihn doch während eines kurzen Augenblicks ein Schauder vom Kopf bis zu den Füßen, so furchtbar und Unheil verkündend sah das Antlitz des alten Kriegers in diesem Moment aus. Der Kreuzritter sah ein, daß es sich nun zwischen ihm und diesem Ritter um Leben und Tod handle, er sah ein, daß er ihm nicht entrinnen könne, daß sie miteinander kämpfen mußten, sobald er nicht mehr Gesandter war, und wenn es auch in Marienburg sein sollte.

Mittlerweile begab sich der Kastellan in das anstoßende Zimmer, um dem in der Schrift geübten Gerichtsschreiber den Urteilsspruch über Zbyszko zu diktieren.

Manche von den Rittern näherten sich unterdessen dem Kreuzritter mit den Worten: »So mag das jüngste Gericht dem Verurteilten gnädig sein.«

Aber Lichtenstein kümmerte sich nur um Zawisza, weil dieser wegen seiner Kriegsthaten, wegen seiner Kenntnisse der Rittergesetze und wegen der Strenge, womit er diese aufrecht zu erhalten suchte, in der ganzen Welt bekannt war. In Betreff der verwickeltsten Angelegenheiten, bei denen es sich um die Ritterehre handelte, kam man aus fernen Gegenden zu ihm, und niemand wagte, sich ihm zu widersetzen, nicht allein darum, weil ein Zweikampf mit ihm ein Ding der Unmöglichkeit war, sondern auch darum, weil er als »Spiegel der Ehre« betrachtet ward. Ein Wort des Lobes oder des Tadels aus seinem Munde verbreitete sich rasch unter den polnischen, ungarischen, böhmischen und deutschen Rittern und genügte, um den guten oder schlechten Ruf eines Ritters zu begründen.

Ihm nun näherte sich Lichtenstein, und wie wenn er sich wegen seiner Rachsucht rechtfertigen wolle, sagte er: »Allein nur der Großmeister samt dem Kapitel könnte ihm Gnade erweisen – ich aber vermag dies nicht.«

»Wo unsere Gesetze Kraft haben, steht Euerem Meister keine Macht zu, einzig nur unser König kann den Schuldigen begnadigen,« erwiderte Zawisza.

»Als Gesandter mußte ich die Strafe beantragen.«

»Wurdest Du nicht zuerst Ritter und dann erst Gesandter, Lichtenstein?«

»Willst Du damit sagen, daß ich nicht ehrenhaft gehandelt habe?«

»Du kennst unsere Rittergesetze und weißt, daß sie dem Ritter gebieten zwei Tieren nachzuahmen: dem Löwen und dem Lamm. Welchem von diesen Tieren hast aber Du in diesem Handel nachgeahmt?«

»Nicht Du bist mein Richter.«

»Du fragst, ob Du nicht ehrenhaft gehandelt hast, deshalb sage ich Dir, was ich denke.«

»Schlimmes sagst Du mir, und das kann ich nicht hinunterwürgen.«

»An Deiner eigenen Bosheit wirst Du dann ersticken, nicht an der meinen.«

»Aber Christus wird es mir anrechnen, daß die Würde des Ordens mir mehr am Herzen liegt, als Dein Lob.«

»Er wird richten über uns alle.«

Hier ward das Gespräch durch den Eintritt des Kastellans und des Gerichtsschreibers unterbrochen. Obwohl alle schon im voraus gewußt hatten, daß das Urteil ungünstig lauten werde, trat dennoch plötzlich eine angstvolle Stille ein. Der Kastellan ließ sich an dem Tische nieder, und nachdem er das Kruzifix in die Hand genommen hatte, befahl er Zbyszko niederzuknieen. Der Gerichtsschreiber begann das in lateinischer Sprache abgefaßte Urteil vorzulesen. Weder Zbyszko noch die anwesenden Ritter verstanden es, aber alle errieten, daß es ein Todesurteil war. Als der Gerichtsschreiber geendigt hatte, schlug sich Zbyszko an die Brust: »Gott sei mir armen Sünder gnädig!« rief er aus.

Dann erhob er sich und fiel Macko um den Hals. Schweigend küßte dieser die Stirne des Jünglings.

Am Abend desselben Tages verkündete der Herold unter lautem Trompetenschall an den vier Ecken des Marktplatzes den Rittern, Gästen und Bürgern, daß der edelgeborene Zbyszko aus Bogdaniec von dem Kastellangericht zur Enthauptung verurteilt worden war.

Doch Macko bat um Aufschub der Exekution, und dies ward ihm um so leichter, als den Verurteilten jener Epoche stets eine gewisse Zeit bewilligt ward, ihre Angelegenheiten zu ordnen, sich mit ihren Familien ins Einvernehmen zu setzen und mit Gott zu versöhnen. Selbst Lichtenstein drang nicht auf rasche Urteilsvollstreckung, weil er sich sagte, nun dem beleidigten Orden Genüge geschehen sei, dürfe er den mächtigen Monarchen nicht reizen, zudem man ihn auch als Vertreter des Bezirkes von Dobrzyn, nicht nur als Teilnehmer an den Tauffeierlichkeiten gesandt hatte. Die Rücksicht auf die Gesundheit der Königin gab indessen vor allem den Ausschlag. Von einer Exekution vor der Entbindung wollte der Bischof Wysz nichts hören, weil er die Unmöglichkeit einsah, etwas Derartiges vor der Herrin zu verheimlichen, und wußte, daß diese dadurch allzu sehr erregt, ja schwer geschädigt werden könne. Auf diese Weise ward des Zbyszko Leben um einige Wochen, vielleicht auch um etwas mehr, verlängert, so daß er seine letzten Anordnungen zu treffen und Abschied von den ihm Befreundeten zu nehmen vermochte.

Macko besuchte ihn täglich und tröstete ihn, so gut er es verstand. Gar häufig sprachen die beiden voll Betrübnis von dem unvermeidlichen Tode Zbyszkos, und ihre Betrübnis ward noch größer, wenn die Rede darauf kam, daß ihr Geschlecht wohl aussterben werde.

»Es geht nicht anders, Ihr müßt Euch ein Weib nehmen,« sagte Zbyszko eines Tages.

»Viel lieber möchte ich unsere Blutsverwandten aus der Ferne herbeirufen,« entgegnete Macko niedergeschlagen. »Wie kann ich jetzt, da man Dir den Hals abschneiden will, an eine Vermählung denken? Und wenn ich mich auch schließlich dazu verstünde, würde ich es doch nicht thun, bevor ich Lichtenstein meine Forderung geschickt und meiner Rache Genüge gethan habe, dessen kannst Du sicher sein.«

»Gott lohne Euch dafür! So habe ich wenigstens diese Genugthuung! Aber ich wußte, daß Ihr mich nicht verlassen werdet. Wie wollt Ihr gegen ihn vorgehen?«

»Sobald er nicht mehr Gesandter ist, wird es Krieg oder Frieden bei uns geben – verstehst Du? Falls es zum Kriege kommt, fordere ich ihn noch vor der Schlacht zum Zweikampfe heraus.«

»Auf festgetretener Erde?«

»Auf festgetretener Erde, zu Pferde oder zu Fuß. Um Leben oder Tod, nicht um Gefangenschaft wird es sich da handeln. Kommt es aber nicht zum Kriege, dann reite ich nach Marienburg, schlage die Burgthore mit der Lanze ein, und lasse den Trompeter durch Trompetenschall verkünden, daß ich Lichtenstein zum Kampfe auf Leben und Tod fordere. Da kann er sich nicht verstecken.«

»Das ist sicher, daß er sich dann nicht verstecken kann. Und Ihr werdet ihm etwas zu raten aufgeben. Wie gerne möchte ich dabei sein!«

»Ihm etwas zu raten aufgeben? Ja! Zawisza gegenüber würde ich es nicht wagen, Paszko und Powala gegenüber ebenso wenig, aber ohne mich selbst zu loben, mit zweien wie der, nehme ich es vollständig auf. Mag des Kreuzritters Mutter sich vorsehen! Ist jener Friesenritter vielleicht nicht stärker gewesen? Und habe ich ihm nicht den Helm von oben bis unten durchhauen, bis das Beil stecken blieb? In seinem Kiefer blieb es stecken – oder ist es nicht so gewesen?«

Zbyszko atmete erleichtert auf und sagte: »So wird der Tod mir leichter werden.«

Und beide seufzten tief. Mit zitternder Stimme hub dann der alte Edelmann wieder an: »Härme Dich nicht zu sehr. Fürs jüngste Gericht wird man Deine Knochen nicht zusammenlesen müssen. Einen Sarg aus Eichenholz habe ich Dir machen lassen. Nein, wie ein Bauer oder wie ein Neugeadelter wirst Du nicht zu Grunde gehen. Und in einem Rocke wie ihn die Bürger tragen, sollst Du nicht enthauptet werden. Das gebe ich nicht zu. Mit Amylej habe ich schon verabredet, daß Du einen ganz neuen und so kostbaren Rock haben sollst, daß er sogar dem König als Pelzfutter genügen würde. Und auf eine Messe für Dich soll es mir auch nicht ankommen. Nein, fürchte nichts.«

Darob freute sich Zbyszko und sich auf die Hand seines Oheims herabneigend, sagte er abermals: »Möge Euch Gott dafür lohnen.«

Trotz dieses tröstlichen Zuspruches überkam ihn aber zuweilen eine schmerzliche Sehnsucht, und als Macko ihn wieder besuchte, fragte er sogleich, ohne sich und ihm Zeit zur Begrüßung zu lassen, während er durch das Gitterfenster in der Mauer blickte: »Und wie ist es draußen im Freien?«

»Golden leuchtet die Sonne und erwärmt so, daß die ganze Welt darüber erfreut ist.« Daraufhin hob Zbyszko beide Arme empor, und den Kopf zurückwerfend rief er: »Ach, allmächtiger Gott! Nun ein Pferd unter mir zu haben und über die weiten Felder reiten zu können! Weh thut es doch, wenn man so jung zu Grunde gehen muß. Furchtbar weh!«

»Wie oft gehen die Leute samt ihren Pferden zu Grunde,« entgegnete Macko.

»Ja, wenn sie selbst schon viele umgebracht haben.«

Nun fragte er nach den Rittern, welche er am Hofe des Königs gesehen hatte, nach Zawisza, nach Farnrej, nach Powala aus Taczew, nach Lis aus Targowisko und nach allen andern. Er wollte wissen, wie sie sich die Zeit vertrieben, mit welchen Waffenspielen sie sich beschäftigten. Dann hörte er aufmerksam den Bericht Mackos an, welcher erzählte, wie sie sich schon in der Frühe in voller Rüstung zu Pferde setzten, wie sie Stricke zerrissen, wie sie sich mit dem Messer, mit dem Beile und mit Bleigeschossen übten und schließlich auch, welche Schmausereien sie veranstalteten, welche Gesänge sie sangen.

Mit ganzer Seele und ganzem Herzen wünschte nun Zbyszko, an all dem teilnehmen zu können, und als er erfahren hatte, daß Zawisza sich gleich nach der Taufe hinunter ins Ungarland und zu den Türken aufmachen wolle, rief er unwillkürlich aus: »Daß ich doch mit ihm mein Glück versuchen dürfte! Ginge ich dann zu Grunde, so wäre es wenigstens im Kampfe gegen die Heiden.«

Doch des Gefangenen Wünsche konnten nicht erfüllt werden und mittlerweile traten neue Ereignisse ein. Von Zbyszkos Jugend und Schönheit gerührt, hatten die beiden masovischen Fürstinnen dessen traurige Lage nicht vergessen. Endlich beschloß die Fürstin Alexandra Giemowitow einen Brief mit einer Fürbitte an den Großmeister zu schicken. Zwar konnte dieser das vom Kastellan gesprochene Urteil nicht umstoßen, aber er konnte sich wenigstens selbst beim König für den Jüngling verwenden. Und selbst wenn Jagiello nicht Gnade für Recht ergehen ließ, weil es sich um einen Angriff auf den Gesandten handelte, war es gleichwohl nicht zu bezweifeln, daß die Vermittlung des Meisters ihm lieb sein werde. So zog denn neue Hoffnung in das Herz der beiden Frauen ein. Die Fürstin Alexandra, welche eine Vorliebe für die verfeinerten Ordensritter hatte, ward von diesen ungewöhnlich geschätzt. Aus Marienburg kamen häufig reiche Gaben und Briefe an sie, worin sie der Meister eine verehrungswürdige, gottselige Wohlthäterin und vortreffliche Fürsprecherin des Ordens nannte. Ihr Wort galt viel, und es war große Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß sie keine abschlägige Antwort erhalten werde. Es handelte sich nur darum, den geeigneten Boten zu finden. Mußte dieser doch alles aufbieten, um den Brief so rasch wie möglich abzuliefern und die Antwort zu überbringen. Der alte Macko übernahm den Auftrag ohne langes Bedenken, und der Kastellan erklärte sich bereit, die Urteilsvollstreckung bis zu einem bestimmten Termin hinauszuschieben.

Von neuem Mut erfüllt, war Macko noch den nämlichen Tag geschäftig, sich zur Abreise zu rüsten, dann begab er sich zu Zbyszko und teilte ihm die frohe Nachricht mit.

Im ersten Augenblick bezeigte dieser tatsächlich eine solche Freude, wie wenn die Thüre seines Gefängnisses schon offen stünde. Plötzlich aber ward er nachdenklich, sein Gesicht verfinsterte sich und er sagte: »Wie kann man von jenen Deutschen etwas Gutes erwarten! Auch Lichtenstein hätte den König um Gnade bitten können, – denn er hätte dabei nur gewonnen und sich vor unserer Rache geschützt, – aber gerade deshalb that er es nicht.«

»Er ist ergrimmt darüber, daß wir ihn auf der Landstraße von Tyniec nicht um Verzeihung baten. Doch von dem Ordensmeister Kondrad sprechen die Leute nur Gutes. Und gesetzt auch, wir erreichen nichts, was verlierst Du dann dabei?«

»Ihr habt recht!« entgegnete Zbyszko, »aber beugt Euch nur nicht zu tief vor ihm.«

»Weshalb sollte ich mich vor ihm beugen? Den Brief der Fürstin Alexandra trage ich hin – das ist alles.«

»Da Ihr so gut seid, möge Euch Gott dort beistehen!«

Plötzlich schaute er den Oheim scharf an und sagte: »Und wenn mir der König verzeiht, dann ist Lichtenstein mein, nicht Euer. Nicht Ihr dürft ihn dann fordern. Vergeßt das nicht!«

»So lange Dir der Kopf nicht fest auf dem Nacken sitzt, ist eine Herausforderung unnütz. Und thörichte Gelübde hast Du schon genug abgelegt,« versetzte der Alte erregt.

Dann umarmten sie sich, und Zbyszko blieb allein. Sein Herz war bald von Furcht, bald von Hoffnung erfüllt, als aber die Nacht kam, und ein furchtbarer Sturm losbrach, als das vergitterte Fenster von den grellen Strahlen des Blitzes erleuchtet ward, und die Mauern unter den heftigen Donnerschlägen erzitterten, als schließlich ein starker Windstoß die schwach leuchtende Kerze an seinem Lager auslöschte und tiefe Dunkelheit ihn umgab, da verlor Zbyszko wieder allen Mut, und die ganze Nacht konnte er kein Auge schließen.

»Ich werde dem Tode nicht entgehen, und alles ist vergeblich,« dachte er.

Am folgenden Tage besuchte ihn die edle Fürstin Anna, Janusz’s Gattin; Danusia, die ihre Laute am Gürtel trug, kam mit ihr. Zbyszko kniete zu ihren Füßen nieder und trotz seiner Erschöpfung nach der schlaflosen in Angst und Unruhe verbrachten Nacht hätte er nicht um alles seiner Ritterpflicht vergessen, hätte er nicht um alles verschwiegen, welche Bewunderung er für Danusias Schönheit empfand.

Aber die Fürstin schaute ihn traurig an und sagte: »Spare Deine Bewunderung, denn wenn Macko keine günstige Antwort bringt oder gar nicht zurückkehrt, wirst Du, Armer, binnen kurzem weit Schöneres im Himmel bewundern.«

Heiße Thränen flossen über ihre Wangen, während sie an das unsichere Los des Ritters dachte, und auch Danusia weinte bitterlich. Zbyszko beugte abermals das Knie vor ihnen, denn auch sein Herz ward weich beim Anblick dieser Thränen. Zwar war sein Gefühl für Danusia nicht das eines Ehemannes für sein Weib, doch empfand er, daß er sie von ganzer Seele liebte, und daß sich in seinem Herzen etwas rege, das ihn zu einem andern, weniger heftigen, weniger gewalttätigen und kampflustigen Menschen mache, zu einem Menschen, den eine tiefe Sehnsucht zu der anmutigen Geliebten hinzog. Auch ihn überkam jetzt unendliches Leid darüber, daß er sie verlassen mußte, und unwillkürlich drückte er aus, was er ihr insgeheim gelobt hatte.

»Die Pfauenbüsche lege ich nicht zu Deinen Füßen nieder, Du Arme! – Aber wenn ich vor dem Angesicht Gottes stehe, dann will ich folgendermaßen sprechen: ›Erlaß mir, Herr, meine Sünden und gieb alles Gute, das auf der ganzen Welt vorhanden ist, keinem andern menschlichen Wesen, als der Jungfrau Danusia aus Spychow‹!«

»Nur wenig Zeit ist vergangen, seit Ihr Euch kennen lerntet und jetzt – gebe Gott, daß wir nicht vergeblich hoffen,« sagte die Fürstin.

Nun gedachte Zbyszko all dessen, was sich in der Gaststube zu Tyniec zugetragen hatte, und seine Erschütterung ward immer größer. Schließlich bat er Danusia, ihm das nämliche Lied zu singen, daß sie damals gesungen hatte. Dann hob er sie samt der Bank, auf die sie sich gestellt hatte, empor und trug sie zur Fürstin.

Und obwohl Danusia nicht zum Gesang aufgelegt war, richtete sie sofort das Köpfchen in die Höhe, drückte die Aeuglein zu, gleich einem Vögelchen, und begann:

»Wie wär‘ ich gerne
Ein Gänslein klein,
Ich flög‘ in die Ferne
Zu Jasio mein.«

»In Schlesien flög‘ ich nieder
Auf grünen Rain,
Die Waise sieh‘ wieder …«

Doch plötzlich flossen große Thränen unter ihren Lidern hervor – und sie konnte nicht weitersingen. Da nahm Zbyszko sie in seine Arme wie ehemals im Gasthaus zu Tyniec und mit ihr in der Zelle umhergehend, sagte er unablässig voll Entzücken: »Nicht nur die Herrin seh‘ ich in Dir – wenn Gott mich rettet, wenn Du herangewachsen bist, und wenn Dein Vater es gestattet, dann nehme ich Dich, Mädchen, zur Frau! Heisa …«

Die Arme um seinen Hals schlingend, verbarg Danusia das verweinte Gesicht an seiner Schulter. Sein wilder Schmerz aber ward größer und größer. Aus dem tiefsten Innern des jungen Slaven brach dies Gefühl unaufhaltsam hervor und äußerte sich in dem ungefügen Gesang:

»Ja, Dich nehme ich, Mädchen,
Dich nur wähl‘ ich allein.«

Zu derselben Zeit trat ein Ereignis ein, dem gegenüber alles andere ohne Bedeutung war. Am Abend des 21. Juni verbreitete sich in der Burg die Nachricht von der plötzlichen Erkrankung der Königin. Die herbeigerufenen Aerzte blieben mit dem Bischof Wysz während der ganzen Nacht in ihrer Kemenate, und mittlerweile ward von den dienenden Frauen verkündet, daß der Herrin Zustand eine vorzeitige Niederkunft befürchten lasse. Der Krakauer Kastellan Jasko Topor aus Teczyn sandte noch in derselben Nacht Eilboten an den abwesenden König. Am frühen Morgen schon drang die Kunde in die Stadt und Umgegend. Es war ein Sonntag, ein Schwarm von Andächtigen füllte die Kirchen, in denen die Priester Gebete für die Königin anordneten. Nach dem Gottesdienst begaben sich die fremden Ritter, welche zu den bevorstehenden Festlichkeiten gekommen waren, und die Edelleute zugleich mit einer Deputation von Kaufleuten nach der Burg. Auch die Zünfte und Bruderschaften zogen mit ihren Fahnen herbei. Vom Mittag an umringten unzählige Volksscharen den Wawel-Berg, unter denen die königlichen Bogenschützen die Ordnung aufrecht erhielten, indem sie allen Ruhe und Stille anempfahlen. Die Stadt war fast gänzlich verödet, durch die leeren Straßen zogen nur von Zeit zu Zeit einige Bauern aus der Umgegend, die gleichfalls von der Krankheit der verehrten Herrin gehört hatten und sich nun der Burg zuwendeten. Am Hauptthore erschienen schließlich der Bischof und der Kastellan, neben ihnen die Domherren der Kathedrale, die königlichen Räte und Ritter. Letztere eilten hin und her, mischten sich unter das Volk und mit geheimnisvollen Mienen wiederholten sie noch einmal den strengen Befehl, daß man sich jeden Ausrufes enthalte, weil dies der Leidenden schaden könne. Darauf verkündeten sie allen und jedem, daß die Königin von einer Tochter genesen sei. Diese Nachricht erfüllte die Herzen mit Freude, vornehmlich da man zugleich auch erfuhr, daß trotz der vorzeitigen Entbindung weder für die Mutter noch für das Kind irgend eine Gefahr vorhanden sei. Die Menge zerstreute sich allmählich, weil vor der Burg jede laute Aeußerung untersagt war, sich aber jeder sehnte, seinem Herzen Luft zu machen. Froher Gesang und Freudengeschrei erscholl denn auch bald auf den zum Markte führenden Straßen. Daß ein Mädchen zur Welt gekommen war, darob grämte man sich nicht. »Ist es etwa ein Unglück gewesen,« sagten manche, »daß der König Louis keinen Sohn hatte und daß Jadwiga auf den Thron gelangte? Durch ihre Heirat mit Jagiello ist die herrschaftliche Gewalt verstärkt worden. So wird es auch jetzt sein. Eine solche Erbin, wie unsere Königstochter, kann man weit suchen, da weder der römische Cäsar, noch einer der anderen Herrscher sich eines solchen Reiches rühmen dürfen, und da sie weder über so viel Grund und Boden noch über eine solche Ritterschaft gebieten. Um die Hand der Prinzessin werden sich die mächtigsten Monarchen der Erde bewerben, vor ihr werden sich Könige und Königinnen beugen, sie werden nach Krakau kommen, der Kaufmannschaft wird Nutzen daraus erwachsen, und dabei wollen wir nicht einmal davon reden, daß irgend ein neues Reich, das böhmische oder ungarische mit unserem Königreich vereinigt werden kann.« Besonders die Kaufleute äußerten sich so, und mit jedem Augenblick ward der Jubel allgemeiner. In den Privatwohnungen und Gasthäusern wurden Schmausereien veranstaltet. Auf dem Markte wimmelte es von Laternen- und Fackelträgern. Die Landleute aus der Umgegend, von denen immer mehr nach der Stadt zogen, schlugen ihr Lager bei ihren Wagen auf. Die Juden standen lebhaft gestikulierend vor der Synagoge von Kasimierz. Bis spät in die Nacht, fast bis zum Morgengrauen war es so laut auf dem Markte, besonders beim Rathause und bei den Lagerfeuern, wie zur Zeit der großen Jahrmärkte. Man teilte sich gegenseitig die Nachrichten mit, sandte deshalb in die Burg und drängte sich dann dicht um die mit frischer Kunde Zurückkehrenden.

Daß der Bischof Peter das Kind noch in derselben Nacht getauft habe, war eine schlimme Nachricht, denn daraus ging hervor, daß es sehr schwach sein mußte. Erfahrene Frauen jedoch berichteten von Fällen, in denen Kinder, die bei der Geburt halbtot gewesen, erst nach der Taufe zum Leben erwacht seien. So erfüllte wieder neue Hoffnung die Herzen, zumal der Name, den man der Neugeborenen gegeben, ein glückverheißender war. Man sagte sich, weder ein Bonifacius noch eine Bonifacia könne sofort nach der Geburt sterben, da sie dazu bestimmt seien, Gutes zu stiften. Welches Kind sei aber im stande, in der ersten Zeit Gutes oder Schlimmes zu thun?

Am folgenden Tage kamen indessen ungünstige Nachrichten über das Befinden von Mutter und Kind aus der Burg und die ganze Stadt geriet in Bestürzung. Die Kirchen waren so gedrängt voll wie im Ablaßjahre. Allerlei feierliche Gelübde wurden abgelegt. Man sah Landleute, welche ein Viertel Getreide, ein Lamm oder einen Hahn, getrocknete Schwämme oder Nüsse zum Opfer herbeibrachten. Auch die Ritter, Kaufleute und Handwerker spendeten Opfergaben. Zu den wunderthätigen Heiligen wurden Boten geschickt. Die Astrologen forschten eifrig in den Sternen. In Krakau wurde eine feierliche Prozession angeordnet, woran sich alle Zünfte und Brüderschaften beteiligten. Die ganze Stadt war mit Fahnen geschmückt. Auch eine Prozession von Kindern ward feierlich abgehalten, denn man glaubte, daß Gott die Fürbitte dieser unschuldigen Wesen zuerst erhören werde. Und immer neue Scharen aus der Umgegend strömten durch die Thore herein.

So verging ein Tag nach dem andern, während die Glocken beständig läuteten, die Kirchen gedrängt voll waren, Prozessionen und Andachten rasch aufeinander folgten. Als nun eine Woche vorüber war und die hohe Kranke sowie das Kind noch lebten, zog neuer Mut in aller Herzen ein. Es erschien den Leuten wie ein Ding der Unmöglichkeit, daß Gott so frühzeitig die Herrin zu sich nehmen sollte, welche schon so viel zu seiner Ehre gethan hatte, und deren großes Werk dann unvollendet geblieben wäre, daß er jetzt schon die Glaubensbotin zu sich nehmen sollte, welche ihr eigenes Glück zum Opfer gebracht hatte, um das letzte Heidenvolk in Europa zum Christentum zu bekehren. Die Gelehrten erinnerten sich, daß sie unendlich viel für die Akademien gethan, die Geistlichen gedachten ihrer Frömmigkeit, die Staatsmänner sagten sich, wie sehr sie für den Frieden zwischen den christlichen Monarchen, die Rechtsgelehrten wie sehr sie für die Gerechtigkeit gewirkt hatte. Die Armen erinnerten sich, wie barmherzig sie gewesen, und allen wollte es nicht in den Sinn, daß ein Leben, das dem Königreiche, ja der ganzen Welt so nötig war, vor der Zeit dahingerafft werden könne.

Am 13. Juli verkündete die Totenglocke, daß das Kind gestorben war. Wieder war die Stadt gedrängt voll. Angst und Unruhe ergriff die Leute, und abermals umringten sie die Burg, um nach dem Befinden der Königin zu fragen. Doch diesmal kehrte niemand mit guten Nachrichten zurück. Im Gegenteil, der Gesichtsausdruck der im Schlosse ein und ausgehenden Herren ward mit jedem Tage düsterer. Man erzählte sich auch, daß der Priester Stanislaus aus Skarbimierz, Magister der freien Künste in Krakau, die Königin nicht mehr verlasse, und daß diese täglich kommuniziere. Weiter erzählte man sich, bei jeder Kommunion sei ihre Kemenate von einem himmlischen Scheine erfüllt. Manche sahen den Schein sogar durch das Fenster, doch der Anblick erfüllte die der Herrin treuergebenen Herzen mit Schrecken. Betrachteten sie es doch als ein Zeichen, daß die Kranke dem irdischen Leben schon entrückt war.

Wieder andere hingegen glaubten nicht an einen so furchtbaren Ausgang, und trösteten sich mit der Hoffnung, daß der gerechte Gott es mit einem Opfer bewenden lasse.

Am Freitag den 17. Juli, in der Frühe, verbreitete sich das Gerücht, daß die Königin ihrem Ende entgegen gehe. Wer nur konnte, begab sich so rasch wie möglich zur Burg. Wieder war die Stadt vollständig verödet, nur die Gebrechlichen und Krüppel blieben zurück, denn sogar die Mütter mit den kleinen Kindern eilten den Thoren zu. Die Kaufgewölbe wurden nach einander geschlossen, niemand dachte an eine Mahlzeit, alle Geschäfte hatten aufgehört. Den Wawel umringte eine dichte Menschenmenge, voll Bestürzung und Angst, aber in düsterem Schweigen.

Um 1 Uhr des Nachmittags ertönte die Glocke auf dem Turme der Kathedrale. Was dies zu bedeuten hatte, wußten die harrenden nicht, und das Haar sträubte sich auf ihrem Haupte. Aller Augen richteten sich gegen den Turm, auf die immer stärker anschlagende Glocke, deren wehmütige Klänge bald durch das Geläute der Franziskanerkirche, der heiligen Dreifaltigkeitskirche und der Marienkirche nachgeahmt wurden. Schließlich begriff man, was diese klagenden Töne bedeuteten, und Schrecken und Bestürzung erfüllten nun die Seelen dieser Menschen. Schien doch die eherne Stimme tief in ihr Innerstes zu dringen.

Plötzlich zeigte sich auf dem Turm eine schwarze Fahne mit einem Totenkopfe in der Mitte, unter dem zwei kreuzweise übereinandergelegte Knochen zu sehen waren. Jeder Zweifel schwand nun dahin. Die Königin hatte ihre Seele Gott empfohlen. Vor der Burg erscholl lautes Weinen, und die Klagen von hunderttausend Menschen vermischten sich mit den wehmütigen Klängen der Glocken. Einige der Trauernden warfen sich zur Erde, wieder andere zerrissen ihre Kleider oder zerfleischten ihre Gesichter, manche schauten wie erstarrt auf die Burgmauern, viele ließen nur ein dumpfes Stöhnen hören, unzählige aber streckten die Arme gegen die Kirche und die Kemenate der Königin aus, indem sie Gott um Barmherzigkeit und um ein Wunder anflehten. Doch ließen sich auch Stimmen von Leuten vernehmen, welche durch die Verzweiflung sogar zur Gotteslästerung hingerissen wurden. »Weshalb ist uns die geliebte Herrin entrissen worden? Wozu dienten dann unsere Prozessionen, unsere inbrünstigen Gebete? Unsere Gelübde, unsere Opfergaben aus Silber und Gold waren willkommen, und all dies soll für nichts gewesen sein? Wieviel hast Du uns genommen und nichts dafür gegeben!«

Und Jesu! Jesu! Jesu! stöhnten gar manche, deren Augen fortwährend von Thränen überflossen. All‘ diese Menschen wollten in die Burg eindringen, um noch einmal in das geliebte Antlitz der Herrin zu blicken. Man gestattete es nicht, versprach ihnen aber, daß der Leichnam binnen kurzem in der Kirche aufgebahrt werde, und daß dann jeder ihn sehen und am Sarge beten könne. Voll Trauer kehrten sie nun in die Stadt zurück, indem sie untereinander von den letzten Augenblicken der Königin, von dem bevorstehenden Leichenbegängnisse und den Wundern sprachen, welche an ihrer Leiche, sowie an ihrer Grabstätte geschehen würden, und die von allen mit Sicherheit erwartet wurden. Auch war vielfach die Rede davon, daß die Königin wohl heilig gesprochen werde 16, denen aber, welche daran zweifelten, drohte man voll Zorn mit dem Papste.

Die Stadt und das ganze Land waren in tiefe Trauer versenkt, und jedermann, nicht nur das gemeine Volk, sagte sich, mit dem Tode der Königin sei der günstige Stern für das Reich erloschen. Sogar unter den vornehmen Herren zu Krakau gab es solche, welche düster in die Zukunft blickten. Sich selbst und andern begann man die Frage vorzulegen, was nun geschehen werde. Ob Jagiello jetzt noch ein Anrecht auf die Herrschaft über das Königreich habe oder zurückkehre in sein Litauen und sich mit dem großfürstlichen Throne begnüge? Manche behaupteten im voraus – und wie es sich später zeigte, nicht ohne Grund, – daß er zurücktreten werde, daß die Krone in diesem Falle große Ländereien einbüßen müsse, daß dann die Litauer neue Einfälle machen und die ergrimmten Einwohner des Königreiches blutige Vergeltung üben würden. Der Orden, der römische Cäsar, der ungarische König würden dann an Macht gewinnen und dem Reiche, das jetzt noch eines der mächtigsten auf der ganzen Welt war, würde Untergang, Schmach und Schande drohen.

Die Kaufleute, denen das weite litauische und russische Land offen stand, legten aus Angst vor dem drohenden Verluste fromme Gelübde ab, damit Jagiello im Reiche bleibe, aber in dem Falle wurde ein baldiger Krieg mit dem Orden prophezeit. War es doch eine bekannte Thatsache, daß nur die Königin bis jetzt einen solchen Krieg verhindert hatte. Und die Leute erinnerten sich, daß sogar Jadwiga einst voll Entrüstung über die Geldgier und Habsucht der Kreuzritter, gleich einer Seherin verkündet hatte: »So lange ich lebe, so lange halte ich die Hand und den gerechten Zorn meines Gatten von Euch ab, aber bedenkt, daß Euch nach meinem Tode die Strafe für Euere Sünden treffen wird!«

In ihrem Hochmut, ihrer Verblendung, fürchteten die Ordensritter den Krieg zwar nicht, weil sie darauf rechneten, daß nach dem Tode der Königin der Ruf von deren Heiligkeit den Zuzug von Kriegern aus den westlichen Gebieten nicht verhindern werde, und ihnen dann Tausende aus Deutschland, Burgund, aus dem Frankenlande und aus anderen fernen Ländern zu Hilfe kommen würden. Immerhin war aber der Tod Jadwigas ein so weittragendes Ereignis, daß der Gesandte des Ordens, ohne die Rückkunft des abwesenden Königs abzuwarten, sich eilig nach Marienburg begab, um dem Großmeister und dem Kapitel zuerst die wichtige, ja, in gewisser Hinsicht unheilverkündende Nachricht mitzuteilen. Von den übrigen Gesandten brachen einige gleich nach Ritter Lichtenstein auf, während andere Boten zu ihren Monarchen schickten.

In dumpfer Verzweiflung langte Jagiello in Krakau au. Im ersten Schmerze erklärte er den Herren vom Hofe, ohne die Königin wolle er das Herrscheramt nicht länger ausüben, sondern sich nach seinem Erbgut in Litauen zurückziehen. Dann verfiel er in eine Art Erstarrung, er wollte keinerlei Entscheidung treffen, er beantwortete keine Frage, zuweilen aber wütete er gegen sich selbst, weil er abgereist und bei dem Tode der Königin fern gewesen war, weil er sich nicht von ihr verabschieden, ihre letzten Worte und Wünsche nicht hatte hören können. Vergebens stellten ihm Stanislaw von Skarbimierz und Bischof Wysz vor, daß die Erkrankung der Königin ganz unerwartet gekommen sei, und daß er aller menschlichen Berechnung nach Zeit genug gehabt hätte, zurückzukehren, wenn die Entbindung nicht verfrüht gewesen wäre. Dies gewährte ihm keine Beruhigung und linderte seinen Schmerz auch nicht. »Ohne sie bin ich nicht mehr der König, der Herrscher,« erwiderte er, »sondern nur ein reuiger Sünder, der keinen Trost kennt.« Dann warf er sich mit dem Gesicht zu Boden und niemand vermochte mehr ein Wort aus ihm herauszubringen.

Unterdessen beschäftigte man sich eifrig mit den Vorbereitungen zum Leichenbegängnisse der Königin. Neue Menschenscharen strömten aus allen Teilen des Königreiches herbei, Edle und Leute aus dem Volke, vornehmlich aber Arme, welche auf reiche Spenden während der, einen ganzen Monat andauernden Feierlichkeiten hofften. Der in der Kathedrale ausgestellte Leichnam der Königin war derart aufgebahrt, daß der obere Teil des Sarges erhöht stand. Man hatte dies absichtlich so eingerichtet, damit das Volk in das Antlitz der Königin schauen konnte. In der Kathedrale wurde beständig Gottesdienst abgehalten. Tausende von Wachskerzen brannten am Katafalke, und mitten in diesem Schimmer, zwischen Blumen, lag » Sie«, friedlich lächelnd, einer weißen Rose gleich, die Hände fromm über dem lorbeergeschmückten Gewande gefaltet. Das Volk sah eine Heilige in ihr, Besessene, Krüppel, kranke Kinder wurden zu ihr geführt, und plötzlich ließ sich im Mittelpunkte der Kirche der Aufschrei einer Mutter vernehmen, welche in dem Gesichte ihres Kindes eine schwache Röte, das Zeichen wiederkehrender Gesundheit gewahrte, dann der eines Paralytikers, der seine gelähmten Glieder wieder gebrauchen konnte. Ein ehrfurchtsvoller Schauer erfüllte alle Herzen, die Kunde von diesen Wunderthaten verbreitete sich durch die Kathedrale, die Burg, die Stadt, und zog immer größere Scharen siecher Menschen herbei, welche sich hier Hilfe und Rettung versprachen.

Zbyszko war jetzt vollständig vergessen, denn wer hätte bei einem so furchtbaren Unglück an einen einfachen Jüngling und an dessen Gefangenschaft in der Schloßbastei denken können. Er war durch den Gefangenwärter von der Krankheit der Königin in Kenntnis gesetzt worden, er hatte auch das Getümmel des Volkes vor der Burg vernommen, und als er dann die lauten Klagen, das Geläute hörte, warf er sich auf die Knie nieder, und seines eigenen Schicksals eingedenk, beweinte er von ganzer Seele den Tod der vergötterten Herrin. Ihn dünkte, mit ihrem Dahinscheiden sei auch für ihn alles zu Ende, ihn dünkte, die ganze Welt müsse nun zu Grunde gehen.

Der Lärm, den die Vorbereitungen zur Leichenfeier hervorbrachten, das Geläute der Glocken, der Gesang der Prozessionen und das Getümmel der Menge drang bis in seine Zelle. Acht Tage währte dies. Während dieser Zeit ward er immer trauriger, verlor er die Lust zu essen, zu schlafen und ging in seinem Gefängnisse umher wie ein wildes Tier in seinem Käfig. Auch die Einsamkeit lastete schwer auf ihm, da oftmals ein Tag verging, ohne daß der Gefangenwärter ihm Speise und frisches Wasser brachte, so sehr waren alle mit der Leichenfeier der Königin beschäftigt. Seit dem Tode Jadwigas hatte ihn niemand besucht, weder die Fürstin, noch Danusia, noch Powala aus Taczew, welcher ihm ehemals so viel Mitgefühl bezeigt hatte, noch der Kaufmann Amylej, der Bekannte Mackos. Voll Bitterkeit sagte sich Zbyszko, nun, da Macko abwesend sei, denke niemand mehr an ihn. Zuweilen ging ihm der Gedanke durch den Kopf, daß man ihn und Recht und Gerechtigkeit vergessen habe, und daß er elend in diesem Gefängnisse verschmachten müsse. Dann betete er inbrünstig um den Tod.

Schließlich, als seit der Leichenfeier ein Monat und mehr vergangen war, begann er an der Rückkehr Mackos zu zweifeln. Hatte dieser doch versprochen, sich zu sputen und sein Pferd nicht zu schonen. Marienburg lag ja auch nicht am Ende der Welt. In drei Monaten konnte man hingelangen und wieder zurücksein – vornehmlich wenn man sich beeilte. »Aber vielleicht beeilte er sich nicht!« sagte sich Zbyszko voll Kummer, »vielleicht hat er sich unterwegs ein Weib gesucht und geleitet sie voll Freude nach Bogdaniec, ich aber muß in meinen jungen Jahren alles der Barmherzigkeit Gottes anheimstellen.

Zuletzt verlor er jedes Maß für Zeitberechnung, er sprach auch nicht mehr mit seinem Wärter, und mir die Sommerfäden an dem Eisengitter seines Fensters ließen ihn erkennen, daß der Herbst herangekommen war. Stundenlang saß er nun auf seinem Lager, die Ellenbogen auf den Knien, die Finger in den ihm jetzt weit über die Schultern herabhängenden Haaren vergraben, und im Halbschlafe in einer gewissen Erstarrung, hob er sogar auch dann das Haupt nicht mehr, wenn der Wärter, der ihm Speise brachte, eine Frage an ihn richtete.

Doch eines Tages drehte sich knirschend die Thüre in ihren Angeln, und von der Schwelle her ertönte eine wohlbekannte Stimme.

»Zbyszko!«

»Oheim!« schrie Zbyszko von seiner Pritsche aufspringend.

Macko umarmte ihn, dann nahm er das blonde Haupt des Jünglings in seine Hände und küßte ihn. Zbyszkos Herz aber war so voll von Leid, Bitterkeit und Sehnsucht, daß er an der Brust des Oheims weinte wie ein kleines Kind. »Ich glaubte schon, Ihr würdet nicht zurückkehren,« sagte er schluchzend.

»Dazu hätte auch nicht viel gefehlt!« versetzte Macko.

Erst jetzt erhob Zbyszko das Haupt und nachdem er den Oheim aufmerksam betrachtet hatte, rief er aus: »Was ist mit Euch vorgegangen?« Und voll Verwunderung schaute er auf das abgemagerte, eingesunkene, totenbleiche Antlitz des alten Kriegers, auf dessen gebeugte Gestalt, aus die ergrauten Haare. »Was ist mit Euch vorgegangen?« wiederholte er.

Macko ließ sich auf die Pritsche nieder und seufzte schwer. »Was mit mir vorgegangen ist?« fragte er schließlich. Kaum war ich über die Grenze gelangt, als die Deutschen im Walde mit Pfeilen auf mich schossen. Es waren Raubritter, verstehst Du? Noch jetzt kann ich kaum zu Atem kommen, wenn ich daran denke. Aber Gott sandte mir Hülfe, sonst würdest Du mich jetzt nicht vor Dir sehen.«

»Wer ist Euch zu Hülfe gekommen?«

»Jurand aus Spychow,« entgegnete Macko.

Ein kurzes Schweigen folgte.

»Zuerst überfielen sie mich« – berichtete dann Macko – »dann überfiel er sie. Nur die Hälfte von ihnen entkam. Er nahm mich dann in seine Burg, und dort, in Spychow, rang ich drei ganze Wochen mit dem Tode. Aber Gott ließ mich nicht sterben, und wenn es mir auch noch schwer ward, bin ich doch zurückgekehrt.«

»So seid Ihr gar nicht in Marienburg gewesen?«

»Wie hätte ich dort hingelangen können? Sie rissen mir alles weg und nahmen nur den Brief samt den anderen Sachen. Ich kehrte zurück und wollte die Fürstin Alexandra um einen zweiten bitten, aber ich verfehlte sie – und ob ich sie jetzt noch treffe, weiß ich nicht – denn bald mache ich mich nach jener Welt auf.« Bei diesen Worten spie er in die Hand und sie gegen Zbyszko ausstreckend zeigte er ihm dunkle Blutspuren. »Siehst Du?« sagte er und nach einer Weile fügte er hinzu: »Der Finger Gottes ist hierin zu sehen!«

Tief bedrückt schwiegen beide einige Zeit, dann fragte Zbyszko: »Also speist Du häufig Blut?«

»Wie sollte dies anders sein, wenn mir eine Pfeilspitze eine halbe Spanne weit zwischen den Rippen stecken geblieben ist. Da würdest Du auch Blut speien, dessen kannst Du sicher sein! Bei Jurand befand ich mich schon besser, aber jetzt bin ich wieder furchtbar ermattet, denn der Weg war lang, und ich ritt schnell.«

Die Kreuzritter

Macko umarmte ihn, dann nahm er das blonde Haupt des Jünglings in seine Hände und küßte ihn.

»Warum habt Ihr Euch auch so beeilt?«

»Ich wollte ja die Fürstin Alexandra aufsuchen und um einen zweiten Brief bitten. Jurand von Spychow sprach folgendermaßen zu mir: ›Macht Euch auf den Weg,‹ sagte er, ›und kehret dann mit dem Briefe nach Spychow zurück. Ich halte einige Deutsche bei mir gefangen,‹ sagte er weiter, ›einen von diesen gebe ich auf sein Ritterwort frei, damit er den Brief zum Meister bringe.‹ Um sich wegen seines Weibes Tod an den Deutschen zu rächen, hält Jurand immer einige bei sich im Burgverließ, und er freut sich dann, wenn er des Nachts hört, wie sie stöhnen und wie ihre Kette klirren, denn er ist von Haß und Wut gegen sie erfüllt. Verstehst Du?«

»Ich verstehe; mich wundert nur, daß Ihr den ersten Brief verlort, denn da Jurand die noch erwischt hat, welche Euch überfielen, muß sich doch der Brief bei ihnen gefunden haben.«

»Alle hat er aber nicht erwischt. Ungefähr fünf von ihnen entkamen. So hat es nun einmal unser Schicksal gefügt.«

Macko hustete, spie abermals Blut und stöhnte vor Schmerz.

»Ihr seid schwer getroffen,« sagte Zbyszko, »wie kam dies? Schossen sie denn aus dem Hinterhalt?«

»Die Pfeile fielen so dicht, daß man auf einen Schritt weit nichts zu sehen vermochte. Und ich trug keine Rüstung, weil einige Kaufleute mir gesagt hatten, die Gegend sei ganz sicher, und es war furchtbar heiß.«

»Welcher Straßenräuber führte sie denn an? Ein Kreuzritter?«

»Kein Ordensritter, aber ein Deutscher, Chelminezyk aus Lentz, der als Wegelagerer und Räuber bekannt ist!«

»Was ist mit ihm geschehen?«

»Bei Jurand liegt er in Ketten. Aber er selbst hält auch zwei edle Masuren gefangen, an denen er sich rächen will.«

Wieder verfiel Macko in Schweigen.

»Ach, Du lieber Jesu!« sagte schließlich Zbyszko, »Lichtenstein wird am Leben bleiben und der aus Lentz ebenfalls, wir aber müssen elendiglich zu Grunde gehen, ohne uns gerächt zu haben. Mein Kopf wird fallen, und Ihr werdet sicherlich den Winter nicht überleben.«

»Bah! Nicht einmal bis zum Winter wird es währen. Wenn ich nur Dich retten könnte!«

»Habt Ihr hier schon jemand gesprochen?«

»Bei dem Kastellan von Krakau bin ich gewesen, denn als ich erfuhr, daß Lichtenstein abgereist ist, dachte ich, dies käme Dir zu gut.«

»So ist Lichtenstein abgereist?«

»Gleich nach dem Tode der Königin begab er sich nach Marienburg. Bei dem Kastellan bin ich also gewesen, aber er sagte folgendes: ›Nicht darum soll Euer Bruderssohn gerichtet werden, weil wir uns bei Lichtenstein in Gunst setzen wollen, sondern einzig nur darum, weil der Urteilsspruch so lautet, und ob Lichtenstein hier ist oder nicht, kommt gar nicht in Frage. Selbst wenn er stürbe, würde dies nichts ändern, denn – sagt der Kastellan – das Gesetz muß Gerechtigkeit walten lassen, das Gesetz ist nicht wie ein Oberrock, bei dem man das Oberste zu unterst wenden kann. Der König – sagt der Kastellan – hat die Macht, den Schuldigen zu begnadigen, aber sonst niemand.‹«

»Und wo ist der König?«

»Nach der Leichenfeier reiste er bis ins Russische hinein.«

»Dann giebt es keinen Rat!«

»Nein, keinen! Der Kastellan sagte auch: ›Die Fürstin Anna bittet für ihn und er jammert mich, doch was ich nicht kann, das kann ich nicht‹!«

»Die Fürstin Anna ist also noch hier?«

»Möge Gott ihr für ihre Fürsprache lohnen! Das ist eine gute Frau! Sie befindet sich noch hier, weil Jurands Tochter erkrankte, und die Fürstin sie liebt wie ihr eigenes Kind.«

»Ach, gerechter Gott! Danusia ist erkrankt? Was ist ihr zugestoßen?«

»Weiß ich es denn? Die Fürstin sagt, jemand müsse sie berufen haben.«

»Gewiß Lichtenstein! Niemand anders als Lichtenstein!«

»Mag sein! Aber was kannst Du ihm thun? – Nichts!«

»Deshalb also hatten alle meiner vergessen – sie ist krank!«

Bei diesen Worten ging Zbyszko mit großen Schritten in seiner Zelle umher, schließlich ergriff er Mackos Hand, küßte sie und sagte: »Möge Gott Euch für alles lohnen, denn ich bin schuld, wenn Ihr bald die Augen schließt, aber da Ihr nun doch einmal so weit in die preußischen Lande geritten seid, thut auch noch dies eine für mich, falls Ihr noch nicht vollständig von Kräften gekommen seid. Geht zum Kastellan und bittet ihn, er möge mich auf mein Ritterwort für zwölf Wochen wenigstens freigeben – dann kehre ich zurück, dann soll man mich richten. Aber daß wir ungerächt zu Grunde gehen, das darf nicht sein. Wisset also – nach Marienburg reite ich, und Lichtenstein, den Gesandten, fordere ich zum Zweikampfe heraus. Einer von uns, er oder ich muß fallen.«

Macko rieb sich die Stirn.

»Hingehen soll ich? Ja, ich gehe. Doch wird der Kastellan Deinen Wunsch erfüllen?«

»Mein Ritterwort gebe ich. Zwölf Wochen nur, mehr Zeit ist nicht vonnöten.«

»Wie Du schwatzest! Zwölf Wochen! Wie aber, wenn Du verwundet wirst und nicht zurückkehrst? Was werden sie denken?«

»Und sollte ich auch an vielen Wunden bluten, ich würde doch zurückkehren. Aber fürchtet nichts. Und wißt Ihr, vielleicht kommt während dieser Zeit der König aus Rußland zurück, und vielleicht ist er dann geneigt, Barmherzigkeit an mir zu üben.«

»Das ist wahr,« entgegnete Macko. Doch gleich darauf fügte er hinzu: »Der Kastellan hat mir noch weiter gesagt: ›Wir vergaßen Eures Bruderssohnes durch den Tod der Königin, aber jetzt müssen wir ein Ende machen‹.«

»Ei, erlaubt mir,« erwiderte Zbyszko guten Mutes, »er weiß doch, daß ein Edelmann sein Wort hält, und ob man mir jetzt den Kopf abschlägt oder nach Michaeli, wird ihm ganz einerlei sein.«

»Gut, noch heute gehe ich zu ihm.«

»Heute geht zu Amylej und gönnt Euch ein wenig Rast. Er soll Euch irgend einen Balsam auf die Wunde legen, und morgen begebt Euch dann zum Kastellan. Nun also mit Gott!«

»Mit Gott!«

Sie umarmten sich, und Macko wandte sich der Thüre zu, aber an der Schwelle blieb er stehen und runzelte die Stirn, wie wenn ihm Plötzlich ein Gedanke käme.

»Du trägst den Rittergürtel ja noch nicht; wenn Dir nun Lichtenstein sagt, mit einem Ungegürteten wolle er nicht kämpfen – was thust Du dann?«

Zbyszko sah plötzlich finster darein, aber nur für einen Augenblick, dann sagte er: »Und wie ist es denn im Kriege? Wählt sich da ein Gegürteter nur Gegürtete aus?«

»Krieg ist Krieg, und ein Zweikampf ist wieder etwas anderes.«

»Das ist wahr – aber wartet – da muß Rat geschafft werden. Seht Ihr, nun weiß ich auch, wie: der Fürst Janusz wird mich gürten. Wenn die Fürstin und Danusia ihn darum bitten, wird er es thun. Und unterwegs, in Masovien, will ich dann auch den Sohn Mikolajs aus Dlugolas herausfordern.«

»Weshalb denn?«

»Wißt Ihr denn nicht, daß Mikolaj, welcher am Hofe der Fürstin ist, Danusia ›Kröte‹ genannt hat?«

Voll Verwunderung blickte ihn Macko an, und in dem Bestreben, die Sache deutlicher zu erklären, fuhr Zbyszko fort: »Das kann ich nicht verzeihen, und Mikolaj würde ich doch nicht herausfordern, weil er wohl schon achtzig Jahre zählt.«

Darauf entgegnete Macko: »Höre, Bursche! Um Deinen Kopf ist es mir leid, aber nicht um Deinen Verstand, denn Du bist so dumm wie ein Schaf!«

»Worüber seid Ihr nun erzürnt?«

Macko gab keine Antwort und wollte sich entfernen, doch Zbyszko eilte auf ihn zu: »Wie befindet sich Danusia jetzt? Ist sie wieder gesund? Ereifert Euch doch nicht um nichts. Ihr habt wahrlich keinen Grund dazu.«

Und abermals neigte er sich auf des alten Mannes Hand herab. Dieser zuckte die Achseln, entgegnete jedoch etwas besänftigt: »Die Tochter Jurands befindet sich besser, verläßt aber ihre Kemenate noch nicht. Leb‘ wohl!«

Zbyszko blieb allein. Er fühlte sich wie neugeboren an Seele und Körper. Daß er nun vielleicht noch drei Monate vor sich haben werde, daß er ins weite Land hinaus reiten, seinen Feind aufsuchen und mit ihm um Leben und Tod kämpfen könne, war ihm ein angenehmer Gedanke und erfüllte sein Herz mit Freude. Wie herrlich mußte es sein, auf einem Rosse in die Welt hinaus zu jagen, sich im Kampfe hervorzuthun, und so nicht ungerächt zu Grunde zu gehen. Dann mochte kommen, was da wollte – jetzt blieb ihm doch noch eine lange Zeit. Und wenn die Frist abgelaufen war, kehrte der König vielleicht aus Rußland zurück und vergab ihm die Schuld, vielleicht brach der Krieg aus, von dem schon längst die Rede gewesen – vielleicht sagte auch der Kastellan selbst, wenn er nach drei Monaten den Sieger des stolzen Lichtenstein erblickte: »Wandere nur frei in den Wäldern umher.«

Denn Zbyszko fühlte klar, daß außer dem Kreuzritter niemand Haß gegen ihn hegte, und daß sogar der strenge Burgvogt ihn gewissermaßen nur aus Zwang zum Tode verurteilt hatte.

So ward er denn immer hoffnungsfreudiger, da er nicht daran zweifelte, daß ihm die Frist von drei Monaten bewilligt werde. Im Gegenteile, er rechnete darauf, daß man sie noch verlängern werde, weil er überzeugt war, der alte Herr aus Teczyn könne auch nicht einmal dem Gedanken Raum geben, daß ein Edelmann sein Wort nicht halte.

Als nun Macko am folgenden Tage in die Abenddämmerung ins Gefängnis kam, stürzte Zbyszko, welcher ihn voll Ungeduld erwartet hatte, ihm entgegen und fragte: »Ist’s bewilligt.«

Macko sank ermattet auf die Pritsche, holte tief Atem und sagte dann: »Der Kastellan sprach so zu mir: »Wenn es sich um Hab und Gut handelt, gebe ich Eurem Bruderssohn acht oder vierzehn Tage auf sein Ritterwort frei, länger aber nicht.«

Zbyszko war so überrascht, daß er einige Zeit kein Wort hervorbringen konnte.

»Zwei Wochen nur!« rief er dann. »In einer Woche kann ich ja nicht einmal zur Grenze gelangen. Was soll das heißen? Ihr habt wohl dem Kastellan nicht gesagt, weshalb ich nach Marienburg will?«

»Nicht ich allein, auch die Fürstin Anna hat für Dich gebeten.«

»Nun, und was geschah?«

»Was geschah? Der Alte sagte ihr, daß er Dein Haupt nicht gerne fallen sehe, und daß er Dich beklage. ›Ich wünschte,‹ sagte er, ›ich hätte irgend ein Gesetz ausfindig gemacht – bah – irgend einen Vorwand meine ich, um ihn freilassen zu können, aber was ich nicht kann, kann ich nicht. Es wäre schlimm für das Königreich – sagte er weiter – wenn die Leute anfangen würden, der Gerechtigkeit ins Gesicht zu schlagen, um ihre Freunde zu schonen, und ich würde es nicht thun, wenn es sich auch um einen Blutsverwandten – oder sogar um meinen Bruder handelte.‹ Solche Menschen sind nicht zu erweichen. Und weiter sprach der Kastellan: ›Wir haben nicht nötig, besondere Rücksicht auf die Kreuzritter zu nehmen, doch fern sei es von uns, Schmach und Schande auf uns zu laden. Was würden sie und ihre Gäste denken, welche ihnen uns der ganzen Welt zuströmen, wenn ich einen zum Tode verurteilten Edelmann freiließe, weil er Lust bezeigt, in die Weite zu reiten, um jemand zum Kampfe herauszufordern? Würden sie nicht glauben, daß man ihm die Strafe erlassen habe, und daß keine Gerechtigkeit in unserem Lande herrsche? Lieber sehe ich ein Haupt fallen, als daß ich den König und das Reich dem Untergange weihe. Darauf entgegnete die Fürstin, ihr komme eine solche Gerechtigkeit seltsam vor, wenn selbst die Blutsverwandte des Königs nicht im stande sei, einen bedauernswerten Menschen freizubitten, allein der Alte versetzte: ›Der König selbst kann Gnade üben, doch auch er kann nicht gegen das Gesetz verstoßen.‹ Nun entzweiten sie sich ernstlich, denn die Fürstin ließ sich vom Zorne hinreißen. ›Laßt ihn wenigstens nicht im Gefängnisse verschmachten!‹ sagte sie. Und der Kastellan erklärte: ›Gut! morgen lasse ich das Schafott auf dem Marktplatze aufschlagen.‹ Hierauf trennten sie sich. Und Dich, Unglücklicher, kann nur unser Herr Jesus retten!«

Ein langes Schweigen folgte.

»Wie,« ließ sich endlich Zbyszko mit dumpfer Stimme vernehmen, »so bald soll es sein?«

»In zwei oder drei Tagen. Da giebt es keinen Rat, keinen. Was, ich konnte, habe ich gethan. Ich fiel zu den Füßen des Kastellans nieder, ich bat um Erbarmen, doch er beharrte auf seiner Meinung. ›Macht irgend ein Gesetz, einen Vorwand ausfindig!‹ wiederholte er. Ich bin auch bei dem Priester Stanislaw aus Skarbimierz gewesen, damit er mit dem Sakrament zu Dir komme. Die Ehre soll Dir wenigstens zu teil werden, daß Dir der Beichtvater der Königin die Beichte abnimmt. Doch traf ich ihn nicht zu Hause, er befand sich bei der Fürstin Anna.«

»Vielleicht war er auch bei Danusia?«

»Ach was! Dem Mädchen geht es ja besser. Morgen vor Tagesanbruch gehe ich nochmals zu ihm.«

Zbyszko setzte sich nieder, stützte die Ellbogen auf die Knie und neigte den Kopf so tief herab, daß sein Gesicht vollständig von den Haaren verhüllt war. Der alte Mann betrachtete ihn lange Zeit schweigend, dann aber rief er leise: »Zbyszko, Zbyszko!«

Der Jüngling erhob das Haupt, doch drückte sich in seinem Antlitz mehr Bitterkeit und Ingrimm als Schmerz aus.

»Nun?«

»Höre mich an, denn vielleicht kann ich doch noch ein Rettungsmittel ausfindig machen.«

Bei diesen Worten rückte er näher zu Zbyszko heran und begann fast im Flüstertone: »Du hörtest doch, daß einst Fürst Witold von unserem jetzigen König festgenommen, zu Krewo im Gefängnisse saß und in Frauenkleidern daraus entkam. Eine Frau steht uns zwar nicht hilfsbereit zur Seite, aber nimm meinen Rock, meine Kapuze, und fort mit Dir – verstehst Du? Daß Du nicht hinfällig aussiehst, werden sie gar nicht bemerken. Das ist gewiß! Draußen ist es dunkel, und ins Gesicht werden sie Dir auch nicht leuchten. Sie sahen mich wohl, als ich kam, aber genau betrachtete mich niemand. Sei nur still und höre mich an: morgen werden sie mich dann finden – doch was thut das? Mögen sie mir den Kopf abschlagen! Dir kann es dann zum Troste dienen, daß ich doch in zwei oder drei Wochen dem Tode verfallen bin. Und sobald Du draußen bist, setzest Du Dich aufs Pferd und reitest geradewegs zum Fürsten Witold. Du sagst ihm, wer Du bist, und bezeugst ihm Deine Verehrung. Dann wird er Dich freundlich aufnehmen, und Dir wird es sein, als ob Du zu den Füßen Gottes säßest. Die Leute sagen, das Kriegsheer des Fürsten sei durch die Tataren vernichtet worden. Ob das richtig ist, weiß ich nicht, aber es kann sein, denn die hochselige Königin hat dies prophezeit. Wenn es wahr ist, wird der Knäs Ritter nötig haben und Dich gerne sehen. Und bleibe nur bei ihm, denn auf der ganzen Welt giebt es keinen besseren Dienst. Verliert ein anderer König eine Schlacht, dann ist’s aus mit ihm, aber der Fürst Witold ist so klug und gewandt, daß er nach einer verlorenen Schlacht nur noch mächtiger dasteht. Auch ist er freigebig und ist uns außerordentlich zugethan. Sage ihm alles genau, wie es war. Sage ihm, Du hättest gegen die Tataren mit ihm ausziehen wollen, wärest aber nicht im stande dazu gewesen, weil Du im Gefängnisse saßest. Gott wird geben, daß Du Grund und Boden und daß Du Bauern von ihm bekommst – dann wird er Dich wohl als Ritter gürten und sich beim König für Dich verwenden. Er wäre ein guter Fürsprecher – oder nicht?«

Die Kreuzritter

Rasch riß Danusia von ihren blonden Haaren unter dem Rautenkranze hervor den weißen Schleier und umhüllte damit fast das ganze Haupt Zbyszkos.

Zbyszko hörte schweigend zu, während Macko, gleichsam von seinen eigenen Worten hingerissen, fortfuhr: »Nein, es ist Dir nicht bestimmt, jetzt schon zu sterben! Du wirst nach Bogdaniec zurückkehren. Und bist Du dort, so mußt Du sogleich ein Weib nehmen, damit unser Geschlecht nicht untergehe. Erst wenn Du Nachkommenschaft hast, magst Du Lichtenstein zum Kampfe herausfordern, doch zuvor hüte Dich Deiner Rache Genüge zu thun, sonst könntest Du irgendwo in Preußen überfallen werden, gerade wie ich. – Nicht mehr zu helfen wußte ich mir – nimm jetzt meinen Rock, meine Kapuze und gehe mit Gott!«

Macko erhob sich bei diesen Worten und stand im Begriffe, sich auszukleiden, doch Zbyszko sprang auf und hinderte ihn daran, indem er sagte: »Das, was Ihr von mir verlangt, thue ich nicht, so wahr mir Gott helfe und das heilige Kreuz!«

»Warum?« fragte Macko voll Verwunderung.

»Weil ich es nicht thue!«

Macko ward bleich vor Erregung und Zorn.

»Wollte Gott, Du wärst nie geboren!«

»Auch dem Kastellan habt Ihr schon gesagt, daß Ihr bereit seid, Euch für mich zu opfern.«

»Woher weißt Du das?«

»Der Herr aus Taczew erzählte es mir.«

»Und was folgt daraus?«

»Was daraus folgt? Hat Euch nicht der Kastellan gesagt, daß dann die Schande auf mich und das ganze Geschlecht fiele? Und würde ich nicht noch mehr Schande auf mich laden, wenn ich von hier entwiche und Euch der Rache des Gesetzes überließe?«

»Welche Rache? Welche Strafe kann mich noch treffen, da ich ohnedies sterben muß? Um Gottes willen nimm doch Vernunft an!«

»Um so weniger kann ich thun, was Ihr wünscht! Möge Gott mich züchtigen, wenn ich Euch jetzt verlasse, da Ihr alt und krank seid. Pfui! der Schande! …«

Wieder folgte ein tiefes Schweigen. Nichts war zu hören, als die schweren pfeifenden Atemzüge Mackos, sowie die Rufe der Bogenschützen, welche an den Thoren Wache hielten. Draußen senkte sich schon die Nacht hernieder.

»Höre,« begann schließlich Macko mit gebrochener Stimme wieder, »es war keine Schande für den Fürsten Witold, auf diese Weise aus Krewo zu fliehen – es wird auch für Dich keine sein.«

»Ja, seht Ihr,« entgegnete Zbyszko in traurigem Tone, »der Fürst Witold ist ein großer Fürst, er hat die Krone aus der Hand des Königs empfangen, er ist ein reicher Herrscher – ich aber bin nur ein armer Edelmann – ich habe nichts als meine Ehre.«

Und wie von seiner Erregung übermannt, rief er dann aus: »Begreift Ihr denn nicht? Ich liebe Euch so sehr, daß ich Euer Haupt nicht für das meine hingebe.«

Da erhob sich Macko; unsicheren, schwankenden Schrittes ging er mit ausgebreiteten Armen auf Zbyszko zu, und wenn schon die Leute jener Zeit nicht weichherzig, ja, hart wie Stahl waren, rief er plötzlich mit herzzerreißender Stimme: »Zbyszko!« …

Am folgenden Tage sah man, wie die Gerichtsschergen auf dem Marktplatze die Balken für das Schafott zusammentrugen, welches dem Hauptthore des Rathauses gegenüber errichtet werden sollte.

Die Fürstin aber berief Stanislaw aus Skarbimierz und andere gelehrte Domherren, welche sowohl das geschriebene Recht, wie das übliche Recht inne hatten, zu einer Beratung. Durch einen Ausspruch des Kastellans war sie dazu angeregt worden, hatte dieser doch erklärt, er sei bereit, Zbyszko freizugeben, wenn sich ein Rechtsspruch finden lasse, auf den er sich stützen könne. Lange, bis zum Anbruch des Tages, währte diese Beratung, zu der sich schließlich auch der Priester Stanislaw einfand, obschon er Zbyszko schon zum Tode vorbereitet und ihn mit den Sterbesakramenten versehen hatte.

Die Stunde der Exekution rückte immer näher. Schon am frühen Morgen zog eine große Menschenmenge auf den Markt. Daß der Kopf eines Edelmannes fallen sollte, das erregte die Neugierde noch weit mehr, als wenn es sich um die Hinrichtung eines gewöhnlichen Menschen gehandelt hätte. Zudem herrschte prächtiges Wetter. Das Gerücht von der Jugend und der Schönheit des Verurteilten erregte ganz besonders das Interesse der Frauen. So sah denn auch der Weg, der zu der Burg führte, durch die große Anzahl geputzter Bürgerinnen wie mit Blumen besät aus. An allen Fenstern auf dem Markte, in den Häusern und in den vorspringenden Gewölben sah man Frauenköpfe mit Hauben, mit goldnen und samtnen Stirnbändern geschmückt, sah man junge Mädchen, deren frei herabwallende Haare Rosen und Lilienkränze zierten. Auch die Räte der Stadt fehlten nicht, obwohl sie die Sache ganz und gar nichts anging. Wohl um sich ein gewisses Ansehen zu geben, kamen sie und stellten sich hinter den Rittern, in der nächsten Nähe des Schafottes auf. In voller Zahl hatten sich letztere eingefunden, war es ihnen doch darum zu thun, ihr Mitgefühl für den Jüngling an den Tag zu legen. Immer wieder drängte die Menge vor, welche hauptsächlich aus kleinen Kaufleuten bestand, sowie aus Handwerkern, in den Farben ihrer Zünfte gekleidet. Unzählige junge Burschen und Kinder trieben sich fortwährend unter der Menschenmenge umher, wurden, unerträglichen Fliegen gleich, von den Erwachsenen zurückgestoßen, pflanzten sich aber stets aufs neue auf jedem freien Plätzchen auf. Weit aber über die Häupter all dieser Versammelten ragte das mit neuem Tuch ausgeschlagene Schafott empor. Drei Personen standen darauf. Der Scharfrichter, breitschulterig und Schrecken erregend in seinem roten Gewande mit gleichfarbiger Kapuze, das scharfe, doppelt geschliffene Schwert in der Hand, und seine zwei Gehilfen mit entblößten Armen und Stricken im Gürtel. Zu ihren Füßen standen ein Pflock, sowie ein ebenfalls mit Tuch ausgeschlagener Sarg. Von den Türmen der Marienkirche ertönten die Glocken. Die ganze Stadt erfüllten sie mit ihrem metallnen Klange, Schwärme von Dohlen und Tauben scheuchten sie auf. Abwechselnd schweiften die neugierigen Blicke der Schaulustigen von dem zur Burg führenden Wege zu dem Schafott mit dem Scharfrichter, dessen glänzendes Schwert in der Sonne blinkte, oder zu den Rittern, welche den Bürgern stets großen Respekt, unendliches Interesse einflößten. Diesmal gab es aber auch viel zu sehen, denn die berühmtesten Kämpen umstanden das Gerüst. Man bewunderte die Breite der Schultern und den Ernst von Zawisza, dessen krause Haare lang herabwallten, man bewunderte die stämmige, vierschrötige Gestalt und die krummen Beine von Zindram aus Maszkowice, sowie den riesigen, fast übermenschlichen Wuchs von Paszko Zlodziej aus Biskupice, man staunte das Furcht erregende Antlitz von Wojciech aus Wodzinek ebenso an wie die Schönheit von Dobek aus Olesnica, welcher bei einem Turniere in Thorn über zwölf deutsche Ritter als Sieger hervorgegangen war, man zeigte sich Sygmund aus Bobawa, der sich in gleicher Weise gegen die Ungarn in Koszyce behauptet hatte, man zeigte sich Krzona aus Kozichglow und den in allen Waffenkünsten erfahrenen Lis aus Dargowisko, nicht zu vergessen Staszko aus Charbimowice, welcher zu Fuß ein Pferd einholen konnte. Allgemeines Aufsehen erregte auch Macko aus Bogdaniec, der, bleich wie der Tod, von Florian aus Korytrica und Marcin aus Wrocimowice gestützt ward und für den Vater des Verurteilten galt. Die größte Neugierde erregte jedoch Powala aus Taczew. In der ersten Reihe der Ritter stehend, hielt er auf seinen mächtigen Armen Danusia empor, ganz weiß gekleidet, einen grünen Rautenkranz auf dem hellen Haare. Keines der Umherstehenden konnte begreifen, was das bedeuten, weshalb dies junge Geschöpf die Hinrichtung mit anschauen sollte. Einige erklärten es sich damit, daß dies wohl die Schwester des Verurteilten sei, andere glaubten in ihr die Gebieterin seines Herzens zu sehen. Doch auch diese staunten über die weiße Gewandung, über die Anwesenheit des holden Kindes in nächster Nähe des Schafottes. Wie schön war das kleine Mädchen mit seinem jugendfrischen Antlitz, über dessen Wangen aber jetzt große Thränen rannen. Mitleid und Rührung regten sich in aller Herzen. In der dicht gedrängten Menge fing man über die Halsstarrigkeit des Kastellans, über die Strenge des Gesetzes zu murren an, und dieses Murren wurde immer lauter, immer drohender. Da und dort erhoben sich schon Stimmen, die verlangten, man solle das Blutgerüst niederreißen, dann müsse die Hinrichtung verschoben werden.

Immer lebhafter, immer lärmender wurde es unter der erregt hin und herwogenden Menschenmenge. Die Rede ging von Mund zu Mund, daß wenn der König anwesend wäre, er sicherlich den Jüngling begnadigen würde, der kein Verbrechen begangen habe.

Doch plötzlich trat tiefe Ruhe ein. Laute Rufe verkündigten das Herannahen der Bogenschützen und der königlichen Hellebardiere, von denen der Verurteilte zum Schafott geführt werden sollte. Bald ward auch der Zug auf dem Markte sichtbar. Ihn eröffneten die barmherzigen Brüder, welche schwarze, bis zur Erde wallende Kutten und schwarze Kapuzen mit Ausschnitten für die Augen trugen. Das Erscheinen dieser düsteren Gestalten machte einen solchen Eindruck auf das Volk, daß alles rings umher verstummte. Ihnen folgte eine Abteilung Bogenschützen, auserwählte Litauer, die zur königlichen Leibwache gehörten, mit Wamsen aus ungegerbtem Elentierleder bekleidet. Die Hellebardiere bildeten den Schluß des Zuges. Zwischen dem Gerichtsschreiber, welcher das Urteil verlesen sollte, und dein Geistlichen Stanislaw aus Skarbimierz, der ein Kruzifix in den Händen hielt, schritt Zbyszko. Aller Augen richteten sich auf ihn, aus allen Fenstern beugten sich Frauengestalten weit vor. Zbyszko war angethan mit seiner erbeuteten weißen Jacke, reich mit goldenen Greifen bestickt, reich mit goldenen Fransen geziert, und als ihn die Menge in diesem prächtigen Gewände dahinschreiten sah, dünkte es ihr, sie sehe einen jungen Fürsten oder den Abkömmling eines großen Geschlechtes. Seinem hohen Wuchse, der Breite der Schultern und der Brust, den kräftig ausgebildeten Gliedern nach hätte man ihn für einen reifen Mann halten können, auf dieser Mannesgestalt aber saß der Kopf eines Kindes. Der erste Flaum sproßte auf den Lippen des Jünglings, der einem schönen, königlichen Pagen glich, dessen goldblonde, über der Stirn geradegeschnittene Haare weit über den Nacken herabfielen. Bleichen Antlitzes, aber gleichmäßig, elastisch schritt er dahin. Zuweilen blickte er wie traumverloren auf die Menge, zuweilen erhob er die Augen zu den Kirchtürmen, zu dem Dohlenschwarme und zu den schwingenden Glocken, die ihm die letzte Stunde einläuteten. Zeitweise malte sich auf seinem Gesichte Staunen darüber, daß diese Feierlichkeiten ihm galten, daß die Glocken seinetwegen ertönten, daß die Frauen um seinetwillen schluchzten. Auf dem Markte angelangt, fiel sein Blick auf das Schafott, auf die in Rot gekleidete Gestalt des Scharfrichters. Er zuckte zusammen und machte das Zeichen des Kreuzes, der Geistliche aber reichte ihm das Kruzifix zum Kusse. In diesem Augenblicke fiel ihm ein Strauß Mohnblumen zu Füßen. Zbyszko beugte sich nieder, hob ihn auf und lächelte der Spenderin, einem jungen Mädchen zu, das nun in lautes Weinen ausbrach. Der Jüngling jedoch richtete sich hoch auf. Zweifellos bestrebte er sich angesichts dieser Menschenmenge, angesichts dieser Frauen und Mädchen, welche ihm aus den Fenstern mit ihren Tüchern zuwinkten, mutig in den Tod zu gehen, den Eindruck eines tapfern Ritters zu hinterlassen. Mit einer raschen Bewegung warf er seine Haare zurück, hob das Haupt und schritt stolz wie ein Sieger dahin, dem nach beendigtem Turniere der Preis zuerkannt ist. Nur langsam kam indessen der Zug vorwärts, weil die stets anwachsende Menge den Weg versperrte. Umsonst ließen die litauischen Bogenschützen stets von neuem den Ruf ertönen »Platz, Platz«, die Ermahnung verhallte ungehört, das Gedränge wurde immer dichter. Obwohl die damalige Krakauer Bürgerschaft aus zwei Drittel Deutschen bestand, wurden doch fortwährend wilde Flüche über die Kreuzritter laut. »Eine Schmach ist’s, eine Schmach! Die Erde möge diese Kreuzritter verschlingen, denn ihretwegen werden Kinder zum Richtplatze geführt. Schimpflich ist dies für den König, für das ganze Königreich!« Als die Litauer die drohende Haltung des Volkes bemerkten, nahmen sie die straff gespannten Bogen von den Schultern und harrten des Befehles, um auf die Menge zu zielen. Der Hauptmann ließ jedoch die Hellebardiere, die mit ihren Waffen leichter den Weg bahnen konnten, an die Spitze des Zuges treten, der auf diese Weise schließlich Ort und Stelle erreichte. Die das Blutgerüst umstehenden Ritter wichen zurück, ohne Widerstand zu leisten. Schon waren die Hellebardiere bis zu dem Schafotte vorgedrungen, schon wollte Zbyszko mit dem Geistlichen und dem Ratsschreiber das Gerüst ersteigen, da geschah etwas ganz Unerwartetes, der Kreis der Ritter teilte sich, Powala schritt, mit Danusia auf dem Arme hervor, und schrie mit solch donnernder Stimme »Halt«, daß der ganze Zug, wie in die Erde gewurzelt, stille hielt. Weder der Hauptmann, noch einer der Söldner wagte es, diesem edlen, gegürteten Ritter Widerpart zu leisten, der täglich im Schlosse verweilte und gar häufig in vertraulichem Gespräche mit dem König gesehen ward. Schließlich ließen auch andere, nicht minder angesehene Ritter den Ruf »Halt, Halt!« ertönen, der Herr von Taczew aber näherte sich Zbyszko und übergab ihm die liebliche Danusia.

Der Jüngling, mutmaßend, daß dies der Abschied sein sollte, nahm das holde Geschöpf in seine Arme und preßte es an die Brust – Danusia aber schmiegte sich nicht an ihn, umschlang nicht mit ihren Händchen seinen Hals, nein, rasch riß sie von ihren blonden Haaren, unter dem Rautenkranze hervor den weißen Schleier und umhüllte damit fast das ganze Haupt Zbyszkos, indem sie gleichzeitig mit der ganzen Kraft ihrer kindlichen Stimme schluchzend rief: »Mein ist er, mein ist er!«

»Dein ist er!« bestätigten die Ritter in lautem Tone. »Zum Kastellan!« Und von allen Seiten erklang aus der Menge der Ruf: »Zum Kastellan! Zum Kastellan!« Der Beichtvater richtete die Augen gen Himmel, der Ratschreiber wich zur Seite, der Hauptmann und die Hellebardiere senkten die Waffen, sie alle, alle begriffen, um was es sich handelte.

Es existierte eine alte Sitte, mächtig wie das Gesetz, bekannt und verbreitet in Podhale und bei den Krakauern, daß, wenn auf einen zum Tode Verurteilten ein unschuldiges Mädchen ihren Schleier warf, zum Zeichen, daß sie ihn zu ihrem Gatten erkiese, dieser freigegeben werden mußte. Den Gebrauch kannten die Ritter, es kannten ihn die Bauern, es kannten ihn die Polen unter den Städtern – und es wußten auch von ihm die Deutschen, die seit längerer Zeit in den polnischen Burgen und Städten wohnten. Der alte Macko, den die Rührung zu übermannen drohte, die Ritter, die ohne weiteres die Bogenschützen zurückstießen, umringten Zbyszko und Danusia, die bewegte, frohe Menge rief unaufhörlich: »Zum Kastellan, zum Kastellan!« Der Menschenschwarm wälzte sich plötzlich vorwärts gleich einer riesigen Meereswelle. Der Scharfrichter und seine Gehilfen stiegen bald darauf von dem Gerüste herab. Dies steigerte noch die Erregung. Bei allen stand es fest, daß in der Stadt ein drohender Aufruhr ausbrechen werde, wenn Jasko aus Teczyn sich jetzt dem altherkömmlichen, geheiligten Gebrauche widersetzen würde. Gleich einem Lavastrome stürzte sich das Volk auf das Blutgerüst. In einem Nu war alles Tuch abgerissen und in Fetzen umhergestreut. Bretter und Balken vermochten den starken Armen, den Beilschlägen nicht zu widerstehen. Das Gerüst schwankte, krachte, stürzte zusammen, so daß alsbald keine Spur mehr davon auf dem Markte zu sehen war.

Und Zbyszko, noch immer Danusia in den Armen haltend, kehrte zu dem Schlosse zurück – dieses Mal jedoch in der That wie ein siegreicher Triumphator. Denn ihm zur Seite schritten, strahlend vor Freude, die ersten Ritter des Königreiches, vor ihm und hinter ihm hunderte von Frauen, Männern und Kindern, rufend, singend, die Hände gegen Danusia ausstreckend, die Tapferkeit, die Schönheit preisend. An den Fenstern klatschten die reichen Bürgersfrauen mit ihren weißen Händen laut Beifall, in aller Augen glänzten Freudenthränen. Ein wahrer Regen von Rosen- und Lilienkränzen, ein wahrer Regen von Bändern, ja, sogar von vergoldeten Gürteln und netzartigen Hauben fiel zu den Füßen der seligen jungen Menschenkinder nieder. Zbyszko, strahlend wie die Sonne, das Herz überquellend von Dank, hob jeden Augenblick seine weiß gekleidete Herrin empor, zuweilen küßte er leidenschaftlich deren Hände. Und jedesmal bei diesem Anblick wurde die Menge derart gerührt, daß sich gar viele Liebende in die Arme fielen und sich gegenseitig beteuerten, sie würden sich auch befreien, so eines von ihnen zum Tode verurteilt wäre. Wie zwei geliebte Kinder wurden Zbyszko und Danusia von den Rittern, von den Bürgern, überhaupt von der ganzen Menge geleitet. Der alte Macko, der stets von zwei Rittern gestützt ward, kam fast von Sinnen vor Freude und wunderte sich nur darüber, daß ihm das Rettungsmittel für seinen Bruderssohn nicht in den Sinn gekommen war. Powala aus Taczew erzählte inmitten des allgemeinen Lärmes mit seiner mächtigen Stimme den Rittern, wieso man auf dieses Mittel gekommen sei, oder, richtiger gesagt, daß man sich bei der Beratung der Fürstin mit Stanislaw aus Skarbimierz und anderen Kundigen des geschriebenen und des üblichen Rechtes, der alten Sitte erinnert habe. Die Ritter staunten über die Einfachheit des Mittels und versicherten sich gegenseitig, daß gewiß deshalb keiner von ihnen an diesen Gebrauch gedacht habe, weil er in der von vielen Deutschen bewohnten Stadt lange nicht ausgeübt worden war.

Alles hing jedoch von dem Kastellan ab. Die Ritter und das Volk zogen daher weiter zum Schlosse, in welchem in der Abwesenheit des Königs der Krakauer Herr wohnte. Der Gerichtsschreiber, der Priester Stanislaw aus Skarbimierz, Zawisza Farurej, Zindram aus Maszkowice und Powala aus Taczew begaben sich zu ihm, um ihm über den Vorgang zu berichten, um ihn an seinen Ausspruch zu erinnern, er würde ohne weiteres den Verurteilten freisprechen, wenn er diese Handlungsweise durch ein Gesetz oder durch das übliche Recht begründen könne. Jetzt dürfe er Zbyszko begnadigen, erklärten die Bittstellenden, die altherkömmliche Sitte müsse berücksichtigt werden. Der Herr von Taczew antwortete darauf, diese Sitte sei zwar weit mehr für das gemeine Volk oder für die Räuber aus Podhale als für Edelleute geeignet, allein er hege zu viel Achtung vor dem Gesetze, als daß er die Macht der uralten Gebräuche nicht anerkennen sollte. Rasch bedeckte er hierauf mit der Rechten den silberweißen Bart, um das zufriedene Lächeln zu verbergen, das seine Lippen umspielte, und begab sich mit der Fürstin Anna Danuta auf die untere Terrasse. Einige Priester und Ritter folgten ihnen.

Als Zbyszko den Kastellan erblickte, hob er Danusia empor. Der Krakauer Herr legte seine runzlige Hand auf deren goldblondes Köpfchen, ließ sie eine Weile darauf ruhen und neigte dann ernst und voll Güte sein ehrwürdiges Haupt. Die Menge verstand dieses Zeichen. Die Mauern des Schlosses erzitterten von den Rufen: »Gott schütze Dich! Gott gebe Dir ein langes Leben! Du bist ein gerechter Herr! Bleibe uns erhalten und richte uns!« Auch zum Heile Zbyszkos und Danusias erklangen laute Rufe. Die beiden eilten auf die Terrasse und warfen sich zu den Füßen der guten Fürstin Anna Danuta nieder. Ihr verdankte Zbyszko das Leben, denn sie hatte bei der Beratung mit dem Gelehrten den alten Gebrauch zu Sprache gebracht, sie hatte Danusia angewiesen, was sie zu thun habe.

»Es lebe das junge Paar!« rief mit einem Male Powala aus Taczew, auf die Knieenden schauend.

»Es lebe!« ertönte der hundertstimmige Ruf der Menge.

Da wandte sich der ehrwürdige Kastellan zu der Fürstin und sagte: »Jetzt gleich, hochwerte Frau, muß die Verlobung stattfinden, denn so heischt es die Sitte.«

»Gegen die Verlobung habe ich nichts einzuwenden,« antwortete die Fürstin, »allein die Hochzeit darf ohne die Zustimmung des Vaters, Jurand aus Spychow, nicht gefeiert werden.«

  1. Bärenhäuter. Anm. d. Verf.
  2. Historisch. Anmerkung d. Ueb.
  3. Historisch. Anmerkung d. Ueb.
  4. Aus dem Hause Anjou. Anm. d. Uebers.
  5. »Kropidlo« heißt Weihwedel, ironisch aber auch »Prügel« und war Beiname einiger schlesischen Fürsten. Anm. d. Uebers.
  6. Der Grund und Boden von Dobrzyn ward kraft des gesetzwidrigen Vertrages mit Wladislaw Opolczik durch die Kreuzritter in Besitz genommen.
  7. Förmlich ist dies nicht geschehen. Doch führt sie bei den polnischen Geschichtsschreibern den Titel »Heilig«, sowie auch Migne sie am 28. Februar nennt und beifügt, daß man ihr Fest jedesmal am 28. Febr. begehe. D. Red.

Sechstes Kapitel.

Nach einer eingehenden Untersuchung der Wunden Zbyszkos stellte der Pater Wyszoniek zwar fest, daß sich jener nur eine Rippe gebrochen habe, allein er erklärte trotzdem, er vermöge sich in den ersten Tagen nicht für dessen Wiederherstellung zu verbürgen, weil er nicht wissen könne, ob sich das Herz des Kranken nicht gedreht habe, ob dessen Leber nicht völlig weggerissen sei. Auch Fulk de Lorche mußte sich gegen Abend infolge eines großen Schwächeanfalles niederlegen, ja, des andern Tages verursachte ihm sogar die geringste Bewegung heftige Schmerzen. Gemeinsam mit den andern Hoffräulein wartete die Fürstin und Danusia der Kranken und bereitete ihnen nach der Vorschrift des Paters Wyszoniek allerlei Salben und Tränklein. In Zbyszkos Befinden trat keine Besserung ein, und besonders die Blutspuren, die sich immer wieder auf seinen Lippen zeigten, beunruhigten den Pater Wyszoniek aufs höchste. Der Kranke blieb indessen vollständig bei Besinnung. Als er im Laufe des Tages von Danusia vernahm, wer ihm das Leben gerettet habe, ließ er trotz seiner großen Entkräftung den Böhmen zu sich entbieten, um diesem zu danken und ihn zu belohnen. Unwillkürlich gedachte er dabei Jagienkas, die ihm den getreuen Mann zugeschickt hatte, ohne deren liebevolle Fürsorge er wohl elend zu Grunde gegangen wäre. Dieser Gedanke lastete schwer auf ihm, weil er fühlte, daß er all das Gute, welches ihm durch das Mägdlein zu teil geworden, niemals mit Gleichem vergelten, nein, daß er ihm nur Kummer und Schmerz bereiten werde. Was half es, wenn er sich auch stets sagte: »Ich kann mich doch nicht in zwei Hälften teilen,« sein Gewissen regte sich immer wieder, und die Antwort des Böhmen vermehrte noch die innere Unruhe.

»Ich schwur meiner jungfräulichen Gebieterin bei meiner Ehre als Edelmann, daß ich über Euch wachen werde!« erklärte Hlawa. »So that ich denn auch nur meine Pflicht, ohne auf eine Belohnung zu rechnen. Meiner Herrin, nicht mir, müßt Ihr, o Herr, für Euere Rettung danken.«

Schwer atmend, entgegnete Zbyszko nichts. Nach kurzem Schweigen hub jedoch der Böhme abermals an: »So Ihr wünscht, daß ich nach Bogdaniec eile, trete ich sofort den Weg dahin an. Vielleicht möchtet Ihr gern den alten Herrn sehen, denn Gott allein weiß, wie es mit Euch gehen wird.«

»Wie hat sich Pater Wyszoniek ausgesprochen?« fragte Zbyszko.

»Pater Wyszoniek glaubt, er könne sich erst zur Zeit des Neumondes bestimmt über Euern Zustand äußern. Bis zum Neumond aber sind es noch vier Tage.«

»Hei! Weshalb willst Du dann nach Bogdaniec? Entweder sterbe ich, ehe der Ohm hier sein kann, oder ich werde genesen.«

»Wollt Ihr vielleicht ein Schreiben nach Bogdaniec senden? Sanderus ist der Schrift kundig. Dann wird man dort wenigstens etwas von Euch wissen und eine Messe für Euch lesen lassen.«

»Laß mich in Frieden, denn ich fühle mich sehr schwach. Sollte ich sterben, kehrst Du nach Zgorzelic zurück und meldest dort, was geschehen ist. An einer Messe für mich, wird es dann nicht fehlen. Werde ich wohl hier oder in Ciechanow begraben werden?«

»Entweder in Ciechanow oder in Przasnysz. Im Walde lassen sich nur die Kurpen begraben, über deren Gräber die Wölfe heulen. Ich hörte indessen von dem Gefolge, der Fürst beabsichtige, in längstens zwei Tagen mit dem ganzen Hofe nach Ciechanow zurückzukehren, um sich später von dort nach Warschau zu begeben.«

»Man wird mich aber sicherlich nicht allein hier zurücklassen!« rief der Kranke.

Und er täuschte sich nicht. Da Pater Wyszoniek gegen die Ueberbringung Zbyszkos nach Przasnysz Einsprache erhob, bat Anna Danuta noch im Laufe des gleichen Tages den Fürsten, er möge ihr erlauben, mit Danusia und den andern Hoffräulein den Arzt bei der Pflege des Verletzten zu unterstützen und daher noch länger in dem Jagdhofe zu verweilen. Kaum hatte indessen Herr de Lorche, der sich schon nach zwei Tagen bedeutend besser fühlte, in Erfahrung gebracht, daß die »Damen« blieben, so erklärte er sofort, er werde ihnen Gesellschaft leisten, um sie auf dem Rückwege, oder bei einem Ueberfalle der »Sarazenen« vor Gefahr zu schützen. Woher diese »Sarazenen« kommen sollten, diese Frage legte sich freilich der tapfere Lothringer nicht vor. Im fernen Westen wurden zwar auch die Litauer so genannt. Von diesen konnte aber doch der Tochter Kiejstuts, der Schwester Witolds und der Base des mächtigen »Krakauer Königs« Jagiello keine Gefahr drohen! Trotz allem aber, was Fulk de Lorche in Masovien über die getauften Litauer und über die Vereinigung der zwei Kronen auf dem Haupte eines Herrschers zu Ohren gekommen war, hatte er schon viel zu lange unter den Kreuzrittern verweilt, schenkte er deren Worten noch zu viel Glauben, um nicht den Litauern das Schlimmste zuzutrauen.

Inzwischen trat ein Ereignis ein, welches auf das Verhältnis des Fürsten Janusz zu den bei ihm als Gäste weilenden Kreuzrittern seinen Schatten warf. Am Tage vor dem Aufbruche aus dem Jagdhofe trafen die Brüder Gottfried und Rotgier ein, die bis jetzt in Ciechanow zurückgeblieben waren, und mit ihnen kam ein gewisser Herr de Fourey, als Ueberbringer schlimmer Nachrichten für die Kreuzritter. Es war nämlich gar mancherlei geschehen. Bei dem kreuzritterlichen Starosten in Lubow hielten sich verschiedene fremde Gäste auf. Zu diesen gehörten, außer dem Herrn de Fourey selbst, Herr de Bergow und Herr Majneger, beide Geschlechtern entstammend, die sich hohe Verdienste um den Orden erworben hatten. Sie alle hörten fortwährend von den Kämpfen mit Jurand aus Spychow. Anstatt sich aber dadurch abschrecken zu lassen, beschlossen sie, den berühmten Helden an den Kampfplatz zu locken, wollten sie sich doch selbst davon überzeugen, ob er in der That so Grausen erregend sei, wie von ihm die Rede ging. Der Starost widersetzte sich freilich anfänglich diesem Vorhaben, indem er auf den zwischen dem Orden und dem masovischen Fürstenpaare herrschenden Frieden hinwies. Schließlich ließ er jedoch, wohl von der Hoffnung getragen, auf solche Weise von dem gefürchteten Nachbarn befreit zu werden, nicht nur alles geschehen, sondern gestattete ihnen auch, bewaffnete Kriegsknechte mitzuführen. Unverweilt sandten nun die Ritter eine Herausforderung an Jurand, der sich auch sofort bereit erklärte, unweit Spychows, an der Grenze Preußens, mit zwei seiner Gefährten gegen die drei Ritter unter dem Vorbehalte kämpfen zu wollen, daß letztere die Reisigen entlassen würden. Da nun aber die Ritter weder auf diese Bedingung eingehen, noch sich aus der Nähe Spychows entfernen wollten, überfiel sie Jurand, schlug die Knechte in die Flucht, brachte dem Herrn Majneger einen tödlichen Lanzenstich bei und nahm den Herrn de Bergow nicht nur gefangen, sondern ließ ihn in einen der unterirdischen Kerker in Spychow werfen. De Fourcy allein rettete sich. Drei Tage irrte er in den masovischen Wäldern umher. Zufällig erfuhr er dann von Pechsiedern, daß in Ciechanow Ordensbrüder weilten, und er beschloß, sich zu diesen zu begeben. Gemeinsam mit ihnen wollte er Klage bei dem erlauchten Fürsten erheben, gemeinsam mit ihnen gedachte er dessen Schutz zu erflehen, um die Befreiung des Herrn de Bergow zu erwirken.

Diese Kunde trübte das gute Einvernehmen zwischen dem Fürsten und den Gästen. Nicht allein die beiden neu angelangten Brüder, sondern auch Hugo de Danveld und Zygfryd de Löwe forderten ungestüm von dem Fürsten, daß er dem Orden sofort Genugthuung verschaffe, das Grenzgebiet vor den gewaltthätigen Ueberfällen Jurands schütze und diesen für alle begangenen Unthaten gehörig bestrafe. Vornehmlich Hugo de Danveld verlangte in fast drohendem Tone blutige Rache, erregte doch stets die Erinnerung an die Abrechnung, die er selbst noch mit Jurand zu halten hatte, Scham und Schmerz in ihm.

»Laßt uns die Klage vor den Großmeister bringen!« rief er. »Und wenn Eure fürstliche Durchlaucht uns keine Genugthuung verschafft, werden wir sie durch jenen selbst auch dann erringen, wenn sich sogar ganz Masovien auf seiten des verruchten Räubers stellen sollte.«

Nun aber geriet der von Natur so milde Fürst in gewaltigen Zorn.

»Wofür begehrt Ihr Genugthuung?« rief er. »Wenn Jurand Euch zuerst überfallen, Dörfer verbrannt, Herden hinweggetrieben und Leute getötet hätte, würde ich ihn sicherlich sofort vor Gericht laden und ihm Strafe zuerkennen. Ihr habt ihn aber selbst herausgefordert. Und Euer Starost hat ein Gefolge bewaffneter Kriegsknechte zugelassen. Was that aber Jurand? Wohl nahm er die Herausforderung an, er verlangte jedoch gleichzeitig die Entlassung der Mannen. Soll ich ihn etwa dafür strafen oder vor Gericht fordern? Ihr selbst habt mit dem gefürchteten Kämpen angebunden, vor dem alle zittern, Ihr selbst habt mutwillig die Gefahr auf Euer Haupt herabbeschworen – was wollt Ihr daher von mir? Kann ich ihm vielleicht die Abwehr verbieten, wenn es Euch beliebt, ihn mit bewaffneter Hand zu bedrohen?«

»Nicht der Orden band mit ihm an, nur die Gäste, die fremden Ritter haben ihn gefordert!« warf Hugo ein.

»Für die Gäste ist der Orden verantwortlich, ganz abgesehen davon, daß jenen Gästen Kriegsknechte aus der Lubaner Besatzung zuerteilt worden waren.«

»Sollte der Starost vielleicht seine Gäste einfach hinschlachten lassen?«

Jetzt wandte sich der Fürst zu Zygfryd und sagte: »Hütet Euch davor, Ungerechtes zu fordern und Gott durch Eure Winkelzüge zu erzürnen.«

Aber Zygfryd antwortete streng: »Der Herr de Bergow muß aus seinem Kerker befreit werden, denn seit undenklichen Zeiten gehören Männer aus seinem Geschlechte dem Orden an und große Verdienste haben sie sich um die Kreuzritter erworben.«

»Majnegers Tod muß gerächt werden!« fügte Hugo de Danveld hinzu.

Als der Fürst dies vernahm, strich er die Haare auf beiden Seiten zurück, erhob sich von seinem Sitze und schritt mit unheilverkündendem Antlitz auf den Deutschen zu. Doch augenscheinlich von dem Gedanken ausgehend, daß er mit seinen Gästen spreche, bezwang er sich nochmals und sagte, die Hand auf Zygfryds Schulter legend, in maßvollem Tone: »Hört mich aufmerksam an, mein Starost! Ihr tragt das Kreuz auf dem Mantel, so antwortet mir denn auf Euer Gewissen, bei diesem Kreuze! War Jurand im Recht oder war er nicht im Recht?«

»Herr de Bergow muß aus dem Kerker befreit werden!« entgegnete Zygfryd de Löwe.

Während einiger Minuten herrschte tiefes Schweigen, dann rief der Fürst: »Gott verleihe mir Langmut und Geduld.«

Zygfryd aber fuhr mit einer harten, einem schneidenden Schwerte ähnlichen Stimme fort: »Diese Beschimpfung, welche uns, als unsern Gästen zugefügt, betroffen hat, giebt uns nur einen neuen Anlaß zur Klage. Nirgendwo, seit dem Bestehen des Ordens, weder in Palästina noch in Siebenbürgen, noch inmitten der bis jetzt heidnisch gebliebenen Litauer, ist uns von irgend einem namhaften Helden so viel Schlimmes zugefügt worden, wie von diesem Räuber aus Spychow. Eure fürstliche Durchlaucht! Nicht für eine Schandthat fordern wir Genugthuung und Strafe, sondern für tausende, nicht für einen Ueberfall, sondern für fünfzig, nicht für das Blut, das einmal, nein, das Jahre hindurch vergossen ward. Eine Flamme vom Himmel sollte dafür das verruchte Nest der Bosheit und Grausamkeit verzehren! Wessen Klagen schreien um Rache zu Gott? Die unseren! Wessen Thränen? Die unseren! Umsonst verlangen wir Gerechtigkeit, umsonst fordern wir strenges Gericht. Ungehört verhallen unsere Worte!«

Auf diese Rede hin antwortete Fürst Janusz kopfschüttelnd: »Hei! Gar häufig sind die Kreuzritter früher in Spychow zu Gast gewesen, und erst dann zeigte sich Jurand Euch feindlich, als durch Eure Grausamkeit ihm das geliebte Weib durch den Tod entrissen ward. Zudem aber, wie viele Male habt Ihr schon selbst mit ihm angebunden, um ihn, wie auch jetzt, dafür zu züchtigen, daß er Eure Ritter siegreich bekämpfte? Wie viele Male überfielt Ihr ihn wie Räuber, wie viele Male habt Ihr die Armbrust im Walde auf ihn abgeschossen? Freilich überfiel er Euch dann auch, von Rache getrieben – doch habt Ihr es, haben es die Ritter, die in Euern Landen seßhaft sind, jemals anders gemacht? Wer hat das friedfertige Volk in Masovien überfallen, wer hat die Herden hinweggetrieben, die Dörfer niedergebrannt, Männer, Weiber und Kinder gemordet? Und welche Antwort erhielt ich aus Marienburg, als ich mich bei dem Meister darob beschwerte: ›An der Grenze herrscht gewöhnlich Aufruhr!‹ Laßt mich in Frieden! Euch geziemt es wahrlich nicht, Klage zuführen. Euch, die Ihr mich in Friedenszeiten, da ich ohne Waffen und Wehr war, auf meinem eigenen Grund und Boden überfielt. Euch, die Ihr mich jetzt noch in Euern unterirdischen Kerkern schmachten ließet, wenn Ihr nicht den Zorn des Krakauer Königs gefürchtet hättet. So bezahltet Ihr mich, der ich dem Geschlechte Eurer Wohlthäter entstamme. Laßt mich in Frieden, denn Ihr könnt nicht von Genugthuung sprechen!«

Voll sichtlicher Ungeduld lauschten die Kreuzritter diesen Worten, war es ihnen doch höchst peinlich, daß der Fürst in Gegenwart des Herrn de Fourcy die Vorfälle bei Zlotorja berührte. Vornehmlich Hugo de Danveld schien darauf bedacht zu sein, dem Gespräche eine andere Wendung zu geben, und begann folgendermaßen: »Eure fürstliche Durchlaucht hat sich einen Irrtum zu schulden kommen lassen. Nicht um die Furcht vor dem Krakauer König handelt es sich hier, sondern um eine Genugthuung. Unser Meister aber kann für gesetzlose Zustände an den Grenzen nicht verantwortlich gemacht werden, denn soviele Königreiche es auch auf der Welt giebt, überall an den Grenzen stiften unruhige Geister Aufruhr.«

»Auf diese Weise sprichst Du und verlangst doch, daß Gericht über Jurand gehalten werde. Was wollt Ihr denn eigentlich?«

»Genugthuung und Bestrafung.«

Seine knöchernen Hände faltend sagte der Fürst nun abermals: »Der Herr verleihe mir Langmut und Geduld!«

»Möge Eure fürstliche Durchlaucht bedenken,« ergriff Danveld von neuem das Wort, »daß unsere kampflustigen Ritter nur weltliche und nicht dem deutschen Stamme entsprossene Mannen bedrängen. Eure jedoch heben die Hand gegen den Deutschen Orden auf, wodurch sie sich gegen den Heiland schwer vergehen. Welche Strafen, welche Marter sind aber groß genug für solche, die gegen den Gekreuzigten sündigen?«

»Höre!« rief der Fürst. »Führe den Namen Gottes nicht beständig im Munde, denn Ihn täuschest Du nicht.«

So sprechend, ergriff er den Kreuzritter an den Schultern und schüttelte ihn dermaßen, daß dieser, erschreckt, mit viel sanfterer Stimme fortfuhr: »Wenn unsere Gäste zuerst in Jurands Gebiet eingedrungen sind, wenn sie die Reisigen nicht entlassen haben, so lobe ich sie nicht darob. Dies fragt sich aber noch, wie es sich auch fragt, ob Jurand die Forderung angenommen hat.«

So sprechend, warf er dem Herrn de Fourcy, unmerklich mit den Augen blinzelnd, einen bedeutsamen Blick zu, wohl um diesen zur Verneinung der Frage zu veranlassen.

Allein de Fourcy entgegnete rasch, ohne das Zeichen zu bemerken oder bemerken zu wollen: »Jurand erklärte sich bereit, mit zwei seiner Gefährten gegen uns drei zu kämpfen, sobald wir die Kriegsknechte entlassen haben würden.«

»Seid Ihr dessen gewiß?«

»Auf meine Ehre! Ich und de Bergow wären auf die Bedingungen eingegangen, Majneger aber widersetzte sich unserm Vorhaben.«

»Starost aus Szezytno!« ließ sich jetzt der Fürst vernehmen, »Ihr wißt besser als die andern, daß Jurand die Forderung nicht abgewiesen hat. Wer aber von Euch diesen zu einem Kampfe zu Fuß oder zu Pferd fordern will,« wandte er sich hierauf an alle, »dem erteile ich die Erlaubnis dazu. Wenn es Euch gelingen würde, Jurand zu töten oder in Eure Gewalt zu bringen, käme Herr de Bergow ohne Lösegeld aus der Gefangenschaft. Mehr verlangt jedoch nicht von mir, denn mehr gestehe ich Euch nicht zu.«

Nach diesen Worten trat tiefes Schweigen ein. Weder Hugo de Danveld, noch Zygfryd de Löwe, weder Rotgier noch Godfryd waren trotz ihrer anerkannten Tapferkeit geneigt, mit dem gefürchteten Gebieter von Spychow einen Kampf auf Tod und Leben zu wagen. Dazu hätte sich vielleicht ein fremder, aus fernen Landen stammender Kämpe wie de Lorche oder de Fourcy verstanden, ersterer war jedoch nicht anwesend, und letzterer stand noch zu sehr unter dem Eindrucke der jüngsten Erlebnisse.

»Einmal habe ich ihn gesehen,« murmelte er vor sich hin, »aber niemals möchte ich ihm wieder gegenüberstehen.«

Zygfryd de Löwe aber ließ sich also vernehmen: »Die Ordensbrüder dürfen sich nur dann zum Zweikampfe stellen, wenn sie die besondere Erlaubnis des Meisters und des Großmarschalls dazu erhalten haben. Uns ist es aber nicht um die Erlaubnis zum Kampfe zu thun, uns liegt vor allem daran, daß de Bergow aus der Haft entlassen werde, daß Jurand mit dem Kopfe für seine Thaten büße.«

»Nicht Euch gebührt es, in diesen Landen Recht zu sprechen!«

»Schon viel zu lange haben wir die schlimme Nachbarschaft geduldig ertragen. Doch unser Meister wird uns Gerechtigkeit verschaffen.«

»Wohl steht er über Euch, aber nicht über Masovien.«

»Hinter dem Meister stehen die Deutschen und der römische Kaiser.«

»Und hinter mir steht der polnische König, dem noch weit mehr Länder und Völker unterthan sind.«

»Will Eure fürstliche Durchlaucht dem Orden den Krieg erklären?«

»Wollte ich Krieg führen, so würde ich Euch nicht in Masovien erwarten, sondern gegen Euch ziehen. Doch unterlaß Deine Drohungen, denn ich hege keine Furcht.«

»Was soll ich dem Meister melden?«

»Euer Meister hat mir keine Frage vorgelegt. Sage ihm, was Du willst.«

»So werden wir uns denn selbst Gerechtigkeit verschaffen müssen!«

»Nimm Dich in acht!« rief nun der Fürst mit einer vor Wut entstellten Stimme, indem er dem Kreuzritter mit der geballten Hand drohte, »nimm Dich in acht! Wohl gestattete ich Dir, Jurand zum Zweikampfe zu fordern, doch planst Du, mit dem Kriegsheere des Ordens in das Land zu fallen, dann schlage ich los, und als Gefangener, nicht als Gast wirst Du hier weilen.«

Seine Geduld war offenbar erschöpft. Mit aller Gewalt schleuderte er seine Kopfbedeckung auf den Tisch und warf, aus der Stube eilend, die Thüre krachend hinter sich zu.

Bleich vor Zorn blieben die Kreuzritter zurück, und Herr de Fourcy blickte verstört von einem zum andern.

Hugo de Danveld aber sprang fast mit Fäusten auf Herrn de Fourcy zu.

»Was soll das Zugeständnis bedeuten,« schrie er, »daß Ihr Jurand zuerst gefordert habt?«

»Ich habe die Wahrheit gesprochen.«

»Ihr hättet alles leugnen sollen.«

»Zum Kampfe zog ich aus und jede Lüge liegt mir fern.«

»Brav habt Ihr gekämpft, das muß ich sagen.«

»Und Ihr? Seid Ihr denn nicht vor Jurand nach Szezytno geflohen?«

» Pax!« rief nun de Löwe. »Dieser Ritter ist der Gast des Ordens.«

»Seine Aussage fällt ja gar nicht ins Gewicht,« warf nun auch Godfryd ein. »Ohne Gericht kann Jurand nicht gestraft werden, und vor Gericht würde ja doch alles an den Tag kommen.«

»Was ist jetzt zu thun?« warf Rotgier ein.

Ein kurzes Schweigen trat ein, dann ergriff der strenge und halsstarrige Zygfryd de Löwe das Wort.

»Man muß dem Bluthunde einmal Ernst zeigen,« erklärte er. »De Bergow darf nicht länger in Ketten schmachten. Wir bieten die Besatzung von Szezytno, von Insburk und von Lubow auf, wir rufen den Kulmer Adel zu Hilfe und ziehen gegen Jurand. Es ist an der Zeit, ein Ende mit ihm zu machen.«

Nun aber kreuzte der schlaue Danveld, der es verstand, ein jedes Ding von zwei Seiten zu beleuchten, die Hände über dem Haupte, runzelte sinnend die Stirn und bemerkte: »Ohne Erlaubnis des Meisters ist an ein solches Unternehmen nicht zu denken.«

»Wenn wir unser Ziel erreichen, wird uns der Meister darob loben!« bemerkte Godfryd.

»Und wenn es uns nicht gelingt, wenn der Fürst die Lanzenträger gegen uns schickt? Was dann?«

»Davor wird er sich hüten. Es herrscht Frieden zwischen dem Orden und ihm.«

»Freilich herrscht Frieden. Wir aber brechen ihn dann. Und unsere Besatzungen werden gegen die Masuren nicht aufkommen.«

»Schließlich muß aber der Meister für uns eintreten und damit ist der Krieg erklärt.«

»Nein, nein,« ließ sich hieraus de Danveld nach kurzem Sinnen vernehmen, »dem ist nicht so. Wenn wir Erfolg haben, wird sich der Meister wohl insgeheim freuen, er wird Gesandte an den fürstlichen Hof schicken und die Verhandlungen so führen lassen, daß wir straflos ausgehen. Falls wir jedoch eine Niederlage erleiden, wird der Orden weder für uns einstehen, noch den Krieg erklären. Dazu müßten wir einen andern Meister haben. Hinter dem Fürsten steht der polnische König und mit dem bindet der Meister nicht an.«

»Dessenungeachtet haben wir uns des Gebietes um Dobrzyn bemächtigt, als Beweis dafür, wie wenig wir uns vor Krakau fürchten.«

»Weil wir scheinbar ein Recht dazu hatten … denkt an Opolczik. Nun, wir nahmen das Land ja nur als Pfand, aber auch das …« Hier blickte er sich vorsichtig um und fügte dann leise hinzu: »Ich hörte in Marienburg, daß auf dieses Pfand sofort Verzicht geleistet würde, wenn andernfalls ein Krieg drohen sollte.«

»Ach,« meinte Rotgier ungeduldig, »ich wollte, Markward Salzbach wäre hier, oder Szomberg, der die Brut Witolds erwürgt hat, die wüßten uns Rat zu schaffen wegen Jurand. Bedenkt Witold! Der Statthalter Jagiellos! Der mächtige Fürst! Und trotzdem entging Szomberg der Strafe. Er erwürgte Witolds Kinder und ward nicht zur Rechenschaft dafür gezogen! Wahrlich, uns mangelt es an Leuten, die sofort für alles Rat wissen.«

Als Hugo de Danveld diese Worte vernahm, versank er, das Haupt in die Hand stützend, längere Zeit in tiefes Sinnen. Dann, mit einem Male, leuchteten seine Augen und er hub also an: »Gesegnet sei der Augenblick, in dem Ihr den Namen des tapferen Szomberg nanntet.«

»Weshalb? Ist Euch ein guter Gedanke gekommen?« fragte Zygfryd de Lowe.

»Sprecht schnell!« riefen Rotgier und Godfryd.

»So hört denn!« antwortete Hugo. »Jurand hat ein einziges Kind, eine Tochter, die er wie seinen Augapfel liebt.«

»Ja, wir kennen sie. Nicht nur er, sondern auch die Fürstin Anna Danuta ist dem Mädchen zugethan.«

»Gewiß. Hört mich an! Wie wäre es, wenn wir versuchten, das Mädchen in unsere Gewalt zu bekommen? Jurand würde für dessen Auslösung nicht nur de Bergow, sondern sich selbst und Spychow dazu zum Opfer bringen.«

»Bei dem Blute des heiligen Bonifatius, das in Dockum vergossen ward!« rief Godfryd, »ganz so würde es kommen, wie Ihr sagt!«

Dann aber verstummten alle für eine geraume Zeit, wie erschreckt über einen so waghalsigen, gefährlichen Plan. Schließlich wandte sich Rotgier an Zygfryd de Löwe.

»Euer Verstand ist ebenso groß wie Eure Erfahrung. Was haltet Ihr von dem allem?«

»Ich glaube, daß die Sache der Ueberlegung wert ist.«

»Aber die Fürstin hat ja das Mädchen stets um sich,« fuhr Rotgier fort, »liebt sie es doch gleich einer eigenen Tochter. Bedenkt, welch ein Lärm sich erheben wird.«

Hugo de Danveld lachte.

»Ihr habt selbst behauptet,« warf er ein, »daß Szomberg die Brut Witolds vergiftet oder erwürgt habe. Nun, welche Strafe ist ihm dafür geworden? Bei jeder Veranlassung wird Lärm geschlagen. Wenn wir aber Jurand in Ketten unserem Meister zuführen, ernten wir sicher Lob, wartet unsrer keine Strafe.«

»Ei,« ließ sich nun de Löwe vernehmen, »gar günstig ist freilich jetzt die Gelegenheit zu einem Ueberfalle. Der Fürst verläßt den Jagdhof, auf dem nur Anna Danuta mit den Hoffräulein bleibt. Doch wie läßt sich der Ueberfall auf einem fürstlichen Herrenhofe in Friedenszeiten rechtfertigen? Wenn dies noch Spychow wäre! Denkt an Zlotorja! Ganz das Gleiche kann sich abermals ereignen! Bei allen Königen, bei dem Papste werden aufs neue Klagen über die Gewaltthätigkeit des Ordens geführt werden, wieder wird sich der verfluchte Jagiello in wilden Drohungen ergehen, und der Meister, nun, ihr kennt ihn ja! Gern bemächtigt er sich zwar alles dessen, was er bekommen kann, aber einem Kriege mit Jagiello, dem geht er aus dem Wege. Ja, in ganz Masovien, in ganz Polen wird man gegen uns wüten.«

»Inzwischen bleichen aber die Gebeine Jurands am Galgen!« entgegnete Hugo de Danveld. »Und zudem, wer hat Euch denn davon gesprochen, daß das Mägdlein aus dem Jagdhofe entführt, von der Seite der Fürstin hinweggerissen werden soll?«

»Aus Ciechanow könnt Ihr es aber doch nicht entführen, aus Ciechanow, wo sich außer den Edelleuten dreihundert Bogenschützen befinden?«

»Nein! Kann aber Jurand nicht plötzlich erkranken und etliche Boten zu dem Mägdlein entsenden? Daß es die Fürstin unter solchen Umständen ziehen läßt, das unterliegt keinem Zweifel. Und wenn die Maid unterwegs verschwindet, wer wagt es, Euch oder mir zu sagen: ›Du hast sie geraubt‹?«

»Ei,« warf de Löwe ungeduldig dazwischen, »so bewerkstelligt doch, daß Jurand erkrankt und nach dem Mägdlein schickt!«

Mit triumphierendem Lächeln erklärte Hugo de Danveld darauf: »Ich kenne einen Goldschmied, der, wegen Diebstahls aus Marienburg vertrieben, seinen Wohnsitz in Szezytno aufgeschlagen hat und der jedes Siegel täuschend nachzuahmen versteht. Auch gebiete ich über Leute, welche, trotzdem sie uns untergeben sind, aus dem masurischen Volke stammen. Versteht Ihr mich endlich?«

»Ich verstehe alles!« erklärte Godfryd eifrig.

Dann drückte er die Augen zusammen, als ob er etwas in weiter Ferne schauen wolle und fuhr fort: »Ich sehe Jurand mit dem Stricke um den Hals an dem Danziger Thore in Marienburg stehen, ich sehe, wie ihn unsere Knechte mit den Füßen stoßen.«

Siebentes Kapitel.

Vor ihrer Abreise nach Szczytno stellten sich die vier Brüder und de Fourcy bei dem Fürsten und der Fürstin ein, um sich zu verabschieden. Wohl herrschte dabei keine allzufreundliche Stimmung, allein der Fürst, welcher der alten polnischen Sitte gemäß die Gäste nicht mit leeren Händen entlassen wollte, schenkte jedem der Brüder einen schönen Marderpelz und eine Menge Silbermünzen. Als es zu der Verabschiedung von der Fürstin kam, trat in dem Augenblick, da Zygfryd de Löwe ihr die Hand küßte, Hugo von Danveld zu Danusia, und sagte: »Eine Abgesandte wird sich hier einstellen und Euch, Jungfräulein, einen heilenden Balsam aus dem hercynskischen Walde bringen.«

De Fourcy hatte dies Gespräch beobachtet, und bestrickt von der zauberhaften Schönheit Danusias, fragte er, als er sich mit seinen Gefährten schon unterwegs nach Szczytno befand: »Wer ist das schöne Hoffräulein, mit dem Ihr vor der Abreise spracht?«

»Die Tochter Jurands!« entgegnete der Kreuzritter. »Ich versprach ihr, Balsam für den jungen Ritter zu senden, dem sie, wie Ihr wißt, angelobt ist,« erklärte er, »und der mit dem Auerochsen gekämpft hat. Wenn sich dann ein Lärm erhebt wegen der Entführung des Mädchens, wer will uns dann die Schuld beimessen, da wir ihr sogar aus Barmherzigkeit ein Heilmittel gesandt haben?«

»Das ist alles gut,« rief de Lowe, »es handelt sich aber darum, jemand Verläßliches zu finden.«

»Ich schicke eine zuverlässige, mir ergebene Frau mit dem Balsam an sie ab. Ihr befehle ich, Augen und Ohren offen zu halten. Wenn dann unsere Leute, zum Scheine von Jurand kommend, sich einstellen, werden sie den Weg schon geebnet finden.«

»Es wird jedoch schwer fallen, die Leute zu finden,« wendete de Löwe ein.

»Nein. Das Volk bei uns spricht die gleiche Sprache wie hier zu Lande. Es befinden sich zudem in der Stadt – traun – sogar unter unsern Knechten, Leute, welche sich ihrer Verurteilung in Masovien durch die Flucht entzogen haben – Räuber, Diebe – die aber thatsächlich keine Furcht kennen, die zu allem bereit sind. Diesen stellte ich, für den Fall, daß sie ihre Absicht erreichen, eine große Belohnung in Aussicht, für den Fall des Mißlingens aber den Strick.«

»Schau, schau! Und falls sie Verrat üben sollten?«

»Die üben keinen Verrat, denn in Masovien ist schon für jeden der Pflock bereit, und über einem jeden hängt der Urteilsspruch. Wohl aber ist es nötig, sie mit neuen Gewändern zu versehen, damit sie für eine in Wahrheit von Jurand geschickte Gesandtschaft gelten können – und was die Hauptsache ist: der Brief mit dem Siegel des Jurand.«

»Es muß eben alles gut eingefädelt werden,« meinte Rotgier. »Vielleicht beabsichtigt aber Jurand, sich wegen des letzten Zusammenstoßes zu dem Fürsten zu begeben, um sich über uns zu beklagen und sich selbst zu rechtfertigen. Möglicherweise eilt er von Ciechanow zu der Tochter auf den Jagdhof und es kommt dann soweit, daß unsere, zu der Tochter Jurands geschickten Leute, sich diesem selbst anvertrauen.«

»Die Leute, welche ich schicke, sind mit allen Hunden gehetzt. Die werden schon wissen, in welche Gefahr sie sich begeben, so sie sich Jurand anvertrauen. Deren Kopf zum Pfande, daß an ein solches Zusammentreffen nicht zu denken ist.«

Nun aber ergriff Godfryd, der jüngste unter den Rittern, das Wort und meinte: »Ich begreife weder Euere Vorsicht noch Euere Furcht, es könne ruchbar werden, daß das Mädchen auf unsere Veranlassung hin entführt worden sei. Haben wir sie erst einmal in unserer Gewalt, dann müssen wir doch jemand zu Jurand schicken und ihm sagen lassen: ›Deine Tochter ist bei uns – willst Du, daß sie die Freiheit erlangt, so liefere de Bergow aus oder ergieb Dich selbst.‹ Was soll man denn anders thun? Freilich wird es dann bekannt, daß wir das Mädchen aufgreifen ließen.«

»Das ist richtig!« rief der Herr de Fourcy, der wenig Geschmack an der ganzen Sache zu finden schien. »Weshalb etwas verbergen wollen, was ans Tageslicht kommen muß?«

Hugo de Danveld aber wandte sich lächelnd an Godfryd. »Jurand kennt uns besser als Ihr. Man wird folgendermaßen zu ihm reden: ›Deine Tochter steht unter dem Schutze Szombergs, und wenn Du Dich auch nur rührst – denke an die Kinder des Witold‹.«

»Und daraufhin?«

»Daraufhin wird de Bergow freigelassen, und auch der Orden wird von Jurand befreit.«

»Traun!« rief Rotgier, »alles ist so gut ausgedacht, daß unsere Unternehmung sicher glücken wird.«

Und schweigend ritten sie weiter. Vor ihnen aber schritt, zwei oder drei Büchsenschüsse entfernt, ihr Gefolge, um den Weg zu ebnen, der fußhoch mit Schnee bedeckt war, da es in der Nacht heftig geschneit hatte. An den Bäumen hingen zwar noch dicke Eiszapfen, der Tag aber war neblig, und es war so warm, daß die Pferde mit Schweiß bedeckt waren. Ueber dem Gehölze, den Wohnstätten der Menschen zu, flogen Schwärme von Krähen, die Luft mit ihrem Gekrächze erfüllend.

Sinnend dahinreitend, blieb Herr de Fourcy ein wenig hinter den Kreuzrittern zurück. Er war seit mehreren Jahren Gast derselben, hatte an den Kämpfen gegen Samogitien teilgenommen, wo er sich durch seine Tapferkeit auszeichnete, und beabsichtigte nun, in den Orden einzutreten, da er bei ihm eine Aufnahme fand, wie sie nur die Kreuzritter im stande waren, einem fremden Kämpen zu gewähren. Bis jetzt hatte er sich bald in Marienburg aufgehalten, bald irgend einen befreundeten Komturen besucht, stets darauf bedacht, auf seinen Fahrten Ergötzung und Abenteuer zu finden. Seit er vor kurzem in Lubow mit dem reichen de Bergow zusammengetroffen war, seit man ihm eingehend über Jurand gesprochen, hatte er seine Lust nicht zügeln können, sich mit einem Manne zu messen, der rings um sich her Schrecken verbreitete. Die Ankunft des siegreichen Majneger hatte nur dazu gedient, die Ausführung des Unternehmens zu beschleunigen. Der Komtur von Lubow hatte ihnen die Kriegsknechte dazu gestellt, er hatte indessen den drei Rittern soviel, sowohl von der Grausamkeit, wie auch von der List und der Treulosigkeit Jurands erzählt, daß jene dessen Aufforderung, die Reisigen zu entlassen, nicht berücksichtigten. Sie fürchteten bei ihrem Unternehmen umzingelt, geschlagen oder in die dunklen Kerker von Spychow geworfen zu werden. Jurand aber, der sofort vermutete, daß es sich hier nicht nur um einen ritterlichen Kampf, sondern auch um Raub und Plünderung handle, hatte sie angegriffen und ihnen eine furchtbare Niederlage beigebracht. De Fourcy sah Bergow mit seinem Pferde zusammenbrechen, er sah Majneger, von einer Lanze durchbohrt, niedersinken, er hörte die Kriegsknechte vergeblich um Barmherzigkeit flehen. Ja, er selbst vermochte sich kaum zu retten. Tagelang irrte er in den Wäldern umher, wo er vor Hunger gestorben oder von wilden Tieren zerrissen worden wäre, wenn er nicht Ciechanow erreicht hätte, wo sich die Brüder Godfryd und Rotgier befanden. Aus dem ganzen Kampfe trug er das Gefühl der Beschämung, der Demütigung, ja des Hasses gegen den Ueberwinder davon. Tiefes Herzeleid, tiefer Schmerz erfüllten ihn wegen de Bergow, der ihm als Freund sehr nahe stand. Aus innerster Ueberzeugung schloß er sich dem Vorgehen der Ordensritter an, als sie Klage erhoben auf Buße und auf Freilassung des unglücklichen Gefährten, und als die Klage erfolglos geblieben war, da gab es für ihn im ersten Augenblicke nichts, was er nicht vollführt hätte, um an Jurand Rache zu nehmen. Jetzt aber regten sich bei ihm plötzlich allerlei Bedenken. Als er hörte, was Hugo de Danveld sagte, ergriff ihn unendliches Staunen. Nachdem er im Laufe der Jahre den Kreuzrittern nähergetreten war, sah er nur zu gut ein, daß man sie bei den Deutschen, überhaupt im Westen, falsch beurteilte. Freilich kannte er in Marienburg gerecht und streng denkende Ritter, und nur zu häufig beklagten diese die Zügellosigkeit, die Zuchtlosigkeit der Brüder, den Mangel an Disziplin bei ihnen – und de Fourcy mußte ihnen in allem recht geben. Allein wegen der großen Tapferkeit, die alle Ordensritter auszeichnete, bewunderte er sie dennoch aufrichtig. Er hatte sie bei Wilna gesehen, wo sie Brust an Brust mit den polnischen Rittern kämpften, bei der Belagerung der Burgen, die mit übermenschlicher Ausdauer von den polnischen Hilfstruppen verteidigt wurden, er sah sie unter den Streichen der Beile und Schwerter fallen, im gemeinsamen Ansturm und im Einzelkampfe. Wohl zeigten sie sich unbarmherzig und grausam gegen die Litauer, allein sie kämpften gleichzeitig wie die Löwen – und im Strahlenkranze des Ruhmes wandelten sie dahin. Nun aber dünkte es de Fourcy, daß Hugo de Danveld auf eine Weise redete, sich in einer Weise gebärdete, die jeden edeldenkenden Ritter in tiefster Seele empören mußte – und seine Begleiter wandten sich darob nicht einmal in Abscheu von ihm ab, sondern sie legten jedem seiner Worte ein besonderes Gewicht bei. Er konnte sich nicht mehr zurechtfinden und schließlich fragte er sich, ob er zu einem solchen Plane die Hand bieten dürfe.

Wenn es sich nur um die Entführung des Mädchens wegen der Auslieferung de Bergows gehandelt hätte, würde er sich ohne weiteres an dem Unternehmen beteiligt haben. Die Kreuzritter sannen jedoch auf noch ganz andere Dinge. Sie wollten durch die Entführung des Mädchens nicht nur die Freigebung de Bergows erzwingen, sondern auch Macht über Jurand gewinnen – sie hofften, durch Danusia letzteren in ihre Gewalt zu bekommen, um ihn dann zu ermorden und sicherlich mit ihm zugleich auch das Mädchen, damit ihre Grausamkeit, ihr schändliches Verbrechen verborgen bliebe. Bedrohten sie das Mädchen denn nicht schon mit dem Lose der Kinder von Witold für den Fall, daß Jurand sich zu widersetzen wagte? »Keines der beiden werden sie freigeben,« sagte sich de Fourcy, »und doch tragen sie das Kreuz und müßten mehr als alle anderen auf ihre Ehre, auf ihre Pflichten bedacht sein.« Seine ganze Seele bäumte sich in diesem Augenblick gegen all die Schändlichkeiten auf, allein da er sich doch noch vergewissern wollte, ob sein Verdacht begründet sei, wandte er sich aufs neue an Danveld und fragte: »Wie ist’s? Gebt Ihr das Mädchen frei, wenn Jurand sich Euch stellt?«

»Wenn wir sie losgeben würden, müßte sich ja die ganze Welt davon überzeugen, daß wir beide aufgreifen ließen,« entgegnete Danveld.

»Traun, was gedenkt Ihr mit dem Mädchen anzufangen?«

Daraufhin neigte sich Danveld gegen den Sprechenden und erwiderte mit einem bösen Lächeln: »Wornach fragt Ihr? Darnach, was wir früher oder was wir später mit ihr anfangen werden?«

Jetzt wußte de Fourcy, was er wissen wollte. Während eines Augenblickes kämpfte er mit sich selbst, dann aber hob er sich ein wenig im Bügel und sagte so laut, daß alle vier Ritter ihn hören konnten: »Der fromme Bruder Ulrych von Jungingen, der ein Schmuck, eine Zierde des Ritterstandes ist, sprach einmal also zu mir: ›Unter den älteren Brüdern in Marienburg befinden sich noch würdige Kreuzritter, aber die, welche auf den Grenz-Komtureien sitzen, bringen dem Orden nur Schande‹. Und wie steht es mit Eurer Ritterehre? Nicht durch schmähliche Thaten dient Ihr dem Erlöser. Wißt daher, daß ich nicht die Hand zu Eurem Plane biete, ja daß ich ihn auch zu vereiteln suchen werde.«

»Was wollt Ihr vereiteln?«

»Daß Ihr voll List, voll Grausamkeit, also geradezu schmählich handelt.«

»Und wie wollt Ihr uns daran hindern? Im Kampfe mit Jurand habt Ihr Euer Gefolge und Eure Habe eingebüßt. Ihr hängt von der Gnade der Kreuzritter ab und müßt Hungers sterben, wenn sie Euch kein Stückchen Brot mehr hinwerfen. Deshalb laßt einen jeden von uns vieren wissen – wie Ihr unsern Plan vereiteln wollt.«

»Wie ich ihn vereitle?« wiederholte de Fourcy. »Ich kann an den Hof zurückkehren und die Fürstin warnen, ich kann dafür sorgen, daß in der ganzen Welt Euer Vorhaben ruchbar wird.«

Daraufhin blickten die Brüder einander an, und innerhalb einer Sekunde veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. Hauptsächlich Hugo de Danveld schaute längere Zeit fragend auf Zygfryd de Löwe, wandte sich aber dann abermals zu dem Herrn de Fourcy: »Ihr überhebt Euch,« bemerkte er, »Ihr gewinnt Euren Lebensunterhalt durch den Orden, und Ihr wollt Euch ihm widersetzen und uns des Verrates zeihen?«

»Verrätern will ich nicht dienen.«

»Ei, ei, sieh da, hütet Euch, Eure Drohung auszuführen. Wißt, daß der Orden seine Gegner zu treffen weiß.«

Nun aber zog de Fourcy, den diese Worte noch mehr aufstachelten, sein Schwert, faßte es fest in die Rechte, legte die Linke über die Spitze und rief: »Bei dieser Spitze, welche nun die Form des Kreuzes hat, bei dem Haupte des heiligen Dyonisius, meines Schutzpatrones, und bei meiner ritterlichen Ehre schwöre ich, daß ich den masurischen Fürsten und den Großmeister warnen werde.«

Daraufhin ließ sich Danveld mit einer seltsam dumpfen und veränderten Stimme also vernehmen: »Der heilige Dyonisius möge seinen abgeschlagenen Kopf unter dem Arme halten, wenn jedoch einmal der Eure fällt …«

»Wollt Ihr mir drohen?« warf de Fourcy ein.

»Nein, ich schlage sofort zu!« entgegnete Danveld.

Und mit diesen Worten stieß er dem Ritter das Messer mit solcher Kraft in die Seite, daß es bis an den Griff in dessen Körper drang.

De Fourcys Mund entrang sich ein entsetzlicher Schrei, er versuchte während einiger Sekunden sein Schwert mit beiden Händen zu schwingen, allein es entfiel ihm, denn nun stachen gleichzeitig die andern drei Ritter so lange mitleidslos mit ihren Waffen auf ihn ein, bis er vom Pferde stürzte.

Dann folgte tiefes Schweigen. Aus zahllosen Wunden blutend wälzte sich de Fourcy auf dem Schnee, in den er die konvulsivisch zuckenden Finger eingrub. Unter dem bleifarbenen Himmel aber ertönte das Gekrächze der Krähen, welche über die stillen Wälder den Wohnsitzen der Menschen zuflogen.

Erst nach längerer Pause begannen die Mörder miteinander zu flüstern.

»Unser Gefolge hat nichts bemerkt,« erklärte leise Danveld.

»Nichts,« erwiderte de Löwe, »die Leute sind schon zu weit voraus. Ich vermag niemand mehr zu sehen.«

Jetzt ertönte auf dem gebahnten Wege Pferdegetrappel, und Hugo de Danveld rief rasch entschlossen: »Wer dies auch sein mag, er muß sterben.«

De Löwe aber, der den schärfsten Blick unter ihnen hatte, trotzdem er der älteste war, erklärte: »Ich kenne ihn. Es ist jener Knappe, welcher den Auerochsen mit dem Schwerte tötete. Ja, ich habe recht, er ist es.«

»Verbergt Eure Schwerter, damit er nicht stutzig wird,« warf nun Danveld ein. »Ich will aufs neue als erster auf ihn losgehen, Ihr könnt dann folgen.«

Der Böhme war mittlerweile auf acht oder zehn Schritt nahe gekommen, dann hielt er plötzlich sein Pferd an. Er erblickte den Toten im Blute schwimmend, er sah das reiterlose Pferd, und Staunen malte sich auf seinem Antlitz. Doch nur eine Sekunde währte dies, gleich darauf aber wandte er sich an die Brüder und sagte in einem Tone als ob er nichts gesehen hätte: »Ich grüße Euch, tapfere Ritter.«

»Wir kennen Dich,« entgegnete Danveld, sich langsam nähernd. »Was ist Dein Begehr?«

»Mich sendet der Ritter Zbyszko aus Bogdaniec, dessen Waffen ich trage, und der, von einem Auerochsen auf der Jagd verwundet, sich nicht selbst bei Euch einstellen konnte.«

»Was will Dein Herr von uns?«

»Mein Herr gebot mir, so zu Euch zu sprechen: ›Fälschlich klaget Ihr Jurand von Spychow an, seine ritterliche Ehre schmälert Ihr ihm, nicht wie echte Ritter habt Ihr gehandelt, nein, wie kläffende Hunde: deshalb fordert er den, welcher so voll Tücke gesprochen hat, zum Zweikampfe zu Fuß oder zu Roß, auf Leben und Tod, und er ist bereit, ihn an irgend einem Ort zu treffen, den Ihr bestimmt, sobald ihn Gott in seiner Gnade und Barmherzigkeit von seinen Leiden genesen läßt‹.«

»Sage Deinem Herrn, daß die Ordensritter zum Kampfe sich nur mit der ausdrücklichen Erlaubnis des Großmeisters oder des Marschalls stellen dürfen, bei denen wir in Marienburg die Zustimmung einholen werden.«

Abermals blickte der Böhme auf den Leichnam des Herrn de Fourcy, denn zu diesem war er hauptsächlich geschickt worden. Zbyszko wußte ja, daß die Ordensritter sich nicht zum Zweikampfe stellen, da er indessen gehört hatte, daß sich unter ihnen ein weltlicher Ritter befinde, wollte er sich mit diesem messen, da er dadurch hoffte, Jurand für sich zu gewinnen. Nun aber lag jener Ritter, hingeschlachtet wie ein Tier, inmitten der vier Kreuzritter.

Der Böhme begriff nicht recht, was vorging, da er jedoch von Jugend auf an große Gefahren gewöhnt war, befand er sich stets auf der Hut. Er bemerkte auch sehr wohl, daß sich ihm Danveld während des Sprechens immer mehr näherte, während die andern seitwärts auf ihn zukamen, gerade als ob sie ihn umzingeln wollten. Seine Aufmerksamkeit verdoppelnd, verwandte er kein Auge von Danveld, war doch seine Lage schon dadurch eine äußerst gefährdete, weil er in der Eile vergessen hatte, Waffen mitzunehmen. Danveld war ihm mittlerweile immer näher gekommen und hub von neuem an: »Ich versprach, Deinem Herrn heilenden Balsam zu senden, allein schlecht hat er mich dafür bezahlt. Folglich sage ihm …« Hier erhob er die Rechte bis zur Schulter des Böhmen: »Folglich sage ihm, daß ich, schaue her, in solcher Weise antworte.«

Bei diesen Worten versuchte er sein Schwert in die Kehle des Knappen zu stoßen, allein seine Absicht wurde vereitelt. Eine jede seiner Bewegungen war von dem Böhmen beobachtet worden, der jetzt mit eiserner Hand die Rechte des Angreifers umklammerte und sie in ihren Gelenken derartig bog und drehte, daß die Knochen krachten. Dann, sich tief auf sein Pferd herabbeugend, jagte er unter dem Schmerzensgebrüll des Verletzten davon, ohne daß ihn die anderen daran hätten hindern können.

Wohl versuchten Rotgier und Godfryd, ihn zu verfolgen, allein sie kehrten bald wieder zurück, in Schrecken versetzt durch das Stöhnen und Schreien Danvelds. De Löwe stützte ihn mit seinen Armen, er aber mit totenbleichem und doch auch wieder bläulichem Gesichte fuhr fort, dermaßen zu brüllen, daß das mit den vorausgeschickten Wagen reitende Gefolge die Pferde anhielt.

»Was ist Euch?« fragten Rotgier und Godfryd.

De Löwe befahl ihnen jedoch, so rasch wie möglich einen Wagen herbeizuschaffen, denn Danveld konnte sich offenbar nicht mehr im Sattel halten. Kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn, besinnungslos fiel er zurück.

Sobald der Wagen bereit stand, wurde der Verletzte auf Stroh gebettet. So rasch wie möglich strebte man hierauf der Grenze zu. De Löwe trieb zur Eile an, war es ihm doch klar, daß nach den Vorgängen, ganz abgesehen von der Fürsorge für Danveld, keine Zeit verloren werden durfte. Bei letzterem auf dem Wagen sitzend, rieb er dessen Gesicht von Zeit zu Zeit mit Schnee, allein es gelang ihm lange nicht, den Ohnmächtigen zur Besinnung zu bringen.

Erst in der Nähe der Grenze öffnete Danveld die Augen und blickte staunend umher.

»Wie ist Euch?« fragte de Löwe.

»Ich empfinde keinen Schmerz mehr, allein meine Hand ist völlig gefühllos geworden.«

»Sie ist erstarrt, deshalb haben auch die Schmerzen aufgehört. In der warmen Stube werden sie zurückkehren. Doch danket Gott, daß Ihr im Augenblicke Linderung fühlt.«

Auch Rotgier und Godfryd näherten sich jetzt dem Wagen.

»Das Unglück ist geschehen,« rief ersterer, »was werden wir nun beginnen?«

»Wir sagen,« erklärte Danveld mit schwacher Stimme, »der Knappe habe de Fourcy getötet.«

»Von neuen Schandthaten, von neuen Missethaten können wir berichten!« fügte Rotgier bei.