In der Schenke zur »Kleinen Mühle«, die am Ende des berühmten Feldes von Alcudia liegt, wenn man von Castilien nach Andalusien geht, saßen an einem heißen Frühlingstage zwei Jungen von etwa vierzehn bis fünfzehn Jahren; keiner wenigstens war über die siebzehn hinaus. Beide wohlgebildet, aber sehr zerrissen, zerlumpt und verwahrlost. Mäntel hatten sie nicht, ihre Hosen waren von Leinwand und ihre Strümpfe von ihrer eigentlichen Haut, was freilich durch die Schuhe wieder ins Gleichgewicht gebracht wurde, denn diejenigen des einen bestanden aus Binsen, die sich schon auf manchem Gang abgemüht hatten und denen des anderen fehlten die Sohlen, so daß sie mehr den Dienst von Fußblöcken als von Schuhen verrichteten. Der eine trug eine grüne Jägermütze und der andere einen Hut ohne Band mit niederem Kopf und breitem Stulp. Über Schulter und Brust hatte der eine ein gemslederfarbiges Hemd gebunden, das ganz in den einen Ärmel geschlüpft und eingewickelt war; der andere ging ganz frei und ohne alles Gepäck, ausgenommen, daß ein großer Wulst vor seinem Busen hervortrat, der, wie sich in der Folge zeigte, eine Halskrause von der Art derjenigen war, die man gestärkte wallonische nennt, gestärkt nämlich mit Schmutz und von Alter so ausgefasert, daß das Ganze eigentlich nur wie ein Gitter von Fäden aussah. In demselben eingewickelt und verwahrt befand sich ein Spiel Karten von eiförmiger Gestalt, denn die Ecken waren durch den Gebrauch abgerieben und jene daher zum Zwecke längerer Dauer beschnitten und in die besagte Form gebracht worden. Beide Gäste hatten eine sonnenverbrannte Haut, schmutzige Nägel und nicht sonderlich reine Hände; der eine trug einen kurzen Degen, der andere ein Messer mit gelbem Heft, einen sogenannten Ochsentreiber (vaquero). Beide waren in die Laube oder den Vorbau, welcher sich vor dem Wirtshaus befand, gekommen, um hier Mittagsruhe zu halten, und wie sie hier Antlitz gegen Antlitz saßen, begann der dem Ansehen nach Ältere also gegen den Jüngeren:

»Aus welchem Lande sind Euer Gnaden, gestrenger Herr, und woher kommt Ihr des Weges?«

»Mein Vaterland, Herr Ritter,« erwiderte der Befragte, »kenne ich nicht und weiß ebensowenig, woher ich komme.«

»Nun, Ihr scheint doch nicht vom Himmel zu kommen«, entgegnete der Ältere, »und dieser Ort ist auch nicht zum Bleiben, sondern man muß wohl weitergehen.«

»Ihr habt recht,« sagte der Jüngere, »doch verhält sich’s so, wie ich gesagt habe; denn meine Heimat geht mich nichts an, weil ich weiter nichts dort habe als einen Vater, der mich nicht als Sohn hält, und eine Stiefmutter, die mich als Stiefsohn behandelt. Mein Weg geht aufs Geratewohl und wäre zu Ende, wo ich jemand fände, der mir das Nötige gebe, um dies elende Leben zu fristen.«

»Versteht Ihr irgendein Gewerbe?« fragte der Große.

»Ich kann weiter nichts«, entgegnete der Kleinere, »als laufen wie ein Hase und springen wie eine Gemse; auch schneid‘ ich sehr fein mit der Schere.«

»Das ist alles gut, nützlich und ersprießlich,« sagte der Große; »denn mancher Küster wird Euch die Spende vom Allerheiligenfeste geben, damit Ihr ihm für den grünen Donnerstag die Papierzieraten für das Leichengerüst ausschneidet.«

»Mein Schneiden ist nicht von der Art,« versetzte der Kleine, »sondern mein Vater ist durch Gottes Barmherzigkeit Kleider- und Strumpfschneider und hat mich unterwiesen, Überstrümpfe zuzuschneiden, die man, wie Euch bekannt sein wird, über die Schuhe zieht und die gewöhnlich Gamaschen heißen. Ich schneide sie so gut zu, daß ich fürwahr mein Meisterstück liefern könnte, wenn mich nicht das Unglück niederhielte.«

»Das alles und noch mehr widerfährt den Guten«, versetzte der Große, »und ich habe mir immer sagen lassen, daß große Talente am wenigsten ihr Glück machen. Doch Ihr steht ja noch in den Jahren, wo Ihr Eure Lage verbessern könnt. Irr‘ ich mich indes nicht und sehen meine Augen recht, so besitzt Ihr noch andere geheime Gaben und wollt sie nicht kund werden lassen.«

»Die besitz‘ ich,« versetzte der Kleine, »doch läßt sich nicht vor den Leuten davon sprechen, wie Ihr sehr richtig bemerkt habt.«

»Nun, ich kann Euch versichern,« sagte der Große, »daß ich einer der verschwiegensten Burschen bin, die weit und breit zu finden sind; und damit Ihr Euch mir eröffnet und zu Eurem Vertrauten macht, will ich Euch zuvor mich entdecken; denn ich glaube, das Schicksal hat uns nicht von ungefähr zusammengeführt, und denke, wir sollen von heute an bis an unseren Tod die besten Freunde bleiben. Ich bin aus Fuenfrida gebürtig, Herr Junker, einem Orte, der durch die vornehmen Reisenden bekannt und berühmt ist, die beständig durchkommen. Mein Name ist Peter Winkel und mein Vater eine Standesperson, denn er ist beim heiligen Kreuzzuge als Ablaßkrämer angestellt. Ich half ihm eine Zeitlang bei seinem Geschäfte und lernte es dergestalt, daß mir es der Geschickteste im Ablaßverkauf nicht hätte zuvortun sollen. Doch weil ich eines Tages das Geld für die Bullen noch mehr liebte als die Bullen selbst, so umarmte ich einen Geldbeutel und begab mich damit nach Madrid, wo ich bei den Gelegenheiten, die man hier gewöhnlich findet, dem Beutel die Eingeweide nahm, so daß er runzlicher aussah als das Schnupftuch eines Bräutigams. Der Rechnungsführer kam hinter mir her; ich ward verhaftet, hatte wenig Gönner; doch aus Rücksicht auf meine jungen Jahre begnügten sich die Herren, mich an den Pranger zu stellen, mir den Buckel etwas ausstäupen zu lassen und mich auf vier Jahre aus der Hauptstadt zu verweisen. Ich faßte mich in Geduld, zog die Schultern ein, hielt die Strafe aus und eilte so sehr der mir auferlegten Entfernung an Madrid nachzukommen, daß mir keine Zeit blieb, mich nach einem Wagen oder Maultier umzutun. Von meinen Habseligkeiten nahm ich mit, was ich konnte und was ich für das Unentbehrlichste hielt und unter anderen auch diese Karten – hier zog er die erwähnten Karten aus dem Halskragen hervor –, mit denen ich mir in den Wirtshäusern und Kneipen von Madrid bis hierher meinen Unterhalt durch das Vingt-un-Spiel erworben habe. So schmutzig und mitgenommen sie aussehen, so haben sie doch für den Kenner die wundersame Eigenschaft, daß er jedesmal ein As abhebt, und wenn Ihr dies Spiel kennt, so seht Ihr, in welchem Vorteile derjenige steht, der gewiß weiß, daß die erste Karte ein As ist, das er als eins und als elf zählen kann: das verhilft oft zu einundzwanzig, und die Kasse steht sich gut dabei. Außerdem lernte ich von dem Koch eines gewissen Gesandten allerhand Kunstgriffe in Quinola und Pharao, die man den Rummel zu nennen pflegt. Wie Ihr darum im Zuschneiden der Gamaschen Euch examinieren lassen könnt, so kann ich auf die Meisterschaft in der Gaunerkunst Anspruch machen. Das sichert mich vor dem Hungertode; denn wenn ich auch nur in ein Gehöft komme, so findet sich immer jemand, der sich die Zeit mit einem Spielchen vertreiben will. Und damit wollen wir beide gleich den Versuch machen, indem wir unser Garn stellen, ob einer von den Fuhrleuten hier der Vogel ist, der hineingerät. Ich meine, wir wollen zusammen Vingt-un spielen, als ging es um Geld und wenn einer der dritte Mann sein will, so soll er der erste sein, der sein Geld daläßt.«

»In Gottes Namen«, versetzte der andere. »Ich bin Euch sehr verbunden für die Mitteilung Eurer Lebensumstände, wodurch Ihr mir die Verbindlichkeit auferlegt habt, Euch die meinigen nicht zu verhehlen, welche, mich kürzer zu fassen, folgende sind: Ich bin aus Pedroso gebürtig, einem Orte zwischen Salamanca und Medina del Gampo. Mein Vater ist Schneider und hat mich in seinem Handwerke unterwiesen. Bei meinem guten Kopfe ging ich vom Kleider- zum Beutelschneiden über. Das eingeschränkte Dorfleben und die lieblose Behandlung meiner Stiefmutter ward mir lästig. Ich verließ mein Dorf, begab mich nach Toledo, um meinem Gewerbe nachzugehen und tat Wunder darin; denn kein noch so verschleiertes Reliquienkästchen, keine noch so versteckte Tasche gibt es, die meine Wünsche nicht ausspüren und meine Schere nicht erreichen sollte, und wenn Argusaugen sie bewachten. In den vier Monaten, die ich in dieser Stadt zubrachte, ward ich nie in einer Tür ergriffen, noch von Häschern überrascht und in Verlegenheit gebracht, noch von einem Ohrenbläser angegeben; doch, die Wahrheit zu sagen, vor acht Tagen setzte ein durchtriebener Spion den Corregidor von meiner Geschicklichkeit in Kenntnis, der von meinem Talente eingenommen wurde und mich zu sehen wünschte. Doch weil ich aus Demut nicht mit so großen Herren umgehen mag, so war ich darauf bedacht, nicht mit ihm zusammen zu kommen und verließ deshalb die Stadt so eilig, daß ich keine Zeit behielt, mich nach einem Maultiere, nach Geld, einer Retourkutsche oder doch wenigstens nach einem Karren umzutun.«

»Ich weiß genug,« sagte Winkel, »und weil wir uns nun kennen, so ist alles Prahlen und Großsprechen ohne Zweck; gestehen wir einander unverhohlen, daß wir keinen Heller, ja nicht einmal Schuhe haben.«

»So sei es«, entgegnete Dietrich Schneider – so hieß der Jüngere, wie er sagte –; »und da unsere Freundschaft dauernd sein soll, wie Ihr gesagt habt, Herr Winkel, so wollen wir sie mit heiligen und löblichen Bräuchen eröffnen.«

Mit diesen Worten stand Dietrich Schneider auf und umarmte Winkeln und Winkel wieder ihn mit inniger Zärtlichkeit. Dann schritten sie sogleich zum Vingt-un mit den besagten Karten, von denen sie wohl Staub und Spreu, aber nicht Fett und Betrug abwischten, und in wenig Spielen hob Schneider das As ebensogut ab als sein Meister Winkel.

Indem kam ein Fuhrmann heraus, um unter dem Wetterdach sich abzukühlen und wünschte, den dritten Mann beim Spiele abzugeben. Sie nahmen ihn recht gern an und in weniger als einer halben Stunde gewannen sie ihm zwölf Realen und zweiundzwanzig Maravedis ab, was ebensoviel Dolchstiche für ihn waren. Der Fuhrmann, der nicht glaubte, daß so junge Leute sich zur Wehr setzen würden, wollte ihnen das Geld abnehmen; doch der eine griff nach seinem Hirschfänger und der andere nach seinem Hirtenmesser und machten ihm soviel zu schaffen, daß es ohne Zweifel sehr übel für ihn abgelaufen sein würde, wofern nicht seine Kameraden herausgekommen wären.

Zufällig kam gerade ein Trupp Reisender zu Pferde vorbei, welche in der Schenke des Alcalden, eine halbe Meile davon, Siesta halten wollten. Wie sie den Fuhrmann und die beiden Burschen im Streite begriffen sahen, machten sie die Friedensstifter und sagten den Burschen, wenn sie etwa nach Sevilla wollten, so sollten sie mit ihnen gehen.

»Dahin wollen wir eben«, sagte Winkel, »und werden den gnädigen Herrn in allem dienen, was sie uns heißen.«

Und ohne weiteres sprangen sie vor den Maultieren her und gingen mit den Reitern davon, während der Fuhrmann voller Ärger und Verdruß zurückblieb und die Wirtin sich über den Verstand der Schelme wunderte, deren Gespräch sie behorcht hatte. Wie sie dem Fuhrmanne erzählte, sie habe von ihnen gehört, daß sie falsche Karten bei sich führten, raufte er sich den Bart aus und wäre ihnen gern bis in die nächste Schenke nachgelaufen, um wieder zu seinem Gelde zu kommen; denn er meinte, es sei doch Schimpf und Schande, daß ein Paar Kinder einen so alten Kerl wie ihn sollten angeführt haben. Seine Kameraden hielten ihn indes zurück und rieten ihm, nicht zu gehen, sei’s auch nur, damit er nicht sein Ungeschick und seine Einfalt unter die Leute brächte. Kurz, sie beredeten ihn, zu bleiben, ob sie ihm gleich seinen Ärger nicht ausreden konnten.

Schneider und Winkel waren inzwischen so dienstfertig gegen die Reisenden, daß diese sie den größten Teil des Weges hinter sich aufsitzen ließen, und ob sich gleich einige Male Gelegenheit darbot, auf die Mantelsäcke ihrer Herren einen Versuch zu wagen, so benutzten sie sie doch nicht, um nicht eine so gute Gelegenheit nach Sevilla zu verlieren, wohin sie sich sehr sehnten. Wie man indes um Vesperzeit bei der Stadt anlangte und wegen der Visitation und des Zolles das Zolltor passierte, konnte Schneider sich doch nicht enthalten, den Mantelsack eines zur Reisegesellschaft gehörigen Franzosen aufzuschneiden. Er brachte dem Mantelsack eine so tiefe und breite Wunde bei, daß seine Eingeweide völlig zum Vorschein kamen und zog auf eine geschickte Art ein Paar gute Hemden, eine Sonnenuhr und ein Schreibbuch heraus; Sachen, die ihnen bei näherer Besichtigung eben keine große Freude machten. Sie dachten, da der Franzose einmal einen Mantelsack führe, so müsse derselbe nicht bloß solche Kleinigkeiten enthalten und waren Willens, einen zweiten Angriff darauf zu versuchen; doch unterließen sie es, weil sie besorgten, man habe das Gestohlene vermißt und das übrige in bessere Verwahrung gebracht.

Ehe sie den Diebstahl begingen, hatten sie bereits von denen, die sie bisher freigehalten hatten, Abschied genommen. Den anderen Tag verkauften sie die Hemden auf dem elenden Trödelmarkte vor dem Sandtore und lösten zwanzig Realen daraus. Dann sahen sie sich in der Stadt um und bewunderten die Größe und Pracht der Hauptkirche und das Menschengewühl am Ufer des Flusses; denn es war gerade zur Zeit, wo man die Flotte belud. Darunter waren auch sechs Galeeren, deren Anblick ihnen einen Seufzer auspreßte und sie mit Bangigkeit an den Tag denken ließ, wo ihre Vergehen sie für Lebenszeit darauf bringen würden. Sie sahen mehrere Jungen mit Marktkörben hier auf- und abgehen und erkundigten sich bei einem derselben, was das für ein Gewerbe sei, ob es viel Arbeit mit sich führe und was es eintrage.

Ein asturischer Junge, an den sie diese Frage richteten, gab ihnen zur Antwort, es sei ein ganz gemächliches Geschäft ohne Gewerbesteuer und habe ihm manchen Tag fünf und sechs Realen eingetragen; er esse, trinke und prasse wie ein König, ohne daß er sich nach einem Herrn umzutun brauche, der Bürgschaft verlange und ohne im Essen an eine bestimmte Stunde gebunden zu sein, denn er finde es jederzeit in der geringsten Garküche, deren es soviele und vorzügliche hier gäbe.

Den beiden Freunden gefiel die Beschreibung des kleinen Asturiers so wenig übel, wie sein Gewerbe, das ihnen wie gerufen zu kommen schien, um das ihrige sicher und versteckt treiben zu können, weil es ihnen Gelegenheit verschaffte, in alle Häuser zu kommen. Sie beschlossen daher augenblicklich, sich die nötigen Gerätschaften dazu anzuschaffen, weil sie es ohne abgelegtes Meisterstück treiben durften, und fragten den Asturier, was sie sich zu kaufen hätten. »Jeder«, erwiderte er, »ein reines, neues Säckchen und drei Handkörbe, zwei große und einen kleinen, worein das Fleisch, die Fische und die Früchte verteilt werden, und in das Säckchen kommt das Brot.«

Er führte sie hierauf hin, wo diese Sachen feil waren, und sie kauften sich alles für das Geld, das sie aus der Beute von dem Franzosen gelöst hatten. Innerhalb zweier Stunden waren sie schon wie Meister in ihrem neuen Geschäfte, so gut nahmen sie sich mit den Körben und Säcken aus. Ihr Führer machte sie mit den Plätzen bekannt, wo sie sich einzufinden hätten: des Morgens nämlich bei den Fleischbänken und auf dem San Salvadorplatze, die Fasttage auf dem Fischmarkte und der Costanilla, jeden Abend beim Flusse und Donnerstags auf dem Markte.

Diesen Unterricht prägten sie sich wohl ein und waren am anderen Morgen bei guter Zeit auf dem San Salvadorplatze. Kaum waren sie hier angelangt, als sie von ihren Kameraden, die an dem Glanze der Körbe und Säckchen sahen, daß sie das erstemal hier waren, umringt wurden. Man tat tausenderlei Fragen an sie, auf die sie lauter kluge und gewandte Antworten erteilten. Indem kamen ein Kandidat und ein Offizier an und, angelockt durch die Sauberkeit der Körbe, rief der erstere Schneidern und der andere Winkeln.

»In Gottes Namen«, sagten beide.

»Glück zum Anfang meines Gewerbes,« sagte Winkel, »Eure Gnaden geben mir das Handgeld.«

»Das wird nicht schlecht ausfallen,« sagte der Offizier, »denn ich komme vom Gewinnen und bin verliebt und will heute einigen Freundinnen meiner Geliebten einen Schmaus geben.«

»Ladet mir nur auf nach Eurem Belieben,« sagte Winkel, »denn ich habe Mut und Kraft, den ganzen Markt abzuräumen, und wenn meine Hilfe bei der Zurichtung nötig wäre, so ständ‘ ich gern zu Diensten.«

Dem Offizier gefiel die Laune des Burschen und er sagte zu ihm, wenn er Lust hätte, in Dienste zu treten, so wolle er ihn von diesem niederen Geschäfte erlösen.

Winkel versetzte darauf, weil es der erste Tag sei, an dem er’s treibe, so wolle er’s nicht so schnell wieder aufgeben, sondern es wenigstens erst von seiner guten und bösen Seite kennenlernen. Doch wenn es ihm nicht gefalle, so gebe er ihm sein Wort, eher bei ihm als bei einem Domherren zu dienen.

Der Offizier lachte, belud ihn tüchtig und zeigte ihm das Haus seiner Dame, damit er es künftig ohne ihn finden könnte. Winkel versprach, ehrlich und gut sich aufzuführen, empfing vom Offizier drei Viertelrealen und war in einem Nu wieder auf dem Markte, um keine Gelegenheit zu versäumen; denn auch darauf hatte sie der Asturier aufmerksam gemacht und ihnen zugleich gesagt, wenn sie kleine Fische als Gründlinge, Sardellen oder Schollen zu tragen hätten, so könnten sie immerhin einige nehmen, doch müsse das mit aller Klugheit und Vorsicht geschehen, um nicht das Zutrauen zu verscherzen, worauf es bei ihrem Geschäfte vorzüglich ankomme.

So schnell auch Winkel zurückkehrte, so fand er doch bereits Schneidern auf seinem vorigen Posten. Er kam auf Winkeln zu und fragte, wie es ihm gegangen sei. Winkel öffnete die Hand und zeigte ihm die drei Viertelrealen. Schneider griff in den Busen und zog ein Geldbörschen hervor, das vor Zeiten goldgelb gewesen zu sein schien und ziemlich angefüllt war. »Damit«, sprach er, »und mit zwei Viertelrealen obendrein hat mich Seine Würden der Student abgesoldet. Nehmt die Börse an Euch, Winkel, man weiß nicht, was sich zutragen kann.«

Kaum hatte er ihm das Beutelchen heimlich zugesteckt, als der Student schwitzend und in Todesängsten zurückgelaufen kam und Schneidern, wie er seiner ansichtig ward, fragte, ob ihm etwa eine Börse mit den und den Kennzeichen zu Gesicht gekommen sei, die er vermisse mit fünfzehn Stück Goldgulden, drei halben Gulden und ebensoviel Maravedis in Quartos und Oktaven. Er möge ihm doch sagen, ob sie ihm sei entwendet worden, wie er mit ihm beim Einkaufe herumgegangen sei. Mit der größten Verstellung und ohne im geringsten verlegen auszusehen oder nur die Miene zu verziehen, versetzte Schneider: »Was ich Euch über diese Börse sagen kann, ist, daß sie nicht verloren sein kann, wofern Ihr sie nicht schlecht verwahrt habt.«

»Das ist es eben, Gott verzeih‘ mir meine Sünden,« versetzte der Student, »ich muß sie schlecht aufgehoben haben, weil man sie mir gestohlen hat.«

»Eben das sag‘ ich auch,« versetzte Schneider; »doch für alles gibt es ja Mittel, den Tod ausgenommen, und das erste und vorzüglichste, das ich Eurer Würden empfehlen kann, ist, Geduld zu haben: denn Gott hat uns arm geschaffen und ein Tag kommt nach dem anderen; einmal gibt, das andere Mal nimmt man. Vielleicht bereut es derjenige mit der Zeit, der Euch die Börse genommen hat, und gibt sie Euch gefüllter zurück.«

»Die Zugabe wollt‘ ich ihm gern erlassen«, versetzte der Student.

»Überdem«, fuhr Schneider fort, »gibt es ja Bannbullen, Bannflüche und unverdrossene Betriebsamkeit, die die Mutter des Glücks ist. Doch ich möchte wahrlich nicht die Börse genommen haben; denn wenn Ew. Würden Priester ist, so dächt‘ ich eine große Blutschande oder Kirchenraub begangen zu haben.«

»Wie sollt‘ es nicht Kirchenraub sein?« sagte der traurige Student; »denn ob ich gleich nicht Priester bin, sondern Küster bei einem Nonnenkloster, so gehörte doch das Geld in der Börse zu dem Tertial einer Pfarre und ich hatte es für einen Priester, der mein Freund ist, eingenommen; es ist sonach heiliges und geweihtes Geld.«

»Nun, der Dieb esse aus, was er eingebrockt hat,« sagte Winkel jetzt, »ich mag nicht mit ihm teilen. Es kommt ein Tag des Gerichtes, wo alles vergolten wird und dann wird man sehen, wer der Galgenstrick und Wagehals gewesen ist, der sich unterstanden hat, das Tertial einer Pfarre anzugreifen, zu bestehlen und zu verkümmern. Aber sagt mir doch, wenn ich Euch bitten darf, was trägt denn die Pfarre jährlich ein, Herr Küster?«

»Den Teufel trägt sie ein,« sagte der Küster ganz entrüstet; »hab‘ ich jetzt Zeit, Euch auf solche Fragen zu antworten? Sagt mir, Freund, ob Ihr etwas von der Börse wißt, sonst gehabt Euch wohl, denn ich will sie ausrufen lassen.«

»Das Mittel scheint mir nicht übel zu sein«, sagte Schneider. »Doch habt wohl acht, daß Ihr die Kennzeichen der Börse nicht vergeßt noch das Geld, das drinnen war; denn wenn Ihr Euch nur um einen Heller irrt, so bekommt Ihr sie Euer Lebtage nicht wieder zu Gesichte, das sag‘ ich Euch voraus.«

»Das ist nicht zu besorgen,« versetzte der Küster, »denn ich habe es besser im Gedächtnisse als das Läuten der Glocken und werde mich nicht um einen Heller irren.«

Indem zog er ein mit Spitzen besetztes Schnupftuch aus der Tasche, um sich den Schweiß abzuwischen, der ihm vom Gesicht herabfloß wie aus einem Destillierkolben. Kaum hatte es Schneider gesehen, als er es für sich ausersah, und wie der Küster fort war, ihm nachging und ihn auf den Stufen einholte. Hier rief er ihn beiseite und schwatzte ihm soviel albernes Zeug vor über die Entwendung und Wiedererlangung seiner Börse, indem er ihm allerhand Hoffnungen machte, ohne eine einzige Rede zu Ende zu bringen, daß der arme Küster ihm ganz verwirrt zuhörte und sich manches zwei- oder dreimal wiederholen ließ, weil er nicht wußte, was er hatte sagen wollen. Schneider sah ihm aufmerksam ins Gesicht und verwandte kein Auge von den seinen. Der Kirchner starrte ihn ebenso an, schien ihm jedes Wort am Munde absehen zu wollen. Dieses Hinstarren gab Schneidern Gelegenheit, seinen Streich auszuführen und unvermerkt zog er ihm das Tuch aus der Tasche und sagte noch beim Abschiede zu ihm, er möge nicht versäumen, ihn abends hier wieder zu treffen, denn er habe einen diebischen Jungen von seinem Gewerbe und seiner Größe als Dieb der Börse auf dem Korne und er mache sich anheischig, es über kurz oder lang auszumitteln.

Damit tröstete sich der Küster etwas und nahm von Schneidern Abschied, der zu Winkeln ging, welcher nicht weit davon alles mit angesehen hatte. Etwas entfernter stand ein anderer Marktjunge, der ebenfalls alles gesehen hatte, was vorgefallen war und wie Schneider Winkeln das Schnupftuch gab. Dieser trat zu ihnen und fragte sie: »Sagt mir, meine schönen Herren, geht ihr ins Dorf1 oder nicht?«

»Das verstehen wir nicht, mein schöner Herr«, versetzte Winkel.

»So, ihr verkneißt’s nicht, meine Herren Jammakener?« fragte der andere wieder.

»Wir sind weder aus Theben, noch aus Jamaica,« entgegnete Schneider; »will der Herr sonst etwas, so sag‘ Er’s, sonst geh‘ Er in Gottes Namen.«

»Ihr versteht’s nicht?« versetzte der Bursche, »nun, so will ich’s euch erklären und mit einem silbernen Löffel eingeben: ich meine, ob ihr Spitzbuben seid, meine Herren? Doch ich weiß nicht, weshalb ich darnach frage, da mir ja bekannt ist, daß ihr’s seid. Aber sagt mir doch, warum ihr nicht auf den Packhof des Herrn Einbein gegangen seid?«

»Entrichten denn hierzulande die Spitzbuben auf ihr Gewerbe Zoll, mein schöner Herr?« fragte Winkel.

»Wenn auch das nicht,« gab der andere zur Antwort, »so werden sie doch bei Herrn Einbein eingetragen, denn er ist ihr Vater, Meister und Beschützer. Ich rat‘ Euch daher, mit mir zu kommen, um ihm eure Aufwartung zu machen, oder sonst untersteht euch nicht, ohne seine Losung zu stehlen, wenn es euch nicht teuer zu stehen kommen soll.«

»Ich dachte,« sagte Schneider, »das Stehlen wäre ein freies Gewerbe, ohne Zins und Zoll, und wenn man zahle, so gescheh‘ es ein für allemal mit dem Halse oder dem Buckel. Doch da dem so ist und jeder Ort seine Gebräuche hat, so wollen wir uns auch in die hierzulande üblichen fügen; denn da wir an dem vornehmsten Orte in der Welt sind, so werden hier wohl auch die zweckmäßigsten Gebräuche sein. Ihr könnt uns daher zu dem Kavalier führen, von dem Ihr sprecht; denn nach dem, was ich eben von ihm gehört habe, vermut‘ ich, daß er sehr geschickt, ausgezeichnet und wohlbewandert in dem Fache ist.«

»Jawohl ist er sehr geschickt, erfahren und tüchtig,« versetzte der andere, »so daß in den vier Jahren, wo er unser Vater und Oberhaupt ist, bloß vier an den Wispel gekommen sind, ungefähr dreißig Speck und Blaukohl bekommen haben und zweiundsechzig auf die Floschen geschickt worden sind.«

»In Wahrheit, mein Herr,« sagte Winkel, »diese Wörter verstehen wir ebenso wie das Fliegen.«

»Wir wollen uns nur auf den Weg machen,« versetzte der andere, »und unterwegs will ich sie euch schon erklären, nebst einigen anderen, deren Kenntnis euch ebenso unentbehrlich ist als das Brot, das dem Maule geboten wird.« Und so erklärte er ihnen im Laufe des Gesprächs, das nicht kurz war – denn ihr Weg war lang –, diese und noch andere Ausdrücke der Diebessprache, die man gewöhnlich Rotwelsch nennt. Winkel fragte seinen Führer, ob er auch etwa ein Spitzbube sei.

»Ja,« antwortete dieser, »Gott und guten Leuten zu dienen; doch keiner von den ausgelernten, denn ich stehe noch in meinem Lehrjahre.«

»Das ist etwas Neues für mich,« versetzte Schneider, »daß es Spitzbuben in der Welt gibt, Gott und guten Leuten zu dienen.«

»Herr, ich kümmere mich nicht um Theologie,« entgegnete der andere, »aber so viel weiß ich, daß jeder in seinem Berufe Gott preisen kann, zumal nach der Vorschrift, die Einbein allen seinen Leuten gegeben hat.«

»Ohne Zweifel muß diese gut und heilig sein,« sagte Winkel, »da sie bewirkt, daß die Spitzbuben Gott dienen.«

»Sie ist so heilig und gut,« versetzte der andere, »daß ich nicht weiß, ob es bei unserem Gewerbe eine bessere geben könne. Er hat angeordnet, daß wir von dem Gestohlenen eine Beisteuer oder ein Almosen zum Öl für die Lampe eines hochverehrten Heiligenbildes in dieser Stadt geben, und wir haben fürwahr große Wirkungen von diesem guten Werke verspürt; denn in diesen Tagen erhielt ein Sußrackeler, der ein paar Borkchen geschuppt hatte, drei Zwicke auf der Inne, und ob er gleich entkräftet war und das viertägige Fieber hatte, so ertrug er sie doch, ohne zu pfeifen, als wär‘ es nichts. Wir Zunftgenossen messen dies seiner Frömmigkeit bei; denn aus eigener Kraft hätte er nicht den ersten Zwick des Talgers aushalten können. Und weil ihr einige Ausdrücke, die ich gebraucht habe, werdet erklärt haben wollen, so will ich mein Gewissen verwahren und sie erklären, eh‘ ihr mich darum befragt. Wißt denn, Sußrackeler bedeutet einen Pferdedieb, Inne die Folter, Borkchen, mit Ehren zu melden, Eselchen; der erste Zwick des Talgers ist der Daumenstock. Wir tun noch mehr: denn wir beten unseren Rosenkranz jeden Tag in der Woche, und viele von unseren Leuten stehlen Freitags nicht und gehen Sonnabends mit keinem Weibsbilde um, das Maria heißt.«

»Das alles scheint mir sehr angemessen zu sein,« sagte Schneider; »doch sagt mir, gibt es außerdem bei Euch noch Heiligenabgaben und Bußen?«

»Von andern Abgaben kann nicht die Rede sein,« versetzte der andere, »denn das ist eine Unmöglichkeit wegen der vielen Teile, in die das Gestohlene geht, da jeder von den Dienern und Gesellen den seinigen bekommt; folglich kann der erste Dieb nichts mehr abgeben. Außerdem macht es uns auch niemand zur Pflicht, da wir nie beichten, und wenn man Bannbriefe gegen uns ausfertigt, so kommen sie nie zu unserer Kenntnis, weil wir nie in die Kirche gehen, wann sie verlesen werden, außer an Jubelfesten, wo wir uns bei dem großen Zusammenflusse von Menschen einen Vorteil machen können.«

»Und schon um deswillen haltet Ihr Herren Euren Lebenswandel für fromm und gut?« sagte Schneider.

»Nun, was ist denn daran auszusetzen?« versetzte der andere. »Ist es nicht weit schlimmer, ein Ketzer oder ein Renegat zu sein, Vater und Mutter ums Leben zu bringen oder ein Solomit zu sein?«

»Sodomit wollt Ihr sagen«, sprach Winkel.

»Ja, das mein‘ ich«, entgegnete der andere.

»Das alles ist schlimm,« versetzte Schneider; »doch da das Schicksal gewollt hat, daß wir in diese Brüderschaft treten, so schreitet rasch vorwärts, denn ich sterbe vor Verlangen, mit dem Herrn Einbein zusammenzukommen, von dem ich soviel Vorteilhaftes gehört habe.«

»Euer Wunsch wird gleich erfüllt werden,« sagte der andere, »denn man sieht schon von hier aus seine Wohnung; wartet einstweilen vor der Tür, bis ich hineingehe und sehe, ob er geschäftslos ist: denn das sind die Stunden, wo er Audienz zu geben pflegt.«

»Gut«, versetzte Winkel und ihr Führer, der etwas vorausgegangen war, ging in ein Haus von schlechtem Aussehen, während die beiden anderen vor der Tür warteten. Er kam gleich wieder heraus und ließ sie eintreten und in einer kleinen, mit Backsteinen ausgelegten Halle warten, die so sauber gehalten waren, daß sie wie der feinste Karmin aussahen. Auf der einen Seite stand eine Bank mit drei Füßen und auf der anderen ein Krug ohne Schneppe mit einem ebenso schadhaften Kännchen. Außerdem lag noch eine Binsenmatte da, und in der Mitte stand ein Blumenasch.

Die beiden Burschen betrachteten aufmerksam den Hausrat, eh‘ Herr Einbein herabkam, und weil er länger ausblieb, so hatte Winkel die Dreistigkeit, in eins von den beiden kleinen und niedrigen Zimmern zu gehen, die sich im Erdgeschoß befanden. Hier sah er ein Paar Fechtdegen und Tartschen von Kork, die an vier Nägeln hingen, ferner einen großen Kasten ohne Deckel und drei andere Binsenmatten auf den Erdboden ausgebreitet. An die Wand der Tür gegenüber war ein schlechtes Marienbild geklebt und weiter unten hing ein Körbchen und ein in die Wand eingefügtes weißes Becken, woraus Winkel schloß, daß jenes die Almosenbüchse und dieses den Weihkessel vorstellen sollte, und so verhielt sich’s auch.

Unterdessen kamen zwei junge Leute herein, ungefähr zwanzig Jahre alt und als Studenten gekleidet, und nicht lange nachher zwei Marktjungen und ein Blinder, die alle, ohne ein Wort zu reden, in der Halle auf- und abgingen. Es dauerte nicht lange, so kamen ein Paar Greise in Friesröcken und mit Brillen auf der Nase, wodurch sie ein ernstes, ehrwürdiges Ansehen bekamen. Jeder von ihnen hatte einen Rosenkranz mit klingenden Kügelchen in der Hand. Nach ihnen kam ein altes Weib mit langen Rockschößen, die, ohne etwas zusagen, in das Zimmer ging, sehr andächtig Weihwasser nahm und vor dem Bilde niederkniete. Erst nach einer guten Weile, nachdem sie zuvor dreimal den Erdboden geküßt und ebenso vielmal Augen und Arme gen Himmel gerichtet hatte, stand sie wieder auf, warf ihr Almosen in den Korb und begab sich zu den übrigen in die Halle.

Mit einem Worte, hier versammelten sich in kurzer Zeit gegen vierzehn Personen von allerlei Tracht und Hantierung. Zuletzt kamen auch ein paar muntere geputzte Burschen mit großen Knebelbärten, breiten Hüten, Walloner Halskragen, farbigen Strümpfen und Kniegürteln mit großen Schleifen. Sie hatten ungewöhnlich lange Degen, statt der Dolche Pistolen, und ihre Tartschen hingen an den Gürteln. Beim Hereintreten warfen sie einen befremdeten Blick auf Winkeln und Schneidern und fragten sie, ob sie zur Brüderschaft gehörten.

»Ja, zu dienen, meine Herren«, versetzte Winkel.

Jetzt war der Augenblick da, wo Herr Einbein herabkam, ebenso sehnlich erwartet als gern gesehen von der ganzen ehrenwerten Gesellschaft. Er schien ein Fünf- bis Sechsundvierziger zu sein, war von hohem Wuchse, braun von Gesichtsfarbe, mit zusammenlaufenden Augenbrauen, einem starken, schwarzen Barte und tiefliegenden Augen. Er ging im Hemde und zeigte durch den vorderen Schlitz einen Wald, so stark war seine Brust mit Haaren bewachsen. Ein Friesmantel ging ihm fast bis auf die Füße, an welchen er ausgetretene Schuhe trug. Seine Schenkel bedeckten weite, leinene Pumphosen, die bis an die Knöchel reichten. Sein Hut war glockenförmig und mit breiten Krempen. Über Schultern und Brust hing ihm ein Wehrgehänge mit einem kurzen, breiten Säbel. Seine Hände waren kurz und haarig, die Finger dick und die Nägel in das Fleisch gewachsen. Seine Schenkel sah man nicht, aber die Füße waren ungeheuer breit und schwielig. Kurz, er stellte den plumpesten und mißgestaltesten Kerl von der Welt dar.

Mit ihm kam der Führer der beiden Kameraden herunter, der sie jetzt bei der Hand nahm und dem Einbein vorstellte. »Das sind die beiden wackeren Burschen,« sagte er, »Herr Einbein, von denen ich Euch erzählt habe. Vexaminiert sie und Ihr sollt sehen, daß sie verdienen, in unseren Bund aufgenommen zu werden.«

»Das will ich sehr gern tun«, versetzte Einbein.

Ich habe vergessen zu erwähnen, daß, wie Einbein herunterkam, augenblicklich alle, die auf ihn gewartet hatten, ihm eine tiefe Verbeugung machten, bis auf die beiden Haudegen, die kaum an den Hut griffen und dann sogleich wieder auf- und abgingen.

Einbein schritt in der Halle umher und fragte jetzt die beiden Ankömmlinge nach ihrer Hantierung, ihren Eltern und ihrer Heimat.

»Unsere Hantierung«, versetzte Winkel, »ist schon ausgesprochen, da wir vor Euch erscheinen; auf den Namen unserer Heimat und Eltern kommt, dünkt mich, nicht viel an, da wir nicht in einen ehrenvollen Orden treten wollen, der diese Nachforschung erforderte.«

»Du hast recht, mein Sohn«, versetzte Einbein, »und es ist sehr ratsam, dergleichen Dinge zu verschweigen; denn wenn es nicht geht wie es soll, so ist es nicht gut, wenn unter dem Siegel des Notars oder im Fremdenbuche steht: N. N. der Sohn des und des, da und da zu Hause, ist den und den Tag gehangen oder gestäupt oder dergleichen mehr; wenigstens feine Ohren beleidigt es. Ich wiederhol’s darum, es ist eine nützliche Vorsicht, Heimat und Eltern geheim zu halten und seinen Namen zu vertauschen. Ob nun gleich unter uns nichts zu verheimlichen ist, so will ich doch für jetzt bloß Eure Namen wissen.«

Winkel sagte ihm den seinigen und Schneider auch.

»Nun so verlang‘ ich«, versetzte Einbein, »und es ist mein Wille, daß du, Winkel, dich künftig Winkler und du, Schneider, dich Schneidler nennst; denn diese Namen sind für euer Alter und unsere Verfassung wie gemacht. Zufolge derselben müssen wir auch die Namen von den Eltern unserer Mitbrüder wissen, weil es bei uns Brauch ist, jährlich gewisse Seelenmessen für unsere verstorbenen Wohltäter lesen zu lassen, wozu wir ein Stipendium von einem Teile des Geschuppten erheben, um dem, der sie liest, ein Almosen zu reichen. Diese Messen sollen, wenn sie gehörig gelesen und bezahlt werden, solchen Seelen zur besonderen Rekondemnation gereichen.

Zu unseren Wohltätern gehört der Anwalt, der uns verteidigt; der Wetsch, der uns Nachricht gibt; der Henker, der Mitleid mit uns hat; ferner derjenige, welcher, wenn einer von uns auf der Straße ausreißt und die Leute hinterher rufen: ›Ein Spitzbube! Halt’t auf! Halt’t auf!‹ sich ins Mittel schlägt, dem Strome der Verfolger in den Weg tritt und zu ihnen sagt: ›Laßt den armen Teufel: er ist unglücklich genug; sein Gewissen strafe ihn.‹ Unsere Wohltäterinnen sind auch die hilfreichen Frauen, die uns in dem Kettchen wie vor dem Mischbet mit ihrem sauer verdienten Schweiße unterstützen; desgleichen die Eltern, die uns auf die Welt gesetzt haben; ferner der Notarius, der es gut mit uns meint, so daß kein Frevel für ein Verbrechen gilt und kein Verbrechen schwer bestraft wird. Für alle diese, die ich genannt habe, hält unsere Brüderschaft jährlich ihr Adversarium mit möglichstem Popp und Solität.«

»Gewiß,« sagte Winkler, dem dieser Name bereits beigelegt war, »das ist ein Werk, würdig des hohen und tiefsinnigen Geistes, der uns an Euch gerühmt worden ist, Herr Einbein. Doch unsere Eltern sind noch am Leben, und sollten sie vor uns sterben, so wollen wir dieser glücklichen und angesehenen Brüderschaft sogleich Nachricht davon geben, damit für ihre Seelen diese Rekondemnation oder dieses Adversarium, wovon Ihr gesprochen habt, mit der gewöhnlichen Solennität und Pomp begangen werde; wenn es nicht besser mit Solität und Popp geschieht, wie Ihr so richtig Euch ausgedrückt habt.«

»Das soll geschehen oder ich will kein ganzes Glied behalten«, sagte Einbein und rief ihren Führer zu sich. »He, Kuppelmann,« sprach er zu ihm, »sind die Wachen ausgestellt?«

»Ja,« versetzte der Führer, »drei Wachen stehen auf der Lauer, und wir haben keinen Überfall zu besorgen.«

»Um nun wieder auf unsere Sache zukommen,« sprach Einbein, »so möcht‘ ich doch wissen, was ihr versteht, meine Söhne, um euch ein Geschäft und einen Wirkungskreis anweisen zu können, wie er eurer Neigung und Geschicklichkeit angemessen wäre.«

»Ich bin kein ganz schlechter Freischupper und Fallenmacher; die Briefe kenn‘ ich von weitem. Ich kann die Johnen mischen und abheben, die Volte schlagen, den Rummel erstehen, und den geschicktesten Ratscher anführen, er mag sich vorsehen, wie er will.«

»Das ist ein Anfang,« sagte Einbein; »doch das sind alles so alte und verbrauchte Künste, daß sie jeder Anfänger versteht und daß sie nur bei solchen Schoden anwendbar sind, die sich am hellen lichten Tage über den Löffel barbieren lassen. Doch die Zeit wird hingehen und wir wollen uns dann wieder sprechen; denn wenn auf diese Grundlage ein halbes Dutzend Lehrstunden gesetzt werden, so hoffe ich zu Gott, Ihr sollt ein berühmter Gleicher, wo nicht gar Erlat werden.«

»Alles Euch und den Herren Mitbrüdern zu dienen«, versetzte Winkler.

»Und du, Schneidler, was verstehst du denn?« fragte Einbein.

»Ich verstehe mit der Schere2 umzugehen oder die Kunst, die man Zwei hinein und Fünf heraus nennt, und weiß jede Tasche sehr genau und behend zu untersuchen.«

»Verstehst du sonst noch etwas?« fragte Einbein.

»Nein, Gott verzeih‘ mir meine Sünden«, erwiderte Schneidler.

»Mach‘ dir darüber keinen Kummer, mein Sohn,« versetzte Einbein, »denn du bist in einen Hafen und in eine Schule gekommen, wo du nicht bloß vor dem Versinken gesichert bist, sondern auch in allem, was dir von Nutzen sein kann, die besten Fortschritte machen wirst. Aber was den Mut betrifft, wie steht’s da mit euch, meine Söhne?«

»Wie soll’s da anders als sehr gut stehen?« versetzte Winkler. »Wir haben Mut, alles zu wagen, was in unser Fach und Gewerbe schlägt.«

»Das ist wohl gut,« sagte Einbein; »aber ich wollte, ihr hättet auch Mut, ein halbes Dutzend Zwicke auf der Inne auszuhalten, ohne die Lippen aufzutun oder das Maul zu verziehen.«

»Wir wissen schon, Herr Einbein,« sagte Schneidler, »was Inne sagen will und wir haben zu allem Herz; denn wir sind nicht so unerfahren, daß wir nicht wissen sollten, daß die Gurgel bezahlt, was die Zunge schwatzt, und der Himmel erzeigt dem Waghals – um ihm keinen anderen Namen zu geben – eine große Gnade, daß er Leben und Tod auf seine Zunge legt; gleich als hätte ein Nein mehr Silben denn ein Ja.«

»Halt!« rief jetzt Einbein; »mehr braucht’s nicht. Ich erkläre, daß dies eine Wort mich überführt, verpflichtet, überzeugt und zwingt, euch unter die Gleicher aufzunehmen und das Lehrjahr nachzulassen.«

»Ich bin derselben Meinung«, erklärte einer von den beiden Haudegen, und alle Anwesenden, die das Gespräch mit angehört hatten, pflichteten ihm bei und baten Einbein, sie sogleich in den Genuß aller Gerechtsame ihrer Verbrüderung zu setzen, weil ihr einnehmendes Äußere und ihre Reden es alles verdienten.

Einbein antwortete, um dem allgemeinen Wunsche nachzukommen, räume er beiden von Stund‘ an die Gerechtsame ein. Er machte Winklern und Schneidlern zugleich darauf aufmerksam, wie hoch sie diese Begünstigung anzuschlagen hätten; denn sie brauchten nicht die Hälfte von ihrem Anteile an dem ersten Diebstahle zu entrichten, den sie ausführten, noch sich ein Jahr lang den niederen Diensten zu unterziehen, nämlich den Gesellen im Gefängnisse oder in ihrem Hause Botschaft zu bringen. Sie dürften kauschern Judel basen und wann, wie und wo sie wollten, eine Schmauserei anstellen, ohne von ihrem Obern Erlaubnis einzuholen; ebenso erhielten sie gleich von jetzt an wie jeder ältere Bruder ihren Anteil an der Beute, vieles andere nicht zu erwähnen, was sie alles als eine außerordentliche Begünstigung aufnahmen und wozu die anderen ihre Zustimmung in sehr verbindlichen Ausdrücken erteilten.

Indem kam ein Knabe ganz atemlos hereingestürzt und meldete, der Häscher komme gerade auf das Haus zu, doch führe er keine Iltisse bei sich.

»Niemand gerate darüber in Bestürzung,« sagte Einbein, »denn er ist unser Freund und kommt nie zu unserem Schaden. Bleibt ruhig sitzen; ich will hinausgehen und mit ihm sprechen.«

Alle erholten sich wieder von ihrer Bestürzung, und Einbein ging vor die Türe, wo er den Häscher fand und eine Weile mit ihm sprach. Dann ging er wieder hinein und fragte: »Wer hat heute den San Salvadorplatz gehabt?«

»Ich«, versetzte Kuppelmann.

»Warum ist denn noch kein gelbes Börschen zum Vorschein gekommen,« sagte Einbein, »das heute Morgen in diesem Bezirke mit fünfzehn Goldgulden, zwei halben Gulden und ich weiß nicht wieviel Quartos weggekommen ist?«

»Es ist wahr,« sagte Kuppelmann, »diese Börse wurde heute vermißt; doch ich habe sie nicht genommen, noch kann ich mir vorstellen, wer es getan haben soll.«

»Ich lasse mir kein Blendwerk vormachen,« versetzte Einbein, »die Börse muß zum Vorschein kommen, denn der Häscher verlangt sie, unser Freund, der uns das Jahr über tausend Gefälligkeiten erzeigt.«

Der Bursche schwur von neuem, er wisse nichts darum und Einbein geriet dergestalt in Zorn, daß seine Augen Feuerflammen zu sprühen schienen. »Niemand«, rief er, »treibe Possen mit dem geringsten unserer Gesetze oder es soll ihm das Leben kosten. Das Fuchsnetz muß heraus, und wenn es jemand verheimlicht, um nicht die Gebühren zu zahlen, so will ich ihm seinen Anteil unverkürzt geben und das übrige aus meinen Mitteln dazutun, denn der Häscher muß durchaus befriedigt werden.«

Kuppelmann begann abermals zu schwören und sich zu verfluchen und sagte, er habe die Börse weder genommen noch mit Augen gesehen. Hierdurch geriet Einbein noch mehr in Wut und die ganze Bande in Aufruhr, wie sie sahen, daß ihre Statuten und schönen Gesetze gebrochen wurden.

Wie Winkler diesen großen Lärm und Zwiespalt bemerkte, hielt er’s für ratsam, ihn beizulegen und seinem Obern, der vor Wut bersten wollte, sich gefällig zu zeigen. Er beriet sich darum mit seinem Freunde Schneidler und nach gemeinschaftlichem Beschlusse zog er die Börse des Küsters hervor und sagte: »Aller Streit hab‘ ein Ende, meine Herren, hier ist die Börse mit dem Inhalte, den der Häscher angegeben hat. Mein Kamerad Schneidler hat sie heute erwischt und ihrem Herrn noch obendrein ein Schnupftuch abgenommen.«

Schneidler zog das Tuch hervor und zeigte es.

»Schneidler der Gute,« sprach Einbein, – »denn diesen Beinamen soll er in Zukunft führen – behält das Tuch, und für diesen Dienst bleib‘ ich sein Schuldner. Die Börse soll der Häscher bekommen, denn sie gehört einem Küster, der mit ihm verwandt ist, und man muß das Sprichwort befolgen: Wer dir ein ganzes Huhn gibt, dem gib ein Beinchen davon. Dieser gute Häscher übersieht in einem Tage mehr als wir ihm in hundert anderen vergelten können.«

Alle gaben einstimmig dem Edelmute der beiden neuen Kameraden und dem Ausspruche ihres Oberhauptes ihren Beifall und dieser ging hinaus, dem Häscher die Börse zuzustellen. Schneidler behielt den Beinamen des Guten, wie Don Alonso Perez de Guzman der Gute, der das Messer über die Mauern von Tarifa warf, um seinem Sohne damit den Hals abzuschneiden.

Wie Einbein zurückkam, traten ein Paar Dirnen mit ihm herein, mit gefärbten Gesichtern, Lippen voll Schminke und Busen voll Bleiweiß, in Mäntelchen von Sarsche, voll Frechheit und Schamlosigkeit, woraus Winkler und Schneidler abnahmen, daß es Buhlschwestern sein müßten, und sie irrten sich nicht. Wie sie eingetreten waren, eilten sie mit offenen Armen, die eine auf Chiquiznaque, die andere auf Eisenhand zu: so hießen nämlich die beiden Haudegen, und Eisenhand aus dem Grunde, weil er eine eiserne Hand hatte, statt derjenigen, die ihm von Gerichtswegen abgehauen war. Sie umarmten die Dirnen sehr vergnügt und fragten sie, ob sie nichts bei sich hätten, um den Hauptkanal zu netzen. »Sollte es daran fehlen, mein Fechter?« versetzte die eine, die sich die Gananciosa nannte; »dein Kniff Silvatillo kann nicht lange mehr mit dem Wäschekorbe ausbleiben, der mit dem angefüllt ist, was uns Gott beschert hat.«

Und so verhielt sich’s auch, denn in dem Augenblicke trat ein Knabe mit einem Wäschekorbe herein, über welchen ein Bettuch gebreitet war. Alle freuten sich über Silvatos Ankunft, und augenblicklich befahl Einbein, eine von den Binsenmatten aus dem Zimmer zu holen und sie mitten in der Halle auszubreiten. Ebenso hieß er alle ringsherum darauf Platz nehmen, um bei abgekühltem Zorne allerlei Nötiges zu besprechen.

»Mein Sohn Einbein,« sagte darauf die Alte, die vor dem Bilde gebetet hatte, »ich bin nicht zu Schmausereien aufgelegt, denn ich habe seit ein paar Tagen Schwindel, der mich schier von Sinnen bringt; überdem muß ich noch vormittags meine Andacht verrichten und unserer Frau zu den Gewässern und dem heiligen Kruzifixe des heiligen Augustin meine Kerzchen auf stecken, was ich nicht unterlassen würde, wenn’s auch schneite und stürmte. Hergekommen bin ich, weil der Renegat und der Hundertfuß gestern Abend einen Korb mit Wäsche in mein Haus gebracht haben, der etwas größer als dieser hier ist. Weiß Gott, die Wäsche war meiner Seele noch voll Laugenasche, und die armen Schelme müssen keine Zeit gehabt haben, sie abzuspülen. Wie sie kamen, schwitzten sie so starke Tropfen, daß es ein Jammer war, zu sehen, wie sie keuchten und das Wasser ihnen vom Gesichte herunterlief, daß sie wie Engelchen aussahen. Sie sagten mir, sie gingen einem Viehhändler nach, der in der Fleischbank habe Hammel wiegen lassen, um zu sehen, ob sie einer gewaltigen Katze mit Realen zusprechen könnten, die er bei sich führe. Die Wäsche ward von ihnen im Vertrauen auf meine Gewissenhaftigkeit weder ausgepackt noch gezählt, und so gewiß erfülle Gott meine frommen Wünsche und bewahre uns alle vor den Händen der Obrigkeit, als ich den Korb nicht angerührt habe und er noch so unversehrt dort steht, wie er zur Welt gekommen ist.«

»Das alles glaub‘ ich, Frau Mutter,« versetzte Einbein, »und der Korb bleibe unausgepackt, denn beim Einbrüche der Nacht will ich hinkommen und nachsehen, was drin ist und jedem ehrlich und gewissenhaft seinen Anteil geben, wie ich gewohnt bin.«

»Wie Ihr befehlt, mein Sohn,« erwiderte die Alte, »und weil ich bald fort muß, so gebt mir doch, wenn Ihr’s habt, ein Schlückchen für meinen schwachen Magen, woran ich beständig leide.«

»Trinkt Ihr wohl so eins, meine Mutter ?« fragte Escalanta – so hieß Gananciosens Gefährtin –, und indem sie den Korb aufdeckte, kam ein Schlauch zum Vorschein mit ungefähr einem halben Eimer Wein und ein Korkbecher, der gut und gern sein Maß halten konnte. Diesen füllte Escalanta und reichte ihn der andächtigen Alten, die ihn mit beiden Händen faßte und nachdem sie den Schaum etwas weggeblasen hatte, sagte: »Du hast viel eingeschenkt, Tochter Escalanta; doch Gott wird mir ja zu allem Kräfte verleihen.« Dann setzte sie ihn an den Mund und leerte ihn in einem Zuge und Atem aus. »Von Guadalcanal ist das Herrlein«, sagte sie beim Absetzen, »und schmeckt unmerklich nach Gips. Gott stärke dich, Tochter, wie du mich gestärkt hast, wenn’s mir nur auch bekommt, weil ich noch nüchtern bin.«

»Das wirds, Mutter,« versetzte Einbein, »denn es ist Dreifirner.«

»Das hoff ich zur Jungfrau«, entgegnete die Alte. »Seht doch zu, Mädchen, ob Ihr etwa einen Viertelreal bei Euch habt, um die Kerzchen für meine Andacht zu kaufen; denn in der Eil‘ und Hast, mit der ich hergelaufen bin, um Euch die Nachricht vom Korbe zu hinterbringen, habe ich meine Geldtasche vergessen.«

»Ich bin damit versehen, Frau Pipota« – so hieß die gute Alte –, versetzte Gananciosa, »hier sind zwei Viertelrealen und für den einen kauft auch eins für mich und steckt’s dem Herrn Sankt Michel auf, und könnt Ihr zwei dafür kaufen, so steckt das andere dem Herrn Sankt Blas auf, denn das sind meine Schutzheiligen. Ich wollte, Ihr könntet auch eins der Frau Sankt Lucia aufstecken – denn wegen der Augen verehr‘ ich auch diese –, doch habe ich kein kleines Geld bei mir; ein andermal will ich mich mit allen abfinden.«

»Daran wirst du sehr wohl tun, meine Tochter; nimm dich vor Knickerei in acht: denn es kommt viel darauf an, die Kerzen vor sich herzutragen, eh‘ man stirbt und nicht darauf zu warten, daß sie die Erben oder Testamentsvollzieher aufstecken sollen.«

»Mutter Pipota hat recht«, sagte Escalanta, griff in ihren Beutel und gab ihr auch einen Viertelreal mit dem Auftrage, ihr dafür auch zwei Kerzchen für die Heiligen zu kaufen, welche ihr die nützlichsten und erkenntlichsten zu sein schienen. Damit ging Pipota weg und sagte im Fortgehen: »Genießt die Freude, Kinder, jetzt, wo Ihr noch Zeit dazu habt; denn das Alter wird kommen, wo Ihr dann jede Stunde beweinen würdet, die Ihr in der Jugend verloren habt, wie ich sie beweine. Empfehlt mich Gott in euren Gebeten, wie ich es jetzt für mich und euch tun will, daß er uns auf unseren gefahrvollen Wegen vor den Überfällen der Justiz schütze und bewahre.«

Wie die Alte fort war, setzten sie sich alle um die Binsenmatte herum, und Gananciosa deckte das Bettuch als Tischtuch auf. Das erste, was sie aus dem Korbe herausnahm, war ein großes Bündel Rettiche, gegen zwei Dutzend Pomeranzen und Zitronen und gleich darauf eine große Schüssel mit Stockfisch, in Butter gebraten. Hierauf erschien ein halber holländischer Käse, ein Topf mit herrlichen Oliven, ein Gericht Seekrebs, eine große Menge Flußkrebse mit Kapern und Pfeffer zugerichtet und drei weiße Fladen von Gandul. Der Frühstückenden waren gegen vierzehn und jeder nahm sein Hirtenmesser heraus bis auf Winkler, der seinen Hirschfänger zog. Die beiden Alten in den Friesröcken und der Führer hatten den Korkbecher umherzureichen.

Doch kaum hatten sie den Pomeranzen zugesprochen, als sie alle durch ein heftiges Klopfen an der Türe aufgeschreckt wurden. Einbein befahl in Ruhe zu bleiben, ging in das niedere Zimmer, nahm eine Tartsche herunter und die Hand an den Degen gelegt, ging er zur Tür und fragte mit hohler, fürchterlicher Stimme: »Wer klopft?«

»Ich bin’s,« antwortete eine Stimme von draußen, »sonst niemand. Ich bin Falk, der diesen Morgen die Wache hat und will melden, daß Juliane, die Bauswange, hierher kommt, ganz zerzaust und verweint, und es scheint ihr ein großes Unglück begegnet zu sein.«

Indem kam sie selbst schluchzend an und wie sie Einbein hörte, ließ er sie ein und befahl Falken, wieder auf seinen Posten zu gehen und künftig, was er sehe, mit weniger Lärm und Aufsehen zu hinterbringen, was er versprach. Die Bauswange, eine Dirne von demselben Schlage und Gewerbe wie die beiden anderen, kam herein mit zerzausten Haaren und das Gesicht voller Beulen, und wie sie in die Halle trat, sank sie ohnmächtig zu Boden. Gananciosa und Escalanta eilten ihr zu Hilfe, und wie sie ihre Schnürbrust lösten, fanden sie die ganze Brust schwarz unterlaufen und wie zerwalkt. Man sprengte ihr Wasser ins Gesicht und wie sie wieder zu sich kam, schrie sie: »Gottes und des Königs Strafgericht über diesen spitzbübischen Schinder, diesen feigen Hundsfott, diesen lausigen Schurken, den ich mehrmal vom Galgen befreit habe als er Haare im Barte hat! Ich Unglückliche! Seht, wem ich meine Jugend und die Blüte meiner Jahre aufgeopfert habe: einem grausamen, verruchten und verstockten Taugenichts.«

»Gib dich zufrieden, Bauswange,« sprach Einbein »denn ich bin hier, um dir Recht zu schaffen. Erzähl‘ uns dein Leid, denn du sollst länger zubringen, es zu erzählen, als ich dich zu rächen. Sag‘ mir, hast du etwas mit deinem Ehrenverfechter vorgehabt? Wenn’s das ist und du verlangst Rache, so brauchst du’s nur zu lallen.«

»Was für’n Ehrenverfechter?« versetzte Juliane, »eher soll der Teufel meine Ehre verfechten, als dieser Löwe unter den Schafen und dieses Lamm unter den Männern. Mit dem sollt‘ ich wieder an einem Tische essen, ein Lager teilen? Eher sollen mir Wölfe das Fleisch fressen, das er mir so übel zugerichtet hat, wie ihr jetzt sehen sollt.«

Zugleich hob sie ihre Röcke bis ans Knie und noch etwas weiter auf und zeigte ihnen Beine voller Striemen. »So«, fuhr sie fort, »hat mich der undankbare Repolido zugerichtet, der mir mehr verdankt, als der Mutter, die ihn gebar. Und warum meint Ihr wohl, daß er’s getan hat? Gelt, ich hab‘ ihm dazu Anlaß gegeben? Nein, gewiß nicht. Weiter nichts ist dran schuld, als daß er gespielt und verloren hat und durch seinen Kniff Bockart dreißig Realen mir abfordern läßt; ich schick‘ ihm nicht mehr als vierundzwanzig, meinen sauer und mühselig erworbenen Schweiß, den mir der Himmel bei meiner Sündenschuld zugute rechnen mag. Zum Lohn für meine Güte und Unterstützung nimmt er mich, in der Meinung, ich hätte mir von dem, was ich nach seiner Rechnung haben konnte, einen Schwänzelpfennig gemacht, diesen Morgen mit sich aufs Feld, hinter den Königsgarten, zieht mich nackend aus und gibt mir mit seinem Gürtel, ohne auch nur das Eisenwerk daran loszumachen – wenn ich’s doch einmal als Schellen an seinen Händen und Füßen sehen sollte – solche Prügel, daß er mich für tot liegen läßt; von dieser wahren Geschichte legen diese Striemen hinlänglich Zeugnis ab, die ihr seht.«

Hier schrie sie abermals Zeter und verlangte Genugtuung, die ihr auch von Einbein und allen anwesenden Haudegen zugesagt ward. Gananciosa faßte sie bei der Hand, ihr Trost einzusprechen und sagte, sie gäbe sehr gern eins von ihren liebsten Kleinodien hin, wenn sie mit ihrem Geliebten denselben Auftritt hätte haben sollen. »Denn du mußt wissen, Schwester Bauswange, wenn du’s noch nicht weißt, was sich liebt, das schlägt sich, und wenn uns diese Taugenichtse zerbläuen, zerwalken und Fußtritte geben, so beten sie uns an. Oder sag‘ mir ’nmal aufrichtig, wie dich Repolido geschlagen und abgeprügelt hatte, erwies er dir dann nicht irgendeine Liebkosung?«

»Eine?« versetzte sie schluchzend, »hunderttausend erwies er mir und er hätte ’nen Finger von der Hand hingegeben, wenn ich mit ihm nach seinem Quartiere gegangen wäre; ja, es kam mir vor, als träten ihm die Tränen in die Augen, wie er mich zerwalkt hatte.«

»Daran ist nicht zu zweifeln,« versetzte Gananciosa, »und er würde weinen vor Schmerz, wenn er sehen sollte, wie er dich zugerichtet hat. Denn solche Mannsleute haben in solchen Fällen sich nicht so bald an uns vergangen, als auch die Reue eintritt, und du sollst sehen, Schwester, ob er nicht noch, eh‘ wir weggehen, herkommt, dich aufzusuchen und dir alles Vorgefallene abzubitten und so geschmeidig gegen dich ist, wie ein Lamm.«

»Wahrlich,« versetzte Einbein, »der feige Schurke soll mir nicht hier über die Schwelle kommen, bevor er nicht für das begangene Verbrechen volle Buße tut. Was? Er konnte sich unterstehen, Hand an das Gesicht und den Leib der Bauswange zu legen, die doch ebenso schmuck und betriebsam ist wie Gananciosa selbst hier vor uns, was doch alles sagen will.«

»Ach, Herr Einbein,« sagte Juliane, »sprecht doch nichts Schlechtes auf diesen schlechten Kerl: denn so schlecht er ist, so hab‘ ich ihn doch lieber als mein eigenes Herz, und was meine Freundin Gananciosa zu seiner Entschuldigung vorgebracht hat, das kehrt mir das Herz im Leibe um und ich bin wirklich nahe dran, selbst zu gehen und ihn aufzusuchen.«

»Das tu‘ ja nicht, wenn ich dir raten soll,« versetzte Gananciosa, »denn er wird sich breitmachen und aufblähen und mit dir wie mit einem Kreisel spielen. Sei nur ruhig, Schwester, denn du sollst ihn bald so reuig ankommen sehen, wie ich gesagt habe, und wenn er nicht kommt, so wollen wir ihm einen Zettel in Versen schreiben, der ihm zu Herzen gehen soll.«

»Ja, das wollen wir,« sagte die Bauswange, »denn ich habe ihm tausenderlei Dinge zu schreiben.«

»Ich will der Sekretär sein, wenn’s nottut,« sagte Einbein, »ich bin zwar kein Dichter, doch wenn sich einer nur dran macht, so kann er ein paar tausend Verse machen, ohne sich umzusehen. Und wenn sie nicht ausfallen wie sie sollen, so hab‘ ich einen Barbier zum Freunde, einen tüchtigen Versmacher, der uns zu jeder Stunde damit versorgen kann. Doch für jetzt wollen wir das angefangene Frühstück beseitigen, alles andere wird sich nachher schon finden.«

Juliane fügte sich gern dem Willen ihres Obern, und alle kehrten zu ihrem Gelage zurück, und in kurzer Zeit kam man dem Korbe und dem Schlauche auf den Grund. Die Alten zechten sine fine, die Jungen wacker und die Frauen nicht minder. Die Alten baten um Erlaubnis zu gehen, die ihnen Einbein sogleich erteilte und ihnen einschärfte, genau alles zu hinterbringen, was der Gesellschaft nützlich und dienlich sein könne. Sie versprachen, sich’s wohl angelegen sein zu lassen und gingen weg.

Winkler, der von Natur neugierig war, fragte Einbein, nachdem er ihn zuvor um Entschuldigung und Erlaubnis gebeten hatte, was denn ein paar so bejahrte, ehrwürdige und wohlgekleidete Personen der Brüderschaft für Dienste leisteten.

Einbein gab ihm darauf zur Antwort, sie hießen in ihrer Sprache Weisel und gingen den Tag über in der Stadt umher, um auszuspähen, in welchem Hause man des Nachts einbrechen könne und um denen nachzugehen, die Geld von der Börse oder aus der Münze brächten, damit sie sähen, wo es hingetragen und niedergelegt würde. Seien sie darüber ins Reine, so untersuchten sie die Dicke der Mauern und mitteilen die schicklichste Stelle aus, wo man ein Gugge (so viel als Loch) zum Einbruch machen könne. Kurz, er sagte, es seien die nützlichsten oder doch ebenso nützliche Leute, als irgendwelche in ihrer Brüderschaft, und sie erhielten von jedem Diebstahle, den sie vermittelten, ihren fünften Teil, wie Ihre Majestät von den Schätzen. Dabei seien es grundehrliche und achtbare Männer von unbescholtenem Rufe und Lebenswandel und so gottesfürchtig und gewissenhaft, daß sie jeden Tag mit der größten Andacht eine Messe hörten. »Manche von ihnen«, fuhr er fort, »sind so bescheiden, und namentlich auch diese beiden, die eben weggegangen sind, daß sie mit weit wenigerem vorlieb nehmen, als ihnen nach unserer Taxe zukommt. Wir haben noch zwei andere, die Lastträger sind. Da diese jeden Augenblick von einem Hause ins andere kommen, so kennen sie alle Gänge und Schliche zu jedem Hause in der Stadt und wissen, wo etwas zu holen ist oder nicht.«

»Das alles scheint mir ganz vortrefflich,« sagte Winkler, »und ich wünschte einer so ehrenwerten Brüderschaft von einigem Nutzen sein zu können.«

»Der Himmel begünstigt stets fromme Wünsche«, sagte Einbein.

Indem sie so sprachen, klopfte man an die Tür. Einbein ging hinaus, um zu sehen wer es sei, und erhielt auf seine Frage zur Antwort: »Macht auf, Herr Einbein, ich bin Repolido.«

Wie Juliane diese Stimme hörte, erhob sie die ihrige und schrie: »Macht ihm nicht auf, diesem Matrosen von Tarpija, diesem Tiger von Orkanien.«

Einbein ermangelte darum doch nicht, ihm die Tür zu öffnen. Wie das die Bauswange sah, sprang sie auf, lief in das Zimmer, wo die Tartschen hingen, schloß hinter sich zu und schrie: »Schafft mir’s aus den Augen, das nichtsnutzige Fratzengesicht, den Henker der Unschuld, diesen Schreckvogel der Haustauben.«

Eisenhand und Chiquiznaque hielten Repolido fest, der durchaus zu der Bauswange hinein wollte. Doch da sie ihn nicht hinein ließen, rief er von außen: »Genug nun, meine Erzürnte, um alles in der Welt willen, gib dich zufrieden, so lieb dir’s ist, einen Mann zu kriegen.«

»Ich einen Mann kriegen, Boshafter?« versetzte die Bauswange. »Seht, was er für Saiten aufzieht. Du sähst wohl gern, daß ich dich nähme; aber eher ein Totengerippe als dich.«

»Nu, Närrin,« entgegnete Repolido, »wir wollen Feierabend machen, denn es wird spät, und mach‘ dich nur nicht so patzig, weil du siehst, daß ich so gelind rede und mich so nachgiebig zeige, denn so wahr Gott lebt, wenn mir der Kopf erst heiß wird, so ist der letzte Zorn ärger, als der erste. Gib nach, wir wollen alle nachgeben und dem Teufel keinen Schmaus bereiten.«

»Ich wollt‘ ihm auch noch ein Abendessen dreingeben,« schrie die Dickwange, »wenn er dich hinschleppte, wo dich meine Augen nie wieder sähen.«

»Sag‘ ich’s Euch nicht?« sprach Repolido. »Ich merke wohl, Fräulein Gelbschnabel, ich muß das Oberste zu unterst kehren, mag’s auch ablaufen wie es will.«

»In meiner Gegenwart darf kein Krakeel angefangen werden«, sagte Einbein. »Die Bauswange soll herauskommen, aber nicht durch Drohungen bewogen, sondern mir zuliebe und alles wird gut gehen; denn die Zwiste zwischen denen, die sich gern haben, machen nur umsomehr Vergnügen, wenn sie beigelegt sind. Julchen, liebes Kind, meine Bauswange, komm heraus, mir zuliebe. Ich will’s dahin bringen, daß Repolido dir auf den Knien Abbitte tut.«

»Im Fall er das tut,« sagte Escalanta, »wollen wir uns alle für ihn verwenden und Julen bitten, herauszukommen.«

»Soll ich nachgeben, wo es auf meine Beschimpfung abgesehen ist,« sagte Repolido, »so soll mich kein Schweizerheer in Reih‘ und Glied dazu bewegen; doch kommt’s darauf an, der Bauswange einen Gefallen zu tun, so will ich mich nicht auf die Knie, sondern als ihr Sklave aufs Gesicht werfen.«

Chiquiznaque und Eisenhand lachten darüber, und Repolido, der dachte, sie machten sich über ihn lustig, geriet darüber in solche Wut, daß er mit grimmiger Gebärde ausrief: »Wer lacht oder zu lachen gedenkt über das, was die Bauswange gegen mich oder ich gegen sie gesagt habe oder sagen werde, dem sag‘ ich, daß er lügt und lügen wird, so oft er lacht oder zu lachen gedenkt, wie ich bereits gesagt habe.«

Chiquiznaque und Eisenhand blickten sich mit so böser Miene und Gebärde an, daß Einbein sah, die Sache werde sehr übel ablaufen, wenn er nicht Vorkehrungen treffe. Er trat deshalb unverzüglich zwischen sie und sagte: »Geht nicht weiter, Kavaliere, sagt euch keine beleidigenden Worte, sondern laßt sie zwischen den Zähnen ersterben, und da die, welche bisher vorgebracht sind, keinen besonders angehen, so beziehe sie auch niemand auf sich.«

»Wir verhoffen durchaus nicht,« versetzte Chiquiznaque, »daß jene Redensarten uns gesagt sind oder künftig gesagt werden. Denn müßte man das denken, so sollte man bald hören, wie gut sich unsere Hände aufs Pauken verstehen.«

»Unsere Fäuste können das auch, Musje Chiquiznaque,« erwiderte Repolido, »und das Trommeln dazu, wenn’s nottut. Und ich hab’s bereits gesagt, wer sich lustig macht, der lügt und wer anders gesonnen ist, der komm‘ mit mir; denn ein Mann fragt nicht nach einem Käsemesser, um seine Rede zu beweisen.«

Mit diesen Worten wollte er zur Tür hinaus. Die Bauswange hatte alles mit angehört und wie sie merkte, daß er zornig davon ging, lief sie heraus und sagte: »Haltet ihn zurück; laßt ihn nicht fort, denn er wird sonst einen von seinen Streichen spielen. Seht ihr nicht, daß er im Zorne fortgeht? Und er ist ein Judas Makarelus in dem Punkte der Tollkühnheit. Kehr‘ um, du aller Welt und meiner Augen Eisenfresser.«

Somit packte sie ihn am Mantel und hielt ihn mit Einbeins Hilfe zurück. Chiquiznaque und Eisenhand wußten nicht, ob sie grollen sollten oder nicht und warteten ruhig ab, was Repolido tun werde. Wie dieser sah, daß ihn die Bauswange und Einbein baten, kehrte er um und sagte: »Freunde sollten nie Freunden Anlaß zum Zorne geben, noch sich über Freunde lustig machen, zumal wenn sie sehen, daß sich Freunde ärgern.«

»Hier ist kein Freund,« versetzte Eisenhand, »der den anderen Freund ärgern oder sich über ihn lustig machen will. Und da wir alle Freunde sind, so sollen sich die Freunde die Hand geben.«

»Ihr habt alle als gute Freunde gesprochen, meine Herren,« sagte Einbein, »und als solche Freunde gebt euch einander die Freundeshand.«

Man gab sie sich sogleich und Escalanta zog einen Pantoffel aus und schlug darauf, wie auf ein Tamburin. Gananciosa nahm einen frischen Palmbesen, der gerade dalag und brachte einen Ton damit hervor, der zwar rauh und schnarrend war, aber doch zur Pantoffelmusik stimmte. Einbein zerbrach einen Teller, nahm zwei Stücke davon zwischen die Finger, schlug sie sehr behend aneinander und spielte den Kontrapunkt zum Pantoffel und Besen.

Winkler und Schneidler wunderten sich über die neue Erfindung mit dem Besen, die ihnen bisher noch nicht vorgekommen war, und Eisenhand, der es merkte, sagte zu ihnen: »Ihr wundert euch wohl über die Besenmusik? Und das mit Recht, denn eine leichtere, harmlosere, wohlfeilere Musik ist noch nicht in der Welt erfunden worden. Ja, ich hörte wirklich einmal einen Studenten sagen, weder Negrophus, der die Heuritze aus der Hölle holte, noch Maron, der einen Delphin bestieg und aus dem Meere geritten kam, wie ein Reiter auf seinem Mietesel, noch der andere große Spieler, der eine Stadt mit hundert Toren und ebensoviel Nebentürchen baute, hätten je eine bessere Art von Musik erfunden, die so leicht zu erlernen, so bequem zu spielen sei, so ohne Griff, Wirbel und Saiten und so, ohne daß man zu stimmen brauchte. Sagt man doch auch, daß sie ein junger Herr in dieser Stadt erfunden habe, der sich rühmt, ein Hektor in der Musik zu sein.«

»Das glaub‘ ich recht gern,« versetzte Winkler, »aber wir müssen auch hören, was unsere Musikanten singen wollen, denn Gananciosa hat sich, glaub‘ ich, geräuspert und will singen.«

Das war an dem, denn Einbein hatte sie ersucht, einige von den gewöhnlichen Seguidillen anzustimmen; doch diejenige, welche zuerst anhub, war Escalanta, die mit zarter und biegsamer Stimme sang:

»Es ist ein Sevillaner, rot, in Wallonertracht,
Der mir das Herz im Leibe zu Flammen angefacht.«

Gananeiosa sang weiter:

»Ein munterer brauner Bursche, von frischem Angesicht;
Sagt, welches hitz’ge Mädel ist nicht auf ihn erpicht?«

Unverzüglich fiel Einbein ein, indem er seine Tellerstücken behend zusammenschlug:

»Es zanken zwei Verliebte, worauf es Friede ist;
Die Lust ist desto größer, je heft’ger erst der Zwist.«

Die Bauswange wollte ihre Freude nicht bei sich behalten, sondern sie nahm einen anderen Pantoffel, mischte sich in den Reigen und sang:

»O, steure dem Zorne, hör‘ auf mich zu pochen,
Betracht’s recht, du schlägst deine eigenen Knochen.«

»Man singe ohne Anzüglichkeiten,« sagte Repolido, »und wärme keine alten Historien auf, denn es ist zu nichts. Was vorbei ist, sei vorbei. Man singe etwas anderes und damit punktum.«

Man schien sobald noch nicht dem Gesange ein Ende machen zu wollen, als man wieder stark anklopfen hörte. Einbein eilte hinaus, um zu sehen, wer es sei, und die Wache meldete ihm, am Ende der Straße zeige sich der Gerichtsvogt und vor ihm her gingen zwei neutrale Scharwächter, der Schwarzschimmel und der Geier.

Die drinnen hörten das und alles geriet in solche Bestürzung, daß die Bauswange und Escalanta ihre Pantoffeln verwechselten. Gananciosa warf den Besen weg, Einbein seine Tellerstücken, und die ganze Musik schwieg vor Bestürzung. Chiquiznaque verstummte, Repolido war betreten, Eisenhand erstaunt und alle verschwanden, einer dahin, der andere dorthin und stiegen auf die Mauern und Dächer, um sich in eine andere Straße zu retten. Der Schrecken, den ein plötzlicher Flintenschuß oder ein unvermuteter Donnerschlag in einem Zuge sorgloser Tauben verbreitet, kann nie so groß sein, als der Aufruhr und die Bestürzung, in welche die ganze versammelte Zunft dieser ehrenwerten Leute durch die Nachricht versetzt ward, der Gerichtsvogt sei im Anzuge. Die beiden Neulinge, Winkler und Schneidler, wußten nicht, was sie anfangen sollten und blieben in der Halle, in Erwartung, wie dies plötzliche Ungewitter ablaufen würde, das schließlich keine anderen Folgen hatte, als daß die Wache wiederkam und meldete, der Gerichtsvogt sei ohne Aufenthalt vorübergegangen, ohne Argwohn blicken zu lassen.

Wie die Wache noch mit Einbein sprach, kam ein junger Kavalier in Alltagskleidung an die Tür. Einbein nahm ihn mit hinein und ließ Chiquiznaque, Eisenhand und Repolido rufen, von den anderen aber sollte keiner herunterkommen. Da Winkler und Schneidler in der Halle geblieben waren, so konnten sie das ganze Gespräch mit anhören, das zwischen Einbein und dem eben angekommenen Kavalier stattfand. Dieser fragte Einbein, warum man seinen Auftrag so schlecht ausgerichtet habe.

Einbein versetzte, er wisse nicht einmal, was geschehen sei; doch der Gesell sei zu Hause, dem seine Angelegenheit obliege, und dieser werde befriedigende Rechenschaft von sich geben können.

Indem kam Chiquiznaque herunter und Einbein fragte, ob er den ihm aufgetragenen Messerschnitt von vierzehn Kalibern ausgeführt habe.

»Welchen?« fragte Chiquiznaque. »Etwa den an dem Kaufmann beim Kreuzwege?«

»Eben den«, sagte der Kavalier.

»Was in der Sache geschehen ist«, versetzte Chiquiznaque, »ist, daß ich ihm gestern abend an seiner Haustür auflauerte. Er kam kurz vor der Vesperzeit; ich näherte mich ihm, nahm mir sein Gesicht in Augenschein und fand es so klein, daß es eine reine Unmöglichkeit war, einen Messerschnitt von vierzehn Kalibern darauf zu bringen. Da ich nun die Unmöglichkeit vor mir sah, mein Versprechen zu erfüllen und meiner Destruktion nachzukommen –«

»Instruktion wollt Ihr wohl sagen«, bemerkte der Kavalier.

»Ja, das wollt‘ ich«, erwiderte Chiquiznaque. »Wie ich also sah, daß auf diesem kleinen und beschränkten Gesichte der vorgeschriebene Schnitt nicht ausführbar war, so gab ich denselben, um keinen Fleischergang getan zu haben, einem von seinen Lakaien, der gut und gern noch für ein paar Kaliber Platz hat.«

»Ich wollte lieber,« sagte der Kavalier, »Ihr hättet dem Herrn einen Schnitt von sieben Kalibern gegeben, als dem Diener einen von vierzehn. Kurz, man hat sein Versprechen nicht so gegen mich erfüllt, wie sich’s gehört. Doch es liegt nichts dran; die dreißig Dukaten, die ich darauf gegeben habe, kommen bei mir nicht sehr in Betracht. Gehabt euch wohl, meine Herren.«

Er nahm den Hut ab und wollte gehen, doch Einbein faßte ihn am Mantel und sagte: »Bleibt, mein Herr und erfüllt Euer Wort, da wir das unserige ehrlich und redlich erfüllt haben; es fehlen noch zwanzig Dukaten, und Ihr dürft nicht von dannen ziehen, bevor Ihr sie bezahlt oder ein hinlängliches Pfand gegeben habt.«

»Das nennt ihr sein Versprechen erfüllen,« sprach der Kavalier, »wenn ihr dem Bedienten den Schnitt gebt, den der Herr erhalten sollte?«

»Wie der Herr so trefflich zu rechnen weiß!« versetzte Chiquiznaque. »Ihr scheint das Sprichwort vergessen zu haben: Wer’s mit Hansen gut meint, meint’s auch mit seinem Hunde gut

»Wie kann das hierher passen?« fragte der Kavalier.

»Ist’s nicht dasselbe,« fuhr Chiquiznaque fort, »wenn man sagt: Wer’s mit Hansen bös meint, meint’s auch mit seinem Hunde bös? Hans ist nun der Kaufmann, mit dem Ihr’s bös meint, sein Lakai sein Hund; was der Hund erhält, erhält Hans, folglich ist die Schuld abgetragen und der Auftrag ausgerichtet. Drum habt Ihr weiter nichts zu tun, als ohne weiteres Markten das Geld auf der Stelle zu zahlen.«

»Nun, das schwör‘ ich zu,« sagte Einbein, »du hast mir jedes Wort, was du gesagt hast, Freund Chiquiznaque, aus dem Munde genommen. Knickert drum nur nicht mit Euren Dienern und Freunden, sondern nehmt meinen Rat an und bezahlt gleich die geleistete Arbeit. Ist Euch damit gedient, daß der Herr auch einen Schnitt bekommt, so groß als ihn sein Gesicht faßt, so rechnet darauf, daß er das Gesicht sich schon verbunden hat.«

»Wenn das ist,« versetzte der Kavalier, »so will ich herzlich gern für beide volle Zahlung leisten.«

»Daran hab‘ ich nicht gezweifelt,« sagte Einbein, »doch, so wahr ich Christ bin, Chiquiznaque soll ihm einen so getroffenen Schnitt geben, als hätt‘ er ihn mit auf die Welt gebracht.«

»Auf diese Gewähr und Zusage«, entgegnete der Kavalier, »nehmt diese Kette als Unterpfand für die zwanzig rückständigen Dukaten und für die vierzig, die ich euch für den künftigen Schnitt verspreche. Sie ist tausend Realen wert und vielleicht wird sie ganz von euch abverdient, denn vermutlich brauch‘ ich in der Kürze noch vierzehn andere Kaliber.«

Mit diesen Worten nahm er eine feingearbeitete Kette vom Halse und stellte sie Einbein zu, der an ihrer Schwere und Feinheit wohl abnahm, daß sie nicht von Tombak war. Einbein nahm sie mit großer Freude und Artigkeit, denn er besaß ungemein viel Lebensart; die Vollstreckung blieb dem Chiquiznaque, der denselben Abend dazu anberaumte. Der Kavalier ging sehr zufrieden weg und Einbein rief sogleich alle Abwesenden und Flüchtlinge. Sie kamen alle herunter und Einbein, der sich mitten in den Kreis gestellt hatte, holte aus der Kappe seines Mantels ein Erinnerungsbuch und gab es Winklern zum Vorlesen, weil er selbst nicht lesen konnte. Winkler schlug es auf und las auf der ersten Seite:

Verzeichnis der Messerschnitte, welche in dieser Woche auszuteilen sind. Der erste dem Kaufmann am Kreuzwege. Preis fünfzig Dukaten. Dreißig angezahlt. Vollstrecker Chiquiznaque.

»Ich glaube, es steht nichts mehr hier, mein Sohn«, sagte Einbein. »Blättere weiter und such‘ das Verzeichnis der Stockprügel.«

Winkler wandte das Blatt um und auf einem anderen stand:

Verzeichnis der Stockprügel.

Dem Garkoch zum Kleeblatte zwölf Stockprügel aus dem Pfeffer; jeder für einen Taler. Acht angezahlt. Frist sechs Tage. Vollstrecker Eisenhand.

»Dieser Posten könnte füglich gestrichen werden,« sagte Eisenhand, »denn diesen Abend werd‘ ich die Quittung drüber bringen.«

»Steht sonst noch etwas da, mein Sohn?« fragte Einbein.

»Ja,« versetzte Winkler, »noch ein Posten. Er lautet:

Dem buckligen Schneider, mit dem Spitznamen Gimpel, sechs Prügel aus dem Pfeffer, auf Begehr der Dame, die das Halsgeschmeide dagelassen hat. Vollstrecker Stümmling

»Ich wundere mich,« sprach Einbein, »daß dieser Posten noch nicht erledigt ist. Ohne Zweifel muß Stümmling unwohl sein, da die gegebene Frist zwei Tage vorbei ist und er in der Sache noch nichts getan hat.«

»Ich traf ihn gestern,« sagte Eisenhand, »und er sagte mir, er habe seine Schuldigkeit nicht tun können, weil der Bucklige krankheitshalber nicht ausgegangen sei.«

»Das glaub‘ ich gern,« sagte Einbein, »denn ich halte den Stümmling für einen so guten Gesellen, daß er, ohne ein solches vollgültiges Hindernis, bereits gewiß weit größere Dinge ausgeführt hätte. Steht sonst noch etwas da, mein Bübchen?«

»Nein«, versetzte Winkler.

»Nun, so blättere weiter,« sprach Einbein, »und such‘ das Verzeichnis von Schabernacken insgemein.«

Winkler tat es und fand auf einem anderen Blatte:

Verzeichnis von Schabernacken insgemein, als: Tintengläser ins Gesicht zu werfen, Fenster zu teeren, Sambenitos und Hörner anzunageln, Hohnneckereien, Schrecknisse, Scheinmesserschnitte, Schandzettel usw.

»Was steht drunter?« fragte Einbein. »Fenster zu teeren,« versetzte Winkler, »im Hause des –«

»Lies das Haus nicht, ich weiß schon, wo es ist,« versetzte Einbein, »und ich bin selbst der tu autem und Vollzieher dieser Kinderei. Es sind vier Taler auf Abschlag gezahlt und das Ganze beträgt acht Taler.«

»So ist es,« antwortete Winkler, »denn alles steht hier und weiter unten les‘ ich: Hörner anzunageln –«

»Hier lies ebensowenig Haus und Ort«, sprach Einbein. »Es ist genug, daß der Schabernack geschieht, ohne daß man es unter die Leute zu bringen braucht. Daraus muß man sich ein Gewissen machen. Ich wenigstens wollte lieber hundert Hörner und ebensoviel Sambenitos annageln, wenn mir meine Arbeit bezahlt würde, als es ein einzig Mal verraten, wär’s auch der Mutter, die mich gebar.«

»Der Vollstrecker davon«, sagte Winkler, »ist Stumpfnäsel.«

»Das ist schon vollzogen und bezahlt«, sprach Einbein. »Sieh, ob noch etwas da steht; denn wenn ich mich recht besinne, so muß noch ein Schrecken für zwanzig Taler aufgeführt sein, die halb angezahlt sind. Vollstrecker ist die ganze Verbindung und als Frist der Monat gegeben, in dem wir stehen. Und das soll auch buchstäblich ausgeführt werden und eine der besten Possen sein, die seit langen Zeiten in dieser Stadt gespielt worden sind. Gib das Erinnerungsbuch zurück, Bursche, ich weiß, es steht nichts mehr drinnen, auch weiß ich, daß das Geschäft sehr schlecht geht. Doch nach dieser Zeit wird eine andere kommen, wo wir mehr zu tun haben werden als uns lieb ist, denn kein Blatt bewegt sich ohne Gottes Willen, und wir können’s nicht machen, daß sich niemand tätlich räche, zumal da jeder in seiner eigenen Sache tapfer zu sein pflegt und für Arbeiten kein Geld ausgeben mag, die er eigenhändig verrichten kann.«

»So ist es«, sagte Repolido. »Doch überlegt, Herr Einbein, was Ihr anzuordnen habt, denn es wird spät und die Hitze drückend.«

»Was Ihr zu tun habt,« versetzte Einbein, »ist, daß jedes auf seinen Posten gehe und niemand denselben vor Sonntags verlasse, wo wir uns hier wieder versammeln wollen und alles, was uns zugefallen ist, verteilt werden soll, ohne daß jemand zu kurz komme. Winkler und Schneidler der Gute erhalten bis zum Sonntage den Bezirk vom Goldturme außerhalb der Stadt bis an die Hinterpforte des Schlosses, wo sie mit ihren Briefen sitzend arbeiten können. Ich hab’s erlebt, daß andere, die es ihnen nicht an Geschicklichkeit gleich taten, täglich über zwanzig Realen in kleinem Gelde, außer dem Silber, mit einem einzigen Spiele Karten, in welchem noch dazu vier fehlten, gewonnen haben. Mit diesem Bezirke wird euch Krummling bekannt machen. Doch wenn ihr euch auch bis San Sebastian und San Elmo ausdehnt, so liegt nicht viel daran, obgleich nach strengem Rechte niemand dem anderen ins Gehege kommen darf.«

Beide küßten ihm für die erwiesene Gnade die Hand und versprachen, treu und redlich, mit aller Sorgfalt und Vorsicht ihren Dienst zu versehen. Jetzt holte Einbein ein zusammengefaltetes Papier aus der Kappe seines Mantels, worauf die Namen der Mitbrüder standen, und trug Winklern auf, seinen und Schneidlers Namen einzuschreiben. Doch weil keine Tinte da war, gab er ihm das Papier mit, um in der ersten besten Apotheke einzutragen: Winkler und Schneidler, Mitbrüder ohne Lehrjahr; Winkler als Freischupper, Schneidler als Dorfdrücker, mit Angabe von Tag, Monat und Jahr und Verschweigung der Eltern und Heimat.

Indem trat einer von den alten Weiseln herein und sagte: »Ich komme, um den Herren zu melden, daß ich Wölfeln von Malaga auf den Stufen angetroffen habe und er sagt mir, daß er in seiner Kunst solche Fortschritte gemacht habe, daß er mit einer reinen Karte dem Teufel selbst sein Geld ablocken wolle. Doch weil ihm eben nicht zum besten mitgespielt ist, kann er nicht gleich herkommen, um sich einzuschreiben und die gewöhnliche Aufwartung zu machen; doch Sonntags will er unfehlbar hier sein.«

»Ich habe mir immer vorgestellt,« sagte Einbein, »daß dieser Wölfel einzig in seiner Kunst dastehen würde, weil er die besten und geschicktesten Hände dazu hat, die sich nur wünschen lassen. Denn um sein Handwerk gut zu treiben, braucht man ebensowohl gute Werkzeuge, um es auszuüben als einen guten Kopf, um es zu erlernen.«

»Ich traf auch«, sagte der Alte, »in einer Herberge in der Färberstraße den Juden als Weltpriester gekleidet. Er hat sich dort eingemietet, weil er ausgespürt hat, daß in demselben Hause zwei reiche Käuze leben, und er will sehen, ob sich mit ihnen ein Spielchen anknüpfen läßt; geht’s auch anfangs niedrig, meint er, so kann’s doch mit der Zeit einträglich werden. Er verspricht auch, Sonntags bei der Zusammenkunft nicht zu fehlen und von seiner Person Rechenschaft zu geben.«

»Dieser Jude ist ebenfalls ein Erzfalke und besitzt gute Kenntnisse«, sprach Einbein. »Es ist lange her, daß ich ihn nicht zu Gesicht bekommen habe und er tut nicht wohl daran. Denn, meiner Treu‘, wenn er sich nicht bessert, will ich ihm die Glatze zeichnen: denn der Spitzbube hat ebensowenig die Priesterweihe als der Türke und weiß nicht mehr Latein als meine Mutter. Gibt’s sonst noch was Neues?«

»Nichts, meines Wissens«, versetzte der Alte.

»Nun gut«, entgegnete Einbein. »Nehmt diese Kleinigkeit – er verteilte gegen vierzig Realen unter alle –, und daß keiner Sonntags fehlt, denn von dem Gestohlenen wird nichts fehlen.«

Alle dankten ihm. Repolido und die Bauswange umarmten sich wieder sowie Escalanta und Eisenhand und Gananciosa und Chiquiznaque. Man traf die Abrede, sich diesen Abend, wenn die Geschäfte zu Hause besorgt, in dem Haus der Pipota wieder zu sehen, wohin auch Einbein kommen wollte, um ein Verzeichnis der Wäsche aufzunehmen und dann die Fensterteerung sogleich zu vollziehen und abzutun. Er umarmte Winklern und Schneidlern, gab ihnen noch beim Abschiede seinen Segen und schärfte ihnen ein, nie ein bestimmtes Quartier zu haben, weil dies die Wohlfahrt aller erheische.

Kuppelmann begleitete sie, bis er ihnen ihren Bezirk angewiesen hatte und erinnerte sie nochmals daran, ja den Sonntag nicht auszubleiben, weil er glaube, Einbein werde eine Vorlesung von Opposition über Gegenstände ihrer Kunst halten.

Er ging weg und ließ die beiden Gefährten in Staunen über das, was sie gesehen hatten. Winkler hatte, seiner Jugend ungeachtet, nicht wenig Verstand und gute natürliche Anlagen und da er bei dem Ablaßkrame mit seinem Vater umhergezogen war, so verstand er auch etwas von der richtigen Art, sich auszudrücken. Er lachte darum herzlich, wenn er an die Wörter dachte, die Einbein und die übrigen Mitglieder seiner löblichen Verbindung gebraucht hatten; besonders Rekondemnation statt Rekommendation, Stupendum für Stipendium, oder wenn die Bauswange den Repolido einen Matrosen von Tarpeja und einen Tiger von Orkanien statt von Hyrkanien genannt hatte, so viele andere Ungereimtheiten nicht zu erwähnen. Besonders lächerlich kam’s ihm auch vor, daß sie geäußert hatte, der Himmel möge ihr die Arbeit, die ihr die vierundzwanzig Realen gekostet, bei ihren Sünden zugute rechnen. Am meisten wunderte er sich über die Zuversicht und Überzeugung aller, in den Himmel zu kommen, weil sie ihre Andachtsübungen nicht unterließen, während sie doch aller Räubereien, Mord- und Freveltaten voll waren. Auch lachten sie über die gute, alte Pipota, die zu Hause den gestohlenen Wäschekorb aufhob und zu gleicher Zeit vor den Heiligenbildern Wachskerzchen aufzustecken im Begriffe war, und dadurch unfehlbar beschuht und bekleidet in den Himmel zu reisen hoffte. Nicht minder befremdete sie der Gehorsam und die Achtung, die alle dem Einbein erwiesen, diesem rohen, ungeschlachten, ruchlosen Kerl. Er dachte an das, was er in seinem Erinnerungsbuche gelesen hatte und an die Geschäfte, denen sie alle nachgingen, und er hatte seine Betrachtung, wie sorglos die Polizei in dieser berühmten Stadt Sevilla sein müsse, da eine so verderbliche, unnatürliche Rotte beinah‘ öffentlich hier ihr Unwesen treiben durfte. Er nahm sich darum vor, seinem Gefährten den Rat zu geben, bei einem so liederlichen, ruchlosen, unruhigen, frechen und zügellosen Leben nicht lange zu bleiben; allein Jugend und Unerfahrenheit verleiteten ihn, es noch einige Monate fortzusetzen.

Was ihm in dieser Zeit begegnete, erfordert eine weitläufigere Erzählung, und es bleibe drum für eine andere Gelegenheit aufgespart, sein Leben und seine Wundertaten nebst denen seines Meisters Einbein zu erzählen, sowie andere Begebenheiten von den Mitgliedern dieser ehrlosen Gilde, die insgesamt sehr beachtenswert sind und den Lesern als Beispiel und Warnung dienen können.

  1. Ein Ausdruck der Gaunersprache, soviel als: Stehlt ihr aus der Tasche?
  2. In der Gaunersprache bedeutet Schere zwei zusammengespitzte Finger, um etwas gewandt hinweg zu nehmen