Zygfryd de Löwe rüstete sich gerade für seine Fahrt nach Marienburg, als ihm der Postbote ganz unerwartet ein Schreiben Rotgiers überbrachte, das gar mancherlei Kunde über den masovischen Hof enthielt.

Diese Nachrichten versetzten den alten Kreuzritter allgemach in die höchste Erregung. Vor allem war aus dem Briefe zu ersehen, daß Rotgier die Sache gegen Jurand dem Fürsten Janusz vortrefflich dargelegt und sie mit großer Geschicklichkeit vertreten hatte. Wohl lächelte Zygfryd, als er las, jener habe von dem Fürsten verlangt, daß Spychow als Entschädigung für das dem Orden zugefügte Unrecht den Kreuzrittern zu Lehen gegeben werde. Allein der zweite Teil des Schreibens enthielt unerwartete und weniger angenehme Berichte. Rotgier teilte nämlich ferner mit, er habe, um die Unschuld des Ordens an der Entführung von Jurands Tochter zu beweisen, den Rittern von Masovien seinen Handschuh hingeworfen und jeden Zweifler zum Zweikampfe vor ein Gottesgericht im Beisein des ganzen Hofes gefordert. »Keiner hob den Handschuh auf,« schrieb Rotgier weiter, »denn alle wußten, daß Jurand in seinem Schreiben Zeugnis für uns abgelegt hatte. Sie fürchteten daher das Gottesgericht. Da mit einem Male trat der junge Kämpe in den Kreis, den wir auf dem Jagdhofe gesehen haben, und nahm den Handschuh von der Erde. Seid daher nicht überrascht, wenn sich meine Rückkehr verzögert. Ich muß mich zu dem Kampfe stellen, da die Forderung von mir ausgegangen ist. Für die Ehre des Ordens gehe ich in diesen Streit, deshalb gebe ich mich der Hoffnung hin, der Großmeister werde mir diesen Schritt vergeben, wie Ihr ihn mir vergeben werdet, Ihr, den ich verehre, den ich mit dem Herzen eines Sohnes liebe. Mein Gegner ist ein junges unreifes Menschlein. Ich aber bin, wie Ihr wißt, an Kampf und Streit gewöhnt. Nicht schwer wird es mir daher fallen, das Blut meines Widersachers zum Ruhme des Ordens zu vergießen.«

Das größte Staunen rief bei dem alten Zygfryd die Kunde hervor, daß Jurands Tochter vermählt sei. Der Gedanke, nun werde sich ein neuer, mächtiger und rachgieriger Feind in Spychow festsetzen, erregte sogar in dem bejahrten Komtur eine gewisse Unruhe. »Zweifellos,« sagte er sich selbst, »wird er auf Rache sinnen. Grimmige Rache wird er nehmen, sobald er sein Weib wieder gefunden und von ihr vernommen hat, daß sie durch uns von dem Jagdhofe entführt ward. Unverweilt würde es sich ja dann zeigen, weshalb wir Jurand zu uns entboten haben, daß wir dies nur thaten, um ihn zu verderben, ohne je den Gedanken gefaßt zu haben, ihm die Tochter zurückzugeben.« In Zygfryd regte sich auch sofort die Ueberzeugung, der Großmeister werde auf das Schreiben des Fürsten hin eine Untersuchung in Szczytno anordnen, um sich dadurch selbst vor Janusz zu rechtfertigen, war es doch für den Großmeister und das Kapitel von höchster Bedeutung, wenn sich in einem Kriegsfalle mit dem mächtigen König von Polen die masovischen Fürsten jeder Parteinahme enthielten. Denn ganz abgesehen von der Macht dieser Fürsten, gebot es sich schon durch die große Zahl masovischer Edeln und in Anbetracht von deren unendlicher Tapferkeit, keine Geringschätzung gegen Janusz und dessen Bruder an den Tag zu legen. Der Frieden mit letzterem bedeutete für die Kreuzritter Sicherheit der Grenze auf weite Strecken hinaus und erleichterte dem Orden eine engere Zusammenziehung seiner Streitkräfte. Gar häufig war dies schon in Marienburg vor Zygfryd verhandelt und der Hoffnung Raum gegeben worden, es werde sich nach dem Siege über den König schon ein Vorwand finden, um gegen Masovien vorzugehen, das dann keine Macht der Welt mehr den Händen der Kreuzritter entreißen könne. Dies war eine ganz klare Berechnung und bildete einen weiteren Grund, weshalb der Großmeister alles zu vermeiden suchte, was den Zorn des Fürsten Janusz erregen konnte. Als Ehegemahl von Kiejstuts Tochter war dieser weit schwerer zu behandeln, als Ziemowit aus Plock, dessen Weib dem Orden rückhaltlos anhing, ohne daß eine besondere Ursache dafür bekannt gewesen wäre.

Trotz seines Ehrgeizes für den Ruhm des Ordens regte sich in dem alten Zygfryd das Gewissen. »Wäre es vielleicht nicht ratsamer, Jurand und dessen Tochter freizulassen?« fragte er sich. »Schmach und Schande würde zwar dann dem Namen Danvelds anhaften, doch er ist ja nicht mehr am Leben. Und selbst wenn der Großmeister mich und Rotgier, die wir ja an allen Thaten Danvelds teilgenommen haben, zur Rechenschaft ziehen wollte, gereichte dies vielleicht zum Vorteile des Ordens!« Allein schon der Gedanke an Jurand versetzte das rachedurstige Herz des Kreuzritters in Aufruhr.

Wie, sollte er ihn wirklich freigeben, diesen Bedrücker, diesen Henker der Ordensbrüder, den Sieger in zahllosen Treffen, den Urheber schmachvoller Scharmützel, den triumphierenden Gegner, ja, den Mörder Danvelds, den Bezwinger de Bergows, den Mörder Majnegers, den Mörder von Godfryd und Hugo, ihn, der in Szczytno mehr deutsches Blut vergossen hatte, als in irgend welchen Kriegsläuften vergossen worden war. »Ich vermag es nicht, ich vermag es nicht!« murmelte Zygfryd vor sich hin, während sich seine Finger zusammenkrampften und sein Atem sich nur mühsam der eingefallenen Brust entrang. Und doch, wenn die Freilassung zum Nutzen, zum Ruhm des Ordens gereichte? Wenn die Strafe, welche die noch lebenden Miturheber des Verbrechens treffen würde, den bis jetzt feindlich gesinnten Fürsten Janusz versöhnen und einen Vergleich, ja, den Frieden herbeizuführen im stande wäre? »Wohl sind sie aufbrausend,« fuhr der alte Komtur in seinem Selbstgespräche fort, »sobald man ihnen jedoch auch nur ein klein wenig entgegen kommt, vergessen sie rasch die erlittenen Kränkungen. Fürst Janusz hat sich in keiner Weise gerächt, obgleich er auf seinem eigenen Grund und Boden aufgegriffen worden ist!« Im tiefsten Innern erregt, schritt Zygfryd in der Halle hin und her. Schließlich stand er vor dem Kruzifixe still, das gegenüber der Thüre zwischen zwei Fenstern hing und fast die ganze Höhe der Wand einnahm. Hier warf er sich plötzlich auf seine Knie und sprach also: »Erleuchte mich, o Herr, belehre mich, o Herr, denn ich weiß nicht, was mir zu thun obliegt. Gebe ich Jurand und dessen Tochter frei, dann wird unsere That in ihrer ganzen Nacktheit enthüllt werden. Kein Mensch wird sagen: Danveld hat dies gethan, oder Zygfryd that dies, nein alle werden in den Ruf einstimmen: die Kreuzritter sind die Urheber davon. Schmach und Schande werden den Orden treffen, noch größer wird der Haß des Fürsten werden. Doch wenn ich jene nicht freigebe, wenn ich sie im Kerker verborgen halte, wenn ich sie töte, bleibt dann nicht der Verdacht auf dem Orden haften, muß ich dann nicht vor dem Großmeister meine Lippen mit einer Lüge beflecken? Was soll ich beginnen, o Herr! Lehre Du es mich, erleuchte mich! Wenn Rachedurst mich verzehrt, o so richte in Deiner Barmherzigkeit! Nun aber lehre mich, erleuchte mich! Um Deinen Orden handelt es sich, was Du befiehlst, das will ich thun, selbst wenn ich in einem Kerker und in Ketten auf den Tod oder auf die Befreiung harren müßte!«

Die Stirn an das Kreuz gepreßt, betete Zygfryd noch lange inbrünstig, ohne daß es ihm zum Bewußtsein gekommen wäre, sein Gebet sei verwerflich, sei eitel Gotteslästerung. Als er sich endlich erhob, war er gefaßter, in sich geklärter. Eine große Gnade, so dünkte ihn, sei ihm zu teil geworden, er glaubte eine Stimme von oben vernommen zu haben, die ihm zurief: »Stehe auf und harre auf die Rückkehr Rotgiers.« Ja, das mußte er thun. »Nach dem Siege Rotgiers über den jungen Fant,« so sagte sich Zygfryd, »steht es bei jenem, Jurand und dessen Tochter noch länger verborgen zu halten oder freizugeben. Voraussichtlich wird der Fürst auch in ersterem Falle der beiden nicht vergessen, da ihm aber jeder Beweis dafür fehlt, von wem das Mägdlein entführt ward, bleibt ihm nichts übrig als Nachforschungen anzustellen, ein Schreiben an den Großmeister zu senden, nicht mit einer Anklage, nein, mit der Bitte um Untersuchung – und was wäre die Folge von all diesem? In der ganzen Angelegenheit würde niemals ein Endziel erreicht werden. Im andern Falle würde die Freude über die Rückkehr von Jurands Tochter den Wunsch nach Rache wegen ihrer Entführung ersticken. Uns aber steht dann noch immer die Behauptung frei, wir hätten das Mägdlein erst nach dem fürchterlichen Blutbade in Szczytno gefunden.« Dieser Gedanke beruhigte Zygfryd einigermaßen, besonders da er in Betreff Jurands schon längst gemeinsam mit Rotgier einen Plan entworfen hatte, durch dessen Ausführung Jurand selbst nach seiner Freilassung daran gehindert sein würde, Klage zu führen oder Rache zu nehmen. Voll Freude erinnerte sich jetzt Zygfryd dieses Mittels, und mit Genugthuung gedachte er daran, daß in Ciechanow ein Gottesgericht den blutigen Kampf entscheiden sollte. Keinen Augenblick sorgte er sich daher über dessen Ausgang. Ein Turnier in Königsberg kam ihm in den Sinn, in dem Rotgier zwei berühmte Ritter darniedergestreckt hatte, die in ihrem Heimatlande Anjou als unbesiegbar galten, er erinnerte sich eines Kampfes bei Wilno mit einem polnischen Ritter, einem der Mannen von Spytko aus Melsztyn, der auch von Rotgier erschlagen worden war. Sein Antlitz strahlte, sein Herz ward von Stolz geschwellt, hatte er doch dem jetzt schon mit Ruhm bedeckten Ritter Rotgier die ersten Anleitungen in der Kriegsführung gegen die Litauer gegeben. So liebte er ihn denn auch gleich einem Sohne, er liebte ihn mit der Innigkeit, deren nur solche Menschen fähig sind, die lange Jahre hindurch gezwungen waren, die Sehnsucht nach der Allgewalt der Liebe in ihrem Herzen zu verbergen. Und nun stand dieser geliebte Sohn im Begriff, abermals das Blut eines verhaßten Feindes zu vergießen, um dann mit Ruhm bedeckt zurückzukehren. »Das Gottesgericht wird für ihn entscheiden,« sagte sich Zygfryd, »und kein Verdacht mehr wird auf dem Orden lasten! Das Gottesgericht!« Plötzlich regte sich in dem Herzen des alten Mannes ein unbestimmtes Angstgefühl. In diesem todbringenden Kampfe stritt Rotgier für die Unschuld der Ordensritter – doch er kämpfte für eine Lüge, denn jene waren schuldig. »Wie wenn sich ein Unglück ereignen würde!« murmelte Zygfryd vor sich hin. »Nein, daran ist nicht zu denken. Noch drei Tage, dann kehrt Rotgier zurück – als Sieger kehrt er zurück!«

Durch diese Erwägungen allgemach ruhiger geworden, zog nun der alte Kreuzritter den Fall in Betracht, ob es nicht ratsamer wäre, Danusia in eine der entfernteren Burgen bringen zu lassen, welche jedem Angriff der Masuren standhalten konnte. Doch gleich darauf wies er diesen Gedanken wieder von sich. Nur Danusias Ehegemahl konnte einen Ueberfall planen, voraussichtlich war er aber schon unter den Streichen Rotgiers gefallen. Was mochte aber von seiten des Fürsten und der Fürstin geschehen? Sie konnten Nachforschungen anstellen, Schreiben versenden, Klagen vorbringen! Was aber erreichten sie damit! Nichts, als daß sich die Sache noch verwickelter, noch geheimnisvoller gestaltete und kein Ende abzusehen war. »Ehe sie zum Ziele gelangen würden,« dachte Zygfryd, »werde ich tot sein, Jurands Tochter aber wird vielleicht in einem der Kerker des Ordens dahinwelken.« Gleichwohl gab er Befehl, die Burg in Verteidigungszustand zu setzen, die Wege zu bewachen, wußte er doch selbst noch nicht, was nach seiner Beratung mit Rotgier geschehen werde. In solcher Weise gerüstet, harrte er auf dessen Ankunft.

Allein die festgesetzte Frist verstrich, ohne daß Rotgier zurückgekehrt wäre. Tag auf Tag verging, keiner seiner Mannen erschien vor dem Thore Szczytnos. Endlich am fünften Tage – es dunkelte bereits – ertönte ein Hornsignal vor dem Turme des Thorwarts. Zygfryd hatte gerade sein Abendgebet vollendet. Sofort entsandte er einen Knaben, um zu hören, wer angelangt sei.

Schon nach wenigen Minuten kehrte der Knabe zurück. Da jedoch das Gelaß durch das in einem tiefen Kamine brennende Feuer nur schwach erhellt wurde, bemerkte der alte Kreuzritter die Bestürzung seines Abgesandten nicht.

»Sind sie gekommen?« fragte er rasch.

»Ja,« erwiderte der Knabe in einem Tone, der Zygfryd sofort beunruhigte.

»Und Bruder Rotgier?«

»Sie haben ihn hierher gebracht.«

Langsam erhob sich Zygfryd von seinem Armstuhl, stützte sich schwer auf dessen Lehne, wie um nicht zu fallen, und sagte mit einer seltsamen, fast erloschenen Stimme: »Reiche mir meinen Mantel!«

Der Knabe hing ihm den Mantel um die Schultern. Da richtete sich der alte Kreuzritter, der seine Fassung wiedergewonnen hatte, hoch auf und schritt, die Kapuze über das Haupt ziehend, aus dem Gelasse.

Bald befand er sich in dem Burghofe. Es dunkelte schon völlig. Ueber den knirschenden Schnee schritt er auf das Gefolge zu, das noch immer in der Nähe des Thores stand. Pechfackeln, die von einigen Kriegsknechten gehalten wurden, verbreiteten hier etwas Licht. Schon hatte sich eine große Menschenmenge angesammelt. Beim Anblick des alten Ordensbruders wichen die Kriegsknechte zur Seite. In dem Scheine der Pechfackeln zeigten sich allenthalben bestürzte Gesichter, von überall her ließen sich gedämpfte Schreckensrufe vernehmen: »Bruder Rotgier …«

»Bruder Rotgier ist erschlagen …«

Zygfryd näherte sich dem Schlitten, worin, auf Stroh gebettet, ein mit einem Mantel bedeckter Leichnam lag. Rasch hob er den Mantel empor.

»Leuchtet!« befahl er hierauf einigen Söldnern, indem er seine Kapuze zurückschob.

Ein Kriegsknecht trat mit einer Fackel heran, und vor dem alten Kreuzritter lag Rotgier mit schneeweißem Antlitz, ein dunkles Tuch um das Kinn gebunden, damit der Mund nicht offen bleibe. So klein war das Gesicht geworden, daß er kaum noch zu erkennen war. Bläuliche Flecken zeigten sich an den Schläfen und um die Augen, die durch den Frost erstarrten Wangen glänzten wie Glas.

Schweigend blickte der Komtur lange Zeit auf den Toten. Tiefe Stille herrschte, denn alle, die umherstanden, wußten, daß Zygfryd für Rotgier ein Vater gewesen war, daß er ihn innig geliebt hatte. Doch keine Thräne trübte die Augen des alten Kreuzritters. Nur blickte er noch finsterer als gewöhnlich darein und sein Gesicht sah in seiner eisernen Ruhe wie versteinert aus.

»So haben sie ihn hierher zurückgebracht!« murmelte er schließlich.

Dann wandte er sich an den Burgverwalter und sagte: »Laßt noch vor Mitternacht einen Sarg zimmern, laßt den Toten in die Kapelle tragen.«

»Es ist noch einer von den Särgen vorhanden, die ich für die von Jurand Erschlagenen verfertigen ließ,« entgegnete der Verwalter. »Ich muß nur noch den Befehl erteilen, daß dieser Sarg mit Tuch ausgeschlagen werde.«

»Und daß man einen Mantel über den Toten breiten solle,« ergriff Zygfryd das Wort, indem er das Gesicht Rotgiers wieder bedeckte, »doch keiner wie dieser hier soll es sein, sondern ein Ordensmantel. Der Deckel aber darf noch nicht geschlossen werden,« fügte er nach kurzer Pause hinzu.

Während sich nun die Leute an den Schlitten drängten, zog Zygfryd, sich zum Gehen anschickend, wieder die Kapuze über den Kopf. Plötzlich jedoch schien ihm noch etwas in den Sinn zu kommen, denn er blieb stehen und fragte: »Wo ist van Krist?«

»Er wurde auch erschlagen!« antwortete einer der Mannen. »Ihn aber mußte man in Ciechanow bestatten, da er schon in Verwesung überging.«

»Es ist gut.«

Langsamen Schrittes entfernte er sich. In sein Gemach zurückgekehrt, ließ er sich in dem gleichen Armstuhl nieder, in dem ihm die schlimme Nachricht zugekommen war. Unbeweglich, wie ein Bild von Stein, saß er so, lange, lange. Voll Unruhe schaute der Knabe immer häufiger durch die Thüre. Stunde auf Stunde verrann. Immer stiller wurde es in der Burg, nur von der Kapelle her ertönte dumpfer Hammerschlag. Erst gegen Mitternacht fuhr der alte Kreuzritter aus seinem Brüten empor und rief den Knaben.

»Wo ist Bruder Rotgier?« fragte er.

Der Knabe, welcher augenscheinlich durch das Geschehene und infolge der durchwachten, unruhvollen Stunden ganz verwirrt war, schaute ängstlich empor, indem er mit zitternder Stimme erwiderte: »O Herr, ich weiß es nicht! …«

Ein herzzerreißendes Lächeln spielte um die Lippen des Greises, als er in mildem Tone sagte: »Ich meinte, Kind, ob er schon in die Kapelle gebracht worden ist.«

»Ja, Herr!«

»Es ist gut. Sage Diderich, er möge mit einer Laterne hierherkommen und mich hier erwarten. Ein Becken mit Kohlen soll er auch mitbringen. Ist es in der Kapelle hell?«

»Zu beiden Seiten des Sarges brennen Kerzen.«

Den Mantel umwerfend, entfernte sich Zygfryd.

Nachdem er in die Kapelle getreten war, vergewisserte er sich zuerst, ob außer ihm niemand anwesend sei. Dann schloß er behutsam die Thüre, näherte sich dem Sarge, stellte zwei der sechs Kerzen hinweg, welche in hohen, kupfernen Leuchtern brannten, und kniete nieder.

Doch seine Lippen blieben krampfhaft geschlossen, er betete nicht. Geraume Zeit hindurch blickte er in das starre, aber jetzt wieder schöne Antlitz Rotgiers, wie wenn er hoffte, doch noch eine Spur von Leben darin zu entdecken. Dann mit einem Male ertönte der schmerzliche Aufschrei in der stillen Kapelle: »Mein Sohn! Mein Sohn!«

Und wieder verstummte der Mund des alten Ordensbruders, er schien auf eine Antwort zu harren.

Umsonst! Nun schob er seine vertrockneten hageren Finger unter den Mantel, der Rotgiers Brust bedeckte, und tastete umher. Er befühlte die Brust, die Seiten, die Rippen und die Schulterblätter und schließlich entdeckte er unter dem Gewände die klaffende Wunde, die von der rechten Schulter bis zu der Achselhöhle lief. Er preßte seine Finger hinein und führte sie längs der tiefen Wunde hin, während er mit einer Stimme, deren Ton eine gewisse Anklage enthielt, also sprach: ›O wie entsetzlich hat Dich die Streitaxt getroffen! … Und doch hast Du mir gesagt, Dein Gegner sei noch ein wahres Kind … Die ganze Schulter! Die ganze Schulter! Wie oft hast Du mit diesem Arme den Orden gegen die Heiden geschützt! Nun aber bist Du von der Streitaxt eines Polen gefällt worden – so mußtest Du enden, ein solches Schicksal war Dir beschicken. Christus ließ Dich nicht seines Segens teilhaftig werden! Nicht kümmert ihn das Heil des Ordens, für die Kränkungen steht er ein, die irgend welchen Menschen zugefügt werden. Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes: Für eine Lüge hast Du gestritten, für eine Lüge bist Du gestorben, ohne daß Dir Deine Sünden vergeben wurden – Deine Seele sei daher‹ …

Die Worte erstarben ihm auf den Lippen. Abermals herrschte eine tiefe Stille in der Kapelle, dann brach Zygfryd wieder in den Aufschrei aus: »Mein Sohn! Mein Sohn!«

Gleich einer Bitte klang aber jetzt dieser Ruf und leise, eindringlich, wie wenn jemand ein furchtbares Geheimnis zu ergründen sucht, fuhr Zygfryd fort: »O allbarmherziger Christus! Wenn Du nicht verdammt bist, mein Sohn, gieb mir ein Zeichen. Bewege Deine Hand, öffne noch einmal Deine Augen – der Herzschlag stockt mir in meiner alten Brust. Ich habe Dich sehr geliebt – gieb mir ein Zeichen, sprich! …«

Sich mit der Hand auf eine Ecke des Sarges stützend, richtete er seine stechenden Augen auf Rotgiers geschlossene Lider.

Kurze Zeit wartete er auf das erbetene Zeichen, endlich aber hub er von neuem an: »Wahrlich, Du vermagst nicht zu reden. Starr und kalt bist Du, Todesgeruch geht von Dir aus. Da Du aber stumm bleibst, will ich Dir etwas sagen, und Deine Seele möge hier zwischen den brennenden Kerzen weilen und darauf lauschen.«

Und sich tief über den Leichnam beugend, flüsterte er: »Der Kaplan hinderte uns daran, Jurand zu töten, mit einem Eid mußten wir ihm dies erhärten. Wohl wirst Du dessen eingedenk sein. Den Schwur muß ich halten, das ist klar. Aber Du sollst Dich freuen, wo Du auch weilen magst, wenn gleich ich selbst dafür verdammt sein werde.«

Bei diesen Worten trat er vom Sarge zurück, stellte die Armleuchter, die er weggeschoben hatte, wieder an ihren Platz, bedeckte den Körper und das Antlitz des Toten mit dem Mantel und verließ die Kapelle.

An der Thüre der Kemenate lag der ermüdete Knabe in festem Schlummer, innen aber wartete, dem erhaltenen Befehle gemäß, Diderich auf Zygfryd.

Es war ein untersetzter, starker Mann mit krummen Beinen und einem eckigen Gesichte, welches zum Teil von einer dunklen, zackigen, über die Schulter fallenden Kapuze verhüllt war. Er trug einen Kaftan aus ungegerbter Büffelhaut, um die Hüften einen Gürtel aus Büffelhaut, worin ein Schlüsselbund und ein kurzes Messer staken. In seiner rechten Hand hielt er eine Blendlaterne, in der linken ein kleines Kupferbecken und eine Fackel.

»Bist Du bereit?« fragte Zygfryd.

Diderich neigte stumm das Haupt.

»Du erhieltest den Befehl, ein mit Kohlen gefülltes Becken zu bringen.«

Der stämmige Mann gab wieder keine Antwort, sondern zeigte nur auf die im Kamine brennenden Holzscheite, ergriff eine daneben stehende eiserne Schaufel, holte unter den Scheiten die Kohlen hervor und füllte das Becken damit. Dann zündete er die Laterne an und stand ruhig wartend da.

»Höre mich an, Mensch!« sagte Zygfryd. »Einstmals schwatztest Du aus, was Dir der Komtur Danveld anbefahl, und deshalb ließ er Dir die Zunge ausreißen. Weil Du nun dem Kaplan alles, was Du willst, mittelst der Fingersprache mitteilen kannst, verkündige ich Dir hiemit: wenn Du ihm durch eine einzige Bewegung kund thust, was Du auf mein Geheiß vollführen mußt, lasse ich Dich aufhängen.«

Abermals neigte Diderich das Haupt, aber sein Gesicht verzerrte sich auf unheilverkündende Weise durch die Erinnerung an jenen Vorgang, denn die Zunge war ihm aus einem ganz anderen Grunde ausgerissen worden, als aus dem von Zygfryd angegebenen.

»Gehe jetzt voraus und führe mich zu Jurands Gefängnis.«

Der zum Henker Ausersehene umfaßte den Griff des Beckens mit seiner riesenhaften Hand, hob die Laterne in die Höhe und sie verließen die Stube. An dem schlafenden Knaben vorüber gingen sie die Stufen hinunter, wendeten sich jedoch nicht dem Haupteingang zu, sondern begaben sich hinter die Treppe, wo sich ein schmaler Korridor hinzog, der die ganze Breite des Gebäudes einnahm und an dessen Ende sich eine schwere, in einer Mauernische verborgene Pforte befand. Diderich öffnete, und sie traten in einen kleinen Hofraum, der auf vier Seiten von steinernen Lagerhäusern umgeben war, worin man große Vorräte von Getreide für Kriegs- und Belagerungszeiten aufgespeichert hatte. Unter einem dieser Lagerhäuser, auf der rechten Seite, zogen sich die unterirdischen Kerker für die Gefangenen hin. Es stand keine Wache hier, denn selbst wenn ein Gefangener aus seinem Kerker hätte ausbrechen können, wäre er in diesen Hof gekommen, deren einziger Ausgang gerade jene Pforte bildete.

»Warte!« sagte Zygfryd.

Und sich mit der Hand an der Mauer festhaltend, blieb er stehen, denn er fühlte, daß etwas Eigentümliches in ihm vorging, und daß ihm der Atem fehlte. Es war, wie wenn seine Brust in einen allzu engen Panzer eingeschnürt wäre. Das, was er erlebt hatte, überstieg geradezu seine Kräfte, er fühlte, daß unter der Kapuze große Schweißtropfen auf seine Stirne traten, und er hielt an, um Atem zu schöpfen.

Nach einem trüben Tage war eine ungewöhnlich schöne Nacht

.

Nun schob er seine vertrockneten hageren Finger unter den Mantel, der Rotgiers Brust bedeckte, und tastete umher.

angebrochen. Der Mond stand am Himmel und übergoß den ganzen Hof mit seinem silbernen Scheine, sodaß der Schnee fast grünlich schimmerte. Zygfryd sog die reine, kalte Luft gierig ein. Aber zugleich erinnerte er sich auch, daß sich Rotgier in solch lichtvoller Nacht nach Ciechanow begeben, und daß man ihn nun als Leichnam zurückgebracht hatte.

»Und jetzt liegst Du in der Kapelle!« flüsterte er vor sich hin.

In der Meinung, der Komtur spreche mit ihm, hob Diderich die Laterne in die Höhe und betrachtete dessen scharfgeschnittenes, geierähnliches Gesicht, welches furchtbar bleich, fast wie das eines Toten aussah.

»Gehe weiter!« sagte Zygfryd.

Der gelbe Lichtkreis der Laterne zitterte wieder auf dem Schnee, während sie dahinschritten. In einer Vertiefung der dicken Mauern des Lagerhauses befanden sich einige Stufen, die zu einer großen, eisernen Thüre führten. Diderich öffnete sie und stieg die Treppe in einen dunklen Gang hinunter, wobei er die Laterne hoch hielt, um dem Komtur den Weg zu zeigen. Am Ende der Treppe war ein Korridor, an dessen beiden Seiten ganz niedrige Thüren in die Zellen der Gefangenen führten.

»Zu Jurand!« sagte Zygfryd.

Nach einer Weile knirschte der Riegel, und sie traten ein.

Es war ganz dunkel in dieser Höhle, daher befahl Zygfryd, der bei dem matten Lichte der Laterne nichts zu unterscheiden vermochte, die Fackel anzuzünden, in deren hellem Scheine er dann Jurand auf dem Stroh liegen sah. Dieser hatte Fesseln an den Füßen, und an den Armen Ketten, die lang genug waren, daß er sich selbst Nahrung zuführen konnte. Er trug noch denselben Sack aus grobem Werg, worin er vor den Komtur hingetreten war, aber dies Bußgewand war jetzt mit dunklen Blutflecken bedeckt, denn an jenem Tage, da dem Kampfe erst ein Ende gemacht ward, als man den vor Schmerz und Wut wahnsinnigen Ritter in einem Netze gefangen hatte, wollten die Söldlinge ihn töten und brachten ihm mit ihren Hellebarden mehrere Wunden bei. Der Kaplan von Szczytno verhinderte sie daran, ihr Vorhaben auszuführen. Die Wunden waren zwar nicht tödlich, doch verlor Jurand soviel Blut, daß er halbtot ins Gefängnis gebracht ward. In der Burg glaubten alle, es könne jede Stunde mit ihm zu Ende gehen, aber seine außergewöhnliche Kraft überwand sogar den Tod, und er lebte noch, obgleich seine Wunden nicht verbunden waren und man ihn in dies furchtbare Gefängnis geworfen hatte, wo das Wasser von den Wänden heruntertropfte und in der kalten Jahreszeit die Mauern von einer dicken Eisschichte bedeckt waren.

So lag er denn in Ketten auf dem Stroh, machtlos und verwundet, aber dabei sah er noch so gewaltig, so furchterregend aus, daß er, auf diese Weise hingestreckt, das Ansehen eines aus einem mächtigen Felsblock ausgehauenen steinernen Riesen hatte. Zygfryd befahl Diderich, dem Gefangenen ins Gesicht zu leuchten, und eine Weile betrachtete er diesen schweigend, dann wendete er sich wieder zu seinem Begleiter, indem er sagte:

»Schau her, nur noch an einem Auge hat er Sehkraft, brenne ihm dies Auge aus.«

Eine gewisse Schwäche und Hinfälligkeit machte sich in dem Tone des alten Kreuzritters bemerklich, aber gerade darum klang der furchtbare Befehl noch furchtbarer. Die Fackel zitterte auch ein wenig in der Hand des Henkers, gleichwohl neigte er sie herab und bald fielen große brennende Pechtropfen auf Jurands Auge.

Jurands Gesicht zog sich krampfhaft zusammen, unter seinem fahlgelben Schnurrbarte wurden die fest aufeinandergepreßten Zähne sichtbar, aber kein Wort drang über seine Lippen und, war nun Erschöpfung oder war die angeborene Willenskraft seiner gewaltigen Natur schuld daran, er ließ auch keinen Klageton hören.

Zygfryd ließ sich nun also vernehmen: »Man versprach Dir, Dich frei dahinziehen zu lassen, und dies wird auch geschehen, aber den Orden wirst Du nicht anklagen können, denn die Zunge, mit der Du ihn gelästert hast, wird Dir herausgerissen werden.«

Und wieder winkte er Diderich, dem ein seltsamer Gurgellaut entfuhr, und welcher durch Gebärden kundgab, daß er beide Hände gebrauchen müsse und den Komtur ersuche, ihm zu leuchten.

Da nahm der Greis die Fackel und hielt sie mit der ausgestreckten, zitternden Hand, doch als Diderich sich mit den Knien gegen Jurands Brust stemmte, wendete er den Kopf ab und blickte auf die mit Reif bedeckte Wand.

Während eines kurzen Augenblickes vernahm man das Klirren der Ketten, schwere, keuchende Atemzuge, etwas wie ein dumpfes Aechzen, dann folgte eine tiefe Stille.

Schließlich ließ sich Zygfryds Stimme von neuem hören: »Jurand, die Strafe, welche Du erduldet, war Dir schon längst bestimmt, aber ich gelobte auch Bruder Rotgier, welcher durch den Ehegemahl Deiner Tochter erschlagen ward, Deine rechte Hand in seinen Sarg zu legen.«

Da beugte sich Diderich, der sich schon aufgerichtet hatte, abermals über Jurand.

Nach einer gewissen Zeit befanden sich der alte Komtur und Diderich wieder in dem vom Mondlicht übergossenen Hofe. Als sie den Korridor durchschritten hatten, nahm Zygfryd die Laterne, sowie einen unförmigen, in einen dunklen Lappen gewickelten Gegenstand aus der Hand des Henkers und sagte laut zu sich selbst: »Jetzt zurück in die Kapelle und dann in den Turm.«

Diderich schaute ihn forschend an, doch der Komtur befahl ihm, schlafen zu gehen; er selbst aber schleppte sich, die Laterne in der bebenden Hand, der Richtung der erleuchteten Kapellenfenster zu. Dabei sann er über das Vorgegangene nach. Ihn dünkte, daß auch für ihn jetzt das Ende herannahe, daß dies seine letzten Thaten auf Erden seien, die er nur vor Gott allein zu verantworten habe. Denn obwohl dieser Kreuzritter von Natur grausam, aber nicht unwahr war, hatte er sich doch unter dem Einfluß der unerbittlichen Notwendigkeit an allerlei Winkelzüge gewöhnt, daß er jetzt unwillkürlich dachte, er könne die Verantwortlichkeit für Jurands Marter, sowohl von sich selbst, als auch von dem Orden abwälzen. Diderich war stumm, nicht fähig ein Geständnis abzulegen, und wenn schon er sich dem Kaplan verständlich zu machen gewußt hätte, unterließ er sicherlich aus Angst jeden derartigen Versuch. Also wer sollte beweisen, daß Jurand nicht all seine Wunden im Kampfe bekommen hatte? Wie leicht hätte er seine Zunge durch den Stoß einer Lanze verlieren können, wie leicht hätte ihm mit einem Schwerte oder Beil die rechte Hand abgehauen werden können; auch hatte er nur ein Auge gehabt, was Wunder also, daß es ihm ausgeschlagen ward, als er sich im Wahnsinn auf die ganze Besatzung von Szczytno stürzte? Einmal noch bewegte ein Gefühl des Triumphes das Herz des alten Kreuzritters. Ja, wenn Jurand am Leben blieb, mußte er freigelassen werden! Hier erinnerte sich Zygfryd, wie er darüber mit Rotgier beraten und wie der junge Bruder lächelnd gesagt hatte: »Mag er dann dahin gehen, wohin ihn seine Blicke lenken, und wenn er den Weg nach Spychow nicht finden kann, dann mag er darnach fragen,« denn das was geschehen war, hatten sie schon zum Teil miteinander beschlossen. Und jetzt, da Zygfryd in die Kapelle trat und, am Sarge niederkniend, Jurands blutige Hand zu Rotgiers Füßen niederlegte, spiegelte sich jenes Triumphgefühl in seinem Antlitz wider.

»Siehst Du,« sagte er, »ich that mehr, als wir mit einander verabredet hatten. Denn König Johann von Luxemburg stellte sich in der Schlacht ein, obwohl er blind war, und starb mit Ruhm bedeckt, aber Jurand wird sich nicht mehr zum Kampfe stellen, und wie ein Hund hinter einem Zaune wird er zu Grunde gehen.«

Hier überkam ihn plötzlich wieder das Gefühl der Atemnot, gerade wie zuvor, als er sich in Jurands Gefängnis begeben hatte, und auf seinem Haupte fühlte er einen Druck wie von einem schweren eisernen Helme. Doch dies währte nur einen Augenblick. Gleich darauf atmete er tief auf und fuhr dann fort: »Nun kommt auch meine Zeit heran. Ich hatte nur Dich allein, und jetzt habe ich niemand mehr. Aber wenn es mir bestimmt ist, noch länger zu leben, gelobe ich Dir, mein Sohn, daß ich auch jene Hand, welche Dich erschlug, auf Dein Grab legen oder selbst zu Grunde gehen will. Dein Mörder ist jetzt noch am Leben.«

Da mit einem Male erstarben die Worte auf seinen Lippen. Ein so heftiger Krampf erfaßte ihn, daß seine Zähne auf einander schlugen, und erst nach einer gewissen Zeit begann er wieder in abgerissenen Lauten: »Ja … Dein Mörder ist noch am Leben, aber ich werde ihn zu treffen wissen … und bevor wir uns gegenüber stehen, werde ich ihm eine Marter auferlegen, die noch schlimmer ist als der Tod selbst.«

Er verstummte.

Nach einer Weile erhob er sich und noch näher an den Sarg herantretend sagte er in ruhigem Tone: »Nun nehme ich Abschied von Dir. Ich blicke zum letztenmal in Dein Antlitz, vielleicht kann ich in Deinen Zügen lesen, ob mein Gelübde Dich freut. Zum letztenmal!«

Er enthüllte Rotgiers Gesicht, fuhr aber plötzlich zurück.

»Du lächelst,« sagte er, »aber Dein Lächeln ist furchtbar!«

Der durch die Ueberführung in der Winterkälte ganz erstarrte Leichnam war jetzt unter dem Mantel und vielleicht auch durch die Wärme der Kerzen mit ungewöhnlicher Schnelligkeit in Verwesung übergegangen und das Antlitz des jungen Komturs sah in der That entsetzlich aus. Seine großen, angeschwollenen, schwarz gewordenen Ohren glichen einer unförmigen Masse, und seine bläulichen, aufgeworfenen Lippen waren verzogen wie zu einem Lächeln.

Zygfryd verhüllte hastig wieder diese fürchterliche Larve.

Dann nahm er die Laterne und verließ die Kapelle. Wieder, zum drittenmale, mangelte ihm der Atem, er kehrte daher in sein Gelaß zurück, warf sich auf sein hartes Lager und verharrte einige Zeit regungslos. Er sehnte sich nach Schlaf, aber plötzlich überkam ihn ein seltsames Gefühl. Ihn dünkte, daß der Schlaf ihn für immer fliehe, und daß der Tod ihn sofort ereile, wenn er in diesem Gelaß bleibe.

Zygfryd fürchtete den Tod nicht. In seiner großen Erschöpfung und ohne Hoffnung, jemals wieder Schlaf zu finden, erschien er ihm wie die ersehnte unendliche Ruhe, aber in dieser Nacht wollte er ihm noch keine Gewalt über sich einräumen, daher richtete er sich auf seinem Lager auf und sagte: »Lasse mir Zeit bis morgen!«

Da hörte er deutlich, wie ihm eine Stimme ins Ohr flüsterte: »Weiche aus dieser Zelle. Morgen wird es zu spät sein und Du wirst nicht vollführen können, was Du gelobt hast. Weiche aus dieser Zelle!«

Der Komtur erhob sich mühsam und trat hinaus. Von den Zinnen ertönte der Ruf der Wache. Aus den Fenstern der Kapelle fiel ein goldener Schein auf den Schnee. In der Mitte des Hofes, an dem steinernen Ziehbrunnen, spielten zwei schwarze Hunde miteinander, indem sie einen Lappen hin und her zogen, sonst aber war es leer und still rings umher.

»So muß es denn sein – noch diese Nacht –« sagte Zygfryd. »Ich bin tief erschöpft, aber ich muß mich aufraffen. Alle schlafen. Auch Jurand schläft vielleicht, von seinen Qualen übermannt, nur ich schlafe nicht. Ja, ich will gehen, ich will gehen, denn in meiner Zelle ist der Tod, und ich habe es Dir ja versprochen. Mag der Tod dann kommen, da der Schlaf mich flieht. Du liegst lächelnd da, mir aber fehlt die Kraft. Du lächelst, Du freust Dich also darüber. Aber siehst Du, meine Finger sind steif geworden, ich fühle keine Kraft mehr in der Hand, ich kann das nicht allein vollbringen. Mag es die Dienerin thun, welche bei ihr schläft.«

So sprechend ging er mit schweren Schritten dem am Thore stehenden Turme zu. Die Hunde, welche am Ziehbrunnen gespielt hatten, sprangen ihm wedelnd entgegen. In einem von ihnen erkannte Zygfryd die englische Dogge, welche so unzertrennlich von Diderich war, daß die Leute in der Burg sagten, sie diene ihm des Nachts als Kopfkissen.

Nachdem der Hund den Komtur freudig begrüßt hatte, schlug er leise an, dann lief er dem Thore zu, wie wenn er Zygfryds Absicht errate.

Bald befand sich dieser vor der schmalen Pforte des Turmes, welche des Nachts von außen verriegelt war. Nachdem er den Riegel zurückgeschoben hatte, tastete er nach dem Geländer der Treppe, welche dicht hinter der Thüre begann und stieg empor. Von seinen Gedanken vollständig erfüllt, hatte er die Laterne vergessen, so mußte er nun im Finstern tappend weiter gehen, indem er vorsichtig auftrat und mit den Füßen die Stufen suchte.

Da plötzlich, nach einigen Schritten, blieb er stehen, denn weiter oben, aber dicht vor ihm, ließ sich etwas wie die Atemzüge eines Menschen oder Tieres vernehmen.

»Wer ist hier?«

Es kam keine Antwort, aber die Atemzüge wurden rascher.

Zygfryd war kein furchtsamer Mensch, ihm bangte nicht vor dem Tode, allein die entsetzlichen Ereignisse dieser Nacht hatten seine körperlichen und geistigen Kräfte bis aufs Aeußerste erschöpft. Der Gedanke flog ihm durch den Kopf, daß ihm Rotgier oder vielleicht der böse Geist den Weg vertrete, und die Haare standen ihm zu Berge, kalter Schweiß trat auf seine Stirne. Er wich zurück, fast bis zum Eingang.

»Wer ist hier?« fragte er mit halb erstickter Stimme.

Aber in demselben Augenblick erhielt er einen so furchtbaren Stoß gegen die Brust, daß er das Bewußtsein verlor und rücklings durch die offene Thüre fiel, ohne einen Laut von sich zu geben.

Eine tiefe Stille folgte. Dann schlich eine dunkle Gestalt aus dem Turme hervor und eilte in gebückter Haltung dem Stalle zu, der sich auf der linken Seite des Hofes neben der Rüstkammer befand. Diderichs Dogge sprang hinter ihr her, der andere Hund lief ihnen nach und verschwand in der Dunkelheit, zeigte sich aber bald wieder, den Kopf zur Erde gesenkt und ganz langsam laufend, wie wenn er eine Spur suche. So näherte er sich dem regungslos daliegenden Zygfryd, beschnüffelte ihn aufmerksam, setzte sich neben dessen Haupte nieder, richtete seine Schnauze empor und begann laut zu heulen.

Das Geheul währte lange Zeit, die Schrecknisse dieser grausigen Nacht durch neue Klagelaute noch erhöhend. Endlich öffnete sich knarrend eine in einer Vertiefung der Hauptthüre verborgene Pforte und mit einer Hellebarde in der Hand trat der Thorwart in den Hof.

»Die Pest über diesen Hund!« sagte er. »Ich werde Dich lehren, während der Nacht zu heulen.«

Und die Hellebarde ausstreckend, wollte er mit der Spitze das Tier durchbohren, aber in diesem Augenblick sah er, daß jemand am Eingang des Turmes lag.

»Herr Jesus! Was ist das?«

Sich herabbeugend schaute er in das Gesicht des Regungslosen und schrie: »Hierher! Hierher! Hilfe!«

Hierauf eilte er an das Thor und begann mit aller Kraft den Glockenstrang zu ziehen.

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