Das Mittagsmahl.
Offenbar belebte dasselbe Gefühl alle Gäste, als man in den Speisesaal trat. Sie fragten sich, welch ein seltsamer Einfluß sie alle in dieses Haus geführt habe, und so erstaunt und sogar so unruhig auch einige darüber waren, daß sie sich darin befanden, so hatten sie doch keineswegs den Wunsch, nicht hier zu sein.
Gleichwohl machten es die kurze Bekanntschaft mit dem Grafen, die sonderbare Ausnahmestellung, die er einnahm, das seiner Herkunft nach unbekannte und fast fabelhafte Vermögen des Grafen den Männern zur Pflicht, behutsam zu sein. Die Damen aber hätten ein Haus nicht betreten sollen, wo sich keine Frauen fanden, um sie zu empfangen; und dennoch hatten Männer und Frauen, die einen die Vorsicht, die andern die Schicklichkeit aus den Augen gesetzt, indem die Neugierde mit unwiderstehlichem Zuge jedes Widerstreben überwand.
Alle Anwesenden ohne Ausnahme, sogar Cavaleanti, der Vater, trotz seiner Steifheit, und Cavalcanti der Sohn, trotz seiner Leichtfertigkeit, schienen darüber beunruhigt, daß sie sich bei einem Manne, dessen Zwecke sie nicht begreifen konnten, mit andern Menschen zusammen befanden, die sie zum erstenmal sahen.
Frau Danglars machte eine Bewegung, als sie gewahrte, daß Herr von Villefort auf Monte Christos Einladung sich ihr näherte, um ihr den Arm zu bieten; und Herr von Villefort empfand, daß sich sein Blick unter seiner goldenen Brille verwirrte, als er fühlte wie sich der Arm der Baronin auf den seinigen legte.
Keine dieser Bewegungen war dem Grafen entgangen, und es lag schon in dieser einfachen Berührung der beiden Menschen für den Beobachter dieser Szene ein großes Interesse.
Herr von Villefort hatte zu seiner Rechten Frau von Danglars und zu seiner Linken Morel.
Der Graf saß zwischen Frau von Villefort und Danglars.
Die andern Zwischenräume wurden ausgefüllt durch Debray, der zwischen Cavalcanti Vater und Cavalcanti Sohn, und durch Chateau-Renaud, der zwischen Frau von Villefort und Morel saß.
Das Mahl war prachtvoll; Monte Christo hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Pariser Symmetrie völlig umzustürzen und mehr noch der Neugierde als dem Appetit seiner Gäste die gewünschte Nahrung zu geben. Es war ein orientalischer Schmaus, was man ihnen bot, doch orientalisch auf eine Weise, wie man sie sich nur bei Festen arabischer Feen vorstellt.
Alle Früchte, welche die vier Weltteile unversehrt und wohlschmeckend in das europäische Füllhorn zu spenden vermögen, waren in Pyramiden in chinesischen Vasen und auf japanischen Schalen aufgehäuft. Seltene Vögel mit glänzendem Gefieder, riesenhafte Fische auf silbernen Platten, alle Weine des Archipels, von Kleinasien und vom Kap, in Flaschen von bizarren Formen, zogen gleich wie bei jenen gastronomischen Wunderschmäusen, welche die römischen Schlemmer der üppigsten Kaiserzeit ihren Gästen boten, vor diesen Parisern vorüber, welche meinten, man könne tausend Louisd’or für ein Mittagsmahl von zehn Personen nur ausgeben, wenn man wie Cleopatra Perlen verschluckte.
Monte Christo sah das allgemeine Erstaunen und fing an zu lachen und zu spotten.
Meine Herren, sagte er, Sie werden mir eines wohl zugeben, daß es nämlich, wenn man zu einem gewissen Grade des Vermögens gelangt ist, nichts so sehr Notwendiges gibt, als das Überflüssige. Was ist eigentlich ein wahrhaft wünschenswertes Gut? Ein Gut, das wir nicht haben können. Dinge sehen, die ich nicht begreifen kann, mir Dinge verschaffen, die unmöglich zu haben sind, das ist nun das einzige Streben meines Lebens. Ich gelange hierzu durch zwei Mittel, durch das Geld und durch den Willen. Um eine Laune zu verfolgen, wende ich zuweilen die Beharrlichkeit an, die Sie anwenden, Herr Danglars, um eine neue Eisenbahnlinie herzustellen; Sie, Herr von Villefort, um einen Menschen zum Tode verurteilen zu lassen; Sie, Herr Debray, um ein Diplomatenkunststück zu vollbringen; Sie, Herr von Chateau-Renaud, um einer Frau zu gefallen; Sie, Herr Morel, um ein Pferd zu bändigen, das sonst niemand zu bändigen vermag. Sehen Sie zum Beispiel diese Fische an, von denen der eine fünfzig Meilen von St. Petersburg, der andere fünf Meilen von Neapel das Licht der Welt erblickt hat. Ist es nicht belustigend, sie auf derselben Tafel zu vereinigen?
Was für Fische sind dies? fragte Danglars.
Hier ist Herr von Chateau-Renaud, der sich in Rußland aufgehalten hat und Ihnen den Namen des einen sagen wird, antwortete Monte Christo, und hier ist Herr Major von Cavalcanti, ein Italiener, der Ihnen wohl den Namen des andern nennt.
Dieser hier ist, glaube ich, ein Sterlet, sagte Chateau-Renaud.
Und dieser hier ist, wenn ich mich nicht täusche, eine Lamprete, versetzte Cavalcanti.
So ist es. Mein lieber Herr Danglars, fragen Sie nun die beiden Herren, wo man diese Fische fängt.
Die Sterlets fängt man nur in der Wolga, sagte Chateau-Renaud.
Nur der Fusaro-See liefert meines Wissens Lampreten von dieser Größe, sagte Cavalcanti. Ganz richtig: der eine kommt aus der Wolga, der andere aus dem Fusaro-See.
Unmöglich! riefen zugleich alle Gäste.
Sehen Sie, das ist es gerade, was mich belustigt, sagte Monte Christo. Ich bin wie Nero, das Unmögliche zieht mich an, und das ist es auch, was Sie ergötzt, denn daß Ihnen dieses Fleisch, das in Wirklichkeit vielleicht nicht so viel wert ist, als das des Barsches oder des Salms, ausgezeichnet erscheint, rührt wohl bloß davon her, daß es Ihnen unmöglich schien, es sich zu verschaffen, und daß es nun doch da ist.
Doch wie hat man es fertig gebracht, diese Fische nach Paris zu transportieren?
Oh, mein Gott! Es gibt nichts Einfacheres; man hat jeden in ein großes Faß getan, von denen das eine mit Schilfrohr und Meergras, das andere mit Binsen und Seepflanzen ausgepolstert war. Man legte sie sodann auf einen besonders hierzu gebauten Packwagen, und so lebte der Sterlet zwölf Tage und die Lamprete acht; und beide waren noch völlig lebendig, als sie meinem Koch in die Hände fielen, der den einen in Milch, den andern in Wein sterben ließ.
Sie sind in der Tat ein wunderbarer Mann! rief Danglars, und die Philosophen mögen sagen, was sie wollen, es ist doch herrlich, reich zu sein.
Das alles ist bewundernswürdig, sagte Chateau-Renaud; doch ich gestehe, was ich am meisten bewundere, ist die staunenswerte Schnelligkeit, mit der Sie bedient werden. Nicht wahr, Herr Graf, Sie haben dieses Haus erst vor fünf bis sechs Tagen gekauft?
Allerdings.
Nun wohl, ich bin überzeugt, daß es in acht Tagen völlig umgestaltet sein wird; denn wenn ich mich nicht täusche, hatte es einen ganz andern Eingang, als jetzt, und der Hof war gepflastert und leer, während er heute aus einem herrlichen Rasen besteht, eingefaßt von Bäumen, die über hundert Jahre alt zu sein scheinen.
Das ist natürlich, ich liebe das Grüne und den Schatten, versetzte Monte Christo.
In der Tat, sagte Frau von Villefort, früher kam man durch ein Tor, das auf die Straße ging, und am Tage meiner wunderbaren Rettung ließen Sie mich, wie ich mich erinnere, von der Straße aus in das Haus eintreten.
Ja, gnädige Frau, erwiderte Monte Christo; doch seitdem zog ich einen Eingang vor, der mir erlaubt, das Bois de Boulogne durch mein Gitter zu sehen.
In vier Tagen, rief Morel, das ist ein Wunder!
Sie haben recht, sagte Chateau-Renaud, aus einem alten Hause ein neues zu machen, ist etwas höchst Wunderbares, denn das Haus war in der Tat sehr alt und hatte sogar ein sehr düsteres Aussehen; ich entsinne mich dessen, denn ich war von meiner Mutter beauftragt, es in Augenschein zu nehmen, als es Herr von Saint-Meran vor ein paar Jahren zum Verkaufe ausbot.
Herr von Saint-Meran! sagte Frau von Villefort, dieses Haus gehörte also Herrn von Saint-Meran, ehe Sie es kauften, Herr Graf?
Es scheint so, antwortete Monte Christo.
Wie, es scheint? Sie wissen nicht, wem Sie Ihr Haus abgekauft haben?
Meiner Treu, nein, mein Intendant besorgt alle diese Einzelheiten.
Es war wenigstens zehn Jahre gar nicht bewohnt, bemerkte Chateau-Renaud, und es bot einen gar traurigen Anblick mit seinen geschlossenen Läden und Türen und dem Grase im Hofe. Wahrlich, wenn es nicht dem Schwiegervater eines Staatsanwaltes gehört hätte, man wäre versucht gewesen, es für eines von jenen verfluchten Häusern zu halten, in denen ein großes Verbrechen begangen worden ist.
Villefort, der bis jetzt keines von den drei bis vier mit außerordentlichen Weinen gefüllten Gläsern berührt hatte, die vor ihm standen, nahm das nächststehende und leerte es in einem Zuge.
Monte Christo ließ einen Augenblick hingehen, dann sagte er, das Stillschweigen unterbrechend, das auf die Worte Chateau-Renauds gefolgt war: Es ist seltsam, Herr Baron, aber derselbe Gedanke ergriff mich, als ich es zum erstenmale betrat, und dieses Haus kam mir so düster vor, daß ich es nie gekauft haben würde, wenn nicht der Intendant die Sache für mich abgemacht hätte. Ohne Zweifel hat der Bursche vom Sachwalter ein hübsches Trinkgeld bekommen.
Das ist wahrscheinlich, stammelte Villefort, der zu lächeln suchte; glauben Sie mir jedoch, daß ich an dieser Bestechung keinen Teil habe. Es war der Wille des Herrn von Saint-Meran, daß dieses Haus, das zur Mitgift seiner Enkelin gehört, verkauft würde, denn wäre es noch drei oder vier Jahre unbewohnt geblieben, so müßte es in Trümmer zerfallen sein.
Nun erbleichte Morel ebenfalls.
Besonders ein Zimmer, fuhr Monte Christo fort, ein Zimmer, mein Gott! ein scheinbar ganz einfaches Zimmer, ein Zimmer wie alle anderen Zimmer, mit rotem Damast austapeziert, kam mir, ich weiß nicht warum, so tragisch vor, wie nur etwas sein kann.
Warum dies? fragte Debray, warum tragisch?
Gibt man sich Rechenschaft über unbewußte Eindrücke? Gibt es nicht Orte, an denen man geradezu Traurigkeit einzuatmen scheint? Warum? Man weiß es nichts durch eine Verkettung von Erinnerungen, durch eine Laune des Geistes, der uns in andere Zeiten, an andere Orte zurückführt, die vielleicht in gar keinem Zusammenhang mit den Zeiten und Orten stehen, wo wir uns befinden! Ich weiß nur gewiß, daß mich dieses Zimmer auf eine wunderbare Weise an das Zimmer der Desdemona erinnerte. Bei Gott, da wir mit dem Mittagsmahl fertig sind, muß ich es Ihnen zeigen, dann gehen wir in den Garten und nehmen dort den Kaffee. Monte Christo befragte seine Gäste durch ein Zeichen. Frau von Villefort stand auf, Monte Christo tat dasselbe, und die andern folgten dem Beispiel.
Villefort und Frau Danglars blieben einen Augenblick wie an ihre Plätze genagelt, sie befragten sich mit kalten, stummen, eisigen Augen.
Haben Sie gehört? fragte Frau Danglars.
Wir müssen gehen, antwortete Villefort, aufstehend und ihr den Arm reichend.
Es hatten sich bereits alle Gäste, von Neugierde getrieben, gesammelt, denn man dachte wohl, der Besuch würde sich nicht auf dieses Zimmer beschränken, und man würde zugleich die übrigen Teile der ehemaligen Baracke, aus der Monte Christo einen Palast gemacht hatte, durchwandern. Jeder eilte durch die offene Tür. Monte Christo wartete auf die Zögernden; als sie ebenfalls hinausgegangen waren, schloß er den Zug mit einem Lächeln, das seine Gäste, wenn sie es hätten begreifen können, ganz anders in Schrecken gesetzt haben würde, als das Zimmer, das man betreten sollte. Man durchschritt nach und nach die auf orientalische Weise ausgestatteten Räume und die mit den schönsten Gemälden alter Meister geschmückten Salons; endlich gelangte man in das berüchtigte Gemach.
Es zeigte nichts Besonderes, als daß es, obgleich der Tag sich neigte, nicht erleuchtet war und sein altes Aussehen beibehalten hatte, während alle übrigen Zimmer in gänzlich neuem Schmucke erschienen. Diese zwei Ursachen genügten in der Tat, ihm eine düstere Farbe zu verleihen.
Hu; rief Frau von Villefort, das ist in der Tat schauerlich.
Frau Danglars suchte ein paar Worte zu stammeln, die man nicht verstand. Verschiedene Bemerkungen flogen durcheinander und bestätigten insgesamt, das Zimmer mit dem roten Damast habe ein unheilschwangeres Aussehen.
Nicht wahr? sagte Monte Christo. Schauen Sie nur, wie dieses Bett sonderbar gestellt ist, welch eine düstere, blutige Tapete! Und diese beiden Porträts mit ihren infolge der Feuchtigkeit verblichenen Augen, scheinen ihre blassen Lippen und ihre irren Augen nicht zu sagen: Ich habe gesehen?
Villefort wurde leichenbleich, und Frau Danglars fiel auf einen in der Nähe des Kamins stehenden Stuhl.
Oh! haben Sie wirklich den Mut, sich auf diesen Stuhl zu setzen, worauf das Verbrechen vielleicht begangen worden ist? fragte Frau von Villefort lächelnd.
Frau Danglars stand rasch auf.
Und das ist noch nicht alles, sagte Monte Christo.
Was gibt es denn noch? fragte Debray, dem Frau Danglars Aufregung nicht entging.
Sehen Sie doch diese kleine Treppe, sagte Monte Christo, eine in der Tapete verborgene Tür öffnend, schauen Sie, und sagen Sie mir, was Sie davon denken!
Welch unheilschwangere Stufen! rief lachend Chateau-Renaud.
Ich weiß in der Tat nicht, ob es der Wein von Chios ist, der so schwermütig macht, aber ich sehe dieses Haus allerdings ganz schwarz, sagte Debray.
Morel war, seit von Valentines Mitgift die Rede gewesen war, traurig geblieben und hatte kein Wort mehr gesprochen.
Denken Sie sich einen Othello oder irgend einen Abbé von Ganges, sagte Monte Christo, der Schritt für Schritt in einer finstern, stürmischen Nacht mit einer unseligen Bürde, die er, wenn nicht dem Auge Gottes, doch dem Blicke der Menschen zu entziehen eilig bemüht wäre, diese Treppe hinabginge.
Frau Danglars wurde halb ohnmächtig am Arme Villeforts, der sich selbst an die Wand lehnen mußte.
Ah! mein Gott, gnädige Frau, was haben Sie denn? rief Debray, wie bleich werden Sie!
Was sie hat? Das ist ganz einfach, versetzte Frau von Villefort; Herr von Monte Christo erzählt uns schreckliche Geschichten, ohne Zweifel, damit wir vor Furcht sterben sollen. Ja wohl, sagte Villefort. In der Tat, Graf, Sie erschrecken die Damen.
Was haben Sie denn? fragte Debray wiederholt Frau Danglars.
Nichts, nichts, erwiderte diese, nicht ohne eine gewisse Anstrengung, ich bedarf nur der Luft.
Wollen Sie in den Garten hinabgehen? fragte Debray, Frau Danglars seinen Arm bietend und auf die Geheimtreppe zuschreitend.
Nein, nein, antwortete sie, ich will lieber hier bleiben!
Ist dieser Schrecken in der Tat ernst, gnädige Frau? sagte Monte Christo.
Nein, mein Herr, erwiderte Frau Danglars; doch Sie haben eine Art, die Dinge an die Wand zu malen, welche die Illusion zur Wirklichkeit macht.
Oh! Gott, ja, sagte Monte Christo lächelnd, und das ist alles ein Erzeugnis der Einbildungskraft; denn warum sollte man sich nicht ebensogut dieses Zimmer als ein ehrliches, gutes Zimmer einer biederen Hausfrau vorstellen, dieses Bett mit seinen purpurroten Vorhängen als ein von der fruchtbaren Göttin Lucina besuchtes Lager, und diese geheimnisvolle Treppe als den Gang, durch den sacht, und um den erquickenden Schlaf der Wöchnerin nicht zu stören, der Arzt geht, oder die Amme, oder der Vater, das schlummernde Kind auf dem Arme …?
Diesmal stieß Frau Danglars, statt sich zu beruhigen, einen Seufzer aus und fiel in Ohnmacht.
Frau Danglars befindet sich unwohl, stammelte Villefort; man sollte sie vielleicht in ihren Wagen bringen.
Oh, mein Gott! rief Monte Christo, ich habe meinen Flacon vergessen.
Hier ist der meinige, sagte Frau von Villefort und reichte Monte Christo einen Flacon voll eines roten Saftes, dem ähnlich, dessen wohltätige Wirkung der Graf an Eduard versucht hatte.
Ah! sagte Monte Christo, während er das Fläschchen aus Frau von Villeforts Händen nahm.
Ja, flüsterte ihm diese zu, ich habe es nach Ihren Angaben versucht.
Und es ist Ihnen gelungen?
Ich glaube.
Man hatte Frau Danglars in das Nebenzimmer gebracht. Monte Christo ließ einen Tropfen von dem roten Safte auf ihre Lippen fallen, und sie kam zu sich.
Oh! welch ein gräßlicher Traum! rief sie.
Villefort drückte ihr kräftig die Hand, um ihr zu verstehen zu geben, sie hätte nicht geträumt.
Man suchte Herrn Danglars; Monte Christo schien in Verzweiflung; er nahm Frau Danglars am Arm und führte sie in den Garten, wo man Herrn Danglars fand, zwischen den Herren Cavalcanti Vater und Sohn Kaffee schlürfend.
Habe ich Sie wirklich erschreckt? fragte Monte Christo.
Nein; aber Sie wissen, die Dinge bringen Eindrücke auf uns hervor, je nach der Stimmung, in der wir uns befinden.
Villefort zwang sich zu lachen. Und dann begreifen Sie, sagte er, es genügt eine Voraussetzung, eine Chimäre …
Nun wohl, sagte Monte Christo, Sie mögen nur glauben oder nicht, ich habe die feste Überzeugung, daß ein Verbrechen in diesem Hause begangen worden ist.
Nehmen Sie sich in acht, entgegnete Frau von Villefort, wir haben einen Staatsanwalt hier.
Meiner Treu, rief Monte Christo, da sich dies gerade so trifft, so werde ich es benutzen, um meine Angabe zu machen.
Ihre Angabe? fragte Villefort.
Ja, und zwar in Gegenwart von Zeugen.
Alles dies ist sehr interessant, bemerkte Debray, und wenn wirklich ein Verbrechen vorliegt, so werden wir vortrefflich verdauen.
Es liegt ein Verbrechen vor, sagte Monte Christo. Kommen Sie hierher, meine Herren, kommen Sie, Herr von Villefort; damit die Angabe gültig ist, muß sie bei der zuständigen Behörde gemacht werden. Monte Christo nahm Villefort am Arme, und während er zugleich Frau Danglars‘ Arm unter den seinigen drückte, zog er den Staatsanwalt bis unter die Platane, wo der Schatten am stärksten war. Die andern Gäste folgten insgesamt.
Sehen Sie, sagte Monte Christo, hier, gerade auf dieser Stelle – und er stieß mit dem Fuße auf die Erde – hier ließ ich, um die alten Bäume durch andere zu ersetzen, graben und Erde auslegen; bei dem Graben entdeckten meine Arbeiter ein Kistchen, oder vielmehr die eisernen Bande eines Kistchens, unter denen das Skelett eines neugeborenen Kindes lag. Das ist, denke ich, keine Sinnestäuschung?
Monte Christo fühlte, wie Frau Danglars‘ Arm erstarrte und Villeforts Hand zitterte.
Ein neugeborenes Kind, wiederholte Debray; Teufel! die Sache wird ernst, wie mir scheint.
Oh! wer kann sagen, daß es ein Verbrechen ist? versetzte Villefort mit einer letzten Anstrengung.
Wie? Ein Kind in einem Garten lebendig begraben und kein Verbrechen? rief Monte Christo. Wie nennen Sie denn diese Handlung, Herr Staatsanwalt?
Aber wer sagt denn, es sei lebendig begraben worden?
Warum es hier begraben, wenn es tot war? Dieser Garten ist nie ein Friedhof gewesen.
Was widerfährt den Kindesmördern in diesem Lande? fragte naiv der Major Cavalcanti.
Mein Gott, man schneidet ihnen ganz einfach, den Hals ab, antwortete Danglars.
Ah! man schneidet ihnen den Hals ab, rief Cavalcanti.
Ich glaube … nicht wahr, Herr von Villefort? fragte Monte Christo.
Ja, Herr Graf, antwortete dieser mit einem Ausdrucke, der nichts Menschliches mehr hatte.
Monte Christo sah, daß die beiden Personen, für welche er die Szene vorbereitet hatte, nicht mehr ertragen konnten, und sagte, da er die Sache nicht weiter treiben wollte: Doch, meine Herren, mir scheint, wir vergessen den Kaffee. Und er führte seine Gäste zu dem mitten auf dem Rasen stehenden Tische.
In der Tat, Herr Graf, sagte Frau Danglars, ich schäme mich, meine Schwäche zu gestehen, aber alle diese furchtbaren Geschichten haben mich gewaltig angegriffen; ich bitte, erlauben Sie, daß ich mich setze.
Und sie fiel auf einen Stuhl.
Monte Christo verbeugte sich vor ihr, trat zu Frau von Villefort und sagte zu dieser: Ich glaube, Frau Danglars bedarf abermals Ihres Flacons.
Doch ehe sich Frau von Villefort ihrer Freundin näherte, hatte der Staatsanwalt bereits Frau Danglars zugeflüstert:
Ich muß Sie morgen sprechen.
Wo?
Kommen Sie in mein Büro, das ist noch der sicherste Ort.
Ich werde kommen.
In diesem Augenblick kam Frau von Villefort.
Ich danke, liebe Freundin, sagte Frau Danglars, welche zu lächeln suchte, es ist nichts, und ich fühle mich bereits besser.