Bertuccio.

 

Mittlerweile war der Graf in seiner Wohnung angelangt; er hatte sechs Minuten gebraucht, den Weg zurückzulegen. Diese sechs Minuten genügten, daß er von zwanzig jungen Leuten bemerkt wurde, die, bekannt mit dem Preise des Gespanns, das sie selbst nicht hatten kaufen können, ihre Rosse in Galopp setzten, um den glänzenden Herrn zu sehen, der sich Pferde im Werte von 20 000 Franken anschaffte.

 

Das von Ali gewählte Haus, das für Monte Christo als Pariser Residenz dienen sollte, lag rechts, wenn man die Champs-Elysées hinaufgeht, zwischen Hof und Garten. Eine üppige Baumgruppe, die sich mitten im Hofe erhob, verbarg einen Teil der Fassade. Das inmitten eines weiten Raumes vereinzelt stehende Haus hatte außer dem Haupteingang noch einen andern Eingang, der sich nach der Rue de Ponthieu öffnete.

 

Ehe der Kutscher den Pförtner angerufen hatte, drehte sich schon das massive Gittertor auf seinen Angeln; man hatte den Grafen kommen sehen, und er wurde in Paris, wie in Rom und überall, mit Blitzesschnelle bedient. Der Kutscher fuhr also hinein, beschrieb den Halbkreis, ohne den Gang seiner Pferde im geringsten zu hemmen, und die Räder krachten noch auf dem Sande der Allee, als bereits das Gitter wieder geschlossen war. Auf der linken Seite der Freitreppe hielt der Wagen an, zwei Männer erschienen am Schlage; der eine war Ali, der seinem Herrn mit unglaublich treuherziger Freude zulächelte und sich durch einen einzigen Blick von Monte Christo bezahlt fand. Der andere verbeugte sich in Demut und reichte dem Grafen den Arm, um ihm aussteigen zu helfen.

 

Ich danke, Herr Bertuccio, sagte der Graf, leicht herausspringend; wie ist’s mit dem Notar?

 

Er wartet im kleinen Salon, antwortete Bertuccio.

 

Und die Visitenkarten, die Sie meinem Befehle gemäß stechen lassen sollten, sobald Sie die Nummer des Hauses wüßten?

 

Sind besorgt, Herr Graf; ich war bei dem besten Graveur des Palais Royal und ließ ihn die Platte in meiner Gegenwart ausführen; die erste abgezogene Karte wurde, wie Sie befohlen, dem Baron Danglars, Deputierten, Rue de la Chaussee d’Antin Nr. 7, überbracht, die andern liegen auf dem Kamin des Schlafzimmers Eurer Exzellenz!

 

Gut. Wieviel Uhr ist es? – Vier Uhr.

 

Monte Christo gab seine Handschuhe, seinen Hut und Stock einem Bedienten und ging dann in den kleinen Salon, wo ihn der Notar, ein ehrliches Schreibergesicht mit der unzerstörbaren Würde eines Pariser Beamten, erwartete.

 

Ist dies der Notar, der den Auftrag hat, das Landhaus zu verkaufen, das ich mir erwerben will? fragte Monte Christo.

 

Ja, Herr Graf, antwortete der Notar; hier ist der Kaufvertrag!

 

Vortrefflich. Und wo liegt das Haus? fragte Monte Christo nachlässig, sich halb an Bertuccio, halb an den Notar wendend.

 

Der Intendant machte eine Gebärde, die wohl bedeuten sollte: Ich weiß es nicht.

 

Der Notar schaute Monte Christo an und rief: Wie, der Herr Graf weiß nicht, wo das Haus liegt, das er kaufen will?

 

Wie zum Teufel soll ich es wissen? Ich komme heute von Cadix, bin nie in Paris gewesen, ja es ist sogar das erste Mal, daß ich französischen Boden betrete.

 

Dann ist es etwas anderes; das Haus, das der Herr Graf kauft, liegt in Auteuil.

 

Bei diesen Worten erbleichte Bertuccio sichtbar.

 

Und wo liegt Auteuil? fragte Monte Christo.

 

Nur ein paar Schritte von hier, Herr Graf, erwiderte der Notar, etwas hinter Paffy, in einer reizenden Gegend.

 

So nahe! sagte Monte Christo, das ist kein Landhaus. Wie zum Teufel konnten Sie ein Haus vor den Toren der Stadt wählen, Herr Bertuccio?

 

Ich! rief der Intendant mit seltsamem Eifer; hat mich der Herr Graf nicht beauftragt, dieses Haus zu wählen? Der Herr Graf wolle die Gnade haben, sich zu besinnen.

 

Ah! es ist richtig, sagte Monte Christo, ich erinnere mich nun, ich habe die Anzeige in irgend einem Blatte gelesen und mich durch den lügnerischen Titel Landhaus verführen lassen.

 

Es ist noch Zeit, sagte Bertuccio lebhaft, und wenn mich Eure Exzellenz beauftragen will, anderswo zu suchen, so werde ich das Beste finden, was es gibt, mag es nun in Enghien, in Fontenay-aux-Roses oder in Bellevue sein.

 

Nein, erwiderte Monte Christo gleichgültig, da dies einmal ins Auge gefaßt ist, will ich’s auch behalten.

 

Und der gnädige Herr hat recht, sagte rasch der Notar, der seine Gebühr zu verlieren fürchtete, es ist ein reizendes Eigentum: fließendes Wasser, Gebüsch, ein, wenn auch seit geraumer Zeit verlassenes, doch äußerst behagliches Wohngebäude, abgesehen von dem Mobiliar, das, so alt es auch ist, doch seinen Wert hat, besonders heutzutage, wo man Altertümer liebt und sucht.

 

Zum Teufel, eine solche Gelegenheit wollen wir nicht versäumen, rief Monte Christo; den Vertrag, Herr Notar!

 

Und er unterzeichnete rasch, nachdem er einen Blick auf die Stelle geworfen hatte, wo die Lage des Hauses und die Namen der Eigentümer angegeben waren, dann befahl er, 55 000 Franken auszuzahlen. Der Intendant ging mit unsichern Schritten hinaus und kehrte mit einem Päckchen Banknoten zurück, die der Notar zählte.

 

Und nun ist allen Förmlichkeiten Genüge geleistet? fragte der Graf. Haben Sie die Schlüssel?

 

Sie sind in den Händen des Hausverwalters, der das Haus bewacht; doch hier ist der schriftliche Befehl, den ich an ihn ergehen lasse, den gnädigen Herrn in sein Eigentum einzuführen.

 

Sehr gut. Begleiten Sie diesen Herrn, sagte der Graf zu Bertuccio.

 

Der Intendant ging hinter dem Notar hinaus.

 

Kaum war der Graf allein, als er aus seiner Tasche ein Portefeuille mit einem Schlosse zog, das er mit einem Schlüsselchen öffnete, das er am Halse trug und nie von sich ließ. Nachdem er einen Augenblick gesucht hatte, nahm er ein Blättchen zur Hand, worauf einige Notizen standen, verglich diese mit dem auf dem Tische liegenden Verkaufsschein und sagte: Auteuil, Rue de la Fontaine Nr. 30, es stimmt. Soll ich nun durch religiösen Schrecken oder durch körperliche Angst ein Geständnis zu entreißen suchen? Jedenfalls werde ich in einer Stunde alles wissen.

 

Bertuccio! rief er, mit einem Hämmerchen auf ein Glöckchen schlagend, das einen scharfen, anhaltenden Ton von sich gab, und der Intendant erschien auf der Schwelle.

 

Herr Bertuccio, sagte der Graf, erzählten Sie mir nicht, Sie seien in Frankreich gereist?

 

Ja, Exzellenz, in einigen Teilen Frankreichs.

 

Sie kennen ohne Zweifel die Gegend von Paris?

 

Nein, Exzellenz, antwortete der Intendant mit einem Beben, das der Graf als Kenner einer heftigen Unruhe zuschrieb.

 

Es ist ärgerlich, daß Sie nie die Gegend von Paris besucht haben, sagte er, denn ich will noch heute abend mein neues Gut in Augenschein nehmen, und wenn Sie mich begleitet hätten, würden Sie mir ohne Zweifel nützliche Auskunft gegeben haben.

 

Nach Auteuil! rief Bertuccio, dessen kupferfarbiges Gesicht plötzlich leichenblaß wurde. Ich nach Auteuil gehen?

 

Aber was ist denn Erstaunliches daran, daß Sie nach Auteuil gehen sollen? Wenn ich in Auteuil wohnen werde, müssen Sie wohl dahin kommen, da Sie doch zum Haushalt gehören!

 

Bertuccio neigte das Haupt vor dem gebieterischen Blicke des Herrn und blieb unbeweglich und ohne zu antworten.

 

Was ist Ihnen denn? Sie lassen mich zum zweitenmale um den Wagen läuten? rief Monte Christo mit dem Tone, in dem Ludwig XIV. das bekannte: Ich habe warten müssen! aussprach.

 

Bertuccio sprang in das Vorzimmer und schrie mit heiserer Stimme: Die Pferde Seiner Exzellenz! Monte Christo schrieb ein paar Briefe; als er den letzten versiegelte, erschien der Intendant wieder und meldete den Wagen.

 

Wohl, nehmen Sie Ihren Hut, sagte Monte Christo.

 

Es gab kein Beispiel, daß man einem Befehle des Grafen widersprochen hätte; der Intendant folgte auch, ohne eine Einwendung zu machen, seinem Herrn und nahm seinen Platz ehrfurchtsvoll auf dem Vordersitz.