Gedichte (Die Ausgabe von 1844) von Annette von Droste-Hülshoff als EPUB downloaden
Annette von Droste-Hülshoff
Gedichte
(Die Ausgabe von 1844)
Zeitbilder
Ungastlich oder nicht?
(In Westfalen)
Ungastlich hat man dich genannt,
Will deinen grünsten Kranz dir rauben,
Volk mit der immer offnen Hand,
Mit deinem argwohnlosen Glauben;
O rege dich, daß nicht die Schmach
Auf deinem frommen Haupte laste,
Und redlich, wie das Herz es sprach,
So sprich es nach zu deinem Gaste:
»Fremdling an meiner Marken Stein,
Mann mit der Stirne trüben Falten,
O, greif in deines Busens Schrein,
Und laß die eigne Stimme walten.
Nicht soll bestochner Zeugen Schar
Uns am bestochnen Worte rächen,
Nein, Zeug’ und Richter sollst du klar
Dir selbst das freie Urteil sprechen.
Fühlst du das Herz in dir, nicht heiß
Doch ehrlich, uns entgegen schlagen,
Dein Wort kein falsch und trügend Gleis,
Befleckend was die Lippen tragen,
Fühlst du ein Gast dich wie er lieb
Dir an dem eignen Hausaltare,
Dann frisch heran – nicht wie ein Dieb,
Nein, frisch, mit fröhlicher Fanfare!
Wer unsres Landes Sitte ehrt,
Und auch dem seinen hält die Treue –
Hier ist der Sitz an unserm Herd!
Hier unsres Bruderkusses Weihe!
Wer fremden Volkes Herzen stellt
Gleich seinem in gerechter Waage –
Hier unsre Hand, daß er das Zelt
Sich auf bei unsern Zelten schlage!
Doch sagt ein glüh Erröten dir,
Du gönntest lieber einer andern
Als deiner Schwelle gleiche Zier –
Brich auf, und mögest eilends wandern!
Wir sind ein friedlich still Geschlecht
Mit lichtem Blick und blonden Haaren,
Doch unsres Herdes heilig Recht
Das wissen kräftig wir zu wahren.
Die Luft die unsern Odem regt,
Der Grund wo unsre Gräber blühen,
Die Scholle die uns Nahrung trägt,
Der Tempel wo wir gläubig knieen,
Die soll kein frevler Spott entweihn,
Dem Feigen Schmach und Schamerröten,
Der an des Heiligtumes Schrein
Läßt eine falsche Sohle treten!
Doch einem Gruß aus treuem Mut,
Dem nicken ehrlich wir entgegen,
Hat jeder doch sein eignes Blut,
Und seiner eignen Heimat Segen.
Wenn deine Ader kälter rinnt,
So müssen billig wir ermessen:
Wer könnte wohl das fremde Kind
Gleich eignem an den Busen pressen?
Drum, jede Treue sei geehrt,
Der Eichenkranz von jedem Stamme;
Heilig die Glut auf jedem Herd,
Ob hier sie oder drüben flamme;
Dreimal gesegnet jedes Band
Von der Natur zum Lehn getragen,
Und einzig nur verflucht die Hand,
Die nach der Mutter Haupt geschlagen!«
Die Stadt und der Dom
Eine Karikatur des Heiligsten
»Der Dom! der Dom! der deutsche Dom!
Wer hilft den Kölner Dom uns baun!«
So fern und nah der Zeitenstrom
Erdonnert durch die deutschen Gaun.
Es ist ein Zug, es ist ein Schall
Ein ungemeßner Wogenschwall.
Wer zählt der Hände Legion
In denen Opferheller glänzt?
Die Liederklänge wer, die schon
Das Echo dieses Rufs ergänzt?
Und wieder schallt’s vom Elbestrand:
»Die Stadt! die Stadt! der deutsche Port!«
Und wieder zieht von Land zu Land
Ein gabespendend Klingeln fort;
Die Schiffe ragen Mast an Mast,
Goldregen schüttet der Palast,
Wem nie ein eignes Dach beschert,
Der wölbt es über fremde Not,
Wem nie geraucht der eigne Herd,
Der teilt sein schweißbenetztes Brod.
Wenn eines ganzen Volkes Kraft
Für seines Gottes Heiligtum
Die Lanze hebt so Schaft an Schaft,
Wer glühte nicht dem schönsten Ruhm?
Und wem, wem rollte nicht wie Brand
Das Blut an seiner Adern Wand,
Wenn eines ganzen Volkes Schweiß
Gleich edlem Regen niederträuft,
Bis in der Aschensteppe heiß
Viel Tausenden die Garbe reift?
Man meint, ein Volk von Heil’gen sei
Herabgestiegen über Nacht,
In ihrem Eichensarg aufs neu
Die alte deutsche Treu’ erwacht.
O werte Einheit, bist du eins –
Wer stände dann des Heil’genscheins,
Des Kranzes würdiger als du,
Gesegnete, auf deutschem Grund!
Du trügst den goldnen Schlüssel zu
Des Himmels Hort in deinem Bund.
Wohlan ihr Kämpen denn, wohlan
Du werte Kreuzesmassonei,
So gebt mir eure Zeichen dann
Und euer edles Feldgeschrei!
Da, horch! da stieß vom nächsten Schiff
Die Bootmannspfeife grellen Pfiff,
Da stiegen Flaggen ungezählt,
Kantate summte und Gedicht,
Der Demut Braun nur hat gefehlt,
Jehovas Namen hört’ ich nicht.
Wo deine Legion, o Herr,
Die knieend am Altare baut?
Wo, wo dein Samariter, der
In Wunden seine Träne taut?
Ach, was ich fragte und gelauscht,
Der deutsche Strom hat mir gerauscht,
Die deutsche Stadt, der deutsche Dom,
Ein Monument, ein Handelsstift,
Und drüber sah wie ein Phantom
Verlöschen ich Jehovas Schrift.
Und wer den Himmel angebellt,
Vor keiner Hölle je gebebt,
Der hat sich an den Kran gestellt
Der seines Babels Zinne hebt.
Wer nie ein menschlich Band geehrt,
Mit keinem Leid sich je beschwert,
Der flutet aus des Busens Schrein
Unsäglicher Gefühle Strom,
Am Elbestrand, am grünen Rhein,
Da holt sein Herz sich das Diplom.
Weh euch, die ihr den zorn’gen Gott
Gehöhnt an seiner Schwelle Rand,
Meineid’gen gleich in frevlem Spott
Hobt am Altare eure Hand!
Er ist der Herr, und was er will
Das schaffen Leu und Krokodill! –
So baut denn, baut den Tempel fort,
Mit ird’schem Sinn den heil’gen Hag,
Daß euer beßrer Enkel dort
Für eure Seele beten mag!
Kennt ihr den Dom der unsichtbar
Mit tausend Säulen aufwärts strebt?
Er steigt wo eine gläub’ge Schar
In Demut ihre Arme hebt.
Kennt ihr die unsichtbare Stadt
Die tausend offne Häfen hat
Wo euer wertes Silber klingt?
Es ist der Samariter Bund,
Wenn Rechte sich in Rechte schlingt,
Und nichts davon der Linken kund.
O, er der alles weiß, er kennt
Auch eurer Seele ödes Haus;
Baut Magazin und Monument,
Doch seinen Namen laßt daraus!
Er ist kein Sand der glitzernd stäubt,
Kein Dampfrad das die Schiffe treibt,
Ist keine falsche Flagge die
Sich stahl der See verlorner Sohn,
Parol’ nicht die zur Felonie
Ins Lager schmuggelt den Spion!
Baut, baut, – um euer Denkmal ziehn
Doch Seufzer fromm und ungeschmückt,
Baut, – neben eurem Magazin
Wird doch der Darbende erquickt.
Ob eures Babels Zinnenhag
Zum Weltenvolk euch stempeln mag?
Schaut auf Palmyrens Steppenbrand,
Wo scheu die Antilope schwebt,
Die Stadt schaut an wo, ein Gigant,
Das Kolosseum sich erhebt.
Den Wurm der im geheimen schafft,
Den kalten nackten Grabeswurm,
Ihn tötet nicht des Armes Kraft,
Noch euer toller Liedersturm.
Ein frommes, keusches Volk ist stark,
Doch Sünde zehrt des Landes Mark;
Sie hat in deiner Glorie Bahn,
O Roma, langsam dich entleibt,
Noch steht die Säule des Trajan,
Und seine Kronen sind zerstäubt!
Die Verbannten
Ich lag an Bergeshang,
Der Tag war schon gesunken,
In meine Wimper drang
Des Westen letzter Funken.
Ich schlief und träumte auch vielleicht,
Doch hört’ ich noch der Amsel Pfeifen,
Wie Echos letzte Hauche, feucht
Und halb verlöscht, am Schilfe streifen.
Mein äußres Auge sank,
Mein innres ward erschlossen:
Wie wild die Klippenbank!
Wie grau die Moose sprossen!
Der Öde Odem zog so schwer
Als ob er siecher Brust entgleite,
Wohin ich blickte, Rohres Speer,
Und Dorngestrüpp und Waldesweite.
Im Grase knistert’ es,
Als ob die Grille hüpfte,
Im Strauche flüstert’ es,
Als ob das Mäuslein schlüpfte;
Ein morscher halbverdorrter Stamm
Senkte die bräunliche Gardine,
Zu Füßen mir der feuchte Schwamm,
Und überm Haupt die wilde Biene.
Da raschelt’ es im Laub,
Und rieselte vom Hange,
Zertretnen Pilzes Staub
Flog über meine Wange.
Und neben mir ein Knabe stand,
Ein blondes Kind mit Taubenblicken,
Das eines blinden Greises Hand
Schien brünstig an den Mund zu drücken.
Von linder Tränen Lauf
Sein Auge glänzte trübe,
»Steh auf«, sprach es, »steh auf!
Ich bin die Kindesliebe,
Verbannt, zum wüsten Wald verbannt,
Ins öde Dickicht ausgesetzet,
Wo an des sumpf’gen Weihers Rand
Der Storch die kranken Eltern ätzet!«
Dann faltete es hoch
Die hagern Händchen beide,
Und sachte abwärts bog
Es des Geröhres Schneide.
Ich sah wie blut’ge Striemen leis
An seinen Ärmchen niederflossen,
Wie tappend ihm gefolgt der Greis,
Bis sich des Rohres Wand geschlossen.
Ich ballte meine Hand,
Versuchte mich zu schwingen,
Doch fester, fester wand
Der Taumel seine Schlingen.
Und wieder hörte ich den Schlag
Der Amsel und der Grille Hüpfen,
Und wieder durch den wilden Hag
Der Biene sterbend Sumsen schlüpfen.
Da schleift’ es, schwer wie Blei,
Da flüstert’ es aufs neue:
»O wache! steh mir bei!
Ich bin die Gattentreue.«
Das Auge hob ich, und ein Weib
Sah ich wie halbgebrochen bücken,
Das eines Mannes wunden Leib
Mühselig trug auf seinem Rücken.
Ein feuchter Schleier hing
Ihr Haar am Antlitz nieder,
Des Schweißes Perle fing
Sich in der Wimper wieder.
»Verbannt! verbannt zum wilden Wald,
Wo Nacht und Öde mich umschauern!
Verbannt wo in der Felsen Spalt
Die Tauben um den Tauber trauern!«
Sie sah mich lange an,
Im Auge Sterbeklagen,
Und langsam hat sie dann
Den Wunden fortgetragen.
Sie klomm den Klippensteig entlang,
Ihr Ächzen scholl vom Steine nieder,
Wo grade unterm Schieferhang
Sich regte bläuliches Gefieder.
Ich dehnte mich mit Macht
Und langte nach dem Wunden,
Doch als ich halb erwacht,
Da war auch er verschwunden,
Zerronnen wie ein Wellenschaum, –
Ich hörte nur der Wipfel Stöhnen,
Und unter mir, an Weihers Saum,
Der Unken zart Geläute tönen.
Die Glöckchen schliefen ein,
Es schwoll der Kronen Rauschen,
Ein Licht wie Mondenschein
Begann am Ast zu lauschen,
Und lauter raschelte der Wald,
Die Zweige schienen sich zu breiten,
Und eine dämmernde Gestalt
Sah ich durch seine Hallen gleiten.
Das Kreuz in ihrer Hand,
Um ihre Stirn die Binde,
Ihr langer Schleier wand
Und rollte sich im Winde.
Sie trat so sacht behutsam vor,
Als ob sie jedes Kräutlein schone,
O Gott, da sah ich unterm Flor,
Sah eine blut’ge Dornenkrone!
Die Fraue weinte nicht
Und hat auch nicht gesprochen,
Allein ihr Angesicht
Hat mir das Herz gebrochen,
Es war wie einer Königin
Pilgernd für ihres Volkes Sünden,
Wo find’ ich Worte, wo den Sinn,
Um diesen Dulderblick zu künden!
Als sie vorüber schwand
Mit ihren blut’gen Haaren,
Da riß des Schlummers Band,
Ich bin emporgefahren.
Der Amsel Stimme war verstummt,
Die Mondenscheibe stand am Hügel,
Und über mir im Aste summt’
Und raschelte des Windes Flügel.
Ob es ein Traumgesicht
Das meinen Geist umflossen?
Vielleicht ein Seherlicht
Das ihn geheim erschlossen?
O wer, dem eine Trän’ im Aug’,
Den fromme Liebe je getragen,
Wer wird nicht, mit dem letzten Hauch,
Die heiligen Verbannten klagen!
Der Prediger
Langsam und schwer vom Turme stieg die Klage,
Ein dumpf Gewimmer zwischen jedem Schlage,
Wie Memnons Säule weint im Morgenflor.
Am Glockenstuhle zitterte der Balke,
Die Dohlen flatterten vom Nest, ein Falke
Stieg pfeifend an der Fahne Schaft empor.
Wem dröhnt die Glocke? – Einem der entkettet,
Des müden Leib ein Fackelzug gebettet
In letzter Nacht bei seinem einz’gen Kind.
Wer war der Mann? – Ein Christ im echten Gleise,
Kein Wucherer, kein Ehrendieb, und weise
Wie reiche Leute selten weise sind.
Darum so mancher Greis mit Stock und Brille,
So manches Regentuch und Handpostille,
Sich mühsam schiebend durch der Menge Drang.
Er war ein heitrer Wirt in seinem Schlosse, –
Darum am Tor so manche Staatskarosse,
So mancher Flor das Kirchenschiff entlang.
Die Glocken schwiegen, alle Kniee sanken,
Posaunenstoß! – Die Wölbung schien zu wanken.
O »Dies irae, dies illa!« Glut
Auf Sünderschwielen, Tau in Büßermalen!
Mir war als säh ich des Gerichtes Schalen,
Als hört’ ich tröpfeln meines Heilands Blut.
Das Amen war verhallt. Ein zitternd Schweigen
Lag auf der Menge, nur des Odems Steigen
Durchsäuselte den weiten Hallenbau.
Nur an der Tumba schwarzer Flämmchen Knistern
Schien leise mit dem Grabe noch zu flüstern,
Der Weihrauchwirbel streute Aschengrau.
»Geliebte!« scholl es von der Wölbung nieder,
Die Wolke sank, und mählich stiegen Glieder,
Am Kanzelbord ein junger Priester stand.
Kein Schattenbild dem alle Lust verronnen,
Ein frischer saft’ger Stamm am Lebensbronnen,
Ein Adler ruhend auf Jehovas Hand!
»Geliebte«, sprach er, »selig sind die Toten
So in dem Herrn entschliefen, treue Boten,
Von ihrer Sendung rastend.« Dann entstieg
Das Wort, gewaltig wie des Jordans Wallen,
Mild wie die Luft in Horebs Zederhallen,
Als er bezeugte des Gerechten Sieg.
Die Stimme sank, des Stromes Wellen schwollen,
Mir war als hört’ ich ferne Donner rollen:
»Weh über euch, die weder warm noch kalt!
O, wäret kalt ihr oder warm! die Werke
Von eurer Hand sind tot, und eure Stärke
Ist gleich dem Hornstoß der am Fels verhallt.«
Und tiefer griff er in der Zeiten Wunde,
Die Heller ließ er klingen, und vom Grunde
Hob er den seidnen Mottenfraß ans Licht.
Erröten ließ er die bescheidne Schande
In ihrem ehrbar schonenden Gewande,
Und zog der Lust den Schleier vom Gesicht.
Die Kerzen sind gelöscht, die Pforte dröhnte.
Ich hörte schluchzen, – am Gemäuer lehnte
Ein Weib im abgetragnen Regentuch.
Ich hörte säuseln – neben mir, im Chore,
Ein Fräulein gähnte leise hinterm Flore,
Ein Fahnenjunker blätterte im Buch.
Und alle die bescheidnen Menschenkinder,
Wie sich’s geziemt für wohlerzogne Sünder,
Sie nahmen ruhig was der Text beschert.
Und abends im Theater sprach der Knabe,
Der achtzehnjähr’ge Fähndrich: »Heute habe
Ich einen guten Redner doch gehört!«
An die Schriftstellerinnen in Deutschland und Frankreich
Ihr steht so nüchtern da gleich Kräuterbeeten –
Und ihr gleich Fichten die zerspellt von Wettern –
Haucht wie des Hauches Hauch in Syrinxflöten –
Laßt wie Dragoner die Trompeten schmettern;
Der kann ein Schattenbild die Wange röten –
Die wirft den Handschuh Zeus und allen Göttern;
Ward denn der Führer euch nicht angeboren
In eigner Brust, daß ihr den Pfad verloren?
Schaut auf! zur Rechten nicht – durch Tränengründe,
Mondscheinalleen und blasse Nebeldecken,
Wo einsam die veraltete Selinde
Zur Luna mag die Lilienarme strecken;
Glaubt, zur Genüge hauchten Seufzerwinde,
Längst überfloß der Sehnsucht Tränenbecken;
An eurem Hügel mag die Hirtin klagen,
Und seufzend drauf ein Gänseblümchen tragen.
Doch auch zur Linken nicht – durch Winkelgassen,
Wo tückisch nur die Diebslaternen blinken,
Mit wildem Druck euch rohe Hände fassen,
Und Smollis Wüstling euch und Schwelger trinken,
Der Sinne Bachanale, wo die blassen
Betäubten Opfer in die Rosen sinken,
Und endlich, eures Sarges letzte Ehre,
Man drüber legt die Kränze der Hetäre.
O dunkles Los! o Preis mit Schmach gewonnen,
Wenn Ruhmes Staffel wird der Ehre Bahre!
Grad’, grade geht der Pfad, wie Strahl der Sonnen!
Grad’, wie die Flamme lodert vom Altare!
Grad’, wie Natur das Berberroß zum Bronnen
Treibt mitten durch die Wirbel der Sahare!
Ihr könnt nicht fehlen, er, so mild umlichtet,
Der Führer ward in euch nicht hingerichtet.
Treu schützte ihn der Länder fromme Sitte,
Die euch umgeben wie mit Heil’genscheine,
Sie hielt euch fern die freche Liebesbitte,
Und legte Anathem auf das Gemeine.
Euch nahte die Natur mit reinem Schritte,
Kein trunkner Schwelger über Stock und Steine,
Ihr mögt ihr willig jedes Opfer spenden,
Denn alles nimmt sie, doch aus reinen Händen.
Die Zeit hat jede Schranke aufgeschlossen,
An allen Wegen hauchen Naphthablüten,
Ein reizend scharfer Duft hat sich ergossen,
Und jeder mag die eignen Sinne hüten.
Das Leben stürmt auf abgehetzten Rossen,
Die noch zusammenbrechend haun und wüten.
Ich will den Griffel eurer Hand nicht rauben,
Singt, aber zitternd, wie vom Weih’ die Tauben.
Ja, treibt der Geist euch, laßt Standarten ragen!
Ihr war’t die Zeugen wild bewegter Zeiten,
Was ihr erlebt, das läßt sich nicht erschlagen,
Feldbind’ und Helmzier mag ein Weib bereiten;
Doch seht euch vor wie hoch die Schwingen tragen,
Stellt nicht das Ziel in ungemeßne Weiten,
Der kecke Falk ist überall zu finden,
Doch einsam steigt der Aar aus Alpengründen.
Vor allem aber pflegt das anvertraute,
Das heil’ge Gut, gelegt in eure Hände,
Weckt der Natur geheimnisreichste Laute,
Kniet vor des Blutes gnadenvoller Spende;
Des Tempels pflegt, den Menschenhand nicht baute,
Und schmückt mit Sprüchen die entweihten Wände,
Daß dort, aus dieser Wirren Staub und Mühen,
Die Gattin mag, das Kind, die Mutter knieen.
Ihr hörtet sie die unterdrückten Klagen
Der heiligen Natur, geprägt zur Dirne.
Wer hat sie nicht gehört in diesen Tagen,
Wo nur ein Gott, der Gott im eignen Hirne?
Frischauf! – und will den Lorbeer man versagen,
O Glückliche mit unbekränzter Stirne!
O arm Gefühl, das sich nicht selbst kann lohnen!
Mehr ist ein Segen als zehntausend Kronen!
Die Gaben
Nie fand, so oft auch scherzend ward gefragt,
Ich einen Mann, vom Grafen bis zum Schneider,
Der so bescheiden oder so betagt,
So hülflos, keinen so Gescheiten leider,
Der nicht gemeint, des Herrschertumes Bürde
Sei seinen Schultern grad das rechte Maß.
War einer zweifelnd je an seiner Würde,
So schätzt’ er seine Kräfte desto baß,
Der hoffte auf der Rede Zauberbann;
Schlau aus dem Winkel wollte jener zielen,
Kurz, daß er wisse wie und auch den Mann,
Ließ jeder deutlich durch die Blume spielen.
Ihr Toren! glaubt ihr denn daß Gott im Zorne
Die Großen schuf, ungleich der Menschenschar,
Pecus inane, das sein Haupt zum Borne
Hinstreckt wie weiland Nebukadnezar?
Daß, weil zuweilen unter Zotten schlägt
Ein Herz wo große Elemente schlafen,
Deshalb wer eine feine Wolle trägt
Unfehlbar zählt zu den Merinoschafen?
Daß langes Schauen zweifellos erblinde,
Und wer den Fäden rastlos nachgespürt,
Daß dieser, gleich dem überreizten Kinde,
So dümmer wird je länger er studiert?
Wer zweifelt, daß ein Herz wie’s Throne schmückt
Gar oft am Acker frönt und Forstgehege,
Daß manche Scheitel sich zur Furche bückt,
Hochwert daß eine Krone drauf man lege?
Doch ihr des Lebens abgehetzte Alten,
Ihr innerliche Greise, seid es nicht.
Bewahr’ der Himmel uns vor eurem Walten,
Vor dem im Sumpfe angebrannten Licht!
Ihr würdet mahnen an des Fröners Sohn,
Der, woll’ ihm Gott ein Königreich verschreiben,
Fürs Leben wüßte keinen bessern Lohn,
Als seine Schweine dann zu Roß zu treiben. –
Vor vierzig Jahren
Da gab es doch ein Sehnen,
Ein Hoffen und ein Glühn,
Als noch der Mond »durch Tränen
In Fliederlauben« schien,
Als man dem »milden Sterne«
Gesellte was da lieb,
Und »Lieder in die Ferne«
Auf sieben Meilen schrieb!
Ob dürftig das Erkennen,
Der Dichtung Flamme schwach,
Nur tief und tiefer brennen
Verdeckte Gluten nach.
Da lachte nicht der leere,
Der übersatte Spott,
Man baute die Altäre
Dem unbekannten Gott.
Und drüber man den Brodem
Des liebsten Weihrauchs trug,
Lebend’gen Herzens Odem,
Das frisch und kräftig schlug,
Das schamhaft, wie im Tode,
In Traumes Wundersarg
Noch der Begeistrung Ode
Der Lieb’ Ekloge barg.
Wir höhnen oft und lachen
Der kaum vergangnen Zeit,
Und in der Wüste machen
Wie Strauße wir uns breit.
Ist Wissen denn Besitzen?
Ist denn Genießen Glück?
Auch Eises Gletscher blitzen
Und Basiliskenblick.
Ihr Greise, die gesunken
Wie Kinder in die Gruft,
Im letzten Hauche trunken
Von Lieb’ und Ätherduft,
Ihr habt am Lebensbaume
Die reinste Frucht gepflegt,
In karger Spannen Raume
Ein Eden euch gehegt.
Nun aber sind die Zeiten,
Die überwerten, da,
Wo offen alle Weiten,
Und jede Ferne nah.
Wir wühlen in den Schätzen,
Wir schmettern in den Kampf,
Windsbräuten gleich versetzen
Uns Geistesflug und Dampf.
Mit unsres Spottes Gerten
Zerhaun wir was nicht Stahl,
Und wie Morganas Gärten
Zerrinnt das Ideal;
Was wir daheim gelassen
Das wird uns arm und klein,
Was Fremdes wir erfassen
Wird in der Hand zu Stein.
Es wogt von End’ zu Ende,
Es grüßt im Fluge her,
Wir reichen unsre Hände,
– Sie bleiben kalt und leer. –
Nichts liebend, achtend wen’ge
Wird Herz und Wange bleich,
Und bettelhafte Kön’ge
Stehn wir im Steppenreich.
An die Weltverbesserer
Pochest du an – poch nicht zu laut,
Eh du geprüft des Nachhalls Dauer.
Drückst du die Hand – drück nicht zu traut,
Eh du gefragt des Herzens Schauer.
Wirfst du den Stein – bedenke wohl,
Wie weit ihn deine Hand wird treiben.
Oft schreckt ein Echo, dumpf und hohl,
Reicht goldne Hand dir den Obol,
Oft trifft ein Wurf des Nachbars Scheiben.
Höhlen gibt es am Meeresstrand,
Gewalt’ge Stalaktitendome,
Wo bläulich zuckt der Fackeln Brand,
Und Kähne gleiten wie Phantome.
Das Ruder schläft, der Schiffer legt
Die Hand dir angstvoll auf die Lippe,
Ein Räuspern nur, ein Fuß geregt,
Und donnernd überm Haupte schlägt
Zusammen dir die Riesenklippe.
Und Hände gibts im Orient,
Wie Schwäne weiß, mit blauen Malen,
In denen zwiefach Feuer brennt,
Als gelt’ es Liebesglut zu zahlen;
Ein leichter Tau hat sie genäßt,
Ein leises Zittern sie umflogen,
Sie fassen krampfhaft, drücken fest –
Hinweg, hinweg! du hast die Pest
In deine Poren eingesogen!
Auch hat ein Dämon einst gesandt
Den gift’gen Pfeil zum Himmelsbogen;
Dort rührt’ ihn eines Gottes Hand,
Nun starrt er in den Ätherwogen.
Und läßt der Zauber nach, dann wird
Er niederprallen mit Geschmetter,
Daß das Gebirg’ in Scherben klirrt,
Und durch der Erde Adern irrt
Fortan das Gift der Höllengötter.
Drum poche sacht, du weißt es nicht
Was dir mag überm Haupte schwanken;
Drum drücke sacht, der Augen Licht
Wohl siehst du, doch nicht der Gedanken.
Wirf nicht den Stein zu jener Höh’
Wo dir gestaltlos Form und Wege,
Und schnelltest du ihn einmal je,
So fall auf deine Knie und fleh,
Daß ihn ein Gott berühren möge.
Alte und neue Kinderzucht
1.
In seiner Buchenhalle saß ein Greis auf grüner Bank,
Vor ihm, in grünlichem Pokal, der Rebe Feuertrank;
Zur Seite seiner Jugend Sproß, sich lehnend an den Zweigen,
Ein ernster Vierziger, vernahm des Alten Wort in Schweigen.
»Sohn«, sprach der Patriarch, es klang die Stimme schier bewegt:
»Das Kissen für mein Sterbebett du hast es weich gelegt;
Ich weiß es, eine Träne wird das Leichentuch mir netzen,
In meinen Sessel wird dereinst ein Ehrenmann sich setzen.
Zu Gottes Ehr’ und deiner Pflicht, und nach der Vordern Art,
Zog ich in aller Treue dich, als schon dein Kinn behaart.
Nicht will die neue Weise mir zum alten Haupte gehen,
Ein Sohn hat seinen Herrn, so lang zwei Augen offen stehen.
Mein Vater, – tröst’ ihn Gott, er fiel in einem guten Strauß! –
War Diener seinem Fürsten und ein König seinem Haus,
Sein treues Auge wußte wohl der Kinder Heil zu wahren,
Den letzten Schlag von seiner Hand fühlt’ ich mit zwanzig Jahren.
So macht’ er mich zum Mann, wie du, mein Sohn, zum frohen Greis,
Zum Mann der tragen kann und sich im Glück zu fassen weiß,
Wie mag, wer seiner Launen Knecht, ein Herrenamt bezwingen?
Wer seiner Knospe Kraft verpraßt, wie möcht’ er Früchte bringen?
Nur von der Pike dient sich’s recht zum braven General.
Gesegnet sei die Hand die mir erspart der Torheit Wahl!
Mit tausend Tränen hab’ ich sie in unsre Gruft getragen,
Denn eines Vaters heil’ge Hand hat nie zu hart geschlagen.
Mein Haar ist grau, mein blödes Aug’ hat deinen Sproß gesehn,
Bald füllst du meinen Sitz, und er wird horchend vor dir stehn.
Gedenk der Rechenschaft, mein Sohn, lehr deinen Blick ihn lesen,
Gehorsam sei er dir, wie du gehorsam mir gewesen!«
So sprach der Patriarch, und schritt entlang die Buchenhall’,
Ehrfürchtig folgte ihm der Sohn, wie Fürsten der Vasall,
Und seinen Knaben winkt’ er sacht herbei vom Blütenhagen,
Ließ küssen ihn des Alten Hand, und seinen Stab ihn tragen.
2.
An blühender Akazie lehnt ein blonder bleicher Mann,
Sehr mangelt ihm der Sitz, allein die Kinder spielen dran,
So schreibt er stehend, immer Ball und Peitschenhieb gewärt’gend,
Schnellfingrig für die Druckerei den Lückenbüßer fert’gend.
»In Osten steigt das junge Licht, es rauscht im Eichenhain,
Schon schlang der alte Erebus die alten Schatten ein,
Des Geistes Siegel sind gelöst, der Äther aufgeschlossen,
Und aus vermorschter Dogmen Staub lebend’ge Zedern sprossen.
O Geistesfessel, härter du als jemals ein Tyrann,
Geschlagen um des Sklaven Leib, du tausendjähr’ger Bann!
Geheim doch sicher hat der Rost genagt an deinem Ringe,
Nun wackelt er und fürchtet sich vor jedes Knaben Klinge!
Hin ist die Zeit wo ein Gespenst im Büßermantel schlich,
In seinen Bettelsack des Deutschen Gold und Ehre strich,
Wo Greise, Schulmonarchen gleich, die stumpfe Geißel schwenkten,
Des Sonnenrosses Zaum dem Grab verfallne Hände lenkten.
Nicht wird im zarten Kinde mehr des Mannes Keim erstickt,
Frei schießt die Eichenlode, unbeengt und ungeknickt;
Was mehr als Wissen, wirkender als Gaben, die zerstückelt –
Des kräft’gen Wollens Einheit wird im jungen Mark entwickelt.
Wir wuchsen unter Peitschenhieb an der Galeere auf,
Und dennoch riß das Dokument vom schnöden Seelenkauf
Durch deutsche Hand, durch unsre Hand, die, nach Ägyptens Plagen,
Noch immer stark genug den Brand ans Bagnotor zu tragen!
Doch ihr, die ihr den ganzen Saft der Muttererde trinkt,
An deren Zweig das erste Blatt schon wie Smaragde blinkt,
Ihr!« – unser Dichter stutzt – er hört an den Holundersträuchen
Sein Erstlingsreis, den Göttinger, wie eine Walze keuchen.
Und auf der Bank – sein Manuskript – o Pest! sein Dichterkranz –
Dort fliegt er, droben in der Luft, als langer Drachenschwanz!
Und – was? ein Guß? – bei Gott, da hängt der Bub, die wilde Katze,
Am Ast, und leert den Wasserkrug auf seines Vaters Glatze!
Die Schulen
Kennst du den Saal? ich schleiche sacht vorbei,
»Der alte Teufel tot, die Götter neu« –
Und was man Großes sonst darin mag hören.
Wie üppig wogend drängt der Jugend Schwarm!
Wie reich und glänzend! – aber ich bin arm,
Da will ich lieber eure Lust nicht stören.
Dann das Gewölb’ – mir wird darin nicht wohl,
Wo man der Gruft den modernden Obol
Entschaufelt, und sich drüber legt zum Streite;
Ergraute Häupter nicken rings herum,
Wie weis’ und gründlich! – aber ich bin dumm,
Da schleich’ ich lieber ungesehn bei Seite.
Doch die Katheder im Gebirge nah,
Der Meister unsichtbar, doch laut Hurra
Ihm Wälder, Strom und Sturmesflügel rauschen,
Matrikel ist des Herzens frischer Schlag,
Da will zeitlebens ich, bei Nacht und Tag,
Demüt’ger Schüler, seinen Worten lauschen.
Heidebilder
Die Lerche
Hörst du der Nacht gespornten Wächter nicht?
Sein Schrei verzittert mit dem Dämmerlicht,
Und schlummertrunken hebt aus Purpurdecken
Ihr Haupt die Sonne; in das Ätherbecken
Taucht sie die Stirn, man sieht es nicht genau,
Ob Licht sie zünde, oder trink’ im Blau.
Glührote Pfeile zucken auf und nieder,
Und wecken Taues Blitze, wenn im Flug
Sie streifen durch der Heide braunen Zug.
Da schüttelt auch die Lerche ihr Gefieder,
Des Tages Herold seine Liverei;
Ihr Köpfchen streckt sie aus dem Ginster scheu,
Blinzt nun mit diesem, nun mit jenem Aug’;
Dann leise schwankt, es spaltet sich der Strauch,
Und wirbelnd des Mandates erste Note
Schießt in das feuchte Blau des Tages Bote.
»Auf! auf! die junge Fürstin ist erwacht!
Schlaftrunkne Kämmrer, habt des Amtes acht;
Du mit dem Saphirbecken Genziane,
Zwergweide du mit deiner Seidenfahne,
Das Amt, das Amt, ihr Blumen allzumal,
Die Fürstin wacht, bald tritt sie in den Saal!«
Da regen tausend Wimper sich zugleich,
Maßliebchen hält das klare Auge offen,
Die Wasserlilie sieht ein wenig bleich,
Erschrocken, daß im Bade sie betroffen;
Wie steht der Zitterhalm verschämt und zage!
Die kleine Weide pudert sich geschwind
Und reicht dem West ihr Seidentüchlein lind,
Daß zu der Hoheit Händen er es trage.
Ehrfürchtig beut den tauigen Pokal
Das Genzian, und nieder langt der Strahl;
Prinz von Geblüte hat die erste Stätte
Er immer dienend an der Fürstin Bette.
Der Purpur lischt gemach im Rosenlicht,
Am Horizont ein zuckend Leuchten bricht
Des Vorhangs Falten, und aufs neue singt
Die Lerche, daß es durch den Äther klingt:
»Die Fürstin kömmt, die Fürstin steht am Tor!
Frischauf ihr Musikanten in den Hallen,
Laßt euer zartes Saitenspiel erschallen,
Und, florbeflügelt Volk, heb an den Chor,
Die Fürstin kömmt, die Fürstin steht am Tor!«
Da krimmelt, wimmelt es im Heidgezweige,
Die Grille dreht geschwind das Beinchen um,
Streicht an des Taues Kolophonium,
Und spielt so schäferlich die Liebesgeige.
Ein tüchtiger Hornist, der Käfer, schnurrt,
Die Mücke schleift behend die Silberschwingen,
Daß heller der Triangel möge klingen;
Diskant und auch Tenor die Fliege surrt;
Und, immer mehrend ihren werten Gurt,
Die reiche Katze um des Leibes Mitten,
Ist als Bassist die Biene eingeschritten:
Schwerfällig hockend in der Blüte rummeln
Das Kontraviolon die trägen Hummeln.
So tausendarmig ward noch nie gebaut
Des Münsters Halle, wie im Heidekraut
Gewölbe an Gewölben sich erschließen,
Gleich Labyrinthen in einander schießen;
So tausendstimmig stieg noch nie ein Chor,
Wie’s musiziert aus grünem Heid hervor.
Jetzt sitzt die Königin auf ihrem Throne,
Die Silberwolke Teppich ihrem Fuß,
Am Haupte flammt und quillt die Strahlenkrone,
Und lauter, lauter schallt des Herolds Gruß:
»Bergleute auf, herauf aus eurem Schacht,
Bringt eure Schätze, und du Fabrikant,
Breit vor der Fürstin des Gewandes Pracht,
Kaufherrn, enthüllt den Saphir, den Demant.«
Schau, wie es wimmelt aus der Erde Schoß,
Wie sich die schwarzen Knappen drängen, streifen,
Und mühsam stemmend aus den Stollen schleifen
Gewalt’ge Stufen, wie der Träger groß;
Ameisenvolk, du machst es dir zu schwer!
Dein roh Gestein lockt keiner Fürstin Gnaden.
Doch sieh die Spinne rutschend hin und her,
Schon zieht sie des Gewebes letzten Faden,
Wie Perlen klar, ein duftig Elfenkleid;
Viel edle Funken sind darin entglommen;
Da kömmt der Wind und häkelt es vom Heid,
Es steigt, es flattert, und es ist verschwommen. –
Die Wolke dehnte sich, scharf strich der Hauch,
Die Lerche schwieg, und sank zum Ginsterstrauch.
Die Jagd
Die Luft hat schlafen sich gelegt,
Behaglich in das Moos gestreckt,
Kein Rispeln, das die Kräuter regt,
Kein Seufzer, der die Halme weckt.
Nur eine Wolke träumt mitunter
Am blassen Horizont hinunter,
Dort, wo das Tannicht überm Wall
Die dunkeln Kandelabern streckt.
Da horch, ein Ruf, ein ferner Schall:
»Hallo! hoho!« so lang gezogen,
Man meint, die Klänge schlagen Wogen
Im Ginsterfeld, und wieder dort:
»Hallo! hoho!« – am Dickicht fort
Ein zögernd Echo, – alles still!
Man hört der Fliege Angstgeschrill
Im Mettennetz, den Fall der Beere,
Man hört im Kraut des Käfers Gang,
Und dann wie ziehnder Kranichheere
Kling klang! von ihrer luft’gen Fähre,
Wie ferner Unkenruf: Kling! klang!
Ein Läuten das Gewäld entlang,
Hui schlüpft der Fuchs den Wall hinab –
Er gleitet durch die Binsenspeere,
Und zuckelt fürder seinen Trab:
Und aus dem Dickicht, weiß wie Flocken,
Nach stäuben die lebend’gen Glocken,
Radschlagend an des Dammes Hang;
Wie Aale schnellen sie vom Grund,
Und weiter, weiter, Fuchs und Hund.
Der schwankende Wacholder flüstert,
Die Binse rauscht, die Heide knistert,
Und stäubt Phalänen um die Meute.
Sie jappen, klaffen nach der Beute,
Schaumflocken sprühn aus Nas’ und Mund;
Noch hat der Fuchs die rechte Weite,
Gelassen trabt er, schleppt den Schweif,
Zieht in dem Taue dunklen Streif,
Und zeigt verächtlich seine Socken.
Doch bald hebt er die Lunte frisch,
Und, wie im Weiher schnellt der Fisch,
Fort setzt er über Kraut und Schmelen,
Wirft mit den Läufen Kies und Staub;
Die Meute mit geschwollnen Kehlen
Ihm nach wie rasselnd Winterlaub.
Man höret ihre Kiefern knacken,
Wenn fletschend in die Luft sie hacken;
In weitem Kreise so zum Tann,
Und wieder aus dem Dickicht dann
Ertönt das Glockenspiel der Bracken.
Was bricht dort im Gestrippe am Revier?
Im holprichten Galopp stampft es den Grund;
Ha! brüllend Herdenvieh! voran der Stier,
Und ihnen nach klafft ein versprengter Hund.
Schwerfällig poltern sie das Feld entlang,
Das Horn gesenkt, waagrecht des Schweifes Strang,
Und taumeln noch ein paarmal in die Runde,
Eh Posto wird gefaßt im Heidegrunde.
Nun endlich stehn sie, murren noch zurück,
Das Dickicht messend mit verglastem Blick,
Dann sinkt das Haupt und unter ihrem Zahne
Ein leises Rupfen knirrt im Thimiane;
Unwillig schnauben sie den gelben Rauch,
Das Euter streifend am Wacholderstrauch,
Und peitschen mit dem Schweife in die Wolke
Von summendem Gewürm und Fliegenvolke.
So langsam schüttelnd den gefüllten Bauch
Fort grasen sie bis zu dem Heidekolke.
Ein Schuß: »Hallo!« ein zweiter Schuß: »Hoho!«
Die Herde stutzt, des Kolkes Spiegel kraust
Ihr Blasen, dann die Hälse streckend, so
Wie in des Dammes Mönch der Strudel saust,
Ziehn sie das Wasser in den Schlund, sie pusten,
Die kranke Sterke schaukelt träg herbei,
Sie schaudert, schüttelt sich in hohlem Husten,
Und dann – ein Schoß, und dann – ein Jubelschrei!
Das grüne Käppchen auf dem Ohr,
Den halben Mond am Lederband,
Trabt aus der Lichtung rasch hervor
Bis mitten in das Heideland
Ein Waidmann ohne Tasch’ und Büchse;
Er schwenkt das Horn, er ballt die Hand,
Dann setzt er an, und tausend Füchse
Sind nicht so kräftig totgeblasen,
Als heut es schmettert übern Rasen.
»Der Schelm ist tot, der Schelm ist tot!
Laßt uns den Schelm begraben!
Kriegen ihn die Hunde nicht,
Dann fressen ihn die Raben,
Hoho hallo!«
Da stürmt von allen Seiten es heran,
Die Bracken brechen aus Genist und Tann;
Durch das Gelände sieht in wüsten Reifen
Man johlend sie um den Hornisten schweifen.
Sie ziehen ihr Geheul so hohl und lang,
Daß es verdunkelt der Fanfare Klang,
Doch lauter, lauter schallt die Gloria,
Braust durch den Ginster die Viktoria:
»Hängt den Schelm, hängt den Schelm!
Hängt ihn an die Weide,
Mir den Balg und dir den Talg,
Dann lachen wir alle beide;
Hängt ihn! Hängt ihn
Den Schelm, den Schelm! – –«
Die Vogelhütte
Regen, Regen, immer Regen! will nicht das Geplätscher enden,
Daß ich aus dem Sarge brechen kann, aus diesen Bretterwänden?
Sieben Schuhe ins Gevierte, das ist doch ein ärmlich Räumchen
Für ein Menschenkind, und wär’ es schlank auch wie ein Rosenbäumchen!
O was ließ ich mich gelüsten, in den Vogelherd zu flüchten,
Als nur schwach die Wolke tropfte, als noch flüsterten die Fichten:
Und muß nun bestehn das Ganze, wie wenn zögernd man dem Schwätzer
Raum gegeben, dem langweilig Seile drehnden Phrasensetzer;
Und am Knopfe nun gehalten, oder schlimmer an den Händen,
Zappelnd wie der Halbgehängte langet nach des Strickes Enden!
Meine Unglücksstrick’ sind dieser Wasserstriemen Läng’ und Breite,
Die verkörperten Hyperbeln, denn Bindfäden regnet’s heute.
Denk’ ich an die heitre Stube, an das weiche Kanapee,
Und wie mein Gedicht, das meine, dort zerlesen wird beim Tee:
Denk’ ich an die schwere Zunge, die statt meiner es zerdrischt,
Bohrend wie ein Schwertfisch möcht’ ich schießen in den Wassergischt.
Pah! was kümmern mich die Tropfen, ob ich naß ob säuberlich!
Aber besser stramm und trocken, als durchnäßt und lächerlich.
Da – ein Fleck, ein Loch am Himmel; bist du endlich doch gebrochen,
Alte Wassertonne, hab’ ich endlich dich entzwei gesprochen?
Aber wehe! wie’s vom Fasse brodelt, wenn gesprengt der Zapfen,
Hör’ ich’s auf dem Dache rasseln, förmlich wie mit Füßen stapfen.
Regen! unbarmherz’ger Regen! mögst du braten oder sieden!
Wehe, diese alte Kufe ist das Faß der Danaiden!
Ich habe mich gesetzt in Gottes Namen;
Es hilft doch alles nicht, und mein Gedicht
Ist längst gelesen und im Schloß die Damen,
Sie saßen lange zu Gericht.
Statt einen neuen Lorbeerkranz zu drücken
In meine Phöboslocken, hat man sacht
Den alten losgezupft und hinterm Rücken
Wohl Eselsohren mir gemacht.
Verkannte Seele, fasse dich im Leiden,
Sei stark, sei nobel, denk, der Ruhm ist leer,
Das Leben kurz, es wechseln Schmerz und Freuden,
Und was dergleichen Neugedachtes mehr!
Ich schau mich um in meiner kleinen Zelle:
Für einen Klausner wär’s ein hübscher Ort;
Die Bank, der Tisch, das hölzerne Gestelle,
Und an der Wand die Tasche dort;
Ein Netz im Winkelchen, ein Rechen, Spaten –
Und Betten? nun, das macht sich einfach hier;
Der Thimian ist heuer gut geraten,
Und blüht mir grade vor der Tür.
Die Waldung drüben – und das Quellgewässer –
Hier möcht’ ich Heidebilder schreiben, zum Exempel:
»Die Vogelhütte«, nein – »der Herd«, nein besser:
»Der Knieende in Gottes weitem Tempel.«
‘s ist doch romantisch, wenn ein zart Geriesel
Durch Immortellen und Wacholderstrauch
Umzieht und gleitet, wie ein schlüpfend Wiesel,
Und drüber flirrt der Stöberrauch;
Wenn Schimmer wechseln, weiß und seladonen;
Die weite Ebne schaukelt wie ein Schiff,
Hindurch der Kiebitz schrillt, wie Halkyonen
Wehklagend ziehen um das Riff.
Am Horizont die kolossalen Brücken –
Sind’s Wolken oder ist’s ein ferner Wald?
Ich will den Schemel an die Luke rücken,
Da liegt mein Hut, mein Hammer, – halt:
Ein Teller am Gestell! – was mag er bieten?
Fundus! bei Gott, ein Fund die Brezel drin!
Für einen armen Hund von Eremiten,
Wie ich es leider heute bin!
Ein seidner Beutel noch – am Bort zerrissen;
Ich greife, greife Rundes mit der Hand;
Weh! in die dürre Erbs’ hab’ ich gebissen –
Ich dacht’, es seie Zuckerkand.
Und nun die Tasche! he, wir müssen klopfen –
Vielleicht liegt ein Gefangner hier in Haft;
Da – eine Flasche! schnell herab den Pfropfen –
Ist’s Wasser? Wasser? – edler Rebensaft!
Und Edlerer, der ihn dem Sack vertraute,
Splendid barmherziger Wildhüter du,
Für einen armen Schelm, der Erbsen kaute,
Den frommen Bruder Tuck im Ivanhoe!
Mit dem Gekörn will ich den Kiebitz letzen,
Es aus der Lücke streun, wenn er im Flug
Herschwirrt, mir auf die Schulter sich zu setzen,
Wie man es liest in manchem Buch.
Mir ist ganz wohl in meiner armen Zelle;
Wie mir das Klausnerleben so gefällt!
Ich bleibe hier, ich geh nicht von der Stelle,
Bevor der letzte Tropfen fällt.
Es verrieselt, es verraucht,
Mählich aus der Wolke taucht
Neu hervor der Sonnenadel.
In den feinen Dunst die Fichte
Ihre grünen Dornen streckt,
Wie ein schönes Weib die Nadel
In den Spitzenschleier steckt;
Und die Heide steht im Lichte
Zahllos blanker Tropfen, die
Am Wacholder zittern, wie
Glasgehänge an dem Lüster.
Überm Grund geht ein Geflüster,
Jedes Kräutchen reckt sich auf,
Und in langgestrecktem Lauf,
Durch den Sand des Pfades eilend,
Blitzt das goldne Panzerhemd
Des Kuriers;1 am Halme weilend
Streicht die Grille sich das Naß
Von der Flügel grünem Glas.
Grashalm glänzt wie eine Klinge,
Und die kleinen Schmetterlinge,
Blau, orange, gelb und weiß,
Jagen tummelnd sich im Kreis.
Alles Schimmer, alles Licht,
Bergwald mag und Welle nicht
Solche Farbentöne hegen,
Wie die Heide nach dem Regen.
Ein Schall – und wieder – wieder – was ist das? –
Bei Gott, das Schloß! Da schlägt es acht im Turme –
Weh mein Gedicht! o weh mir armem Wurme,
Nun fällt mir alles ein, was ich vergaß!
Mein Hut, mein Hammer, hurtig fortgetrabt –
Vielleicht, vielleicht ist man diskret gewesen,
Und harrte meiner, der sein Federlesen
Indes mit Kraut und Würmern hat gehabt. –
Nun kömmt der Steg und nun des Teiches Ried,
Nun steigen der Alleen schlanke Streifen;
Ich weiß es nicht, ich kann es nicht begreifen,
Wie ich so gänzlich mich vom Leben schied –
Doch freilich – damals war ich Eremit!
Fußnoten
1 Buprestis, ein in allen Farben schimmernder Prachtkäfer, der sich im Heidekraut aufhält.
Der Weiher
Er liegt so still im Morgenlicht,
So friedlich, wie ein fromm Gewissen;
Wenn Weste seinen Spiegel küssen,
Des Ufers Blume fühlt es nicht;
Libellen zittern über ihn,
Blaugoldne Stäbchen und Karmin,
Und auf des Sonnenbildes Glanz
Die Wasserspinne führt den Tanz;
Schwertlilienkranz am Ufer steht
Und horcht des Schilfes Schlummerliede;
Ein lindes Säuseln kommt und geht,
Als flüstr’ es: Friede! Friede! Friede! –
Das Schilf
Stille, er schläft, stille! stille!
Libelle, reg die Schwingen sacht,
Daß nicht das Goldgewebe schrille,
Und, Ufergrün, halt gute Wacht,
Kein Kieselchen laß niederfallen.
Er schläft auf seinem Wolkenflaum,
Und über ihn läßt säuselnd wallen
Das Laubgewölb’ der alte Baum;
Hoch oben, wo die Sonne glüht,
Wieget der Vogel seine Flügel,
Und wie ein schlüpfend Fischlein zieht
Sein Schatten durch des Teiches Spiegel.
Stille, stille! er hat sich geregt,
Ein fallend Reis hat ihn bewegt,
Das grad zum Nest der Hänfling trug;
Su, Su! breit, Ast, dein grünes Tuch –
Su, Su! nun schläft er fest genug.
Die Linde
Ich breite über ihn mein Blätterdach
So weit ich es vom Ufer strecken mag.
Schau her, wie langaus meine Arme reichen,
Ihm mit den Fächern das Gewürm zu scheuchen,
Das hundertfarbig zittert in der Luft.
Ich hauch’ ihm meines Odems besten Duft,
Und auf sein Lager laß ich niederfallen
Die lieblichste von meinen Blüten allen;
Und eine Bank lehnt sich an meinen Stamm,
Da schaut ein Dichter von dem Uferdamm,
Den hör’ ich flüstern wunderliche Weise,
Von mir und dir und der Libell’ so leise,
Daß er den frommen Schläfer nicht geweckt;
Sonst wahrlich hätt’ die Raupe ihn erschreckt,
Die ich geschleudert aus dem Blätterhag.
Wie grell die Sonne blitzt; schwül wird der Tag.
O könnt’ ich! könnt’ ich meine Wurzeln strecken
Recht mitten in das tief kristallne Becken,
Den Fäden gleich, die, grünlicher Asbest,
Schaun so behaglich aus dem Wassernest,
Wie mir zum Hohne, der im Sonnenbrande
Hier einsam niederlechzt vom Uferrande.
Die Wasserfäden
Neid uns! neid uns! laß die Zweige hangen,
Nicht weil flüssigen Kristall wir trinken,
Neben uns des Himmels Sterne blinken,
Sonne sich in unserm Netz gefangen –
Nein, des Teiches Blutsverwandte, fest
Hält er all uns an die Brust gepreßt,
Und wir bohren unsre feinen Ranken
In das Herz ihm, wie ein liebend Weib,
Dringen Adern gleich durch seinen Leib,
Dämmern auf wie seines Traums Gedanken;
Wer uns kennt, der nennt uns lieb und treu,
Und die Schmerle birgt in unsrer Hut
Und die Karpfenmutter ihre Brut;
Welle mag in unserm Schleier kosen;
Uns nur traut die holde Wasserfei,
Sie, die Schöne, lieblicher als Rosen.
Schleuß, Trifolium,1 die Glocken auf,
Kurz dein Tag, doch königlich sein Lauf!
Fußnoten
1 Trifolium, Dreiblatt, Menianthes trifoliata. L. Biberklee. Eine Wasserpflanze, die nur in sehr tiefem Wasser wächst, mit schöner aber sehr vergänglicher Blüte.
Kinder am Ufer
O sieh doch! siehst du nicht die Blumenwolke
Da drüben in dem tiefsten Weiherkolke?
O! das ist schön! hätt’ ich nur einen Stecken,
Schmalzweiße Kelch’ mit dunkelroten Flecken,
Und jede Glocke ist frisiert so fein
Wie unser wächsern Engelchen im Schrein.
Was meinst du, schneid’ ich einen Haselstab,
Und wat’ ein wenig in die Furt hinab?
Pah! Frösch’ und Hechte können mich nicht schrecken –
Allein, ob nicht vielleicht der Wassermann
Dort in den langen Kräutern hocken kann?
Ich geh, ich gehe schon – ich gehe nicht –
Mich dünke, ich sah am Grunde ein Gesicht –
Komm laß uns lieber heim, die Sonne sticht!
Der Hünenstein
Zur Zeit der Scheide zwischen Nacht und Tag,
Als wie ein siecher Greis die Heide lag
Und ihr Gestöhn des Mooses Teppich regte,
Krankhafte Funken im verwirrten Haar
Elektrisch blitzten, und, ein dunkler Mahr,
Sich über sie die Wolkenschichte legte;
Zu dieser Dämmerstunde war’s, als ich
Einsam hinaus mit meinen Sorgen schlich,
Und wenig dachte, was es draußen treibe.
Nachdenklich schritt ich, und bemerkte nicht
Des Krautes Wallen und des Wurmes Licht,
Ich sah auch nicht, als stieg die Mondesscheibe.
Grad war der Weg, ganz sonder Steg und Bruch;
So träumt’ ich fort und, wie ein schlechtes Buch,
Ein Pfennigsmagazin uns auf der Reise
Von Station zu Stationen plagt,
Hab’ zehnmal Weggeworfnes ich benagt,
Und fortgeleiert überdrüß’ge Weise.
Entwürfe wurden aus Entwürfen reif,
Doch, wie die Schlange packt den eignen Schweif,
Fand ich mich immer auf derselben Stelle;
Da plötzlich fahr ein plumper Schröter jach
Ans Auge mir, ich schreckte auf und lag
Am Grund, um mich des Heidekrautes Welle.
Seltsames Lager, das ich mir erkor!
Zur Rechten, Linken schwoll Gestein empor,
Gewalt’ge Blöcke, rohe Porphirbrode;
Mir überm Haupte reckte sich der Bau,
Langhaar’ge Flechten rührten meine Brau,
Und mir zu Füßen schwankt’ die Ginsterlode.
Ich wußte gleich, es war ein Hünengrab,
Und fester drückt’ ich meine Stirn hinab,
Wollüstig saugend an des Grauens Süße,
Bis es mit eis’gen Krallen mich gepackt,
Bis wie ein Gletscherbronn des Blutes Takt
Aufquoll und hämmert’ unterm Mantelvließe.
Die Decke über mir, gesunken, schief,
An der so blaß gehärmt das Mondlicht schlief,
Wie eine Witwe an des Gatten Grabe;
Vom Hirtenfeuer Kohlenscheite sahn
So leichenbrandig durch den Thimian,
Daß ich sie abwärts schnellte mit dem Stabe.
Husch fuhr ein Kiebitz schreiend aus dem Moos;
Ich lachte auf; doch trug wie bügellos
Mich Phantasie weit über Spalt und Barren.
Dem Wind hab’ ich gelauscht so scharf gespannt,
Als bring’ er Kunde aus dem Geisterland,
Und immer mußt’ ich an die Decke starren.
Ha! welche Sehnen wälzten diesen Stein?
Wer senkte diese wüsten Blöcke ein,
Als durch das Heid die Totenklage schallte?
Wer war die Drude, die im Abendstrahl
Mit Run’ und Spruch umwandelte das Tal,
Indes ihr goldnes Haar im Winde wallte?
Dort ist der Osten, dort, drei Schuh im Grund,
Dort steht die Urne und in ihrem Rund
Ein wildes Herz zerstäubt zu Aschenflocken;
Hier lagert sich der Traum vom Opferhain,
Und finster schütteln über diesen Stein
Die grimmen Götter ihre Wolkenlocken.
Wie, sprach ich Zauberformel? Dort am Damm –
Es steigt, es breitet sich wie Wellenkamm,
Ein Riesenleib, gewalt’ger, höher immer;
Nun greift es aus mit langgedehntem Schritt –
Schau, wie es durch der Eiche Wipfel glitt,
Durch seine Glieder zittern Mondenschimmer.
Komm her, komm nieder – um ist deine Zeit!
Ich harre dein, im heil’gen Bad geweiht;
Noch ist der Kirchenduft in meinem Kleide! –
Da fährt es auf, da ballt es sich ergrimmt,
Und langsam, eine dunkle Wolke, schwimmt
Es über meinem Haupt entlang die Heide.
Ein Ruf, ein hüpfend Licht – es schwankt herbei –
Und – »Herr, es regnet« – sagte mein Lakai,
Der ruhig übers Haupt den Schirm mir streckte.
Noch einmal sah ich zum Gestein hinab:
Ach Gott, es war doch nur ein rohes Grab,
Das armen ausgedorrten Staub bedeckte! –
Die Steppe
Standest du je am Strande,
Wenn Tag und Nacht sich gleichen,
Und sahst aus Lehm und Sande
Die Regenrinnen schleichen –
Zahllose Schmugglerquellen,
Und dann, so weit das Auge
Nur reicht, des Meeres Wellen
Gefärbt mit gelber Lauge? –
Hier ist die Dün’ und drunten
Das Meer; Kanonen gleichend
Stehn Schäferkarrn, die Lunten
Verlöscht am Boden streichend.
Gilt’s etwa dem Korsaren
Im flatternden Kaftane,
Den dort ich kann gewahren
Im gelben Ozeane?
Er scheint das Tau zu schlagen,
Sein Schiff verdeckt die Düne,
Doch sieht den Mast man ragen, –
Ein dürrer Fichtenhüne;
Von seines Toppes Kunkel
Die Seile stramm wie Äste,
Der Mastkorb, rauh und dunkel,
Gleicht einem Weihenneste! –
Die Mergelgrube
Stoß deinen Scheit drei Spannen in den Sand,
Gesteine siehst du aus dem Schnitte ragen,
Blau, gelb, zinnoberrot, als ob zur Gant
Natur die Trödelbude aufgeschlagen.
Kein Pardelfell war je so bunt gefleckt,
Kein Rebhuhn, keine Wachtel so gescheckt,
Als das Gerölle gleißend wie vom Schliff
Sich aus der Scholle bröckelt bei dem Griff
Der Hand, dem Scharren mit des Fußes Spitze.
Wie zürnend sturt dich an der schwarze Gneus,
Spatkugeln kollern nieder, milchig weiß,
Und um den Glimmer fahren Silberblitze;
Gesprenkelte Porphire, groß und klein,
Die Ockerdruse und der Feuerstein –
Nur wenige hat dieser Grund gezeugt,
Der sah den Strand, und der des Berges Kuppe;
Die zorn’ge Welle hat sie hergescheucht,
Leviathan mit seiner Riesenschuppe,
Als schäumend übern Sinai er fuhr,
Des Himmels Schleusen dreißig Tage offen,
Gebirge schmolzen ein wie Zuckerkand,
Als dann am Ararat die Arche stand,
Und, eine fremde, üppige Natur,
Ein neues Leben quoll aus neuen Stoffen. –
Findlinge nennt man sie, weil von der Brust,
Der mütterlichen sie gerissen sind,
In fremde Wiege schlummernd unbewußt,
Die fremde Hand sie legt’ wie’s Findelkind.
O welch ein Waisenhaus ist diese Heide,
Die Mohren, Blaßgesicht, und rote Haut
Gleichförmig hüllet mit dem braunen Kleide!
Wie endlos ihre Zellenreihn gebaut!
Tief ins Gebröckel, in die Mergelgrube
War ich gestiegen, denn der Wind zog scharf;
Dort saß ich seitwärts in der Höhlenstube,
Und horchte träumend auf der Luft Geharf.
Es waren Klänge, wie wenn Geisterhall
Melodisch schwinde im zerstörten All;
Und dann ein Zischen, wie von Moores Klaffen,
Wenn brodelnd es in sich zusamm’gesunken;
Mir überm Haupt ein Rispeln und ein Schaffen,
Als scharre in der Asche man den Funken.
Findlinge zog ich Stück auf Stück hervor,
Und lauschte, lauschte mit berauschtem Ohr.
Vor mir, um mich der graue Mergel nur,
Was drüber sah ich nicht; doch die Natur
Schien mir verödet, und ein Bild erstand
Von einer Erde, mürbe, ausgebrannt;
Ich selber schien ein Funken mir, der doch
Erzittert in der toten Asche noch,
Ein Findling im zerfallnen Weltenbau.
Die Wolke teilte sich, der Wind ward lau;
Mein Haupt nicht wagt’ ich aus dem Hohl zu strecken,
Um nicht zu schauen der Verödung Schrecken,
Wie Neues quoll und Altes sich zersetzte –
War ich der erste Mensch oder der letzte?
Ha, auf der Schieferplatte hier Medusen –
Noch schienen ihre Strahlen sie zu zücken,
Als sie geschleudert von des Meeres Busen,
Und das Gebirge sank, sie zu zerdrücken.
Es ist gewiß, die alte Welt ist hin,
Ich Petrefakt, ein Mammutsknochen drin!
Und müde, müde sank ich an den Rand
Der staub’gen Gruft; da rieselte der Grand
Auf Haar und Kleider mir, ich ward so grau
Wie eine Leich’ im Katakombenbau,
Und mir zu Füßen hört’ ich leises Knirren,
Ein Rütteln, ein Gebröckel und ein Schwirren.
Es war der Totenkäfer, der im Sarg
So eben eine frische Leiche barg;
Ihr Fuß, ihr Flügelchen empor gestellt
Zeigt eine Wespe mir von dieser Welt.
Und anders ward mein Träumen nun gewandet,
Zu einer Mumie ward ich versandet,
Mein Linnen Staub, fahlgrau mein Angesicht,
Und auch der Skarabäus fehlte nicht.
Wie, Leichen über mir? – so eben gar
Rollt mir ein Byssusknäuel in den Schoß;
Nein, das ist Wolle, ehrlich Lämmerhaar –
Und plötzlich ließen mich die Träume los.
Ich gähnte, dehnte mich, fuhr aus dem Hohl,
Am Himmel stand der rote Sonnenball
Getrübt von Dunst, ein glüher Karniol,
Und Schafe weideten am Heidewall.
Dicht über mir sah ich den Hirten sitzen,
Er schlingt den Faden und die Nadeln blitzen,
Wie er bedächtig seinen Socken strickt.
Zu mir hinunter hat er nicht geblickt.
»Ave Maria« hebt er an zu pfeifen,
So sacht und schläfrig, wie die Lüfte streifen,
Er schaut so seelengleich die Herde an,
Daß man nicht weiß, ob Schaf er oder Mann.
Ein Räuspern dann, und langsam aus der Kehle
Schiebt den Gesang er in das Garngestrehle:
Es stehet ein Fischlein in einem tiefen See,
Danach tu ich wohl schauen, ob es kommt in die Höh;
Wandl’ ich über Grunheide bis an den kühlen Rhein,
Alle meine Gedanken bei meinem Feinsliebchen sein.
Gleich wie der Mond ins Wasser schaut hinein,
Und gleich wie die Sonne im Wald gibt güldenen Schein,
Also sich verborgen bei mir die Liebe findt,
Alle meine Gedanken, sie sind bei dir, mein Kind.
Wer da hat gesagt, ich wollte wandern fort,
Der hat sein Feinsliebchen an einem andern Ort;
Trau nicht den falschen Zungen, was sie dir blasen ein,
Alle meine Gedanken, sie sind bei dir allein.
Ich war hinaufgeklommen, stand am Bord,
Dicht vor dem Schäfer, reichte ihm den Knäuel;
Er steckt’ ihn an den Hut, und strickte fort,
Sein weißer Kittel zuckte wie ein Weihel.
Im Moose lag ein Buch; ich hob es auf –
»›Bertuchs Naturgeschichte‹; lest ihr das?« –
Da zog ein Lächeln seine Lippen auf:
»Der lügt mal, Herr! doch das ist just der Spaß!
Von Schlangen, Bären, die in Stein verwandelt,
Als, wie Genesis sagt, die Schleusen offen;
Wär’s nicht zur Kurzweil, wär’ es schlecht gehandelt:
Man weiß ja doch, daß alles Vieh versoffen.«
Ich reichte ihm die Schieferplatte: »Schau,
Das war ein Tier.« Da zwinkert’ er die Brau’,
Und hat mir lange pfiffig nachgelacht –
Daß ich verrückt sei, hätt’ er nicht gedacht! –
Die Krähen
Heiß, heiß der Sonnenbrand
Drückt vom Zenit herunter,
Weit, weit der gelbe Sand
Zieht sein Gestäube drunter;
Nur wie ein grüner Strich
Am Horizont die Föhren;
Mich dünkt, man müßt’ es hören,
Wenn nur ein Kanker schlich.
Der blasse Äther siecht,
Ein Ruhen rings, ein Schweigen,
Dem matt das Ohr erliegt;
Nur an der Düne steigen
Zwei Fichten, dürr, ergraut –
Wie Trauernde am Grabe –
Wo einsam sich ein Rabe
Die rupp’gen Federn kraut.
Da zieht’s in Westen schwer
Wie eine Wetterwolke,
Kreist um die Föhren her
Und fällt am Heidekolke;
Und wieder steigt es dann,
Es flattert und es ächzet,
Und immer näher krächzet
Das Galgenvolk heran.
Recht, wo der Sand sich dämmt,
Da lagert es am Hügel;
Es badet sich und schwemmt,
Stäubt Asche durch die Flügel
Bis jede Feder grau;
Dann rasten sie im Bade,
Und horchen der Suade
Der alten Krähenfrau,
Die sich im Sande reckt,
Das Bein lang ausgeschossen,
Ihr eines Aug’ gefleckt,
Das andre ist geschlossen;
Zweihundert Jahr und mehr
Gehetzt mit allen Hunden,
Schnarrt sie nun ihre Kunden
Dem jungen Volke her:
»Ja, ritterlich und kühn all sein Gebar!
Wenn er so herstolzierte vor der Schar,
Und ließ sein bäumend Roß so drehn und schwenken,
Da mußt’ ich immer an Sankt Görgen denken,
Den Wettermann, der – als am Schlot ich saß,
Ließ mir die Sonne auf den Rücken brennen –
Vom Wind getrillt mich schlug so hart, daß baß
Ich es dem alten Raben möchte gönnen,
Der dort von seiner Hopfenstange schaut,
Als sei ein Baum er und wir andern Kraut! –
Kühn war der Halberstadt, das ist gewiß!
Wenn er die Braue zog, die Lippe biß,
Dann standen seine Landsknecht’ auf den Füßen
Wie Speere, solche Blicke konnt’ er schießen.
Einst brach sein Schwert; er riß die Kuppel los,
Stieß mit der Scheide einen Mann vom Pferde.
Ich war nur immer froh, daß flügellos,
Ganz sonder Witz der Mensch geboren werde:
Denn nie hab’ ich gesehn, daß aus der Schlacht
Er eine Leber nur beiseit’ gebracht.
An einem Sommertag, – heut sind es grad
Zweihundertfünfzehn Jahr, es lief die Schnat
Am Damme drüben damals bei den Föhren –
Da konnte man ein frisch Drommeten hören,
Ein Schwerterklirren und ein Feldgeschrei,
Radschlagen sah man Reuter von den Rossen,
Und die Kanone fuhr ihr Hirn zu Brei;
Entlang die Gleise ist das Blut geflossen,
Granat’ und Wachtel liefen kunterbunt
Wie junge Kiebitze am sand’gen Grund.
Ich saß auf einem Galgen, wo das Bruch
Man überschauen konnte recht mit Fug;
Dort an der Schnat hat Halberstadt gestanden,
Mit seinem Sehrohr streifend durch die Banden,
Hat seinen Stab geschwungen so und so;
Und wie er schwenkte, zogen die Soldaten –
Da plötzlich aus den Mörsern fuhr die Loh’,
Es knallte, daß ich bin zu Fall geraten,
Und als kopfüber ich vom Galgen schoß,
Da pfiff der Halberstadt davon zu Roß.
Mir stieg der Rauch in Ohr und Kehl’, ich schwang
Mich auf, und nach der Qualm in Strömen drang;
Entlang die Heide fuhr ich mit Gekrächze.
Am Grunde, welch Geschrei, Geschnaub’, Geächze!
Die Rosse wälzten sich und zappelten,
Todwunde zuckten auf, Landsknecht’ und Reuter
Knirschten den Sand, da näher trappelten
Schwadronen, manche krochen winselnd weiter,
Und mancher hat noch einen Stich versucht,
Als über ihn der Bayer weggeflucht.
Noch lange haben sie getobt, geknallt,
Ich hatte mich geflüchtet in den Wald;
Doch als die Sonne färbt’ der Föhren Spalten,
Ha welch ein köstlich Mahl ward da gehalten!
Kein Geier schmaust, kein Weihe je so reich!
In achtzehn Schwärmen fuhren wir herunter,
Das gab ein Hacken, Picken, Leich auf Leich –
Allein der Halberstadt war nicht darunter:
Nicht kam er heut, noch sonst mir zu Gesicht,
Wer ihn gefressen hat, ich weiß es nicht.«
Sie zuckt die Klaue, kraut den Schopf,
Und streckt behaglich sich im Bade;
Da streckt ein grauer Herr den Kopf,
Weit älter, als die Scheh’razade.
»Ha«, krächzt er, »das war wüste Zeit, –
Da gab’s nicht Frauen, wie vor Jahren,
Als Ritter mit dem Kreuz gefahren,
Und man die Münster hat geweiht!«
Er hustet, speit ein wenig Sand und Ton,
Dann hebt er an, ein grauer Seladon:
»Und wenn er kühn, so war sie schön,
Die heil’ge Frau im Ordenskleide!
Ihr mocht’ der Weihel süßer stehn,
Als andern Güldenstück und Seide.
Kaum war sie holder an dem Tag,
Da ihr jungfräulich Haar man fällte,
Als ich ans Kirchenfenster schnellte,
Und schier Tobias’ Hündlein brach.
Da stand die alte Gräfin, stand
Der alte Graf, geduldig harrend;
Er aufs Barettlein in der Hand,
Sie fest aufs Paternoster starrend;
Ehrbar, wie bronzen sein Gesicht –
Und aus der Mutter Wimpern glitten
Zwei Tränen auf der Schaube Mitten,
Doch ihre Lippe zuckte nicht.
Und sie in ihrem Sammetkleid,
Von Perlen und Juwel umfunkelt,
Bleich war sie, aber nicht von Leid,
Ihr Blick doch nicht von Gram umdunkelt.
So mild hat sie das Haupt gebeugt,
Als woll’ auf den Altar sie legen
Des Haares königlichen Segen,
Vom Antlitz ging ein süß Geleucht.
Doch als nun, wie am Blutgerüst,
Ein Mann die Seidenstränge packte,
Da faßte mich ein wild Gelüst,
Ich schlug die Scheiben, daß es knackte,
Und flattert’ fort, als ob der Stahl
Nach meinem Nacken wolle zücken.
Ja wahrlich, über Kopf und Rücken
Fühlt’ ich den ganzen Tag mich kahl!
Und später sah ich manche Stund
Sie betend durch den Kreuzgang schreiten,
Ihr süßes Auge übern Grund
Entlang die Totenlager gleiten;
Ins Quadrum flog ich dann herab,
Spazierte auf dem Leichensteine,
Sang, oder suchte auch zum Scheine
Nach einem Regenwurm am Grab.
Wie sie gestorben, weiß ich nicht;
Die Fenster hatte man verhangen,
Ich sah am Vorhang nur das Licht
Und hörte, wie die Schwestern sangen;
Auch hat man keinen Stein geschafft
Ins Quadrum, doch ich hörte sagen,
Daß manchem Kranken Heil getragen
Der sel’gen Frauen Wunderkraft.
Ein Loch gibt es am Kirchenend’,
Da kann man ins Gewölbe schauen,
Wo matt die ew’ge Lampe brennt,
Steinsärge ragen, fein gehauen;
Da streck’ ich oft im Dämmergrau
Den Kopf durchs Gitter, klage, klage
Die Schlafende im Sarkophage,
So hold, wie keine Krähenfrau!«
Er schließt die Augen, stößt ein lang »Krahah!«
Gestreckt die Zunge und den Schnabel offen;
Matt, flügelhängend, ein zertrümmert Hoffen,
Ein Bild gebrochnen Herzens sitzt er da. –
Da schnarrt es über ihm: »Ihr Narren all!«
Und nieder von der Fichte plumpt der Rabe:
»Ist einer hier, der hörte von Walhall,
Von Teut und Thor, und von dem Hünengrabe?
Saht ihr den Opferstein« – da mit Gekrächz
Hebt sich die Schar und klatscht entlang den Hügel.
Der Rabe blinzt, er stößt ein kurz Geächz,
Die Federn sträubend wie ein zorn’ger Igel;
Dann duckt er nieder, kraut das kahle Ohr,
Noch immer schnarrend fort von Teut und Thor. –
Das Hirtenfeuer
Dunkel, dunkel im Moor,
Über der Heide Nacht,
Nur das rieselnde Rohr
Neben der Mühle wacht,
Und an des Rades Speichen
Schwellende Tropfen schleichen.
Unke kauert im Sumpf,
Igel im Grase duckt,
In dem modernden Stumpf
Schlafend die Kröte zuckt,
Und am sandigen Hange
Rollt sich fester die Schlange.
Was glimmt dort hinterm Ginster,
Und bildet lichte Scheiben?
Nun wirft es Funkenflinster,
Die löschend niederstäuben;
Nun wieder alles dunkel –
Ich hör’ des Stahles Picken,
Ein Knistern, ein Gefunkel –
Und auf die Flammen zücken.
Und Hirtenbuben hocken
Im Kreis’ umher, sie strecken
Die Hände, Torfes Brocken
Seh ich die Lohe lecken;
Da bricht ein starker Knabe
Aus des Gestrippes Windel,
Und schleifet nach im Trabe
Ein wüst Wacholderbündel.
Er läßt’s am Feuer kippen –
Hei, wie die Buben johlen,
Und mit den Fingern schnippen
Die Funken-Girandolen!
Wie ihre Zipfelmützen
Am Ohre lustig flattern,
Und wie die Nadeln spritzen,
Und wie die Äste knattern!
Die Flamme sinkt, sie hocken
Aufs neu’ umher im Kreise,
Und wieder fliegen Brocken,
Und wieder schwelt es leise;
Glührote Lichter streichen
An Haarbusch und Gesichte,
Und schier Dämonen gleichen
Die kleinen Heidewichte.
Der da, der Unbeschuhte,
Was streckt er in das Dunkel
Den Arm wie eine Rute,
Im Kreise welch Gemunkel?
Sie spähn wie junge Geier
Von ihrer Ginsterschütte:
Hah, noch ein Hirtenfeuer,
Recht an des Dammes Mitte!
Man sieht es eben steigen
Und seine Schimmer breiten,
Den wirren Funkenreigen
Übern Wacholder gleiten;
Die Buben flüstern leise,
Sie räuspern ihre Kehlen,
Und alte Heideweise
Verzittert durch die Schmelen.
»Helo, heloe!
Heloe, loe!
Komm du auf unsre Heide,
Wo ich meine Schäflein weide,
Komm, o komm in unser Bruch,
Da gibt’s der Blümelein genug, –
Helo, heloe!«
Die Knaben schweigen, lauschen nach dem Tann,
Und leise durch den Ginster zieht’s heran:
Gegenstrophe
»Helo, heloe!
Ich sitze auf dem Walle,
Meine Schäflein schlafen alle,
Komm, o komm in unsern Kamp,
Da wächst das Gras wie Brahm so lang! –
Helo, heloe!
Heloe, loe!«
Der Heidemann1
»Geht, Kinder, nicht zu weit ins Bruch,
Die Sonne sinkt, schon surrt den Flug
Die Biene matter, schlafgehemmt,
Am Grunde schwimmt ein blasses Tuch,
Der Heidemann kömmt!« –
Die Knaben spielen fort am Raine,
Sie rupfen Gräser, schnellen Steine,
Sie plätschern in des Teiches Rinne,
Erhaschen die Phalän’ am Ried,
Und freun sich, wenn die Wasserspinne
Langbeinig in die Binsen flieht.
»Ihr Kinder, legt euch nicht ins Gras, –
Seht, wo noch grad’ die Biene saß,
Wie weißer Rauch die Glocken füllt.
Scheu aus dem Busche glotzt der Has,
Der Heidemann schwillt!« –
Kaum hebt ihr schweres Haupt die Schmele
Noch aus dem Dunst, in seine Höhle
Schiebt sich der Käfer und am Halme
Die träge Motte höher kreucht,
Sich flüchtend vor dem feuchten Qualme,
Der unter ihre Flügel steigt.
»Ihr Kinder, haltet euch bei Haus,
Lauft ja nicht in das Bruch hinaus;
Seht, wie bereits der Dorn ergraut,
Die Drossel ächzt zum Nest hinaus,
Der Heidemann braut!« –
Man sieht des Hirten Pfeife glimmen,
Und vor ihm her die Herde schwimmen,
Wie Proteus seine Robbenscharen
Heimschwemmt im grauen Ozean.
Am Dach die Schwalben zwitschernd fahren
Und melancholisch kräht der Hahn.
»Ihr Kinder, bleibt am Hofe dicht,
Seht, wie die feuchte Nebelschicht
Schon an des Pförtchens Klinke reicht;
Am Grunde schwimmt ein falsches Licht,
Der Heidemann steigt!« –
Nun strecken nur der Föhren Wipfel
Noch aus dem Dunste grüne Gipfel,
Wie übern Schnee Wacholderbüsche;
Ein leises Brodeln quillt im Moor,
Ein schwaches Schrillen, ein Gezische
Dringt aus der Niederung hervor.
»Ihr Kinder, kommt, kommt schnell herein,
Das Irrlicht zündet seinen Schein,
Die Kröte schwillt, die Schlang’ im Ried;
Jetzt ist’s unheimlich draußen sein,
Der Heidemann zieht!« –
Nun sinkt die letzte Nadel, rauchend
Zergeht die Fichte, langsam tauchend
Steigt Nebelschemen aus dem Moore,
Mit Hünenschritten gleitet’s fort;
Ein irres Leuchten zuckt im Rohre,
Der Krötenchor beginnt am Bord.
Und plötzlich scheint ein schwaches Glühen
Des Hünen Glieder zu durchziehen;
Es siedet auf, es färbt die Wellen,
Der Nord, der Nord entzündet sich –
Glutpfeile, Feuerspeere schnellen,
Der Horizont ein Lavastrich!
»Gott gnad’ uns! wie es zuckt und dräut,
Wie’s schwelet an der Dünenscheid’! –
Ihr Kinder, faltet eure Händ’,
Das bringt uns Pest und teure Zeit –
Der Heidemann brennt!« –
Fußnoten
1 Hier nicht das bekannte Gespenst, sondern die Nebelschicht, die sich zur Herbst- und Frühlingszeit abends über den Heidegrund legt.
Das Haus in der Heide
Wie lauscht, vom Abendschein umzuckt,
Die strohgedeckte Hütte,
– Recht wie im Nest der Vogel duckt, –
Aus dunkler Föhren Mitte.
Am Fensterloche streckt das Haupt
Die weißgestirnte Sterke,
Bläst in den Abendduft und schnaubt
Und stößt ans Holzgewerke.
Seitab ein Gärtchen, dornumhegt,
Mit reinlichem Gelände,
Wo matt ihr Haupt die Glocke trägt,
Aufrecht die Sonnenwende.
Und drinnen kniet ein stilles Kind,
Das scheint den Grund zu jäten,
Nun pflückt sie eine Lilie lind
Und wandelt längs den Beeten.
Am Horizonte Hirten, die
Im Heidekraut sich strecken,
Und mit des Aves Melodie
Träumende Lüfte wecken.
Und von der Tenne ab und an
Schallt es wie Hammerschläge,
Der Hobel rauscht, es fällt der Span,
Und langsam knarrt die Säge.
Da hebt der Abendstern gemach
Sich aus den Föhrenzweigen,
Und grade ob der Hütte Dach
Scheint er sich mild zu neigen.
Es ist ein Bild, wie still und heiß
Es alte Meister hegten,
Kunstvolle Mönche, und mit Fleiß
Es auf den Goldgrund legten.
Der Zimmermann – die Hirten gleich
Mit ihrem frommen Liede –
Die Jungfrau mit dem Lilienzweig –
Und rings der Gottesfriede.
Des Sternes wunderlich Geleucht
Aus zarten Wolkenfloren –
Ist etwa hier im Stall vielleicht
Christkindlein heut geboren?
Der Knabe im Moor
O schaurig ist’s übers Moor zu gehn,
Wenn es wimmelt vom Heiderauche,
Sich wie Phantome die Dünste drehn
Und die Ranke häkelt am Strauche,
Unter jedem Tritte ein Quellchen springt,
Wenn aus der Spalte es zischt und singt,
O schaurig ist’s übers Moor zu gehn,
Wenn das Röhricht knistert im Hauche!
Fest hält die Fibel das zitternde Kind
Und rennt als ob man es jage;
Hohl über die Fläche sauset der Wind –
Was raschelt drüben am Hage?
Das ist der gespenstige Gräberknecht,
Der dem Meister die besten Torfe verzecht;
Hu, hu, es bricht wie ein irres Rind!
Hinducket das Knäblein zage.
Vom Ufer starret Gestumpf hervor,
Unheimlich nicket die Föhre,
Der Knabe rennt, gespannt das Ohr,
Durch Riesenhalme wie Speere;
Und wie es rieselt und knittert darin!
Das ist die unselige Spinnerin,
Das ist die gebannte Spinnlenor’,
Die den Haspel dreht im Geröhre!
Voran, voran, nur immer im Lauf,
Voran als woll’ es ihn holen;
Vor seinem Fuße brodelt es auf,
Es pfeift ihm unter den Sohlen
Wie eine gespenstige Melodei;
Das ist der Geigemann ungetreu
Das ist der diebische Fiedler Knauf,
Der den Hochzeitheller gestohlen!
Da birst das Moor, ein Seufzer geht
Hervor aus der klaffenden Höhle;
Weh, weh, da ruft die verdammte Margret:
»Ho, ho, meine arme Seele!«
Der Knabe springt wie ein wundes Reh,
Wär’ nicht Schutzengel in seiner Näh’,
Seine bleichenden Knöchelchen fände spät
Ein Gräber im Moorgeschwele.
Da mählich gründet der Boden sich,
Und drüben, neben der Weide,
Die Lampe flimmert so heimatlich,
Der Knabe steht an der Scheide.
Tief atmet er auf, zum Moor zurück
Noch immer wirft er den scheuen Blick:
Ja, im Geröhre war’s fürchterlich,
O schaurig war’s in der Heide!
Fels, Wald und See
Die Elemente
Luft
Der Morgen, der Jäger
Wo die Felsenlager stehen,
Sich des Schnees Daunen blähen,
Auf des Chimborasso Höhen
Ist der junge Strahl erwacht;
Regt und dehnt die ros’gen Glieder,
Schüttelt dann sein Goldgefieder,
Mit dem Flimmerauge nieder
Blinzt er in des Tales Schacht.
Hörst du wie es fällt und steigt?
Fühlst du wie es um dich streicht?
Dringt zu dir im weichen Duft
Nicht der Himmelsodem – Luft?
Ins frische Land der Jäger tritt:
»Gegrüßt du fröhlicher Morgen!
Gegrüßt du Sonn’, mit dem leichten Schritt
Wir beiden ziehn ohne Sorgen.
Und dreimal gegrüßt mein Geselle Wind,
Der stets mir wandelt zur Seite,
Im Walde flüstert durch Blätter lind,
Zur Höh’ gibt springend Geleite.
Und hat die Gems, das listige Tier,
Mich verlockt in ihr zackiges Felsrevier,
Wie sind wir drei dann so ganz allein,
Du, Luft, und ich, und der uralte Stein!«
Wasser
Der Mittag, der Fischer
Alles still ringsum –
Die Zweige ruhen, die Vögel sind stumm.
Wie ein Schiff, das im vollen Gewässer brennt,
Und das die Windsbraut jagt,
So durch den Azur die Sonne rennt,
Und immer flammender tagt.
Natur schläft – ihr Odem steht,
Ihre grünen Locken hangen schwer,
Nur auf und nieder ihr Pulsschlag geht
Ungehemmt im heiligen Meer.
Jedes Räupchen sucht des Blattes Hülle,
Jeden Käfer nimmt sein Grübchen auf;
Nur das Meer liegt frei in seiner Fülle,
Und blickt zum Firmament hinauf.
In der Bucht wiegt ein Kahn,
Ausgestreckt der Fischer drin,
Und die lange Wasserbahn
Schaut er träumend überhin.
Neben ihm die Zweige hängen,
Unter ihm die Wellchen drängen,
Plätschernd in der blauen Flut
Schaukelt seine heiße Hand:
»Wasser«, spricht er, »Welle gut,
Hauchst so kühlig an den Strand.
Du, der Erde köstlich Blut,
Meinem Blute nah verwandt,
Sendest deine blanken Wellen,
Die jetzt kosend um mich schwellen,
Durch der Mutter weites Reich,
Börnlein, Strom und glatter Teich,
Und an meiner Hütte gleich
Schlürf’ ich dein geläutert Gut,
Und du wirst mein eignes Blut,
Liebe Welle! heil’ge Flut!« –
Leiser plätschernd schläft er ein,
Und das Meer wirft seinen Schein
Um Gebirg und Feld und Hain;
Und das Meer zieht seine Bahn
Um die Welt und um den Kahn.
Erde
Der Abend, der Gärtner
Rötliche Flöckchen ziehen
Über die Berge fort,
Und wie Purpurgewänder,
Und wie farbige Bänder
Flattert es hier und dort
In der steigenden Dämmrung Hort.
Gleich einem Königsgarten,
Den verlassen die Fürstin hoch –
Nur in der Kühle ergehen
Und um die Beete sich drehen
Flüsternd ein paar Hoffräulein noch.
Da des Himmels Vorhang sinkt,
Öffnet sich der Erde Brust,
Leise, leise Kräutlein trinkt,
Und entschlummert unbewußt;
Und sein furchtsam Wächterlein,
Würmchen mit dem grünen Schein,
Zündet an dem Glühholz sein
Leuchtchen klein.
Der Gärtner, über die Blumen gebeugt,
Spürt an der Sohle den Tau,
Gleich vom nächsten Halme er streicht
Lächelnd die Tropfen lau;
Geht noch einmal entlang den Wall,
Prüft jede Knospe genau und gut:
»Schlaft denn«, spricht er, »ihr Kindlein all,
Schlafet! ich laß euch der Mutter Hut;
Liebe Erde! mir sind die Wimper schwer,
Hab’ die letzte Nacht durchwacht,
Breit wohl deinen Taumantel um sie her,
Nimm wohl mir die Kleinen in acht.«
Feuer
Die Nacht, der Hammerschmied
Dunkel! All Dunkel schwer!
Wie Riesen schreiten Wolken her –
Über Gras und Laub,
Wirbelt’s wie schwarzer Staub;
Hier und dort ein grauer Stamm;
Am Horizont des Berges Kamm
Hält die gespenstige Wacht,
Sonst alles Nacht – Nacht – nur Nacht.
Was blitzt dort auf? – ein roter Stern –
Nun scheint es nah, nun wieder fern;
Schau! wie es zuckt und zuckt und schweift,
Wie’s ringelnd gleich der Schlange pfeift.
Nun am Gemäuer klimmt es auf,
Unwillig wirft’s die Asch’ hinauf,
Und wirbelnd überm Dach hervor
Die Funkensäule steigt empor.
Und dort der Mann im ruß’gen Kleid,
– Sein Angesicht ist bleich und kalt,
Ein Bild der listigen Gewalt –
Wie er die Flamme dämpft und facht,
Und hält den Eisenblock bereit!
Den soll ihm die gefangne Macht,
Die wilde hartbezähmte Glut
Zermalmen gleich in ihrer Wut.
Schau, wie das Feuer sich zersplittert!
Wie’s tückisch an der Kohle knittert!
Lang aus die rote Kralle streckt
Und nach dem Kerkermeister reckt!
Wie’s vor verhaltnem Grimme zittert:
»O, hätt’ ich dich, o könnte ich
Mit meinen Klauen fassen dich!
Ich lehrte dich den Unterschied
Von dir zu Elementes Zier,
An deinem morschen, staub’gen Glied,
Du ruchlos Menschentier!«
Die Schenke am See
An Levin S.
Ist’s nicht ein heitrer Ort, mein junger Freund,
Das Kleine Haus, das schier vom Hange gleitet,
Wo so possierlich uns der Wirt erscheint,
So übermächtig sich die Landschaft breitet;
Wo uns ergötzt im neckischen Kontrast
Das Wurzelmännchen mit verschmitzter Miene,
Das wie ein Aal sich schlingt und kugelt fast,
Im Angesicht der stolzen Alpenbühne?
Sitz nieder. – Trauben! – und behend erscheint
Zopfwedelnd der geschäftige Pygmäe;
O sieh, wie die verletzte Beere weint
Blutige Tränen um des Reifes Nähe;
Frisch greif in die kristallne Schale, frisch,
Die saftigen Rubine glühn und locken;
Schon fühl’ ich an des Herbstes reichem Tisch
Den kargen Winter nahn auf leisen Socken.
Das sind dir Hieroglyphen, junges Blut,
Und ich, ich will an deiner lieben Seite
Froh schlürfen meiner Neige letztes Gut.
Schau her, schau drüben in die Näh’ und Weite;
Wie uns zur Seite sich der Felsen bäumt,
Als könnten wir mit Händen ihn ergreifen,
Wie uns zu Füßen das Gewässer schäumt,
Als könnten wir im Schwunge drüber streifen!
Hörst du das Alphorn überm blauen See?
So klar die Luft, mich dünkt ich seh den Hirten
Heimzügeln von der duftbesäumten Höh’ –
War’s nicht als ob die Rinderglocken schwirrten?
Dort, wo die Schlucht in das Gestein sich drängt –
Mich dünkt ich seh den kecken Jäger schleichen;
Wenn eine Gemse an der Klippe hängt,
Gewiß, mein Auge müßte sie erreichen.
Trink aus! – die Alpen liegen stundenweit,
Nur nah die Burg, uns heimisches Gemäuer,
Wo Träume lagern langverschollner Zeit,
Seltsame Mär und zorn’ge Abenteuer.
Wohl ziemt es mir, in Räumen schwer und grau
Zu grübeln über dunkler Taten Reste;
Doch du, Levin, schaust aus dem grimmen Bau
Wie eine Schwalbe aus dem Mauerneste.
Sieh drunten auf dem See im Abendrot
Die Taucherente hin und wieder schlüpfend;
Nun sinkt sie nieder wie des Netzes Lot,
Nun wieder aufwärts mit den Wellen hüpfend;
Seltsames Spiel, recht wie ein Lebenslauf!
Wir beide schaun gespannten Blickes nieder;
Du flüsterst lächelnd: immer kömmt sie auf –
Und ich, ich denke, immer sinkt sie wieder!
Noch einen Blick dem segensreichen Land,
Den Hügeln, Auen, üpp’gem Wellenrauschen,
Und heimwärts dann, wo von der Zinne Rand
Freundliche Augen unserm Pfade lauschen;
Brich auf! – da haspelt in behendem Lauf
Das Wirtlein Abschied wedelnd uns entgegen:
»– Geruh’ge Nacht – stehn’s nit zu zeitig auf! –«
Das ist der lust’gen Schwaben Abendsegen.
Am Turme
Ich steh auf hohem Balkone am Turm,
Umstrichen vom schreienden Stare,
Und laß gleich einer Mänade den Sturm
Mir wühlen im flatternden Haare;
O wilder Geselle, o toller Fant,
Ich möchte dich kräftig umschlingen,
Und, Sehne an Sehne, zwei Schritte vom Rand
Auf Tod und Leben dann ringen!
Und drunten seh ich am Strand, so frisch
Wie spielende Doggen, die Wellen
Sich tummeln rings mit Geklaff und Gezisch,
Und glänzende Flocken schnellen.
O, springen möcht’ ich hinein alsbald,
Recht in die tobende Meute,
Und jagen durch den korallenen Wald
Das Walroß, die lustige Beute!
Und drüben seh ich ein Wimpel wehn
So keck wie eine Standarte,
Seh auf und nieder den Kiel sich drehn
Von meiner luftigen Warte;
O, sitzen möcht’ ich im kämpfenden Schiff,
Das Steuerruder ergreifen,
Und zischend über das brandende Riff
Wie eine Seemöwe streifen.
Wär’ ich ein Jäger auf freier Flur,
Ein Stück nur von einem Soldaten,
Wär’ ich ein Mann doch mindestens nur,
So würde der Himmel mir raten;
Nun muß ich sitzen so fein und klar,
Gleich einem artigen Kinde,
Und darf nur heimlich lösen mein Haar,
Und lassen es flattern im Winde!
Das öde Haus
Tiefab im Tobel liegt ein Haus,
Zerfallen nach des Försters Tode,
Dort ruh ich manche Stunde aus,
Vergraben unter Rank’ und Lode;
‘s ist eine Wildnis, wo der Tag
Nur halb die schweren Wimper lichtet;
Der Felsen tiefe Kluft verdichtet
Ergrauter Äste Schattenhag.
Ich horche träumend, wie im Spalt
Die schwarzen Fliegen taumelnd summen,
Wie Seufzer streifen durch den Wald,
Am Strauche irre Käfer brummen;
Wenn sich die Abendröte drängt
An sickernden Geschiefers Lauge,
Dann ist’s als ob ein trübes Auge,
Ein rotgeweintes drüber hängt.
Wo an zerrißner Laube Joch
Die langen magern Schossen streichen,
An wildverwachsner Hecke noch
Im Moose Nelkensprossen schleichen,
Dort hat vom tröpfelnden Gestein
Das dunkle Naß sich durchgesogen,
Kreucht um den Buchs in trägen Bogen,
Und sinkt am Fenchelstrauche ein.
Das Dach, von Moose überschwellt,
Läßt einzle Schober niederragen,
Und eine Spinne hat ihr Zelt
Im Fensterloche aufgeschlagen;
Da hängt, ein Blatt von zartem Flor,
Der schillernden Libelle Flügel,
Und ihres Panzers goldner Spiegel
Ragt kopflos am Gesims hervor.
Zuweilen hat ein Schmetterling
Sich gaukelnd in der Schlucht gefangen,
Und bleibt sekundenlang am Ring
Der kränkelnden Narzisse hangen;
Streicht eine Taube durch den Hain,
So schweigt am Tobelrand ihr Girren,
Man höret nur die Flügel schwirren
Und sieht den Schatten am Gestein.
Und auf dem Herde, wo der Schnee
Seit Jahren durch den Schlot geflogen,
Liegt Aschenmoder feucht und zäh,
Von Pilzes Glocken überzogen;
Noch hängt am Mauerpflock ein Rest
Verwirrten Wergs, das Seil zu spinnen,
Wie halbvermorschtes Haar und drinnen
Der Schwalbe überjährig Nest.
Und von des Balkens Haken nickt
Ein Schellenband an Schnall’ und Riemen,
Mit grober Wolle ist gestickt
»Diana« auf dem Lederstriemen;
Ein Pfeifchen auch vergaß man hier,
Als man den Tannensarg geschlossen;
Den Mann begrub man, tot geschossen
Hat man das alte treue Tier.
Sitz’ ich so einsam am Gesträuch
Und hör’ die Maus im Laube schrillen,
Das Eichhorn blafft von Zweig zu Zweig,
Am Sumpfe läuten Unk’ und Grillen –
Wie Schauer überläuft’s mich dann,
Als hör’ ich klingeln noch die Schellen,
Im Walde die Diana bellen
Und pfeifen noch den toten Mann.
Im Moose
Als jüngst die Nacht dem sonnenmüden Land
Der Dämmrung leise Boten hat gesandt,
Da lag ich einsam noch in Waldes Moose.
Die dunklen Zweige nickten so vertraut,
An meiner Wange flüsterte das Kraut,
Unsichtbar duftete die Heiderose.
Und flimmern sah ich, durch der Linde Raum,
Ein mattes Licht, das im Gezweig der Baum
Gleich einem mächt’gen Glühwurm schien zu tragen.
Es sah so dämmernd wie ein Traumgesicht,
Doch wußte ich, es war der Heimat Licht,
In meiner eignen Kammer angeschlagen.
Ringsum so still, daß ich vernahm im Laub
Der Raupe Nagen, und wie grüner Staub
Mich leise wirbelnd Blätterflöckchen trafen.
Ich lag und dachte, ach so manchem nach,
Ich hörte meines eignen Herzens Schlag,
Fast war es mir als sei ich schon entschlafen.
Gedanken tauchten aus Gedanken auf,
Das Kinderspiel, der frischen Jahre Lauf,
Gesichter, die mir lange fremd geworden;
Vergeßne Töne summten um mein Ohr,
Und endlich trat die Gegenwart hervor,
Da stand die Welle, wie an Ufers Borden.
Dann, gleich dem Bronnen, der verrinnt im Schlund,
Und drüben wieder sprudelt aus dem Grund,
So stand ich plötzlich in der Zukunft Lande;
Ich sah mich selber, gar gebückt und klein,
Geschwächten Auges, am ererbten Schrein
Sorgfältig ordnen staub’ge Liebespfande.
Die Bilder meiner Lieben sah ich klar,
In einer Tracht, die jetzt veraltet war,
Mich sorgsam lösen aus verblichnen Hüllen,
Löckchen, vermorscht, zu Staub zerfallen schier,
Sah über die gefurchte Wange mir
Langsam herab die karge Träne quillen.
Und wieder an des Friedhofs Monument,
Dran Namen standen die mein Lieben kennt,
Da lag ich betend, mit gebrochnen Knieen,
Und – horch, die Wachtel schlug! Kühl strich der Hauch –
Und noch zuletzt sah ich, gleich einem Rauch,
Mich leise in der Erde Poren ziehen.
Ich fuhr empor, und schüttelte mich dann,
Wie einer, der dem Scheintod erst entrann,
Und taumelte entlang die dunklen Hage,
Noch immer zweifelnd, ob der Stern am Rain
Sei wirklich meiner Schlummerlampe Schein,
Oder das ew’ge Licht am Sarkophage.
Am Bodensee
Über Gelände, matt gedehnt,
Hat Nebelhauch sich wimmelnd gelegt,
Müde, müde die Luft am Strande stöhnt,
Wie ein Roß, das den schlafenden Reiter trägt;
Im Fischerhause kein Lämpchen brennt,
Im öden Turme kein Heimchen schrillt,
Nur langsam rollend der Pulsschlag schwillt
In dem zitternden Element.
Ich hör’ es wühlen am feuchten Strand,
Mir unterm Fuße es wühlen fort,
Die Kiesel knistern, es rauscht der Sand,
Und Stein an Stein entbröckelt dem Bord.
An meiner Sohle zerfährt der Schaum,
Eine Stimme klaget im hohlen Grund,
Gedämpft, mit halbgeschlossenem Mund,
Wie des grollenden Wetters Traum.
Ich beuge lauschend am Turme her,
Sprühregenflitter fährt in die Höh’,
Ha, meine Locke ist feucht und schwer!
Was treibst du denn, unruhiger See?
Kann dir der heilige Schlaf nicht nahn?
Doch nein, du schläfst, ich seh es genau,
Dein Auge decket die Wimper grau,
Am Ufer schlummert der Kahn.
Hast du so vieles, so vieles erlebt,
Daß dir im Traume es kehren muß,
Daß deine gleißende Nerv’ erbebt,
Naht ihr am Strand eines Menschen Fuß?
Dahin, dahin! die einst so gesund,
So reich und mächtig, so arm und klein,
Und nur ihr flüchtiger Spiegelschein
Liegt zerflossen auf deinem Grund.
Der Ritter, so aus der Burg hervor
Vom Hange trabte in aller Früh;
– Jetzt nickt die Esche vom grauen Tor,
Am Zwinger zeichnet die Mylady. –
Das arme Mütterlein, das gebleicht
Sein Leichenhemde den Strand entlang,
Der Kranke, der seinen letzten Gang
An deinem Borde gekeucht;
Das spielende Kind, das neckend hier
Sein Schneckenhäuschen geschleudert hat,
Die glühende Braut, die lächelnd dir
Von der Ringelblume gab Blatt um Blatt;
Der Sänger, der mit trunkenem Aug’
Das Metrum geplätschert in deiner Flut,
Der Pilger, so am Gesteine geruht,
Sie alle dahin wie Rauch!
Bist du so fromm, alte Wasserfei,
Hältst nur umschlungen, läßt nimmer los?
Hat sich aus dem Gebirge die Treu’
Geflüchtet in deinen heiligen Schoß?
O, schau mich an! ich zergeh wie Schaum,
Wenn aus dem Grabe die Distel quillt,
Damm zuckt mein längst zerfallenes Bild
Wohl einmal durch deinen Traum!
Das alte Schloß
Auf der Burg haus’ ich am Berge,
Unter mir der blaue See,
Höre nächtlich Koboldzwerge,
Täglich Adler aus der Höh’,
Und die grauen Ahnenbilder
Sind mir Stubenkameraden,
Wappentruh’ und Eisenschilder
Sofa mir und Kleiderladen.
Schreit’ ich über die Terrasse
Wie ein Geist am Runenstein,
Sehe unter mir die blasse
Alte Stadt im Mondenschein,
Und am Walle pfeift es weidlich,
– Sind es Käuze oder Knaben? –
Ist mir selber oft nicht deutlich,
Ob ich lebend, ob begraben!
Mir genüber gähnt die Halle,
Grauen Tores, hohl und lang,
Drin mit wunderlichem Schalle
O Langsam dröhnt ein schwerer Gang;
Mir zur Seite Riegelzüge,
Ha, ich öffne, laß die Lampe
Scheinen auf der Wendelstiege
Lose modergrüne Rampe,
Die mich lockt wie ein Verhängnis,
Zu dem unbekannten Grund;
Ob ein Brunnen? ob Gefängnis?
Keinem Lebenden ist’s kund;
Denn zerfallen sind die Stufen,
Und der Steinwurf hat nicht Bahn,
Doch als ich hinab gerufen,
Donnert’s fort wie ein Orkan.
Ja, wird mir nicht baldigst fade
Dieses Schlosses Romantik,
In den Trümmern, ohne Gnade,
Brech’ ich Glieder und Genick;
Denn, wie trotzig sich die Düne
Mag am flachen Strande heben,
Fühl’ ich stark mich wie ein Hüne,
Von Zerfallendem umgeben.
Der Säntis1
Frühling
Die Rebe blüht, ihr linder Hauch
Durchzieht das tauige Revier,
Und nah’ und ferne wiegt die Luft
Vielfarb’ger Blumen bunte Zier.
Wie’s um mich gaukelt, wie es summt
Von Vogel, Bien’ und Schmetterling,
Wie seine seidnen Wimpel regt
Der Zweig, so jüngst voll Reifen hing.
Noch sucht man gern den Sonnenschein
Und nimmt die trocknen Plätzchen ein;
Denn nachts schleicht an die Grenze doch
Der landesflücht’ge Winter noch.
O du mein ernst gewalt’ger Greis,
Mein Säntis mit der Locke weiß!
In Felsenblöcke eingemauert,
Von Schneegestöber überschauert,
In Eisespanzer eingeschnürt:
Hu! wie dich schaudert, wie dich friert!
Fußnoten
1 Die höchste Kuppe des Alpsteins, der sich durch die Kantone St. Gallen und Appenzell streckt.
Sommer
Du gute Linde, schüttle dich!
Ein wenig Luft, ein schwacher West!
Wo nicht, dann schließe dein Gezweig
So recht, daß Blatt an Blatt sich preßt.
Kein Vogel zirpt, es bellt kein Hund;
Allein die bunte Fliegenbrut
Summt auf und nieder übern Rain
Und läßt sich rösten in der Glut.
Sogar der Bäume dunkles Laub
Erscheint verdickt und atmet Staub.
Ich liege hier wie ausgedorrt
Und scheuche kaum die Mücken fort.
O Säntis, Säntis! läg’ ich doch
Dort, – grad’ an deinem Felsenjoch,
Wo sich die kalten, weißen Decken
So frisch und saftig drüben strecken,
Viel tausend blanker Tropfen Spiel;
Glücksel’ger Säntis, dir ist kühl!
Herbst
Wenn ich an einem schönen Tag
Der Mittagsstunde habe acht,
Und lehne unter meinem Baum
So mitten in der Trauben Pracht:
Wenn die Zeitlose übers Tal
Den amethistnen Teppich webt,
Auf dem der letzte Schmetterling
So schillernd wie der frühste bebt:
Dann denk’ ich wenig drüber nach,
Wie’s nun verkümmert Tag für Tag,
Und kann mit halbverschlossnem Blick
Vom Lenze träumen und von Glück.
Du mit dem frischgefallnen Schnee,
Du tust mir in den Augen weh!
Willst uns den Winter schon bereiten:
Von Schlucht zu Schlucht sieht man ihn gleiten,
Und bald, bald wälzt er sich herab
Von dir, o Säntis! ödes Grab!
Winter
Aus Schneegestäub’ und Nebelqualm
Bricht endlich doch ein klarer Tag;
Da fliegen alle Fenster auf,
Ein jeder späht, was er vermag.
Ob jene Blöcke Häuser sind?
Ein Weiher jener ebne Raum?
Fürwahr, in dieser Uniform
Den Glockenturm erkennt man kaum;
Und alles Leben liegt zerdrückt,
Wie unterm Leichentuch erstickt.
Doch schau! an Horizontes Rand
Begegnet mir lebend’ges Land.
Du starrer Wächter, laß ihn los
Den Föhn aus deiner Kerker Schoß!
Wo schwärzlich jene Riffe spalten,
Da muß er Quarantäne halten,
Der Fremdling aus der Lombardei;
O Säntis, gib den Tauwind frei!
Am Weiher
Ein milder Wintertag
An jenes Waldes Enden,
Wo still der Weiher liegt
Und längs den Fichtenwänden
Sich lind Gemurmel wiegt:
Wo in der Sonnenhelle,
So matt und kalt sie ist,
Doch immerfort die Welle
Das Ufer flimmernd küßt:
Da weiß ich, schön zum Malen,
Noch eine schmale Schlucht,
Wo all’ die kleinen Strahlen
Sich fangen in der Bucht;
Ein trocken, windstill Eckchen,
Und so an Grüne reich,
Daß auf dem ganzen Fleckchen
Mich kränkt kein dürrer Zweig.
Will ich den Mantel dichte
Nun legen übers Moos,
Mich lehnen an die Fichte,
Und dann auf meinen Schoß
Gezweig’ und Kräuter breiten,
So gut ich’s finden mag:
Wer will mir’s übel deuten,
Spiel’ ich den Sommertag?
Will nicht die Grille hallen,
So säuselt doch das Ried;
Sind stumm die Nachtigallen,
So sing’ ich selbst ein Lied.
Und hat Natur zum Feste
Nur wenig dargebracht:
Die Lust ist stets die beste,
Die man sich selber macht.
Ein harter Wintertag
Daß ich dich so verkümmert seh,
Mein lieb lebend’ges Wasserreich,
Daß ganz versteckt in Eis und Schnee
Du siehst der plumpen Erde gleich;
Auch daß voll Reif und Schollen hängt
Dein überglaster Fichtengang:
Das ist es nicht, was mich beengt,
Geh ich an deinem Bord entlang.
Zwar in der immer grünen Zier
Erschienst, o freundlich Element,
Du ähnlich den Oasen mir,
Die des Arabers Sehnsucht kennt;
Wenn neben der verdorrten Flur
Erblühten deine Moose noch,
Wenn durch die schweigende Natur
Erklangen deine Wellen doch.
Allein auch heute wollt’ ich gern
Mich des kristallnen Flimmers freun,
Belauschen jeden Farbenstern
Und keinen Sommertag bereun:
Wär’ nicht dem Ufer längs, so breit,
Die glatte Schlittenbahn gefegt,
Worauf sich wohl zur Mittagszeit
Gar manche rüst’ge Ferse regt.
Bedenk’ ich nun, wie manches Jahr
Ich nimmer eine Eisbahn sah:
Wohl wird mir’s trüb und wunderbar,
Und tausend Bilder treten nah.
Was blieb an Wünschen unerfüllt,
Das nähm’ ich noch gelassen mit:
Doch ach, der Frost so manchen hüllt,
Der einst so fröhlich drüber glitt!
Fragment
Savoyen, Land beschneiter Höhn,
Wer hat dein kräftig Bild gesehn,
Wer trat in deiner Wälder Nacht,
Sah auf zu deiner Wipfel Pracht,
Wer stand an deinem Wasserfall,
Wer lauschte deiner Ströme Hall,
Und nannte dich nicht schön?
Du Land des Volks, dem Reiche weihen
Ruhmvoll den Namen des Getreuen,
Bist herrlich, wenn der Frühlingssturm
Die Berggewässer schäumend führt,
Und deiner Fichte schlanker Turm
Sich mit der jungen Nadel ziert;
Bist reizend, wenn die Sommerglut
Erzittert um den Mandelbaum;
Doch in des Herbstes goldner Flut
Du ruhst gleich dunkeln Auges Traum.
Dann treibt der Wind kein rasselnd Laub
Durch brauner Heiden Wirbelstaub;
Wie halb bezwungne Seufzer wallen,
Nur leis die zarten Nadeln fallen,
Als wagten sie zu flüstern kaum.
Der Tag bricht an; noch einsam steht
Das Sonnenrund am Firmament;
Am Strahl, der auf und nieder streicht,
Gemach der Erdbeerbaum entbrennt;
Noch will das Genzian nicht wagen
Die dunkeln Wimper aufzuschlagen;
Noch schläft die Luft im Nebeldicht.
Welch greller Schrei die Stille bricht?
Der Auerhahn begrüßt das Licht;
Er schaukelt, wiegt sich, macht sich breit,
Er putzt sein stattlich Federkleid,
Und langsam streckt ihr stumpf Gesicht
Marmotte aus hohlen Baumes Nacht:
Das Leben, Leben ist erwacht;
Die Geier pfeifen, Birkhahn ruft,
Schneehühner flattern aus der Kluft;
Die Fichten selbst, daß keiner säume,
Erzählen flüsternd sich die Träume.
Und durch Remi geht überall
Ein dumpf Gemurr von Stall zu Stall.
Gedichte vermischten Inhalts
Mein Beruf
»Was meinem Kreise mich enttrieb,
Der Kammer friedlichem Gelasse?«
Das fragt ihr mich als sei, ein Dieb,
Ich eingebrochen am Parnasse.
So hört denn, hört, weil ihr gefragt:
Bei der Geburt bin ich geladen,
Mein Recht soweit der Himmel tagt,
Und meine Macht von Gottes Gnaden.
Jetzt wo hervor der tote Schein
Sich drängt am modervollen Stumpfe,
Wo sich der schönste Blumenrain
Wiegt über dem erstorbnen Sumpfe,
Der Geist, ein blutlos Meteor,
Entflammt und lischt im Moorgeschwele,
Jetzt ruft die Stunde: »Tritt hervor,
Mann oder Weib, lebend’ge Seele!
Tritt zu dem Träumer, den am Rand
Entschläfert der Datura Odem,
Der, langsam gleitend von der Wand,
Noch zucket gen den Zauberbrodem.
Und wo ein Mund zu lächeln weiß
Im Traum, ein Auge noch zu weinen,
Da schmettre laut, da flüstre leis,
Trompetenstoß und West in Hainen!
Tritt näher, wo die Sinnenlust
Als Liebe gibt ihr wüstes Ringen,
Und durch der eignen Mutter Brust
Den Pfeil zum Ziele möchte bringen,
Wo selbst die Schande flattert auf,
Ein lustiges Panier zum Siege,
Da rüttle hart:›Wach auf, wach auf,
Unsel’ger, denk an deine Wiege!
Denk an das Aug’, das überwacht
Noch eine Freude dir bereitet,
Denk an die Hand, die manche Nacht
Dein Schmerzenslager dir gebreitet,
Des Herzens denk, das einzig wund
Und einzig selig deinetwegen,
Und dann knie nieder auf den Grund
Und fleh um deiner Mutter Segen!‹
Und wo sich träumen wie in Haft
Zwei einst so glüh ersehnte Wesen,
Als hab’ ein Priesterwort die Kraft
Der Banne seligsten zu lösen,
Da flüstre leise: ›Wacht, o wacht!
Schaut in das Auge euch, das trübe,
Wo dämmernd sich Erinnrung facht‹,
Und dann: ›Wach auf, o heil’ge Liebe!‹
Und wo im Schlafe zitternd noch
Vom Opiat die Pulse klopfen,
Das Auge dürr, und gäbe doch
Sein Sonnenlicht um einen Tropfen, –
O, rüttle sanft!›Verarmter, senk
Die Blicke in des Äthers Schöne,
Kos einem blonden Kind und denk
An der Begeistrung erste Träne.‹«
So rief die Zeit, so ward mein Amt
Von Gottes Gnaden mir gegeben,
So mein Beruf mir angestammt,
Im frischen Mut, im warmen Leben;
Ich frage nicht ob ihr mich nennt,
Nicht frönen mag ich kurzem Ruhme,
Doch wißt: wo die Sahara brennt,
Im Wüstensand, steht eine Blume,
Farblos und Duftes bar, nichts weiß
Sie als den frommen Tau zu hüten,
Und dem Verschmachtenden ihn leis
In ihrem Kelche anzubieten.
Vorüber schlüpft die Schlange scheu
Und Pfeile ihre Blicke regnen,
Vorüber rauscht der stolze Leu,
Allein der Pilger wird sie segnen.
Meine Toten
Wer eine ernste Fahrt beginnt,
Die Mut bedarf und frischen Wind,
Er schaut verlangend in die Weite
Nach eines treuen Auges Brand,
Nach einem warmen Druck der Hand,
Nach einem Wort, das ihn geleite.
Ein ernstes Wagen heb’ ich an,
So tret’ ich denn zu euch hinan,
Ihr meine stillen strengen Toten;
Ich bin erwacht an eurer Gruft,
Aus Wasser, Feuer, Erde, Luft,
Hat eure Stimme mir geboten.
Wenn die Natur in Hader lag,
Und durch die Wolkenwirbel brach
Ein Funke jener tausend Sonnen, –
Spracht aus der Elemente Streit
Ihr nicht von einer Ewigkeit
Und unerschöpften Lichtes Bronnen?
Am Hange schlich ich, krank und matt,
Da habt ihr mir das welke Blatt
Mit Warnungsflüstern zugetragen,
Gelächelt aus der Welle Kreis,
Habt aus des Angers starrem Eis
Die Blumenaugen aufgeschlagen.
Was meine Adern muß durchziehn,
Sah ich’s nicht flammen und verglühn,
An eurem Schreine nicht erkalten?
Vom Auge hauchtet ihr den Schein,
Ihr meine Richter, die allein
In treuer Hand die Waage halten.
Kalt ist der Druck von eurer Hand,
Erloschen eures Blickes Brand,
Und euer Laut der Öde Odem,
Doch keine andre Rechte drückt
So traut, so hat kein Aug’ geblickt,
So spricht kein Wort, wie Grabesbrodem!
Ich fasse eures Kreuzes Stab,
Und beuge meine Stirn hinab
Zu eurem Gräserhauch, dem stillen,
Zumeist geliebt, zuerst gegrüßt,
Laßt, lauter wie der Äther fließt,
Mir Wahrheit in die Seele quillen.
Katharine Schücking
Du hast es nie geahndet, nie gewußt,
Wie groß mein Lieben ist zu dir gewesen,
Nie hat dein klares Aug’ in meiner Brust
Die scheu verhüllte Runenschrift gelesen,
Wenn du mir freundlich reichtest deine Hand,
Und wir zusammen durch die Grüne wallten,
Nicht wußtest du, daß wie ein Götterpfand
Ich, wie ein köstlich Kleinod sie gehalten.
Du sahst mich nicht als ich, ein heftig Kind,
Vom ersten Kuß der jungen Muse trunken,
Im Garten kniete, wo die Quelle rinnt,
Und weinend in die Gräser bin gesunken;
Als zitternd ich gedreht der Türe Schloß,
Da ich zum ersten Mal dich sollte schauen,
Westfalens Dichterin, und wie da floß
Durch mein bewegtes Herz ein selig Grauen.
Sehr jung war ich und sehr an Liebe reich,
Begeisterung der Hauch von dem ich lebte;
Ach! manches ist zerstäubt, der Asche gleich,
Was einst als Flamme durch die Adern bebte!
Mein Blick ward klar und mein Erkennen stark,
Von seinem Throne mußte manches steigen,
Und was ich einst genannt des Lebens Mark,
Das fühlt’ ich jetzt mit frischem Stolz mein eigen.
So scheut’ ich es, als fromme Schülerin,
Dir wieder in das dunkle Aug’ zu sehen,
Ich wollte nicht vor meiner Meisterin
Hochmütig, mit bedecktem Haupte, stehen.
Auch war ich krank, mein Sinnen sehr verwirrt,
Und keinen Namen mocht’ ich sehnend nennen;
Doch hat dies deine Liebe nicht geirrt,
Du drangst zu mir nach langer Jahre Trennen.
Und als du vor mich tratest, fest und klar,
Und blicktest tief mir in der Seele Gründe,
Da ward ich meiner Schwäche wohl gewahr,
Was ich gedacht, das schien mir schwere Sünde.
Dein Bild, du Starke in der Läutrung Brand,
Stieg wie ein Phönix aus der Asche wieder,
Und tief im Herzen hab’ ich es erkannt,
Wie zehnfach größer du als deine Lieder.
Du sahst, Bescheidne, nicht, daß damals hier
Aus deinem Blick Genesung ich getrunken,
Daß deines Mundes Laute damals mir
Wie Naphtha in die Seele sind gesunken.
Ein jedes Wort, durchsichtig wie Kristall
Und kräftig gleich dem edelsten der Weine,
Schien mir zu rufen: »Auf! der Launen Ball,
Steh auf! erhebe dich, du Schwach’ und Kleine!«
Nun bist du hin! von Gottes reinstem Bild
Ist nur ein grüner Hügel uns geblieben,
Den heut umziehn die Winterstürme wild
Und die Gedanken derer, die dich lieben.
Auch hör’ ich, daß man einen Kranz gelegt
Von Lorbeer in des Grabes dunkle Moose,
Doch ich, Kathinka, widme dir bewegt
Den Efeu und die dornenvollste Rose.
Nach dem Angelus Silesius
Des Menschen Seele du, vor allem wunderbar,
Du Alles und auch Nichts, Gott, Priester und Altar,
Kein Pünktchen durch dich selbst, doch über alles Maß
Reich in geschenktem Gut, und als die Engel baß;
Denn höher steht dein Ziel, Gott ähnlich sollst du werden;
So, Seele, bist du’s schon; denn was zu Glück und Ruhm
In dir verborgen liegt, es ist dein Eigentum,
Ob unentwickelt auch, wie’s Keimlein in der Erden
Nicht minder als der Baum, und wie als Million
Nichts andres ist die Eins, bist du ihm gleich, sein Sohn,
So wie dem Tropfen Blut, der aus der Wunde quillt
Ganz ähnlich ist das Rot, das noch die Adern füllt;
Nicht Kletten trägt die Ros’, der Dornstrauch keine Reben,
Drum, Seele, stürbest du, Gott müßt den Geist aufgeben.
Ja, alles ist in dir was nur das Weltall beut,
Der Himmel und die Höll’, Gericht und Ewigkeit,
Gott ist dein Richter nicht, du mußt dir selbst verzeihn,
Sonst an des Höchsten Thron stehst du in ew’ger Pein;
Er, der dem Suchenden noch nie verlöscht die Spur,
Er hat selbst Satan nicht verdammt nach Zeit und Ort;
Des unergründlich Grab ist seine Ichheit nur:
Wär’ er des Himmels Herr, er brennte ewig fort,
Wie Gott im Höllenpfuhl wär selig für und für,
Und, Seele, bist du treu, so steht dies auch bei dir.
Also ist deine Macht auch heute schon dein eigen,
Du kannst, so oft du willst, die Himmelsleiter steigen;
Ort, Raum, sind Worte nur von Trägheit ausgedacht,
Die nicht Bedürfnis in dein Wörterbuch gebracht.
Dein Aug’ ist Blitz und Nu, dein Flug bedarf nicht Zeit,
Und im Moment ergreifst du Gott und Ewigkeit;
Allein der Sinne Schrift, die mußt du dunkel nennen,
Da dir das Werkzeug fehlt die Lettern zu erkennen;
Nur Geist’ges faßt der Geist, ihm ist der Leib zu schwer,
Du schmeckst, du fühlst, du riechst, und weißt um gar nichts mehr;
Hat nicht vom Tröpfchen Tau die Eigenschaft zu messen
Jahrtausende der Mensch vergebens sich vermessen?
Drum, plagt dich Irdisches, du hast es selbst bestellt,
Viel näher als dein Kleid ist dir die Geisterwelt!
Faßt’s nicht zuweilen dich, als müßtest in der Tat
Du über dich hinaus, das Ganze zu durchdringen,
Wie jener Philosoph um einen Punkt nur bat,
Um dann der Erde Ball aus seiner Bahn zu schwingen?
Fühlst du in Demut so, in Liebesflammen rein,
Dann ist’s der Schöpfung Mark, laß dir nicht leide sein!
Dann fühlst du dich von Gott als Wesenheit begründet,
Wie Quelle an dem Strand, wo Ozean sich ründet.
So sei denn freudig, Geist, da nichts mag größer sein,
So wirf dich in den Staub, da nichts wie du so klein!
Du Würmchen in dir selbst, doch reich durch Gottes Hort,
So schlummre, schlummre nur, mein Seelchen, schlummre fort!
Was rennst, was mühst du dich zu mehren deine Tat?
Halt nur den Acker rein, dann sprießt von selbst die Saat;
In Ruhe wohnt die Kraft, du mußt nur ruhig sein,
Durch offne Tür und Tor die Gnade lassen ein;
Dann wird aus lockerm Grund dir Myrt’ und Balsam steigen,
Er kömmt, er kömmt, dein Lieb, gibt sich der Braut zu eigen,
Mit sich der Krone Glanz, mit sich der Schlösser Pracht,
Um die sie nicht gefreit, an die sie nicht gedacht!
Gruß an Wilhelm Junkmann
Mein Lämpchen zuckt, sein Docht verglimmt,
Die Funken knistern im Kamine,
Wie eine Nebeldecke schwimmt
Es an des Saales hoher Bühne;
Im Schneegestöber schläft die Luft,
Am Scheite ist das Harz entglommen,
Mich dünkt, als spür’ ich einen Duft
Wie Weihrauch an der Gruft des Frommen.
Dies ist die Stunde, das Gemach,
Wo sich Gedanken mögen wiegen,
Verklungne Laute hallen nach,
Es dämmert in verloschnen Zügen;
Im Hirne summt es, wie ein Lied
Das mit den Flocken möchte steigen,
Und, flüsternd wie der Hauch im Ried,
An eines Freundes Locke neigen.
Schon seh ich ihn, im gelben Licht,
Das seines Ofens Flamme spielet,
Er selbst ein wunderlich Gedicht,
Begriffen schwer, doch leicht gefühlet.
Ich seh ihn, wie, die Stirn gestützt,
Er leise lächelt in Gedanken;
Wo weilen sie? wo blühen itzt
Und treiben diese zarten Ranken?
Baun sie im schlichten Heidekraut
Ihr Nestchen sich aus Immortellen?
Sind mit der Flocke sie getaut
Als Träne, wo die Gräber schwellen?
Vielleicht in fernes fernes Land
Wie Nachtigallen fortgezogen,
Oder am heil’gen Meeresstrand,
Gleich der Morgana auf den Wogen.
Ihm hat Begeistrung, ein Orkan,
Des Lebens Zedern nicht gebeuget,
Nicht sah er sie als Flamme nahn,
Die lodernd durch den Urwald steiget;
Nein, als entschlief der Morgenwind,
Am Strauche summten fromme Bienen,
Da ist der Herr im Säuseln lind
Gleich dem Elias ihm erschienen.
Und wie er sitzt, so vorgebeugt,
Die hohe Stirn vom Schein umflossen,
Das Ohr wie fremden Tönen neigt,
Und lächelt geistigen Genossen,
Ein lichter Blitz in seinem Aug’,
Wie ein verirrter Strahl aus Eden, –
Da möcht’ ich leise, leise auch
Als Äolsharfe zu ihm reden.
Junge Liebe
Über dem Brünnlein nicket der Zweig,
Waldvögel zwitschern und flöten,
Wild Anemon’ und Schlehdorn bleich
Im Abendstrahle sich röten,
Und ein Mädchen mit blondem Haar
Beugt über der glitzernden Welle,
Schlankes Mädchen, kaum fünfzehn Jahr,
Mit dem Auge der scheuen Gazelle.
Ringelblumen blättert sie ab:
»Liebt er, liebt er mich nimmer?«
Und wenn »liebt« das Orakel gab,
Um ihr Antlitz gleitet ein Schimmer:
»Liebt er nicht« – o Grimm und Graus!
Daß der Himmel den Blüten gnade!
Gras und Blumen, den ganzen Strauß,
Wirft sie zürnend in die Kaskade.
Gleitet dann in die Kräuter lind,
Ihr Auge wird ernst und sinnend;
Frommer Eltern heftiges Kind,
Nur Minne nehmend und minnend,
Kannte sie nie ein anderes Band
Als des Blutes, die schüchterne Hinde;
Und nun einer, der nicht verwandt –
Ist das nicht eine schwere Sünde?
Mutlos seufzet sie niederwärts,
In argem Schämen und Grämen,
Will zuletzt ihr verstocktes Herz
Recht ernstlich in Frage nehmen.
Abenteuer sinnet sie aus:
Wenn das Haus nun stände in Flammen,
Und um Hülfe riefen heraus
Der Karl und die Mutter zusammen?
Plötzlich ein Perlenregen dicht
Stürzt ihr glänzend aus beiden Augen,
In die Kräuter gedrückt ihr Gesicht,
Wie das Blut der Erde zu saugen,
Ruft sie schluchzend: »Ja, ja, ja!«
Ihre kleinen Hände sich ringen,
»Retten, retten würd’ ich Mama,
Und zum Karl in die Flamme springen!«
Das vierzehnjährige Herz
Er ist so schön! – sein lichtes Haar
Das möcht’ ich mit keinem vertauschen,
Wie seidene Fäden so weich und klar,
Wenn zarte Löckchen sich bauschen;
Oft streichl’ ich es, dann lacht er traun,
Nennt mich »seine alberne Barbe«;
Es ist nicht schwarz, nicht blond, nicht braun,
Nun ratet, wie nennt sich die Farbe?
Und seine Gebärde ist königlich,
Geht majestätisch zu Herzen,
Zuckt er die Braue, dann fürcht’ ich mich,
Und möchte auch weinen vor Schmerzen;
Und wieder seh ich sein Lächeln blühn,
So klar wie das reine Gewissen,
Da möchte ich gleich auf den Schemel knien,
Und die guten Hände ihm küssen.
Heut bin ich in aller Frühe erwacht,
Beim ersten Glitzern der Sonnen,
Und habe mich gleich auf die Sohlen gemacht,
Zum Hügel drüben am Bronnen;
Erdbeeren fand ich, glüh wie Rubin,
Schau, wie im Korbe sie lachen!
Die stell’ ich ihm nun an das Lager hin,
Da sieht er sie gleich beim Erwachen.
Ich weiß, er denkt mit dem ersten Blick,
»Das tat meine alberne Barbe!«
Und freundlich streicht er das Haar zurück
Von seiner rühmlichen Narbe,
Ruft mich bei Namen, und zieht mich nah,
Daß Tränen die Augen mir trüben;
Ach, er ist mein herrlicher Vater ja,
Soll ich ihn denn nicht lieben, nicht lieben!
Brennende Liebe1
Und willst du wissen, warum
So sinnend ich manche Zeit,
Mitunter so töricht und dumm,
So unverzeihlich zerstreut,
Willst wissen auch ohne Gnade,
Was denn so Liebes enthält
Die heimlich verschlossene Lade,
An die ich mich öfters gestellt?
Zwei Augen hab’ ich gesehn,
Wie der Strahl im Gewässer sich bricht,
Und wo zwei Augen nur stehn,
Da denke ich an ihr Licht.
Ja, als du neulich entwandtest
Die Blume vom blühenden Rain,
Und »Oculus Christi« sie nanntest,
Da fielen die Augen mir ein.
Auch gibt’s einer Stimme Ton,
Tief, zitternd, wie Hornes Hall,
Die tut’s mir völlig zum Hohn,
Sie folget mir überall.
Als jüngst im flimmernden Saale
Mich quälte der Geigen Gegell,
Da hört’ ich mit einem Male
Die Stimme im Violoncell.
Auch weiß ich eine Gestalt,
So leicht und kräftig zugleich,
Die schreitet vor mir im Wald,
Und gleitet über den Teich;
Ja, als ich eben in Sinnen
Sah über des Mondes Aug’
Einen Wolkenstreifen zerrinnen,
Das war ihre Form, wie ein Rauch.
Und höre, höre zuletzt,
Dort liegt, da drinnen im Schrein,
Ein Tuch mit Blute genetzt,
Das legte ich heimlich hinein.
Er ritzte sich nur an der Schneide,
Als Beeren vom Strauch er mir hieb,
Nun hab’ ich sie alle beide,
Sein Blut und meine brennende Lieb’.
Fußnoten
1 Crategus pyracantha, auch sonst der »brennende Busch« genannt.
Der Brief aus der Heimat
Sie saß am Fensterrand im Morgenlicht,
Und starrte in das aufgeschlagne Buch,
Die Zeilen zählte sie und wußt’ es nicht,
Ach weithin, weithin der Gedanken Flug!
Was sind so ängstlich ihre nächt’gen Träume?
Was scheint die Sonne durch so öde Räume?
– Auch heute kam kein Brief, auch heute nicht.
Seit Wochen weckte sie der Lampe Schein,
Hat bebend an der Stiege sie gelauscht;
Wenn plötzlich am Gemäuer knackt der Schrein,
Ein Fensterladen auf im Winde rauscht, –
Es kömmt, es naht, die Sorgen sind geendet:
Sie hat gefragt, sie hat sich abgewendet,
Und schloß sich dann in ihre Kammer ein.
Kein Lebenszeichen von der liebsten Hand,
Von jener, die sie sorglich hat gelenkt,
Als sie zum ersten Mal zu festem Stand
Die zarten Kinderfüßchen hat gesenkt;
Versprengter Tropfen von der Quelle Rande,
Harrt sie vergebens in dem fremden Lande;
Die Tage schleichen hin, die Woche schwand.
Was ihre rege Phantasie geweckt?
Ach, eine Leiche sah die Heimat schon,
Seit sie den unbedachten Fuß gestreckt
Auf fremden Grund und hörte fremden Ton;
Sie küßte scheidend jung und frische Wangen,
Die jetzt von tiefer Grabesnacht umfangen;
Ist’s Wunder, daß sie tödlich aufgeschreckt?
In Träumen steigt das Krankenbett empor,
Und Züge dämmern, wie in halber Nacht;
Wer ist’s? – sie weiß es nicht und spannt das Ohr,
Sie horcht mit ihrer ganzen Seele Macht;
Dann fährt sie plötzlich auf beim Windesrauschen,
Und glaubt dem matten Stöhnen noch zu lauschen,
Und kann erst spät begreifen daß sie wacht.
Doch sieh, dort fliegt sie übern glatten Flur,
Ihr aufgelöstes Haar umfließt sie rund,
Und zitternd ruft sie, mit des Weinens Spur:
»Ein Brief, ein Brief, die Mutter ist gesund!«
Und ihre Tränen stürzen wie zwei Quellen,
Die übervoll aus ihren Ufern schwellen;
Ach, eine Mutter hat man einmal nur!
Ein braver Mann
Noch lag, ein Wetterbrodem, schwer
Die Tyrannei auf Deutschlands Gauen,
Die Wachen schlichen scheu umher,
Die Menge schlief in dumpfem Grauen;
Ein Seufzer schien der Morgenwind
Aus angstgepreßter Brust zu brechen;
Nur die Kanone durfte sprechen
Und lächeln durfte nur das Kind.
Da lebt’ im Frankenland ein Mann,
Der bittre Stunden schon getragen,
In drängenden Geschickes Bann
Gar manche Täuschung sonder Klagen;
Ihm war von seiner Ahnen Flur
Der edle Name nur geblieben,
Von allen, allen Jugendtrieben
Des Herzens warm Gedenken nur.
Durch frühes Siechtum schwer gebeugt
Und jeglichem Beruf verdorben,
Hätt’ oft er gern das Haupt geneigt
Und wär’ in Frieden nur gestorben;
An seinen Schläfen lagen schon
Mit vierzig Jahren weiße Garben,
Und seiner Züge tiefe Narben
Verrieten steter Sorge Fron.
Doch freundlich trug er jeden Dorn,
Der auf dem Pfade ihm begegnet,
Geschlagen von des Schicksals Zorn,
Doch von der Götter Hand gesegnet.
Und eine Kunst war ihm beschert,
So mild wie seiner Seele Hauchen,
Sein Pinsel ließ die Wiesen rauchen
Und flammen des Vulkanes Herd.
Es waren Bilder die mit Lust
Ein unverdorbnes Herz erfüllen,
Wie sie entsteigen warmer Brust
Und reiner Phantasie entquillen;
Doch Mäcklern schienen sie zu zart,
Den Stempel hoher Kunst zu tragen;
So hat er schwer sich durchgeschlagen
Und täglich am Bedarf gespart.
Da ward in Winterabends Lauf
Ein Brief ihm von der Post gesendet;
Er riß bestürzt das Siegel auf:
O Gott, die Sorgen sind beendet!
Des fernen Vetters Totenschein
Hat als Agnaten ihn berufen,
Er darf nur treten an die Stufen,
Die reichen Lehne harren sein!
Wer denkt es nicht, daß ihm gepreßt
Aus heißer Wimper Tränen flossen!
Dann plötzlich steht sein Auge fest,
Der Zähren Quelle ist geschlossen.
Er liest, er tunkt die Feder ein,
Hat nur Sekunden sich beraten,
Und an den nächsten Lehnsagnaten
Schreibt mutig er beim Lampenschein:
»Wohl sagt man, daß Tyrannenmacht
Nicht Eides1 Band vermag zu schlingen,
Doch wo in uns ein Zweifel wacht,
Da müssen wir zum Besten ringen.
Nimm hin der Väter liebes Schloß,
– O würd’ ich einstens dort begraben! –
Ich bin gewöhnt nicht viel zu haben,
Und mein Bedürfnis ist nicht groß.«
Wer unter euch von Opfern spricht,
Von edleren, und Märt’rerzeichen,
Der sah gewiß noch Jahre nicht,
Nicht vierzig Jahr in Sorg’ entschleichen!
Ihr die mit Stärke prunkt und gleich
Euch drängt zu stolzer Taten Weihe:
– Er war ein Mann wie Wachs so weich,
Nur stark in Gott und seiner Treue.
Und wie es ferner ihm erging?
Er hat gemalt bis er gestorben,
Zuletzt, in langer Jahre Ring,
Ein schmal Vermögen sich erworben;
Nie hat auf der Begeistrung Höh’
Sein schamhaft Schweigen er gebrochen,
Und keine Seele hat gesprochen
Von seinem schweren Opfer je.
Zweimal im Leben gab das Glück
Vor seinem Antlitz mir zu stehen,
In seinem mild bescheidnen Blick
Des Geistes reinen Blitz zu sehen.
Und im Dezember hat man dann
Des Sarges Deckel zugeschlagen
Und still ihn in die Gruft getragen.
– Das ist das Lied vom braven Mann.
Fußnoten
1 Der Huldigungseid, den er als Grundbesitzer hätte leisten müssen.
Stammbuchblätter
1. Mit Lauras Bilde
Im Namen eines Freundes
Um einen Myrtenzweig sich zu ersingen
Schickt seinen Schwan Petrarca Lauren nach,
Mit Lorbeerreisern füllt er das Gemach,
Doch kann er in den Myrtenhain nicht dringen.
Da zieht er durch die Welt mit hellem Klingen,
Schlägt mit den Flügeln an das teure Haus,
Man reicht ihm den Zypressenkranz hinaus,
Allein die Myrte kann er nicht erringen.
Mein Freund, wohl ist der Lorbeer uns versagt,
Doch laß uns um den schnöden Preis nicht klagen,
Von Dornen und Zypressen rings umragt.
Will es in einer Laura Blick mir tagen,
Dann hab’ ich gern dem schweren Kranz entsagt,
Die kleine Myrte läßt sich leichter tragen.
2. An Henriette von Hohenhausen
Wie lieb, o Nähe; Ferne, ach wie leid;
Wie bald wird Gegenwart Vergangenheit!
Warum hat Trauer denn so matten Schritt,
Da doch so leicht die frohe Stunde glitt?
Ach, wer mir liebe Stunden könnte bannen,
Viel werter sollt’ er sein, als der vermöchte
Der trüben schlaffe Sehnen anzuspannen,
Denn Leid im Herzen wirbt sich teure Rechte,
Und wer es nimmt, der nimmt ein Kleinod mit.
Reich mir die Hand! du hast mich froh gemacht.
In öder Fremde hab’ ich dein gedacht,
Werd’ oft noch sinnen deinem Blicke nach,
So mildes Auge hellt den trübsten Tag.
Laß Ferne denn zur Nähe sich gestalten
Durch Wechselwort und inniges Gedenken.
Reich mir die Hand! – ich will sie treulich halten,
Und drüber her mag immergrün sich senken
Der Tannenzweig, ein schirmend Wetterdach.
Nachruf an Henriette von Hohenhausen1
An deinem Sarge standen wir,
Du fromme milde Leidenspalme,
Wir legten in die Hände dir
Des Lenzes linde Blütenhalme;
An deiner Brust, wie eingenickt,
Die blauen Seidenschleifen lagen;
So, mit der Treue Bild geschmückt,
Hat man dich in die Gruft getragen.
Die Sonne sticht, der Regen rauscht –
Wir sitzen schweigend und beklommen;
Es knirrt im Flur, und jeder lauscht,
Als dächten wir du könntest kommen;
In jedem Winkel suchen wir
Nach deinem Lächeln, deinem Blicke,
Wer lehnte je am Busen dir,
Und fühlt im Herzen keine Lücke?
Daß dein Erkennen stark und klar,
Auch andre mögen’s mit dir teilen,
Doch daß du so gerecht und wahr,
Daß Segen jede deiner Zeilen,
Der Odem den dein Leben sog,
Der letzte noch, ein Liebeszeichen, –
Das, Henriette, stellt dich hoch
Ob andre, die an Geist dir gleichen!
Du warst die Seltne, die gehorcht
Des Ruhmes lockender Sirene,
Und keine Tünche je geborgt,
Und keine süßen Taumeltöne;
Die jede Perl’ aus ihrem Hort
Vor Gottes Auge erst getragen,
Um ernstes wie um heitres Wort,
Um keines durft’ im Tode zagen.
Am Sarge fällt die Blüte ab,
Zerrinnt der Glorie Zauberschemen,
Dein Lorbeerreis, es bleibt am Grab,
Du kannst es nicht hinüber nehmen;
Doch vor dem Richter kannst du knien,
Die reinen Hände hoch gefaltet:
»Sieh, Herr, die Pfunde, mir verliehn,
Ich habe redlich sie verwaltet.«
Nicht möcht’ ich einen kalten Stein
Ob deinem warmen Herzen sehen,
Auch keiner glühen Rosen Schein,
Die üppig unter Dornen wehen;
Des Sinnlaubs immergrünen Stern
Möcht’ ich um deinen Hügel ranken,
Und überm Grüne säh’ ich gern
Die segensreiche Ähre schwanken.
Fußnoten
1 Henriette von Hohenhausen, in Herford geboren, starb im April des Jahres 1843 zu Münster. Sie ist Verfasserin verschiedener Erzählungen, Gedichte und Jugendschriften, die sich durch sittlich religiöse Richtung und große Gemütlichkeit auszeichnen.
Vanitas Vanitatum!
R.i.p.
Ihr saht ihn nicht im Glücke,
Als Scharen ihm gefolgt,
Mit einem seiner Blicke
Er jeden Haß erdolcht,
Das Blut an seinen Händen
Wie Königspurpur fast,
Und flammenden Geländen
Entstieg des Nimbus Glast;
Saht nicht, wie stolz getragen
Schulfreund und Kamerad
Die Stirn, mit welchem Zagen
Der Fremdling ihm genaht,
Wenn mit Kolosses Schreiten
Das Klippentor er stieß,
Die kleinen Segel gleiten
An seiner Sohle ließ.
Ihr habt ihn nicht gesehen,
Ihr Augen jugendklar,
Du Haupt wo Ringel wehen
Von süßem Lockenhaar;
Jünglinge, blühnde Frauen,
Ihr saht ihn nicht im Glanz,
Ihn, seines Landes Grauen
Und allergrünsten Kranz.
Vielleicht doch saht ihr streifen
Den alten kranken Leun,
Saht seine Mähne schleifen
Und zittern sein Gebein,
Saht wie die breiten Pranken
Er matt und stöhnend hob,
Wie taumelnd seine Flanken
Er längs der Mauer schob.
Und Scheitel saht ihr, weiße,
Am Fensterglase spähn,
Die dann mit scheuem Fleiße
Sich hintern Vorhang drehn,
Vernahmt der Knaben Lachen,
Der Greise schmerzlich Ach,
Wenn er im freien flachen
Geländ’ zusammenbrach.
Allein ihr horcht als rede
Ich von dem Tartarkhan,
Mit Augen weit und öde
Starrt ihr mich lange an,
Und einer ruft: »O schauet,
Wie man ein Ehrenmal
Obskurem Burschen bauet!
Wer war der General?«
Instinkt
Bin ich allein, verhallt des Tages Rauschen
Im frischen Wald, im braunen Heideland,
Um mein Gesicht die Gräser nickend bauschen,
Ein Vogel flattert an des Nestes Rand,
Und mir zu Füßen liegt mein treuer Hund,
Gleich Feuerwürmern seine Augen glimmen,
Dann kommen mir Gedanken, ob gesund,
Ob krank, das mag ich selber nicht bestimmen.
Ergründen möcht’ ich, ob das Blut, das grüne,
Kein Lebenspuls durch jene Kräuter trägt,
Ob Dionaea1 um die kühne Biene
Bewußtlos ihre rauhen Netze schlägt,
Was in dem weißen Sterne2 zuckt und greift,
Wenn er, die Fäden streckend, leise schauert,
Und ob, vom Duft der Menschenhand gestreift,
Gefühllos ganz die Sensitive trauert?
Und wieder muß ich auf den Vogel sehen,
Der dort so zürnend seine Federn sträubt,
Mit kriegerischem Schrei mich aus den Nähen
Der nackten Brut, nach allen Kräften treibt.
Was ist Instinkt? – tiefsten Gefühles Herd;
Instinkt trieb auch die Mutter zu dem Kinde,
Als jene Fürstin, von der Glut verzehrt;
Als Heil’ge ward posaunt in alle Winde.
Und du, mein zott’ger Tremm, der schlafestrunken
Noch ob der Herrin wacht, und durch das Grün
Läßt blinzelnd streifen seiner Blicke Funken,
Sag an, was deine klugen Augen glühn?
Ich bin es nicht, die deine Schale füllt,
Nicht gab der Nahrung Trieb dich mir zu eigen,
Und mit der Sklavenpeitsche kann mein Bild
Noch minder dir im dumpfen Hirne steigen.
Wer kann mir sagen, ob des Hundes Seele
Hinaufwärts, oder ob nach unten steigt?
Und müde, müde drück’ ich in die Schmele
Mein Haupt, wo siedend der Gedanke steigt.
Was ist es, das ein hungermattes Tier,
Mit dem gestohlnen Brode für das bleiche
Blutrünst’ge Antlitz, in das Waldrevier
Läßt flüchten und verschmachten bei der Leiche?
Das sind Gedanken, die uns könnten töten,
Den Geist betäuben, rauben jedes Glück,
Mit tausendfachem Mord die Hände röten,
Und leise schaudernd wend’ ich meinen Blick.
O schlimme Zeit, die solche Gäste rief
In meines Sinnens harmlos lichte Bläue!
O schlechte Welt, die mich so lang und tief
Ließ grübeln über eines Pudels Treue!
Fußnoten
1 Dionaea muscipula, auch »die Fliegenfalle« genannt.
2 Sparrmannia.
Die rechte Stunde
Im heitren Saal beim Kerzenlicht,
Wenn alle Lippen sprühen Funken,
Und gar vom Sonnenscheine trunken,
Wenn jeder Finger Blumen bricht,
Und vollends an geliebtem Munde,
Wenn die Natur in Flammen schwimmt, –
Das ist sie nicht die rechte Stunde,
Die dir der Genius bestimmt.
Doch wenn so Tag als Lust versank,
Dann wirst du schon ein Plätzchen wissen,
Vielleicht in deines Sofas Kissen,
Vielleicht auf einer Gartenbank:
Dann klingt’s wie halb verstandne Weise,
Wie halb verwischter Farben Guß
Verrinnt’s um dich, und leise, leise
Berührt dich dann dein Genius.
Der zu früh geborene Dichter
Acht Tage zählt’ er schon, eh ihn
Die Amme konnte stillen,
Ein Würmchen, saugend kümmerlich
An Zucker und Kamillen,
Statt Nägel nur ein Häutchen lind,
Däumlein wie Vogelsporen,
Und jeder sagte: »Armes Kind!
Es ist zu früh geboren!«
Doch wuchs er auf, und mit der Zeit
Hat Leben sich entwickelt,
Mehr als der Doktor prophezeit,
Und hätt’ er ihn zerstückelt;
Im zähen Körper zeigte sich
Zäh wilder Seele Streben;
Einmal erfaßt – dann sicherlich
Hielt er, auf Tod und Leben.
In Büchern hat er sich studiert
Hohläugig und zuschanden,
Und durch sein glühes Hirn geführt
Zahllose Liederbanden.
Ein steter Drang – hinauf! hinauf!
Und ringsum keine Palme;
So klomm er an der Weide auf
Und jauchzte in die Alme.
Zwar dünkt ihn oft, bei trübem Mut,
Sein Baldachin von Laube
So köstlich wie ein alter Hut,
Wie ‘ne zerrissne Haube;
Allein dies schalt man »eitlen Drang,
Mit Würde abzutrumpfen!«
Und alles was er sah, das sang
Herab vom Weidenstumpfen.
So ward denn eine werte Zeit
Vertrödelt und verstammelt,
Lichtblonde Liederlein juchheit,
Und Weidenduft gesammelt;
Wohl fielen Tränen in den Flaum
Und schimmerten am Raine,
Erfaßte ihn der glühe Traum
Von einem Palmenhaine.
Und als das Leben ausgebrannt
Und fühlte sich vergehen,
Da sollt’ wie Moses er das Land
Der Gottverheißung sehen;
Er sah, er sah sie Schaft an Schaft
Die heil’gen Kronen tragen,
Und drunter all die frische Kraft
Der edlen Sprossen ragen.
Und Lieder hört’ er, Melodien,
Wie ihm im Traum geklungen,
Wenn ein Kristall der Gletscher schien,
Und Adler sich geschwungen;
Durch das smaragdne Riesenlaub
Sah er die Lyra blinken,
Und über sie gleich goldnem Staub
Levantes Äther sinken.
O, wie zusammen da im Fall
Die alten Töne schwirrten,
Im Busen die Gefangnen all
Mit ihren Ketten klirrten!
»Ha, Leben, Jahre! und mein Sitz
Ist in den Säulenwänden,
Auch meine Lyra soll den Blitz
Durch die Smaragden senden!«
Ach, arme Frist, an solchem Schaft
Mit mattem Fuß zu klimmen,
Die Sehne seiner Jugendkraft,
Vermag er sie zu stimmen?
Und bald erseufzt er: »Hin ist hin!
Vertrödelt ist verloren!
Die Scholle winkt, weh mir, ich bin
Zu früh, zu früh geboren!«
Not
Was redet ihr so viel von Angst und Not,
In eurem tadellosen Treiben?
Ihr frommen Leute, schlagt die Sorge tot,
Sie will ja doch nicht bei euch bleiben!
Doch wo die Not, um die das Mitleid weint,
Nur wie der Tropfen an des Trinkers Hand,
Indes die dunkle Flut, die keiner meint,
Verborgen steht bis an der Seele Rand –
Ihr frommen Leute wollt die Sorge kennen,
Und habt doch nie die Schuld gesehn!
Doch sie, sie dürfen schon das Leben nennen
Und seine grauenvollen Höhn;
Hinauf schallt’s wie Gesang und Loben,
Und um die Blumen spielt der Strahl,
Die Menschen wohnen still im Tal,
Die dunklen Geier horsten droben.
Die Bank
Im Parke weiß ich eine Bank,
Die schattenreichste nicht von allen,
Nur Erlen lassen, dünn und schlank,
Darüber karge Streifen wallen;
Da sitz’ ich manchen Sommertag
Und laß mich rösten von der Sonnen,
Rings keiner Quelle Plätschern wach,
Doch mir im Herzen springt der Bronnen.
Dies ist der Fleck, wo man den Weg
Nach allen Seiten kann bestreichen,
Das staub’ge Gleis, den grünen Steg,
Und dort die Lichtung in den Eichen:
Ach manche, manche liebe Spur
Ist unterm Rade aufgeflogen!
Was mich erfreut, bekümmert, nur
Von drüben kam es hergezogen.
Du frommer Greis im schlichten Kleid,
Getreuer Freund seit zwanzig Jahren,
Dem keine Wege schlimm und weit,
Galt es den heil’gen Dienst zu wahren,
Wie oft sah ich den schweren Schlag
Dich drehn mit ungeschickten Händen,
Und langsam steigend nach und nach
Dein Käppchen an des Dammes Wänden.
Und du in meines Herzens Grund,
Mein lieber schlanker blonder Junge,
Mit deiner Büchs’ und braunem Hund,
Du klares Aug’ und muntre Zunge,
Wie oft hört’ ich dein Pfeifen nah,
Wenn zu der Dogge du gesprochen;
Mein lieber Bruder warst du ja,
Wie sollte mir das Herz nicht pochen?
Und manches was die Zeit verweht,
Und manches was sie ließ erkalten,
Wie Banquos Königsreihe geht
Und trabt es aus des Waldes Spalten.
Auch was mir noch geblieben und
Was neu erblüht im Lebensgarten,
Der werten Freunde heitrer Bund,
Von drüben muß ich ihn erwarten.
So sitz’ ich Stunden wie gebannt,
Im Gestern halb und halb im Heute,
Mein gutes Fernrohr in der Hand
Und laß es streifen durch die Weite.
Am Damme steht ein wilder Strauch,
O, schmählich hat mich der betrogen!
Rührt ihn der Wind, so mein’ ich auch
Was Liebes komme hergezogen!
Mit jedem Schritt weiß er zu gehn,
Sich anzuformen alle Züge;
So mag er denn am Hange stehn,
Ein wert Phantom, geliebte Lüge;
Ich aber hoffe für und für,
Sofern ich mich des Lebens freue,
Zu rösten an der Sonne hier,
Geduld’ger Märtyrer der Treue.
Clemens von Droste1
An seinem Denkmal saß ich, das Getreibe
Des Lebens schwoll und wogt’ in den Alleen,
Ich aber mochte nur zum Himmel sehn,
Von dem ihr Silber goß die Mondenscheibe.
Und alle Schmerzenskeime fühlt’ ich sprießen,
Im Herzen sich entfalten, Blatt um Blatt,
Und allen Segen fühlt’ ich niederfließen
Um eines Christen heil’ge Schlummerstatt.
Da nahte durch die Gräser sich ein Rauschen,
Geflüster hallte an der Marmorwand,
Der mir so teure Name ward genannt,
Und leise Wechselrede hört’ ich tauschen.
Es waren tiefe achtungsvolle Worte,
Und dennoch war es mir, als dürfe hier
Kein anderer an dem geweihten Orte,
Kein Wesen ihn betrauern neben mir.
Wer könnte unter diesen Gräbern wandeln,
Der ihn gekannt wie ich, so manches Jahr,
Der seine Kindheit sah, so frisch und klar,
Des Jünglings Glut, des Mannes kräftig Handeln?
Welch fremdes Aug’ hat in den ernsten Lettern,
Dem strengen Wort des Herzens Schlag erkannt?
Die Blitze saht ihr, aber aus den Wettern
Saht ihr auch segnen eines Engels Hand?
Sie standen da wie vor Pantheons Hallen,
Wie unter Bannern, unter Lorbeerlaub;
Ich saß an einem Hügel, wo zu Staub
Der Menschenherzen freundlichstes zerfallen.
Sie redeten von den zersprengten Kreisen,
Die all er wie ein mächt’ger Reif geeint;
Ich dachte an die Witwen und die Waisen,
Die seinem dunklen Sarge nachgeweint.
Sie redeten von seines Geistes Walten,
Von seinem starken ungebeugten Sinn,
Und wie er nun der Wissenschaft dahin,
Der Mann an dem sich mancher Arm gehalten;
Ich hörte ihres Lobes Wogen schießen,
Es waren Worte wohlgemeint und wahr,
Doch meine Tränen fühlt’ ich heißer fließen,
Als ob man ihn verkenne ganz und gar.
Und endlich hört’ ich Ihre Stimmen schwinden,
Ihr letztes Wort war eine Klage noch:
Daß nicht so leicht ein gleiches Wissen doch,
Daß selten nur ein gleicher Geist zu finden.
Ich aber, beugend in des Denkmals Schatten,
Hab’ seines Grabes feuchten Halm geküßt:
»Wo gibt es einen Vater, einen Gatten,
Und einen Freund wie du gewesen bist!«
Fußnoten
1 Clemens August Freiherr von Droste, Professor an der juristischen Fakultät zu Bonn, wurde im Jahre 1832, während eines Aufenthalts zu Wiesbaden, seinen Freunden durch einen plötzlichen Tod entrissen. – Seine Hülle ruht auf dem dortigen Gottesacker.
Guten Willens Ungeschick
Du scheuchst den frommen Freund von mir,
Weil krank ich sei und sehr bewegt,
Mein hell und blühend Lustrevier
Hast du mit Dornen mir umhegt;
Wohl weiß ich, daß der Wille rein,
Daß eure Sorge immer wach,
Doch was ihn labt, was hindert, ach,
Ein jeder weiß es nur allein.
Ich denke, wie ich einstens saß
An eines Hügels schroffem Rain,
Und sah ein schönes Kind, das las
Sich Schneckenhäuschen im Gestein;
Dann glitt es aus, ich sprang hinzu,
Es hatte sich am Strauch gedrückt;
Ich griff es an gar ungeschickt,
Und abwärts rollte es im Nu;
Auf hob ich es, das weinend lag,
Und grimmig weinend um sich fuhr,
Und freilich, was es stieß vom Hag,
Mein schlimmes Helfen war es nur. –
Und an der Klippe stand ich auch,
Bei Vogelbrut mit Flaumenhaar,
Und drüber pfiff wie ein Korsar
Ein Weihe hoch im Nebelrauch.
Nun blitzte wie ein Strahl heran
Und immer näher schoß der Weih,
Ich schwang das Tuch, den Mantel dann,
Die jungen Vögel duckten scheu;
Und aufwärts funkelnd, angstgepreßt,
Wie Marder pfiffen sie so klar;
Da ward mir endlich offenbar,
Dies sei des Weihen eignes Nest.
So hab’ ich hundertmal gefühlt,
Und tausendmal hab’ ich gesehn,
Daß nichts so hart am Herzen wühlt
Wo seine tiefsten Adern gehn,
Als – zürne nicht, die Lippen drück’
Ich sühnend auf der Lippen Rand –
Als eine liebe rasche Hand
In guten Willens Ungeschick.
Der Traum
An Amalie H.
Jüngst hab’ ich dich gesehn im Traum,
So lieblich saßest du behütet,
In einer Laube grünem Raum,
Von duftendem Jasmin umblütet,
Durch Zweige fiel das goldne Licht,
Aus Vogelkehlen ward gesungen,
Du saßest da, wie ein Gedicht
Von einem Blumenkranz umschlungen.
Und deine liebe Rechte trug
Das Antlitz mit so edlen Sitten,
Im Sand das aufgeschlagne Buch
Schien von dem Schoße dir geglitten;
Dich lehnend an den frischen Hag
Hauchtest du flüsternd leise Küsse,
Im Auge eine Träne lag
Wie Tau im Kelche der Narzisse.
Dich anzuschaun war meine Lust,
Zu lauschen deiner Züge Regen,
Und dennoch hätt’ ich gern gewußt,
Was dich so innig mocht’ bewegen?
Da bogst du sacht hinab den Zweig,
Strichst lächelnd an der Spitzenhaube,
An deine Schulter huscht’ ich gleich,
Sah einen Baum in schlichtem Laube:
Und auf dem Baume saß ein Fink,
Der schleppte dürres Moos und Reisig,
»Schau her, schau wieder!« zirpt’ er flink
Und förderte am Nestchen fleißig;
Er sah so keck und fröhlich aus,
Als trüg’ er des Flamingo Kleider,
So sorglich hüpft’ er um sein Haus,
Als fürcht’ er bösen Blick und Neider.
Und wenn ein Reischen er gelegt,
Dann rief er alle Welt zu Zeugen,
Als müsse was der Garten hegt,
Blum’ und Gesträuch sich vor ihm neigen;
Um deine Lippe flog ein Zug,
Wie ich ihn oft an ihr gesehen,
Und meinen Namen ließ im Flug
Sie über ihre Spalte gehen.
Schon hob ich meine Hand hinauf
Mit leisem Schlage dich zu strafen,
Allein da wacht’ ich plötzlich auf
Und bin nicht wieder eingeschlafen;
Nur deiner hab’ ich fortgedacht,
Säh’ dich so gern am grünen Hage,
Mich dünkt, so lieb wie in der Nacht
Sah ich dich noch an keinem Tage.
Im Eise schlummern Blum’ und Zweig,
Dezemberwinde schneidend wehen,
Der Garten steht im Wolkenreich,
Wo tausend schönre Gärten stehen;
So golden ist kein Sonnenschein,
Daß er wie der erträumte blinke;
Doch du, bist du nicht wirklich mein?
Und bin ich nicht dein dummer Finke?
Locke und Lied
Meine Lieder sandte ich dir,
Meines Herzens strömende Quellen,
Deine Locke sandtest du mir,
Deines Hauptes ringelnde Wellen;
Hauptes Welle und Herzens Flut
Sie zogen einander vorüber,
Haben sie nicht im Kusse geruht?
Schoß nicht ein Leuchten darüber?
Und du klagest: verblichen sei
Die Farbe der wandernden Zeichen;
Scheiden tut weh, mein Liebchen, ei,
Die Scheidenden dürfen erbleichen;
Warst du blaß nicht, zitternd und kalt,
Als ich von dir mich gerissen?
Blicke sie an, du Milde, und bald,
Bald werden den Herrn sie nicht missen.
Auch deine Locke hat sich gestreckt,
Verdrossen, gleich schlafendem Kinde,
Doch ich hab’ sie mit Küssen geweckt,
Hab’ sie gestreichelt so linde,
Ihr geflüstert von unserer Treu’,
Sie geschlungen um deine Kränze,
Und nun ringelt sie sich aufs neu,
Wie eine Rebe im Lenze.
Wenig Wochen, dann grünet der Stamm,
Hat Sonnenschein sich ergossen,
Und wir sitzen am rieselnden Damm,
Die Händ’ in einander geschlossen,
Schaun in die Welle, und schaun in das Aug’
Uns wieder und wieder und lachen,
Und Bekanntschaft mögen dann auch
Die Lock’ und der Liederstrom machen.
An ***
Kein Wort, und wär’ es scharf wie Stahles Klinge,
Soll trennen, was in tausend Fäden eins,
So mächtig kein Gedanke, daß er dringe
Vergällend in den Becher reinen Weins;
Das Leben ist so kurz, das Glück so selten,
So großes Kleinod, einmal sein statt gelten!
Hat das Geschick uns, wie in frevlem Witze,
Auf feindlich starre Pole gleich erhöht,
So wisse, dort, dort auf der Scheidung Spitze
Herrscht, König über alle, der Magnet,
Nicht frägt er ob ihn Fels und Strom gefährde,
Ein Strahl fährt mitten er durchs Herz der Erde.
Blick in mein Auge – ist es nicht das deine,
Ist nicht mein Zürnen selber deinem gleich?
Du lächelst – und dein Lächeln ist das meine,
An gleicher Lust und gleichem Sinnen reich;
Worüber alle Lippen freundlich scherzen,
Wir fühlen heil’ger es im eignen Herzen.
Pollux und Kastor, – wechselnd Glühn und Bleichen,
Des einen Licht geraubt dem andern nur,
Und doch der allerfrömmsten Treue Zeichen. –
So reiche mir die Hand, mein Dioskur!
Und mag erneuern sich die holde Mythe,
Wo überm Helm die Zwillingsflamme glühte.
Poesie
Frägst du mich im Rätselspiele,
Wer die zarte lichte Fei,
Die sich drei Kleinoden gleiche
Und ein Strahl doch selber sei?
Ob ich’s rate? Ob ich fehle?
Liebchen, pfiffig war ich nie,
Doch in meiner tiefsten Seele
Hallt es: Das ist Poesie!
Jener Strahl der, Licht und Flamme,
Keiner Farbe zugetan,
Und doch, über alles gleitend
Tausend Farben zündet an,
Jedes Recht und keines Eigen. –
Die Kleinode nenn’ ich dir:
Den Türkis, den Amethisten,
Und der Perle edle Zier.
Poesie gleicht dem Türkise,
Dessen frommes Auge bricht,
Wenn verborgner Säure Brodem
Nahte seinem reinen Licht;
Dessen Ursprung keiner kündet,
Der wie Himmelsgabe kam,
Und des Himmels milde Bläue
Sich zum milden Zeichen nahm.
Und sie gleicht dem Amethisten,
Der sein veilchenblau Gewand
Läßt zu schnödem Grau erblassen
An des Ungetreuen Hand;
Der, gemeinen Götzen frönend,
Sinkt zu niedren Steines Art,
Und nur einer Flamme dienend
Seinen edlen Glanz bewahrt;
Gleicht der Perle auch, der zarten,
Am Gesunden tauig klar,
Aber saugend, was da Krankes
In geheimsten Adern war;
Sahst du niemals ihre Schimmer
Grünlich, wie ein modernd Tuch?
Eine Perle bleibt es immer,
Aber die ein Siecher trug.
Und du lächelst meiner Lösung,
Flüsterst wie ein Widerhall:
Poesie gleicht dem Pokale
Aus venedischem Kristall;
Gift hinein – und schwirrend singt er
Schwanenliedes Melodie,
Dann in tausend Trümmer klirrend,
Und hin ist die Poesie!
An ***
O frage nicht was mich so tief bewegt,
Seh ich dein junges Blut so freudig wallen,
Warum, an deine klare Stirn gelegt,
Mir schwere Tropfen aus den Wimpern fallen.
Mich träumte einst, ich sei ein albern Kind,
Sich emsig mühend an des Tisches Borden;
Wie übermächtig die Vokabeln sind,
Die wieder Hieroglyphen mir geworden!
Und als ich dann erwacht, da weint’ ich heiß,
Daß mir so klar und nüchtern jetzt zu Mute,
Daß ich so schrankenlos und überweis’,
So ohne Furcht vor Schelten und vor Rute.
So, wenn ich schaue in dein Antlitz mild,
Wo tausend frische Lebenskeime walten,
Da ist es mir, als ob Natur mein Bild
Mir aus dem Zauberspiegel vorgehalten;
Und all mein Hoffen, meiner Seele Brand,
Und meiner Liebessonne dämmernd Scheinen,
Was noch entschwinden wird und was entschwand,
Das muß ich alles dann in dir beweinen.
An Elise
Am 19. November 1843
Du weißt es lange wohl wie wert du mir,
Was sollt’ ich es nicht froh und offen tragen
Ein Lieben, das so frischer Ranken Zier
Um meinen kranken Lebensbaum geschlagen?
Und manchen Abend hab’ ich nachgedacht,
In leiser Stunde träumerischem Sinnen,
Wie deinen Morgen, meine nahnde Nacht
Das Schicksal ließ aus einer Urne rinnen.
Zu alt zur Zwillingsschwester, möchte ich
Mein Töchterchen dich nennen, meinen Sprossen,
Mir ist, als ob mein fliehend Leben sich,
Mein rinnend Blut in deine Brust ergossen.
Wo flammt im Herzen mir ein Opferherd,
Daß nicht der deine loderte daneben,
Von gleichen Landes lieber Luft genährt,
Von gleicher Freunde frommem Kreis umgeben?
Und heut, am Sankt Elisabethentag,
Vereinend uns mit gleichen Namens Banden,
Schlug ich bedächtig im Kalender nach,
Welch’ Heilige am Taufborn uns gestanden;
Da fand ich eine königliche Frau,
Die ihre milde Segenshand gebreitet,
Und eine Patriarchin, ernst und grau,
Nur wert um den, des Wege sie bereitet.
Fast war es mir, als ob dies Doppelbild
Mit strengem Mahnen strebe uns zu trennen,
Als woll’ es dir die Fürstin zart und mild,
Mir nur die ernste Hüterin vergönnen;
Doch – lächle nicht – ich hab’ mich abgekehrt,
Bin fast verschämt zur Seite dir getreten;
Nun wähle, Lieb, und die du dir beschert,
Zu der will ich als meiner Heil’gen beten.
Ein Sommertagstraum
Im tiefen West der Schwaden grollte,
Es stand die Luft, ein siedend Meer,
An meines Fensters Vorhang rollte
Die Sonnenkugel, glüh und schwer,
Und wie ein Kranker, lang gestreckt,
Lag ich auf grünen Sofakissen,
Das Haupt von wüstem Schmerz zerrissen,
Die Stirne fieberhaft gefleckt.
Um mich Geschenke, die man heute
Zu meinem Wiegenfest gesandt,
Denare, Schriften, Meeres Beute,
Ich hab’ mich schnöde abgewandt;
Zum Tode matt und schlafberaubt
Studiert ich der Gardine Bauschen,
Und horchte auf des Blutes Rauschen
Und Klingeln im betäubten Haupt.
Zuweilen dehnte sich ein Murren
Den Horizont entlang, es schlich
Am Hag ein Rieseln und ein Surren,
Wie flatternder Libelle Strich;
Betäubend zog Resedaduft
Durch des Balkones offne Türen,
In jeder Nerve war zu spüren
Die schwefelnde Gewitterluft.
Da plötzlich schien sich aufzurichten
Am Fensterrahm ein Schattenwall,
Und mählich schob die dunklen Schichten
Er näher an den glühen Ball.
Durch der Gardine Spalten zog
Ein frischer Hauch, ich schloß die Augen,
Um tiefer, tiefer einzusaugen,
Was leise spielend mich umflog.
Genau vernahm ich noch das Rucken
Des flatternden Papiers, das Licht
Der Stufe sah ich schmerzend zucken;
Ob ich entschlief? mich dünkt es nicht.
Doch schneller schien am Autograph
Das dürre Züngelchen zu wehen,
Ein glitzernd Aug’ der Stein zu drehen,
Die Muschel dehnte sich im Schlaf.
Und, nächt’ger Mücke zu vergleichen,
Umsäuselte mich halber Klang,
Am Teppich schien es sacht zu streichen,
Und lief des Polsters Saum entlang,
Wie wenn im zitternden Papier
Der Fliege zarte Füßchen irren;
Und heller feiner aus dem Schwirren
Drang es wie Wortes Hauch zu mir:
Das Autograph
Pst! – St! – ja, ja,
Das mocht’ eine Pracht noch heißen,
Als ich am Ärmel sah
Die goldenen Tressen gleißen!
Wie waren die Hände weiß und weich,
Wie funkelten die Demanten!
Wie schwammen drüber, so duftig, reich,
Die breiten Brüsseler Kanten!
Das waren Bilder und Lockenpracht,
Wie mähnige Leun in Rahmen!
Das Vasen! wo in der Galatracht
Spazierten schäfernde Damen!
Und, o, das war eine Blumensee,
Ein farbiges Blütengewimmel!
Das eine berauschende Äthernäh’
Von heißem südlichen Himmel!
Pst! – St! – ich duckt’ in meinem Fach,
Pst! – still – wie Vögel im Nest,
Und ward am Gitter die Brise wach,
Dann ruschelt’ ich mit dem West.
O, o! der war auch ein Vagabund:
Von Bogen flog er zu Bogen,
Hat aus der Siegel Granatenmund
Säuselnde Küsse gesogen.
Pst! – drunten, hart an meiner Klaus’
Ein Tisch auf güldenen Krallen;
Und wispelte ich zu weit hinaus,
Ich wär auf den Amor gefallen;
Der stand, einen Köcher in jeder Hand,
Wie sinnend auf lustige Finte,
Das Haupt gewendet vom stäubenden Sand,
Und spiegelte sich in der Dinte.
Sieh! drüben der Türen Paneele, breit,
Geschmückt mit schimmernden Leisten!
Wie hab’ ich geflattert und mich gefreut,
Wenn leise knarrend sie gleißten!
Dann kam das Ding – ein Mann – ein Greis? –
Nie konnte ich satt mich schauen,
Daß seine Lockenkaskaden so weiß,
So glänzend schwarz seine Brauen!
Schrieb, schrieb, daß die Feder knirrt’ und bog,
Lang lange schlängelnde Kette,
Und sachte über den Marmor zog
Und schleifte sich die Manschette.
Das summt’ und säuselte mir wie Traum,
Wie surrender Bienen Lesen,
Als sei ich einst ein seidener Schaum,
Eine Spitzenmanschette gewesen.
Pst! – stille, – sieh, ein andrer! – sieh!
Wie schütteln des Schreibers Locken!
Er beugt und schlenkert sich bis ans Knie,
Schlürft und schleicht wie auf Socken.
Ha! es zupft mich, – ich falle, ich falle! –
Da liege ich hülflos gebreitet,
Und über mich die dintige Galle
Wie Würmer krimmelt und gleitet.
Licht! Leben! durch die Fasern gießt
Gleich Ichor sich der Menschengeist;
Wie’s droben tönt, die Spalte fließt,
Gedankenwelle schwillt und kreist.
»Viva!« – ein König wird gegrüßt, –
Es fault im Mark, die Rinde gleißt. –
Und Schiffe, schwer von Proviant,
Ziehn übers Meer vom Nordenstrand.
Ich zittre, zittre, jenes Fremden Auge,
Lichtblau und klar, ist über mich gebeugt;
Ob es den Geist mir aus den Fasern sauge?
Ich weiß es nicht, sein Blinzen sinkt und steigt,
Ein Auge scharf wie Scheidewassers Lauge! –
Er streicht die Brauen, faßt die Feder leicht, –
Nun schlängelt er, – nun drunten steht es da:
»Theodor’ il primo, re di Corsica.«
Pst! still! – der König spricht, Denar, halt Ruh!
Was schaukelst dich, was klimperst du?
Der Denar
O! über deinen König! ganz dir gleich,
Du glattgeschlagner Lumpen, o, sein Reich
Das Inselchen, des kärglichen Tribut
Lukull in eine Silberschüssel lud,
Gebannt in eine Perle Cäsars Hand
In der Ägypterfürstin Locken wand.
Du, zitternd vor Satrapenblicke, fahl
Wärst du zerstäubt vor seiner Augen Strahl,
Wenn langsam übers Forum, im Triumpf
Das Viergespann ihn rollte; hörst du dumpf,
Wie halberwachten Donner oder Spülen
Der Brandung, Pöbelwoge ziehn und wühlen,
Um die Quadriga summend, wie im Nahn
Prüft seine Stimme murrend der Orkan?
»Heil, Cäsar, Heil!« um seine kahle Stirn
Ragt Lorbeer, wie die Ficht’ um Klippenfirn;
Er lächelt, und aus seinem Lächeln fließet
Ein leise schläfernd Gift, o Roma, dir,
Sein halbgeschloß’nes Auge Fäden schießet,
Ein unzerreißbar Netz. – Gebückt und stier,
Zerzausten Haares, vor den Rossen klirrt
Endloser Gallierzug, die Fesseln schleifen,
Und aus der Pöbelwelle gellt und schwirrt
Gezisch, Gejubel, Zymbelklang und Pfeifen.
Denare fliegen aus des Siegers Hand,
Ha, wie es krabbelt im Arenasand! –
Der Imperator nickt und klingelt fort.
Noch lieg’ ich unberührt im Byssusbeutel, –
Was steigt so schwarz am Kapitole dort?
Es dunkelt, dunkelt; – über Cäsars Scheitel
Ein Riesenaar mit Flügelrauschen steigt,
Die Sonne schwindet, – doch ein Leuchten streicht
Um der Liktoren Beile, – wieder itzt –
Sie zucken, schwenken sich – es blitzt! – es blitzt!
Die Erzstufe
Ja, Blitze, Blitze! der Schwaden drängt
Giftiges Gas am Risse hinaus,
Auf einem Blitze bin ich gesprengt
Aus meinem funkelnden Kellerhaus.
O, wie war ich zerbrochen und krank,
Wie rieselt’s mir über die blanke Haut,
Wenn langsam schwellend der Tropfen sank,
Des Zuges Schneide mich angegraut!
Kennst du den Bergmönch, den braunen Schelm,
Dem auf der Schulter das Antlitz kreist?
Schwarz und rauh wie ein rostiger Helm,
Wie die Grubenlampe sein Auge gleißt.
O, er ist böse, tückisch und schlimm!
Mit dem Gezähe1 hackt er am Spalt,
Bis das schwefelnde Wetter im Grimm
Gegen die weichende Rinde schwallt.
Steiger bete! du armer Knapp’,
Dem in der Hütte das Kindlein zart,
Betet! betet! eh ihr hinab,
Eh zum letzten Male vor Ort ihr fahrt.
Sieben Nächte hab’ ich gesehn
Wie eine Walze rollen den Nacken,
Und die Augen funkeln und drehn,
Und das Gezähe schürfen und hacken.
Dort, dort hinter dem reichen Gang
Lauert der giftige Brodem; da
Wo der Kobold den Hammer schwang,
Wo ich am Bruche ihn schnuppern sah.
Gleich dem Molche von Dunste trunken
Schwoll und wackelt’ der Gnom am Grund,
Und des Gases knisternde Funken
Zogen in seinen saugenden Schlund.
Bete, Steiger, den Morgenpsalm
Einmal noch, und dein »Walt’s Gott«,
Deinen Segen gen Wetters Qualm,
Gäh’ Verscheiden und Teufelsrott’.
Schau noch einmal ins Angesicht
Deinem Töchterchen, deinem Weib,
Und dann zünde das Grubenlicht.
»Gott die Seele, dem Schacht der Leib!«
Sie sind vor Ort, die Lämpchen rund
Wie Irrwischflämmchen aufgestellt.
Die Winde keucht, es rollt der Hund,2
Der Hammer pickt, die Stufe fällt,
An Bleigewürfel, Glimmerspat
Zerrinnend, malt der kleine Strahl
In seiner Glorie schwimmend Rad
Sich Regenbogen und Opal.
Die Winde keucht, es rollt der Hund. –
Hörst du des Schwadens Sausen nicht?
Wie Hagel bröckelt es zum Grund –
Der Hammer pickt, die Stufe bricht; –
Weh, weh! es zündet, flammt hinein!
Hinweg! es schmettert aus der Höh’!
Felsblöcke, zuckendes Gebein!
Wo bin ich? bin ich? – auf der See?
Und welch Geriesel – immer immerzu,
Wie Regentropfen, regnet’s?
Fußnoten
1 »Gezähe« das Handwerkszeug der Bergknappen.
2 »Der Hund« der kleine kastenähnliche Karren, auf dem die Erzstufen aus dem Stollen zu Tage gefördert werden.
Die Muschel
Su, susu,
O, schlaf im schimmernden Bade,
Hörst du sie plätschern und rauschen,
Meine hüpfende blanke Najade?
Ihres Haares seidenen Tang
Über der Schultern Perlenschaum;
Horch! sie singt den Wellengesang,
Süß wie Vögelein, zart wie Traum:
»Webe, woge, Welle, wie
Westes Säuselmelodie,
Wie die Schwalbe übers Meer
Zwitschernd streicht von Süden her,
Wie des Himmels Wolken tauen
Segen auf des Eilands Auen,
Wie die Muschel knirrt am Strand,
Von der Düne rieselt Sand.
Woge, Welle, sachte, sacht,
Daß der Triton nicht erwacht.
In der Hand das plumpe Horn
Schlummert er, am Strudelborn.
In der Muschelhalle liegt er,
Seine grünen Zöpfe wiegt er;
Riesle, Woge, Sand und Kies,
In des Bartes zottig Vlies.
Leise, leise, Wellenkreis,
Wie des Liebsten Ruder leis
Streift dein leuchtend Glas entlang
Zu dem nächtlich süßen Gang;
Wenn das Boot, im Strauch geborgen,
Tändelt, schaukelt, bis zum Morgen.
In der Kammer flimmert Licht;
Ruhig, Kiesel, knistert nicht!«
Das Lied verhaucht, wie Echo am Gestade,
Und leiser, leiser wiegt sich die Najade,
Beginnt ihr strömend Flockenhaar zu breiten,
Läßt vom Korallenkamm die Tropfen gleiten,
Und sachte strählend schwimmt sie, wie ein Hauch,
Im Strahl der dämmert durch den Nebelrauch;
Wie glänzt ihr Regenbogenschleier! – o,
Die Sonne steigt, – das Meer beginnt zu zittern, –
Ein Silbernetz von Myriaden Flittern!
Mein Auge zündet sich – wo bin ich? – wo?
Tief atmend saß ich auf, aus Westen
Bohrte der schräge Sonnenstrahl,
Es tropft’ und rieselt’ von den Ästen,
Die Lerche stieg im Äthersaal;
Vom blanken Erzgewürfel traf
Mein Aug’ ein Leuchten, schmerzlich flirrend,
Und in des Zuges Hauche schwirrend
Am Boden lag das Autograph.
So hab’ ich Donner, Blitz und Regenschauer
Verträumt, in einer Sommerstunde Dauer.
Die junge Mutter
Im grün verhangnen duftigen Gemach,
Auf weißen Kissen liegt die junge Mutter;
Wie brennt die Stirn! Sie hebt das Auge schwach
Zum Bauer, wo die Nachtigall das Futter
Den nackten Jungen reicht: »Mein armes Tier«,
So flüstert sie, »und bist du auch gefangen
Gleich mir, wenn draußen Lenz und Sonne prangen,
So hast du deine Kleinen doch bei dir.«
Den Vorhang hebt die graue Wärterin,
Und legt den Finger mahnend auf die Lippen;
Die Kranke dreht das schwere Auge hin,
Gefällig will sie von dem Tranke nippen;
Er mundet schon, und ihre bleiche Hand
Faßt fester den Kristall, – o milde Labe! –
»Elisabeth, was macht mein kleiner Knabe?«
»Er schläft«, versetzt die Alte abgewandt.
Wie mag er zierlich liegen! – Kleines Ding! –
Und selig lächelnd sinkt sie in die Kissen;
Ob man den Schleier um die Wiege hing,
Den Schleier der am Erntefest zerrissen?
Man sieht es kaum, sie flickte ihn so nett,
Daß alle Frauen höchlich es gepriesen,
Und eine Ranke ließ sie drüber sprießen.
»Was läutet man im Dom, Elisabeth?«
»Madame, wir haben heut Mariatag.«
So hoch im Mond? sie kann sich nicht besinnen. –
Wie war es nur? – doch ihr Gehirn ist schwach,
Und leise suchend zieht sie aus den Linnen
Ein Häubchen, in dem Strahle kümmerlich
Läßt sie den Faden in die Nadel gleiten;
So ganz verborgen will sie es bereiten,
Und leise, leise zieht sie Stich um Stich.
Da öffnet knarrend sich die Kammertür,
Vorsicht’ge Schritte übern Teppich schleichen.
»Ich schlafe nicht, Rainer, komm her, komm hier!
Wann wird man endlich mir den Knaben reichen?«
Der Gatte blickt verstohlen himmelwärts,
Küßt wie ein Hauch die kleinen heißen Hände:
»Geduld, Geduld, mein Liebchen, bis zum Ende!
Du bist noch gar zu leidend, gutes Herz.«
»Du duftest Weihrauch, Mann.« – »Ich war im Dom;
Schlaf, Kind«; und wieder gleitet er von dannen.
Sie aber näht, und liebliches Phantom
Spielt um ihr Aug’ von Auen, Blumen, Tannen. –
Ach, wenn du wieder siehst die grüne Au,
Siehst über einem kleinen Hügel schwanken
Den Tannenzweig und Blumen drüber ranken,
Dann tröste Gott dich, arme junge Frau!
Meine Sträuße
Sooft mir ward eine liebe Stund’
Unterm blauen Himmel im Freien,
Da habe ich, zu des Gedenkens Bund,
Mir Zeichen geflochten mit Treuen,
Einen schlichten Kranz, einen wilden Strauß,
Ließ drüber die Seele wallen;
Nun stehe ich einsam im stillen Haus,
Und sehe die Blätter zerfallen.
Vergißmeinnicht mit dem Rosaband –
Das waren dämmrige Tage,
Als euch entwandte der Freundin Hand
Dem Weiher drüben am Hage;
Wir schwärmten in wirrer Gefühle Flut,
In sechzehnjährigen Schmerzen;
Nun schläft sie lange. – Sie war doch gut,
Ich liebte sie recht von Herzen!
Gar weite Wege hast du gemacht,
Kamelia, staubige Schöne,
In deinem Kelche die Flöte wacht,
Trompeten und Zymbelgetöne;
Wie zitterten durch das grüne Revier
Buntfarbige Lampen und Schleier!
Da brach der zierliche Gärtner mir
Den Strauß beim bengalischen Feuer.
Dies Alpenröschen nährte mit Schnee
Ein eisgrau starrender Riese;
Und diese Tange entfischt’ ich der See
Aus Muschelgescherbe und Kiese;
Es war ein volles, gesegnetes Jahr,
Die Trauben hingen gleich Pfunden,
Als aus der Rebe flatterndem Haar
Ich diesen Kranz mir gewunden.
Und ihr, meine Sträuße von wildem Heid’,
Mit lockerm Halme geschlungen,
O süße Sonne, o Einsamkeit,
Die uns redet mit heimischen Zungen!
Ich hab’ sie gepflückt an Tagen so lind,
Wenn die goldenen Käferchen spielen,
Dann fühlte ich mich meines Landes Kind,
Und die fremden Schlacken zerfielen.
Und wenn ich grüble an meinem Teich,
Im duftigen Moose gestrecket,
Wenn aus dem Spiegel mein Antlitz bleich
Mit rieselndem Schauer mich necket,
Dann lang’ ich sachte, sachte hinab,
Und fische die träufelnden Schmelen;
Dort hängen sie, drüben am Fensterstab,
Wie arme vertrocknete Seelen.
So mochte ich still und heimlich mir
Eine Zauberhalle bereiten,
Wenn es dämmert dort, und drüben, und hier,
Von den Wänden seh ich es gleiten;
Eine Fei entschleicht der Kamelia sich,
Liebesseufzer stöhnet die Rose,
Und wie Blutes Adern umschlingen mich
Meine Wasserfäden und Moose.
Das Liebhabertheater
Meinst du, wir hätten jetzt Dezemberschnee?
Noch eben stand ich vor dem schönsten Hain,
So grün und kräftig sah ich keinen je.
Die Windsbraut fuhr, der Donner knallte drein,
Und seine Zweige trotzten wie gegossen,
Gleich an des Parkes Tor ein Häuschen stand,
Mit Kränzen war geschmückt die schlichte Wand,
Die haben nicht gezittert vor den Schlossen,
Das nenn’ ich Kränze doch und einen Hain!
Und denkst du wohl, wir hätten finstre Nacht?
Des Morgens Gluten wallten eben noch,
Rotglühend, wie des Lavastromes Macht
Hernieder knistert von Vesuves Joch;
Nie sah so prächtig man Auroren ziehen!
An unsre Augen schlugen wir die Hand,
Und dachten schier, der Felsen steh’ in Brand,
Die Hirten sahn wir wie Dämone glühen;
Das nenn’ ich einen Sonnenaufgang doch!
Und sprichst du unsres Landes Nymphen Hohn?
Noch eben schlüpfte durch des Forstes Hau
Ein Mädchen, voll und sinnig wie der Mohn,
Gewiß, sie war die allerschönste Frau!
Ihr weißes Händchen hielt den blanken Spaten,
Der kleine Fuß, in Zwickelstrumpf und Schuh,
Hob sich so schwebend, trat so zierlich zu,
Und hör, ich will es dir nur gleich verraten,
Der schönen Clara glich sie ganz genau.
Und sagst du, diese habe mein gelacht?
O hättest du sie heute nur gesehn,
Wie schlau sie meine Blicke hat bewacht,
Wie zärtlich konnte ihre Augen drehn,
Und welche süße Worte ihr entquollen!
Recht wo ich stand, dorthin hat sie geweint:
»Mein teures Herz, mein Leben, einz’ger Freund!«
Das schien ihr von den Lippen nur zu rollen.
War das nicht richtig angebracht, und schön?
Doch eins nur, eines noch verhehlt’ ich dir,
Und fürchte sehr, es trage wenig ein;
Der Wald war brettern und der Kranz Papier,
Das Morgenrot Bengalens Feuerschein,
Und als sie ließ so süße Worte wandern,
Ach, ob sie gleich dabei mich angeblickt,
Der dicht an das Orchester war gerückt,
Doch fürcht’ ich fast, sie galten einem andern!
Was meinst du, sollte das wohl möglich sein?
Die Taxuswand
Ich stehe gern vor dir,
Du Fläche schwarz und rauh,
Du schartiges Visier
Vor meines Liebsten Brau’,
Gern mag ich vor dir stehen,
Wie vor grundiertem Tuch,
Und drüber gleiten sehen
Den bleichen Krönungszug;
Als mein die Krone hier,
Von Händen die nun kalt;
Als man gesungen mir
In Weisen die nun alt;
Vorhang am Heiligtume,
Mein Paradiesestor,
Dahinter alles Blume,
Und alles Dorn davor.
Denn jenseits weiß ich sie,
Die grüne Gartenbank,
Wo ich das Leben früh
Mit glühen Lippen trank,
Als mich mein Haar umwallte
Noch golden wie ein Strahl,
Als noch mein Ruf erschallte,
Ein Hornstoß, durch das Tal.
Das zarte Efeureis,
So Liebe pflegte dort,
Sechs Schritte, – und ich weiß,
Ich weiß dann, daß es fort.
So will ich immer schleichen
Nur an dein dunkles Tuch,
Und achtzehn Jahre streichen
Aus meinem Lebensbuch.
Du starrtest damals schon
So düster treu wie heut,
Du, unsrer Liebe Thron
Und Wächter manche Zeit;
Man sagt daß Schlaf, ein schlimmer,
Dir aus den Nadeln raucht, –
Ach, wacher war ich nimmer,
Als rings von dir umhaucht!
Nun aber bin ich matt,
Und möcht’ an deinem Saum
Vergleiten, wie ein Blatt
Geweht vom nächsten Baum;
Du lockst mich wie ein Hafen,
Wo alle Stürme stumm,
O, schlafen möcht’ ich, schlafen,
Bis meine Zeit herum!
Nach fünfzehn Jahren
Wie hab’ ich doch so manche Sommernacht,
Du düstrer Saal, in deinem Raum verwacht!
Und du, Balkon, auf dich bin ich getreten,
Um leise für ein teures Haupt zu beten,
Wenn hinter mir aus des Gemaches Tiefen
Wie Hülfewimmern bange Seufzer riefen,
Die Odemzüge aus geliebtem Mund;
Ja, bitter weint’ ich – o Erinnerung! –
Doch trug ich mutig es, denn ich war jung,
War jung noch und gesund.
Du Bett mit seidnem Franzenhang geziert,
Wie hab’ ich deine Falten oft berührt,
Mit leiser leiser Hand gehemmt ihr Rauschen,
Wenn ich mich beugte durch den Spalt zu lauschen,
Mein Haupt so müde daß es schwamm wie trunken,
So matt mein Knie daß es zum Grund gesunken!
Mechanisch löste ich der Zöpfe Bund
Und sucht’ im frischen Trunk Erleichterung;
Ach, alles trägt man leicht, ist man nur jung,
Nur jung noch und gesund!
Und als die Rose, die am Stock erblich,
Sich wieder auf die kranke Wange schlich,
Wie hab’ ich an dem Pfeilertische drüben
Dem Töchterchen geringelt seine lieben
Goldbraunen Löckchen! wie ich mich beflissen,
Eh ich es führte an der Mutter Kissen!
Und gute Sitte flüstert’ ich ihm ein,
Gelobte ihm die Fabel von dem Schaf
Und sieben Zicklein, wenn es wolle brav,
Recht brav und sittig sein.
Und dort die Hütte in der Tannenschlucht,
Da naschten sie und ich der Rebe Frucht,
Da fühlten wir das Blut so keimend treiben,
Als müss’ es immer frisch und schäumend bleiben;
Des Überstandnen lachten wir im Hafen:
Wie ich geschwankt, wie stehend ich geschlafen;
Und wandelten am Rasenstreifen fort,
Und musterten der Stämmchen schlanke Reihn,
Und schwärmten, wie es müsse reizend sein
Nach fünfzehn Jahren dort!
O fünfzehn Jahre, lange öde Zeit!
Wie sind die Bäume jetzt so starr und breit!
Der Hütte Tür vermocht’ ich kaum zu regen,
Da schoß mir Staub und wüst Gerüll entgegen,
Und an dem blanken Gartensaale drüben
Da steht ‘ne schlanke Maid mit ihrem Lieben,
Die schaun sich lächelnd in der Seele Grund,
In ihren braunen Locken rollt der Wind;
Gott segne dich, du bist geliebt, mein Kind,
Bist fröhlich und gesund!
Sie aber die vor Lustern dich gebar,
Wie du so schön, so frisch und jugendklar,
Sie steht mit einer an des Parkes Ende
Und drückt zum Scheiden ihr die bleichen Hände,
Mit einer, wie du nimmer möchtest denken,
So könne deiner Jugend Flut sich senken;
Sie schaun sich an, du nennst vielleicht es kalt,
Zwei starre Stämme, aber sonder Wank
Und sonder Tränenquell, denn sie sind krank,
Ach, beide krank und alt!
Der kranke Aar
Am dürren Baum, im fetten Wiesengras
Ein Stier behaglich wiederkäut’ den Fraß;
Auf niederm Ast ein wunder Adler saß,
Ein kranker Aar mit gebrochnen Schwingen.
»Steig auf, mein Vogel, in die blaue Luft,
Ich schau dir nach aus meinem Kräuterduft.« –
»Weh, weh, umsonst die Sonne ruft
Den kranken Aar mit gebrochnen Schwingen!« –
»O Vogel warst so stolz und freventlich
Und wolltest keine Fessel ewiglich!« –
»Weh, weh, zu viele über mich,
Und Adler all, – brachen mir die Schwingen!«
»So flattre in dein Nest, vom Aste fort,
Dein Ächzen schier die Kräuter mir verdorrt.«
»Weh, weh, kein Nest hab’ ich hinfort,
Verbannter Aar mit gebrochnen Schwingen!«
»O Vogel, wärst du eine Henne doch,
Dein Nestchen hättest du, im Ofenloch.«
»Weh, weh, viel lieber ein Adler noch,
Viel lieber ein Aar mit gebrochnen Schwingen!«
Sit illi terra levis!
So sonder Arg hast du in diesem Leben
Mich deinen allerbesten Freund genannt,
Hast mir so oft gereicht die hagre Hand, –
Hab’ ich gelächelt, mag mir Gott vergeben.
Die Schlange wacht in jedes Menschen Brust,
Was ich dir bot, es war doch treue Gabe,
Und hier bekenn’ ich es, an deinem Grabe,
Du warst mir lieber als ich es gewußt.
Ob ich auch nie zu jenen mich gesellte,
Die lachend deine Einfalt angeschaut;
Des Hauptes, das in Ehren war ergraut,
Verhöhnung immer mir die Adern schwellte;
Doch erst wo aller Menschen Witz versiegt,
Ein armer Tropfen in Ägyptens Sande,
Hier erst erkenn’ ich, an der Seelen Brande,
Wie schwer des Auges warme Träne wiegt.
Sah ich sie nicht an deine Wimper steigen,
Wenn du dem fremden Leide dich geeint?
Hast du nicht meinen Toten nachgeweint,
So heiß wie deines eignen Blutes Zweigen?
O! wenn ich in der Freude des vergaß,
Mit bitterm Herzen muß ich es beklagen,
Denn von des Schicksals harter Hand geschlagen,
Wie gern ich dann in deinem Auge las!
Noch seh ich dich im Hauch des Winterbrodems
Herstapfen, wie den irren Heidegeist,
Wenn Tropf’ an Tropfen deiner Stirn entfleußt,
Hör’ noch das Keuchen deines armen Odems.
Es waren schlimme Wege, rauh und weit,
Die du gewandelt manche Winterwende,
Um des Altares heil’ge Gnadenspende
Zu tragen mir in meine Einsamkeit.
O manchem Spötter gabst du ernst Gedenken,
Wenn höhnend deine kleine Hab’ er pries,
Für schlechtes Ding dir Tausende verhieß,
Und du nur glücklich warst ihn zu beschenken!
So wert war dir kein Gut, so ehrenreich,
Daß du es nicht mit Freuden hingegeben,
Dann sah man deine Lippen freundlich beben,
Und zucken wie das Dämmerlicht im Teich.
An deinem Kleide, schwarz und fadenscheinend,
War jeder Fleck ein heimlich Ehrenmal,
Du frommer Dieb am Eignen! ohne Wahl
Das Schlechteste dir noch genugsam meinend.
Mann ohne Falsch und mit der offnen Hand,
Drin wie Demant der Witwe Heller blinken,
Sanft soll der Tau auf deinen Hügel sinken,
Und leicht, leicht sei dir das geweihte Land!
Schlaf sanft, schlaf still in deinem grünen Bette,
Dir überm Haupt des Glaubens fromm Simbol,
Die Welt vergißt, der Himmel kennt dich wohl,
Ein Engel wacht an dieser schlichten Stätte.
Auch eine Träne wird dir nachgeweint,
Und wahrlich keine falsche: »Ach sie haben,
Sie haben einen guten Mann begraben,
Und mir, mir war er mehr« – mein wärmster Freund.
Die Unbesungenen
‘s gibt Gräber wo die Klage schweigt,
Und nur das Herz von innen blutet,
Kein Tropfen in die Wimper steigt,
Und doch die Lava drinnen flutet;
‘s gibt Gräber, die wie Wetternacht
An unserm Horizonte stehn
Und alles Leben niederhalten,
Und doch, wenn Abendrot erwacht,
Mit ihren goldnen Flügeln wehn
Wie milde Seraphimgestalten.
Zu heilig sind sie für das Lied,
Und mächtge Redner doch vor allen,
Sie nennen dir was nimmer schied,
Was nie und nimmer kann zerfallen;
O, wenn dich Zweifel drückt herab,
Und möchtest atmen Ätherluft,
Und möchtest schauen Seraphsflügel,
Dann tritt an deines Vaters Grab!
Dann tritt an deines Bruders Gruft!
Dann tritt an deines Kindes Hügel!
Das Spiegelbild
Schaust du mich an aus dem Kristall,
Mit deiner Augen Nebelball,
Kometen gleich die im Verbleichen;
Mit Zügen, worin wunderlich
Zwei Seelen wie Spione sich
Umschleichen, ja, dann flüstre ich:
Phantom, du bist nicht meinesgleichen!
Bist nur entschlüpft der Träume Hut,
Zu eisen mir das warme Blut,
Die dunkle Locke mir zu blassen;
Und dennoch, dämmerndes Gesicht,
Drin seltsam spielt ein Doppellicht,
Trätest du vor, ich weiß es nicht,
Würd’ ich dich lieben oder hassen?
Zu deiner Stirne Herrscherthron,
Wo die Gedanken leisten Fron
Wie Knechte, würd’ ich schüchtern blicken;
Doch von des Auges kaltem Glast,
Voll toten Lichts, gebrochen fast,
Gespenstig, würd’, ein scheuer Gast,
Weit, weit ich meinen Schemel rücken.
Und was den Mund umspielt so lind,
So weich und hülflos wie ein Kind,
Das möcht’ in treue Hut ich bergen;
Und wieder, wenn er höhnend spielt,
Wie von gespanntem Bogen zielt,
Wenn leis’ es durch die Züge wühlt,
Dann möcht’ ich fliehen wie vor Schergen.
Es ist gewiß, du bist nicht ich,
Ein fremdes Dasein, dem ich mich
Wie Moses nahe, unbeschuhet,
Voll Kräfte die mir nicht bewußt,
Voll fremden Leides, fremder Lust;
Gnade mir Gott, wenn in der Brust
Mir schlummernd deine Seele ruhet!
Und dennoch fühl’ ich, wie verwandt,
Zu deinen Schauern mich gebannt,
Und Liebe muß der Furcht sich einen.
Ja, trätest aus Kristalles Rund,
Phantom, du lebend auf den Grund,
Nur leise zittern würd’ ich, und
Mich dünkt – ich würde um dich weinen!
Neujahrsnacht
Im grauen Schneegestöber blassen
Die Formen, es zerfließt der Raum,
Laternen schwimmen durch die Gassen,
Und leise knistert es im Flaum;
Schon naht des Jahres letzte Stunde,
Und drüben, wo der matte Schein
Haucht aus den Fenstern der Rotunde,
Dort ziehn die frommen Beter ein.
Wie zu dem Richter der Bedrängte,
Ob dessen Haupt die Waage neigt,
Noch einmal schleicht eh der verhängte,
Der schwere Tag im Osten steigt,
Noch einmal faltet seine Hände
Um milden Spruch, so knien sie dort,
Still gläubig, daß ihr Flehen wende
Des Jahres ernstes Losungswort.
Ich sehe unter meinem Fenster
Sie gleiten durch den Nebelrauch,
Verhüllt und lautlos wie Gespenster,
Vor ihrer Lippe flirrt der Hauch;
Ein blasser Kreis zu ihren Füßen
Zieht über den verschneiten Grund,
Lichtfunken blitzen auf und schießen
Um der Laterne dunstig Rund.
Was mögen sie im Herzen tragen,
Wie manche Hoffnung, still bewacht!
Wie mag es unterm Vließe schlagen
So heiß in dieser kalten Nacht!
Fort keuchen sie, als möge fallen
Der Hammer, eh sie sich gebeugt,
Bevor sie an des Thrones Hallen
Die letzte Bittschrift eingereicht.
Dort hör’ ich eine Angel rauschen,
Vernehmlich wird des Kindes Schrein,
Und die Gestalt – sie scheint zu lauschen,
Dann fürder schwimmt der Lampe Schein;
Noch einmal steigt sie, läßt die Schimmer
Verzittern an des Fensters Rand,
Gewiß, sie trägt ein Frauenzimmer,
Und einer Mutter fromme Hand!
Nun stampft es rüstig durch die Gasse,
Die Decke kracht vom schweren Tritt,
Der Krämer schleppt die Sündenmasse
Der bösen Zahler keuchend mit;
Und hinter ihm wie eine Docke
Ein armes Kind im Flitterstaat,
Mit seidnem Fähnchen, seidner Locke,
Huscht frierend durch den engen Pfad.
Ha, Schellenklingeln längs der Stiege!
Glutaugen richtend in die Höh’,
‘ne kolossale Feuerfliege,
Rauscht die Karosse durch den Schnee;
Und Dämpfe qualmen auf und schlagen
Zurück vom Wirbel des Gespanns;
Ja, schwere Bürde trägt der Wagen,
Die Wünsche eines reichen Manns!
Und hinter ihm ein Licht so schwankend,
Der Träger tritt so sachte auf,
Nun lehnt er an der Mauer, wankend,
Sein hohler Husten schallt hinauf;
Er öffnet der Laterne Reifen,
Es zupfen Finger lang und fahl
Am Dochte, Odemzüge pfeifen, –
Du, Armer, kniest zum letztenmal.
Dann Licht an Lichtern längs der Mauer,
Wie Meteore irr geschart,
Ein krankes Weib, in tiefer Trauer,
Husaren mit bereiftem Bart,
In Filz und Kittel stämm’ge Bauern,
Den Rosenkranz in starrer Faust,
Und Mädchen die wie Falken lauern,
Von Mantels Fittigen umsaust.
Wie oft hab’ ich als Kind im Spiele
Gelauscht den Funken im Papier,
Der Sternchen zitterndem Gewühle,
Und: »Kirchengänger!« sagten wir;
So seh ich’s wimmeln um die Wette
Und löschen, wo der Pfad sich eint,
Nachzügler noch, dann grau die Stätte,
Nur einsam die Rotunde scheint.
Und mählich schwellen Orgelklänge
Wie Heroldsrufe an mein Ohr:
Knie nieder, Lässiger, und dränge
Auch deines Herzens Wunsch hervor!
»Du, dem Jahrtausende verrollen
Sekundengleich, erhalte mir
Ein mutig Herz, ein redlich Wollen,
Und Fassung an des Grabes Tür.«
Da, horch! – es summt durch Wind und Schlossen,
Gott gnade uns, hin ist das Jahr!
Im Schneegestäub’ wie Schnee zerflossen,
Zukünftiges wird offenbar;
Von allen Türmen um die Wette
Der Hämmer Schläge, daß es schallt,
Und mit dem letzten ist die Stätte
Gelichtet für den neuen Wald.
Der Todesengel
‘s gibt eine Sage, daß wenn plötzlich matt
Unheimlich Schaudern einen übergleite,
Daß dann ob seiner künft’gen Grabesstatt
Der Todesengel schreite.
Ich hörte sie, und malte mir ein Bild
Mit Trauerlocken, mondbeglänzter Stirne,
So schaurig schön, wie’s wohl zuweilen quillt
Im schwimmenden Gehirne.
In seiner Hand sah ich den Ebenstab
Mit leisem Strich des Bettes Lage messen,
– So weit das Haupt – so weit der Fuß – hinab!
Verschüttet und vergessen!
Mich graute, doch ich sprach dem Grauen Hohn,
Ich hielt das Bild in Reimes Netz gefangen,
Und frevelnd wagt’ ich aus der Totenkron’
Ein Lorbeerblatt zu langen.
O, manche Stunde denk’ ich jetzt daran,
Fühl’ ich mein Blut so matt und stockend schleichen,
Schaut aus dem Spiegel mich ein Antlitz an –
Ich mag es nicht vergleichen; –
Als ich zuerst dich auf dem Friedhof fand,
Tiefsinnig um die Monumente streifend,
Den schwarzen Ebenstab in deiner Hand
Entlang die Hügel schleifend;
Als du das Auge hobst, so scharf und nah,
Ein leises Schaudern plötzlich mich befangen,
O wohl, wohl ist der Todesengel da
Über mein Grab gegangen!
Abschied von der Jugend
Wie der zitternde Verbannte
Steht an seiner Heimat Grenzen,
Rückwärts er das Antlitz wendet,
Rückwärts seine Augen glänzen,
Winde die hinüberstreichen,
Vögel in der Luft beneidet,
Schaudernd vor der kleinen Scholle,
Die das Land vom Lande scheidet;
Wie die Gräber seiner Toten,
Seine Lebenden, die süßen,
Alle stehn am Horizonte,
Und er muß sie weinend grüßen;
Alle kleinen Liebesschätze,
Unerkannt und unempfunden,
Alle ihn wie Sünden brennen
Und wie ewig offne Wunden;
So an seiner Jugend Scheide
Steht ein Herz voll stolzer Träume,
Blickt in ihre Paradiese
Und der Zukunft öde Räume,
Seine Neigungen, verkümmert,
Seine Hoffnungen, begraben,
Alle stehn am Horizonte,
Wollen ihre Träne haben.
Und die Jahre die sich langsam,
Tückisch reihten aus Minuten,
Alle brechen auf im Herzen,
Alle nun wie Wunden bluten;
Mit der armen kargen Habe,
Aus so reichem Schacht erbeutet,
Mutlos, ein gebrochner Wandrer,
In das fremde Land er schreitet.
Und doch ist des Sommers Garbe
Nicht geringer als die Blüten,
Und nur in der feuchten Scholle
Kann der frische Keim sich hüten;
Über Fels und öde Flächen
Muß der Strom, daß er sich breite,
Und es segnet Gottes Rechte
Übermorgen so wie heute.
Was bleibt
Seh ich ein Kind zur Weihnachtsfrist,
Ein rosig Kind mit Taubenaugen,
Die Kunde von dem kleinen Christ
Begierig aus den Lippen saugen,
Aufhorchen, wenn es rauscht im Tann,
Ob draußen schon sein Pferdchen schnaube:
»O Unschuld, Unschuld«, denk’ ich dann,
Du zarte, scheue, flücht’ge Taube!
Und als die Wolke kaum verzog,
Studenten klirrten durch die Straßen,
Und: »Vivat Bona!« donnert’s hoch,
So keck und fröhlich sonder Maßen;
Sie scharten sich wie eine Macht,
Die gegen den Koloß sich bäume:
»O Hoffnung«, hab’ ich da gedacht,
»Wie bald zerrinnen Träum’ und Schäume!«
Und ihnen nach ein Reiter stampft,
Geschmückt mit Kreuz und Epaulette,
Den Tschako lüftet er, es dampft
Wie Öfen seines Scheitels Glätte;
Kühn war der Blick, der Arm noch stramm,
Doch droben schwebt’ der Zeitenrabe:
Da schien mir Kraft ein Meeresdamm,
Den jeder Pulsschlag untergrabe.
Und wieder durch die Gasse zog
Studentenhauf, und vor dem Hause
Des Rektors dreimal »Hurra hoch!«
Und wieder »Hoch!« – aus seiner Klause,
In Zipfelmütze und Flanell,
Ein Schemen nickt am Fensterbogen.
»Ha«, dacht ich, »Ruhm, du Mordgesell,
Kömmst nur als Leichenhuhn geflogen!«
An meine Wange haucht’ es dicht,
Und wie das Haupt ich seitwärts regte,
Da sah ich in das Angesicht
Der Frau, die meine Kindheit pflegte,
Dies Antlitz wo Erinnerung
Und werte Gegenwart sich paaren:
»O Liebe«, dacht ich, »ewig jung,
Und ewig frisch bei grauen Haaren!«
Scherz und Ernst
Dichters Naturgefühl
Es war an einem jener Tage,
Wo Lenz und Winter sind im Streit,
Wo naß das Veilchen klebt am Hage,
Kurz, um die erste Maienzeit;
Ich suchte keuchend mir den Weg
Durch sumpf’ge Wiesen, dürre Raine,
Wo matt die Kröte hockt’ am Steine,
Die Eidechs schlüpfte übern Steg.
Durch hundert kleine Wassertruhen,
Die wie verkühlter Spülicht stehn,
Zu stelzen mit den Gummischuhen,
Bei Gott, heißt das Spazierengehn?
Natur, wer auf dem Haberrohr
In Jamben, Stanzen, süßen Phrasen
So manches Loblied dir geblasen,
Dem stell dich auch manierlich vor!
Da ließ zurück den Schleier wehen
Die eitle vielbesungne Frau,
Als fürchte sie des Dichters Schmähen;
Im Sonnenlichte stand die Au,
Und bei dem ersten linden Strahl
Stieg eine Lerche aus den Schollen,
Und ließ ihr Tirilirum rollen
Recht wacker durch den Äthersaal.
Die Quellchen, glitzernd wie Kristallen, –
Die Zweige, glänzend emailliert –
Das kann dem Kenner schon gefallen,
Ich nickte lächelnd: »Es passiert!«
Und stapfte fort in eine Schluft,
Es war ein still und sonnig Fleckchen,
Wo tausend Anemonenglöckchen
Umgaukelten des Veilchens Duft.
Das üpp’ge Moos – der Lerchen Lieder –
Der Blumen Flor – des Krautes Keim –
Auf meinen Mantel saß ich nieder
Und sann auf einen Frühlingsreim.
Da – alle Musen, welch ein Ton! –
Da kam den Rain entlang gesungen
So eine Art von dummen Jungen,
Der Friedrich, meines Schreibers Sohn.
Den Efeukranz im flächsnen Haare,
In seiner Hand den Veilchenstrauß,
So trug er seine achtzehn Jahre
Romantisch in den Lenz hinaus.
Nun schlüpft’ er durch des Hagens Loch,
Nun hing er an den Dornenzwecken
Wie Abrams Widder in den Hecken,
Und in den Dornen pfiff er noch.
Bald hatt’ er beugend, gleitend, springend,
Den Blumenanger abgegrast,
Und rief nun, seine Mähnen schwingend:
»Viktoria, Trompeten blast!«
Dann flüstert’ er mit süßem Hall:
»O, wären es die schwed’schen Hörner!«
Und dann begann ein Lied von Körner;
Fürwahr du bist ‘ne Nachtigall!
Ich sah ihn, wie er an dem Walle
Im feuchten Moose niedersaß,
Und nun die Veilchen, Glöckchen alle
Mit sel’gem Blick zu Straußen las,
Auf seiner Stirn den Sonnenstrahl;
Mich faßt’ ein heimlich Unbehagen,
Warum? ich weiß es nicht zu sagen,
Der fade Bursch war mir fatal.
Noch war ich von dem blinden Hessen
Auf meinem Mantel nicht gesehn,
Und so begann ich zu ermessen,
Wie übel ihm von Gott geschehn;
O Himmel, welch ein traurig Los,
Das Schicksal eines dummen Jungen,
Der zum Kopisten sich geschwungen
Und auf den Schreiber steuert los!
Der in den kargen Feierstunden
Romane von der Zofe borgt,
Beklagt des Löwenritters Wunden
Und seufzend um den Posa sorgt,
Der seine Zelle, kalt und klein,
Schmückt mit Aladdins Zaubergabe,
Und an dem Quell, wie Schillers Knabe,
Violen schlingt in Kränzelein!
In dessen wirbelndem Gehirne
Das Leben spukt gleich einer Fei,
Der – hastig fuhr ich an die Stirne:
»Wie, eine Mücke schon im Mai?«
Und trabte zu der Schlucht hinaus,
Hohl hustend, mit beklemmter Lunge,
Und drinnen blieb der dumme Junge,
Und pfiff zu seinem Veilchenstrauß!
Der Teetisch
Leugnen willst du Zaubertränke,
Lachst mir höhnisch in die Zähne,
Wenn Isoldens ich gedenke,
Wenn Gudrunens ich erwähne?
Und was deine kluge Amme
In der Dämmrung dir vertraute,
Von Schneewittchen und der Flamme,
Die den Hexenschwaden braute;
Alles will dir nicht genügen,
Überweiser Mückensieber?
Nun, so laß die Feder liegen,
Schieb dich in den Zirkel, Lieber,
Wo des zopfigen Chinesen
Trank im Silberkessel zischet,
Sein Aroma auserlesen
Mit des Patschuls Düften mischet;
Wo ein schöner Geist, den Bogen
Feingefältelt in der Tasche,
Lauscht wie in den Redewogen
Er das Steuer sich erhasche;
Wo in zarten Händen hörbar
Blanke Nadelstäbe knittern,
Und die Herren stramm und ehrbar
Breiten ihrer Weisheit Flittern.
Alles scheint dir noch gewöhnlich,
Von der Sohle bis zum Scheitel,
Und du rufst, dem Weisen ähnlich:
»Alles unterm Mond ist eitel!«
Dir genüber und zur Seite
Hier Christinos, dort Carlisten,
Lauter ordinäre Leute,
Deutsche Michel, gute Christen!
Aber sieh die weißen schmalen
Finger sich zum Griff bereiten,
Und die dampfumhüllten Schalen
Zierlich an die Lippen gleiten:
Noch Minuten – und die Stube
Ist zum Kiosk umgestaltet,
Wo der tränenreiche Bube,
Der Chinese zaubernd waltet;
Von der rosenfarbnen Rolle
Liest er seine Zauberreime,
Verse, zart wie Seidenwolle,
Süß wie Jungfernhonigseime;
»Ting, tang, tong« – das steigt und sinket,
Welch Gesäusel, welches Zischen!
Wie ein irres Hündlein hinket
Noch ein deutsches Wort dazwischen.
Und die süßen Damen lächeln,
Leise schaukelnde Pagoden;
Wie sie nicken, wie sie fächeln,
Wie der Knäuel hüpft am Boden!
Aber, weh, nun wird’s gefährlich,
»Tschi, tsi, tsung.« – Die Töne schneiden,
Schnell hinweg die Messer! schwerlich
Übersteht er solche Leiden;
Denn er schaukelt und er dehnet
Ob der Zauberschale Rauche;
Weh, ich fürcht’ am Boden stöhnet
Bald er mit geschlitztem Bauche!
Und die eingeschreckten Frauen
Sitzen stumm und abgetakelt,
Nur das schwanke Haupt vor Grauen
Noch im Pendelschwunge wackelt;
Tiefe Stille im Gemache –
Trän’ im Auge – Kummermiene, –
Und wie Glöckchen an dem Dache
Spielt die siedende Maschine;
Alle die gesenkten Köpfe
Blinzelnd nach des Tisches Mitten,
Wo die Brezel stehn, wie Zöpfe
In Verzweiflung abgeschnitten;
Suche sacht nach deinem Hute,
Freund, entschleiche unterm Lesen,
Sonst, ich schwör’s bei meinem Blute,
Zaubern sie dich zum Chinesen,
Löst sich deines Frackes Wedel,
Unwillkürlich mußt du zischen,
Und von deinem weißen Schädel
Fühlst du Haar um Haar entwischen,
Bis dir blieb nur eine Locke
Von des dunklen Wulstes Drängen,
Dich damit, lebend’ge Glocke,
An dem Kiosk aufzuhängen.
Die Nadel im Baume
Vor Zeiten, ich war schon groß genug,
Hatt’ die Kinderschuhe vertreten,
Nicht alt war ich, doch eben im Zug’
Zu Sankt Andreas zu beten,
Da bin ich gewandelt, Tag für Tag,
Das Feld entlang mit der Kathi;
Ob etwas Liebes im Wege lag?
Tempi passati – passati!
Und in dem Heideland stand ein Baum,
Eine schlanke schmächtige Erle,
Da saßen wir oft in wachendem Traum,
Und horchten dem Schlage der Merle;
Die hatte ihr struppiges Nest gebaut,
Grad in der schwankenden Krone,
Und hat so keck herniedergeschaut
Wie ein Gräflein vom winzigen Throne.
Wir kosten so viel und gingen so lang,
Daß drüber der Sommer verflossen;
Dann hieß es: »Scheiden, o weh wie bang!«
Viel Tränen wurden vergossen;
Die Hände hielten wir stumm gepreßt,
Da zog ich aus flatternder Binde
Eine blanke Nadel, und drückte fest
Sie, fest in die saftige Rinde;
Und drunter merkte ich Tag und Stund’,
Dann sind wir fürder gezogen,
So kläglich schluchzend aus Herzensgrund,
Daß schreiend die Merle entflogen;
O junge Seelen sind Königen gleich,
Sie können ein Peru vergeuden,
Im braunen Heid, unterm grünen Zweig,
Ein Peru an Lieben und Leiden.
Die Jahre verglitten mit schleichendem Gang,
Verrannen gleich duftiger Wolke,
Und wieder zog ich das Feld entlang
Mit jungem lustigen Volke;
Die schleuderten Stäbe, und schrien »Hallo!«
Die sprudelten Witze wie Schlossen,
Mir ward’s im Herzen gar keck und froh,
Mutwillig wie unter Genossen.
Da plötzlich rauscht’ es im dichten Gezweig,
»Eine Merle«, rief’s, »eine Merle!«
Ich fuhr empor – ward ich etwa bleich?
Ich stand an der alternden Erle;
Und rückwärts zog mir’s den Schleier vom Haar,
Ach Gott, ich erglühte wie Flamme,
Als ich sah, daß die alte Nadel es war,
Meine rostige Nadel im Stamme!
Drauf hab’ ich genommen ganz still in Schau
Die Inschrift, zu eigenem Frommen,
Und fühlte dann plötzlich, es steige der Tau,
Und werde mir schwerlich bekommen.
Ich will nicht klagen, mir blieb ein Hort,
Den rosten nicht Wetter und Wogen,
Allein für immer, für immer ist fort
Der Schleier vom Auge gezogen!
Die beschränkte Frau
Ein Krämer hatte eine Frau,
Die war ihm schier zu sanft und milde,
Ihr Haar zu licht, ihr Aug’ zu blau,
Zu gleich ihr Blick dem Mondenschilde;
Wenn er sie sah so still und sacht
Im Hause gleiten wie ein Schemen,
Dann faßt’ es ihn wie böse Macht,
Er mußte sich zusammen nehmen.
Vor allem macht ihm Überdruß
Ein Wort, das sie an alles knüpfte,
Das freilich in der Rede Fluß
Gedankenlos dem Mund entschlüpfte:
»In Gottes Namen«, sprach sie dann,
Wenn schwere Prüfungsstunden kamen,
Und wenn zu Weine ging ihr Mann,
Dann sprach sie auch: »In Gottes Namen.«
Das schien ihm lächerlich und dumm,
Mitunter frevelhaft vermessen;
Oft schalt er und sie weinte drum,
Und hat es immer doch vergessen.
Gewöhnung war es früher Zeit
Und klösterlich verlebter Jugend;
So war es keine Sündlichkeit
Und war auch eben keine Tugend.
Ein Sprichwort sagt: Wem gar nichts fehlt,
Den ärgert an der Wand die Fliege;
So hat dies Wort ihn mehr gequält,
Als andre Hinterlist und Lüge.
Und sprach sie sanft: »Es paßte schlecht!«
Durch Demut seinen Groll zu zähmen,
So schwur er, übel oder recht,
Werd’ es ihn ärgern und beschämen.
Ein Blütenhag war seine Lust.
Einst sah die Frau ihn sinnend stehen,
Und ganz versunken, unbewußt,
So Zweig an Zweig vom Strauche drehen;
»In Gottes Namen!« rief sie, »Mann,
Du ruinierst den ganzen Hagen!«
Der Gatte sah sie grimmig an,
Fürwahr, fast hätt’ er sie geschlagen.
Doch wer da Unglück sucht und Reu,
Dem werden sie entgegeneilen,
Der Handel ist ein zart Gebäu,
Und ruht gar sehr auf fremden Säulen.
Ein Freund falliert, ein Schuldner flieht,
Ein Gläub’ger will sich nicht gedulden,
Und eh ein halbes Jahr verzieht
Weiß unser Krämer sich in Schulden.
Die Gattin hat ihn oft gesehn
Gedankenvoll im Sande waten,
Am Kontobuche seufzend stehn,
Und hat ihn endlich auch erraten;
Sie öffnet heimlich ihren Schrein,
Langt aus verborgner Fächer Grube,
Dann, leise wie der Mondenschein,
Schlüpft sie in ihres Mannes Stube.
Der saß, die schwere Stirn gestützt,
Und rauchte fort am kalten Rohre:
»Karl!« drang ein scheues Flüstern itzt,
Und wieder »Karl!« zu seinem Ohre;
Sie stand vor ihm, wie Blut so rot,
Als gält’ es eine Schuld gestehen.
»Karl« sprach sie, »wenn uns Unheil droht,
Ist’s denn unmöglich, ihm entgehen?«
Drauf reicht sie aus der Schurze dar
Ein Säckchen, stramm und schwer zu tragen,
Drin alles was sie achtzehn Jahr
Erspart am eigenen Behagen.
Er sah sie an mit raschem Blick,
Und zählte, zählte nun aufs neue,
Dann sprach er seufzend: »Mein Geschick
Ist zu verwirrt, – dies langt wie Spreue!«
Sie bot ein Blatt, und wandt’ sich um,
Erzitternd, glüh gleich der Granate;
Es war ihr kleines Eigentum,
Das Erbteil einer frommen Pate.
»Nein« sprach der Mann, »das soll nicht sein!«
Und klopfte freundlich ihre Wangen.
Dann warf er einen Blick hinein
Und sagte dumpf: »Schier möcht’ es langen.«
Nun nahm sie, aus der Schürze Grund,
All ihre armen Herrlichkeiten,
Teelöffelchen, Dukaten rund,
Was ihr geschenkt von Kindeszeiten.
Sie gab es mit so freud’gem Zug!
Doch war’s als ob ihr Mund sich regte,
Als sie zuletzt aufs Kontobuch
Der sel’gen Mutter Trauring legte.
»Fast langt es«, sprach gerührt der Mann,
»Und dennoch kann es schmählich enden;
Willst du dein Leben dann fortan,
Geplündert, fristen mit den Händen?«
Sie sah ihn an, – nur Liebe weiß
An liebem Blicke so zu hangen –
»In Gottes Namen!« sprach sie leis,
Und weinend hielt er sie umfangen.
Die Stubenburschen
Sie waren beide froh und gut,
Und mochten ungern scheiden;
Die Jahre fliehn, es lischt der Mut,
Der Tag bringt Freud’ und Leiden,
Geschäft will Zeit und Zeit ist schnell,
So unterblieb das Schreiben,
Doch öfters sprach Emanuel:
»Was mag der Franzel treiben!«
Da trat einst wintermorgens früh
Ein Mann in seine Stube,
Seltsam verschabt wie ein Genie,
Und hager wie Coeur Bube,
Sah ihn so glau und pfiffig an,
Und blinzelt’ vor Behagen:
»Emanuel, du Hampelmann!
Willst du mir denn nichts sagen?«
»Er ist es!« rief der Doktor aus,
Und reicht’ ihm beide Hände.
»Willkomm, Willkomm! wie siehst du aus?
Ei, munter und behende.«
»Ha« rief der andre, »Sapperment,
Man sieht, du darfst nicht sorgen!
Wie rot du bist, wie korpulent!
Du hast dich wohl geborgen.«
Drauf saß man zu Kamin und Wein,
Ließ von der Glut sich rösten,
Und ätzte sich mit Schmeichelein,
Den Alternden zu trösten.
Ein jeder warf den Hamen hin
Als wohlgeübter Fischer,
Und jeder dachte still: »Ich bin
Gewiß um zehn Jahr frischer.«
Man schüttelte die Hände derb,
Dann ging es an ein Fragen.
Reich war des Medikus Erwerb,
Und dennoch mocht’ er klagen.
Er sah den Franz bedenklich an,
Und dacht’, er steck’ in Schulden,
Doch dieser prahlt’: er sei ein Mann
Von »täglich seinem Gulden.«
Zwei Jahre hat er nur gespart,
Und dann, ein kecker Kämpfer,
Gerasselt mit der Eisenfahrt,
Gestrudelt mit dem Dämpfer!
O wie er die »Stadt Leyden« pries,
Und der Kajüte Gleißen!
Nach seiner Meinung dürfte sie
»Viktoria« nur heißen.
Das hat den Medikus gerührt,
Ihm den bescheidnen Schlucker
Lebendig vor das Aug’ geführt,
Der Klöße aß wie Zucker.
Und gar als jener sprach: »Denkst du
Noch an die halbe Flasche?«
Der Doktor kniff die Augen zu,
Und klimpert’ in der Tasche.
Dann ging es weiter: »Denkst du dort?
Und denkst du dies? und jenes?«
Die Bilder wogten lustig fort,
Viel Herzliches und Schönes.
Wie Abendrot zog ins Gemach
Ein frischer Jugendodem,
Und überhauchte nach und nach
Der Pillenschachteln Brodem.
Am nächsten Morgen hat man kaum
Den Doktor mögen kennen,
Man sah ihn lächeln wie im Traum
Und seine Wangen brennen;
Im heiligen Studierklosett
Hört’ man die Gläser klingen,
Und ein mißtöniges Duett
Aus Uhukehlen dringen.
Nicht litt am Blute mehr der Mann,
Am Podagra und Grieße;
Sah er den dürren Franzel an,
So schien er sich ein Riese;
Hat er den Franzel angesehn
Mit seinem Gulden täglich,
So mußt’ er selber sich gestehn,
Es geh’ ihm ganz erträglich.
Doch als der dritte Tag entschwand,
Da sah man auch die beiden
Betrübten Auges stehn am Strand,
Und wieder hieß es – Scheiden. –
»Leb wohl, Emanuel, leb wohl!« –
– »Leb wohl, du alte Seele!«
Und die »Stadt Leyden« rauschte hohl
Durch Dunst und Wogenschwele.
Drei Monde hat das Jahr gebracht,
Seit Franzel ist geschieden,
Mit ihm des Hypochonders Macht;
Der Doktor lebt in Frieden.
Und will der Dämon hier und dort
Sich schleichend offenbaren,
So geht er an des Rheines Bord
Und sieht »Stadt Leyden« fahren.
Die Schmiede
Wie kann der alte Apfelbaum
So lockre Früchte tragen,
Wo Mistelbüsch’ und Mooses Flaum
Aus jeder Ritze ragen?
Halb tot, halb lebend, wie ein Prinz
In einem Ammenmärchen,
Die eine Seite voll Gespinns,
Wurmfraß und Flockenhärchen,
Langt mit der andern, üppig rot,
Er in die Funkenreigen,
Die knatternd aus der Schmiede Schlot
Wie Sternraketen steigen;
Ein zweiter Scävola hält Jahr
Auf Jahr er seine Rechte
Der Glut entgegen, die kein Haar
Zu sengen sich erfrechte.
Und drunten geht es Pink und Pank,
Man hört die Flamme pfeifen,
Es keucht der Balg aus hohler Flank’
Und bildet Aschenstreifen;
Die Kohle knallt und drüber dicht,
Mit Augen wie Pyropen,
Beugt sich das grimmige Gesicht
Des rußigen Zyklopen.
Er hält das Eisen in die Glut
Wie eine arme Seele,
Es knackt und spritzet Funkenblut
Und dunstet blaue Schwele.
Dann auf dem Amboß, Schlag an Schlag,
Läßt es sein Weh erklingen,
Bis nun gekrümmt in Zorn und Schmach
Es kreucht zu Hufes Ringen.
Des alten Pfarrers Woche
Sonntag
Das ist nun so ein schlimmer Tag,
Wie der April ihn bringen mag
Mit Schlacken, Schnee und Regen.
Zum drittenmal in das Gebraus
Streckt Jungfer Anne vor dem Haus
Ihr kupfern Blendlaternchen aus,
Und späht längs allen Wegen.
»Wo nur der Pfarrer bleiben kann?
Ach, sicher ist dem guten Mann
Was übern Weg gefahren!
Ein Pfleger wohl, der Rechnung macht. –
Aus war der Gottesdienst um acht:
Soll man so streifen in der Nacht
Bei Gicht und grauen Haaren!«
Sie schließt die Türe, schüttelt baß
Ihr Haupt und wischt am Brillenglas;
So gut dünkt ihr die Stube;
Im Ofen kracht’s, der Lampenschein
Hellt überm Tisch den Sonntagswein,
Und lockend lädt der Sessel ein
Mit seiner Kissengrube.
Pantoffeln, – Schlafrock, – alles recht!
Sie horcht aufs neu; doch hört sie schlecht,
Es schwirrt ihr vor den Ohren.
»Wie? hat’s geklingelt? ei der Daus,
Zum zweiten Male! schnell hinaus!«
Da tritt der Pfarrer schon ins Haus,
Ganz blau und steif gefroren.
Die Jungfrau blickt ein wenig quer,
Begütigend der Pfarrer her,
Wie’s recht in diesem Orden.
Dann hustet er. »Nicht Mond noch Stern!
Der lahme Friedrich hört doch gern
Ein christlich Wort am Tag des Herrn,
Es ist mir spät geworden!«
Nun sinkt er in die Kissen fest,
Wirft ab die Kleider ganz durchnäßt,
Und schlürft der Traube Segen.
Ach Gott! nur wer jahraus, jahrein
In andrer Dienste lebt allein,
Weiß was es heißt, beim Sonntagswein
Sich auch ein wenig pflegen.
Montag
»Wenn ich montags früh erwache,
Wird mir’s ganz behaglich gleich;
Montag hat so eigne Sache
In dem kleinen Wochenreich.
Denn die Predigt liegt noch ferne,
Alle Sorgen scheinen leicht;
Keiner kömmt am Montag gerne,
Sei’s zur Trauung, sei’s zur Beicht.
Und man darf mir’s nicht verdenken,
Will ich in des Amtes Frist
Dem ein freies Stündchen schenken,
Was doch auch zu loben ist.
So erwacht denn, ihr Gesellen
Meiner fleiß’gen Jugendzeit!
Wollt’ in Reih und Glied euch stellen,
Alte Bilder, eingeschneit!
Ilion will ich bekriegen,
Mit Horaz auf Reisen gehn,
Will mit Alexander siegen
Und an Memnons Säule stehn.
Oder auch vergnügt ergründen,
Was das Vaterland gebracht,
Mich mit Kant und Wolff verbünden,
Ziehn mit Laudon in die Schlacht.«
Auf der Bücherleiter traben
Sieh den Pfarrer, lustentbrannt,
Sich verschanzen, sich vergraben
Unter Heft und Foliant.
Blättern sieh ihn – nicken – spüren –
Ganz versunken sitzen dann,
Daß mit einer Linie rühren
Du das Buch magst und den Mann.
Doch was kann ihn so bewegen?
Aufgeregt scheint sein Gehirn!
Und das Käppchen ganz verwegen
Drückt er hastig in die Stirn.
Nun beginnt er gar zu pfeifen,
Horch! das Lied vom Prinz Eugen;
Seinen weißen Busenstreifen
Seh’ ich auf und niedergehn.
Ha, nun ist der Türk geschlagen!
Und der Pfarrer springt empor,
Höher seine Brauen ragen,
Senkrecht steht sein Pfeifenrohr.
Im Triumph muß er sich denken
Mit dem Kaiser und dem Staat,
Sieht sich selbst den Säbel schwenken,
Fühlt sich selber als Soldat.
Aber draußen klappern Tritte,
Nach dem Pfarrer fragt es hell,
Der, aus des Gefechtes Mitte,
Huscht in seinen Sessel schnell.
»Ei! das wären saubre Kunden!
Beichtkind und Kommunikant!
Hättet ihr den Pfarr gefunden
Mit dem Säbel in der Hand!«
Dienstag
Auf der breiten Tenne drehn
Paar an Paar so nett,
Wo die Musikanten stehn,
Geig’ und Klarinett, –
Auch der Brummbaß rumpelt drein, –
Sieht man noch den Bräut’gamsschrein
Und das Hochzeitbett.
Etwas eigen, etwas schlau,
Und ein wenig bleich,
Sittsam sieht die junge Frau,
Würdevoll zugleich;
Denn sie ist des Hauses Sproß,
Denn sie führt den Ehgenoß
In ihr Erb’ und Reich.
Sippschaft ist ein weites Band,
Geht gar viel hinein;
Hundert Kappen goldentbrannt,
Kreuze funkeln drein;
Wie das drängt und wie das schiebt!
Was sich kennt und was sich liebt
Will beisammen sein.
Nun ein schallend Vivat bricht
In dem Schwarme aus,
Wo sogar die Tiere nicht
Weigern den Applaus.
Ja, wie an der Krippe fein
Brüllen Ochs und Eselein
Über’n Trog hinaus.
Ganz verdutzt der junge Mann
Kaum die Flasche hält,
Späße hageln drauf und dran,
Keiner neben fällt;
Doch er lacht und reicht die Hand.
Nun! er ist für seinen Stand
Schon ein Mann von Welt.
Alte Frauen schweißbedeckt,
Junge Mägd’ im Lauf,
Spenden was der Korb verdeckt,
Reihen ab und auf.
Sieben Tische kann man sehn,
Sieben Kaffeekessel stehn
Breit und glänzend drauf.
Aber freundlich, wie er kam,
Sucht der Pfarrer gut
Drüben unter tausend Kram
Seinen Stab und Hut;
Dankt noch schön der Frau vom Haus;
In die Dämmerung hinaus
Trabt er wohlgemut;
Wandelt durch die Abendruh’
Sinnend allerlei:
»Ei, dort ging es löblich zu,
Munter, und nicht frei.
Aber – aber – aber doch –«
Und ein langes Aber noch
Fügt er seufzend bei.
»Wie das flimmert! Wie das lacht!
Kanten Händebreit!«
Ach die schnöde Kleiderpracht
Macht ihm tausend Leid.
Und nun gar – er war nicht blind –
Eines armen Mannes Kind;
Nein, das ging zu weit.
Kurz, er nimmt sich’s ernstlich vor,
Heut’ und hier am Steg, –
Ja, an der Gemeinde Ohr,
Wächter treu und reg,
Will er’s tragen ungescheut;
O er findet schon die Zeit
Und den rechten Weg.
Mittwoch
Begleitest du sie gern
Des Pfarrers Lust und Plagen:
Sich gleich an allen Tagen
Triffst du den frommen Herrn.
Der gute Seelenhirt!
Tritt über seine Schwelle;
Da ist er schon zur Stelle
Als des Kollegen Wirt.
In wohlgemeinten Sorgen,
Wie er geschäftig tut!
Doch dämmert kaum der Morgen,
Dies eben dünkt ihm gut.
Am Abend kam der Freund
Erschöpft nach Art der Gäste;
Nun säubre man aufs beste,
Daß alles nett erscheint.
Schon strahlt die große Kanne,
Die Teller blitzen auf;
Noch scheuert Jungfer Anne,
Und horcht mitunter auf.
Ach, sollte sie der Gast
Im alten Jäckchen finden:
Sie müßte ganz verschwinden
Vor dieser Schande Last.
Und was zur Hand tut stehen,
Das reizt den Pfarrer sehr,
Die Jungfer wird’s nicht sehen,
Er macht sich drüber her;
Die Schlaguhr greift er an
Mit ungeschickten Händen,
Und sucht sie sacht zu wenden;
Der übermüt’ge Mann!
Schleppt Foliantenbürde,
Putzt Fensterglas und Tisch;
Fürwahr mit vieler Würde
Führt er den Flederwisch.
Am Paradiesesbaum
Die Blätter zart aus Knochen,
Eins hat er schon zerbrochen,
Jedoch man sieht es kaum.
Und als er just in Schatten
Die alte Klingel stellt –
Es kömmt ihm wohl zu statten –
Da rauscht es draußen, gelt!
Fidel schlägt an in Hast,
Die Jungfer ist geflüchtet,
Und stattlich aufgerichtet
Begrüßt der Pfarr den Gast.
Wie dem so wohl gefallen
Die Aussicht und das Haus,
Wie der entzückt von allen,
Nicht Worte drücken’s aus!
Ich sag es ungeniert,
Sie kamen aus den Gleisen,
Sich Ehre zu erweisen,
Der Gast und auch der Wirt.
Und bei dem Mittagessen,
Das man vortrefflich fand,
Da ward auch nicht vergessen
Der Lehr- und Ehrenstand.
Ich habe viel gehört,
Doch nichts davon getragen,
Nur dieses mag ich sagen,
Sie sprachen sehr gelehrt.
Und sieh nur! drüben schreitet
Der gute Pfarrer just,
Er hat den Gast geleitet
Und spricht aus voller Brust:
»Es ist doch wahr! mein Haus,
So nett und blank da droben,
Ich muß es selber loben,
Es nimmt sich einzig aus.«
Donnerstag
Winde rauschen, Flocken tanzen,
Jede Schwalbe sucht das Haus,
Nur der Pfarrer unerschrocken
Segelt in den Sturm hinaus.
Nicht zum besten sind die Pfade,
Aber leidlich würd’ es sein,
Trüg’ er unter seinem Mantel
Nicht die Äpfel und den Wein.
Ach, ihm ist so wohl zu Mute,
Daß dem kranken Zimmermann
Er die längst gegönnte Gabe
Endlich einmal bieten kann.
Immer muß er heimlich lachen,
Wie die Anne Äpfel las,
Und wie er den Wein stipitzte,
Während sie im Keller saß.
Längs des Teiches sieh ihn flattern,
Wie er rudert, wie er streicht,
Kann den Mantel nimmer zwingen
Mit den Fingern starr und feucht.
Öfters aus dem trüben Auge
Eine kalte Zähre bricht,
Wehn ihm seine grauen Haare
Spinnenwebig ums Gesicht.
Doch Gottlob! da ist die Hütte,
Und nun öffnet sich das Haus,
Und nun keuchend auf der Tenne
Schüttet er die Federn aus.
Ach wie freut der gute Pfarrer
Sich am blanken Feuerschein!
Wie geschäftig schenkt dem Kranken
Er das erste Gläschen ein.
Setzt sich an des Lagers Ende,
Stärkt ihm bestens die Geduld,
Und von seinen frommen Lippen
Einfach fließt das Wort der Huld.
Wenn die abgezehrten Hände
Er so fest in seine schließt,
Anders fühlt sich dann der Kranke,
Meint, daß gar nichts ihn verdrießt.
Mit der Einfalt, mit der Liebe
Schmeichelt er die Seele wach,
Kann an jedes Herz sich legen,
Sei es kraftvoll oder schwach.
Aber draußen will es dunkeln,
Draußen tröpfelt es vom Dach; –
Lange sehn ihm nach die Kinder,
Und der Kranke seufzt ihm nach.
Freitag
Zu denken in gestandnen Tagen
Der Sorge, die so treulich sann,
Der Liebe, die ihn einst getragen,
Wohl ziemt es jedem Ehrenmann.
Am Lehrer alt, am Schüler mild
Magst du nicht selten es gewahren;
Und sind sie beide grau von Haaren,
Um desto werter ist das Bild.
Zumeist dem Priester wird beschieden
Für frühe Treue dieser Lohn;
Nicht einsam ist des Alters Frieden,
Der Zögling bleibt sein lieber Sohn.
Ja was erstarrt im Lauf der Zeit,
Und wehrt dem Neuen einzudringen,
Des Herzens steife Flechsen schlingen
Sich fester um Vergangenheit.
So läßt ein wenig Putz gefallen
Sich heut der gute Pfarrer gern,
Das span’sche Rohr, die Silberschnallen,
Denn heute gehts zum jungen Herrn.
Der mag in reifen Jahren stehn,
Da ihn erwachsne Kinder ehren,
Allein das kann den Pfarr nicht stören,
Der ihn vorzeiten klein gesehn.
Still wandelnd durch des Parkes Linden,
In deren Schutz das Veilchen blüht,
Der Alte muß es freundlich finden,
Daß man so gern ihn freitags sieht;
Er weiß, dem Junker sind noch frisch
Die lieben längst entschwundnen Zeiten,
Und seines Lehrers schwache Seiten,
Ein Gläschen Wein, ein guter Fisch.
Schon tritt er in des Tores Halle;
Da, wie aus reifem Erbsenbeet
Der Spatzen Schar, so hinterm Walle
Hervor es flattert, lacht und kräht;
Der kleinen Junker wilde Schar,
Die still gelauscht im Mauerbogen,
Und nun den Pfarrer so betrogen,
So überrumpelt ganz und gar.
Das stürmt auf ihn von allen Seiten,
Das klammert überall sich an;
Fürwahr mühselig muß er schreiten
Der müde und geduld’ge Mann.
Jedoch er hat sie allzugern,
Die ihn so unbarmherzig plagen,
Und fast zuviel läßt er sie wagen,
Die junge Brut des jungen Herrn.
Wie dann des Hauses Wirt sich freute,
Der Mann mit früh ergrautem Haar,
Nicht wich von seines Lehrers Seite,
Und rückwärts ging um dreißig Jahr;
Wie er in alter Zeiten Bann
Nur flüsternd sprach nach Schüler Weise,
Man sieht es an und lächelt leise,
Doch mit Vergnügen sieht man’s an.
Und später beim Spazierengehen
Die beiden hemmen oft den Schritt,
Nach jeder Blume muß man sehen,
Und manche Pflanze wandert mit.
Der eine ist des Amtes bar,
Nichts hat der andre zu regieren;
Sie gehn aufs neu’ botanisieren,
Der Theolog’ und sein Scholar.
Doch mit dem Abend naht das Scheiden,
Man schiebt es auf, doch kömmt’s heran,
Die Kinder wollen’s gar nicht leiden.
Am Fenster steht der Edelmann
Und spinnt noch lange, lange aus
Vielfarb’ger Bilder bunt Gezwirne;
Dann fährt er über seine Stirne,
Und atmet auf und ist zu Haus.
Samstag
Wie funkeln hell die Sterne,
Wie dunkel scheint der Grund,
Und aus des Teiches Spiegel
Steigt dort der Mond am Hügel
Grad um die elfte Stund’.
Da hebt vom Predigthefte
Der müde Pfarrer sich;
Wohl war er unverdrossen,
Und endlich ist’s geschlossen,
Mit langem Federstrich.
Nun öffnet er das Fenster,
Er trinkt den milden Duft,
Und spricht: »Wer sollt’ es sagen,
Noch Schnee vor wenig Tagen,
Und dies ist Maienluft.«
Die strahlende Rotunde
Sein ernster Blick durchspäht,
Schon will der Himmelswagen
Die Deichsel abwärts tragen.
»Ja, ja es ist schon spät!«
Und als dies Wort gesprochen,
Es fällt dem Pfarrer auf,
Als müß er eben deuten
Auf sich der ganz zerstreuten,
Arglosen Rede Lauf.
Nie schien er sich so hager,
Nie fühlt’ er sich so alt,
Als seit er heut begraben
Den langen Moritz Raben,
Den Förster dort vom Wald.
Am gleichen Tag geboren,
Getauft am gleichen Tag!
Das ist ein seltsam Wesen,
Und läßt uns deutlich lesen,
Was wohl die Zeit vermag!
Der Nacht geheimes Funkeln,
Und daß sich eben muß,
Wie Mondesstrahlen steigen,
Der frische Hügel zeigen,
Das Kreuz an seinem Fuß:
Das macht ihn ganz beklommen,
Den sehr betagten Mann,
Er sieht den Flieder schwanken,
Und längs des Hügels wanken
Die Schatten ab und an.
Wie oft sprach nicht der Tote
Nach seiner Weise kühn:
»Herr Pfarr, wir alten Knaben,
Wir müssen sachte traben,
Die Kirchhofsblumen blühn.«
»So mögen sie denn blühen!«
Spricht sanft der fromme Mann,
Er hat sich aufgerichtet,
Sein Auge, mild umlichtet,
Schaut fest den Äther an.
»Hast Du gesandt ein Zeichen
Durch meinen eignen Mund,
Und willst mich gnädig mahnen
An unser aller Ahnen,
Uralten ew’gen Bund;
Nicht lässig sollst Du finden
Den, der Dein Siegel trägt,
Doch nach dem letzten Sturme« –
Da eben summt’s vom Turme,
Und zwölf die Glocke schlägt. –
»Ja, wenn ich bin entladen
Der Woche Last und Pein,
Dann führe, Gott der Milde,
Das Werk nach Deinem Bilde
In Deinen Sonntag ein.«
Der Strandwächter am deutschen Meere und sein Neffe vom Lande
»Sieben Nächte stand ich am Riff
Und hörte die Woge zerschellen,
Taucht kein Segel, kein irres Schiff?
Schon dunkelt’s über den Wellen.
Nimm das Nachtrohr, Neffe vom Land!
Ich will in die Matte mich strecken,
Dröhnt ein Schuß oder flackert ein Brand,
Dann zieh an der Schnur, mich zu wecken.« –
»Schöner Platz, an der Luke hier,
Für einen unschuld’gen Privaten!
Drunten die See, das wüste Getier,
Das Haie speit und Piraten.
Von der Seeschlang’ wütigem Kampf
Auch hat man Neues vernommen,
Weiß der Himmel, ob nicht per Dampf
Ins deutsche Meer sie gekommen?
Ist’s doch jetzt eine Wunderzeit,
Wo Gletscher brennen wie Essen,
Weiber turnieren im Männerkleid,
Und Knaben die Rute vergessen.
Jeder Wurm entfaltet sein Licht,
Und jeder Narr seine Kappe,
Also, Seele, wundre dich nicht,
Wenn heute du stehst an der Klappe.«
»Vetter! ein Segel, ein Segel fürwahr,
Ein Boot mit flatternden Streifen,
Lichterchen dann, eine schwimmende Schar,
Die unter den Flanken ihm schweifen!
Schau, nun schleichen sie alle seitab,
Nun wechseln sie hüben und drüben –«
»’s ist eine Fischerflotte, mein Knab’,
Sind nur Leute die fischen im Trüben.« –
»Wie das Wasser kräuselt und rennt,
Und wie die Kämme ihm flittern!
Vetter, ob wohl die Düne brennt?
Ich höre das Seegras knittern.« –
»Dünste, mein Junge, nur Phosphorlicht,
Vermoderte Quallen und Schnecken,
Laß sie leuchten, sie zünden nicht,
Und morgen sind’s grünliche Flecken.« –
»Dort kein Räuber? kein Feuer hier?
Ich hätt’ es für beides genommen.
Wetter! ist doch die Welle mir
Schier über den Tubus geschwommen.
Welch ein Leben, so angerannt
Auf nackter Düne zu wohnen!
Und die schnarchenden Robben am Strand, –
Man meint es seien Kanonen!
Schläft der Alte in gutem Mut,
Und läßt mich allein mit dem Spuke,
Und mir ist als steige die Flut,
Und bäume sich gegen die Luke.
Wahrlich, Vetter, es schäumt und schwemmt,
Es brüllt um der Klippe Zinken!« –
»Ruhig, mein Junge, die Springflut kömmt,
Laß sie steigen, sie wird schon sinken.« –
»Gut dann, gut, ihr wißt es aufs best’,
Ihr müßt die Sache verstehen.
Hab’ ich doch nie solch bedenkliches Nest
Wie diese Baracke gesehen.
Und die Wolken schleifen so schwer,
Als schleppten sie Stürme in Säcken,
Jene dort, mit dem fackelnden Speer,
Scheint gar ‘ne Posaune zu strecken.
Was! sie dröhnt? welch greulicher Schall!
Die Welle bäumt sich entgegen,
Tosend und schwarz der ringelnde Wall
Will an den Trichter sich legen;
Ha, es knallt – es flattert und streut –
Wo war’s? wo ist es gewesen?
Wind und Schaum! – was hab’ ich doch heut
Von der Wasserhose gelesen?
Aber dort, – ein Segel in See,
Ist’s aus der Welle gestiegen?
Grad entgegen der sausenden Bö
Scheint’s über die Brandung zu fliegen.
Vetter, schnell von der Matte herab!
Ein Schiff gegen Winde und Wellen!« –
»Gib das Nachtrohr, Knabe, – seitab!
Ich will an die Luke mich stellen.
Gnad’ uns Gott, am Deck zerstreut,
Umhuscht von gespenstigen Lichtern,
Welche Augen, so hohl und weit,
In den fahlen verlebten Gesichtern!
Hörtest vom Geisterschiffe du nicht,
Von den westlichen Todesladern?
Modernde Larve ihr Angesicht,
Und Schwefel statt Blut in den Adern.
Mag die ehrliche deutsche See
Vom Schleim der Molluske sich röten,
Springflut brausen, zischen die Bö,
Und die Wasserhose trompeten,
Drunten, drunten ist’s klar und licht,
Wie droben die Wellen gebaren.
Mögen wir nur vor dem fremden Gezücht,
Vor dem Geisterjanhagel uns wahren!«
Das Eselein
Auf einem Wiesengrund ging einmal
Ein muntres Rößlein weiden,
Ein Schimmelchen war’s, doch etwas fahl,
Sein Äußeres nenn’ ich bescheiden,
Das schlechtste und auch das beste nicht,
Wir wollen nicht drüber zanken,
Doch hatt’ es ein klares Augenlicht
Und starke geschmeidige Flanken.
Im selbem Grunde schritt oft und viel
Ein edler Jüngling spazieren,
Hinter jedem Ohre ein Federkiel,
Das tät ihn wunderbar zieren!
Am Rücken ein Gänseflügelpaar,
Die täten rauschen und wedeln,
Und wißt, seine göttliche Gabe war,
Die schlechte Natur zu veredeln.
Den Tropfen der seiner Stirne entrann,
Den soll wie Perle man fassen,
Ach, ohne ihn hätte die Sonne man
So simpelhin scheinen lassen,
Und ohne ihn wäre der Wiesengrund
Ein nüchterner Anger geblieben,
Ein Quellchen blank, ein Hügelchen rund,
Und eine Handvoll Maßlieben!
Er aber fing in Spiegel den Strahl,
Und ließ ihn zucken wie Flammen,
Die ruppigen Gräser strich er zumal
Und flocht sie sauber zusammen,
An Steinen schleppt’ er sich krank und matt,
Für ein Ruinchen am Hügel,
Dem Hasen kämmt’ er die Wolle glatt
Und frisiert’ den Mücken die Flügel.
So hat er mit saurem Schweiß und Müh’
Das ganz Gemeine verbessert,
Und klareres Wasser fand man nie,
Als wo er schaufelt’ und wässert’,
Und wie’s nun aller Edlen Manier,
Sich mild und nobel zu zeigen,
So, sei’s Gestein, Mensch, oder Tier,
Er gab ihm von seinem Eigen.
Einst saß er mit seinem Werkgerät,
Mit Schere, Pinsel und Flasche,
In der eine schwärzliche Lymphe steht,
Mit Spiegel, Feder und Tasche;
Er saß und lauschte wie in der Näh
Mein Schimmelchen galoppieret;
Auf dem Finger pfiff er: »Pst, Pferdchen, he!«
Und wacker kam es trottieret.
Dann sprach der Edle: »Du wärst schon gut,
‘ne passable Rosinante,
Nähm’ ich dich ernstlich in meine Hut,
Daß ich den Koller dir bannte;
Ein leiser Traber – ein schmuckes Tier –
Ein unermüdeter Wandrer!
Kurz, wenig wüßt’ ich zu rügen an dir,
Wärst du nur völlig ein andrer.
Drum sei verständig, trab’ heran,
Und laß mich ruhig gewähren,
Und sollt’s dich kneipen, nicht zuck mir dann,
Du weißt, oft zwicken die Scheren.«
Mein Schimmelchen stutzt, es setzt seitab,
Ein paarmal rennt es in Kreisen,
Dann sachte trabt es den Anger hinab,
Dann stand es still vor dem Weisen.
Der sprach: »Dein Ohr – ein armer Stumpf!
Armselig bist du geboren!
Kommandowort und der Siegstriumph,
Das geht dir alles verloren.«
Drauf rüstig setzt er die Zangen an,
Und zerrt’ und dehnte an beiden;
Mein Schimmelchen ächzt, und dachte dann:
»O wehe, Hoffart muß leiden!«
»Auch deine Farbe – erbärmlich schlecht!
Nicht blank und dennoch zu lichte,
Nicht für die romantische Dämmrung recht
Und nicht für die klare Geschichte.«
Drauf emsig langt’ er den Pinsel her,
Und mischte Schwarz zu dem Weißen;
Mein Schimmelchen zuckt, es juckt ihn sehr,
Doch dacht’ es: »Wie werd’ ich gleißen!«
»Und gar dein Schweif – unseliges Vieh!
Der flattert und schlenkert wie Segel,
Ich wette, du meinst dich ein Kraftgenie,
Und scheinst doch andern ein Flegel.«
Drauf mit der Schere, Gang an Gang,
Beginnt er hurtig zu zwicken,
Hinauf, hinunter die Wurzel entlang,
Von der Kuppe bis an den Rücken.
Dann spricht er freudig: »Mein schmuckes Tier,
Mein Zelter edel wie keiner!«
Und eilends lang er den Spiegel herfür:
»Nun sieh, und freue dich deiner!
Nun bist ein Paraderößlein, baß
Wie eines von Münster bis Wesel.«
Der Schimmel blinzt, und schaut ins Glas, –
O Himmel, da war er ein Esel!
Die beste Politik
Von allem was zu Leid und Frommen
Bisher das Leben mir gebracht,
Ist manches unverhofft gekommen,
Und manches hatt’ ich überdacht;
Doch seltsam! wo ich schlau und fein
Mich abgesorgt zu grauen Haaren,
Da bin ich meistens abgefahren,
Und Unverhofftes schlug mir ein.
Ein jeder kömmt doch gern zu Brode,
Doch blieben mir die Gönner kalt,
Tat ich gleich klein wie eine Lode
Gen einen mächt’gen Eichenwald;
Und nur der ärmliche Student,
Bei dem ich manche Nacht verwachte,
Als Mangel ihn aufs Lager brachte,
Der dachte mein als Präsident.
Den Frauen will man auch gefallen,
– Zumal sieht man nicht übel aus, –
In die Salons sah man mich wallen,
Verschmitzt hinein, verdutzt heraus;
Und nur die täglich recht und schlicht
Mich wandeln sah im eignen Hause,
Die trug in meine kleine Klause
Des Lebens süßestes Gedicht.
Auch Ruhm ist gar ein scharfer Köder,
Ich habe manchen Tag verschwitzt,
Verschnitzelt hab’ ich manche Feder,
Und bin doch schmählich abgeblitzt;
Und nur als ich, entmutigt ganz,
Gedanken flattern ließ wie Flocken,
Da plötzlich fiel auf meine Locken
Ein junger frischer Lorbeerkranz.
So hab’ aus allem ich gezogen
Das treue Fazit mir zuletzt,
Daß dem das Glück zumeist gewogen,
Der es am mindesten gehetzt;
Und daß, wo Wirken ein Geschick
Nach eigner Willkür kann bereiten,
Nur Offenheit zu allen Zeiten
Die allerbeste Politik.
Balladen
Der Graf von Thal
1.
Das war der Graf von Thal,
So ritt an der Felsenwand;
Das war sein ehlich Gemahl,
Die hinter dem Steine stand.
Sie schaut’ im Sonnenstrahl
Hinunter den linden Hang,
»Wo bleibt der Graf von Thal?
Ich hört’ ihn doch reiten entlang!
Ob das ein Hufschlag ist?
Vielleicht ein Hufschlag fern?
Ich weiß doch wohl ohne List,
Ich hab’ gehört meinen Herrn!«
Sie bog zurück den Zweig.
»Bin blind ich oder auch taub?«
Sie blinzelt’ in das Gesträuch,
Und horcht’ auf das rauschende Laub.
Öd war’s, im Hohlweg leer,
Einsam im rispelnden Wald;
Doch überm Weiher, am Wehr,
Da fand sie den Grafen bald.
In seinen Schatten sie trat.
Er und seine Gesellen,
Die flüstern und halten Rat,
Viel lauter rieseln die Wellen.
Sie starrten über das Land,
Genau sie spähten, genau,
Sahn jedes Zweiglein am Strand,
Doch nicht am Wehre die Frau.
Zur Erde blickte der Graf,
So sprach der Graf von Thal:
»Seit dreizehn Jahren den Schlaf
Rachlose Schmach mir stahl.
War das ein Seufzer lind?
Gesellen, wer hat’s gehört?«
Sprach Kurt: »Es ist nur der Wind,
Der über das Schilfblatt fährt.« –
»So schwör’ ich beim höchsten Gut,
Und wär’s mein ehlich Weib,
Und wär’s meines Bruders Blut,
Viel minder mein eigner Leib:
Nichts soll mir wenden den Sinn,
Daß ich die Rache ihm spar’;
Der Freche soll werden inn’,
Zins tragen auch dreizehn Jahr’.
Bei Gott! das war ein Gestöhn!«
Sie schossen die Blicke in Hast.
Sprach Kurt: »Es ist der Föhn,
Der macht seufzen den Tannenast.« –
»Und ist sein Aug’ auch blind,
Und ist sein Haar auch grau,
Und mein Weib seiner Schwester Kind –«
Hier tat einen Schrei die Frau.
Wie Wetterfahnen schnell
Die dreie wendeten sich.
»Zurück, zurück, mein Gesell’!
Dieses Weibes Richter bin ich.
Hast du gelauscht, Allgund?
Du schweigst, du blickst zur Erd’?
Das bringt dir bittre Stund’!
Allgund, was hast du gehört?« –
»Ich lausch’ deines Rosses Klang,
Ich späh’ deiner Augen Schein,
So kam ich hinab den Hang.
Nun tue was not mag sein.« –
»O Frau!« sprach Jakob Port,
»Da habt ihr schlimmes Spiel!
Grad’ sprach der Herr ein Wort,
Das sich vermaß gar viel.«
Sprach Kurt: »Ich sag’ es rund,
Viel lieber den Wolf im Stall,
Als eines Weibes Mund
Zum Hüter in solchem Fall.«
Da sah der Graf sie an,
Zu einem und zu zwein;
Drauf sprach zur Fraue der Mann:
»Wohl weiß ich, du bist mein.
Als du gefangen lagst
Um mich ein ganzes Jahr,
Und keine Silbe sprachst:
Da ward deine Treu’ mir klar.
So schwöre mir denn sogleich:
Sei’s wenig oder auch viel,
Was du vernahmst am Teich,
Dir sei’s wie Rauch und Spiel.
Als seie nichts geschehn,
So muß ich völlig meinen;
Darf dich nicht weinen sehn,
Darfst mir nicht bleich erscheinen.
Denk nach, denk nach, Allgund!
Was zu verheißen not.
Die Wahrheit spricht dein Mund,
Ich weiß, und brächt’ es Tod.«
Und konnte sie sich besinnen,
Verheißen hätte sie’s nie;
So war sie halb von Sinnen,
Sie schwur, und wußte nicht wie.
2.
Und als das Morgengrau
In die Kemnate sich stahl:
Da hatte die werte Frau
Geseufzt schon manches Mal;
Manch Mal gerungen die Hand,
Ganz heimlich wie ein Dieb;
Rot war ihrer Augen Rand,
Todblaß ihr Antlitz lieb.
Drei Tage kredenzt’ sie den Wein,
Und saß beim Mahle drei Tag’,
Drei Nächte in steter Pein
In der Waldkapelle sie lag.
Wenn er die Wacht besorgt,
Der Torwart sieht sie gehn,
Im Walde steht und horcht
Der Wilddieb dem Gestöhn.
Am vierten Abend sie saß
An ihres Herren Seit’,
Sie dreht’ die Spindel, er las,
Dann sahn sie auf, alle beid’.
»Allgund, bleich ist dein Mund!«
»Herr, ‘s macht der Lampe Schein.«
»Deine Augen sind rot, Allgund!«
»’s drang Rauch vom Herde hinein.
Auch macht mir’s schlimmen Mut,
Daß heut vor fünfzehn Jahren
Ich sah meines Vaters Blut;
Gott mag die Seele wahren!
Lang ruht die Mutter im Dom,
Sind wen’ge mir verwandt,
Ein’ Muhm’ noch und ein Ohm:
Sonst ist mir keins bekannt.«
Starr sah der Graf sie an:
»Es steht dem Weibe fest,
Daß um den ehlichen Mann
Sie Ohm und Vater läßt.«
»Ja, Herr! so muß es sein.
Ich gäb’ um Euch die zweie,
Und mich noch obendrein,
Wenn’s sein müßt’, ohne Reue.
Doch daß nun dieser Tag
Nicht gleich den andern sei,
Lest, wenn ich bitten mag,
Ein Sprüchlein oder zwei.«
Und als die Fraue klar
Darauf das heil’ge Buch
Bot ihrem Gatten dar,
Es auf von selber schlug.
Mit einem Blicke er maß
Der nächsten Sprüche einen;
»Mein ist die Rach’«, er las;
Das will ihm seltsam scheinen.
Doch wie so fest der Mann
Auf Frau und Bibel blickt,
Die saß so still und spann,
Dort war kein Blatt geknickt.
Um ihren schönen Leib
Den Arm er düster schlang:
»So nimm die Laute, Weib,
Sing mir einen lust’gen Sang!«
»O Herr! mag’s Euch behagen,
Ich sing’ ein Liedlein wert,
Das erst vor wenig Tagen
Mich ein Minstrel gelehrt.
Der kam so matt und bleich,
Wollt’ nur ein wenig ruhn,
Und sprach, im oberen Reich
Sing’ man nichts anderes nun.«
Drauf, wie ein Schrei verhallt,
Es durch die Kammer klingt,
Als ihre Finger kalt
Sie an die Saiten bringt.
»Johann! Johann! was dachtest du
An jenem Tag,
Als du erschlugst deine eigne Ruh’
Mit einem Schlag?
Verderbtest auch mit dir zugleich
Deine drei Gesellen;
O, sieh nun ihre Glieder bleich
Am Monde schwellen!
Weh dir, was dachtest du Johann
Zu jener Stund’?
Nun läuft von dir verlornem Mann
Durchs Reich die Kund’!
Ob dich verbergen mag der Wald,
Dich wird’s ereilen;
Horch nur, die Vögel singen’s bald,
Die Wölf’ es heulen!
O weh! das hast du nicht gedacht,
Johann! Johann!
Als du die Rache wahr gemacht
Am alten Mann.
Und wehe! nimmer wird der Fluch
Mit dir begraben,
Dir, der den Ohm und Herrn erschlug,
Johann von Schwaben!«
Aufrecht die Fraue bleich
Vor ihrem Gatten stand,
Der nimmt die Laute gleich,
Er schlägt sie an die Wand.
Und als der Schall verklang,
Da hört man noch zuletzt,
Wie er die Hall’ entlang
Den zorn’gen Fußtritt setzt.
3.
Von heut am siebenten Tag
Das war eine schwere Stund’,
Als am Balkone lag
Auf ihren Knien Allgund.
Laut waren des Herzens Schläge:
»O Herr! erbarme dich mein,
Und bracht’ ich Böses zuwege,
Mein sei die Buß’ allein.«
Dann beugt sie tief hinab,
Sie horcht und horcht und lauscht:
Vom Wehre tost es herab,
Vom Forste drunten es rauscht.
War das ein Fußtritt? nein!
Der Hirsch setzt über die Kluft.
Sollt’ ein Signal das sein?
Doch nein, der Auerhahn ruft.
»O mein Erlöser, mein Hort!
Ich bin mit Sünde beschwert,
Sei gnädig und nimm mich fort,
Eh heim mein Gatte gekehrt.
Ach, wen der Böse umgarnt,
Dem alle Kraft er bricht!
Doch hab’ ich ja nur gewarnt,
Verraten, verraten ja nicht!
Weh! das sind Rossestritte.«
Sie sah sie fliegen durchs Tal
Mit wildem grimmigen Ritte,
Sie sah auch ihren Gemahl.
Sie sah ihn dräuen, genau,
Sie sah ihn ballen die Hand:
Da sanken die Knie der Frau,
Da rollte sie über den Rand.
Und als zum Schlimmen entschlossen
Der Graf sprengt’ in das Tor,
Kam Blut entgegen geflossen,
Drang unterm Gitter hervor.
Und als er die Hände sah falten
Sein Weib in letzter Not,
Da konnt’ er den Zorn nicht halten,
Bleich ward sein Gesicht so rot.
»Weib, das den Tod sich erkor!« –
»’s war nicht mein Wille« sie sprach,
Noch eben bracht’ sie’s hervor.
»Weib, das seine Schwüre brach!«
Wie Abendlüfte verwehen
Noch einmal haucht sie ihn an:
»Es mußt’ eine Sünde geschehen –
Ich hab’ sie für dich getan!«
Der Tod des Erzbischofs Engelbert von Köln
1.
Der Anger dampft, es kocht die Ruhr,
Im scharfen Ost die Halme pfeifen,
Da trabt es sachte durch die Flur,
Da taucht es auf wie Nebelstreifen,
Da nieder rauscht es in den Fluß,
Und stemmend gen der Wellen Guß
Es fliegt der Bug, die Hufe greifen.
Ein Schnauben noch, ein Satz, und frei
Das Roß schwingt seine nassen Flanken,
Und wieder eins, und wieder zwei,
Bis fünfundzwanzig stehn wie Schranken:
Voran, voran durch Heid und Wald,
Und wo sich wüst das Dickicht ballt,
Da brechen knisternd sie die Ranken.
Am Eichenstamm, im Überwind,
Um einen Ast den Arm geschlungen,
Der Isenburger steht und sinnt
Und naget an Erinnerungen.
Ob er vernimmt, was durchs Gezweig
Ihm Rinkerad, der Ritter bleich,
Raunt leise wie mit Vögelzungen?
»Graf«, flüstert es, »Graf haltet dicht,
Mich dünkt, als woll’ es Euch betören;
Bei Christi Blute, laßt uns nicht
Heim wie gepeitschte Hunde kehren!
Wer hat gefesselt Eure Hand,
Den freien Stegreif Euch verrannt?«
Der Isenburg scheint nicht zu hören.
»Graf«, flüstert es, »wer war der Mann,
Dem zu dem Kreuz die Rose1 paßte?
Wer machte Euren Schwäher dann
In seinem eignen Land zum Gaste?
Und, Graf, wer höhnte Euer Recht,
Wer stempelt’ Euch zum Pfaffenknecht?« –
Der Isenburg biegt an dem Aste.
»Und wer, wer hat Euch zuerkannt,
Im härnen Sünderhemd zu stehen,
Die Schandekerz’ in Eurer Hand,
Und alte Vetteln anzuflehen
Um Kyrie und Litanei!?« –
Da krachend bricht der Ast entzwei
Und wirbelt in des Sturmes Wehen.
Spricht Isenburg: »Mein guter Fant,
Und meinst du denn ich sei begraben?
O laß mich nur in meiner Hand –
Doch ruhig, still, ich höre traben!«
Sie stehen lauschend, vorgebeugt;
Durch das Gezweig der Helmbusch steigt
Und flattert drüber gleich dem Raben.
2.
Wie dämmerschaurig ist der Wald
An neblichten Novembertagen,
Wie wunderlich die Wildnis hallt
Von Astgestöhn und Windesklagen!
»Horch, Knabe, war das Waffenklang?« –
»Nein, gnäd’ger Herr! ein Vogelsang,
Von Sturmesflügeln hergetragen.« –
Fort trabt der mächtige Prälat,
Der kühne Erzbischof von Köllen,
Er, den der Kaiser sich zum Rat
Und Reichsverweser mochte stellen,
Die ehrne Hand der Klerisei, –
Zwei Edelknaben, Reis’ger zwei,
Und noch drei Äbte als Gesellen.
Gelassen trabt er fort, im Traum
Von eines Wunderdomes Schöne,
Auf seines Rosses Hals den Zaum,
Er streicht ihm sanft die dichte Mähne,
Die Windesodem senkt und schwellt; –
Es schaudert, wenn ein Tropfen fällt
Von Ast und Laub, des Nebels Träne.
Schon schwindelnd steigt das Kirchenschiff,
Schon bilden sich die krausen Zacken –
Da, horch, ein Pfiff und hui, ein Griff,
Ein Helmbusch hier, ein Arm im Nacken!
Wie Schwarzwildrudel bricht’s heran,
Die Äbte fliehn wie Spreu, und dann
Mit Reisigen sich Reis’ge packen.
Ha, schnöder Strauß! zwei gegen zehn!
Doch hat der Fürst sich losgerungen,
Er peitscht sein Tier und mit Gestöhn
Hat’s übern Hohlweg sich geschwungen;
Die Gerte pfeift – »Weh, Rinkerad!« –
Vom Rosse gleitet der Prälat
Und ist ins Dickicht dann gedrungen.
»Hussah, hussah, erschlagt den Hund,
Den stolzen Hund!« und eine Meute
Fährt’s in den Wald, es schließt ein Rund,
Dann vor- und rückwärts und zur Seite;
Die Zweige krachen – ha es naht –
Am Buchenstamm steht der Prälat
Wie ein gestellter Eber heute.
Er blickt verzweifelnd auf sein Schwert,
Er löst die kurze breite Klinge,
Dann prüfend untern Mantel fährt
Die Linke nach dem Panzerringe;
Und nun wohlan, er ist bereit,
Ja männlich focht der Priester heut,
Sein Streich war eine Flammenschwinge.
Das schwirrt und klingelt durch den Wald,
Die Blätter stäuben von den Eichen,
Und über Arm und Schädel bald
Blutrote Rinnen tröpfeln, schleichen;
Entwaffnet der Prälat noch ringt,
Der starke Mann, da zischend dringt
Ein falscher Dolch ihm in die Weichen.
Ruft Isenburg: »Es ist genug,
Es ist zuviel!« und greife die Zügel;
Noch sah er wie ein Knecht ihn schlug,
Und riß den Wicht am Haar vom Bügel.
»Es ist zuviel, hinweg, geschwind!«
Fort sind sie, und ein Wirbelwind
Fegt ihnen nach wie Eulenflügel. – –
Des Sturmes Odem ist verrauscht,
Die Tropfen glänzen an dem Laube,
Und über Blutes Lachen lauscht
Aus hohem Loch des Spechtes Haube;
Was knistert nieder von der Höh’
Und schleppt sich wie ein krankes Reh?
Ach armer Knabe, wunde Taube!
»Mein gnädiger, mein lieber Herr,
So mußten dich die Mörder packen?
Mein frommer, o mein Heiliger!«
Das Tüchlein zerrt er sich vom Nacken,
Er drückt es auf die Wunde dort,
Und hier und drüben, immerfort,
Ach, Wund’ an Wund’ und blut’ge Zacken!
»Ho, holla ho!« – dann beugt er sich
Und späht, ob noch der Odem rege;
War’s nicht als wenn ein Seufzer schlich,
Als wenn ein Finger sich bewege? –
»Ho, holla ho!« – »Hallo, hoho!«
Schallt’s wieder um, des war er froh:
»Sind unsre Reuter allewege!«
3.
Zu Köln am Rheine kniet ein Weib
Am Rabensteine unterm Rade,
Und überm Rade liegt ein Leib,
An dem sich weiden Kräh’ und Made;
Zerbrochen ist sein Wappenschild,
Mit Trümmern seine Burg gefüllt,
Die Seele steht bei Gottes Gnade.
Den Leib des Fürsten hüllt der Rauch
Von Ampeln und von Weihrauchschwelen –
Um seinen qualmt der Moderhauch
Und Hagel peitscht der Rippen Höhlen;
Im Dome steigt ein Trauerchor,
Und ein Tedeum stieg empor
Bei seiner Qual aus tausend Kehlen.
Und wenn das Rad der Bürger sieht,
Dann läßt er rasch sein Rößlein traben,
Doch eine bleiche Frau die kniet,
Und scheucht mit ihrem Tuch die Raben:
Um sie mied er die Schlinge nicht,
Er war ihr Held, er war ihr Licht –
Und ach, der Vater ihrer Knaben!
Fußnoten
1 Zu (dem Kreuz) Köln die Rose (das Wappen von) Berg, dessen Besitz Engelbert dem Bruder von Isenburgs Gemahlin vorenthielt.
Das Fegefeuer des westfälischen Adels
Wo der selige Himmel, das wissen wir nicht,
Und nicht, wo der greuliche Höllenschlund,
Ob auch die Wolke zittert im Licht,
Ob siedet und qualmet Vulkanes Mund;
Doch wo die westfälischen Edeln müssen
Sich sauber brennen ihr rostig Gewissen,
Das wissen wir alle, das ward uns kund.
Grau war die Nacht, nicht öde und schwer,
Ein Aschenschleier hing in der Luft;
Der Wanderbursche schritt flink einher,
Mit Wollust saugend den Heimatduft;
O bald, bald wird er schauen sein Eigen,
Schon sieht am Lutterberge er steigen
Sich leise schattend die schwarze Kluft.
Er richtet sich, wie Trompetenstoß
Ein Holla ho! seiner Brust entsteigt –
Was ihm im Nacken? ein schnaubend Roß,
An seiner Schulter es rasselt, keucht,
Ein Rappe – grünliche Funken irren
Über die Flanken, die knistern und knirren,
Wie wenn man den murrenden Kater streicht.
»Jesus Maria!« – er setzt seitab,
Da langt vom Sattel es überzwerch –
Ein eherner Griff, und in wüstem Trab
Wie Wind und Wirbel zum Lutterberg!
An seinem Ohre hört er es raunen
Dumpf und hohl, wie gedämpfte Posaunen,
So an ihm raunt der gespenstige Scherg’:
»Johannes Deweth! ich kenne dich!
Johann! du bist uns verfallen heut’!
Bei deinem Heile, nicht lach noch sprich,
Und rühre nicht an was man dir beut;
Vom Brode nur magst du brechen in Frieden,
Ewiges Heil ward dem Brode beschieden,
Als Christus in froner Nacht es geweiht!« –
Ob mehr gesprochen, man weiß es nicht,
Da seine Sinne der Bursche verlor,
Und spät erst hebt er sein bleiches Gesicht
Vom Estrich einer Halle empor;
Um ihn Gesumme, Geschwirr, Gemunkel,
Von tausend Flämmchen ein mattes Gefunkel,
Und drüber schwimmend ein Nebelflor.
Er reibt die Augen, er schwankt voran,
An hundert Tischen, die Halle entlang,
All edle Geschlechter, so Mann an Mann;
Es rühren die Gläser sich sonder Klang,
Es regen die Messer sich sonder Klirren,
Wechselnde Reden summen und schwirren,
Wie Glockengeläut, ein wirrer Gesang.
Ob jedem Haupte des Wappens Glast,
Das langsam schwellende Tropfen speit,
Und wenn sie fallen, dann zuckt der Gast,
Und drängt sich einen Moment zur Seit’;
Und lauter, lauter dann wird das Rauschen,
Wie Stürme die zornigen Seufzer tauschen,
Und wirrer summet das Glockengeläut.
Strack steht Johann wie ein Lanzenknecht,
Nicht möchte der gleißenden Wand er traun,
Noch wäre der glimmernde Sitz ihm recht,
Wo rutschen die Knappen mit zuckenden Braun.
Da muß, o Himmel, wer sollt’ es denken!
Den frommen Herrn, den Friedrich von Brenken,
Den alten stattlichen Ritter er schaun.
»Mein Heiland, mach’ ihn der Sünden bar!«
Der Jüngling seufzet in schwerem Leid;
Er hat ihm gedienet ein ganzes Jahr;
Doch ungern kredenzt er den Becher ihm heut!
Bei jedem Schlucke sieht er ihn schüttern,
Ein blaues Wölkchen dem Schlund entzittern,
Wie wenn auf Kohlen man Weihrauch streut.
O manche Gestalt noch dämmert ihm auf,
Dort sitzt sein Pate, der Metternich,
Und eben durch den wimmelnden Hauf
Johann von Spiegel, der Schenke, strich;
Prälaten auch, je viere und viere,
Sie blättern und rispeln im grauen Breviere,
Und zuckend krümmen die Finger sich.
Und unten im Saale, da knöcheln frisch
Schaumburger Grafen um Leut’ und Land,
Graf Simon schüttelt den Becher risch,
Und reibt mitunter die knisternde Hand;
Ein Knappe nähet, er surret leise –
Ha, welches Gesumse im weiten Kreise,
Wie hundert Schwärme an Klippenrand!
»Geschwind den Sessel, den Humpen wert,
Den schleichenden Wolf1 geschwinde herbei!«
Horch, wie es draußen rasselt und fährt!
Barhaupt stehet die Massonei,
Hundert Lanzen drängen nach binnen,
Hundert Lanzen und mitten darinnen
Der Asseburger, der blutige Weih!
Und als ihm alles entgegenzieht,
Da spricht Johannes ein Stoßgebet:
Dann risch hinein! sein Ärmel sprüht,
Ein Funken über die Finger ihm geht.
Voran – da »sieben« schwirren die Lüfte
»Sieben, sieben, sieben,« die Klüfte,
»In sieben Wochen, Johann Deweth!«
Der sinkt auf schwellenden Rasen hin,
Und schüttelt gegen den Mond die Hand,
Drei Finger die bröckeln und stäuben hin,
Zu Asch’ und Knöchelchen abgebrannt.
Er raffe sich auf, er rennt, er schießet,
Und ach, die Vaterklause begrüßet
Ein grauer Mann, von keinem gekannt,
Der nimmer lächelt, nur des Gebets
Mag pflegen drüben im Klosterchor,
Denn »sieben, sieben«, flüstert es stets,
Und »sieben Wochen« ihm in das Ohr.
Und als die siebente Woche verronnen,
Da ist er versiegt wie ein dürrer Bronnen,
Gott hebe die arme Seele empor!
Fußnoten
1 Der schleichende Wolf ist das Wappen der Familie Asseburg.
Die Stiftung Cappenbergs
Der Mond mit seinem blassen Finger
Langt leise durch den Mauerspalt,
Und koset, streifend längs dem Zwinger,
Norbertus’ Stirne feucht und kalt.
Der lehnt an bröckelndem Gestein,
Salpeterflocken seine Daunen,
An seinem Ohre Heimchen raunen,
Und wimmelnd rennt das Tausendbein.
Und überm Haupte fühlt er’s beben,
Da geht es hoch, da zecht es frisch,
In Pulsen schäumend pocht das Leben,
Die Humpen tanzen auf dem Tisch.
Der Graf von Arnsberg gibt ein Fest,
Dem Schwiegersohn der graue Schwäher;
So mehr er trinkt so wird er zäher,
So wirrer steht sein Lockennest.
Gern hat sein Kind er dem Dynasten,
Dem reichen Cappenberg vertraut,
Nun trägt sein Anker Doppellasten!
Und seinen Feinden hat’s gegraut.
Da kömmt auf seinem Eselein
Norbert, und macht den Sohn zum Pfaffen;
Allein er wußte Rat zu schaffen,
Er pferchte den Apostel ein.
Wie, keine Enkel soll er wiegen?
Soll in des Eidams Hora gehn,
Und sehn sein Kind am Boden liegen
Und Paternosterkugeln drehn?
Nein, heute ist der Tag wo muß,
Wo wird die Sache sich erled’gen,
Und sollt’ er mit dem Schwerte pred’gen,
Ein umgekehrter Carolus.
Und »Gottfried«, spricht er, »Junge, Ritter,
So sieh doch einmal in die Höh’!
Du schaust ja in den Wein so bitter
Wie Requiem und Kyrie.
Was spinnst du an dem alten Werg?
Laß die Kapuze grauen Sündern,
Und deine Burg die laß den Kindern,
Dein schönes festes Cappenberg!«
Und drunten in dem feuchten Turme
Der Heil’ge flüstert: »Großer Gott,
Allgegenwärt’ger du im Wurme
Als in der Krone blankem Spott,
Wie größer deine Allmacht zeigt
Sein Füßchen, das lebendig zittert,
Als eine Mauer die verwittert,
Und ob ein Babel drüber steigt!«
»Ja« spricht der Graf, den Humpen schwenkend:
»Wär Norbert hier, dein Eselmann,
Ich ließ ihm füllen, dein gedenkend,
Und trinken möcht’ er was er kann;
Doch da ihm Pech und Schwefel glüht,
Was andern Schächern mild und süße,
So bleibt er besser im Verließe,
Ein wohlkasteiter Eremit.«
Und drunten spricht’s mit mildem Tone:
»Du der, des Himmels höchste Zier,
Gezogen bist zur Dornenkrone
Auf einem still demüt’gen Tier,
Du, der des Mondes Lieblichkeit
In meinen Kerker ließest rinnen,
Gezähmt mir die vertrauten Spinnen,
Du, Milder, seist gebenedeit!«
Und Gottfried, kämpfend mit den Tränen,
Ergreift den Humpen, noch gefüllt,
Vor seinem Ohr ein leises Stöhnen,
Vor seinem Aug’ ein bleiches Bild.
O, dringen möcht’ er durch den Stein,
Wo seine sünd’gen Füße stehen,
O, einmal, einmal möcht’ er sehen
Durch Lichterglanz den Heil’genschein!
»Ha!« zürnt der Graf, »was ließ ich schenken
Dir meinen allerbesten Wein!
Eh möcht’ ich einen Schädel tränken,
Ja, oder einen Leichenstein.
Gottfried, Gottfried, ich schwör es dir,
So wahr ich Friedrich« – seht ihn stocken,
Vor seinem Auge schwimmen Flocken,
Er hebt sich auf, er schwankt zur Tür,
Und plötzlich auf den Estrich nieder
Taumelt er wie ein wundes Roß,
Es zucken, strecken sich die Glieder.
Welch ein Getümmel in dem Schloß!
»Krank« dieser, »tot« spricht jener Mund,
Ja wahrlich, das ist Todes Miene,
Und eine mächtige Ruine
Liegt Friedrich auf dem eignen Grund.
Die Humpen sind in Hast zertrümmert,
Burgunderblut fließt übern Stein,
Die Lampen mählich sind verkümmert,
Wie Erdenlust sie qualmten ein.
Doch drüben, in des Klosters Hut,
Entflammte man die ew’ge Leuchte,
Und knieend alles Volk sich beugte
Dem reinen Wein, der Christi Blut.
Der Fundator
Im Westen schwimmt ein falber Strich,
Der Abendstern entzündet sich
Grad’ überm Sankt Georg am Tore;
Schwer haucht der Dunst vom nahen Moore.
Schlaftrunkne Schwäne kreisen sacht
Ums Eiland, wo die graue Wacht
Sich hebt aus Wasserbins’ und Rohre.
Auf ihrem Dach die Fledermaus,
Sie schaukelt sich, sie breitet aus
Den Rippenschirm des Schwingenflosses,
Und, mit dem Schwirren des Geschosses,
Entlang den Teich, hinauf, hinab,
Dann klammert sie am Fensterstab,
Und blinzt in das Gemach des Schlosses.
Ein weit Gelaß, im Sammetstaat!
Wo einst der mächtige Prälat
Des Hauses Chronik hat geschrieben.
Frisch ist der Baldachin geblieben,
Der güldne Tisch, an dem er saß,
Und seine Seelenmesse las
Man heut in der Kapelle drüben.
Heut sind es grade hundert Jahr,
Seit er gelegen auf der Bahr’
Mit seinem Kreuz und Silberstabe.
Die ew’ge Lamp’ an seinem Grabe
Hat heute hundert Jahr gebrannt.
In seinem Sessel an der Wand
Sitzt heut ein schlichter alter Knabe.
Des Hauses Diener, Sigismund,
Harrt hier der Herrschaft, Stund’ auf Stund’:
Schon kam die Nacht mit ihren Flören,
Oft glaubt die Kutsche er zu hören,
Ihr Quitschern in des Weges Kies,
Er richtet sich – doch nein – es blies
Der Abendwind nur durch die Föhren.
‘s ist eine Dämmernacht, genau
Gemacht für Alp und weiße Frau.
Dem Junkerlein ward es zu lange,
Dort schläft es hinterm Damasthange.
Die Chronik hält der Alte noch,
Und blättert fort im Finstern, doch
Im Ohre summt es gleich Gesange:
»So hab’ ich dieses Schloß erbaut,
Ihm mein Erworbnes anvertraut,
Zu des Geschlechtes Nutz und Walten;
Ein neuer Stamm sprießt aus dem alten,
Gott segne ihn! Gott mach’ ihn groß! –«
Der Alte horcht, das Buch vom Schoß
Schiebt sacht er in der Lade Spalten:
Nein – durch das Fenster ein und aus
Zog schrillend nur die Fledermaus;
Nun schießt sie fort. – Der Alte lehnet
Am Simse. Wie der Teich sich dehnet
Ums Eiland, wo der Warte Rund,
Sich tief schattiert im matten Grund.
Das Röhricht knirrt, die Unke stöhnet.
Dort, denkt der Greis, dort hat gewacht
Der alte Kirchenfürst, wenn Nacht
Sich auf den Weiher hat ergossen.
Dort hat den Reiher er geschossen,
Und zugeschaut des Schlosses Bau,
Sein weiß Habit, sein Auge grau,
Lugt’ drüben an den Fenstersprossen.
Wie scheint der Mond so kümmerlich!
– Er birgt wohl hinterm Tanne sich –
Schaut nicht der Turm wie ‘ne Laterne,
Verhauchend, dunstig, aus der Ferne!
Wie steigt der blaue Duft im Rohr,
Und rollt sich am Gesims empor!
Wie seltsam blinken heut die Sterne!
Doch ha! – er blinzt, er spannt das Aug’,
Denn dicht und dichter schwillt der Rauch,
Als ob ein Docht sich langsam fache,
Entzündet sich im Turmgemache
Wie Mondenschein ein graues Licht,
Und dennoch – dennoch – las er nicht,
Nicht Neumond heut im Almanache? –
Was ist das? deutlich, nur getrübt
Vom Dunst der hin und wieder schiebt,
Ein Tisch, ein Licht, in Turmes Mitten,
Und nun, – nun kömmt es hergeschritten,
Ganz wie ein Schatten an der Wand,
Es hebt den Arm, es regt die Hand, –
Nun ist es an den Tisch geglitten.
Und nieder sitzt es, langsam, steif,
Was in der Hand? – ein weißer Streif! –
Nun zieht es etwas aus der Scheiden
Und fingert mit den Händen beiden,
Ein Ding, – ein Stäbchen ungefähr, –
Dran fährt es langsam hin und her,
Es scheint die Feder anzuschneiden.
Der Diener blinzt und blinzt hinaus:
Der Schemen schwankt und bleichet aus,
Noch sieht er es die Feder tunken,
Da drüber gleitet es wie Funken,
Und in demselbigen Moment
Ist alles in das Element
Der spurlos finstern Nacht versunken.
Noch immer steht der Sigismund,
Noch starrt er nach der Warte Rund,
Ihn dünkt, des Weihers Flächen rauschen,
Weit beugt er übern Sims, zu lauschen;
Ein Ruder! – nein, die Schwäne ziehn!
Grad hört er längs dem Ufergrün
Sie sacht ihr tiefes Schnarchen tauschen.
Er schließt das Fenster. – »Licht, o Licht!« –
Doch mag das Junkerlein er nicht
So plötzlich aus dem Schlafe fassen,
Noch minder es im Saale lassen.
Sacht schiebt er sich dem Sessel ein,
Zieht sein korallnes Nösterlein,
– Was klingelt drüben an den Tassen? –
Nein – eine Fliege schnurrt im Glas!
Dem Alten wird die Stirne naß;
Die Möbeln stehn wie Totenmale,
Es regt und rüttelt sich im Saale,
Allmählich weicht die Tür zurück,
Und in demselben Augenblick
Schlägt an die Dogge im Portale.
Der Alte drückt sich dicht zuhauf,
Er lauscht mit Doppelsinnen auf,
– Ja! am Parkett ein leises Streichen,
Wie Wiesel nach der Stiege schleichen –
Und immer härter, Tapp an Tapp,
Wie mit Sandalen, auf und ab,
Es kömmt – es naht – er hört es keuchen; –
Sein Sessel knackt! – ihm schwimmt das Hirn –
Ein Odem, dicht an seiner Stirn!
Da fährt er auf und wild zurücke,
Errafft das Kind mit blindem Glücke
Und stürzt den Korridor entlang.
O, Gott sei Dank! ein Licht im Gang,
Die Kutsche rasselt auf die Brücke!
Vorgeschichte (Second sight)
Kennst du die Blassen im Heideland,
Mit blonden flächsenen Haaren?
Mit Augen so klar wie an Weihers Rand
Die Blitze der Welle fahren?
O sprich ein Gebet, inbrünstig, echt,
Für die Seher der Nacht, das gequälte Geschlecht.
So klar die Lüfte, am Äther rein
Träumt nicht die zarteste Flocke,
Der Vollmond lagert den blauen Schein
Auf des schlafenden Freiherrn Locke,
Hernieder bohrend in kalter Kraft
Die Vampyrzunge, des Strahles Schaft.
Der Schläfer stöhnt, ein Traum voll Not
Scheint seine Sinne zu quälen,
Es zuckt die Wimper, ein leises Rot
Will über die Wange sich stehlen;
Schau, wie er woget und rudert und fährt,
Wie einer so gegen den Strom sich wehrt.
Nun zuckt er auf – ob ihn geträumt,
Nicht kann er sich dessen entsinnen –
Ihn fröstelt, fröstelt, ob’s drinnen schäumt
Wie Fluten zum Strudel rinnen;
Was ihn geängstet, er weiß es auch:
Es war des Mondes giftiger Hauch.
O Fluch der Heide, gleich Ahasver
Unterm Nachtgestirne zu kreisen!
Wenn seiner Strahlen züngelndes Meer
Aufbohret der Seele Schleusen,
Und der Prophet, ein verzweifelnd Wild,
Kämpft gegen das mählich steigende Bild.
Im Mantel schaudernd mißt das Parkett
Der Freiherr die Läng’ und Breite,
Und wo am Boden ein Schimmer steht,
Weitaus er beuget zur Seite,
Er hat einen Willen und hat eine Kraft,
Die sollen nicht liegen in Blutes Haft.
Es will ihn krallen, es saugt ihn an,
Wo Glanz die Scheiben umgleitet,
Doch langsam weichend, Spann’ um Spann’,
Wie ein wunder Edelhirsch schreitet,
In immer engerem Kreis gehetzt,
Des Lagers Pfosten ergreift er zuletzt.
Da steht er keuchend, sinnt und sinnt,
Die müde Seele zu laben,
Denkt an sein liebes einziges Kind,
Seinen zarten, schwächlichen Knaben,
Ob dessen Leben des Vaters Gebet
Wie eine zitternde Flamme steht.
Hat er des Kleinen Stammbaum doch
Gestellt an des Lagers Ende,
Nach dem Abendkusse und Segen noch
Drüber brünstig zu falten die Hände;
Im Monde flimmernd das Pergament
Zeigt Schild an Schilder, schier ohne End’.
Rechtsab des eigenen Blutes Gezweig,
Die alten freiherrlichen Wappen,
Drei Rosen im Silberfelde bleich,
Zwei Wölfe schildhaltende Knappen,
Wo Ros’ an Rose sich breitet und blüht,
Wie überm Fürsten der Baldachin glüht.
Und links der milden Mutter Geschlecht,
Der frommen in Grabeszellen,
Wo Pfeil’ an Pfeile, wie im Gefecht,
Durch blaue Lüfte sich schnellen.
Der Freiherr seufzt, die Stirn gesenkt,
Und – steht am Fenster, bevor er’s denkt.
Gefangen! gefangen im kalten Strahl!
In dem Nebelnetze gefangen!
Und fest gedrückt an der Scheib’ Oval,
Wie Tropfen am Glase hangen,
Verfallen sein klares Nixenaug’,
Der Heidequal in des Mondes Hauch.
Welch ein Gewimmel! – er muß es sehn,
Ein Gemurmel! – er muß es hören,
Wie eine Säule, so muß er stehn,
Kann sich nicht regen noch kehren.
Es summt im Hofe ein dunkler Hauf,
Und einzelne Laute dringen hinauf.
Hei! eine Fackel! sie tanzt umher,
Sich neigend, steigend in Bogen,
Und nickend, zündend, ein Flammenheer
Hat den weiten Estrich umzogen.
All schwarze Gestalten im Trauerflor
Die Fackeln schwingen und halten empor.
Und alle gereihet am Mauerrand,
Der Freiherr kennet sie alle;
Der hat ihm so oft die Büchse gespannt,
Der pflegte die Ross’ im Stalle,
Und der so lustig die Flasche leert,
Den hat er siebenzehn Jahre genährt.
Nun auch der würdige Kastellan,
Die breite Pleureuse am Hute,
Den sieht er langsam, schlurfend nahn,
Wie eine gebrochene Rute;
Noch deckt das Pflaster die dürre Hand,
Versengt erst gestern an Herdes Brand.
Ha, nun das Roß! aus des Stalles Tür,
In schwarzem Behang und Flore;
O, ist’s Achill, das getreue Tier?
Oder ist’s seines Knaben Medore?
Er starret, starrt und sieht nun auch,
Wie es hinkt, vernagelt nach altem Brauch.
Entlang der Mauer das Musikchor,
In Krepp gehüllt die Posaunen,
Haucht prüfend leise Kadenzen hervor,
Wie träumende Winde raunen;
Dann alles still. O Angst! o Qual!
Es tritt der Sarg aus des Schlosses Portal.
Wie prahlen die Wappen, farbig grell
Am schwarzen Sammet der Decke.
Ha! Ros’ an Rose, der Todesquell
Hat gespritzet blutige Flecke!
Der Freiherr klammert das Gitter an:
»Die andre Seite!« stöhnet er dann.
Da langsam wenden die Träger, blank
Mit dem Monde die Schilder kosen.
»O«, – seufzt der Freiherr – »Gott sei Dank!
Kein Pfeil, kein Pfeil, nur Rosen!«
Dann hat er die Lampe still entfacht,
Und schreibt sein Testament in der Nacht.
Der Graue
Im Walde steht die kleine Burg,
Aus rohem Quaderstein gefugt,
Mit Schart’ und Fensterlein, wodurch
Der Doppelhaken einst gelugt;
Am Teiche rauscht des Rohres Speer,
Die Brücke wiegt und knarrt im Sturm,
Und in des Hofes Mitte, schwer,
Plump wie ein Mörser, steht der Turm.
Da siehst du jetzt umhergestellt
Manch feuerrotes Ziegeldach,
Und wie der Stempel steigt und fällt,
So pfeift die Dampfmaschine nach;
Es knackt die Form, der Bogen schrillt,
Es dunstet Scheidewassers Näh’,
Und überm grauen Wappenschild
Liest man: Moulin à papier.
Doch wie der Kessel quillt und schäumt,
Den Brüßler Kaufherrn freut es kaum,
Der hatte einmal sich geträumt
Von Land und Luft den feinsten Traum;
Das war so recht ein Fleckchen, sich
Zu retten aus der Zahlen Haft!
Nicht groß, und doch ganz adelig,
Und brauchte wenig Dienerschaft.
Doch eine Nacht nur macht’ er sich
Bequem es – oder unbequem –
In seinem Schlößchen, und er strich
Nur wie ein Vogel dran seitdem.
Sah dann er zu den Fenstern auf,
Verschlossen wie die Sakristein,
So zog er wohl die Schultern auf,
Mit einem Seufzer, oder zwein.
Es war um die Septemberzeit,
Als, schürend des Kamines Brand,
Gebückt, in regenfeuchtem Kleid,
Der Hausherr in der Halle stand,
Er und die Gäste, all im Rauch;
Van Neelen, Redel, Verney, Dahm,
Und dann der blonde Waller auch,
Der eben erst aus Smyrna kam.
Im Schlote schnob der Wind, es goß
Der Regen sprudelnd sich vom Dach,
Und wenn am Brand ein Flämmchen schoß,
Schien doppelt öde das Gemach.
Die Gäste waren all zur Hand,
Erleichternd ihres Wirtes Müh’;
Van Neelen nur am Fenster stand,
Und schimpfte auf die Landpartie.
Doch nach und nach mag’s besser gehn,
Schon hat der Wind die Glut gefacht,
Den Regen läßt man draußen stehn,
Champagnerflaschen sind gebracht.
Die Leuchter hatten wenig Wert,
Es ging wie beim Studentenfest:
Sobald die Flasche ist geleert,
Wird eine Kerze drauf gepreßt.
Je mehr es fehlt, so mehr man lacht,
Der Wein ist heiß, die Kost gewählt,
Manch derbes Späßchen wird gemacht,
Und mancher feine Streich erzählt.
Zuletzt von Wein und Reden glüh,
Rückt seinen Stuhl der Herr vom Haus:
»Ich lud euch zu ‘ner Landpartie,
Es ward ‘ne Wasserfahrt daraus.
Doch da die allerschönste Fracht
Am Ende nach dem Hafen schifft,
So, meine Herren, gute Nacht!
Und nehmt vorlieb, wie es sich trifft.«
Da lachend nach den Flaschen greift
Ein jeder. – Türen auf und zu. –
Und Waller, noch im Gehen, streift
Aus seinem Frack den Ivanhoe.
Es war tief in die Nacht hinein,
Und draußen heulte noch der Sturm,
Schnob zischend an dem Fensterstein
Und drillt’ den Glockenstrang am Turm.
In seinem Bette Waller lag,
Und las so scharf im Ivanhoe,
Daß man gedacht, bevor es Tag
Sei Englands Königreich in Ruh.
Er sah nicht, daß die Kerze tief
Sich brannte in der Flasche Rand,
Der Talg in schweren Tropfen lief,
Und drunten eine Lache stand.
Wie träumend hört’ er das Geknarr
Der Fenster, vom Rouleau gedämpft,
Und wie die Türe mit Geschnarr
In ihren Angeln zuckt und kämpft.
Sehr freut er sich am Bruder Tuck,
– Die Sehne schwirrt, es rauscht der Hain –
Da plötzlich ein gewalt’ger Ruck,
Und, hui! die Scheibe klirrt hinein.
Er fuhr empor, – weg war der Traum –
Und deckte mit der Hand das Licht,
Ha! wie so wüst des Zimmers Raum!
Selbst ein romantisches Gedicht!
Der Sessel feudalistisch Gold –
Am Marmortisch die Greifenklau’ –
Und überm Spiegel flatternd rollt,
Ein Banner, der Tapete Blau,
Im Zug der durch die Lücke schnaubt;
Die Ahnenbilder leben fast,
Und schütteln ihr behelmtes Haupt
Ergrimmt ob dem plebejen Gast.
Der blonde Waller machte gern
Sich selber einen kleinen Graus,
So nickt’ er spöttisch gen die Herrn,
Als fordert’ er sie keck heraus.
Die Glocke summt – schon eins fürwahr!
Wie eine Boa dehnt’ er sich,
Und sah nach dem Pistolenpaar,
Dann rüstet’ er zum Schlafe sich.
Die Flasche hob er einmal noch
Und leuchtete die Wände an,
Ganz wie ‘ne alte Halle doch
Aus einem Scottischen Roman!
Und – ist das Nebel oder Rauch,
Was durch der Türe Spalten quillt,
Und, wirbelnd in des Zuges Hauch,
Die dunstigen Paneele füllt?
Ein Ding – ein Ding – wie Grau in Grau,
Die Formen schwanken – sonderbar! –
Doch, ob der Blick sich schärft? den Bau
Von Gliedern nimmt er mählich wahr.
Wie überm Eisenhammer, schwer
Und schwarz, des Rauches Säule wallt;
Ein Zucken flattert drüben her,
Doch – hat es menschliche Gestalt!
Er war ein hitziger Kumpan,
Wenn Wein die Lava hat geweckt.
»Qui vive!« – und leise knackt der Hahn,
Der Waller hat den Arm gestreckt:
»Qui vive!« – ‘ne Pause, – »ou je tire!«
Und aus dem Lauf die Kugel knallt;
Er hört sie schlagen an die Tür,
Und abwärts prallen mit Gewalt.
Der Schuß dröhnt am Gewölbe nach,
Und, eine schwere Nebelschicht,
Füllt Pulverbrodem das Gemach;
Er teilt sich, schwindet, das Gesicht
Steht in des Zimmers Mitte jetzt,
Ganz wie ein graues Bild von Stein,
Die Formen scharf und unverletzt,
Die Züge edel, streng und rein.
Auf grauer Locke grau Barett,
Mit grauer Hahnenfeder drauf.
Der Waller hat so sacht und nett
Sich hergelangt den zweiten Lauf.
Noch zögert er – ist es ein Bild,
Wär’s zu zerschießen lächerlich;
Und wär’s ein Mensch – das Blut ihm quillt –
Ein Geck, der unterfinge sich –?!
Ein neuer Ruck, und wieder Knall
Und Pulverrauch – war das Gestöhn?
Er hörte keiner Kugel Prall –
Es ist vorüber! ist geschehn!
Der Waller zuckt: »Verdammtes Hirn!«
Mit einmal ist er kalt wie Eis,
Der Angstschweiß tritt ihm auf die Stirn,
Er starret in den Nebelkreis.
Ein Ächzen! oder Windeshauch! –
Doch nein, der Scheibensplitter schwirrt.
O Gott, es zappelt! – nein – der Rauch
Gedrängt vom Zuge schwankt und irrt;
Es wirbelt aufwärts, woget, wallt,
Und, wie ein graues Bild von Stein,
Steht nun am Bette die Gestalt,
Da, wo der Vorhang sinkt hinein.
Und drüber knistert’s, wie von Sand,
Wie Funke, der elektrisch lebt;
Nun zuckt ein Finger – nun die Hand –
Allmählich nun ein Fuß sich hebt, –
Hoch – immer höher – Waller winkt;
Dann macht er schnell gehörig Raum,
Und langsam in die Kissen sinkt
Es schwer, wie ein gefällter Baum.
»Ah, je te tiens!« er hat’s gepackt,
Und schlingt die Arme wie ‘nen Strick, –
Ein Leichnam! todessteif und nackt!
Mit einem Ruck fährt er zurück;
Da wälzt es langsam, schwer wie Blei,
Sich gleich dem Mühlstein über ihn;
Da tat der Waller einen Schrei,
Und seine Sinne waren hin.
Am nächsten Morgen fand man kalt
Ihn im Gemache ausgestreckt;
‘s war eine Ohnmacht nur, und bald
Ward zum Bewußtsein er geweckt.
Nicht irre war er, nur gepreßt,
Und fragt’ ob keiner ward gestört?
Doch alle schliefen überfest,
Nicht einer hat den Schuß gehört.
So ward es denn für Traum sogleich,
Und alles für den Alp erkannt;
Doch zog man sich aus dem Bereich,
Und trollte hurtig über Land.
Sie waren alle viel zu klug,
Und vollends zu belesen gar;
Allein der blonde Waller trug
Seit dieser Nacht eisgraues Haar.
Die Vendetta
1.
Ja, einen Feind hat der Kors’, den Hund,
Luigi, den hagern Podesta,
Der den Ohm, so stark und gesund,
Ließ henken, den kühnen di Vesta.
Er und der rote Franzose Jocliffe,
Die beiden machten ihn hangen,
Aber der ging zu dem Schmugglerschiff,
Und liegt seit Monden gefangen.
Steht im Walde Geronimo,
Und klirrend zieht aus der Scheide
Er das Messer, so und so
An der Sohle wetzt er die Schneide;
Gleitet dann in die Dämmerung,
Dem Feinde auf Tod und Leben
Mit des Tieres Verstümmelung
Ein korsisch’ Kartell zu geben.
Schau! wie Zweig an Zweige er streicht,
– Kaum flüsternd die Blätter schwanken, –
Gleich der gleißenden Boa leicht
Hinquillt durch Gelaub und Ranken;
Drüber träufelt das Mondenlicht,
Wie heimlicher Träne Klage
Durch eine dunkele Wimper bricht.
Nun kniet der Korse am Hage.
Dort der Anger, – und dort am Hang
Die einsam weidende Stute,
Langsam schnaubt sie den Rain entlang;
Aus andalusischem Blute,
Hoch, schneeschimmernd, zum Grund gebeugt
Den mähnumfluteten Nacken,
Nah sie, näher dem Hagen steigt.
Nun wird der Korse sie packen!
Schon erfaßt er der Schneide Griff,
Er reckt sich über dem Kraute,
Da – ein Geknister und – still! ein Pfiff,
Und wieder – summende Laute!
Und es schreitet dem Hage zu,
Grad wo Geronimo kniet,
Nieder gleitet der Kors’ im Nu,
Ha, wie er keuchet und glühet!
Dicht an ihm, – der Mantel streift,
Die Ferse könnt’ er ihm fassen, –
Steht der hagre Podest’ und pfeift;
»Sorella!« ruft er gelassen,
Und: »Sorella, mein kluges Tier!«
Der Lauscher höret es stampfen,
Über ihm, mit hellem Gewiehr,
Zwei schnaubende Nüstern dampfen.
Freundlich klatscht Luigi den Bug,
Liebkosend streicht er die Mähnen,
Hat nicht zärtlicher Worte genug,
Er spricht wie zu seiner Schönen.
Einen Blitz aus glühendem Aug’,
Und rückwärts taumelt die Stute.
»Ei, Sorella, was fehlt dir auch?
Mein Töchterchen, meine Gute.«
Kandiszucker langt er hervor;
Ha, wie ihre Nüstern blasen!
Wie sie naschet, gespitzt das Ohr,
Und immer glotzet zum Rasen!
Einen Blick der Podesta scheu
Schießt über die glitzernde Aue,
Rückt am Dolche, und dann aufs neu:
»Mein Schimmelchen, meine Graue!«
Wie er über den Hag sich biegt,
Am Nacken des Tieres gleitet,
Auf Geronimos Auge liegt
Des Feindes Mantel gebreitet;
O, nie hat so heiß und schwer
Geronimo, nie gelegen,
Jede Muskel im Arm fühlt er
Wie eine Viper sich regen.
Doch er ist ein gläubiger Christ,
Geht jede Woche zur Beichte,
Hat voll Andacht noch heut geküßt
Christoferos heilige Leuchte.
Sünde wär’s, das Messer im Schlund
Des Ungewarnten zu bergen,
Sonst – alleine, allein der Hund!
Bewaffnet, und ohne Schergen!
Eine Minute, die schnell vergeht,
Der Korse gen Himmel schaute,
Zum Patrone ein Stoßgebet,
Dann fährt er empor vom Kraute;
Blank die Waffe, den Bug geschlitzt,
Dann wie ein Vogel zum Walde –
Schreiend vom Hange die Stute blitzt,
Der Richter starrt an der Halde.
2.
Mittagsstunde, – der Sonnenpfeil
Prallt an des Weihen Gefieder,
Der vom Gesteine grau und steil
Blinzt in die Pinien nieder.
Schwarz der Wald, eine Wetternacht,
Die aus dem Äther gesunken,
Drüber der Strahl in Siegespracht
Tanzt auf dem Feinde wie trunken.
Plötzlich zuckt, es flattert der Weih,
Und klatscht in taumelnden Ringen,
Überm Riffe sein wilder Schrei,
Dann steigt er, wiegend die Schwingen;
Und am Grunde es stampft und surrt,
Hart unter dem Felsenmale,
Netz im Haare, Pistol im Gurt,
Zwölf Schergen reiten zu Tale.
Wo den Schatten verkürzt das Riff
Wirft über die zitternde Aue,
Starrt gefesselt der rote Jocliffe
Hinauf zum Vogel ins Blaue.
Dürr seine Zunge, – kein Tropfen labt –
Er lacht in grimmigem Hohne,
Neben ihm der Podesta trabt
Und pfeift sich eine Kanzone.
Rüstig stampfen die Rosse fort,
Dann »halt!« Es lagert die Bande;
Hier ein Scherge, ein anderer dort,
Gestreckt im knisternden Sande.
Die Zigarre läßt an den Grund
Ihr bläuliches Wölkchen schwelen,
Und der Schlauch, von Mund zu Mund,
Strömt in die durstigen Kehlen.
Wie so lockend die Taube lacht
Aus grünem duftigem Haine!
Von den zwölfen heben sich acht,
Sie schlendern entlang das Gesteine,
Lässig, spielend, so sorgenbar
Wie junge Geier im Neste,
Dieser zupfet des Nachbars Haar,
Der schnitzelt am Zwiebelreste.
Einer so nach dem andern schwankt
Ins Grün aus der sengenden Hitze,
Halt! wie elektrisch Feuer rankt
Von Aug zu Aug ein Geblitze.
Horch, sie flüstern! Zwei und zwei
Die Pinien streifen sie leise,
Wie die Hinde witternd und scheu
Schlüpft über befahrene Gleise.
Zwei am Hange und zwei hinab
Und vier zur Rechten und Linken,
Sachte beugen den Ast sie ab
Ihre Augen wie Vipern blinken,
Da – im Moose ein dürrer Baum
Mit wunderlich brauner Schale, –
Hui! ein Pfiff auf gekrümmtem Daum, –
Und dort – und drunten im Tale.
Fährt vom Moose Geronimo,
Und eh ihn die Schergen umschlingen,
Wie im Heid die knisternde Loh’,
Ha! sieh ihn flattern und springen!
Knall auf Knall, eine Kugel pfeift
Ihm durch der Retilla Knoten,
Blutend er an dem Gesteine läuft
Bis zum Jocliffe, dem roten.
Hoch die Rechte – will er schnell
Sich rächen zu dieser Stunde?
Nein, am Rosse schreibt das Kartell
Er rasch mit klaffender Wunde.
Hoch die Linke – es knallt, es blitzt.
Und taumelnd sinkt der Podesta;
Ruft der Korse: »So hab es itzt,
Du Hund, für den kühnen di Vesta!«
O Geronimo! hätten dich fort,
Fort, fort deine Sprünge getragen,
Als die einen am Riffe dort,
Die andern klommen am Hagen!
Schwerlich heute, so mein’ ich klar,
Sie würden die Stadt erschrecken
Mit der Leiche auf grüner Bahr’
Und mit dir, gebunden am Schecken!
Das Fräulein von Rodenschild
Sind denn so schwül die Nächt’ im April?
Oder ist so siedend jungfräulich Blut?
Sie schließt die Wimper, sie liegt so still,
Und horcht des Herzens pochender Flut.
»O will es denn nimmer und nimmer tagen!
O will denn nicht endlich die Stunde schlagen!
Ich wache, und selbst der Seiger ruht!
Doch horch! es summt, eins, zwei und drei, –
Noch immer fort? – sechs, sieben und acht,
Elf, zwölf, – o Himmel, war das ein Schrei?
Doch nein, Gesang steigt über der Wacht,
Nun wird mir’s klar, mit frommem Munde
Begrüßt das Hausgesinde die Stunde,1
Anbrach die hochheilige Osternacht.«
Seitab das Fräulein die Kissen stößt,
Und wie eine Hinde vom Lager setzt,
Sie hat des Mieders Schleifen gelöst,
Ins Häubchen drängt sie die Locken jetzt,
Dann leise das Fenster öffnend, leise,
Horcht sie der mählich schwellenden Weise,
Vom wimmernden Schrei der Eule durchsetzt.
O dunkel die Nacht! und schaurig der Wind!
Die Fahnen wirbeln am knarrenden Tor, –
Da tritt aus der Halle das Hausgesind’
Mit Blendlaternen und einzeln vor.
Der Pförtner dehnet sich, halb schon träumend,
Am Dochte zupfet der Jäger säumend,
Und wie ein Oger gähnet der Mohr.
Was ist? – wie das auseinanderschnellt!
In Reihen ordnen die Männer sich,
Und eine Wacht vor die Dirnen stellt
Die graue Zofe sich ehrbarlich,
»Ward ich gesehn an des Vorhangs Lücke?
Doch nein, zum Balkone starren die Blicke,
Nun langsam wenden die Häupter sich.
O weh meine Augen! bin ich verrückt?
Was gleitet entlang das Treppengeländ?
Hab’ ich nicht so aus dem Spiegel geblickt?
Das sind meine Glieder, – welch ein Geblend’!
Nun hebt es die Hände, wie Zwirnes Flocken,
Das ist mein Strich über Stirn und Locken! –
Weh, bin ich toll, oder nahet mein End’!«
Das Fräulein erbleicht und wieder erglüht,
Das Fräulein wendet die Blicke nicht,
Und leise rührend die Stufen zieht
Am Steingelände das Nebelgesicht,
In seiner Rechten trägt es die Lampe,
Ihr Flämmchen zittert über der Rampe,
Verdämmernd, blau, wie ein Elfenlicht.
Nun schwebt es unter dem Sternendom,
Nachtwandlern gleich in Traumes Geleit,
Nun durch die Reihen zieht das Phantom,
Und jeder tritt einen Schritt zur Seit’. –
Nun lautlos gleitet’s über die Schwelle, –
Nun wieder drinnen erscheint die Helle,
Hinauf sich windend die Stiegen breit.
Das Fräulein hört das Gemurmel nicht,
Sieht nicht die Blicke, stier und verscheucht,
Fest folgt ihr Auge dem bläulichen Licht,
Wie dunstig über die Scheiben es streicht.
– Nun ist’s im Saale – nun im Archive –
Nun steht es still an der Nische Tiefe –
Nun matter, matter, – ha! es erbleicht!
»Du sollst mir stehen! ich will dich fahn!«
Und wie ein Aal die beherzte Maid
Durch Nacht und Krümmen schlüpft ihre Bahn,
Hier droht ein Stoß, dort häkelt das Kleid,
Leis tritt sie, leise, o Geistersinne
Sind scharf! daß nicht das Gesicht entrinne!
Ja, mutig ist sie, bei meinem Eid!
Ein dunkler Rahmen, Archives Tor;
– Ha, Schloß und Riegel! – sie steht gebannt,
Sacht, sacht das Auge und dann das Ohr
Drückt zögernd sie an der Spalte Rand,
Tiefdunkel drinnen – doch einem Rauschen
Der Pergamente glaubt sie zu lauschen,
Und einem Streichen entlang der Wand.
So niederkämpfend des Herzens Schlag,
Hält sie den Odem, sie lauscht, sie neigt –
Was dämmert ihr zur Seite gemach?
Ein Glühwurmleuchten – es schwillt, es steigt,
Und Arm an Arme, auf Schrittes Weite,
Lehnt das Gespenst an der Pforte Breite,
Gleich ihr zur Nachbarspalte gebeugt.
Sie fährt zurück, – das Gebilde auch –
Dann tritt sie näher – so die Gestalt –
Nun stehen die beiden, Auge in Aug,
Und bohren sich an mit Vampyres Gewalt.
Das gleiche Häubchen decket die Locken,
Das gleiche Linnen, wie Schnees Flocken,
Gleich ordnungslos um die Glieder wallt.
Langsam das Fräulein die Rechte streckt,
Und langsam, wie aus der Spiegelwand,
Sich Linie um Linie entgegenreckt
Mit gleichem Rubine die gleiche Hand;
Nun rührt sich’s – die Lebendige spüret
Als ob ein Luftzug schneidend sie rühret,
Der Schemen dämmert, – zerrinnt – entschwand.
Und wo im Saale der Reihen fliegt,
Da siehst ein Mädchen du, schön und wild,
– Vor Jahren hat’s eine Weile gesiecht –
Das stets in den Handschuh die Rechte hüllt.
Man sagt, kalt sei sie wie Eises Flimmer,
Doch lustig die Maid, sie hieß ja immer:
»Das tolle Fräulein von Rodenschild.«
Fußnoten
1 Es bestand, und besteht hier und dort noch in katholischen Ländern die Sitte, am Vorabende des Oster-und Weihnachtstages den zwölften Glockenschlag abzuwarten, um den Eintritt des Festes mit einem frommen Liede zu begrüßen.
Der Geierpfiff
»Nun still! – Du an den Dohnenschlag!
Du links an den gespaltnen Baum!
Und hier der faule Fetzer mag
Sich lagern an der Klippe Saum:
Da seht fein offen übers Land
Die Kutsche ihr heranspazieren:
Und Rieder dort, der Höllenbrand,
Mag in den Steinbruch sich postieren!
Dann aufgepaßt mit Aug und Ohr,
Und bei dem ersten Räderhall
Den Eulenschrei! und tritt hervor
Die Fracht, dann wiederholt den Schall:
Doch naht Gefahr – Patrouillen gehn, –
Seht ihr die Landdragoner streifen,
Dann dreimal, wie von Riffeshöhn,
Laßt ihr den Lämmergeier pfeifen.
Nun, Rieder, noch ein Wort zu dir:
Mit Recht heißt du der Höllenbrand;
Kein Stückchen – ich verbitt’ es mir –
Wie neulich mit der kalten Hand!«
Der Hauptmann spricht es; durch den Kreis
Ein Rauschen geht und feines Schwirren,
Als sie die Büchsen schultern leis,
Und in den Gurt die Messer klirren.
Seltsamer Troß! hier Riesenbau
Und hiebgespaltnes Angesicht,
Und dort ein Bübchen wie ‘ne Frau,
Ein zierliches Spelunkenlicht;
Der drüben an dem Scheitelhaar
So sachte streift den blanken Fänger,
Schaut aus den blauen Augen gar
Wie ein verarmter Minnesänger.
‘s ist lichter Tag! die Bande scheut
Vor keiner Stunde – alles gleich; –
Es ist die rote Bande, weit
Verschrien, gefürchtet in dem Reich;
Das Knäbchen kauert unterm Stier
Und betet, raschelt es im Walde,
Und manches Weib verschließt die Tür,
Schreit nur ein Kuckuck an der Halde.
Die Posten haben sich zerstreut,
Und in die Hütte schlüpft der Troß –
Wildhüters Obdach, zu der Zeit,
Als jene Trümmer war ein Schloß:
Wie Ritter vor der Ahnengruft,
Fühlt sich der Räuber stolz gehoben
Am Schutte, dran ein gleicher Schuft
Vor Jahren einst den Brand geschoben.
Und als der letzte Schritt verhallt,
Der letzte Zweig zurückgerauscht,
Da wird es einsam in dem Wald,
Wo überm Ast die Sonne lauscht;
Und als es drinnen noch geklirrt,
Und noch ein Weilchen sich geschoben,
Da still es in der Hütte wird,
Vom wilden Weingerank umwoben.
Der scheue Vogel setzt sich kühn
Aufs Dach und wiegt sein glänzend Haupt,
Und summend durch der Reben Grün
Die wilde Biene Honig raubt;
Nur leise wie der Hauch im Tann,
Wie Weste durch die Halme streifen,
Hört drinnen leise, leise man,
Vorsichtig an den Messern schleifen. –
Ja, lieblich ist des Berges Maid
In ihrer festen Glieder Pracht,
In ihrer blanken Fröhlichkeit
Und ihrer Zöpfe Rabennacht;
Siehst du sie brechen durchs Genist
Der Brombeerranken, frisch, gedrungen,
Du denkst, die Zentifolie ist
Vor Übermut vom Stiel gesprungen.
Nun steht sie still und schaut sich um –
Allüberall nur Baum an Baum;
Ja, irre zieht im Walde um
Des Berges Maid und glaubt es kaum;
Noch zwei Minuten, wo sie sann,
Pulsieren ließ die heißen Glieder, –
Behende wie ein Marder dann
Schlüpft keck sie in den Steinbruch nieder.
Am Eingang steht ein Felsenblock,
Wo das Geschiebe überhängt;
Der Efeu schüttelt sein Gelock,
Zur grünen Laube vorgedrängt:
Da unterm Dache lagert sie,
Behaglich lehnend an dem Steine,
Und denkt: Ich sitze wahrlich wie
Ein Heil’genbildchen in dem Schreine!
Ihr ist so warm, der Zöpfe Paar
Sie löset mit der runden Hand,
Und nieder rauscht ihr schwarzes Haar
Wie Rabenfittiges Gewand.
Ei! denkt sie, bin ich doch allein!
Auf springt das Spangenpaar am Mieder;
Doch unbeweglich gleich dem Stein
Steht hinterm Block der wilde Rieder:
Er sieht sie nicht, nur ihren Fuß,
Der tändelnd schaukelt wie ein Schiff,
Zuweilen treibt des Windes Gruß
Auch eine Locke um das Riff,
Doch ihres heißen Odems Zug,
Samumes Hauch, glaubt er zu fühlen,
Verlorne Laute, wie im Flug
Lockvögel, um das Ohr ihm spielen.
So weich die Luft und badewarm,
Berauschend Thimianes Duft,
Sie lehnt sich, dehnt sich, ihren Arm,
Den vollen, streckt sie aus der Kluft,
Schließt dann ihr glänzend Augenpaar –
Nicht schlafen, ruhn nur eine Stunde –
So dämmert sie und die Gefahr
Wächst von Sekunde zu Sekunde.
Nun alles still – sie hat gewacht –
Doch hinterm Steine wird’s belebt
Und seine Büchse sachte, sacht,
Der Rieder von der Schulter hebt,
Lehnt an die Klippe ihren Lauf,
Dann lockert er der Messer Klingen,
Hebt nun den Fuß – was hält ihn auf?
Ein Schrei scheint aus der Luft zu dringen!
Ha, das Signal! – er ballt die Faust –
Und wiederum des Geiers Pfiff
Ihm schrillend in die Ohren saust –
Noch zögert knirschend er am Riff –
Zum dritten Mal – und sein Gewehr
Hat er gefaßt – hinan die Klippe!
Daß bröckelnd Kies und Sand umher
Nachkollern von dem Steingerippe.
Und auch das Mädchen fährt empor:
»Ei, ist so locker das Gestein?«
Und langsam, gähnend tritt hervor
Sie aus dem falschen Heil’genschrein,
Hebt ihrer Augen feuchtes Glühn,
Will nach dem Sonnenstande schauen,
Da sieht sie einen Geier ziehn
Mit einem Lamm in seinen Klauen.
Und schnell gefaßt, der Wildnis Kind,
Tritt sie entgegen seinem Flug:
Der kam daher, wo Menschen sind,
Das ist der Bergesmaid genug.
Doch still! war das nicht Stimmenton
Und Räderknarren? still! sie lauscht –
Und wirklich, durch die Nadeln schon
Die schwere Kutsche ächzt und rauscht.
»He, Mädchen!« ruft es aus dem Schlag,
Mit feinem Knicks tritt sie heran:
»Zeig uns zum Dorf die Wege nach,
Wir fuhren irre in dem Tann!« –
»Herr«, spricht sie lachend, »nehmt mich auf,
Auch ich bin irr und führ’ Euch doch.«
»Nun wohl, du schmuckes Kind, steig auf,
Nur frisch hinauf, du zögerst noch?«
»Herr, was ich weiß, ist nur gering,
Doch führt es Euch zu Menschen hin,
Und das ist schon ein köstlich Ding
Im Wald, mit Räuberhorden drin:
Seht, einen Weih am Bergeskamm
Sah steigen ich aus jenen Gründen,
Der in den Fängen trug ein Lamm;
Dort muß sich eine Herde finden.« –
Am Abend steht des Forstes Held
Und flucht die Steine warm und kalt:
Der Wechsler freut sich, daß sein Geld
Er klug gesteuert durch den Wald:
Und nur die gute, franke Maid
Nicht ahnet in der Träume Walten,
Daß über sie so gnädig heut
Der Himmel seinen Schild gehalten. –
Die Schwestern
1.
Sacht pochet der Käfer im morschen Schrein,
Der Mond steht über den Fichten.
»Jesus Maria, wo mag sie sein!
Hin will meine Angst mich richten.
Helene, Helene, was ließ ich dich gehn
Allein zur Stadt mit den Hunden,
Du armes Kind, das sterbend mir
Auf die Seele die Mutter gebunden!«
Und wieder rennt Gertrude den Weg
Hinauf bis über die Steige.
Hier ist ein Tobel – sie lauscht am Steg,
Ein Strauch – sie rüttelt am Zweige.
Da drunten summet es elf im Turm,
Gertrude kniet an der Halde:
»Du armes Blut, du verlassener Wurm!
Wo magst du irren im Walde!«
Und zitternd löst sie den Rosenkranz
Von ihres Gürtels Gehänge,
Ihr Auge starret in trübem Glanz,
Ob es die Dämmerung sprenge.
»Ave Maria – ein Licht, ein Licht!
Sie kömmt, ‘s ist ihre Laterne!
– Ach Gott, es ist nur ein Hirtenfeur,
Jetzt wirft es flatternde Sterne.
Vater unser, der du im Himmel bist
Geheiliget werde dein Name« –
Es rauscht am Hange, »heiliger Christ!«
Es bricht und knistert im Brame,
Und drüber streckt sich ein schlanker Hals,
Zwei glänzende Augen starren.
»Ach Gott, es ist eine Hinde nur,
Jetzt setzt sie über die Farren.«
Gertrude klimmt die Halde hinauf,
Sie steht an des Raines Mitte.
Da – täuscht ihr Ohr ? – ein flüchtiger Lauf,
Behend galoppierende Tritte –
Und um sie springt es in wüstem Kreis,
Und funkelt mit freud’gem Gestöhne.
»Fidel, Fidel!« so flüstert sie leis,
Dann ruft sie schluchzend: »Helene!«
»Helene!« schallt es am Felsenhang,
»Helen’!« von des Waldes Kante,
Es war ein einsamer trauriger Klang,
Den heimwärts die Echo sandte.
Wo drunten im Tobel das Mühlrad wacht,
Die staubigen Knecht’ an der Wanne
Die haben gehorcht die ganze Nacht
Auf das irre Gespenst im Tanne.
Sie hörten sein Rufen von Stund zu Stund,
Sahn seiner Laterne Geflimmer,
Und schlugen ein Kreuz auf Brust und Mund,
Zog über den Tobel der Schimmer.
Und als die Müllerin Reisig las,
Frühmorgens an Waldes Saume,
Da fand sie die arme Gertrud im Gras,
Die ängstlich zuckte im Traume.
2.
Wie rollt in den Gassen das Marktgebraus!
Welch ein Getümmel, Geblitze!
Hanswurst schaut über die Bude hinaus,
Und winkt mit der klingelnden Mütze;
Karossen rasseln, der Trinker jucht,
Und Mädchen schrein im Gedränge,
Drehorgeln pfeifen, der Kärrner flucht,
O Babels würdige Klänge!
Da tritt ein Weib aus der Ladentür,
Eine schlichte Frau von den Flühen,
Die stieß an den klingelnden Harlekin schier,
Und hat nicht gelacht noch geschrien.
Ihr mattes Auge sucht auf dem Grund,
Als habe sie etwas verloren,
Und hinter ihr trabt ein zottiger Hund,
Verdutzt, mit hängenden Ohren.
»Zurück, Verwegne! siehst du denn nicht
Den Wagen, die schnaubenden Braunen?«
Schon dampfen die Nüstern ihr am Gesicht,
Da fährt sie zurück mit Staunen,
Und ist noch über die Rinne grad’
Mit raschem Sprunge gewichen,
Als an die Schürze das klirrende Rad
In wirbelndem Schwunge gestrichen.
Noch ein Moment, – sie taumelt, erbleicht,
Und dann ein plötzlich Erglühen,
O schau, wie durch das Gewühl sie keucht,
Mit Armen und Händen und Knieen!
Sie rudert, sie windet sich, – Stoß auf Stoß,
Scheltworte und Flüche wie Schloßen –
Das Fürtuch reißt, dann flattert es los,
Und ist in die Rinne geflossen.
Nun steht sie vor einem stattlichen Haus,
Ohne Schuh, besudelt mit Kote;
Dort hält die Karosse, dort schnauben aus
Die Braunen und rauchen wie Schlote.
Der Schlag ist offen, und eben sieht
Sie im Portale verschwinden
Eines Kleides Falte, die purpurn glüht,
Und den Schleier, segelnd in Winden.
»Ach« flüstert Gertrude, »was hab’ ich gemacht,
Ich bin wohl verrückt geworden!
Kein Trost bei Tag, keine Ruh bei Nacht,
Das kann die Sinne schon morden.«
Da poltert es schreiend die Stiegen hinab,
Ein Fußtritt aus dem Portale,
Und wimmernd rollt von der Rampe herab
Ihr Hund, der zottige, fahle.
»Ja« seufzt Gertrude, »nun ist es klar,
Ich bin eine Irre leider!«
Erglühend streicht sie zurück ihr Haar,
Und ordnet die staubigen Kleider.
»Wie sah ich so deutlich ihr liebes Gesicht,
So deutlich am Schlage doch ragen!
Allein in Ewigkeit hätte sie nicht
Den armen Fidel geschlagen.«
3.
Zehn Jahre! – und mancher der keck umher
Die funkelnden Blicke geschossen,
Der schlägt sie heute zu Boden schwer,
Und mancher hat sie geschlossen.
Am Hafendamme geht eine Frau,
– Mich dünkt, wir müssen sie kennen,
Ihr Haar einst schwarz, nun schillerndes Grau,
Und hohl die Wangen ihr brennen.
Im Topfe trägt sie den Honigwab,
Zergehend in Juliushitze;
Die Trägerin trocknet den Schweiß sich ab,
Und ruft dem hinkenden Spitze.
Der sie bestellte, den Schiffspatron,
Sieht über die Planke sie kommen;
Wird er ihr kümmern den kargen Lohn?
Gertrude denkt es beklommen.
Doch nein, – wo sich die Matrosen geschart,
Zum Strande sieht sie ihn schreiten,
Er schüttelt das Haupt, er streicht den Bart,
Und scheint auf die Welle zu deuten.
Und schau den Spitz! er schnuppert am Grund –
»Was suchst du denn in den Gleisen?
Fidel, Fidel!« fort strauchelt der Hund,
Und heulet wie Wölfe im Eisen.
Barmherziger Himmel! ihr wird so bang,
Sie watet im brennenden Sande,
Und wieder erhebt sich so hohl und lang
Des Hundes Geheul vom Strande.
O Gott, eine triefende Leich’ im Kies,
Eine Leich’ mit dem Auge des Stieres!
Und drüber kreucht das zottige Vlies
Des lahmen wimmernden Tieres.
Gertrude steht, sie starret herab,
Mit Blicken irrer und irrer,
Dann beugt sie über die Leiche hinab,
Mit Lächeln wirrer und wirrer,
Sie wiegt das Haupt bald so bald so,
Sie flüstert mit zuckendem Munde,
Und eh die zweite Minute entfloh,
Da liegt sie kniend am Grunde.
Sie faßt der Toten geschwollene Hand,
Ihr Haar voll Muscheln und Tange,
Sie faßt ihr triefend zerlumptes Gewand,
Und säubert von Kiese die Wange;
Dann sachte schiebt sie das Tuch zurück,
Recht wo die Schultern sich runden,
So stier und bohrend verweilt ihr Blick,
Als habe sie etwas gefunden.
Nun zuckt sie auf, erhebt sich jach,
Und stößt ein wimmernd Gestöhne,
Grad eben als der Matrose sprach:
»Das ist die blonde Helene!
Noch jüngst juchheite sie dort vorbei
Mit trunknen Soldaten am Strande.«
Da tat Gertrud einen hohlen Schrei,
Und sank zusammen im Sande.
4.
Jüngst stand ich unter den Föhren am See,
Meinen Büchsenspanner zur Seite.
Vom Hange schmälte das brünstige Reh,
Und strich durch des Aufschlags Breite;
Ich hörte es knistern so nah und klar,
Grad wo die Lichtung verdämmert,
Daß mich gestöret der Holzwurm gar,
Der unterm Fuße mir hämmert.
Dann sprang es ab, es mochte die Luft
Ihm unsre Witterung tragen;
»Herr«, sprach der Bursche: »links über die Kluft!
Wir müssen zur Linken uns schlagen!
Hier naht kein Wild, wo sie eingescharrt
Die tolle Gertrud vom Gestade,
Ich höre genau wie der Holzwurm pocht
In ihrer zerfallenden Lade.«
Zur Seite sprang ich, eisig durchgraut,
Mir war als hab’ ich gesündigt,
Indes der Bursch mit flüsterndem Laut
Die schaurige Märe verkündigt:
Wie jene gesucht, bei Tag und Nacht,
Nach dem fremden ertrunkenen Weibe,
Das ihr der tückische See gebracht,
Verloren an Seele und Leibe.
Ob ihres Blutes? man wußte es nicht!
Kein Fragen löste das Schweigen.
Doch schlief die Welle, dann sah ihr Gesicht
Man über den Spiegel sich beugen,
Und zeigte er ihr das eigene Bild,
Dann flüsterte sie beklommen:
»Wie alt sie sieht, wie irre und wild,
Und wie entsetzlich verkommen!«
Doch wenn der Sturm die Woge gerührt,
Dann war sie vom Bösen geschlagen,
Was sie für bedenkliche Reden geführt,
Das möge er lieber nicht sagen.
So war sie gerannt vor Jahresfrist,
– Man sah’s vom lavierenden Schiffe –
Zur Brandung, wo sie am hohlsten ist,
Und kopfüber gefahren vom Riffe.
Drum scharrte man sie ins Dickicht dort,
Wie eine verlorene Seele.
Ich schwieg, und sandte den Burschen fort,
Brach mir vom Grab eine Schmele:
»Du armes gehetztes Wild der Pein,
Wie mögen die Menschen dich richten!«
– Sacht pochte der Käfer im morschen Schrein,
Der Mond stand über den Fichten. –
Meister Gerhard von Köln
Ein Notturno
Wenn in den linden Vollmondnächten
Die Nebel lagern überm Rhein,
Und graue Silberfäden flechten
Ein Florgewand dem Heil’genschrein:
Es träumt die Waldung, duftumsäumt,
Es träumt die dunkle Flutenschlange,
Wie eine Robbe liegt am Hange
Der Schürg’ und träumt.
Tief zieht die Nacht den feuchten Odem,
Des Walles Gräser zucken matt,
Und ein zerhauchter Grabesbrodem
Liegt über der entschlafnen Stadt:
Sie hört das Schlummerlied der Welln,
Das leise murmelnde Geschäume,
Und tiefer, tiefer sinkt in Träume
Das alte Köln.
Dort wo die graue Kathedrale,
Ein riesenhafter Zeitentraum,
Entsteigt dem düstern Trümmermale
Der Macht, die auch zerrann wie Schaum –
Dort, in der Scheibe Purpurrund
Hat taumelnd sich der Strahl gegossen
Und sinkt, und sinkt, in Traum zerflossen,
Bis auf den Grund.
Wie ist es schauerlich im weiten
Versteinten öden Palmenwald,
Wo die Gedanken niedergleiten
Wie Anakonden schwer und kalt;
Und blutig sich der Schatten hebt
Am blut’gen Märtyrer der Scheibe,
Wie neben dem gebannten Leibe
Die Seele schwebt.1
Der Ampel Schein verlosch, im Schiffe
Schläft halbgeschlossen Blum’ und Kraut;
Wie nackt gespülte Uferriffe
Die Streben lehnen, tief ergraut;
Anschwellend zum Altare dort,
Dann aufwärts dehnend, lang gezogen,
Schlingen die Häupter sie zu Bogen,
Und schlummern fort.
Und immer schwerer will es rinnen
Von Quader, Säulenknauf und Schaft,
Und in dem Strahle will’s gewinnen
Ein dunstig Leben, geisterhaft:
Da horch! es dröhnt im Turme – ha!
Die Glocke summt – da leise säuselt
Der Dunst, er zucket, wimmelt, kräuselt, –
Nun steht es da! –
Ein Nebelmäntlein umgeschlagen,
Ein graues Käppchen, grau Gewand,
Am grauen Halse grauer Kragen,
Das Richtmaß in der Aschenhand.
Durch seine Glieder zitternd geht
Der Strahl wie in verhaltner Trauer,
Doch an dem Estrich, an der Mauer
Kein Schatten steht.
Es wiegt das Haupt nach allen Seiten,
Unhörbar schwebt es durch den Raum,
Nun sieh es um die Säulen gleiten,
Nun fährt es an der Orgel Saum;
Und allerorten legt es an
Sein Richtmaß, webert auf und nieder,
Und leise zuckt das Spiel der Glieder,
Wie Rauch im Tann. –
War das der Nacht gewalt’ger Odem? –
Ein weit zerfloßner Seufzerhall,
Ein Zitterlaut, ein Grabesbrodem
Durchquillt die öden Räume all:
Und an der Pforte, himmelan
Das Männlein ringt die Hand, die fahle,
Dann gleitet’s aufwärts am Portale –
Es steht am Kran.
Und über die entschlafnen Wellen
Die Hand es mit dem Richtmaß streckt;
Ihr Schlangenleib beginnt zu schwellen,
Sie brodeln auf, wie halb geweckt;
Als drüber nun die Stimme dröhnt,
Ein dumpf, verhallend, fern Getose,
Wie träumend sich im Wolkenschoße
Der Donner dehnt.
»Ich habe diesen Bau gestellt,
Ich bin der Geist vergangner Jahre!
Weh! dieses dumpfe Schlummerfeld
Ist schlimmer viel als Totenbahre!
O wann, wann steigt die Stunde auf,
Wo ich soll lang Begrabnes schauen?
Mein starker Strom, ihr meine Gauen
Wann wacht ihr auf? –
Ich bin der Wächter an dem Turm,
Mein Ruf sind Felsenhieroglyphen,
Mein Hornesstoß der Zeitensturm,
Allein sie schliefen, schliefen, schliefen!
Und schlafen fort, ich höre nicht
Den Meißel klingen am Gesteine,
Wo tausend Hände sind wie eine,
Ich hör’ es nicht! –
Und kann nicht ruhn, ich sehe dann
Zuvor den alten Kran sich regen,
Daß ich mein treues Richtmaß kann
In eine treue Rechte legen!
Wenn durch das Land ein Handschlag schallt,
Wie einer alle Pulse klopfen,
Ein Strom die Millionen Tropfen –«
Da silbern wallt
Im Osten auf des Morgens Fahne,
Und, ein zerfloßner Nebelstreif,
Der Meister fährt empor am Krane. –
Mit Räderknarren und Gepfeif,
Ein rauchend Ungeheuer, schäumt
Das Dampfboot durch den Rhein, den blauen –
O deutsche Männer! deutsche Frauen!
Hab’ ich geträumt? –
Fußnoten
1 Nach der Zaubersage.
Die Vergeltung
1.
Der Kapitän steht an der Spiere,
Das Fernrohr in gebräunter Hand,
Dem schwarzgelockten Passagiere
Hat er den Rücken zugewandt.
Nach einem Wolkenstreif in Sinnen
Die beiden wie zwei Pfeiler sehn,
Der Fremde spricht: »Was braut da drinnen?«
»Der Teufel«, brummt der Kapitän.
Da hebt von morschen Balkens Trümmer
Ein Kranker seine feuchte Stirn,
Des Äthers Blau, der See Geflimmer,
Ach, alles quält sein fiebernd Hirn!
Er läßt die Blicke, schwer und düster,
Entlängs dem harten Pfühle gehn,
Die eingegrabnen Worte liest er:
»Batavia. Fünfhundert Zehn.«
Die Wolke steigt, zur Mittagsstunde
Das Schiff ächzt auf der Wellen Höhn,
Gezisch, Geheul aus wüstem Grunde,
Die Bohlen weichen mit Gestöhn.
»Jesus, Marie! wir sind verloren!«
Vom Mast geschleudert der Matros’,
Ein dumpfer Krach in aller Ohren,
Und langsam löst der Bau sich los.
Noch liegt der Kranke am Verdecke,
Um seinen Balken fest geklemmt,
Da kömmt die Flut, und eine Strecke
Wird er ins wüste Meer geschwemmt.
Was nicht geläng’ der Kräfte Sporne,
Das leistet ihm der starre Krampf,
Und wie ein Narwall mit dem Horne
Schießt fort er durch der Wellen Dampf.
Wie lange so? er weiß es nimmer,
Dann trifft ein Strahl des Auges Ball,
Und langsam schwimmt er mit der Trümmer
Auf ödem glitzerndem Kristall.
Das Schiff! – die Mannschaft! – sie versanken.
Doch nein, dort auf der Wasserbahn,
Dort sieht den Passagier er schwanken
In einer Kiste morschem Kahn.
Armsel’ge Lade! sie wird sinken,
Er strengt die heisre Stimme an:
»Nur grade! Freund, du drückst zur Linken!«
Und immer näher schwankt’s heran,
Und immer näher treibt die Trümmer,
Wie ein verwehtes Möwennest;
»Courage!« ruft der kranke Schwimmer,
»Mich dünkt ich sehe Land im West!«
Nun rühren sich der Fähren Ende,
Er sieht des fremden Auges Blitz,
Da plötzlich fühlt er starke Hände,
Fühlt wütend sich gezerrt vom Sitz.
»Barmherzigkeit! ich kann nicht kämpfen.«
Er klammert dort, er klemmt sich hier;
Ein heisrer Schrei, den Wellen dämpfen,
Am Balken schwimmt der Passagier.
Dann hat er kräftig sich geschwungen,
Und schaukelt durch das öde Blau,
Er sieht das Land wie Dämmerungen
Enttauchen und zergehn in Grau.
Noch lange ist er so geschwommen,
Umflattert von der Möwe Schrei,
Dann hat ein Schiff ihn aufgenommen,
Viktoria! nun ist er frei!
2.
Drei kurze Monde sind verronnen,
Und die Fregatte liegt am Strand,
Wo mittags sich die Robben sonnen,
Und Bursche klettern übern Rand,
Den Mädchen ist’s ein Abenteuer
Es zu erschaun vom fernen Riff,
Denn noch zerstört ist nicht geheuer
Das greuliche Korsarenschiff.
Und vor der Stadt da ist ein Waten,
Ein Wühlen durch das Kiesgeschrill,
Da die verrufenen Piraten
Ein jeder sterben sehen will.
Aus Strandgebälken, morsch, zertrümmert,
Hat man den Galgen, dicht am Meer,
In wüster Eile aufgezimmert.
Dort dräut er von der Düne her!
Welch ein Getümmel an den Schranken! –
»Da kömmt der Frei – der Hessel jetzt –
Da bringen sie den schwarzen Franken,
Der hat geleugnet bis zuletzt.«
»Schiffbrüchig sei er hergeschwommen«,
Höhnt eine Alte: »Ei, wie kühn!
Doch keiner sprach zu seinem Frommen,
Die ganze Bande gegen ihn.«
Der Passagier, am Galgen stehend,
Hohläugig, mit zerbrochnem Mut,
Zu jedem Räuber flüstert flehend:
»Was tat dir mein unschuldig Blut!
Barmherzigkeit! – so muß ich sterben
Durch des Gesindels Lügenwort,
O mög’ die Seele euch verderben!«
Da zieht ihn schon der Scherge fort.
Er sieht die Menge wogend spalten –
Er hört das Summen im Gewühl –
Nun weiß er, daß des Himmels Walten
Nur seiner Pfaffen Gaukelspiel!
Und als er in des Hohnes Stolze
Will starren nach den Ätherhöhn,
Da liest er an des Galgens Holze:
»Batavia. Fünfhundert Zehn.«
Der Mutter Wiederkehr
Du frägst mich immer von neuem, Marie,
Warum ich mein Heimatland
Die alten lieben Gebilde flieh
Dem Herzen doch eingebrannt?
Nichts soll das Weib dem Manne verhehlen,
Und nichts dem treuen Weibe der Mann,
Drum setz dich her, ich will erzählen,
Doch abwärts sitze – schau mich nicht an.
Bei meinen Eltern ich war, – ein Kind,
Ein Kind und dessen nicht froh,
Im Hause wehte ein drückender Wind,
Der ehliche Friede floh,
Nicht Zank noch Scheltwort durfte ich hören,
Doch wie ein Fels auf allen es lag,
Sahn wir von Reisen den Vater kehren,
Das war uns Kindern ein trauriger Tag.
Ein Kaufmann, ernst, sein strenges Gemüt
Verbittert durch manchen Verlust,
Und meine Mutter die war so müd,
So keuchend ging ihre Brust!
Noch seh ich wie sie, die Augen gerötet,
Ein Bild der still verhärmten Geduld,
An unserm Bettchen gekniet und gebetet.
Gewiß, meine Mutter war frei von Schuld!
Doch trieb der Vater sich um – vielleicht
In London oder in Wien –
Dann lebten wir auf und atmeten leicht,
Und schossen wie Kressen so grün.
Durch lustige Schwänke machte uns lachen
Der gute Mesner, dürr und ergraut,
Der dann uns alle sollte bewachen,
Denn meiner Mutter ward nichts vertraut.
Da schickte der Himmel ein schweres Leid,
Sie schlich so lange umher,
Und härmte sich sachte ins Sterbekleid,
Wir machten das Scheiden ihr schwer!
Wir waren wie irre Vögel im Haine,
Zu früh entflattert dem treuen Nest,
Bald tobten wir toll über Blöcke und Steine,
Und duckten bald, in den Winkel gepreßt.
Dem alten Manne ward kalt und heiß,
Dem würdigen Sakristan,
Sah er besudelt mit Staub und Schweiß
Und glühend wie Öfen uns nahn;
Doch traten wir in die verödete Kammer,
Und sahn das Schemelchen am Klavier,
Dann strömte der unbändige Jammer,
Und nach der Mutter wimmerten wir.
Am sechsten Abend nachdem sie fort
– Wir kauerten am Kamin,
Der Alte lehnte am Simse dort
Und sah die Kohlen verglühn,
Wir sprachen nicht, uns war beklommen –
Da leis im Vorsaal dröhnte die Tür,
Und schlürfende Schritte hörten wir kommen.
Mein Brüderchen rief: »Die Mutter ist hier!«
Still, stille nur! – wir horchten all,
Zusammengedrängt und bang,
Wir hörten deutlich der Tritte Hall
Die knarrende Diel’ entlang,
Genau wir hörten rücken die Stühle,
Am Schranke klirren den Schlüsselbund,
Und dann das schwere Krachen der Diele,
Als es vom Stuhle trat an den Grund.
Mein junges Blut in den Adern stand,
Ich sah den Alten wie Stein
Sich klammern an des Gesimses Rand,
Da langsam trat es herein.
O Gott, ich sah meine Mutter, Mariee!
Marie, ich sah meine Mutter gehn,
Im schlichten Kleide, wie morgens frühe
Sie kam nach ihren zwei Knaben zu sehn!
Fest war ihr Blick zum Grunde gewandt,
So schwankte sie durch den Saal,
Den Schlüsselbund in der bleichen Hand,
Die Augen trüb wie Opal;
Sie hob den Arm, wir hörten’s pfeifen,
Ganz wie ein Schlüssel im Schlosse sich dreht,
Und ins Klosett dann sahn wir sie streifen,
Drin unser Geld und Silbergerät.
Du denkst wohl, daß keines Odems Hauch
Die schaurige Öde brach,
Und still war’s in dem Klosette auch,
Noch lange lauschten wir nach.
Da sah ich zusammen den Alten fallen,
Und seine Schläfe schlug an den Stein,
Da ließen wir unser Geschrei erschallen,
Da stürzten unsere Diener herein.
Du sagst mir nichts, doch zweifl’ ich nicht,
Du schüttelst dein Haupt, Marie,
Ein Greis – zwei Kinder – im Dämmerlicht –
Da waltet die Phantasie!
Was wollte ich nicht um dein Lächeln geben,
Um deine Zweifel, du gute Frau,
Doch wieder sag’ ich’s: bei meinem Leben!
Marie, wir sahen und hörten genau!
Am Morgen kehrte der Vater heim,
Verstimmt und müde gehetzt,
Und war er nimmer ein Honigseim,
So war er ein Wermut jetzt.
Auch waren es wohl bedenkliche Worte,
Die er gesprochen zum alten Mann,
Denn laut sie haderten an der Pforte,
Und schieden in tiefer Empörung dann.
Nun ward durchstöbert das ganze Haus,
Ein jeder gefragt, gequält,
Die Beutel gewogen, geschüttet aus,
Die Silberbestecke gezählt,
Ob alles richtig, versperrt die Zimmer,
Nichts konnte dem Manne genügen doch;
Bis abends zählte und wog er immer,
Und meinte, der Schade finde sich noch.
Als nun die Dämmerung brach herein,
Ohne Mutter und Sakristan,
Wir kauerten auf dem staubigen Stein,
Und gähnten die Flamme an.
Verstimmt der Vater, am langen Tische,
Wühlt’ in Papieren, schob und rückt’,
Wir duckten an unserm Kamin, wie Fische,
Wenn drauf das Auge des Reihers drückt.
Da horch! – die Türe dröhnte am Gang,
Ein schlürfender Schritt darauf
Sich schleppte die knarrende Diel’ entlang.
Der Vater horchte – stand auf –
Und wieder hörten wir rücken die Stühle,
Am Schranke klirren den Schlüsselbund.
Und wieder das schwere Krachen der Diele,
Als es vom Stuhle trat an den Grund.
Er stand, den Leib vornüber gebeugt,
Wie Jäger auf Wildes Spur,
Nicht Furcht noch Rührung sein Auge zeigt’,
Man sah, er lauerte nur.
Und wieder sah ich die mich geboren,
Verbannt, verstoßen vom heiligen Grund,
O, nimmer hab’ ich das Bild verloren,
Es folgt mir noch in der Todesstund’!
Und er? – hat keine Wimper geregt,
Und keine Muskel gezuckt,
Der Stuhl, auf den seine Hand gelegt,
Nur einmal leise geruckt.
Ihr folgend mit den stechenden Blicken
Wandt’ er sich langsam wie sie schritt,
Doch als er sie ans Klosett sah drücken,
Da zuckte er auf, als wolle er mit.
Und »Arnold!« rief’s aus dem Geldverlies,
– Er beugte vornüber, weit –
Und wieder »Arnold!« so klagend süß,
– Er legte die Feder beiseit’ –
Zum dritten Mal, wie die blutige Trauer,
»Arnold!« – den Meerschaumkopf im Nu
Erfaßt’ er, schleudert’ ihn gegen die Mauer,
Schritt ins Klosett und riegelte zu.
Wir aber stürzten in wilder Hast
Hinaus an das Abendrot,
Wir hatten uns bei den Händen gefaßt,
Und weinten uns schier zu Tod.
Die ganze Nacht hat die Lampe geglommen,
Geknattert im Saal des Kamines Rost,
Und als der dritte Abend gekommen,
Da setzte der Vater sich auf die Post.
Ich habe ihm nicht Lebewohl gesagt,
Und nicht seine Hand geküßt,
Doch heißt es, daß er in dieser Nacht
Am Bettchen gestanden ist.
Und bei des nächsten Morgens Erglühen,
Das erste was meine Augen sahn,
Das war an unserem Lager knieen
Den tief erschütterten Sakristan.
Dem ward in der Früh’ ein Brief gebracht,
Und dann ein Schlüsselchen noch;
»Ich will nicht lesen«, hat er gedacht
Und zögerte, las dann doch
Den Brief, in letzter Stunde geschrieben
Von meines unglücklichen Vaters Hand,
Der fest im Herzen mir ist geblieben,
Obwohl mein Bruder ihn einst verbrannt.
»Was mich betroffen, das sag’ ich nicht,
Eh dorre die Zunge aus!
Doch ist es ein bitter, ein schwer Gericht,
Und treibt mich von Hof und Haus.
In dem Klosette da sind gelegen
Papiere, Wechsel, Briefe dabei.
Dir will ich auf deine Seele legen
Meine zwei Buben, denn du bist treu.
Sorg nicht um mich, was ich bedarf
Des hab’ ich genügend noch,
Und forsch auch nimmer, – ich warne scharf –
Nach mir, es tröge dich doch.
Sei ruhig, Mann, ich will nicht töten,
Den Leib, der vieles noch muß bestehn,
Doch laß meine armen Kinderchen beten,
Denn sehr bedarf ich der Unschuld Flehn.«
Und im Klosette gefunden ward
Ein richtiges Testament,
Und alle Papiere nach Kaufmannsart
Geordnet und wohl benennt.
Und wir? – in der Fremde ließ man uns pflegen,
Da waren wir eben wie Buben sind,
Doch mit den Jahren da muß sich’s regen,
Bin ich doch jetzt sein einziges Kind!
Du weißt es, wie ich auch noch so früh,
So hart den Bruder verlor,
Und hätte ich dich nicht, meine Marie,
Dann wär ich ein armer Tor! –
Ach Gott, was hab’ ich nicht all geschrieben,
Aufrufe, Briefe, in meiner Not!
Umsonst doch alles, umsonst geblieben.
Ob er mag leben? – vermutlich tot!
–––––
Nie brachte wieder auf sein Geschick
Die gute Marie den Mann,
Der seines Lebens einziges Glück
In ihrer Liebe gewann.
So mild und schonend bot sie die Hände,
Bracht’ ihm so manches blühende Kind,
Daß von der ehrlichen Stirn am Ende
Die düstern Falten gewichen sind.
Wohl führt’ nach Jahren einmal sein Weg
Ihn dicht zur Heimat hinan,
Da ließ er halten am Mühlensteg,
Und schaute die Türme sich an.
Die Händ’ gefaltet, schien er zu beten,
Ein Wink – die Kutsche rasselte fort;
Doch nimmer hat er den Ort betreten,
Und keinen Trunk Wasser nahm er dort.
Der Barmekiden Untergang1
»Reiche mir die Blutorange
Mit dem süßen Zauberdufte,
Sie die von den schönsten Lippen
Ihre Nahrung hat geraubt.
Sagt’ ich es nicht, o Maimuna,
Flehend, händeringend, knieend,
Sagt’ ich es zu sieben Malen,
Nicht zu tausend Malen dir?
›Laß, o Fürstin, diese Liebe!
Laß von dieser dunklen Liebe,
Dir die ganze Brust versengend,
Unheil bringend und Gefahr!
Daß nicht merk’ es der Kalife,
Er, der zornbereite Bruder,
Nicht den Dschafer dir verderbe,
Deinen hohen Barmekiden,
Nicht den Dschafer dir verderbe
Und dich selber, Fürstin, auch!‹«
Doch was ist die weise Rede
In dem liebentglühten Herzen?
Wie das Winseln eines Kindleins
In der wutentbrannten Schlacht,
Wie ein linder Nebeltropfen
In dem flammenden Gebäude,
Wie ein Licht, vom Borde taumelnd
In den dunkeln Ozean!
In der Tänzerin Gewande
Schmiegen sich der Fürstin Glieder,
Um die Schultern Seide flattert,
In dem Arm die Zither liegt.
O, wie windet sie die Arme
Hoch das Tamburin erschwingend,
O, wie wogen ihre Schritte,
Ihre reizerblühten Glieder,
Daß der Barmekide glühend
Seine dunklen Augen birgt!
Sieben Jahre sind verschwunden,
Sieben wonnevolle Jahre,
Zu den sieben drei und fünfe,
Und in den Gebirgen irrend
Zieht der Barmekiden Schar.
Mütter auf den Dromedaren,
Blind geweint die schönen Augen,
In den Armen Kindlein wimmernd
In die lagerlose Nacht.
Über Bagdads Tor ein Geier,
Kreisend über Dschafers Schädel,
Rauscht hinan und rauscht vorüber,
Hat zur Nahrung nichts gefunden
Als in seiner Augen Höhlen
Nur zwei kleine Spinnlein noch.
Fußnoten
1 Das Geschlecht der Barmekiden gehörte, zur Zeit des Kalifats, zu den edelsten, mächtigsten und zahlreichsten. Zuletzt war »Dschafer der Barmekide« Großwesir des Kalifen Harun-al-Reschid, und sein Liebling. – Die Schwester des Kalifen, Maimuna, faßte eine glühende Leidenschaft für den schönen und edlen Mann, und da sie sich ihm auf keine andre Weise zu nähern wußte, betrat sie seinen Palast in den Kleidern einer Tänzerin – Die Folge dieser Zusammenkunft war ein Verhältnis, das, eine Reihe von Jahren verborgen geblieben, doch endlich zur Kenntnis des Kalifen gelangte, und den Untergang des ganzen Geschlechts nach sich zog. – Dschafer ward hingerichtet, sein Kopf über eins der Stadttore Bagdads aufgesteckt, und sämtliche Barmekiden, in die Wüste getrieben, unterlagen dort dem Hunger und Elende – Siehe »Rosenöl«.
Bajazet
Der Löwe und der Leopard
Die singen Wettgesänge,
Glutsäulen heben Wettlauf an,
Und der Samum ihr Herold.
O Sonne, birg die Strahlen!
Was schleicht dort durch den gelben Sand,
Ist es ein wunder Schakal?
Ist es ein großer Vogel wohl,
Ein schwergetroffner Ibis?
O Sonne, birg die Strahlen!
Ein wunder Schakal ist es nicht,
Kein schwergetroffner Vogel,
Es ist der mächt’ge Bajazet,
Der Reichste in Kaïro.
Er, der die dreizehn Segel hat,
Die reichbeladnen Schiffe,
Auf seiner Achsel liegt der Schlauch,
Der Stab in seiner Rechten.
O Sonne, birg die Strahlen!
»Weh dir, du unglücksel’ges Gold,
Verräterisches Silber!
Und weh dir, Hassan, falscher Freund,
Du ungetreuer Diener!
Nahmst in der Nacht die Zelte mir
Und nahmst mir die Kamele.«
O Sonne, birg die Strahlen!
»Wie einen Leichnam ließest mich,
Wie Mumien, verdorrte,
Wie ein verschmachtetes Kamel,
Wie ein Getier der Wüste!
Und gab dir doch das reiche Gut,
Die zwanzigtausend Kori.«
O Sonne, birg die Strahlen!
»So fluch’ ich denn zu sieben Mal,
Und tausendmal verfluch’ ich:
Daß dich verschlingen mag das Meer,
Dein brennend Haus dich töten!
Daß breche dein Gebein der Leu,
Dein Blut der Tiger lecke!
Der Beduine plündre dich,
Preisgebe dich der Wüste,
Daß in dem Sande du versiechst,
Verschmachtend – hülflos – irrend!«
O Sonne, birg die Strahlen!
Der Schloßelf
In monderhellten Weihers Glanz
Liegt brütend wie ein Wasserdrach’
Das Schloß mit seinem Zackenkranz,
Mit Zinnenmoos und Schuppendach.
Die alten Eichen stehn von fern,
Respektvoll flüsternd mit den Wellen,
Wie eine graue Garde gern
Sich mag um graue Herrscher stellen.
Am Tore schwenkt, ein Steinkoloß,
Der Pannerherr die Kreuzesfahn’,
Und kurbettierend schnaubt sein Roß
Jahrhunderte schon himmelan;
Und neben ihm, ein Tantalus,
Lechzt seit Jahrhunderten sein Docke
Gesenkten Halses nach dem Fluß,
Im dürren Schlunde Mooses Flocke.
Ob längst die Mitternacht verklang,
Im Schlosse bleibt es immer wach;
Streiflichter gleiten rasch entlang
Den Korridor und das Gemach,
Zuweilen durch des Hofes Raum
Ein hüpfendes Laternchen ziehet;
Dann horcht der Wandrer, der am Saum
Des Weihers in den Binsen knieet.
»Ave Maria! stärke sie!
Und hilf ihr über diese Nacht!«
Ein frommer Bauer ist’s, der früh
Sich auf die Wallfahrt hat gemacht.
Wohl weiß er, was der Lichterglanz
Mag seiner gnäd’gen Frau bedeuten;
Und eifrig läßt den Rosenkranz
Er durch die schwiel’gen Finger gleiten.
Doch durch sein christliches Gebet
Manch Heidennebel schwankt und raucht;
Ob wirklich, wie die Sage geht,
Der Elf sich in den Weiher taucht,
Sooft dem gräflichen Geschlecht
Der erste Sprosse wird geboren?
Der Bauer glaubt es nimmer recht,
Noch minder hätt’ er es verschworen.
Scheu blickt er auf – die Nacht ist klar,
Und gänzlich nicht gespensterhaft,
Gleich drüben an dem Pappelpaar
Zählt man die Zweige längs dem Schaft;
Doch stille! In dem Eichenrund –
Sind das nicht Tritte? – Kindestritte?
Er hört wie an dem harten Grund
Sich wiegen, kurz und stramm, die Schritte.
Still! still! es raschelt übern Rain,
Wie eine Hinde, die im Tau,
Beherzt gemacht vom Mondenschein,
Vorsichtig äßet längs der Au.
Der Bauer stutzt – die Nacht ist licht,
Die Blätter glänzen an dem Hagen,
Und dennoch – dennoch sieht er nicht,
Wen auf ihn zu die Schritte tragen.
Da, langsam knarrend, tut sich auf
Das schwere Heck zur rechten Hand,
Und, wieder langsam knarrend, drauf
Versinkt es in die grüne Wand.
Der Bauer ist ein frommer Christ;
Er schlägt behend des Kreuzes Zeichen;
»Und wenn du auch der Teufel bist,
Du mußt mir auf der Wallfahrt weichen!«
Da hui! streift’s ihn, federweich,
Da hui! raschelt’s in dem Grün,
Da hui! zischt es in den Teich,
Daß bläulich Schilf und Binsen glühn,
Und wie ein knisterndes Geschoß
Fährt an den Grund ein bläulich Feuer;
Im Augenblicke wo vom Schloß
Ein Schrei verzittert überm Weiher.
Der Alte hat sich vorgebeugt,
Ihm ist als schimmre, wie durch Glas,
Ein Kindesleib, phosphorisch, feucht,
Und dämmernd wie verlöschend Gas;
Ein Arm zerrinnt, ein Aug’ verglimmt –
Lag denn ein Glühwurm in den Binsen?
Ein langes Fadenhaar verschwimmt,
– Am Ende scheinen’s Wasserlinsen!
Der Bauer starrt, hinab, hinauf,
Bald in den Teich, bald in die Nacht;
Da klirrt ein Fenster drüben auf,
Und eine Stimme ruft mit Macht:
»Nur schnell gesattelt! schnell zur Stadt!
Gebt dem Polacken Gert’ und Sporen!
Viktoria! soeben hat
Die Gräfin einen Sohn geboren!«
Kurt von Spiegel
O frommer Prälat, was ließest so hoch
Des Marschalks frevlen Mut du steigen!
War’s seine Gestalt deren Adel dich trog,
Sein flatternder Witz unter Bechern und Reigen?
O frommer Bischof, wie war dir zu Mut,
Als rauchend am Anger unschuldiges Blut
Verklagte, verklagte dein zögerndes Schweigen!
Am Wewelsberge schallt Wald-Hurra,
Des Rosses Flanke schäumt über den Bügel,
Es keucht der Hirsch, und dem Edelwild nah,
Ein flüchtiger Dogge, keucht Kurt von Spiegel;
Von Turmes Fahne begierig horcht
Der arme Tüncher, und unbesorgt
Hält in der Hand er den bröckelnden Ziegel.
Da horch! Halali! das Treiben ist aus,
Des Hirsches einzige Träne vergossen,
Ein Hörnerstoß durch das waldige Haus
Vereint zum Geweide die zott’gen Genossen,
Und bald aus der nickenden Zweige Geleit
Die Treiber so stumm, die Ritter so breit,
Ziehn langsam daher mit den stöhnenden Rossen.
Der Spiegel spornt sein rauchendes Tier,
»Verfluchte Kanaille, du hast mich bestohlen!«
Da sieht er, hoch an des Turmes Zimier,
Den armen Tüncher auf schwankenden Bohlen.
»Ha«, murrt er, »heute nicht Beute noch Schuß,
Nie kam ich noch wieder mit solchem Verdruß,
Ich möchte mir drüben den Spatzen wohl holen!«
Der Tüncher sieht wie er blinzelt empor,
Und will nach dem ärmlichen Hütlein greifen,
Da sieht er drunten visieren das Rohr,
Da hört er den Knall, und die Kugel noch pfeifen;
Getroffen, getroffen! – er schaukelt, er dreht,
Mit Ziegel und Bohle und Handwerksgerät
Kollert er nieder zum rasigen Streifen.
Als träf’ ihn selber das Todesgeschoß
So zuckt der Prälat, seine Augen blitzen,
»Marschalk!« stöhnt er, die Stirne wird naß,
Am schwellenden Halse zittern die Spitzen,
Dann fährt auf die Wange ein glühendes Rot,
Und »Marschalk!« ruft er, »das bringt dir den Tod!
Greift ihn, greift ihn, meine Treiber und Schützen!«
Doch lächelnd der Spiegel vom Hengste schaut,
Er lächelt umher auf die bleichen Vasallen:
»Mein gnädigster Herr, nicht zu laut, nicht zu laut,
Eur Dräuen möchte im Winde verhallen!«
Dann wendet er rasch, im sausenden Lauf
Durchs Tor und die donnernde Brücke hinauf. –
Zu spät, zu spät sind die Gitter gefallen!
Im Dome zu Paderborn ist verhallt
Das Sterbegeläute des alten Prälaten,
Und wieder im Dom hat Kapitels Gewalt
Den neuen Beherrscher gewählt und beraten.
Stumm fährt das Gebirg’ und die Felder hinein
Der neue Bischof zur Wewelsburg ein,
Geleitet von summenden Volkskomitaten.
Und als nun über die Brücke er rollt,
Und sieht die massigen Türme sich strecken,
Wie ihm im Busen es zittert und grollt!
An seiner Inful – o brandiger Flecken!
Des Spiegels Blut in dem Ahnenbaum hell!
Leis seufzet er auf, dann murmelt er schnell:
»Herr Truchseß, laßt unsre Tafel nun decken.«
Es kreisen die Becher beim Böllergeknall,
Die stattlichen Ritter, die artigen Damen,
Sich schleudernd des Witzes anmutigen Ball,
Fast von der Stirne die Falten ihm nahmen;
Da horch! im Flure ein Schreiten in Eil;
Es knarren die Türen, es steht eine Säul’,
Der Spiegel, der blutige Marschalk, im Rahmen!
Der Bischof schaut wie ein Laken so bleich,-
Im weiten Saal keines Odems Verhallen –
Ans Auge schlägt er die Rechte sogleich,
Und langsam läßt er zur Seite sie fallen.
Dann seufzt er hohl und düster und schwer:
»Kurt! – Kurt von Spiegel, wie kömmst du daher!
Greift ihn, ergreift ihn, ihr meine Vasallen!«
Kein Sünderglöckchen geläutet ward,
Kein Schandgerüst sah man zimmern und tragen,
Doch sieben Schüsse die knatterten hart,
Und eine Messe hörte man sagen.
Der Bischof schaut’ auf den blutigen Stein,
Dann murmelt’ er sacht ins Breve hinein:
»Es ist doch schwer eine Inful zu tragen!«