Jean-Paul Sartre
Leben
Der französische Schriftsteller und Philosoph Jean-Paul Sartre (* 21. Juni 1905 in Paris, † 15. April 1980 in Paris, vollständiger Name Jean-Paul Charles Aymard Sartre) wurde in Paris als Sohn des Marineoffiziers Jean-Baptiste Sartre (1874 – 1906) geboren, seine Mutter Anne-Marie (1882 – 1969), geborene Schweitzer, war deutsch-elsässischer Abstammung und eine Cousine Albert Schweitzers. Der Vater starb 15 Monate nach Jean-Pauls Geburt an einer Tropenkrankheit. Seine junge Mutter zog daraufhin zurück zu ihren Eltern, wo Sartre unter dem erzieherischen Einfluss seines Großvaters Charles Schweitzer aufwuchs, eines Gymnasialprofessors (agrégé) für das Fach Deutsch, der ihn zu Hause unterrichtete. Sehr früh begann er zu lesen (auch auf Deutsch), erlitt aber schon als Junge eine Linsentrübung im rechten Auge, das nach und nach erblindete und nach außen wanderte, sodass er mit der Zeit immer stärker schielte. Erst im Alter von 10 Jahren kam er zur Schule auf das prestigeträchtige Gymnasium Lycée Henri-IV.
1917 verheiratete sich seine Mutter wieder und zog mit ihm zu ihrem neuen Mann nach La Rochelle – zwei Veränderungen, die der Zwölfjährige schwer verkraftete, zumal auch sein Großvater empört mit ihm brach, als er erfuhr, dass der Junge Geld aus der Haushaltskasse genommen hatte, um sich mit Süßigkeiten bei seinen neuen Klassenkameraden einzuschmeicheln.
1920 wurde Sartre nach Paris zurückgeschickt und besuchte – nunmehr als Internatschüler – wieder das Henri-IV. Hier befreundete er sich mit einem Klassenkameraden, dem späteren Schriftsteller-Kollegen Paul Nizan, der ihn in die zeitgenössische Literatur einführte. 1922 legte er das bac (baccalauréat) ab und wechselte zusammen mit Nizan auf das Lycée Louis-le-Grand, dessen Vorbereitungsklassen (classes préparatoires) für die école Normale Supérieure, die Elitehochschule für die Lehramtsfächer, als besser gegenüber denen des Henri-IV galten.
1923 konnte Sartre eine Novelle und einige Romankapitel in kleinen Zeitschriften unterbringen, zugleich begann er, sich für Philosophie zu interessieren. 1924 belegte er den sechsten Rang in der Aufnahmeprüfung (concours) für die école Normale Supérieure. Sein Wohnheimzimmer dort teilte er mit dem ebenfalls aufgenommen Nizan.
Die vier Jahre auf der école Normale Supérieure waren eine glückliche Zeit für Sartre: Er las und arbeitete viel und regelmäßig jeden Tag von 9 bis 13 und von 15 bis 19 Uhr, was er sein ganzes Leben lang beibehielt. Er absolvierte Kurse und Prüfungen in Psychologie, Moralphilosophie, Soziologie, Logik, Metaphysik und Latein, interessierte sich für die neue Kunstform Kino und für den aus Amerika importierten Jazz. Auch nahm der nur 1,56 m große und deshalb von seinen Freunden auch „das Männchen“ (le petit homme) genannte Sartre Boxunterricht.
Beim sonntäglichen Besuchen seiner Eltern, die inzwischen ebenfalls in Paris lebten, führte er hitzige Debatten mit seinem Stiefvater, der ihn als „communiste patenté“ (offenkundiger Kommunist) apostrophierte. Zwar war Sartre anders als sein Freund Nizan kein Mitglied der Kommunistischen Partei Frankreichs, doch war er Sympathisant und verweigerte z.B. zusammen mit Nizan die für Schüler der école Normale Supérieure quasi obligatorische Ausbildung zum Reserveoffizier. Altersgemäß versuchte er es auch mit der Liebe, und zwar bei einer entfernten jungen Verwandten aus Toulouse, die er auf einer Beerdigung kennengelernt hatte und die ihn bei ihren raren kurzen Treffen ziemlich frustrierte (ähnlich wie sein alter ego Roquentin im Roman La Nausée (Der Ekel) von Freundin Anny frustriert wird).
Philosophisch begann Sartre, der sich in der Familie seines Großvaters und dann seines Stiefvaters immer irgendwie „überzählig“ gefühlt hatte, eine „Theorie der Kontingenz“ zu entwickeln, gemäß der das menschliche Leben ein Zufallsprodukt ist und nicht unbedingt einen von höheren Mächten verbürgten Sinn hat.
1928 erhielt er bei der Aufnahmeprüfung (agrégation) für das Amt des Gymnasialprofessors nur den nicht ausreichenden 50. Platz, anscheinend weil er versucht hatte, originelle Ideen zu formulieren.
Nachdem Nizan sich verheiratet hatte, meinte auch Sartre, dies tun zu müssen und ließ seine Eltern um die Hand einer jungen Frau anhalten, die er kennengelernt hatte; er wurde jedoch abgewiesen. Wenig später begegnete er seiner künftigen Weggefährtin Simone de Beauvoir, die sich wie er auf „l’agreg“ vorbereitete. Beide wurden angenommen, Sartre kommt diesmal auf den 1. und Beauvoir auf den 2. Platz.
Während sie als Gymnasialprofessorin mit Anfang 20 nach Marseille geschickt wurde, trat Sartre seinen Militärdienst bei den Meteorologen in Tours an, wo er als Ausbilder den ein Jahr älteren und später bedeutenden Soziologen und Philosophen Raymond Aron hatte. Da der Dienst ihn wenig beanspruchte, schrieb er viel: Gedichte, den Anfang eines Romans, Entwürfe zu Theaterstücken.
1931, mit 26, wurde er als Gymnasialprofessor für Philosophie nach Le Havre geschickt. Er und Beauvoir trafen sich auch weiterhin regelmäßig in Paris, das ihr Lebensmittelpunkt blieb. Beide machten eine erste größere Reise nach Spanien, was Sartre vom kleinen Erbe der Großmutter Schweitzer bezahlte.
In seiner Schule war er bei den Schülern bald als interessanter Lehrer beliebt, aber bei den Kollegen als arrogant verschrien. Er begann an einem Factum sur la contingence (Streitschrift über den Zufall) zu arbeiten, einer polemisch-satirischen Schrift gegen die allzu optimistische und positive Schulphilosophie, die er gemäß Lehrplan seinen Klassen verabreichen musste. 1932 reiste er mit Beauvoir in die Bretagne, nach Spanien und Spanisch Marokko. Zum Schuljahrswechsel wurde sie ins nähere Rouen versetzt. Gemeinsam interessierten sie sich für Sigmund Freud und dessen Psychoanalyse. Sartre entdeckte die Phänomenologie Edmund Husserls, aber auch die Romane Hemingways. 1933 unternahm man wieder gemeinsame Reisen, diesmal nach London und Italien.
Danach war Sartre für ein Jahr Stipendiat am Institut Français in Berlin. Hier las er Husserl und Heidegger, Faulkner und Kafka und begann aus dem factum einen Roman zu entwickeln, das spätere La Nausée. Die Politik interessierte ihn nur am Rande, die gerade erfolgte Machtergreifung Hitlers hielt er, wie viele linke Intellektuelle, für einen vorübergehenden Spuk. Nach Ablauf des Stipendiums reiste er mit Beauvoir durch Deutschland, Österreich und die 1919 neugeschaffene Tschechoslowakei.
Ab Herbst 1934 unterrichtete er wieder in Le Havre, wo er sich einsam und deplatziert fühlte und schließlich depressiv wurde, zumal auch die allgemeine Stimmung schlecht war in der Hafenstadt, die besonders stark unter der Weltwirtschaftskrise litt, die mit drei, vier Jahren Verspätung nun auch Frankreich getroffen hatte. Sartres Depression verstärkte sich durch Wahn- und Panikphasen, weil er sich 1935, nachdem er eine Doktorarbeit über die Vorstellungskraft zu schreiben begonnen hatte, von einem befreundeten Arzt die Droge Meskalin hatte spritzen lassen. Immerhin nahm er am 14. Juli 1935 mit Beauvoir an der antifaschistischen Großkundgebung in Paris teil, mit der die französischen Linksparteien und Gewerkschaften gemeinsam auf den wachsenden Druck der faschistischen Kräfte auch in Frankreich reagierten.
1936 beendete Sartre den Roman, an dem er seit Berlin gearbeitet hatte. Er war sehr enttäuscht, als der Gallimard-Verlag das Manuskript ablehnte. Trotzdem schrieb er nun weiter erzählende Texte. In seinen eigenen Augen war er offenbar zum belletristischen Autor geworden, und er wurde bestärkt von Beauvoir, die inzwischen ebenfalls an einem Roman schrieb.
Im Mai und Juni 1936 gingen sie beide zwar aus Prinzip nicht wählen, waren aber begeistert, als die linke „Volksfront“ (Front populaire) die Wahlen gewann. Der Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs im Juli bewegte auch Sartre zutiefst; den Gedanken, sich als Freiwilliger den antifaschistischen Internationalen Brigaden anzuschließen, verwarf er aber, zumal er gerade eine Stelle in Laon, also näher an Paris, bekommen hatte. Nach einer Italienreise mit Beauvoir verarbeitet er das Thema Spanischer Bürgerkrieg in der Novelle Le Mur (Die Mauer), einem kleinen Meisterwerk, das Aufmerksamkeit erregte, als es im Juli 1937 in der Nouvelle Revue Française gedruckt wurde. Ebenfalls 1937 wurde schließlich auch sein Roman angenommen, wobei der Verleger Gallimard vorschlug, den Text zu kürzen und den ursprünglich geplanten Titel Melancholia in La Nausée (eigentlich: die Übelkeit) abzuändern.
Zum Schuljahr 1937/38 wurde Sartre endlich in den Pariser Vorort Neuilly versetzt, auch Beauvoir bekam eine Stelle in Paris. Sie wohnten nun in zwei Zimmern eines kleinen Hotels im XIV. Arrondissement; ans Heiraten dachten sie nicht: Beauvoir wollte emanzipiert leben, und dazu gehörte, dass sie weder Ehefrau noch Mutter sein mochte.
Sartre mit Simone de BeauvoirIm April 1938 kam mit erfreulichem Erfolg La Nausée heraus: ein Roman, dessen Ich-Erzähler Roquentin ähnliche Sinn- und Selbstfindungsprobleme hat, wie sie auch Sartre in den Jahren von Le Havre hatte, und der so wie dieser die Krise schließlich nicht durch Selbstmord löst, sondern mit dem Entschluss Romancier zu werden. Auch ein Sammelband mit Erzählungen aus den letzten drei Jahren, den Sartre 1939 unter dem Titel Le Mur herausgab, fand Beachtung. Zugleich beauftragte ihn André Gide, eine Artikelserie über moderne Autoren für die Nouvelle Revue Française zu schreiben: Sartre hatte seinen Durchbruch als Autor geschafft. Er machte sich nun an ein gr&oruml;ßeres Romanprojekt und begann dessen ersten Band L’Âge de raison (Das Alter der Vernunft).
Waren Sartre und Beauvoir bisher fast hochmütig „freischwebende Intellektuelle“ gewesen (eine Wortschöpfung des Soziologen Karl Mannheim), so begannen sie nun, angesichts des zunehmenden Expansionsdrangs Hitlers, sich politisch zu engagieren. Als Frankreich am 3. September 1939 Deutschland den Krieg erklärte, wurde Sartre eingezogen. „La drôle de guerre“, den Krieg, der zunächst keiner war, verbrachte er im Elsass, wo er fleißig an seinem Roman schrieb und sich Notizen für eine philosophische Abhandlung machte. Im April 1940 konnte er auf einem Urlaub in Paris den „prix du roman populiste“ entgegennehmen. Während nach dem 10. Mai 1940 der deutsche Angriff, „le blitz allemand“, Frankreich ins Chaos stürzte, schrieb Sartre fieberhaft an den letzten Seiten von L’Âge de raison. Ende Juni, kurz vor dem Waffenstillstand, geriet er mit seiner Einheit in Gefangenschaft. Hierbei nahm ihm ein deutscher Offizier das fertige Manuskript ab, verwahrte es aber und ließ es ihm später wieder zukommen.
Während in Frankreich der neue Staatschef Marschall Pétain ein rechtsautoritäres von der großen Mehrheit der Franzosen aber durchaus akzeptiertes Regime errichtet, verbrachte Sartre in einem Kriegsgefangenenlager bei Trier fast glückliche Monate. Er schloss Freundschaften, z.B. mit dem Jesuitenpater Paul Feller (1913-1979), und verfasste ein versteckt politisches Stück, Bariona ou le Fils du tonnerre (B. oder der Sohn des Donners), das er mit Kameraden zu Weihnachten aufführte. Anders als die anderen Gefangenen, die nach und nach als Zwangsarbeiter auf deutsche Fabriken und Bauernhöfe verteilt wurden, wurde Sartre wegen seines Augenleidens im März 1941 freigelassen. Beauvoir, die sich offenbar mit den neuen Verhältnissen arrangiert hatte, war frappiert von dem politischen und moralischen Rigorismus, den er aus dem Lager mitbrachte.
Beide aktivierten nun alte Bekanntschaften und gründeten eine Widerstandsgruppe Socialisme et liberté (Sozialismus und Freiheit), die sich mehr gegen das Vichy-Regime richtete als gegen die deutschen Besatzer (die man zu dieser Zeit in Frankreich kaum wahrnahm). Sartres Versuche, Kontakte zu kommunistischen Bekannten zu knüpfen und mit ihnen zusammenzuarbeiten, schlugen fehl. Die Kommunisten, die schon dabei waren, im Untergrund eine antideutsche Widerstandsorganisation aufzubauen, und die nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 mit Attentaten auf deutsche Soldaten begannen, hielten ihn für einen anarcho-linken kleinbürgerlichen Intellektuellen, der ähnlich wie die Figur Hugo im Stück Les mains sales (Die schmutzigen Hände) für Aktionen unbrauchbar war. Sie misstrauten ihm auch wegen seiner ungewöhnlich raschen Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft und verbreiteten das Gerücht, er sei ein Agent der deutschen Gestapo.
Im Sommer machte Sartre mit Beauvoir per Fahrrad eine so anstrengende wie abenteuerliche Reise ins unbesetzte Südfrankreich, um Kontakte zu politisch linken Autoren zu suchen, die sich dorthin zurückgezogen hatten. Der Erfolg blieb aber aus. Immerhin entwickelte er auf dieser Fahrt die Konzeption für sein Stück Les Mouches (Die Fliegen), worin ein ihm selber ähnelnder Oreste den dem Staatschef Pétain ähnelnden Tyrannen égisthe erschlägt, jedoch vom Volk, das er befreien will, abgelehnt wird und enttäuscht über dessen politische Unreife das Land verlässt.
Auch Sartre selbst löste 1942 frustriert seine Widerstandsgruppe auf und beschränkte sich auf das Schreiben. Er stellte Lres mouches fertig und schrieb an seinem philosophischen Hauptwerk, L’Être et le néant (Das Sein und das Nichts). Im Oktober wurde er an eines der besten Pariser Gymnasien versetzt, das Lycée Condorcet, wo er den attraktiven Posten eines Gymnasialprofessors für Vorbereitungsklassen zur école Normale Supérieure erhielt. 1942 beendete er L’Être et le néant und begann den zweiten Band seiner Romantrilogie Le Sursis (Der Aufschub).
Als nach der Landung der Briten und US-Amerikaner in Nordafrika im November 1942 und vor allem nach dem Desaster der deutschen Truppen in Stalingrad in der Zeit Januar/Februar 1943 eine Niederlage Deutschlands im Krieg nicht mehr unmöglich schien, organisierte sich in Frankreich der Widerstand. Auch Sartre wurde nun wieder aktiv und betätigte sich im Comité national des écrivains (Nationalkomittee der Schriftsteller).
Im Frühjahr 1943 erschienen trotz Papierknappheit L’Être et le néant und Les mouches. Letzteres wurde am 2. Juni sogar uraufgeführt – mit Plazet der deutschen Zensur, aber nur mäßigem Erfolg. Später im Jahr verfasste Sartre sein erstes Film-Drehbuch Les jeux sont faits (Das Spiel ist aus) sowie in wenigen Tagen sein wohl bestes Stück: Huis clos (Geschlossene Gesellschaft), ein Drama um einen Mann und zwei Frauen, die sich mit allen Tricks des Psychoterrors gegenseitig das Leben zur Hölle machen, wo sie der Fiktion nach schon sind. Als Huis clos am 27. Mai 1944 zwei Wochen vor der Landung der Alliierten in der Normandie erfolgreich aufgeführt wurde, bestätigte es Sartre als eine zentrale Figur im intellektuellen Paris der Zeit. Tatsächlich kannte er inzwischen alle Leute, die dort von Belang waren oder es werden sollten: Jean Cocteau, Michel Leiris, Albert Camus, Raymond Queneau, Georges Bataille, Jean Genet, Armand Salacrou, Jacques Lacan u.a.m.
Nach der alliierten Landung in der Normandie am 6. Juni zogen er und Beauvoir es vor, Paris zu verlassen. Sie kehrten erst nach dem 19. August 1944, dem Tag des Abzugs der Deutschen zurück. Da Sartre inzwischen gut von der Autorentätigkeit leben konnte, ließ er sich vom Schuldienst beurlauben und quittierte diesen schließlich ganz. Als Anfang 1945 sein Stiefvater starb, zog er zu seiner Mutter. Vorübergehende Heiratspläne mit einer Französin, die er im Winter 1944/45 während eines USA-Aufenthaltes kennengelernt hatte, realisierte er nicht.
In den Nachkriegsjahren war Sartre dann der tonangebende französische Intellektuelle: Sein L’Être et le néant und der Essay L’Existentialisme est un humanisme von 1946 galten als Hauptwerke der neuen, hauptsächlich von ihm geschaffenen Philosophie des Existenzialismus, dessen Kernaussage ist, dass der Mensch durch den Zufall seiner Geburt in die Existenz geworfen ist und aktiv selbst versuchen muss, dem Leben einen Sinn zu geben. Seine Romane wurden gekauft und gelesen: L’Âge de raison und Le Sursis erschienen 1946 gemeinsam unter dem Titel Les chemins de la liberté (Wege der Freiheit), 1949 kam auch der dritte Teil der Trilogie mit dem Titel La Mort dans l’Âme (Den Tod in der Seele) hinzu. Seine Stücke wurden auf allen französischen und vielen europäischen Bühnen gespielt: 1946 Morts sans sépulture (Tote ohne Begräbnis) und La Putain respectueuse (Die ehrbare Dirne), in dem Sartre seine Erfahrungen seiner Amerikareise spiegelt, 1948 Les mains sales (Die schmutzigen Hände). Auch als Publizist war Sartrehöchst aktiv. Die von ihm gegründete und herausgegebene Zeitschrift Les Temps modernes (Moderne Zeiten) wurde ein Forum für viele Autoren von Rang.
Entsprechend wurde sein Leben immer bewegter. Er gab Interviews und ging – oft zusammen mit Beauvoir – auf Vortragsreisen im In- und Ausland. Auch politisch blieb er engagiert: So war er 1948 Mitbegründer einer kurzlebigen neuen Partei zwischen Sozialisten und Kommunisten, landete um 1950 aber auf seiten der Kommunisten, was den Bruch mit etlichen gemäßigt linken Intellektuellen wie beispielsweise Camus nach sich zog. 1956 kehrte er wiederum den Kommunisten den Rücken, weil er die brutale russische Intervention in Ungarn missbilligte. Während der Mai-Revolution 1968 trat er kurzzeitig für die Sache radikaler linker Studentengruppen ein.
Er schrieb in diesen Jahren immer noch viel, zum Beispiel literaturkritische Artikel (gesammelt gedruckt in den Bänden Situations, 1947 – 65) und literaturtheoretische Essays (insbesondere den politisches Engagement vom Autor fordernden Qu’est-ce que la littérature/Was ist Literatur, 1947), aber auch Autorenmonografien (über Baudelaire, 1947; Jean Genet, 1952; Mallarmé, 1953, und Flaubert; 1971 – 72); hinzu kamen einige Dramen (darunter 1951 Le Diable et le bon Dieu/Der Teufel und der liebe Gott oder 1959 Les séquestrés d’Altona/Die Eingeschlossenen) sowie 1963 eine Geschichte seiner Kindheit mit dem Titel Les mots (Die Wörter). Seine Hauptrolle war jedoch seit spätestens 1949 nicht mehr die eines belletristischen oder philosophischen Autors. Vielmehr wurde er mehr und mehr zum bewunderten und gefürchteten maître à penser (Vordenker) und Allround-Intellektuellen, einem Gewissen auch der Nation, als welches er sich beispielsweise gegen Menschenrechtsverletzungen in den französischen Kolonialkriegen und anderswo einsetzte.
1964 wurde Sartre für Les Mots der Nobelpreis für Literatur zuerkannt, er lehnte dessen Annahme jedoch ab, da er keine öffentliche Auszeichnung gewollt habe, fragte jedoch später nach, ob er das Geld nicht doch bekommen könne. Sein Verhältnis zu Beauvoir bestand weiter, hatte sich allmählich aber gelockert. Ab 1973 war er praktisch blind. Trotzdem versuchte er weiter präsent zu sein, unter anderem mit Interviews und gelegentlichen öffentlichen Auftritten. 1974 zum Beispiel erregte sein Besuch des – seines Erachtens nach politischen – Häftlings und RAF-Mitglieds Andreas Baader im Gefängnis in Stuttgart-Stammheim öffentliche Aufmerksamkeit. 1979 nahm er noch an einer Pressekonferenz zugunsten der Boat People genannten vietnamesischen Flüchtlinge teil.
Sartre blieb bis zu seinem Tod eine bekannte Persönlichkeit des öffentlichen Lebens: Bei seiner Beerdigung folgten 50.000 Menschen dem Sarg. Auch wenn inzwischen seine Stücke kaum mehr gespielt werden, sein erzählerisches Werk bis auf die ständig nachgedruckten Le Mur und La Nausée kaum mehr gelesen und vor allem seine Philosophie kaum mehr diskutiert wird, ist sein Rang als eine der wichtigsten Figuren des geistigen Frankreich im 20. Jahrhundert unbestritten.
Philosophie
Hauptpunkt seiner früheren Thesen (allen voran in L’Être et le néant, 1943) ist, dass der Mensch zur Freiheit verurteilt sei: er trifft in jeder seiner Handlungen eine Wahl, und sei es nur die (z.B. unter Folter), zu leben oder zu sterben. Äußerliche Zwänge aufgrund äußerer gesellschaftlicher, natürlicher oder göttlicher Direktiven leugnet Sartre – dies sind Konstruktionen, die dem Menschen die Verantwortung für das, was er tut, nicht abnehmen. Er sagt: „Die Hölle, das sind die anderen“: die Erwartungen und Projektionen, die durch Mitmenschen an einen gerichtet werden, manipulieren dessen Handeln, wenn er ihnen gerecht zu werden versucht – aus Bequemlichkeit, weil er der Verantwortung ausweicht, sich selbst stets neu erfinden zu müssen. Am bündigsten formuliert er seine These mit dem Satz „Die Existenz geht dem Wesen voraus“ („L’existence précçde l’essence“) – einzig sein nacktes Dasein ist dem Menschen vorgegeben; was ihn am Ende ausmacht, muss er erfinden.
Dass diese Haltung angesichts der historischen Wirklichkeit (Krieg, Holocaust) abstrakt ist, erfährt Sartre am eigenen Leibe, als er einberufen wird. Aus dieser Erfahrung, die ihm nicht freiwillig widerfährt, modifiziert er seine Philosophie hin zu einer politischen, auf dem Prinzip des Engagements fundierten Stellung: die große Bedeutung des Bildes, das sich Mitmenschen von einem machen und dessen Handeln modifizieren, veranlasst ihn spätestens seit Le diable et le bon dieu (1951) und der Critique de la raison dialectique (1960) zur Einsicht, dass das Wesen des Menschen, die Realität seines Daseins und Tuns, nachhaltig gesellschaftlich geprägt ist.
Ontologischer Ansatz: (Onto-logie: Lehre vom Seienden in seiner höchsten Abstraktheit): Der Mensch ist das einzige Seiende, bei dem die Existenz (dass er ist) der Essenz (was er ist) vorausgeht. Begründung: Für sein Wesen bestimmende Grundzüge (was er sein soll, damit er eigentlich Mensch ist) gibt es nicht. Es gibt keinen Gott, in dem diese Werte begründet wären. Es gibt keine objektiv verbindliche Ethik (wie etwa bei Kant oder Schopenhauer).
Beweis gegen Kants kategorischen Imperativ: Wenn Werte im Konflikt stehen, versagen die allgemeinen Prinzipien. Soll ich bei meiner kranken Mutter bleiben und ihr beistehen oder sie verlassen und mich der Résistance anschließen? Was soll allgemeines Gesetz werden?
Die Lage des Menschen ist also durch absolute Freiheit gekennzeichnet oder: „Der Mensch ist dazu verdammt, frei zu sein“ oder: „Der Mensch ist der Statthalter des Nichts“ (der Statthalter der Entwicklung (Beifügung ohne Heidegger)!) (Heidegger). Dieser Grund-Situation hat sich der Mensch zu stellen. Alles andere wäre eine Selbsttäuschung. Es gibt keine Natur des Menschen, die den Menschen lebt, sondern der Mensch ist das, wozu er sich macht.
Daraus folgen einige Feststellungen: – „Der Mensch ist voll und ganz verantwortlich, zunächst für seine Individualität: Mit seinem Tun „zeichnet er sein Gesicht“. Dann aber zugleich für die ganze Menschheit. Denn mit seinen Entscheidungen entwirft er ein Modell, einen „Typus“ des Menschen. Insofern ist er immer auch ein Gesetzgeber.
„Der Mensch ist Angst.“
„Der Mensch ist Verlassenheit.“
„Der Mensch ist Verzweiflung.“ Sartre führt diesen Begriff im Zusammenhang mit der Tatsache ein, dass man in seinen Projekten für die Zukunft nur auf das bauen kann, was in den eigenen Kräften steht. Es ist nie sicher, dass andere etwa die eigenen politischen Pläne fortsetzen werden. Es gibt also keine sicheren Hoffnungen über das Leben hinaus. Auch die anderen sind frei. Aber: „Man braucht nicht zu hoffen, um etwas zu unternehmen.“
„Es gibt Wirklichkeit nur in der Tat.“ oder: „Der Mensch ist das, was er vollbringt.“ Der Mensch ist nicht seine Möglichkeiten. Die Liebe ist für Sartre die verwirklichte Liebe, das Genie das verwirklichte Genie. Es gibt keine Entschuldigungen für das, was nur innen bleibt. Sartres psychologische Begründung: Ob z. B. Zivilcourage echt ist, kann man nur sagen, wenn jemand sie im Leben zeigt.
Historische Situation und menschliche Bedingung: „Die historische Situation ändert sich … Was sich nicht ändert, ist die Notwendigkeit, in der Welt zu sein, darin an der Arbeit, darin inmitten der anderen zu sein und sterblich zu sein.
Die Bedeutung der anderen: Der Existenzialist „gibt sich Rechenschaft, dass er nichts sein kann (im Sinne, wie man sagt, einer ist geistreich, einer ist bösartig, einer ist eifersüchtig) außer wenn die anderen ihn als solchen anerkennen. Um irgendeine Wahrheit über mich zu erfahren, muss ich durch den anderen hindurchgehen. Der andere ist meiner Existenz unentbehrlich, ebenso wie er der Erkenntnis, die ich von mir selber habe, unentbehrlich ist. Unter diesen Bedingungen enthüllt die Entdeckung meines Innersten mir zugleich den anderen als eine mir gegenübergestellte Freiheit, die nur für oder gegen mich denkt und will. Somit entdecken wir sofort eine Welt, die wir „Zwischen-Ichheit“ (Intersubjektivität) nennen wollen, und in dieser Welt entscheidet der Mensch, was er ist und was die anderen sind.“ Man wählt im Angesicht der anderen, und man wählt sich im Angesicht der anderen. Sartre zeigt in einer Analyse des Angeblicktwerdens („Der Blick“ in: „Das Sein und das Nichts“), wie der andere mir erscheint: alsKonkurrent in dem Kampf um die Perspektivierung des Menschseins und der Wirklichkeit.
Die existentialistische Moral: Sartre betont die Ähnlichkeit mit dem Akt künstlerischen Schaffens. Man muss die Moral mit der Gestaltung eines Kunstwerkes vergleichen. Gründe: Ein Künstler lässt sich nicht durch festgelegte Regeln leiten. Er muss auch kein bestimmtes Bild machen. Der Künstler bindet sich in die Gestaltung seines Bildes ein; und das Bild, das zu machen ist, ist genau das Bild, das er gemacht haben wird. Wir befinden uns mit unserer Moral in einer vergleichbaren nach Kreativität verlangenden Lage. Der Inhalt ist immer konkret und daher unvorhersehbar; es ist immer Erfindung vorhanden. Was allein zählt, ist, zu wissen, ob die Erfindung, die getätigt wird, im Namen der Freiheit getätigt wird.
Kann ich ein moralisches Urteil über andere fällen? Wenn der Mensch einmal erkannt hat, dass er in Verlassenheit Werte setzt – dann kann er nur eines noch wollen, nämlich die Freiheit als Grundlage aller Werte. So kann ich im Namen der menschlichen Befindlichkeit als Freiheit Urteile fällen über diejenigen, die danach trachten, sich die Autonomie ihres Daseins und ihre totale Freiheit zu verbergen.
Die Transzendenz: ist ein konstitutives Merkmal des Menschen, aber nicht in dem Sinne, dass ein Bezug zu Gott hergestellt wird. Das geht nicht mehr als Konsequenz der atheistischen Einstellung. Vielmehr ist Transzendenz bei Sartre das Überschreiten der Ichheit, in dem Sinne, wie der Mensch nicht in sich selber eingeschlossen ist, sondern dauernd gegenwärtig ist in einem menschlichen All.
Der Existentialismus ist ein Humanismus: „… weil wir den Menschen daran erinnern, dass es außer ihm keinen anderen Gesetzgeber gibt und dass er in seiner Verlassenheit über sich selbst entscheidet; und weil wir zeigen, dass nicht durch Rückwendung auf sich selbst, sondern immer durch die Suche nach einem Ziel außerhalb seiner, welches diese oder jene Befreiung, diese oder jene besondere Verwirklichung ist – dass dadurch der Mensch sich als humanes Wesen verwirklichen wird.“
Werke
- L’imagination (1936) — Die Vorstellung
- La nausée (1938) — Der Ekel
- Le mur (1939) — Die Mauer
- L’imaginaire (1940)
- Les mouches (1943) — Die Fliegen
- L’Être et le néant (1943) — Das Sein und das Nichts
- Huis-clos (1944) — Geschlossene Gesellschaft
- Morts sans sépulture (1946) — Tote ohne Begräbnis
- La Putain respecteuse (1946) — Die ehrbare Dirne
- Qu’est ce que la littérature? (1947) — Was ist Literatur? *Baudelaire (1947)
- Les jeux sont faits (1947) — Das Spiel ist aus
- Les mains sales (1948) — Die schmutzigen Hände
- Le diable et le bon dieu (1951) — Der Teufel und der liebe Gott
- Les séquestrés d’Altona (1959) — Die Eingeschlossenen oder auch Die Eingeschlossenen von Altona
- Critique de la raison dialectique (1960) — Kritik der dialektischen Vernunft
- Les Chemins de liberté (1946-49) — Wege der Freiheit
- Les mots (1964) — Die Wörter Situations (1947-1965)
- Bariona, ou Le fils du tonnerre (1970) — Bariona oder Der Sohn des Donners
- L’Idiot de la famille. La vie de Gustave Flaubert de 1821 à 1851 (1971-1972)– Der Idiot der Familie. Gustave Flaubert 1821-1857 (1977-1979)
- Cahiers pour une morale (posthume, publié en 1984)
- La reine Albemarle ou le dernier touriste. Fragments (posthume, publié en 1991) — Königin Albemarle oder Der letzte Tourist, 1994
Literatur
- Bernard-Henri Lévy: Sartre. Der Philosoph des 20. Jahrhunderts. München 2002
- Walter van Rossum: Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre. Reinbek bei Hamburg 2001
- Traugott König (Hg.): Sartre-Lesebuch. Den Menschen erfinden. Reinbek bei Hamburg 1986.
- Traugott König (Hg.): Sartre über Sartre. Aufsätze und Interviews 1940-1976. Reinbek bei Hamburg 1977
- Arthur C. Danto: Jean Paul Sartre. Steidl-Verlag, Göttingen 1992.
- Peter Sloterdijk (Hg.): Sartre. Ausgewählt und vorgestellt von Thomas H. Macho. München 1998.
- Heiner Wittmann: L’esthétique de Sartre. Artistes et intellectuels. traduit de l’allemand par N. Weitemeier et J. Yacar, éditions L’Harmattan (Collection ouverture philosophique), Paris 2001
- Annie Cohen-Solal: Sartre 1905-1980. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2002
- Rainer Wannicke: Sartres Flaubert. Zur Misanthropie der Einbildungskraft. Reimer Verlag, Berlin 1990
- H. Wittmann: Sartre und die Kunst. Die Porträtstudien von Tintoretto bis Flaubert. Gunter Narr Verlag, Tübingen 1996
- Martin Suhr: Sartre zur Einführung. 2.Auflage, Junius, Hamburg 2004
- Peter Kampits: Jean Paul Sartre.. C.H.Beck, München 2004
Weblinks