Margherita. – Die Buonaccorsi. – Die Herzogin von Fiano. – Kardinal Bernis. – Die Prinzessin von Santa-Croce. – Menicuccio und seine Schwester.
Ich hatte mich entschlossen, sechs Monate in der größten Ruhe in Rom zu verbringen und mich nur mit dem Studium der Stadt zu beschäftigen, andere Bekanntschaften aber zu vermeiden. Am Morgen nach meiner Ankunft nahm ich eine hübsche Wohnung gegenüber dem Palast des spanischen Gesandten, damals Monsignore d’Aspura. Zufällig war es dieselbe Wohnung, die vor siebenundzwanzig Jahren der Sprachlehrer inne hatte, bei dem ich Stunden nahm, als ich beim Kardinal Acquaviva war. Die Wirtin war die Frau eines Kochs, der wöchentlich nur einmal bei seiner Frau schlief. Sie hatte eine Tochter von sechzehn oder siebzehn Jahren, die trotz ihrer etwas dunklen Hautfarbe sehr hübsch gewesen wäre, wenn nicht die Pocken sie eines Auges beraubt hätten. Man hatte ihr ein falsches Auge eingesetzt, dessen Farbe und Größe nicht zu dem natürlichen Auge paßten, und dies verlieh ihr ein geradezu unangenehmes Aussehen. Margherita, so hieß meine junge Wirtstochter, machte durchaus keinen Eindruck auf mich; trotzdem machte ich ihr ein Geschenk, das ihr unendlich wertvoll war. Ein englischer Augenarzt, Ritter Taylor genannt befand sich damals in Rom; durch ihn ließ ich ihr ein Emailleauge machen, das ihrem echten Auge täuschend ähnlich war. Dieses Geschenk brachte Margherita auf den Gedanken, daß ich mich binnen vierundzwanzig Stunden in sie verliebt hätte, und ihre Mutter, die sehr fromm war, schwebte in großer Angst, ihr Gewissen zu belasten, indem sie ein voreiliges Urteil über meine Absichten fällte. Dies alles entdeckte ich sehr bald, da ich mit Margherita sehr gut bekannt wurde.
Ich vereinbarte mit der Mutter den Preis für gutes, aber nicht übertriebenes Mittag- und Abendessen. Da ich dreitausend Zechinen besaß, so nahm ich mir vor, so zu leben, daß ich in Rom nicht nur keines Menschen bedürfte, sondern sogar eine anständige Rolle spielen könnte.
Am nächsten Tage fand ich Briefe auf mehreren Postämtern vor, und der Bankvorsteher Belloni, der mich seit langer Zeit kannte, war von den Wechseln, die ich überbrachte, bereits in Kenntnis gesetzt. Herr Dandolo, stets mein getreuer Freund, schickte mir zwei Empfehlungsbriefe, von denen der eine an den venetianischen Gesandten Erizzo adressiert war. Es war der Bruder des früheren Gesandten in Paris. Dieser Brief machte mir das größte Vergnügen. Der andere war an die Herzogin von Fiano von ihrem Bruder, Herrn von Zuliani, gerichtet.
Ich sah mich also in der Lage, zu allen großen Häusern Roms Zutritt zu erhalten, und machte mir ein wahres Vergnügen daraus, mich dem Kardinal Bernis erst vorzustellen, wenn ich bereits in der ganzen Stadt bekannt wäre.
Ich nahm weder Wagen noch Bedienten; denn dies ist in Rom durchaus nicht notwendig, da man dort beides sofort findet, wenn das Bedürfnis sich geltend macht.
Mein erster Besuch galt der Herzogin von Fiano. Sie war sehr häßlich und nicht eben reich, aber sie hatte einen ausgezeichneten Charakter, obgleich sie, um ihren Mangel an Geist zu verdecken, den Entschluß gefaßt hatte, recht boshaft zu sein, damit man sie für geistreich hielte.
Ihr Gemahl, der Herzog, der auch den Namen Ottoboni trug, hatte sie nur geheiratet, um sich einen Erben zu verschaffen. Aber der arme Teufel war babilano, wie man in Rom sagt, mit anderen Worten impotent. Dies vertraute die gute Herzogin mir schon bei meinem dritten Besuch an. Sie sagte es mir jedoch nicht in einem Ton, wie wenn sie ihn nicht liebte, oder wie wenn sie bedauert oder getröstet werden wollte, sondern nur um sich über ihren Beichtvater lustig zu machen, dem sie diesen Umstand anvertraut hatte, und der ihr gedroht hatte, ihr die Absolution zu verweigern, wenn sie fortführe, sich über den Zustand ihres Gemahls zu beklagen, und wenn sie irgendein Mittel anwendete, um ihn von seiner Ohnmacht zu heilen.
Die Herzogin gab jeden Abend ihrem aus sieben oder acht Personen bestehenden Kreise ein kleines Souper; zu diesen Mahlzeiten wurde ich erst nach zehn Tagen zugelassen, als alle mich kannten und meine Gesellschaft zu lieben schienen. Der Herzog war eine Art Uhu und liebte keine Gesellschaft; er speiste auf seinem Zimmer.
Der Fürst von Santa-Croce war der Cavaliere servente der Herzogin, und die Fürstin wurde vom Kardinal Bernis bedient. Die Fürstin war eine Tochter des Marchese Falconieri; sie war jung, hübsch, lebhaft und ganz dazu angetan, den Männern zu gefallen; aber sie war eifersüchtig auf den Besitz des Kardinals und ließ keiner anderen Dame die Hoffnung, ihren Platz einzunehmen.
Der Fürst war ein schöner Mann von edlen Manieren und mit einem recht scharfsinnigen Geist begabt, dessen er sich jedoch nur bediente, um geschäftliche Spekulationen zu machen; er war mit Recht überzeugt, daß er seiner vornehmen Geburt nichts vergab, indem er sein Vermögen durch Operationen vermehrte, zu denen vor allen Dingen Intelligenz nötig sei. Da er nicht gern Geld ausgab, so war er der Kavalier der Herzogin von Fiano geworden, weil diese ihm nichts kostete, und weil er außerdem nicht der Gefahr ausgesetzt war, sich in sie zu verlieben. Der Fürst war nicht fromm, aber er war Jesuit von der kurzen Robe in der vollsten Bedeutung des Wortes.
Als ich einige Wochen nach meiner Ankunft mich beklagte, daß einem Gelehrten so viele lästige Schwierigkeiten gemacht würden, wenn er in der römischen Bibliothek arbeiten wollte, erbot er sich, mich dem Superior des Hauses der Gesellschaft Jesu vorzustellen. Ich nahm sein Anerbieten an und wurde von einem der Bibliothekare empfangen, der mich allen Unterbeamten vorstellte; seitdem konnte ich nicht nur auf die Bibliothek gehen, so oft ich wollte, sondern auch die Bücher, die ich brauchte, in meine Wohnung schaffen lassen; ich hatte zu diesem Zweck nur meinen Namen und die Titel der gewünschten Bücher aufzuschreiben. Man brachte mir Kerzen, wenn man annahm, daß ich nicht mehr genügend Licht zum Lesen hätte, und trieb die Höflichkeit so weit, daß man mir die Schlüssel zu einer kleinen Seitentür gab, durch die ich zu allen Stunden eintreten konnte, oft sogar ohne gesehen zu werden.
Die Jesuiten sind stets die höflichsten von den Orden unserer Religion gewesen, ich muß sogar sagen: die einzigen höflichen; aber in der Krisis, in der sie sich damals befanden, waren sie von einer geradezu kriechenden Zuvorkommenheit.
Der König von Spanien verlangte die Unterdrückung des Ordens, und die Jesuiten wußten, daß der Papst sie ihm versprochen hatte; sie glaubten jedoch, der große Schlag könnte niemals geführt werden, und fühlten sich daher beinahe ganz sicher. Sie konnten sich nicht denken, daß der Papst eine übermenschliche Kraft hätte. Sie ließen sogar von dritter Seite darauf aufmerksam machen, daß seine Macht- Vollkommenheit nicht so weit ginge, ihren Orden ohne die Einwilligung eines Konzils aufzuheben; aber sie täuschten sich. Wenn der Pontifex maximus sich nur mit großer Mühe entschließen konnte, die Aufhebungsbulle zu unterzeichnen, so kam dies daher, daß er überzeugt war, mit der Bulle zugleich auch sein Todesurteil zu unterzeichnen; er entschloß sich daher erst dann dazu, als er sich in seiner Ehre bedroht sah. Der König von Spanien, der starrköpfigste aller Despoten, schrieb ihm mit eigener Hand: wenn er den Orden nicht aufhöbe, so würde er in allen europäischen Sprachen die Briefe drucken lassen, die er als Kardinal an ihn geschrieben hätte, und die ihn, den König, veranlaßt hätten, ihm die Tiara des heiligen Petrus auf das Haupt zu setzen.
Ein Papst mit einem anderen Kopf als Ganganelli würde dem König geantwortet haben, der Papst habe die Versprechungen eines Kardinals nicht zu halten, und die Jesuiten würden diese Doktrin unterstützt haben, die durchaus noch nicht die spitzfindigste unter den von den Anhängern des Probabilismus aufgestellten ist; aber Ganganelli liebte im Grunde die Kinder Loyolas nicht: er war Franziskanermönch und kein Edelmann von Geburt; seine Höflichkeit war bäuerisch, und sein Geist war nicht stark genug, um der Scham zu trotzen, die er gefühlt hätte, wenn er als ein Ehrgeiziger bloßgestellt worden wäre, der sein Wort brechen könnte, das er einem großen Herrscher gegeben hätte, um sich auf den Stuhl des vornehmsten Apostels setzen zu können.
Ich muß lachen, wenn ich sagen höre, Ganganelli hat sich durch das Einnehmen von Gegengiften vergiftet. Allerdings gebrauchte er Gegengifte und schützende Arzneien, weil er mit Recht befürchtete, daß man ihn vergiften würde. Er verstand nichts von Medizinen und hätte daher wohl einen solchen Fehler machen können; aber ich habe die moralische Gewißheit – wenn es überhaupt eine moralische Gewißheit gibt, daß der Papst wirklich an Gift starb, aber nicht an seinen Gegengiften.
Meine Gewißheit gründet sich auf folgendes:
In dem Jahre meines Aufenthaltes in Rom, dem dritten Regierungsjahr Klemens‘ des Vierzehnten, verhaftete man eine Frau aus Viterbo, die in einem rätselhaften Stil ganz überraschende Prophezeiungen aussprach. Sie weissagte in dunklen Ausdrücken die Zerstörung der Gesellschaft Jesu, ohne den Zeitpunkt anzugeben, wann dieses große Ereignis eintreten sollte; aber sie sagte sehr klar und deutlich: dieser religiöse Orden werde von einem Papst vernichtet werden, der nur fünf Jahre drei Monate und drei Tage regieren würde, genau so lange wie Sixtus der Fünfte, keinen Tag länger und keinen weniger.
Fast alle lachten über diese Weissagung, als eine Äußerung eines kranken Gehirns, und man sprach bald nicht mehr von der Sibylle von Viterbo, die man jedoch einsperrte.
Ich bitte meine Leser, mir zu sagen, ob ein urteilsfähiger, denkender Mensch an der Vergiftung Ganganellis noch zweifeln kann, da sein Tod die Prophezeiung wahr machte?
Hier gewinnt die moralische Gewißheit die ganze Kraft einer tatsächlichen Gewißheit. Derselbe Geist, der die Pythia von Viterbo abzurichten wußte, verstand es auch, seine Maßregeln so zu treffen, daß die Welt erfuhr, die Jesuiten hätten, wenn sie auch nicht ihre Unterdrückung verhindern konnten, jedenfalls nicht die Macht verloren, sich zu rächen, und wußten von dieser Macht Gebrauch zu machen. Der mächtige Jesuit, der dem Leben Ganganellis zur vorausbestimmten Stunde ein Ende machte, hätte ihn sicherlich vergiften können, bevor er das Breve der Aufhebung des Ordens unterzeichnet hatte; aber alles scheint dafür zu sprechen, daß die Nachfolger Loyolas die Sache erst dann für möglich hielten, als sie bereits vollbracht war. Hätte der Papst nicht den Jesuitenorden aufgehoben, so wäre er auch nicht vergiftet worden, und dann hätte die Weissagung auch nicht gelogen. Es ist zu bemerken, daß Klemens der Vierzehnte genau so wie Sixtus der Fünfte Franziskanermönch war, und daß beide von geringer Herkunft waren. Auffallenderweise wurde nach dem Tode des Papstes die Prophetin in Freiheit gesetzt, indem man sie für wahnsinnig erklärte. Man hörte niemals mehr von ihr sprechen, und obwohl die Prophezeiung durch das Ereignis bestätigt wurde, sagte man in allen gelehrten und adeligen Kreisen hartnäckig, der Papst sei an den Gegenmitteln gestorben, die er zum Schutz gegen Gift eingenommen habe.
Wer vorurteilslos und nicht voreingenommen ist, möge mir sagen, welches Interesse der Papst daran haben konnte, die Weissagung der Frau von Viterbo buchstäblich zu bestätigen? Wenn man mir sagt, das Ereignis könne nur ein Wert des Zufalles gewesen sein, so stopft man mir natürlich den Mund, denn diese Möglichkeit kann ich nicht leugnen; trotzdem werde ich bei meiner Überzeugung bleiben, weil sie auf Wahrscheinlichkeit und Vernunft gegründet ist.
Diese Vergiftung war die letzte Machtäußerung der Jesuiten. Es war ein Verbrechen, weil es nach dem Ereignis stattfand; wäre der Papst vor ihrem Sturz vergiftet worden, so hätte die Politik diese Tat gerechtfertigt; denn wirkliche Politik besteht in Voraussicht und Vorsicht und zögert niemals, die Mittel anzuwenden, die am meisten geeignet sind, den beabsichtigten Zweck möglichst schnell zu erreichen; der elendeste von allen Politikern ist derjenige, der nicht weiß, daß es nichts auf der Welt gibt, was nicht in zweifelhaften Fällen vorsichtshalber geopfert werden müßte.
Als der Fürst von Santa-Croce mich zum zweitenmal bei der Herzogin von Fiano sah, fragte er mich ohne jede Vorrede, warum ich den Kardinal Bernis nicht besuchte.
»Ich gedenke ihm morgen meine Aufwartung zu machen.«
»Gehen Sie ja hin; denn ich habe niemals Seine Eminenz mit so großer Achtung von einem Menschen sprechen hören, wie von Ihnen.«
»Ich habe seit achtzehn Jahren große Verpflichtungen gegen ihn und bewahre ihm eine unerschütterliche Dankbarkeit.«
»Besuchen Sie ihn also; wir alle werden uns freuen.«
Der Kardinal empfing mich am nächsten Tage mit offenbar großer Freude. Er lobte die Zurückhaltung, womit ich zum Fürsten über ihn gesprochen hätte, und sagte mir, er halte es nicht für notwendig, mir Verschwiegenheit in bezug auf unsere Bekanntschaft von Venedig her anzuempfehlen.
»Eure Eminenz sind ein wenig stärker geworden,« sagte ich zu ihm, »im übrigen aber finde ich Sie frisch und durchaus nicht verändert wieder.«
»Sie irren sich, lieber Freund, ich bin in allem anders geworden. Vor allen Dingen bin ich jetzt fünfundfünfzig Jahre alt, während ich damals nur sechsunddreißig zählte; außerdem darf ich nur noch Gemüse essen.«
»Geschieht dies, um die Neigung zu den Freuden der Venus zu töten?«
»Ich möchte gern, daß man es glaubte; aber ich denke, kein Mensch läßt sich dadurch täuschen.«
Er freute sich sehr, als er hörte, daß ich einen Brief für den venetianischen Gesandten besäße, aber ihn noch nicht abgegeben hätte. Er versicherte mir, er werde den Gesandten zu meinen Gunsten stimmen und dieser werde mich gut aufnehmen. »Schon morgen werde ich damit anfangen, das Eis zu brechen,« sagte der liebenswürdige Kardinal; »Sie werden bei mir speisen, und Seine Exzellenz wird es erfahren.«
Er hörte mit Vergnügen, daß ich gut mit Mitteln versehen und daß ich allein war, sowie, daß ich beschlossen hatte, verständig und ohne jeden Luxus zu leben.
»Ich werde diese Nachricht unserer M. M. mitteilen; denn ich stehe immer noch im Briefwechsel mit der schönen Nonne, und ich glaube, sie wird sich darüber freuen.«
Ich machte ihm viel Spaß, indem ich ihm mein Abenteuer mit der Nonne von Chambery erzählte.
»Sie können«, sagte der Kardinal, »den Fürsten von Santa-Croce ruhig bitten, Sie der Fürstin vorzustellen; wir können dann angenehme Stunden miteinander verbringen, aber nicht in der Art jener einstigen Stunden in Venedig; denn die Fürstin hat nicht die geringste Ähnlichkeit mit M. M.«
»Sie ist aber doch das Entzücken Eurer Eminenz.«
»Ja,in Ermanglung eines Besseren. Sie werden sehen.«
Am nächsten Tage sagte der Kardinal nach Tisch zu mir, Herr Zuliani habe den Botschafter Erizzo von meiner Anwesenheit in Rom benachrichtigt, und dieser habe die größte Lust, mich kennen zu lernen.
Ich war sehr zufrieden mit dem Empfang, den er mir bereitete. Chevalier Erizzo, der Bruder des noch lebenden Prokurators, war ein geistvoller Mann, ein guter Bürger, ein ausgezeichneter Redner und ein großer Politiker. Er machte mir ein Kompliment wegen meiner Reisen und beglückwünschte mich, daß ich mich der Protektion der Staatsinquisitoren erfreute, anstatt von ihnen verfolgt zu werden; denn Herr Zuliani hatte mich ihm mit ihrer Einwilligung empfohlen. Er behielt mich zum Essen bei sich und bat mich, ihm den Vorzug zu geben, so oft ich nichts Besseres zu tun hätte.
Am selben Abend war ich bei meiner Herzogin und bat den Fürsten Santa-Croce, mich seiner Frau vorzustellen.
Er antwortete mir: »Sie selber wünscht dies, seitdem der Kardinal länger als eine Stunde mit ihr über Sie gesprochen hat. Sie können sich jeden Tag um elf Uhr oder um zwei Uhr nachmittags melden lassen.«
Gleich am nächsten Tage ging ich um zwei Uhr hin. Sie lag im Bett und hielt ihre Mittagsruhe; da ich aber den Vorzug hatte, ein Mensch ohne Bedeutung zu sein, so ließ sie mich sofort eintreten. In einer Viertelstunde wußte ich ganz genau, was an ihr war: sie war jung, hübsch, fröhlich, lebhaft, neugierig, lachlustig, sprach und fragte fortwährend und hatte nicht die Geduld, die Antwort abzuwarten oder zu Ende zu hören. Sie kam mir vor wie ein Spielzeug, um Geist und Herz eines genußfreudigen und weisen Mannes zu erheitern, der wichtige Geschäfte hatte und das Bedürfnis fühlte, sich zu zerstreuen. Der Kardinal sah sie regelmäßig dreimal taglich: am Morgen, wenn sie sich anzog, erkundigte er sich, ob sie eine gute Nacht gehabt hätte; am Nachmittag um drei Uhr trank er mit ihr Kaffee, und am Abend sah er sie noch einmal in der Gesellschaft. Dort machte er mit ihr seine Partie Pikett und spielte so geschickt, daß er jeden Abend sechs römische Zechinen verlor, niemals mehr und niemals weniger. Hierdurch wurde die Fürstin die reichste junge Frau in ganz Rom. Ihr Gemahl besaß zwar den Fehler der Eifersucht, aber er war zu vernünftig, um es übel zu nehmen, daß seine Frau eine Pension von achtzehnhundert Franken im Monat hatte, ohne sich etwas vorzuwerfen zu brauchen und ohne der üblen Nachrede den geringsten Stoff zu liefern; denn alles ging in voller Öffentlichkeit vor sich; übrigens war das Geld ehrlich im Spiel gewonnen, und dieses sehr unschuldige Spiel konnte schließlich ja auch wohl eine schöne Frau beständig begünstigen. Warum sollte das Glück nicht verliebt sein?
Der Fürst Sante-Croce mußte einen unendlichen Wert auf die Freundschaft des Kardinals für seine junge Gemahlin legen; sie war sehr fruchtbar und schenkte ihm jedes Jahr ein Kind; manchmal sogar alle neun Monate, obgleich Doktor Salicetti dringend geraten hatte, an ihre Gesundheit zu denken; er hatte ihr gesagt, sie setze sich den größten Gefahren aus, wenn sie wieder schwanger würde, bevor sechs Wochen seit ihrer letzten Niederkunft vergangen wären. Man behauptete, der Fürst, der sich während der letzten Tage der Schwangerschaft seiner Frau hätte enthalten müssen, ginge sofort wieder ans Werk, wenn man das Neugeborene zur Taufe trüge.
Die Freundschaft des Kardinals mit seiner Frau bot dem Fürsten Santa-Croce ferner noch den Vorteil, daß er alle gewünschten Stoffe aus Lyon kommen lassen konnte, ohne daß der Schatzmeister des Papstes sich hineinmischen durfte, denn die Waren wurden an den französischen Botschafter, Kardinal Vernis, adressiert. Die Gönnerschaft des Kardinals schützte ferner das Haus des Prinzen gegen alle diejenigen, die sonst seiner Frau gerne den Hof gemacht hätten, und ohne Zweifel waren die Freier sehr zahlreich. Der Connetabel Colonna war sehr in sie verliebt. Der Fürst hatte eines Tages den vornehmen Herrn unter vier Augen mit seiner Frau in einem Zimmer seines Palastes überrascht, und zwar in einem Augenblick, wo sie sicher war, daß das Glockenzeichen an der Tür nicht die Eminenz anmeldete. Kaum war der Fürst-Connetabel fortgegangen, so befahl der Fürst seiner Gattin, sich bereit zu halten, um mit ihm am nächsten Tage aufs Land zu gehen. Die Frau verwahre sich dagegen und sagte, diese plötzliche Abreise sei nur eine törichte Laune von ihm, und ihre Ehre erlaube ihr nicht, darin einzuwilligen. Der Fürst war jedoch fest entschlossen, und sie hätte nachgeben müssen, wenn nicht der Kardinal während des Streites eingetroffen wäre. Nachdem er die Geschichte aus dem Munde der naiven und unschuldigen Fürstin vernommen hatte, machte er dem Fürsten begreiflich, er müsse um seines Glückes willen allein aufs Land gehen, wenn er dort Geschäfte hätte, und seine Frau ruhig in Rom lassen; in Zukunft werde sie ihre Maßregeln besser treffen, um solche Zusammentreffen zu vermeiden, die stets listig seien, und aus denen Mißverständnisse hervorgehen könnten, die den häuslichen Frieden stören würden.
In weniger als einem Monat war ich den drei Hauptspielern dieser Komödie völlig unentbehrlich geworden. Niemals mischte ich mich in ihre Dispute ein, sondern hörte und bewunderte immer nur, gab stets dem Sieger recht und wurde ihnen dadurch ebenso notwendig, wie ein Marqueur Billardspielern ist. Durch Erzählung oder scherzhafte Erläuterungen füllte ich die verdrießlichen Augenblicke aus, die derartigen Debatten zu folgen pflegen; man kam wieder in gute Stimmung, man fühlte, daß man dies mir verdankte, und belohnte mich dadurch, daß man mich niemals für überflüssig hielt. Ich sah im Kardinal, im Fürsten und in seiner schönen Frau drei liebenswürdige Wesen, die vernünftig und vorurteilsfrei genug waren, um durch unschuldige Mittel ihr Leben glücklich zu machen, ohne dem Frieden und den guten Sitten der Gesellschaft zu nahe zu treten.
Die Herzogin von Fiano war eitel auf ihren Ruf, den sie in Rom hatte, und da sie den Gatten der Frau besaß, die dieser dem Kardinal überließ, so bildete sie sich nicht wenig darauf ein; aber außer ihr selber ließ sich kein Mensch dadurch täuschen. Die gute Dame wunderte sich, warum ich nicht begreifen konnte, daß die Fürstin nur aus unwiderstehlicher Eifersucht niemals zu ihr käme. Eines Tages suchte sie mich mit solchem Feuer hiervon zu überzeugen, daß ich wohl sah, ich würde mich dem Verlust ihrer Huld aussetzen, wenn ich ihr nicht beistimmte.
Ich hatte ihr von Anfang an zugeben müssen, daß es unbegreiflich wäre, wie die Reize der Fürstin den Kardinal hätten blenden können; denn nach ihrer Meinung gab es keine so magere, leichtfertige und flatterhafte Person wie die Fürstin. Ich war durchaus nicht dieser Meinung, denn in meinen Augen war die Fürstin Santa-Croce ein wahres Kleinod für einen genußliebenden und philosophischen Liebhaber wie den Kardinal Bernis.
Manchmal ertappte ich mich darauf, den Prälaten wegen des Besitzes dieses Schatzes glücklicher zu finden als wegen der hohen Würde, zu der ihn Glück und persönliches Verdienst erhoben hatten.
Ich liebte die Fürstin; da ich aber nicht so kühn war, Hoffnungen auf Erfolg zu hegen, so hielt ich mich innerhalb der Grenzen, die mir eine friedliche Fortdauer unseres Verhältnisses sicherten.
Ich hätte es wagen können, und es wäre mir vielleicht geglückt; aber ich hätte mich vielleicht auch getäuscht und den Stolz der Frau beleidigt, die offenbar mehr stolz als verliebt war; ich würde das Zartgefühl des Kardinals beleidigt haben, der trotz seiner Philosophie durch die Jahre und den Kardinalspurpur anders geworden war als zu der Zeit, da wir die schöne M. M. gemeinsam besaßen. Ich erinnerte mich, daß der Kardinal mir gesagt hatte, er empfinde für sie nur die Zärtlichkeit eines Vaters; hierdurch hatte er mir zur Genüge zu verstehen gegeben, daß er es übel nehmen würde, wenn ich mehr zu werden versuchte als der meistbegünstigte ihrer sehr ergebenen Diener.
Übrigens mußte ich mich sehr glücklich schätzen, daß sie sich mir gegenüber nicht mehr Zwang antat als vor ihrer Kammerzofe. Um ihr nach Möglichkeit gefällig zu sein, tat ich, wie wenn ich nichts sähe, während sie überzeugt war, daß ich alles sähe.
Es ist nicht leicht, den Weg zu finden, um die Gunst einer gegen alles so gleichgültigen Frau zu erringen, besonders wenn sie in ihrem Dienst einen König hat – oder einen Kardinal.
Ich war nun seit einem Monat in Rom. Das Leben, das ich führte, war so, wie ich es mir nur wünschen mochte, um glücklich und ruhig zu sein. Margherita hatte schließlich durch ihre Aufmerksamkeiten meine Teilnahme erregt. Da ich keinen Bedienten hatte, so war sie morgens und abends in meinem Zimmer, und ihr falsches Auge war so vorzüglich gemacht, daß ich an ihre Einäugigkeit gar nicht dachte. Sie hatte viel natürlichen Geist, aber nicht die geringste Bildung; sie war eitel, und obwohl ich anfangs gar keine Absicht dabei hatte, schmeichelte ich ihrer Eitelkeit, indem ich abends und morgens mit ihr schäkerte und ihr kleine Geschenke machte, um sich für den Kirchgang am Sonntag putzen zu können. Es dauerte denn auch nicht lange, so bemerkte ich zweierlei: erstens, daß sie sich wunderte, warum ich niemals zu einer Erklärung in Worten oder Taten käme, obwohl ich sie doch offenbar liebte, denn davon war sie überzeugt; zweitens, daß ihre Eroberung nicht schwierig sein würde, wenn ich sie liebte.
Diesen letzten Umstand erriet ich, als ich sie eines Tages bat, mir die kleinen Abenteuer zu erzählen, die sie gewiß von ihrem elften oder zwölften Jahre bis zu ihrem gegenwärtigen Alter von siebzehn oder achtzehn Jahren gehabt hätte; sie erzählte mir Einzelheiten, die sie nur enthüllen konnte, indem sie jede Zurückhaltung beiseite setzte.
Da diese kleinen Skandalgeschichten mir das größte Vergnügen machten, so hatte ich sie daran gewöhnt, mir niemals etwas zu verschweigen; denn ich gab ihr jedesmal, wenn ich an ihrer Erzählung den Charakter der Wahrheit fand, einige Geldstücke; ich gab ihr aber nichts, wenn ich zu bemerken glaubte, daß sie mir Umstände verschwieg, durch deren Einfügung die Geschichte interessanter geworden wäre.
Sie gestand mir, daß sie das nicht mehr hatte, was ein Mädchen nur einmal verlieren kann, und daß eine Freundin von ihr, namens Buonaccorsi, die sie jeden Feiertag besuchte, sich in derselben Lage befand; schließlich nannte sie mir auch den Namen des jungen Mannes, der sie beide entjungfert hatte.
Mein Nachbar war ein junger piemontesischer Abbate, namens Ceruti; wenn ihre Mutter keine Zeit hatte, mußte Margherita ihn bedienen. Als ich sie mit ihm neckte, schwor sie mir, sie hätte kein Liebesverhältnis mit ihm. Das machte mir Spaß, denn mir lag durchaus nichts daran.
Der Abbate war schön, gelehrt und geistvoll; aber er war arm, verschuldet und wegen einer sehr unangenehmen Geschichte in ganz Rom berüchtigt.
Man erzählte sich, er habe einem Engländer, der die Fürstin Lanti liebte, im Vertrauen gesagt, die Fürstin habe zweihundert Zechinen nötig; der Engländer habe ihm das Geld für sie gegeben und der Abbate habe es für sich behalten. Diese Gemeinheit war entdeckt worden, als es zwischen der Dame und dem Insulaner zu einer Aussprache kam. Dieser sagte der Fürstin, er sei bereit, alles für sie zu tun, und rechne dabei die zweihundert Zechinen nicht, die er ihr bereits habe geben lassen.
Überrascht und entrüstet leugnete die Fürstin. Alles klärte sich auf. Der vorsichtige Engländer entschuldigte sich, und dem Abbaten wurde der Zutritt zum Hause der Fürstin versagt, während der Engländer sich weigerte, ihn zu sehen.
Dieser Abbate Ceruti war der Schriftsteller, von dem Bianconi die allwöchentlich erscheinenden römischen Ephemeriden schreiben ließ; er war, wie man zu sagen pflegt, mein Freund geworden, als wir in Margheritas Haus nebeneinander wohnten. Ich hatte bemerkt, daß er sie liebte, und war durchaus nicht eifersüchtig auf ihn, denn ich war nicht in sie verliebt; da er jedoch jung und schön war, so konnte ich mir nicht vorstellen, daß Margherita ihn hart behandelte. Sie versicherte mir jedoch, sie verabscheute ihn und es wäre ihr sehr unangenehm, daß ihre Mutter ihn nicht immer bedienen könnte.
Ceruti hatte einige Verpflichtungen gegen mich; er hatte von mir zwanzig Scudi auf acht Tage geliehen; und es waren bereits drei Wochen vergangen, ohne daß er Wort gehalten hatte. Ich mahnte ihn jedoch nicht und würde ihm sogar noch zwanzig Scudi geliehen haben, wenn er mich darum gebeten hätte.
Wenn ich bei der Herzogin von Fiano zu Abend speiste, kam ich spät nach Hause, und Margherita wartete dann auf mich. Ihre Mutter lag schon zu Bett. Ich behielt das Mädchen eine Stunde oder manchmal auch zwei bei mir und dachte nicht daran, daß unsere geräuschvollen Späße vielleicht dem Abbate mißfallen könnten, der alles hören mußte; denn unsere Zimmer waren nur durch eine dünne Scheidewand getrennt.
Als ich eines Abends gegen Mitternacht nach Hause kam, fand ich zu meiner Überraschung die Mutter auf mich warten.
»Wo ist Ihre Tochter?« fragte ich sie.
»Sie schläft, und ich kann es mit gutem Gewissen nicht mehr erlauben, daß sie die ganze Nacht bei Ihnen bleibt.«
»Aber sie bleibt ja nur so lange bei mir, bis ich zu Bett gehe. Ihre Mitteilung beleidigt mich, denn es liegt darin ein Verdacht, der für mich verletzend ist. Was kann denn Margherita Ihnen gesagt haben? Wenn sie sich über mich beschwert hat, so hat sie gelogen. Morgen werde ich ausziehen.«
»Da würden Sie unrecht tun. Margherita hat mir nichts gesagt; sie behauptete im Gegenteil, Sie scherzten nur.«
»Ganz recht. Haben Sie etwas gegen solches Scherzen einzuwenden?«
»Nein, aber Sie können sonst noch was machen.«
»Und auf diese Möglichkeit hin erheben Sie einen unwürdigen Verdacht, der Ihr Gewissen beunruhigen muß, wenn Sie eine gute Christin sind?«
»Gott soll mich behüten, daß ich Argwohn gegen meinen Nächsten habe! Aber mir ist gesagt worden, Ihr Gelächter und Ihre Scherze seien so laut, daß ohne jeden Zweifel Ihre Unterhaltungen gegen die guten Sitten verstoßen müßten.«
»So hat also mein Nachbar, der Abbate, Sie mit dieser Sache behelligt?«
»Ich kann Ihnen nicht sagen, wer mich darauf aufmerksam gemacht hat, aber ich weiß Bescheid.«
»Um so besser für Sie! Morgen werde ich ausziehen, damit Ihr Gewissen sich beruhigt.«
»Aber kann ich Sie nicht ebensogut bedienen wie meine Tochter?«
»Nein. Ihre Tochter macht mich lachen, und das tut mir gut. Mit Ihnen wäre es anders. Sie haben mich beleidigt, und ich werde morgen Ihre Wohnung verlassen, denn so etwas darf nicht mehr vorkommen.«
»Es würde mir außerordentlich leid tun wegen meines Mannes; er würde von mir verlangen, daß ich ihm den Grund sage, und dies würde mich in Verlegenheit bringen.«
»Machen Sie das, wie Sie wollen; es ist mir völlig gleichgültig, was Ihr Mann davon denkt, und ich werde morgen ausziehen. Bitte, entfernen Sie sich; ich will zu Bett gehen.«
»Erlauben Sie mir, Sie zu bedienen.«
»Nein. Wenn Sie wünschen, daß ich bedient werde, so schicken Sie mir Margherita.«
»Sie schläft.«
»Wecken Sie sie!«
Die gute Mutter ging hinaus, und zwei Minuten darauf trat die Tochter ein. Sie hatte beinahe nur ein Hemd an, und da sie keine Zeit gehabt hatte, sich ihr falsches Auge einzusetzen, so fand ich sie so komisch, daß ich laut auflachte.
»Ich schlief«, sagte Margherita, »und meine Mutter hat mich plötzlich aufgeweckt und mir befohlen, Sie zu bedienen und Sie zu bitten, daß Sie nicht ausziehen; denn dann würde mein Vater denken, wir hätten irgend etwas Böses miteinander gemacht.«
»Ich werde bleiben; aber Sie werden nach wie vor allein zu mir kommen.«
»Oh, ich komme gern; aber wir dürfen nicht mehr lachen, denn der Abbate hat sich beschwert.«
»Ah, so hat also der Abbate diesen ganzen Lärm gemacht?«
»Das können Sie sich doch denken. Unsere Freude hat ihn geärgert und hat seine Leidenschaft angestachelt.«
»Er ist ein jämmerlicher Kerl, der bestraft werden muß; haben wir gestern gelacht, so werden wir diese Nacht noch mehr lachen.«
Nachdem wir uns hierüber geeinigt hatten, begingen wir tausend Kindereien und lachten dazu absichtlich doppelt laut, um den Bäffchenträger zu ärgern. Als wir seit einer Stunde im schönsten Tollen waren, ging die Türe auf, und die Mutter trat ein.
Sie fand mich mit Margheritas Haube auf dem Kopf und das Mädchen mit einem großen Schnurrbart verziert, den ich ihr mit Tinte angemalt hatte. Bei diesem Anblick mußte die Mutter, die uns vielleicht auf frischer Tat zu ertappen geglaubt hatte, in unser Gelächter einstimmen.
»Nun?« fragte ich sie; »ist dies wirklich ein Verbrechen?«
»Nein; ich sehe, Sie haben recht; aber bedenken Sie, daß Ihre unschuldigen Orgien Ihren Nachbarn am Schlafen verhindern.«
»Mag er anderswo schlafen! Ich werde mir seinetwegen keinen Zwang antun. Ja, ich muß Ihnen sogar sagen, daß Sie zwischen ihm und mir zu wählen haben; denn wenn ich bei Ihnen bleibe, so geschieht dies nur unter der Bedingung, daß Sie ihn fortschicken; sein Zimmer nehme ich.«
»Ich kann ihm erst zum Ende des Monats kündigen, aber ich sehe voraus, daß er meinem Mann Dinge erzählen wird, die den Frieden des Hauses stören werden.«
»Ich verspreche Ihnen, daß er morgen ausziehen und daß er sich hüten wird, etwas zu sagen, überlassen Sie alles mir! Der Abbate wird sofort aus freiem Willen Ihr Haus verlassen, ohne daß Sie die geringste Unruhe zu befürchten haben. In Zukunft aber fürchten Sie für Ihre Tochter, wenn sie mit einem Mann allein ist, ohne zu lachen und zu sprechen. Wenn man nicht lacht, begeht man etwas Ernstes.«
Nach diesem Gespräch entfernte die Mutter sich zufrieden und legte sich zu Bett. Margherita bewunderte die schöne Tat, die ich am nächsten Tage ausführen sollte, und wurde so lustig, daß ich mich nicht enthalten konnte, ihren Reizen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Nachdem ich mit ihr eine Stunde verbracht hatte, ohne zu lachen, verließ sie mich sehr glücklich über ihren Sieg.
Am anderen Morgen trat ich in aller Frühe beim Abbaten ein, warf ihm seine Indiskretion vor und forderte ihn auf, sich entweder sofort eine andere Wohnung zu besorgen oder mir unverzüglich die zwanzig Taler zu bezahlen, die er mir schuldig wäre. Er machte allerlei Ausflüchte; als er mich aber unerbittlich sah, sagte er mir, er könne nicht ausziehen, ohne einige kleine Summen zu bezahlen, die er dem Hauswirt schuldig sei, und ohne das Geld zu haben, ein anderes Zimmer auf einen Monat zu bezahlen.
»Gut. Hier sind zwanzig Taler; ich schenke sie Ihnen und ebenso die zwanzig Taler, die Sie mir bereits schuldig sind; aber ziehen Sie noch heute aus und hüten Sie sich, auch nur ein Wörtchen über die ganze Geschichte zu sagen, wenn Sie nicht wollen, daß ich mich für Ihren unversöhnlichen Feind erkläre.«
Nachdem ich mich auf diese Weise des Abbaten entledigt hatte, sah ich mich im Besitz der beiden Zimmer und hatte auf diese Weise eine bequemere Wohnung; ich hatte Margherita zu meiner freien Verfügung, und durch sie wenige Tage später die hübsche Buonaccorsi, die ihr weit überlegen war.
Die beiden Mädchen machten mich mit dem jungen Helden bekannt, der sie verführt hatte.
Er war ein Jüngling von fünfzehn bis sechzehn Jahren mit einem reizenden Gesicht, aber klein von Wuchs. Die Natur hatte ihm ein ungeheures männliches Glied gegeben, und auf Lampsakus würde man ihm ohne Zweifel im Tempel des Priapus Altäre errichtet haben, denn er konnte es mit diesem Gott aufnehmen.
Dieser Jüngling, der sehr freundliche und liebenswürdige Manieren hatte, war von Gefühlen beseelt, die sich weit über die Anschauungsweise eines gewöhnlichen Arbeiters erhoben. Er liebte weder Margharita noch die Buonaccorsi; aber als sie eines Tages ungestört beisammen gewesen waren, hatte er erraten, daß sie neugierig waren, das zu sehen, was sie nicht glaubten, und hatte ihnen die Wahrheit gezeigt. Der Anblick erregte das Bedürfnis einer vollständigeren Befriedigung; er bemerkte es und bot ihnen seine Dienste an. Die beiden jungen Mädchen berieten sich miteinander, und indem sie so taten, als wenn sie ihm nur eine Gefälligkeit erwiesen, gaben sie sich ihm hin, und das doppelte Werk wurde vollzogen. Der junge Mann gefiel mir. Ich versah ihn mit guter Wäsche und Kleidung, und bald hatte er zu mir vollstes Vertrauen. Er war in ein junges Mädchen verliebt, dessen Besitz ihm das höchste Glück dünkte. Aber er war unglücklich, denn sie war in ein Kloster eingesperrt, und da er sie nicht zur Frau erhalten konnte, so war er der Verzweiflung nahe. Er verdiente nämlich täglich nur einen Paolo (elf Soldi) und hatte also nicht einmal genug für seinen eigenen Lebensunterhalt.
Da er mir oft von seiner angebeteten Schönen erzählte, so bekam ich Lust, sie zu sehen. Bevor ich jedoch diese Geschichte erzähle, muß ich erst sagen, in welchen Verhältnissen ich mich in Rom befand.
Eines Tages ging ich aufs Kapitol, um der Verteilung der Preise an die jungen Zöglinge der Mal- und Zeichenschule beizuwohnen. Der erste, den ich dort sah, war Raphael Mengs. Er war mit Pompeo Battoni und zwei oder drei anderen Malern da, um zu bestimmen, welche Arbeiten einen Preis erhalten sollten.
Da ich nicht vergessen hatte, wie der Künstler sich in Madrid gegen mich benommen hatte, so tat ich, wie wenn ich ihn nicht gesehen hätte, aber sobald er mich bemerkte, kam er auf mich zu, begrüßte mich freundlich und sagte: »Mein lieber Casanova, trotz dem, was in Madrid zwischen uns vorgefallen ist, können wir hier in Rom, dem Lande wahrer Freiheit, alles vergessen und miteinander sprechen, ohne dadurch unserer Ehre etwas zu vergeben.«
»Ich sage nicht nein; vorausgesetzt, daß der Gegenstand unseres Zwistes niemals erwähnt wird; denn ich für meinen Teil fühle, daß ich dabei nicht kaltblütig bleiben könnte.«
»Das leugne ich nicht, aber hätten Sie Madrid gekannt wie ich und gewußt, wie notwendig es für mich war, Rücksicht auf die bösen Zungen zu nehmen, so hätten Sie mich nicht in die Lage gebracht, tun zu müssen, was ich nur mit großem Bedauern tat.«
»Es sah nicht danach aus.«
»Ich glaube es, aber um so besser! Ich stand nämlich in dem dringenden Verdacht, Protestant zu sein, und wenn ich mich gegen Ihr Verhalten gleichgültig gezeigt hätte, so hätte ich dadurch die Verdachtgründe bestärkt und mich vielleicht zugrunde gerichtet. Kommen Sie morgen zu mir zum Mittagessen; Bacchus wird unseren Groll ertränken. Wir speisen im Kreise meiner Familie und meiner Freunde. Da Sie, wie ich weiß, mit Ihrem Bruder nicht verkehren, so wird er nicht bei mir sein, übrigens empfange ich ihn auch sonst nicht. Denn wenn ich das täte, würden alle anständigen Leute sich von meinem Hause fernhalten.«
Ich nahm die Einladung an, die den Stempel freimütigster Freundschaft trug, und fand mich pünktlich ein.
Mein Bruder verließ Rom einige Zeit nachher mit dem russischen Gesandten in Dresden, Fürsten Beloselski, mit dem er gekommen war; er hatte die Wiederherstellung seiner Ehre nicht erlangen können, denn der Senator Rezzonico war unerbittlich. Wir sahen uns m Rom nur drei- oder viermal.
Fünf oder sechs Tage vor seiner Abreise hatte ich die angenehme Überraschung, meinen anderen Bruder, den Abbate, bei mir eintreten zu sehen. Er war wie gewöhnlich in Lumpen und verlangte ganz frech Hilfe von mir.
»Woher kommst du?«
»Von Venedig. Dort konnte ich nicht bleiben, weil ich meinen Lebensunterhalt nicht fand.«
»Und wovon gedenkst du in Rom zu leben?«
»Ich werde Messen lesen und französischen Unterricht geben.«
»Du willst Sprachlehrer sein? Du kannst ja nicht einmal deine eigene Sprache.«
»Ich kenne die meinige und auch die französische und habe bereits zwei Schüler.«
»Ich wünsche ihnen Glück zu den Grundsätzen, die du ihnen beibringen wirst. Wer sind sie denn?«
»Der Sohn und die Tochter des Gastwirts, bei dem ich wohne. Aber das genügt nicht, und im Anfang mußt du mich unterstützen.«
»Darauf hast du nicht zu rechnen. Hinaus mit dir!«
Ohne länger auf ihn zu hören, zog ich mich in aller Eile fertig an und ging aus, indem ich Margherita beauftragte, mein Zimmer zu schließen.
Der elende Mensch stellte mich bei allen meinen Bekannten bloß, auch bei der Herzogin von Fiano und sogar beim Abbate Gama. Alle Welt lag mir in den Ohren, ich müßte ihn unterstützen oder ihn von Rom fortschaffen. Das wurde mir sehr lästig. Endlich kam der Abbate Ceruti zu mir und sagte: »Wenn es nicht dahin kommen soll, daß der Taugenichts auf der Straße bettelt, so müssen Sie etwas für ihn tun. Sie können ihn außerhalb Roms unterhalten, wenn Sie täglich drei Paoli opfern. Er ist bereit, die Stadt zu verlassen.« ^
Ich erklärte mich einverstanden, und Ceruti ordnete die Angelegenheit auf eine mir sehr erwünschte Weise. Er sprach mit einem Pfarrer, der sich damals in Rom aufhielt und der den Gottesdienst einer Franziskanerinnen-Kirche besorgte. Dieser Pfarrer nahm meinen Bruder mit, indem er ihm täglich drei Paoli zusicherte, um die Messe zu lesen, außerdem hatte er noch Aussicht, Geschenke zu erhalten, wenn es ihm glückte, als Prediger zu gefallen, denn auf das Predigen legten die Nonnen seines Klosters großen Wert.
Der Abbate Casanova entfernte sich also, und ich kümmerte mich wenig darum, ob er wußte oder nicht wußte, von wem er die drei Paoli erhielt. Solange ich in Rom blieb, fehlten die neun Piaster im Monat, ungefähr fünfzig Franken, ihm niemals. Nach meiner Abreise kehrte er nach Rom zurück; später kam er in ein anderes Kloster, wo er vor dreizehn oder vierzehn Jahren eines plötzlichen Todes starb.
Medini befand sich seit meiner Ankunft in Rom ebenfalls dort, aber wir hatten uns niemals gesehen. Er wohnte in der Ursulinerinnenstraße bei einem päpstlichen Dragoner; er lebte nur vom Spiel und suchte die Fremden zu betrügen, deren er habhaft werden konnte.
Der Taugenichts hatte ein bißchen Glück und ließ von Mantua seine Geliebte mit ihrer Mutter und einem anderen sehr hübschen Mädchen von zwölf bis dreizehn Jahren kommen. Er glaubte größere Vorteile zu haben, wenn er eine größere möblierte Wohnung nähme, und zog daher nach dem Spanischen Platz, wo ich fünf oder sechs Häuser von ihm entfernt wohnte. Dieser Umstand war mir jedoch völlig unbekannt.
Als ich eines Tages beim venetianischen Botschafter speiste, sagte Seine Exzellenz mir: »Sie werden mit einem Grafen Manucci speisen, der von Paris kommt, und sich sehr gefreut hat, als er vernahm, daß Sie in Rom sind. Ich nehme an, daß Sie ihn genau kennen; würden Sie wohl die Güte haben, mir zu sagen, wer dieser Graf ist, den ich morgen dem Heiligen Vater vorstellen soll?«
»Ich habe ihn in Madrid beim Gesandten Mocenigo gekannt; er macht einen guten Eindruck, ist bescheiden und höflich und ein hübscher junger Mensch. Das ist alles, was ich weiß.«
»Wurde er vom spanischen Hof empfangen?«
»Ich glaube es; aber ich kann es nicht bestimmt behaupten.«
»Ich glaube, nein; aber ich sehe. Sie wollen mir nicht alles sagen, was Sie von ihm wissen. Nun, es macht nichts; ich laufe keine Gefahr, wenn ich ihn dem Papst vorstelle. Er behauptet, von dem berühmten Reisenden Manucci aus dem dreizehnten Jahrhundert abzustammen und ein Nachkomme der berühmten Buchdruckerfamille Manucci zu sein, die der Literatur so viel Ehre gemacht hat. Er zeigte mir den Anker in seinem Wappen mit sechzehn Feldern.«
Ich war sehr erstaunt, daß dieser Mensch, der die Rache so weit getrieben hatte, mich sogar ermorden lassen zu wollen, von mir wie von einem vertrauten Freunde sprach. Ich entschloß mich jedoch, meine Gefühle zu verbergen, um zu sehen, wie es weiter kommen würde. Ich sah ihn also erscheinen, ohne ihn meinen gerechten Groll fühlen zu lassen. Als er den Gesandten nach der üblichen Etikette begrüßt hatte, kam er mit ausgebreiteten Armen auf mich zu, um mich zu umarmen und ich wich ihm nicht aus, sondern erkundigte mich nach seinem Gesandten.
Manucci sprach bei Tisch sehr viel; er erzählte, um mich herauszustreichen, zwanzig Lügen, was ich alles in Madrid getan hätte; wahrscheinlich dachte er dabei, wenn er selber lüge, zwinge er mich, ebenfalls zu lügen und meinerseits ihn herauszustreichen.
Ich schluckte alle diese sehr bitteren Pillen hinunter, da es nun einmal nicht anders ging; aber ich war fest entschlossen, gleich am nächsten Tage eine ernsthafte Erklärung herbeizuführen.
Ein Franzose, der mit Manucci gekommen war, ein gewisser Chevalier de Reuville, interessierte mich sehr. Er war nach Rom gekommen, um die Ehe einer Dame, die sich zu Mantua in einem Kloster befand, für ungültig erklären zu lassen. Er war dem Kardinal Galli ganz besonders empfohlen.
Er erzählte uns eine Menge hübscher Geschichten und erheiterte die ganze Gesellschaft. Als wir den Gesandten verließen, nahm ich Manuccis Einladung an, mit ihm in seinen Wagen zu steigen und bis zum Abend spazieren zu fahren.
Als wir mit Einbruch der Dunkelheit zurückkehrten, sagte der Franzose uns, er werde uns einer hübschen Dame vorstellen, bei der wir zu Abend speisen würden und auch eine Pharaobank legen könnten.
Der Wagen hielt am Spanischen Platz dicht bei meiner Wohnung vor einem Hause, und wir gingen nach dem zweiten Stock hinauf. Als ich eintrat, sah ich zu meiner großen Überraschung den Grafen Medini und dessen Geliebte, die der Chevalier sehr gerühmt hatte, die ich jedoch durchaus nicht nach meinem Geschmack fand. Medini begrüßte mich herzlich und dankte dem liebenswürdigen Franzosen, daß er mich veranlaßt hätte, das Vergangene zu vergessen und ihn zu besuchen.
Herr von Reuville machte ein erstauntes Gesicht; um eine Auseinandersetzung zu vermeiden, die vielleicht unangenehm geworden wäre, brachte ich die Unterhaltung auf einen anderen Gegenstand.
Als die Gesellschaft beisammen war, schienen dem Graf Medini genügend viel Spieler vorhanden zu sein. Er setzte sich an einen großen Tisch, legte fünf- oder sechshundert Scudi in Gold und Banknoten vor sich hin und begann abzuziehen. Manucci verlor alles Gold, das er bei sich hatte; Reuville gewann die Hälfte von dem Golde der Bank, und ich begnügte mich mit der Rolle des Zuschauers.
Nach dem Abendessen verlangte Medini von dem Franzosen Revanche, und Manucci bat mich um hundert Zechinen. Ich gab sie ihm und in weniger als einer Stunde hatte er keinen Heller mehr; Reuville dagegen gewann Medini alles Gold ab, bis auf etwa zwanzig oder dreißig Zechinen. Hierauf gingen wir alle nach Hause. Manucci wohnte bei Rolands Tochter, meiner Schwägerin. Ich gedachte ihn dort gleich am nächsten Morgen aufzusuchen; er ließ mir jedoch keine Zeit dazu, denn ich sah ihn in aller Frühe schon bei mir erscheinen.
Nachdem er mir meine hundert Zechinen wiedergegeben hatte, ließ er mir keine Zeit, mich zu besinnen, sondern umarmte mich herzlich, zeigte mir einen starken Kreditbrief auf Belloni und bot mir an, mir soviel Geld zu leihen, wie ich nötig hätte. Ohne von dem Vergangenen ein Wort zu sagen, benahm der eigentümliche junge Mann sich so, daß ich einsah, wir müßten unser beiderseitiges Unrecht vergessen und uns als gute Freunde betrachten.
Bei dieser Gelegenheit trug wieder einmal mein Herz den Sieg über meine Vernunft davon, wie es mir oft geschehen ist. Ich nahm den Frieden an, den er mir anbot.
übrigens war ich nicht mehr in dem Alter, wo der unüberlegte Mut nur durch einen Degenstoß befriedigt werden kann. Manucci war zwar im Unrecht, aber ich sah auch klar und deutlich, daß es ihm leid tat und daß er es gerne wieder gutmachen wollte. Ich erinnerte mich, daß ich vor ihm im Unrecht gewesen war, wenn auch nicht so sehr wie er, und ich fühlte mein Herz beruhigt und meine Ehre befriedigt.
Am dritten Tage speiste ich mit ihm unter vier Augen in seiner Wohnung. Gegen das Ende der Mahlzeit kam der Chevalier de Reuville und kurz darauf Medini. Reuville forderte uns auf, jeder einmal die Bank zu halten. Wir nahmen seinen Vorschlag an, und das war zu seinem Unglück. Manucci gewann das Doppelte von dem, was er das vorige Mal verloren hatte; Reuville verlor vierhundert Zechinen, und ich verlor eine Kleinigkeit. Medini, der nur etwa fünfzig Zechinen verloren hatte, war in Verzweiflung und wollte sich aus dem Fenster stürzen.
Einige Tage darauf reiste Manucci nach Neapel, nachdem er der Geliebten Medinis, die mit ihm soupiert hatte, hundert Louis geschenkt hatte. Trotz dieser unverhofften Einnahme wurde Medini verhaftet, weil er seit seiner Ankunft in Rom mehr als tausend Scudi Schulden gemacht hatte.
Der Unglückliche schrieb mir vom Gefängnis aus jämmerliche Bittgesuche um Hilfe; diese Schreibebriefe übten jedoch auf mich weiter keine Wirkung aus, als daß ich mich seiner sogenannten Familie annahm. Ich hielt mich für meine Auslagen an der jungen Schwester seiner Geliebten schadlos, da ich nicht verpflichtet zu sein glaubte, ohne jeden Vorteil den Großmütigen zu spielen.
Um diese Zeit kam der deutsche Kaiser mit seinem Bruder, dem Großherzog von Toskana, nach Rom. Einer von den Herren seines Gefolges machte die Bekanntschaft der jungen Schönheit und setzte Medini instand, seine Gläubiger zu befriedigen. Er verließ Rom wenige Tage, nachdem er seine Freiheit wiedererlangt hatte; in einigen Monaten werden wir ihn wiederfinden.
Ich lebte glücklich auf meine selbstgewählte Art. Abends ging ich zur Herzogin von Fiano, jeden Nachmittag zur Fürstin Santa-Croce, und die übrige Zeit war ich zu Hause, wo ich Margherita, die hübsche Buonaccorsi und den jungen Menicuccio hatte, der mir so viel von seiner Liebe erzählte, daß ich schließlich Lust bekam, sein Mädchen kennen zu lernen.
Das junge Mädchen, das er liebte, befand sich seit dem zehnten Jahre in einer Art von klösterlicher Wohltätigkeitsanstalt, die sie nur verlassen konnte, um sich mit der Erlaubnis des Kardinals, dem die Verwaltung und Beaufsichtigung des Hauses unterstand, zu verheiraten. Die in dieses Kloster eingesperrten Mädchen erhielten bei ihrem Austritte zweihundert römische Scudi, die sie ihrem Gatten als Mitgift zubrachten.
Menicuccios Schwester befand sich in derselben Anstalt, und er konnte sie jeden Sonntag besuchen; sie kam mit ihrer Erzieherin an das Sprechgitter. Obgleich Menicuccio ihr Bruder war, erlaubte die Klosterordnung nicht, daß sie allein an das Gitter kam.
Vor fünf oder sechs Monaten hatte der junge Mann bei einem seiner gewöhnlichen Besuche seine Schwester mit einem anderen jungen Mädchen kommen sehen, das er vorher noch niemals bemerkt hatte. Er hatte sich sofort sterblich in dieses verliebt.
Da er die ganze Woche arbeiten mußte, so konnte er nur an Feiertagen das Sprechgitter aufsuchen; aber selbst an diesen Festtagen hatte der arme Junge nur selten das Glück, die Geliebte zu sehen, um die er so viele Seufzer ausstieß; in fünf oder sechs Monaten hatte er sich nur etwa achtmal ihrer Gegenwart erfreut.
Seine Schwester kannte seine Liebe und erwies ihm gerne jede Gefälligkeit; aber es stand nicht in ihrer Macht, die Freundin nach ihrem Belieben mit an das Gitter zu führen, und die Oberin um Erlaubnis zu fragen wagte sie nicht, weil sie Verdacht zu erregen fürchtete.
Ich hatte mich also entschlossen, der armen Eingesperrten einen Besuch zu machen. Unterwegs erzählte Menicuccio mir, daß die Frauen, die dieses Haus leiteten, eigentlich keine Nonnen wären; denn sie hätten kein Gelübde abgelegt und trügen keine geistliche Tracht; trotzdem aber kämen sie kaum in Versuchung, ihr Gefängnis zu verlassen, denn draußen in der Welt würden sie ihr Brot erbetteln oder eine dienende Stellung annehmen müssen. Die mannbaren jungen Mädchen verließen das Haus, indem sie die Flucht ergriffen, was sehr schwierig wäre, oder indem sie sich verheirateten, was sehr selten vorkäme.
Wir kamen an ein schlecht gebautes großes Haus, das an einem der Stadttore in öder Gegend lag; denn das Tor führte auf keinen Weg. Als wir das Sprechzimmer betraten, sah ich zu meiner Überraschung ein doppeltes Gitter von gekreuzten Stäben, die so dicht waren, daß ein zehnjähriges Mädchen seine Hand nicht hätte hindurchstecken können, ohne sich zu verletzen. Zwischen dem inneren und äußeren Gitter befand sich ein ziemlich großer Zwischenraum, wodurch die öffnungen scheinbar noch um die Hälfte kleiner wurden; hierdurch wurde es außerordentlich schwierig, die Gesichtszüge der Personen zu erkennen, die sich dicht an das zweite stellten, um so mehr, da der Teil des Sprechzimmers, wo die unglücklichen Gefangenen sich aufhielten, nur von dem unsicheren Licht des für die Besucher bestimmten Teiles notdürftig erhellt wurde.
Der Anblick erfüllte mich mit Entsetzen, und ich fragte Menicuccio: »Wie und wo hast du denn deine Geliebte gesehen? Ich sehe hier nur Finsternisse.«
»Das erste Mal hatte die Erzieherin zufällig eine Lampe bei sich; aber eine solche anzuzünden, ist bei Strafe der Exkommunikation nur gestattet, wenn Verwandte kommen.«
»Wird sie denn heute mit Licht kommen?«
»Das bezweifle ich; denn die Pförtnerin wird ihr gesagt haben, daß ich nicht allein bin.«
»Aber wie ist es dir dann gelungen, deine Freundin zu sehen, die doch nicht deine Verwandte ist?«
»Durch Zufall. Das erste Mal war sie heimlich gekommen, und die Aufseherin meiner Schwester, eine sehr gute Person, sagte nichts. Die anderen Male kam sie auf Bitten meiner Schwester, jedoch ohne Kerze.«
Wirklich erschien bald darauf die Frauengestalt, aber ohne Licht; es war mir unmöglich, die Aufseherin zu überreden, uns welches zu verschaffen. Sie fürchtete, entdeckt und exkommuniziert zu werden.
Da ich sah, daß ich die unschuldige Ursache war, daß mein junger Freund den Anblick der Geliebten entbehren mußte, so wollte ich mich entfernen; aber dies wollte er nicht zugeben. So verbrachte ich an diesem barbarischen Gitter eine peinliche Stunde, die jedoch nicht uninteressant war. Die Stimme von Menicuccios Schwester erregte in mir ein köstliches Gefühl und brachte mich auf den Gedanken, daß die Blinden sich durch das Gehör verlieben müssen. Die Aufseherin war noch nicht dreißig Jahre alt. Sie sagte mir, die Insassen des Hauses würden nach ihrem fünfundzwanzigsten Jahre Aufseherinnen über die jüngeren, und mit fünfunddreißig Jahren stände es ihnen frei, das Haus zu verlassen. Hierzu entschlössen sich jedoch aus Furcht vor der Armut nur sehr wenige.
»Dann haben Sie wohl viele Alte hier?«
»Wir sind hundert, und die Zahl vermindert sich nur durch den Tod oder durch einen Austritt, der selten vorkommt.«
»Aber es treten doch auch einige aus, um sich zu verheiraten; wie fangen denn diese es an, ihren Freiern Liebe einzuflößen?«
»In den zwanzig Jahren, seitdem ich hier bin, habe ich nur vier austreten sehen, um sich zu verheiraten, und diese haben ihren Gatten erst vor dem Altar kennen gelernt. Wer bei dem Kardinal-Protektor eine von uns zur Ehe verlangt, ist ein Narr oder ein Verzweifelter, der zweihundert Piaster braucht. Übrigens erteilt der Kardinal die Erlaubnis nur, nachdem er sich überzeugt hat, daß der Bewerber in seinem Berufe so viel verdient, um seine Frau ordentlich unterhalten zu können.«
»Und wie wird die Auswahl vollzogen?«
»Der Bewerber muß sagen, wie alt seine Frau sein und was sie können muß, und der Kardinal verläßt sich dann auf die Oberin.«
»Ich nehme an, daß Sie gutes Essen und gute Wohnung haben?«
»Keines von beiden. Dreitausend Scudi jährlich können nicht genügen, um die Bedürfnisse von hundert Personen zu bestreiten. Die glücklichsten sind diejenigen, die sich mit ihrer Arbeit etwas verdienen.«
»Und was sind das für Leute, die sich darum bewerben, ihre Töchter in ein solches Gefängnis zu bringen?«
»Arme Leute oder Fromme, welche Furcht haben, daß ihre Töchter dem Laster zur Beute fallen. Aus diesem Grunde werden nur hübsche Madchen bei uns aufgenommen.«
»Und wer urteilt über diese Schönheit?«
»Die Älteren, der Priester, ein Mönch oder der Pfarrer und als letzte Instanz der Kardinal-Protektor; wenn dieser das Mädchen nicht hübsch findet, so verwirft er sie ohne Mitleid, denn er sagt, die häßlichen haben von der Verführung der Welt nichts zu befürchten. Sie können sich also wohl denken, daß wir Unglücklichen, die wir hier sind, diejenigen verfluchen, die uns hübsch gefunden haben.«
»Ich beklage Sie, aber ich wundere mich, daß man nicht die Erlaubnis erhalten kann, Sie in allen Ehren zu sehen; dies würde vielleicht doch manchen veranlassen, eine von Ihnen zur Frau zu begehren.«
»Der Kardinal sagt, er dürfe diese Erlaubnis nicht geben, denn die Übertretung der Gründungsgesetze sei mit Exkommunikation bedroht.«
»Der Begründer dieses Hauses muß in der Hölle sein.«
»Das glauben wir alle, und wir beten nicht dafür, daß er herauskommt. Der Papst sollte diesem Unfug ein Ende machen.«
Ich gab dem Mädchen zehn Scudi und sagte ihr, da ich sie nicht sehen könne, so wolle ich ihr nicht versprechen, ein zweites Mal wiederzukommen. Ich ging mit Menicuccio hinaus, der sich Vorwürfe machte, mir diese langweilige Stunde verschafft zu haben.
Ich antwortete ihm: »Ich sehe voraus, daß ich niemals deine Geliebte und deine Schwester erblicken werde, deren Stimme mir ins Herz gedrungen ist.«
»Es scheint mir unmöglich zu sein, daß Ihre zehn Piaster nicht Wunder wirken.«
»Es muß doch noch ein anderes Sprechzimmer da sein?«
»Ja, aber dieses dürfen bei Strafe der Exkommunikation ohne Erlaubnis des Heiligen Vaters nur Priester betreten.«
Ich begriff nicht, wie eine so abscheuliche Anstalt geduldet werden konnte; denn es war offenbar, daß die armen Eingesperrten nur mit größter Mühe einen Gatten finden konnten. Da jedem Mädchen eine Mitgift von zweihundert Piastern zugesichert war, so hatte der Gründer der Anstalt doch wohl auf zwei Heiraten jährlich rechnen müssen; ich vermutete, daß diese Summen von irgendeinem Gauner zu seinem Nutzen verwendet würden.
Ich teilte meine Gedanken dem Kardinal Bernis in Gegenwart der Fürstin mit. Sie wurde von lebhafter Teilnahme für die Unglücklichen ergriffen und sagte, man müsse dem Papst eine von allen Insassen der Anstalt unterzeichnete Eingabe überreichen, worin sie den Heiligen Vater um Erlaubnis bäten, im Sprechzimmer in allen Ehren und unter denselben Förmlichkeiten wie in anderen Frauenklöstern Besuche zu empfangen.
Der Kardinal bat mich, die Bittschrift aufzusetzen, sie unterzeichnen zu lassen und der Fürstin zu übergeben. Unterdessen werde er einen günstigen Augenblick benützen, den Heiligen Vater von der Sache in Kenntnis zu setzen, und werde die geeignete Person ausfindig machen, um die Eingabe in aller Form zu überreichen.
An der Einwilligung der allergrößten Zahl der Eingesperrten zweifelte ich nicht. Ich setzte die Bittschrift auf, und als ich zum zweiten Male an das Gitter ging, übergab ich sie derselben Aufseherin, mit der ich bereits gesprochen hatte. Sie war von meiner Idee begeistert und versprach mir, bei meinem nächsten Besuch mir die Eingabe mit den Unterschriften aller ihrer Leidensgefährtinnen zurückzugeben.
Sobald die Fürstin Santa-Croce die Eingabe mit den Unterschriften hatte, wandte sie sich an den Kardinal-Protektor Orsini; dieser versprach ihr, mit dem vom Kardinal Bernis schon vorbereiteten Papst darüber zu sprechen. Der Heilige Vater ließ unverzüglich ein Breve ausfertigen, wodurch die Exkommunikation aufgehoben wurde.
Der Kaplan des Hauses erhielt den Auftrag, der Oberin zu sagen, daß sie in Zukunft Besuche im großen Sprechzimmer zu erlauben hätte; die jungen Mädchen, die gerufen würden, wären von einer Aufseherin zu begleiten.
Menicuccio kam freudestrahlend zu mir und erzählte mir diese Neuigkeit, die die Fürstin selber noch nicht kannte. Sie freute sich außerordentlich, als ich sie ihr erzählte.
Papst Ganganelli war ein Ehrenmann und ließ es dabei nicht bewenden. Er befahl, der Verwaltung den Prozeß zu machen und sie über alles in den hundert Jahren seit der Gründung Unterschlagene genau Rechenschaft ablegen zu lassen. Er setzte die Zahl der Zöglinge von hundert auf fünfzig herunter und verdoppelte die Mitgift. Er befahl außerdem, daß jedes Mädchen, das fünfundzwanzig Jahre alt geworden wäre, ohne einen Mann zu finden, mit der Mitgift von vierhundert Talern entlassen werden sollte. Zwölf Matronen von anerkannt gutem Lebenswandel wurden mit festem Gehalt als Aufseherinnen über die jungen Mädchen angestellt, so daß je vier unter der unmittelbaren Leitung einer dieser Frauen standen; zwölf Mägde sollten bezahlt werden, um die groben Arbeiten und die Bedienung im Hause zu verrichten.