Mein Glück in Holland. – Ich kehre mit dem jungen Pompeati nach Paris zurück.
Unter den Briefen, die ich auf der Post fand, war auch einer vom Generalkontrolleur, der mir schrieb, Herr d’Affry habe für zwanzig Millionen königliche Wertpapiere in Händen und werde sie mit einem Verlust von höchstens acht Prozent hergeben. In einem zweiten Brief riet mir mein freundlicher Beschützer, Abbé von Bernis, die Papiere so vorteilhaft wie möglich zu verwenden; ich könne mich darauf verlassen, daß der Gesandte auf seinen Bericht vom Minister Befehl erhalten werde, dem Abschluß zuzustimmen, wenn der Preis nur nicht hinter dem zurückbliebe, was man an der Pariser Börse würde erhalten können. Boas war erstaunt über den vorteilhaften Verkauf meiner sechzehn Gotenburger Aktien; er sagte mir, er wolle sich verpflichten, mir die zwanzig Millionen gegen Aktien der Schwedisch-Indischen Kompagnie zu diskontieren, wenn ich den Gesandten veranlassen wollte, ein Schreiben zu unterzeichnen, wodurch ich mich verpflichten müßte, die französischen Staatspapiere mit zehn Prozent Verlust herzugeben und dafür die schwedischen Aktien zum Kurse von 115 zu übernehmen, wie ich meine sechzehn verkauft hätte. Ich würde seinem Vorschlage zugestimmt haben, wenn er nicht verlangt hätte, daß ich ihm drei Monate Zeit ließe, und daß mein Vertrag auch dann in Kraft bleiben müßte, wenn während dieser Zeit der Friede geschlossen werden sollte. Ich bemerkte bald, daß meine Interessen mich nach Amsterdam zurückriefen, aber ich hatte Teresa versprochen, sie im Haag zu erwarten, und ich wollte ihr mein Wort nicht brechen. Zum Glück kam sie schon am nächsten Tage; sie schrieb mir sofort, sie erwarte mich zum Souper. Ich erhielt ihr Briefchen im Theater, und der Bediente, der es mir überbrachte, sagte mir, er würde auf mich warten, um mich zu ihr zu führen. Ich schickte meinen Lakaien nach Hause und begab mich zu ihr.
Der Führer ließ mich in einem armseligen Hause bis zum vierten Stock emporsteigen, und dort sah ich die seltsame Frau in einem Kämmerchen mit ihrer Tochter und mit ihrem Sohn. Ein Tisch, der mitten im Zimmer stand, war mit einem schwarzen Tuch bedeckt und zwei Kerzen zierten diese Art von Traueraltar. Da der Haag eine Residenzstadt ist, so war ich reich gekleidet, und mein glänzender Luxus bildete einen sehr traurigen Kontrast zu meiner ganzen Umgebung. Teresa in ihrem schwarzen Kleide, zwischen ihren beiden Kindern hinter diesem Tische sitzend, kam mir vor wie eine Medea. Man konnte nichts Schöneres und Interessanteres sehen, als diese beiden jungen Geschöpfe, die gewissermaßen der Schande und dem Elend geweiht waren. Ich schloß den Knaben in meine Arme und drückte ihn zärtlich gegen meinen Busen, indem ich ihn meinen Sohn nannte. Seine Mutter sagte ihm, von diesem Augenblick an müßte er in mir seinen Vater sehen. Der kluge Knabe erkannte mich wieder. Er erinnerte sich, mich in Venedig im Mai 1753 bei Frau Manzoni gesehen zu haben, und dies machte mir eine große Freude. Er war klein, schien aber von ausgezeichneter Körperbildung zu sein. Er war gut gewachsen und hatte ein kluges Gesicht. Er war dreizehn Jahre alt.
Seine Schwester saß unbeweglich da und schien darauf zu warten, daß auch sie an die Reihe käme. Ich setzte sie auf meinen Schoß und erblickte in dem Vergnügen, das es mir machte, sie zu küssen, einen Fingerzeig, daß sie meine Tochter sei. Sie nahm meine Liebkosungen schweigend hin, aber es war leicht zu sehen, daß sie sich darüber freute, meine Teilnahme mehr zu erregen als ihr Bruder. Sie hatte nur ein sehr leichtes Röckchen an. Ich fühlte ihre hübschen Formen und küßte alle Teile ihres reizenden Körpers, entzückt, daß ein so liebenswürdiges Geschöpf mir sein Dasein verdankte.
»Nicht wahr, liebe Mama, dieser schöne Herr ist derselbe, den wir in Amsterdam gesehen haben und den man für meinen Papa gehalten hat, weil ich ihm ähnlich sehe? Aber das ist nicht möglich, denn Papa ist ja tot.«
»Das ist wahr, meine reizende Freundin, aber ich kann doch dein allerbester Freund sein; willst du mich?«
»Oh, gewiß!«
Und mit diesen Worten umschlang das liebe Kind mich mit seinen hübschen Ärmchen und gab mir tausend Küsse, die ich ihr mit Wonne zurückgab.
Nachdem wir gelacht und gescherzt hatten, setzten wir uns zu Tisch, und die Heldin gab mir ein ausgezeichnetes Souper mit den allerbesten Weinen.
»Ich habe«, sagte sie zu mir, »selbst den Markgrafen bei den kleinen Soupers, die ich ihm unter vier Augen gab, niemals besser bewirtet.«
Um den Charakter ihres Sohnes keimen zu lernen, den ich mit nach Paris zu nehmen versprochen hatte, richtete ich oft das Wort an ihn und sah bald, daß er falsch, verschlossen und immer auf der Hut war; daß er seine Antworten sorgfältig überlegte, und daß sie infolgedessen niemals so klangen, wie sie gelautet haben würden, wenn er sich der Natur überlassen hätte. Alles, was er sagte, trug einen Anstrich von Höflichkeit und Zurückhaltung, der von ihm ohne Zweifel darauf berechnet war, mir zu gefallen. Ich sagte ihm, sein System könnte unter Umständen wohl gut sein, aber es gebe Augenblicke, wo der Mensch nur glücklich sein könne, wenn er sich von jedem Zwange frei mache, und nur in solchen Augenblicken könne man ihn liebenswürdig finden, wenn er es wirklich seiner Charakteranlage nach wäre.
Seine Mutter sagte mir, im Glauben, ihn damit zu loben: seine vorzüglichste Eigenschaft sei die Verschwiegenheit; sie habe ihn daran gewöhnt, in allen Dingen und zu jeder Zeit verschwiegen zu sein; sie würde es daher ohne Schmerz ertragen, wenn er gegen sie ebenso zurückhaltend wäre wie gegen alle Welt.
»Das ist abscheulich,« sagte ich ziemlich schroff zu ihr, »Sie haben vielleicht in Ihrem Sohn die kostbarsten Eigenschaften erstickt, mit denen möglicherweise die Natur ihn begabt hat. Er hätte ein Engel sein können, und Sie haben ihn auf den Weg gebracht, ein Ungeheuer zu werden. Ich kann nicht begreifen, wie ein Vater, und wäre er noch so zärtlich, Neigung für einen beständig zugeknöpften Sohn empfinden könnte.«
Dieser etwas heftige Ausfall, der aber nur einem Gefühl der Liebe entsprang, die ich gerne für das Kind hätte empfinden mögen, schien die Mutter ganz betroffen zu machen.
»Sage mir, liebes Kind, ob du dich imstande fühlst, zu mir das volle Vertrauen zu haben, das ein Vater von einem guten Sohne erwarten darf, und ob du versprechen zu können glaubst, mir gegenüber kein Geheimnis zu haben und keine Zurückhaltung zu üben?«
»Ich verspreche Ihnen, daß ich lieber sterben als Sie belügen werde.«
»Dies ist sein Charakter!« sagte die Mutter zu nur. »So groß ist der Abscheu vor der Lüge, den ich ihm einzuflößen verstanden habe.«
»Sehr schön; aber indem Sie Ihrem Sohn einen berechtigten Abscheu vor der Lüge einflößten, konnten Sie ihm eine bessere Richtung geben, die ihn viel sicherer zum Glück geführt haben würde.«
»Könnte man es denn besser machen?«
»Sehr einfach. Man muß nicht Abscheu vor der Lüge einflößen, sondern man muß die Wahrheit lieben lehren, indem man sie im vollen Glänze ihrer Schönheit strahlen läßt. Dies ist das einzige Mittel, sich liebenswürdig zu machen, und wenn man in dieser Welt glücklich sein will, so muß man geliebt sein.«
»Aber«, sagte der Kleine mit lachender Miene, die mir nicht gefiel, seine Mutter aber entzückte, »nicht lügen und die Wahrheit sagen ist das nicht dasselbe?«
»Nein, gewiß nicht! Da fehlt sehr viel daran, denn um nicht zu lügen, brauchtest du nur nichts zu sagen, und würdest du damit die Wahrheit sagen? Du mußt mir deine Seele öffnen, mein lieber Sohn, mußt mir sagen, was in dir und um dich vorgeht, und mußt mir selbst das offenbaren, worüber du zu erröten hättest. Ich werde dir helfen das Erröten zu lernen, und in kurzem wirst du nicht mehr in Gefahr sein, die Enthüllung aller deiner Handlungen und Gefühle befürchten zu müssen. Wenn wir uns besser kennen lernen, mein Sohn, werden wir sehr bald sehen, ob wir zueinander passen. Denn du mußt wissen, es wäre mir unmöglich, dich als meinen Sohn anzusehen, bevor wir uns zärtlich lieben, und ich könnte niemals zugeben, daß du mich als deinen Vater ansähest, wenn du nicht in mir deinen besten Freund erblicktest. Du begreifst, daß ich die Aufgabe habe, dies alles zu entdecken; denn sei überzeugt, ich werde alle deine Gedanken zu erraten wissen, so fein du es auch anstellen magst, sie mir zu verbergen. Sollte ich dich als falsch oder mißtrauisch erkennen, so würde ich dich nicht lieben; und sicherlich würde dies zu deinem Nachteil sein. Sobald ich meine Geschäfte in Amsterdam erledigt habe, werden wir nach Paris abreisen. Ich fahre morgen und hoffe dich bei meiner Rückkehr von deiner Mutter selber über eine Anschauung belehrt zu sehen, die meinen Gefühlen und deinem Glück besser entspricht als deine jetzige.«
Meine Tochter hatte ganz still allen meinen Worten zugehört; als ich zufällig sie ansah, bemerkte ich, daß ihre Augen schwer von Tränen waren, die sie nur mit Mühe zurückhielt.
»Warum weinst du?« sagte ihre Mutter zu ihr; »das ist eine Dummheit.«
Das Kind fiel ihr um den Hals und küßte sie. Da sah ich unzweifelhaft, daß ihr Lachen ebenso falsch gewesen war, wie ihre Tränen echt waren, denn diese entsprangen aus dem Gefühl.
»Willst du auch mit mir nach Paris kommen?« fragte ich sie.
»O gewiß, mein teurer Freund, von ganzem Herzen gern; aber nur mit Mama, denn ohne mich würde sie sterben.«
»Und wenn ich es dir befehle?« sagte die Mutter.
»Dann würde ich gehorchen; wie könnte ich aber fern von dir leben?«
Bei diesen Worten tat meine liebe Tochter, wie wenn sie weinte. Ich sage: sie tat so; denn augenscheinlich sprach die Kleine gegen ihre Überzeugung, und ihre Mutter mußte dies ebenso gut bemerken wie ich.
Mich schmerzte aufrichtig die falsche Erziehung, die die Mutter diesem kleinen Geschöpf gab, das mir viel Verstand und viel Gefühl zu haben schien. Ich nahm die Mutter beiseite und sagte ihr: »Wenn Sie Ihre Kinder dazu erzogen haben, um beständig Komödie zu spielen, so haben Sie dies sehr gut angefangen und Ihren Zweck nach Wunsch erreicht; wenn Sie aber wünschen, daß aus ihnen brauchbare Mitglieder der Gesellschaft werden, so haben Sie es verkehrt angefangen; denn Sie haben aus ihnen zwei angehende Ungeheuer gemacht.« Ich machte ihr die härtesten Vorwürfe, bis ich sah, daß sie trotz ihren Anstrengungen, sich zu beherrschen, in Tränen ausbrach. Sie erholte sich jedoch bald wieder und bat mich noch einen Tag im Haag zu bleiben, aber ich sagte ihr, es sei mir unmöglich ihren Wunsch zu erfüllen, und ging hinaus. Als ich gleich darauf wieder hinein kam, lief Sophiechen mir entgegen und sagte mit zärtlichem und liebevollem Ausdruck: »Wenn Sie mein Freund sind, so müssen Sie mir einen Beweis davon geben.«
»Und welchen Beweis verlangst du, Kleine?«
»Daß Sie morgen Abend mit mir speisen.«
»Das kann ich nicht, liebe Sophie; denn ich habe es eben deiner Mutter abgeschlagen, und sie müßte natürlich beleidigt sein, wenn ich dir zusagte, was ich ihr verweigert habe.«
»O nein, nein, lieber Freund! Sie wird nicht beleidigt sein, denn sie selber hat mir gesagt, ich solle Sie darum bitten.«
Natürlich fing ich an zu lachen. Als aber ihre Mutter sie eine kleine Einfalt nannte und ihr Herr Bruder hinzufügte, er würde niemals eine derartige Indiskretion begangen haben, da wurde das arme Kind ganz bestürzt und fing beinahe an zu zittern. Ich beeilte mich sie zu beruhigen, wobei ich mich wenig darum bekümmerte, ob ich ihrer Mutter mißfiel; ich wies sie auf Grundsätze hin, die von den ihr bisher eingeimpften sehr verschieden waren; sie hörte sie mit einer Art von Begier an, welche bewies, daß ihr junges Herz noch dem Einfluß moralischer Erziehung zugänglich war. Nach und nach heiterten ihre Augen sich wieder auf; ich sah, daß ich Eindruck auf sie gemacht hatte; und obwohl ich nicht hoffen durfte, daß dieser Eindruck dauerhaft sein würde, da sie ja immer unter dem traurigen Einfluß ihrer Mutter blieb, so versprach ich ihr schließlich doch, am nächsten Abend bei ihr zu speisen. »Aber,« sagte ich zu ihr, »nur unter der Bedingung, daß du mir ein ganz einfaches Essen gibst mit einer einzigen Flasche Chambertin; denn du bist nicht reich.«
»Das weiß ich wohl, mein lieber Freund; aber Mama hat mir gesagt, Sie werden alles bezahlen.«
Über diese naive Antwort lachte ich laut auf, und ihre Mutter mußte trotz ihrem Ärger einstimmen. Die arme Frau hielt trotz ihrer Geriebenheit diese Naivität für Dummheit; ich aber erkannte in dem Kinde einen rohen Diamanten, der nur geschliffen werden mußte.
Teresa sagte mir, der Wein koste ihr nichts; denn der Sohn des Bürgermeisters von Rotterdam liefere ihn ihr, und er werde am nächsten Abend mit uns speisen, wenn ich es erlaube. Ich antwortete ihr lachend, ich würde ihn mit Vergnügen sehen, und ging, nachdem ich meine Tochter, zu der ich große Liebe empfand, zärtlich geküßt hatte. Ich würde die größten Opfer gebracht haben, um sie von ihrer Mutter ausgeliefert zu erhalten; aber meine Bitten würden nutzlos gewesen sein, denn ich konnte mir wohl denken, daß sie sich in ihr eine Hilfsquelle für die Tage des Alters aufbewahrte. So denken fast alle Abenteuerinnen, und eine solche war Teresa in der vollen Bedeutung des Wortes. Ich gab Teresa zwanzig Dukaten, um meinen Adoptivsohn und meine kleine Sophie neu kleiden zu lassen. Meine Tochter warf sich, dem Gefühl ihrer Dankbarkeit folgend, in meine Arme und küßte mich mit Tränen in den Augen. Joseph wollte mir die Hand küssen, aber ich sagte ihm, ein Mann erniedrige sich, indem er einem anderen die Hand küsse; in Zukunft solle er mir seine Dankbarkeit nur bezeigen, indem er mich umarme, wie ein Sohn seinen Vater umarmen müsse.
Im Augenblick, wo ich gehen wollte, zeigte Teresa mir eine kleine Kammer, worin die beiden Kinder schliefen. Ich erriet die Aufforderung, die darin lag, aber die Zeiten waren vorüber … Esther beschäftigte mich ganz und gar.
Am nächsten Abend fand ich bei meiner Komödiantin den Sohn des Bürgermeisters, einen hübschen Jungen von zwanzig oder zweiundzwanzig Jahren, aber ohne Lebensart. Ich erlaubte ihm ja gerne Teresas Liebhaber zu sein, aber er mußte doch mir gegenüber ein Benehmen beobachten, auf das ich nach meiner Haltung und nach meinem Tone Anspruch erheben durfte. Sobald Teresa sah, daß er die Rolle des Herrn spielen wollte und daß sein Benehmen mich verletzte, behandelte sie ihn wie einen Schuhputzer, und er bemerkte dies sehr bald. Nachdem er die Speisen wegen ihrer Spärlichkeit bemäkelt und die Vorzüglichkeit der von ihm gelieferten Weine gepriesen hatte, ging er beim Nachtisch fort und ließ uns allein. Ich selber ging gegen elf Uhr, indem ich ihr versicherte, ich würde sie vor meiner Abreise noch einmal besuchen. Eine Fürstin Galitzin, geborene Cantimir, hatte mich zum Diner eingeladen, und diese Ehre kostete mir einen zweiten Tag.
Am nächsten Morgen erhielt ich einen Brief von Frau d’Urfé mit einem Wechsel von zwölftausend Franken auf Boas. Sie schrieb mir, da ihre Aktien ihr nur sechzigtausend Franken kosteten, so wolle sie nichts daran verdienen; sie hoffe, ich werde ihr das Vergnügen machen und diese freundschaftliche Maklergebühr annehmen. Das Anerbieten war so vornehm gemacht, daß ich es nicht ablehnen konnte. Der ganze Rest ihres Berichtes war ein Mischmasch verrückter Hirngespinste. Sie schrieb mir, ihr Genius habe ihr offenbart, ich werde nach Paris mit einem jungen Knaben zurückkehren, der aus einer philosophischen Paarung entsprossen sei, und sie hoffe, ich werde Mitleid mit ihr haben. Eigentümlicher Zufall, der wohl dazu angetan war, die arme Frau in ihren Phantasien zu bestärken. Ich lachte im voraus über den Eindruck, den auf sie das Erscheinen von Teresas Sohn machen würde, der gewiß weder einer philosophischen noch einer einfachen Paarung entsprossen war.
Boas zahlte mir meine zwölftausend Franken in Dukaten aus, und ich machte ihn mir dadurch zum Freunde; denn er dankte mir für diese Gunst, die ihm wahrscheinlich irgend einen Vorteil einbrachte. In Holland ist nämlich das Gold eine Ware, und alle Zahlungen werden dort in Silber oder in Papier gemacht. In jenem Augenblick stand das Agio ein wenig hoch, und deshalb wollte kein Mensch Dukaten haben.
Nachdem ich bei der Fürstin Galitzin köstlich gespeist hatte, zog ich einen Überrock an und ging ins Kaffeehaus. Ich fand dort den jungen Bürgermeisterssohn, der gerade eine Partie Billard beginnen wollte. Er flüsterte mir ins Ohr, ich könnte auf ihn wetten. Da ich glaubte, er sei seiner Sache sicher, so dankte ich ihm und befolgte seinen Rat; nachdem er aber drei Partien hintereinander verloren hatte, so daß ich sein Spiel beurteilen konnte, begann ich gegen ihn zu wetten, ohne daß er es bemerkte. Nach drei Stunden hatte er etwa vierzig Partien verloren; er hörte auf und trat auf mich zu, um mir sein Bedauern auszusprechen. Er machte aber ein unbeschreiblich verblüfftes Gesicht, als ich ihm eine Handvoll Dukaten zeigte und ihm sagte, ich hätte gegen ihn gewettet und auf diese Weise meinen Nachmittag gut angewandt. Alle Anwesenden lachten ihn aus und machten sich über ihn lustig; er aber verstand keinen Spaß und lief in hellem Zorn über meine stichelnden Bemerkungen hinaus. Gleich darauf ging ich ebenfalls und begab mich zu Teresa, weil ich es ihr versprochen hatte. Am nächsten Morgen mußte ich nach Amsterdam abreisen. Teresa erwartete ihren Weinlieferanten, als ich ihr aber das Vorgefallene erzählt hatte, erwartete sie ihn nicht mehr. Ich nahm mein Töchterchen auf den Schoß und überhäufte sie mit Liebkosungen.
Beim Abschied sagte ich ihnen, wir würden uns in drei Wochen oder spätestens in einem Monat wiedersehen.
Als ich ganz allein, meinen Degen unter dem Arm, nach Hause ging, sah ich mich plötzlich beim schönsten Mondenschein von meinem armen gefoppten Bürgermeisterssohn angegriffen.
»Ich bin neugierig,« sagte er zu mir, »ob Ihr Degen ebenso spitzig ist wie Ihre Zunge.«
Ich suchte ihn zu beruhigen und zur Vernunft zu bringen und behielt meinen Degen in der Scheide, obgleich er blankgezogen und die Spitze gegen mich gerichtet hatte.
»Sie haben unrecht,« sagte ich zu ihm, »den Scherz so übel zu nehmen; ich bitte Sie um Entschuldigung.«
»Keine Entschuldigungen! Verteidigen Sie sich!«
»Warten Sie bis morgen; beruhigen Sie sich; wenn Sie es wünschen, werde ich Ihnen im Billardsaal vor allen Anwesenden durch eine Ehrenerklärung Genugtuung geben.«
»Ich will keine andere Genugtuung, als daß Sie sich schlagen; ich will Sie töten.«
Um mir seinen festen Entschluß zu zeigen und mich auf eine Weise herauszufordern, daß ich nicht mehr zurückweichen konnte, gab er mir einen Schlag mit der flachen Klinge. Es ist der einzige, den ich in meinem Leben erhalten habe. Jetzt zog ich endlich den Degen; aber in der Hoffnung, daß er doch noch Vernunft annehmen werde, parierte ich nur zurückweichend und unter wiederholten Aufforderungen, von diesem törichten Kampf abzulassen. Mein Holländer aber hielt mein Benehmen für Furcht und stach wie besessen auf mich los. Schließlich brachte er mir einen Stoß bei, daß mir die Haare zu Berge standen: er durchstieß mir die Halsbinde auf der linken Seite, so daß der Degen hinten wieder herausfuhr; einen Drittel Zoll weiter einwärts, und es war um mich geschehen!
Ich sprang zur Seite, und da die Gefahr mich zu einem anderen Verhalten zwang, so führte ich einen Primstoß und verwundete ihn an der Brust. Da ich sicher war, ihn getroffen zu haben, so fühlte ich meinen Zorn besänftigt und forderte ihn auf, aufzuhören.
»Ich bin noch nicht tot,« schrie mein Gegner; »ich will Sie töten!«
Dies war offenbar ein Lieblingsausdruck von ihm. Mit einer Art von Wut, aber wie ein wahrer Narr, stürzte er sich auf mich, und ich verwundete ihn viermal. Beim vierten Stich trat er zurück, sagte mir, er habe genug, und bat mich, ich möchte gehen.
Ich entfernte mich mit großen Schritten und freute mich, als ich bei einer Untersuchung meines Degens sah, daß seine Wunden nur leicht waren. Ich fand Boas noch wach; nachdem er die Geschichte von mir gehört hatte, riet er mir, sofort nach Amsterdam abzureisen, obwohl ich ihm versicherte, daß die Wunden nicht tödlich seien. Ich folgte endlich seinen dringenden Bitten, und da meine Kutsche beim Stellmacher war, so gab er mir seinen Wagen, und ich befahl meinem Bedienten, am nächsten Morgen mit allen meinen Sachen mir nachzureisen und sie mir in den »Gasthof zur Alten Bibel« in Amsterdam zu bringen, wo ich wohnen wollte. Ich kam mittags in Amsterdam an, und mein Bedienter war am Abend da. Ich war neugierig, ob mein Zweikampf Lärm gemacht hatte; da er jedoch schon in der Frühe abgereist war, so hatte er nichts gehört. Es war mir sehr angenehm, daß man in Amsterdam erst nach acht Tagen etwas erfuhr. Dies war ein Glück für mich; denn obwohl der Vorfall sehr einfach war, so hätte er mir doch schaden können; der Ruf eines Raufboldes ist niemals eine gute Empfehlung bei Kaufleuten, mit denen man Geschäfte von einiger Wichtigkeit abschließen will. Wie der Leser sich denken kann, galt mein erster Besuch Herrn d’O. oder vielmehr seiner reizenden Tochter Esther; ihr brachte ich also meine Huldigung dar. Man wird sich erinnern, daß die Art unserer Trennung meine Glut noch mehr hatte anfachen müssen. Herr d’O. war nicht zu Hause; Esther aber saß an einem hübschen Tisch und schrieb.
»Was machen Sie da, reizende Esther?«
»Eine Rechenaufgabe.«
»Lieben Sie solche Aufgaben?«
»Ich liebe leidenschaftlich alles, was Schwierigkeiten bietet und merkwürdige Resultate liefert.«
»Ich werde Ihnen etwas zeigen.«
Aus Scherz machte ich ihr zwei magische Quadrate, die ihr sehr gefielen. Zum Dank zeigte sie mir einige Kleinigkeiten, die ich bereits kannte, aber sehr interessant zu finden vorgab. Mein guter Geist brachte mich auf den Gedanken, ihr eine kabbalistische Berechnung zu machen. Ich sagte ihr, sie möchte schriftlich etwas fragen, was sie nicht wüßte und gerne erfahren möchte; sie würde nach einer gewissen Berechnung eine zufriedenstellende Antwort erhalten. Sie lächelte und fragte, weshalb ich so schnell nach Amsterdam zurückgekommen sei. Ich lehrte sie die Worte in Zahlen umsetzen, eine Pyramide daraus bauen und alles was dazu gehörte. Hierauf ließ ich sie die Zahlenantwort finden und diese in französische Worte umsetzen. Zu ihrer großen Überraschung fand sie, daß nichts anderes mich so schnell nach Amsterdam zurückgeführt habe als die Liebe.
Ganz außer sich sagte sie zu mir: »Das ist erstaunlich, selbst wenn die Antwort nicht wahr sein sollte. Bitte sagen Sie mir, bei welchen Lehrern man eine so wunderbare Rechenkunst lernen kann.«
»Diejenigen, die sie kennen, können sie keinem Menschen mitteilen.«
»Woher kennen Sie sie denn?«
»Ich habe sie ganz von selber aus einem kostbaren Manuskript gelernt, das mein Vater mir hinterlassen hat.«
»Verkaufen Sie mir dieses Manuskript!«
»Ich habe es verbrannt, und ich bin nicht berechtigt, mein Wissen einem anderen Menschen mitzuteilen, bevor ich das fünfzigste Lebensjahr erreicht habe.«
»Warum gerade das fünfzigste?«
»Das weiß ich nicht; aber ich weiß, daß ich Gefahr laufen würde, es zu verlieren, wenn ich vor diesem Alter es lehrte. Der Elementargeist, der zu dem Orakel gehört, würde sich davon trennen.«
»Woher wissen Sie dies?«
»Ich habe es aus demselben Manuskript erfahren.«
»Sie können also alles erfahren, auch das Geheimste, was es auf der Welt gibt?«
»Ja, ich könnte es, wenn nicht zuweilen die Antworten so dunkel wären, daß sie nicht zu verstehen sind.«
»Da ja die Operation nicht lange dauert, würden Sie vielleicht die Gefälligkeit haben, mich die Antwort auf eine andere Frage finden zu lassen?«
»Sehr gern; Sie können vollständig über mich verfügen, soweit nicht mein Genius es mir verbieten wird.«
Sie fragte, welches ihr Schicksal sein würde, und das Orakel antwortete ihr, sie habe noch nicht den ersten Schritt getan, um ihrem Schicksal entgegenzugehen. Verwundert rief Esther ihre Gouvernante herbei; sie glaubte sie in Erstaunen zu setzen, indem sie ihr die beiden Orakel zeigte, aber die gute Schweizerin fand nichts Wunderbares darin. Esther ärgert sich, nannte sie einen Dickkopf und beschwor mich, ihr zu erlauben, noch eine Frage zu stellen. Da ich sicher war, ihr zu gefallen, so ermutigte ich sie dazu, und sie stellte folgende Frage: »Welche Person in Amsterdam liebt mich am meisten?«
Das Orakel antwortete, kein Mensch liebe sie so zärtlich wie jener, der ihr das Leben gegeben habe.
Die arme Esther, die doch sonst so klug war, sagte mir, ich hätte sie unglücklich gemacht und sie würde vor Kummer sterben, wenn es ihr nicht gelänge, diese Berechnung zu lernen. Ich antwortete nichts und tat, wie wenn ich sehr traurig wäre. Sie schrieb eine andere Frage nieder, wobei sie die Hand über das Papier hielt. Ich stand auf, wie wenn ich sie nicht belästigen wollte; aber während sie ihre Pyramide zurecht machte, warf ich im Auf- und Abgehen einen Blick auf das Papier und las ihre Frage. Nachdem sie alles so gemacht hatte, wie ich es ihr gezeigt, sagte sie zu mir, ich könnte wohl die Antwort ausziehen, ohne daß ich ihre Frage zu lesen brauchte. Ich gab dies zu, und sie bat mich errötend, ich möchte so freundlich sein. Ich erklärte mich einverstanden, aber nur unter der Bedingung, daß sie so etwas nicht zum zweitenmal von mir verlangen solle. Dies versprach sie mir.
Da ich ihre Frage gelesen hatte, so war es mir leicht, darauf zu antworten. Sie hatte das Orakel um Erlaubnis gebeten, ihrem Vater alle von ihr gestellten Fragen zu zeigen, und das Orakel antwortete ihr: sie würde glücklich sein, solange sie es nicht für nötig hielte, vor ihrem Vater etwas geheim zu halten.
Als sie diese Antwort sah, schrie sie laut auf vor Bewunderung und fand keine Ausdrücke stark genug, um mir meine Dankbarkeit auszusprechen. Ich verließ sie und ging auf die Börse, wo ich mit Herrn Pels lange über meine große Angelegenheit sprach.
Am nächsten Morgen brachte ein schöner und sehr höflicher Mann mir einen Brief von Teresa; sie schrieb mir, er könnte mir vielleicht in meinen Handelsgeschäften nützlich sein. Er hieß Rigerboos. Sie schrieb mir, die Wunden des Bürgermeistersohnes wären sämtlich leicht, und ich hätte nichts zu befürchten, weil kein Mensch etwas von der Sache wüßte. Wenn ich Geschäfte im Haag hätte, sollte ich mich nur nicht abhalten lassen. Sie schrieb mir ferner, meine kleine Sophie spräche unaufhörlich von mir, und wenn ich wiederkäme, würde ich mit ihrem Sohn viel besser zufrieden sein. Ich bat Herrn Rigerboos, mir seine Adresse zu geben, und versicherte ihm, ich würde, wenn sich die Gelegenheit böte, volles Vertrauen in seine Rechtlichkeit setzen.
Bald nachdem Rigerboos gegangen war, erhielt ich ein Briefchen von Esther, die mich im Namen ihres Vaters bat, den Tag bei ihr zu verbringen, wenn nicht etwa ein wichtiges Geschäft mich abhielte. Ich antwortete ihr: außer dem einen Geschäft, das ihr Vater kenne, hätte ich auf der ganzen Welt nichts Wichtigeres zu tun, als sie zu überzeugen, daß die Hoffnung, einen Platz in ihrem Herzen zu finden, mir das Höchste sei; sie könne daher sicher sein, daß ich nicht verfehlen würde, ihrer freundlichen Einladung Folge zu leisten.
Ich ging also um die Mittagszeit zu Herrn d’O. und fand Esther und ihren Vater beschäftigt, die Berechnung zu prüfen, durch welche vernünftige Antworten aus der Pyramide hervorgingen. Sobald er mich sah, umarmte ihr Vater mich mit freudigem Gesicht und sagte mir, er sei sehr glücklich, eine Tochter zu besitzen, die meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken gewußt habe.
»Ihre liebe Tochter wird leicht jeden Mann anziehen, der sie zu schätzen weiß.«
»Sie schätzen sie also?«
»Ich bete sie an.«
»Umarmen Sie sie.«
Ich brauche wohl nicht zu sagen, daß ich mich nicht lange hätte bitten lassen; aber Esther ließ mir keine Zeit; ihre Arme ausbreitend und einen Ruf des Entzückens ausstoßend, fiel sie mir um den Hals und erwiderte mit naiver Lebhaftigkeit alle Küsse, die ich in wollüstigem Entzücken ihr gab.
»Ich habe alle meine Geschäfte erledigt,« sagte Herr d’O. zu mir, »und ich habe den ganzen Tag für mich. Seit meiner Kindheit, lieber Freund, weiß ich, daß die Wissenschaft besteht, die Sie besitzen, und ich habe einen Juden gekannt, der mit ihrer Hilfe ein glänzendes Vermögen erwarb. Er sagte wie Sie, er könne seine Wissenschaft, bei Strafe sie selber zu verlieren, nur einer einzigen Person mitteilen; aber er schob diese Mitteilung so lange hinaus, daß er schließlich starb, ohne einem anderen seine Wissenschaft zu vererben; denn ein hitziges Fieber raffte ihn in wenigen Tagen hinweg. Ich hoffe, Sie werden es nicht machen wie dieser Jude. Inzwischen gestatten Sie mir, Ihnen zu sagen, daß Sie nicht wissen, was Sie besitzen wenn Sie sich diesen Schatz nicht zunutze zu machen wissen.«
»Sie nennen meine Wissenschaft einen Schatz; aber Sie besitzen einen tausendmal größeren.« Bei diesen Worten sah ich Esther an.
»Sprechen wir jetzt nicht davon! Ja, ich nenne Ihre Wissenschaft einen großen Schatz.«
»Aber verehrter Herr, mein Orakel gibt sehr dunkle Antworten.«
»Dunkle Antworten! Die, die meine Tochter mir gezeigt hat, sind sehr klar.«
»Offenbar ist sie glücklich im Fragestellen; denn davon hängt die Antwort ab.«
»Wir werden nach Tisch sehen, ob ich dasselbe Glück habe, das heißt, wenn Sie die Gefälligkeit haben wollen, für mich zu arbeiten.«
»Ich habe Ihnen nichts abzuschlagen, denn für mich ist der Vater untrennbar von seiner liebenswürdigen Tochter.«
Bei Tische sprachen wir von allen möglichen anderen Dingen, nur nicht von meiner Wissenschaft, denn die Prokuristen aßen am Tische des Herrn d’O., unter ihnen sein Premierminister, ein plumper und häßlicher Mensch, der augenscheinlich Absichten auf meine schöne Esther hatte. Nach dem Essen zogen wir uns in Herrn d’O.s Privatkontor zurück, wo er zwei sehr lange Fragen aus der Tasche zog. Durch die erste wollte er erfahren, was er zu tun hätte, um in einer wichtigen Angelegenheit, deren Einzelheiten er auseinander setzte, von den Generalstaaten einen günstigen Urteilsspruch zu erlangen. Ich antwortete in wenig Worten und so dunkel, wie nur eine mit den betrügerischen Geheimnissen des Dreifußes innig vertraute Pythia, und ich überließ Esther die Mühen, diese Antwort zu übersetzen und einen Sinn herauszufinden.
Anders mit der zweiten Frage! Ich war gewohnt, mich meinen ersten Eindrücken zu überlassen, und da es mir einfiel, eine klare Antwort zu geben, so tat ich es. Herr d’O. fragte, was mit einem Schiff der indischen Kompagnie geschehen sei; man kenne den Hafen, aus dem es abgesegelt sei, den Tag, an dem es ihn verlassen habe, aber man habe niemals wieder etwas davon gehört. Vor zwei Monaten schon hätte es ankommen müssen, und aus der Verzögerung schließe man, daß es untergegangen sei. Herr d’O. wollte nun wissen, ob das Schiff noch vorhanden oder ob es untergegangen sei usw. Da man keine Nachrichten habe, so wünsche die Gesellschaft, der es gehöre, einen Versicherer zu finden, der ihr zehn Prozent zahle; aber es finde sich niemand, der sich auf ein so gewagtes Unternehmen einlassen wolle, um so mehr, da ein vielleicht echter oder auch untergeschobener Brief von einem Kapitän der englischen Marine existiere, welcher behaupte, das Schiff sei vor seinen Augen auf offener See untergegangen.
Ich muß hier meinen Lesern etwas gestehen, was ich natürlich Herrn d’O. nicht sagte. Getrieben von einer Unbesonnenheit, die ich mir selber nicht erklären kann, faßte ich meine Antwort so ab, daß sie im wesentlichen keinen Zweifel darüber ließ, daß das Schiff noch existiere, daß es keinen Schaden erlitten habe und daß man in sehr wenigen Tagen von ihm hören werde. Wohl nur, weil ich augenblicklich ein Bedürfnis spürte, mein Orakel bis zu den Wolken zu erheben, brachte ich es in Gefahr, um all sein Ansehen zu kommen. Wenn ich die Absichten des guten, leichtgläubigen Herrn d’O. hätte voraussehen können, so glaube ich allerdings, ich würde meine Prahlsucht im Zaum gehalten haben; denn ganz gewiß konnte mir nichts daran liegen, ohne jeden Nutzen für mich eine beträchtliche Bresche in sein Vermögen zu legen.
Als er meine Antwort sah, wurde er ganz blaß und zitterte vor Freude. Er sagte uns, es sei von der größten Wichtigkeit, die Sache geheim zu halten; denn er sei entschlossen, sich so billig wie möglich die Versicherung des Schiffes zu verschaffen. Erschrocken über seinen Entschluß, von dem ich nur unangenehme Folgen voraussah, beeilte ich mich ihm zu sagen, ich könnte durchaus nicht dafür bürgen, daß das Orakel nicht vielleicht vollständig gelogen hätte. Ich würde vor Kummer sterben, wenn ich die unfreiwillige Ursache eines ungeheuren Verlustes sein sollte, den er erleiden könnte, wenn er einem Orakel traute, dessen geheimer Sinn vielleicht gerade das Gegenteil von dem Wortlaut bedeuten könnte.
»Täuscht das Orakel Sie zuweilen?«
»Ich bin oft sein Opfer gewesen.«
Als Esther meine Unruhe sah, bat sie ihren Vater, doch lieber keinen Schritt zu unternehmen. Einen Augenblick herrschte tiefes Schweigen.
Herr d’O. war nachdenklich; sein Kopf schien voll zu sein von dem Projekt, das seine Phantasie ihm als so aussichtsvoll hatte erscheinen lassen. Er sprach viel über die angebliche Macht der Zahlen und befahl seiner Tochter, ihm noch einmal alle ihre Fragen an das Orakel und die erhaltenen Antworten vorzulesen. Es waren sechs oder sieben, alle kurz und alle entweder scherzhafter oder moralischer, bestimmter oder zweifelhafter Auslegung fähig. Esther, die alle Pyramiden gemacht hatte, hatte durch meine mächtige Beihilfe bei der Erlangung der Antworten geglänzt, die ich sie nach meiner Laune hatte finden lassen. In der Freude seines Herzens über ihre Geschicklichkeit bildete ihr Vater sich ein, sie würde sich die geheime Wissenschaft leicht nur durch ihren Scharfsinn aneignen können. Die reizende Esther war von dieser Spielerei so eingenommen, daß sie ebenfalls beinahe von dieser Möglichkeit überzeugt war.
Nachdem wir tödlich langweilige Stunden damit verbracht hatten, alle diese Antworten, die meine Wirte köstlich fanden, noch einmal durchzusprechen, speisten wir zu Abend. Beim Abschied sagte Herr d’O. zu mir: »Da morgen Sonntag ist, und dieser Tag dem Vergnügen und nicht der Arbeit geweiht sein muß, so hoffe ich, Sie werden uns das Vergnügen machen, den Tag mit uns in unserem hübschen Hause an der Amstel zu verbringen.«
Sie waren hocherfreut, als ich die Einladung annahm.
Ich mußte unwillkürlich über den Handelsgeist nachdenken, der das Denken einengt oder vielmehr es sozusagen ganz auf Spekulation und Gewinn beschränkt. Herr d’O. war doch sicherlich ein Ehrenmann, aber trotz seinem großen Reichtum beseelte ihn die Habsucht seines Standes. Ich fragte mich, ob ein Mann, der sich für entehrt halten würde, wenn er einen Dukaten stähle oder einen auf der Straße gefundenen dem bekannten Eigentümer nicht zurückgäbe – ob ein solcher Mann wirklich glauben könnte, ehrlich zu handeln, indem er mit einer kleinen Summe einen sehr großen Gewinn zu machen suchte, obwohl er die kleine Summe nicht riskierte, da er ja die Gewißheit hätte, daß ihm durch das Orakel die Existenz des Schiffes dargetan wäre und da dieses Orakel, an das er ja glaubte, sagte, daß man in wenigen Tagen Nachrichten von dem Schiff haben würde? Ganz gewiß war in seinem Vorgehen etwas Betrügerisches; denn es ist moralisch nicht erlaubt, ein Spiel zu spielen, bei welchem man des Gewinnes sicher ist.
Aber dies ist der Geist des Handels. Ein Kaufmann verkauft eine Ware zum Zehnfachen des Ankaufspreises. Er rühmt sie als ausgezeichnet, obgleich er weiß, daß sie nichts taugt; aber er glaubt von Berufs wegen dieses Vorrecht zu haben, und infolgedessen ist sein Gewissen vollkommen ruhig. Die Juden, die Christen betrügen, denken genau so wie diese Kaufleute.
Auf dem Heimwege kam ich bei einer Kneipe vorüber, und da ich viele Leute aus- und eingehen sah, so beschloß ich, mir einmal anzusehen, wie diese Lokale in Holland beschaffen wären. Großer Gott! es war eine entsetzliche Orgie; in einer Art von Kellerloch eine wahre Kloake des Lasters und der ekelhaftesten Ausschweifung. Der rauhe, mißtönende Klang von zwei oder drei Instrumenten, die das Orchester bildeten, versetzte die Seele in eine Art von widerstrebender Traurigkeit, wodurch diese Höhle vollends gräßlich wurde. Dazu war sie von dichtem Qualm schlechten Tabaks erfüllt und von einem erstickenden Geruch von Knoblauch und Bier, der jedem Munde entströmte. Nehmt dazu einen Haufen Matrosen und Männer aus der Hefe des Volkes, vermischt mit feilen Dirnen niedrigster Art, und ihr habt die Umrisse des gemeinsten Gemäldes, das die Augen eines Menschen beleidigen kann. Für die armen Matrosen und die Hefe des Volkes war dies ein Ort der Wonne, wo sie sich für ihre Entbehrungen während langer und mühevoller Seefahrt oder für das Elend ihrer täglichen Fronarbeit zu entschädigen glaubten. Unter den Weibern war nicht eine einzige erträgliche. Ich betrachtete stillschweigend dieses niederträchtige Schauspiel, als ein dicker Kerl von verdächtiger Miene, der wie ein Kesselflicker aussah und wie ein Bauer sprach, mich in schlechtem Italienisch fragte, ob ich für einen Stüber tanzen wolle. Ich sagte nein; aber ehe ich ging, zeigte er mir eine Venetianerin und sagte mir, ich könnte sie hinauf kommen lassen und mit ihr ein Glas Wein trinken.
Neugierig, ob sie mir vielleicht bekannt wäre, trat ich auf sie zu; ich musterte sie aufmerksam und glaubte Züge zu sehen, die mir nicht unbekannt waren; doch konnte ich mich genauerer Umstände nicht erinnern. Ein Gefühl der Neugier trieb mich, neben ihr Platz zu nehmen und sie zu fragen, ob sie wirklich eine Venetianerin und ob sie schon lange von ihrer Heimat fort sei. – »Ungefähr achtzehn Jahre«, antwortete sie mir. Man brachte eine Flasche Wein; ich fragte sie, ob sie trinken wolle; sie nahm an und sagte mir: wenn ich Lust hätte, würde sie mit mir nach oben gehen.
»Ich habe keine Zeit,« sagte ich; mit diesen Worten gab ich dem Kellner einen Dukaten; den Rest, den er mir herausgab, drückte ich der Unglücklichen in die Hand. Voller Dankbarkeit wollte sie mich umarmen; aber ich wehrte ab.
»Sind Sie lieber in Amsterdam als in Venedig?«
»Ach, nein! wenn ich in meiner Heimat wäre, würde ich nicht dieses schändliche Gewerbe treiben.«
»Wie alt waren Sie, als Sie fortgingen?«
»Erst vierzehn Jahre; und ich lebte glücklich bei meinem Vater und bei meiner Mutter, die vielleicht vor Kummer gestorben sind.«
»Wer hat Sie verführt?«
»Ein Schurke von einem Läufer.«
»In welchem Stadtteil von Venedig wohnten Sie?«
»Ich wohnte nicht in Venedig, sondern nicht weit von der Hauptstadt auf einem Landgut im Friaul.«
Ein Landgut im Friaul … vor achtzehn Jahren … ein Läufer … ich fühlte mich ergriffen … ich sah das arme unglückliche Weib näher an und erkannte bald Lucia von Paseano. Unbeschreiblich peinlich war das Gefühl, das ich empfand. Ich nahm mich wohl in acht, mich ihr zu erkennen zu geben, und bemühte mich, eine gleichgültige Miene zu bewahren. Die Ausschweifung hatte ihr eigentlich noch jugendliches Gesicht gebrandmarkt und ihre Reize zerstört. Lucia, die zärtliche, hübsche, unschuldige, naive Lucia, die ich so sehr geliebt hatte, deren Unschuld ich aus Gefühl geschont hatte – sie war jetzt eine häßliche Vettel in einem Bordell! Dieser Gedanke war entsetzlich. Die Unglückliche trank wie ein Matrose, ohne mich anzusehen, ohne sich im geringsten darum zu bekümmern, wer ich sein möchte! Ich zog einige Dukaten aus meiner Börse und entfloh aus dieser ekelhaften Lasterhöhle, bevor sie nachsehen konnte, wieviel ich ihr gegeben hatte.
In traurigster Stimmung legte ich mich zu Bett. Selbst unter den Bleidächern habe ich vielleicht niemals einen so unglücklichen Tag verbracht. Es kam mir vor, wie wenn ich an diesem Tage unter dem Einfluß eines unheilbringenden Gestirnes aufgestanden wäre. Ich war mir selber zum Ekel. Wenn ich an die unglückliche Lucia dachte, glaubte ich Gewissensbisse zu fühlen; aber wenn ich an Herrn d’O. dachte, verabscheute ich mich selbst. Ich sah in mir den Urheber eines ungeheuren Verlustes von drei- oder vierhunderttausend Gulden, den er erleiden würde, weil meine Kabbala ihn betört hatte. Die Furcht vor diesem Verlust machte mich mir selber hassenswert und entmutigte sozusagen die zärtliche Liebe, die ich für Esther empfand. Ich glaubte schon zu sehen, wie sie und ihr Vater meine unversöhnlichen Feinde geworden waren. Man kann nur lieben, wenn man Hoffnung hegt; mag diese mehr oder weniger begründet sein, immerhin muß sie die Aussicht bieten, daß die Liebe erwidert wird.
Ich verbrachte die abscheulichste Nacht. Lucia, Esther, ihr Vater, – sie alle erschienen mir in meinen Träumen, sie alle haßten mich, und ich haßte mich selber. Ich sah Esther und ihren Vater durch meine Schuld, wenn auch nicht zu Grunde gerichtet, so doch beträchtlich in ihrem Vermögen geschädigt; ich sah Lucia, im Alter von nur zweiunddreißig Jahren durch das Laster vernichtet, eine Zukunft von Elend und Schmach vor sich!
Mit Freuden sah ich den Morgen dämmern, denn das Licht machte mich ein wenig ruhiger. Wie entsetzlich ist die Finsternis für ein Herz, das von Gewissensbissen gefoltert wird!
Ich stand auf, legte eine prunkvolle Kleidung an und ließ eine Kutsche kommen, um der Fürstin Galitzin, die im »Morgenstern« wohnte, meine Aufwartung zu machen. Sie war bereits ausgegangen und befand sich im Admiralitätshause. Ich fuhr dorthin und fand in ihrer Gesellschaft Herrn von Reischach und den Grafen Tott, welcher neue Nachrichten von meinem Freunde Pesselier empfangen hatte; bei diesem hatte ich seine Bekanntschaft gemacht, und er war bei meiner Abreise von Paris gefährlich krank gewesen.
Da ich meine Kutsche fortgeschickt hatte, verließ ich das Admiralitätsgebäude zu Fuß und ging nach der Wohnung des Herrn d’O. an der Amstel. Meine überaus prächtigen Kleider ärgerten den holländischen Pöbel; ich wurde verhöhnt und ausgepfiffen. So ist ja die Canaille in allen Ländern!
Esther sah mich vom Fenster aus, zog die Schnur und öffnete mir die Tür. Schnell sprang ich ins Haus und schloß die Tür wieder zu. Als ich eine Holztreppe hinaufging, stieß ich auf der vierten oder fünften Stufe gegen einen weichen Gegenstand. Ich sah hin und bemerkte eine grüne Brieftasche. Ich bückte mich, um sie aufzuheben, benahm mich aber dabei so ungeschickt, daß ich sie durch eine Öffnung stieß, die hinten an der Stufe, wahrscheinlich zur Beleuchtung einer darunter befindlichen Treppe, angebracht war. Ich hielt mich nicht weiter auf, sondern ging nach oben. Man empfing mich wie gewöhnlich, und da mein glänzender Anzug ihnen auffällig sein konnte, so erklärte ich ihnen die Veranlassung. Esther sagte mir lächelnd, ich sähe wie ein ganz anderer Mensch aus; aber trotz ihrem Lächeln glaubte ich zu bemerken, daß sie traurig waren. Die Gouvernante der hübschen Esther kam herein und sagte ihnen etwas auf holländisch, worüber meine Schöne augenscheinlich betrübt war; sie stand auf und gab ihrem Vater tausend Küsse.
»Ich sehe, meine Freunde, Ihnen ist irgend ein Unglück zugestoßen. Wenn meine Gegenwart Ihnen lästig ist, so sagen Sie es mir ohne Umstände und erlauben Sie mir, mich zurückzuziehen.«
»Das Unglück ist nicht so groß, ich habe mich schon damit abgefunden. Mir bleibt noch ein hinreichendes Vermögen, um meinen Verlust mit Geduld zu ertragen.«
»Was für einen Verlust haben Sie erlitten, wenn ich fragen darf?«
»Ich habe eine ziemlich reich gefüllte Brieftasche verloren, die ich vorsichtigerweise hätte zu Hause lassen sollen, denn ich brauchte sie erst morgen.«
»Und Sie können sich nicht denken, wo Sie sie verloren haben?«
»Ich kann sie nur auf der Straße verloren haben, und ich weiß nicht, wie das zuging. Sie enthält Wechsel auf hohe Summen, deren Bezahlung ich verhindern kann; außerdem aber auch Noten der Bank von England in hohem Werte, und diese sind verloren, denn sie lauten auf den Inhaber. Danken wir Gott für alles, liebe Tochter, und bitten wir ihn, uns den Rest zu erhalten und vor allen Dingen unsere Gesundheit; denn uns könnte wohl größeres Unglück zustoßen. Ich habe in meinem Leben viel größere Schläge erlitten und habe sie nicht nur überstanden, sondern auch den Verlust wieder gut gemacht. Sprechen wir also nicht mehr von diesem Unfall; ich will annehmen, ich hätte diesen Verlust durch einen Bankerott erlitten.«
Während Herr d’O. so sprach, fühlte ich mein Herz von Freude überströmt, aber ich bewahrte den Ernst, der den Umständen entsprach. Ich hatte die fast sichere Gewißheit, daß die Brieftasche keine andere wäre, als jene, die ich ungeschickterweise durch das Treppenloch hindurchgestoßen hatte. Diese konnte also jedenfalls nicht verloren sein. Man begreift wohl, daß ich sofort auf den Gedanken kam, die Ehre für meine prachtvolle Entdeckung meiner kabbalistischen Wissenschaft zukommen zu lassen. Die Gelegenheit war zu schön, um sie zu vernachlässigen, besonders da ich noch die Folgen der während der Nacht ausgestandenen Ängste verspürte. Ich hatte gefürchtet, den Ehrenmann zu einem ungeheuren Verlust verleitet zu haben; nun aber wollte ich meinen Wirten einen großen Beweis von der Unfehlbarkeit meines Orakels geben. Wie viele Wunder sind auf dieselbe Weise zustande gekommen! Dieser Gedanke versetzte mich in gute Laune; ich begann zu scherzen und machte in meiner Fröhlichkeit so drollige Bemerkungen, daß Esther herzlich darüber lachte. Wir aßen köstlich und tranken Weine, die des feinsten Kenners würdig waren. Nach dem Kaffee sagte ich ihnen: wenn sie das Spiel liebten, könnte wir spielen; aber Esther antwortete, damit wäre eine kostbare Zeit verloren; sie wäre zu leidenschaftlich für die Pyramiden eingenommen und schlüge mir vor, uns damit zu unterhalten, wenn es mir recht wäre. Dies wollte ich gerade. Ich sagte also zu ihr: »Recht gern; es geschehe nach Ihrem Wunsche.«
»Soll ich fragen, wo mein Vater seine Brieftasche verloren hat?«
»Warum nicht? Es ist eine ganz angemessene Frage; stellen Sie sie.«
Sie machte die Pyramide und erhielt die Antwort, die Brieftasche sei von keinem Menschen gefunden worden. Sie sprang vor Freude auf und fiel dem Vater um den Hals.
»Wir werden die Brieftasche wieder finden, lieber Papa!«
»Ich hoffe es wie du, liebe Tochter, denn diese Antwort ist recht tröstlich.«
Esther überhäufte ihn mit Liebkosungen.
»Ja,« sagte ich, »es ist allerdings einige Hoffnung vorhanden; aber das Orakel wird bei allen Fragen stumm bleiben …«
»Stumm? warum denn?«
»… wenn Sie mir nicht so viele Küsse geben, wie Sie Ihrem lieben Papa gegeben haben!«
»Oh! ich werde es schon zum Sprechen bringen!« sagte sie lachend; und mit diesen Worten fiel sie mir um den Hals und herzte und küßte mich, und ich erwiderte ihre Liebkosungen.
Glückliche Zeiten! wenn ich an sie denke – und trotz dem abscheulichen Alter, das mich so wenig geeignet zur Liebe macht, denke ich so gerne an sie – wenn ich an sie denke, fühle ich mich verjüngt, und mein Leben schmückt sich wieder mit dem Zauber der Jugend, trotz der Wirklichkeit, die mich soweit davon entfernt.
Endlich setzte Esther sich wieder hin und fragte, wo die Brieftasche sei. Die Pyramide antwortete mir, die Brieftasche sei in die Öffnung der fünften Treppenstufe gefallen.
Herr d’O. sagte zu seiner Tochter: »Laß uns nachsehen, liebe Esther, ob das Orakel Wahrheit spricht!«
Mit freudigen und hoffnungsvollen Gesichtern gingen beide nach der Treppe; ich folgte ihnen. Herr d’O. zeigte uns selber das Loch, durch das die Brieftasche gefallen sein sollte. Er zündete eine Kerze an, und wir stiegen in einen Keller hinunter, wo er bald die Brieftasche aufhob, die ins Wasser gefallen war. Hoch erfreut gingen wir wieder nach oben und nun sprachen wir eine Stunde lang in vollem Ernste über die Göttlichkeit des Orakels, das nach ihrer Meinung den Besitzer zum glücklichsten aller Menschen machen mußte.
Er öffnete die Brieftasche und zeigte uns vierzig englische Schatzscheine zu je tausend Pfund Sterling. Zwei davon gab er seiner Tochter, und mich nötigte er ebenfalls zwei anzunehmen; aber ich nahm sie mit der einen Hand und gab sie mit der anderen an Esther weiter, indem ich sie bat, sie aufzubewahren; hierin willigte sie jedoch erst ein, als ich ihr drohte, ich würde sonst nicht mehr mit ihr an der Kabbala arbeiten. Ich sagte Herrn d’O., daß ich mehr auf seine Freundschaft Wert lege; er umarmte mich und schwor mir Freundschaft auf Tod und Leben.
Indem ich der schönen Esther meine zweitausend Pfund Sterling übergab, war ich sicher, sie an mich zu fesseln; nicht durch Rücksicht auf ihren Vorteil, sondern durch Vertrauen. Das reizende Mädchen hatte in ihrem Wesen etwas so Sieghaftes, daß es mir vorkam, wie wenn mein Dasein an das ihrige gebunden wäre.
Ich sagte zu Herrn d’O., am meisten läge mir am Herzen, meine zwanzig Millionen unterzubringen, aber mit geringem Verlust.
»Ich hoffe Sie zufriedenstellen zu können,« sagte er zu mir; »aber Sie müssen oft bei mir sein, und darum, mein lieber Freund, müssen Sie von nun an in meinem Hause wohnen; betrachten Sie es als das Ihrige.«
»Ich würde Ihnen zur Last fallen.«
»Fragen Sie danach meine Tochter!«
Da Esther ihre Bitten mit denen ihres Vaters vereinigte, so nahm ich den Vorschlag an; ich hütete mich wohl, ihnen zu verraten, wie glücklich mich dies machte, sondern begnügte mich damit, ihnen meine Dankbarkeit auszusprechen. Sie antworteten auf eine Weise, die mich überzeugte, daß ich ihnen wirklich einen Gefallen tat.
Herr d’O. ging in sein Arbeitszimmer, und ich befand mich mit Esther allein. Ich gab ihr einen zärtlichen Kuß und sagte ihr, ich könnte nur glücklich sein, wenn sie mir ihr Herz schenkte.
»Sie lieben mich also?«
»Auf das allerzärtlichste, und ich bin zu allem bereit, um Sie davon zu überzeugen, wenn ich hoffen darf, daß Sie meine Liebe teilen werden.«
Sie gab mir ihre Hand, die ich mit Küssen bedeckte, und sagte zu mir: »Sobald Sie bei uns wohnen, werden Sie leicht einen günstigen Augenblick finden, um meinen Vater um meine Hand zu bitten, und Sie werden keinen abschlägigen Bescheid zu befürchten haben; vor allen Dingen aber müssen Sie bei uns wohnen.«
»Oh! geliebtes Weib, schon morgen werde ich kommen.«
So unterhielten wir uns von unserer Liebe, Hoffnung und Zukunft in der süßesten Hingebung gegenseitigen Vertrauens; ich mußte wirklich aufrichtig verliebt sein, denn nicht der geringste unzüchtige Gedanke kam mir in der Gesellschaft dieses schönen Mädchens, von dem ich mich geliebt fühlte.
Herr d’O. kam zurück und sagte uns beim Eintreten, wir würden am nächsten Tage eine große Börsennachricht hören.
»Was für eine Nachricht denn, lieber Papa?«
»Ich bin entschlossen, ganz allein für dreihunderttausend Gulden das verloren geglaubte Schiff zu übernehmen. Man wird sagen, ich sei verrückt; aber verrückt ist gerade, wer das sagt. Verrückt wäre ich, wenn ich noch den geringsten Zweifel hegen könnte, nachdem ich so augenscheinlich die Göttlichkeit des Orakels erkannt habe.«
»Mein lieber Herr d’O., Sie machen mich zittern; ich habe Ihnen gesagt, daß das Orakel mich oft getäuscht hat.«
»Dies hat nur dann der Fall sein können, lieber Freund, wenn Sie den richtigen Sinn nicht erfaßt hatten, wenn die Antworten zweideutig waren; aber in dem vorliegenden Falle lautet sie zum Greifen deutlich. Ich werde die drei Millionen Gulden gewinnen oder eine Summe verlieren, die mich nicht zu Grunde richtet.«
Esther, die durch das Wiederfinden der Brieftasche begeistert und geblendet war, sagte ihrem Vater, er solle sich beeilen. Ich konnte nun nicht mehr zurück, aber meine Traurigkeit war wieder über mich gekommen. Herr d’O. bemerkte dies, streckte mir die Hand entgegen und sagte: »Wenn auch das Orakel dieses Mal gelogen hätte, so bliebe ich trotzdem Ihr Freund.«
»Diese Versicherung tröstet mich,« sagte ich zu ihm; »aber da es sich hier um eine Angelegenheit von größter Bedeutung handelt, so erlauben Sie mir noch einmal das Orakel zu befragen, bevor Sie sich einem Verlust von dreihunderttausend Gulden aussetzen.«
Dieser Vorschlag entzückte Vater und Tochter; sie wußten gar nicht, wie sie mir ihre Freude und ihre Dankbarkeit ausdrücken sollten, daß ich um ihre Interessen so besorgt wäre. Nun habe ich eine wirklich überraschende Tatsache zu berichten, die zum Glauben an eine unmittelbare Einwirkung des Schicksals verleiten könnte. Ohne Zweifel werde ich manchen ungläubigen Leser finden; aber da diese Erinnerungen erst an den Tag kommen werden, wenn ich nicht mehr auf dieser Welt bin, so habe ich kein Interesse daran, die Wahrheit zu schminken, zumal da ich nur schreibe, um mir meine Mußestunden zu verschönen. Mag daran glauben, wer will – folgendes ist die Tatsache in ihrer ganzen Einfachheit: ich schrieb selber die Frage nieder, baute die Pyramide und traf alle kabbalistischen Vorbereitungen, ohne mir von Esther dabei helfen zu lassen. Ich war erfreut, noch zur rechten Zeit eine große Unbesonnenheit verhindern zu können, und ich war fest entschlossen, dies zu tun. Es stand in meiner Macht, eine doppelsinnige Antwort aus meiner Feder fließen zu lassen; diese mußte Herrn d’O. den Mut nehmen und seinen Plan zum Scheitern bringen; ich hatte diesen Doppelsinn mir ausgedacht und glaubte bestimmt ihn in Zahlen ausgedrückt zu haben. Hiervon überzeugt, sagte ich zu Esther, die das Alphabet genau kannte, sie möchte selber die Antwort ausziehen und in Worte übertragen. Sie tat dies im Handumdrehen, und mam denke sich meine Überraschung, als ich sie die Worte lesen hörte:
Quand il s’agit, d’un fait pareil, on ne doit ni craindre ni hésiter. Votre repentir serait trop douloureux.
Wenn es sich um eine solche Sache handelt, darf man nicht fürchten noch zögern. Ihre Reue würde zu schmerzlich sein.
Man wird begreifen, daß es eines weiteren nicht bedurfte. Vater und Tochter umarmten mich, und Herr d’O. sagte mir, sobald das Schiff erschiene, würde ich den zehnten Teil des Gewinnes erhalten. Ich konnte vor Überraschung nicht antworten; denn ich glaubte ganz bestimmt statt craindre und hésiter geschrieben zu haben: croire und hasarder. Aber so stark wirkt die Selbstverblendung auf einen voreingenommenen Geist, daß Herr d’O. in meinem Schweigen nur die Bestätigung der Unfehlbarkeit meines Orakels erblickte. Jedenfalls konnte ich nicht mehr zurück, und so ergab ich mich darein und überließ dem Zufall den Anteil, den er trotz allem unserem Streben nun einmal an unserem Geschick hat.
Am nächsten Tage zog ich zu Esther in eine herrliche Wohnung, und am Tage darauf ging ich mit ihr allein ins Konzert, wo sie aufs geistreichste mich damit neckte, daß die Abwesenheit der Madame Trenti und meiner Tochter mir gewiß großen Schmerz machen müsse. Esther besaß mich ganz und gar; ich lebte nur in ihrer Anbetung und konnte mir ihre augenscheinliche Liebe nicht verhehlen; aber Esther hatte Grundsätze; ich besaß sie nicht und verging vor Sehnsucht und Schmachten.
Fünf oder sechs Tage später teilte Herr d’O. mir das Ergebnis einer Besprechung mit, die er mit Herrn Pels und den Inhabern von sechs anderen Handelshäusern über meine zwanzig Millionen gehabt hatte. Sie boten zehn Millionen bar und sieben Millionen in fünf- und sechsprozentigen Papieren mit Abzug von einem Prozent Maklergebühr. Außerdem verzichteten sie auf eine Million zweihunderttausend Gulden, die die Französisch-Indische Gesellschaft der Holländischen Gesellschaft schuldete.
Zu solchen Bedingungen konnte ich nicht abschließen, obgleich ich sie im Grunde in Anbetracht der Geldnot, worin sich damals der Staatsschatz Ludwigs des Fünfzehnten befand, für recht vernünftig hielt. Ich beeilte mich, eine Abschrift des Vorschlages an Herrn de Boulogne und an Herrn d’Affry zu schicken, indem ich sie um schnelle Antwort bat. Nach acht Tagen erhielt ich im Auftrage des Herrn de Boulogne einen eigenhändigen Brief von Herrn de Courteuil: ich solle derartige Vorschläge rundweg ablehnen und nach Paris zurückkommen, wenn ich keine besseren Bedingungen finden könnte. Man wiederholte mir, der Friede sei sicher, obwohl man in Holland darüber ganz entgegengesetzter Meinung war.
Wahrscheinlich wäre ich sofort nach Paris abgereist, wenn nicht ein Umstand eingetreten wäre, der allerdings in der Familie, deren Mitglied ich sozusagen geworden war, nur mich allein in Erstaunen setzte. Herrn d’O.’s Mut war außerordentlich gewachsen, und wie wenn das Schicksal mich wider meinen Willen zum Propheten hätte machen wollen, hatte man seit drei Tagen an der Börse Nachrichten von dem verloren geglaubten Schiff erhalten, das Herr d’O. im Vertrauen auf mein Orakel für dreihunderttausend Gulden gekauft hatte. Das Schiff lag bei Madeira. Man denke sich Esthers Freude und besonders die meinige, als wir den braven Mann triumphierend eintreten sahen und von ihm die Glücksbotschaft vernahmen! »Ich habe«, sagte er zu uns, »das Schiff von Madeira nach dem Texel für eine Kleinigkeit versichert; Sie können also, lieber Freund, von diesem Augenblick an über ein Zehntel des Gewinnes verfügen, den ich Ihnen verdanke.«
Der Leser kann sich vorstellen, wie angenehm mir dies war; was er sich jedoch nicht vorstellen kann – er müßte mich denn so genau kennen wie ich selber, und das ist unmöglich – ist die Verlegenheit, in die mich die folgenden Worte des Herrn d’O. versetzten:
»Sie sind jetzt reich genug, um sich bei uns selbständig zu machen, und Sie sind sicher, in wenigen Jahren, bloß durch die Beschäftigung mit Ihrer Kabbala, ungeheuer reich zu werden. Ich werde Ihr Agent sein, lieber Freund; werden Sie mein Teilhaber, und wenn meine Tochter Ihnen gefällt und Sie haben will, so können Sie mein Sohn sein, sobald Sie wollen.«
Freude und Glück leuchteten aus Esthers Augen; ich aber, der sie anbetete, ließ sie in den meinigen nur Überraschung lesen. Das Glück und der Zwang, den ich mir antun mußte, hatten mich stumpfsinnig gemacht. Ich konnte mir meine Gefühle selber nicht erklären, aber ohne Zweifel wirkte unbewußt in mir meine unüberwindliche Abneigung gegen die Ehe. Nach einem ziemlich langen Schweigen fand ich endlich die Sprache wieder und erging mich in Versicherungen der Dankbarkeit, des Glückes und der Liebe. Ich schloß mit der Bemerkung, daß ich trotz meiner zärtlichen Liebe zu Esther mich noch nicht binden könnte, sondern wegen der ehrenvollen Vertrauensangelegenheit, die die Regierung in meine Hände gelegt, erst nach Paris zurückkehren müßte; aber nach meiner Rückkehr nach Amsterdam wäre ich sicher, über mein Schicksal entscheiden zu können.
Diese lange Auseinandersetzung hatte das Glück, ihnen zu gefallen. Esther zeigte sich sehr zufrieden, und wir verbrachten den Rest des Tages in fröhlicher Stimmung. Am nächsten Tage gab Herr d’O. mehreren Freunden ein prachtvolles Mittagessen; sie wünschten ihm Glück zu seinem glänzenden Geschäft, aber sie konnten sich seinen Mut nur dadurch erklären, wie sie sagten, daß er von der Anwesenheit des Schiffes bei Madeira Kenntnis gehabt haben müßte, obgleich sie andererseits nicht begreifen konnten, auf welche Weise er sich vor allen anderen diese Kenntnis verschafft haben möchte. Acht Tage nach diesem glücklichen Ereignis sagte er mir das Ultimatum in der Angelegenheit der zwanzig Millionen. Frankreich sollte bei dem Verkauf seiner Papiere nur neun Prozent verlieren, und ich sollte keine Maklergebühr erhalten.
Ich schickte sofort eine Abschrift des Vertrages an Herrn d’Affry und bat ihn, sie unverzüglich auf meine Kosten an den Herrn Generalkontrolleur weiter zu befördern. Zugleich schrieb ich diesem, das Geschäft würde unwiderruflich scheitern, wenn er einen einzigen Tag zögerte, an Herrn d’Affry die Vollmacht zu schicken, deren ich zum Abschluß des Vertrages bedürfte. In demselben Sinne schrieb ich an Herrn de Courteuil und an den Herzog von Choiseul, indem ich sie darauf aufmerksam machte, daß ich selber bei dem Geschäft nichts verdiente, trotzdem aber es abzuschließen riete, weil es mir vorteilhaft schiene; übrigens wäre ich überzeugt, daß man mir in Versailles meine Kosten ersetzen und mir die Belohnung, die ich beanspruchen dürfte, nicht vorenthalten würde.
Da Karneval war, fand Herr d’O. es angezeigt, einen Ball zu geben. Er lud dazu die ganze vornehme Gesellschaft von Amsterdam ein. Ball und Essen waren prachtvoll; Esther, mit Diamanten bedeckt, tanzte alle Kontertänze mit mir und bezauberte alle Gäste ebenso sehr durch ihre Anmut wie durch ihre Schönheit.
Ich verbrachte alle meine Tage nur mit Esther, und jeden Tag wurden wir verliebter und unglücklicher, denn wir verzehrten uns einer Enthaltsamkeit, die uns immer mehr erregte, indem sie die Begierden steigerte.
Esther liebte mich innig; aber sie war mehr aus Grundsatz als aus Temperament tugendhaft und gewährte mir nur unbedeutende Freiheiten. Verschwenderisch war sie nur mit Küssen; aber Küsse sind für die Liebe durchaus kein Heilmittel, sondern nur ein Reizmittel. Die Liebe machte mich rasend. Sie sagte mir, wie alle angeblich anständigen Mädchen, sie wäre überzeugt, daß ich sie nicht heiraten würde, wenn sie einwilligte, mich glücklich zu machen; sobald sie meine Frau wäre, würde sie ganz und gar die meine sein. Sie glaubte nicht, daß ich verheiratet wäre, denn ich hätte ihr zu bestimmt das Gegenteil versichert und diese Versicherung entspräche nur zu sehr ihren eigenen Wünschen; aber sie wäre überzeugt, daß ich in Paris ein inniges Verhältnis hätte. Ich gab dies zu und versicherte ihr, ich würde das Verhältnis gänzlich lösen, um nur noch ihr anzugehören und unsere Geschicke durch ein unauflösliches Band zu verknüpfen. Leider war dies eine Lüge; denn Esther und ihr Vater waren unzertrennlich, und dieser war erst vierzig Jahre alt. Ich konnte mich aber nicht mit dem Gedanken befreunden, mich unwiderruflich in Holland niederzulassen.
Zehn oder zwölf Tage nach der Absendung des Ultimatums erhielt ich einen Brief von Herrn de Boulogne; er schrieb mir, Herr d’Affry habe alle von mir gewünschten Anweisungen erhalten, damit ich den Austausch der zwanzig Millionen abschließen könne. Der Herr Gesandte schickte mir einen Brief, der die Mitteilungen des Generalkontrolleurs bestätigte. Er ersuchte mich, meine Maßregeln genau zu treffen, denn er würde die königlichen Anweisungen nur gegen Empfang von achtzehn Millionen zweihunderttausend Franken in barem Gelde herausgeben.
Da nun der schmerzliche Augenblick der Trennung nahe war, taten wir uns in den Ausdrücken unseres Bedauerns keinen Zwang mehr an und vergossen reichliche Tränen miteinander. Esther übergab mir den Wert der zweitausend Pfund Sterling, die ich durch das Wiederfinden der Brieftasche so leicht und unerwartet verdient hatte. Ihr Vater gab mir auf meinen Wunsch hunderttausend Gulden in Wechseln auf Tourton & Baur und auf Pâris de Montmartel, und außerdem eine Quittung, die mich ermächtigte, bis zum Betrage von zweihunderttausend Gulden auf ihn selber zu ziehen. Im Augenblick der Abreise schenkte meine Esther mir fünfzig Hemden aus feinster holländischer Leinwand und fünfzig Taschentücher von Mazulipatam. Nicht die Liebe zu Manon Baletti, sondern eine dumme und lächerliche Eitelkeit, in dem prachtvollen Paris eine Rolle zu spielen, veranlaßte mich, Holland zu verlassen. Aber ich hatte nun einmal von Mutter Natur eine solche Anlage empfangen, daß fünfzehn Monate unter den Bleidächern nicht genügt hatten, mich von meiner Krankheit zu heilen. Wenn ich übrigens noch mehr darüber nachdenke, kann ich mich darüber nicht wundern; denn selbst die zahllosen Schicksalsschläge, die ich seither erlitt, haben diese Heilung nicht bewirkt. Es gibt körperliche und moralische Krankheiten, die unheilbar sind. Schicksal ist ein sinnloses Wort; denn wir selber bereiten uns unser Schicksal – trotz dem Wahlspruch der Stoiker: Volentem ducit, nolontem trahit – Willst du, so führt es dich; willst du nicht, so reißt es dich fort. Ich wäre zu nachsichtig gegen mich selber, wenn ich diesen Satz auf mich anwenden wollte. – Nachdem ich Esther geschworen hatte, ich würde vor dem Ende des Jahres zurückkehren, reiste ich mit einem Bevollmächtigten der Gesellschaft, die die französischen Papiere gekauft hatte, nach dem Haag. Boas empfing mich mit Erstaunen und Bewunderung. Er sagte mir, ich hätte ein Wunder vollbracht und sollte mich beeilen, nach Paris zurückzukehren, wäre es auch nur, um mich an dem Weihrauch der Glückwünsche zu berauschen. »Aber«, setzte er hinzu, »Sie können unmöglich diesen schönen Erfolg gehabt haben, wenn Sie nicht das Geheimnis besaßen, die Herren zu überzeugen, daß der Abschluß des Friedens nahe bevorstehe.«
»Nein, ich habe ihnen durchaus nichts eingeredet, denn sie sind vom Gegenteil überzeugt; aber ich kann Ihnen versichern, daß der Friede in der Tat unmittelbar bevorsteht.«
»Wenn Sie mir diese Versicherung schriftlich geben wollen, so schenke ich Ihnen fünfzigtausend Gulden in Diamanten.«
»Ich bin der Sache ebenso gewiß wie der Gesandte; indessen glaube ich doch nicht, daß sie so sicher ist, daß Sie Ihre Diamanten riskieren könnten.«
Am nächsten Tage brachte ich bei dem Gesandten alles in Ordnung und der Bevollmächtigte reiste nach Amsterdam zurück.
Ich ging zu Teresa zum Abendessen und fand ihre Kinder sehr sauber gekleidet. Ich bat sie, mich am nächsten Tage in Rotterdam zu erwarten, um mir dort ihren Sohn zu übergeben; denn ich wollte den bösen Zungen keinen Anlaß zum Geschwätz geben, indem ich ihn vom Haag aus mitnahm.
Bei Boas kaufte ich für vierzigtausend Gulden Diamanten und andere Kleinodien und versprach ihm, bei ihm abzusteigen, wenn ich wieder nach dem Haag käme. Ich habe ihm nicht Wort gehalten.
Teresa sagte mir in Rotterdam, sie wisse, daß ich in Amsterdam eine halbe Million verdient habe; sie würde ihr Glück machen, wenn sie aus Holland fortgehen und sich in London niederlassen könnte. Sie hatte Sophie dazu abgerichtet, mir zu sagen, mein Glück sei eine Wirkung der Gebete, die sie an den lieben Gott gerichtet habe, damit er mich glücklich machen möge. Ich merkte die Absicht und lachte herzlich über die Schlauheit der Mutter und über die fromme Einfalt des Kindes; aber ich gab ihr nur hundert Dukaten und versprach ihr, ihr noch hundert zu schicken, sobald sie mir von London aus schriebe. Ich sah wohl, daß die Komödiantin die Summe recht bescheiden fand; aber ich ließ mich nicht rühren und gab ihr nicht mehr. Sie wartete den Augenblick ab, wo ich in den Wagen stieg, um mich zu bitten, ihr noch hundert Dukaten zu geben. Ich sagte ihr ins Ohr, ich würde ihr sofort tausend zahlen, wenn sie mir ihre Tochter herausgeben wollte. Sie dachte einen Augenblick nach, sagte mir aber dann, es wäre ihr unmöglich, sich von ihr zu trennen.
»Ich weiß wohl warum«, antwortete ich ihr; dann zog ich eine Uhr aus der Westentasche, gab sie Sophie, küßte sie und fuhr ab. Am zehnten Februar kam ich in Paris an. Dort nahm ich mir eine prachtvolle Wohnung neben der Rue Montorgeuil.