Ich werde verhört. – Ich gebe dem Gerichtsschreiber dreihundert Louis. – Die Hebamme und Castel-Bajac werden ins Gefängnis gesetzt. – Fräulein X.C.V. bringt einen Knaben zur Welt und nötigt ihre Mutter, mir Genugtuung zu geben. – Mein Prozeß wird eingestellt. – Fräulein X.C.V. reist nach Brüssel ab und geht mit ihrer Mutter nach Venedig, wo sie eine große Dame wird. – Meine Arbeiterinnen. – Frau Baret. – Ich werde bestohlen, eingesperrt und wieder in Freiheit gesetzt. – Ich reise nach Holland. – Das Buch »vom Geist« von Helvetius. – Piccolomini.

Am Tage nach meiner ersten Unterredung mit Herrn de Sartines ging ich in aller Frühe zu Frau du Rumain. Da der Fall dringlich war, so nahm ich mir die Freiheit, sie wecken zu lassen. Sobald sie mich empfangen konnte, teilte ich ihr alles ganz genau mit.

»Hier gibt es kein Schwanken, mein lieber Casanova!« sagte die liebenswürdige Dame zu mir, »wir müssen Herrn von Sartines alles anvertrauen, und ich werde bestimmt noch heute mit ihm sprechen.«

In demselben Augenblick setzte sie sich an ihren Schreibtisch und bat den Kriminalpräsidenten um eine Unterredung für drei Uhr nachmittags. In weniger als einer Stunde brachte der Bediente die Antwort des Präsidenten, daß er sie erwarte. Wir verabredeten, daß ich sie am Abend wieder aufsuchen und dann von ihr den Erfolg ihres Besuches erfahren sollte.

Um fünf Uhr war ich schon bei ihr, und ich brauchte nur wenige Augenblicke auf ihre Rückkehr zu warten.

»Ich habe ihm alles enthüllt,« sagte sie; »er weiß, daß sie unmittelbar vor der Niederkunft steht, und er weiß, daß Sie nicht der Vater sind. Hierdurch stehen Sie im Lichte großen Edelmuts da. Ich habe Ihnen gesagt, daß das Fräulein sofort nach ihrer Entbindung und Wiederherstellung zu ihrer Mutter zurückkehren werde, ohne jedoch ihren Fehltritt zu gestehen, und daß das Kind an einen sicheren Ort gebracht werden würde. Sie haben nichts zu befürchten und können ruhig sein; da aber die einmal eingeleitete Sache ihren Lauf nehmen muß, so werden Sie für übermorgen vorgeladen werden. Ich rate Ihnen, den Gerichtsschreiber unter irgend einem Vorwand aufzusuchen und ihn zur Annahme einer Geldsumme zu bewegen.«

Ich wurde vorgeladen und erschien. Ich sah Herrn von Sartines sedentem pro tribunali. Zum Schluß der Sitzung sagte er mir, er sei genötigt, gegen mich eine Vorladung zu persönlichem Erscheinen zu erlassen; ich dürfe wegen der Gültigkeitsdauer während dieser Vorladung mich weder von Paris entfernen noch mich verheiraten, denn durch einen schwebenden Kriminalprozeß werde das Zivilrecht zeitweilig aufgehoben. Ich antwortete ihm, ich würde weder das eine noch das andere tun.

Bei dem Verhör gab ich zu, daß ich in der angegebenen Nacht den Opernball in einem schwarzen Domino besucht hätte; alles übrige aber leugnete ich.

In bezug auf Fräulein X.C.V. erklärte ich, daß weder ich noch jemand von ihrer Familie sie jemals im Verdacht gehabt hätten, schwanger zu sein.

Da meine Eigenschaft als Ausländer Vauversin auf den Gedanken bringen konnte, mich unter dem Vormund des Fluchtverdachtes verhaften zu lassen, so schien mir die Gelegenheit günstig zu sein, um den Gerichtsschreiber auf meine Seite zu bringen, und ich begab mich zu ihm. Nachdem ich ihm meine Befürchtung geäußert hatte, drückte ich ihm eine Rolle von dreihundert Louis in die Hand, über die ich natürlich keine Quittung verlangte, und sagte ihm, dieses Geld solle die Kosten des Prozesses decken, falls etwa diese von mir zu tragen wären. Er riet mir, Bürgschaftsstellung von Seiten der Hebamme zu verlangen, und ich beauftragte meinen Anwalt damit; aber vier Tage darauf ereignete sich folgendes:

Ich ging auf dem Boulevard du Temple spazieren, als ein Dienstmann mir einen Brief übergab, worin ich die Mitteilung las, daß jemand, der fünfzig Schritte entfernt in einem Gange auf mich warte, mich zu sprechen wünsche. Ich dachte bei mir selber: das ist entweder ein Liebesabenteuer oder eine Herausforderung; sehen wir zu! Ich ließ meinen mir folgenden Wagen nur halten und ging nach dem angegebenen Ort. Zu meinem unbeschreiblichen Erstaunen sah ich den elenden Castel-Bajac vor mir. »Ich habe Ihnen nur zwei Worte zu sagen,« begann er, sobald er mich erblickte; »wir sind hier in Sicherheit; ich will Ihnen ein sicheres Mittel vorschlagen, Ihren Prozeß zu Ende zu bringen und dadurch viel Geld und Unruhe zu ersparen. Die Hebamme ist sicher, daß Sie der Herr sind, der mit einer schwangeren Dame bei ihr war; aber es tut ihr jetzt leid, daß man Sie beschuldigt, sie entführt zu haben. Geben Sie ihr hundert Louis; sie wird dem Gerichtsschreiber erklären, daß sie sich geirrt hat, und alles wird für Sie erledigt sein. Sie bezahlen ihr diese Summe erst, nachdem sie ihre Erklärung abgegeben hat: Ihr Wort genügt ihr. Kommen Sie mit mir zu Vauversin; ich bin sicher, er wird Sie überreden, meinen Vorschlag anzunehmen. Ich weiß, wo er ist; bitte folgen Sie mir in der Ferne.«

Ich hatte ihn angehört, ohne ein Wort zu sagen, und ich war entzückt, mit welcher Unvorsichtigkeit die Spitzbuben in die Falle gingen. Ich sagte zu dem Gascogner Spion: »Gut, führen Sie mich.« Ich folgte ihm in das dritte Stockwerk eines Hauses der Rue aux Ours, wo ich den Advokaten Vauversin fand. Sobald dieser mich sah, kam er ohne weitere Vorreden zur Sache und sagte: »Die Hebamme wird mit einem Zeugen zu Ihnen kommen, in der Absicht, Ihnen ins Gesicht zu sagen, daß Sie der Herr sind, der mit einer Frau zu ihr gekommen ist und Abtreibungsmittel von ihr verlangt hat. Sie wird Sie nicht erkennen. Sie wird hierauf mit dem Zeugen zum Gerichtsschreiber gehen und wird zu Protokoll geben, daß sie sich getäuscht hat. Dies wird dem Herrn Kriminalpräsidenten genügen, um das Verfahren gänzlich einzustellen. Durch dieses Mittel sind Sie sicher, den Prozeß gegen die Mutter des Fräuleins zu gewinnen.«

Da ich dies alles recht sinnreich ausgedacht fand, so sagte ich ihm ich würde täglich bis zwölf Uhr mittags im Temple sein.

»Aber die Hebamme braucht hundert Louis.«

»Das heißt, die ehrenwerte Frau bewertet ihren Meineid zu diesem Preise. Nun, gleichviel, ich verspreche sie, und Sie können auf mein Wort rechnen, aber ich werde die hundert Louis erst geben, wenn sie ihren Irrtum zu Protokoll gegeben hat.«

»Das genügt, mein Herr, vorausgesetzt, daß Sie bereit sind, den vierten Teil der Summe voraus zu bezahlen; diesen habe ich für meine Kosten und als Honorar zu beanspruchen.«

»Ich bin bereit, Ihren Wunsch zu erfüllen, wenn Sie mir eine regelrechte Quittung darüber geben wollen.«

Er zögerte anfangs; da ihm jedoch daran lag, das Geld zu erhalten, so tat er schließlich nach langem Hinundherreden, was ich wollte, und ich zählte ihm fünfundzwanzig Louis auf. Er dankte mir vielmals und sagte mir zuletzt, er werde mir, obwohl Frau X.C.V. seine Klientin sei, die besten Ratschläge geben, um alle ihre Maßnahmen zu vereiteln. Ich dankte ihm so lebhaft, wie wenn ich wirklich die Absicht gehabt hätte, von seinen Anerbietungen Gebrauch zu machen. Sobald ich zu Hause war, schrieb ich Herrn de Sartines alles Vorgefallene.

Drei Tage darauf meldete man mir eine Frau und einen Mann, die mich zu sprechen wünschten. Ich ging hinaus und fragte die Frau, was sie wünsche.

»Ich möchte Herrn Casanova sprechen.«

»Der bin ich.«

»So habe ich mich also getäuscht, mein Herr; ich bitte um Entschuldigung.«

Ihr Begleiter lächelte und sie gingen.

An demselben Tage erhielt die Gräfin du Rumain einen Brief von der Äbtissin, daß ihre Schutzbefohlene ein niedliches Bübchen zur Welt gebracht hätte und daß sie den Jungen nach einem Ort hätte bringen lassen, wo er die erste Pflege finden würde. Das Fräulein würde das Kloster erst nach sechs Wochen verlassen und würde dann mit einem Zeugnis, das sie gegen jede Unannehmlichkeit schützen müßte, zu ihrer Mutter zurückkehren.

Bald nachher wurde die Hebamme ins Gefängnis gesteckt; Castel-Bajac wurde nach Bicêtre geschickt, und Vauversin wurde aus der Liste der Advokaten gestrichen. Die Verfolgungen der Frau X.C.V. gegen mich dauerten bis zum Wiedererscheinen ihrer Tochter; aber ich wußte, daß ich mich darum nicht zu beunruhigen brauchte. Das Fräulein kehrte gegen Ende August ins Hotel de Bretagne zurück und überbrachte ihrer Mutter ihr Zeugnis, worin die Äbtissin erklärte, sie sei vier Monate bei ihr gewesen, sei während dieser Zeit niemals ausgegangen und habe keinen einzigen Besuch empfangen. Dies war die volle Wahrheit; aber die Äbtissin schrieb außerdem, sie kehre nur darum zu ihrer Familie zurück, weil sie von den Verfolgungen des Herrn de la Popelinière nichts mehr zu befürchten habe, und hierin log die Nonne.

Frau X.C.V. freute sich außerordentlich, ihre Tochter makellos wiederzusehen; diese wußte sie daraufhin zu veranlassen, sich persönlich zu Herrn de Sartines zu begeben und ihm das Zeugnis der Äbtissin zu zeigen, zu erklären, daß sie von jeder Verfolgung gegen mich absehe und bereit sei, mir volle Genugtuung zu geben, indem sie ihm sagte, ich wäre berechtigt, eine Entschädigung zu verlangen, aber man müsse, um nicht dem Rufe ihrer Tochter zu schaden, über alles Vorgefallene das strengste Schweigen bewahren.

Die Mutter schrieb mir einen Brief, der mir die vollste Genugtuung bot; ich beeilte mich, diesen zu den Gerichtsakten zu geben, wodurch mein ärgerlicher Prozeß in aller Form beendigt wurde. Ich schrieb ihr meinerseits einen Glückwunsch, aber ich betrat ihr Haus nicht wieder, um die unangenehmen Auftritte zu vermeiden, die ein Zusammentreffen mit Farsetti vielleicht zur Folge gehabt hätte. Da das Fräulein nicht mehr in Paris bleiben konnte, wo alle Welt ihre Geschichte kannte, so erbot Farsetti sich, sie nebst ihrer Schwester Madeleine nach Brüssel zu bringen. Einige Zeit darauf holte ihre Mutter sie dort ab, und sie reisten nach Venedig, wo meine Geliebte drei Jahre später eine vornehme Dame wurde. Fünfzehn Jahre darauf sah ich sie als Witwe wieder; sie war ziemlich glücklich und stand in ehrenvollem Ansehen wegen ihres Ranges, ihres Geistes und ihrer gesellschaftlichen Talente; ich bin aber mit ihr in keinerlei Verbindung mehr gestanden.

In vier Jahren wird der Leser sehen, wie und wo ich Castel-Bajac wieder fand. Gegen Ende desselben Jahres 1759 gab ich mehrere hundert Franken aus, um die Freilassung der Hebamme zu bewirken.

Ich lebte mit fürstlichem Luxus, und man konnte mich für glücklich halten; aber ich war es nicht. Meine ungeheuren Ausgaben, meine übermäßige Verschwendungssucht, meine Genußsucht und Freigebigkeit ließen mich wider meinen Willen in näherer oder fernerer Zukunft Unannehmlichkeiten voraussehen. Meine Fabrik würde mich instand gesetzt haben, mein Leben noch lange in gleicher Weise fortzuführen, wenn nicht der unglückliche Krieg den Absatz gelähmt hätte; auch ich mußte notwendigerweise die allgemeine Geldknappheit verspüren, die in Frankreich in allen Ständen herrschte. Ich hatte vierhundert Stück bemalter Stoffe auf Lager, aber es war nicht wahrscheinlich, daß ich sie vor dem Frieden verkaufen konnte, und da dieser heißersehnte Friede erst in einer noch fernen Zukunft zu erwarten war, so drohte mir eine Art Ruin.

In dieser Befürchtung schrieb ich an Esther, sie möge ihren Vater bewegen, die Hälfte des Betriebskapitals einzulegen, mir einen tüchtigen Geschäftsführer zu schicken und mein Teilhaber zu werden. Herr d’O. antwortete mir, wenn ich die Fabrik nach Holland verlegen wollte, so würde er alles auf sich nehmen und mir die Hälfte des Gewinnes geben; aber ich liebte Paris und ging auf diesen vorteilhaften Vorschlag nicht ein. Ich hatte es zu bereuen.

Mein Haus Klein-Polen kostete mir viel Geld; die Hauptausgabe aber, die mich zugrunde richtete und die kein Mensch kannte, verursachten mir meine kleinen Arbeiterinnen; denn bei meinem Temperament und meiner Vorliebe für die Abwechslung waren zwanzig junge Mädchen, fast alle hübsch und alle verführerisch, wie es die Pariserinnen sind, für mich eine Klippe, woran meine Tugend täglich von neuem Schiffbruch leiden mußte. Ich war auf die meisten neugierig, und da ich nicht die Geduld hatte, durch langsames Vorgehen sie ebenfalls neugierig auf mich zu machen, so machten sie sich meine Ungeduld zunutze, um mir ihre Gunst so teuer wie möglich zu verkaufen.

Das Beispiel der ersten diente ihnen allen zum Muster, um Haus, Möbel, Geld, Schmuck zu verlangen; und ich kannte zu wenig den Wert von hundert Louis, um mich dadurch von der Befriedigung einer Laune abhalten zu lassen. Meine Laune dauerte niemals länger als eine Woche; oft war sie schon nach drei oder vier Tagen verflogen, und natürlich schien mir stets die zuletzt gekommene meiner Aufmerksamkeiten am würdigsten zu sein. Sobald ich mein Auge auf eine neue geworfen hatte, sah ich die alten nicht mehr, aber ich fuhr fort, deren Ansprüche zu befriedigen, und diese gingen weit. Frau von Urfé, die mich für sehr reich hielt, hielt mich nicht von dieser Verschwendung zurück. Ich machte sie glücklich, indem ich durch meine Orakel ihre magischen Operationen unterstützte, in die sie sich von Tag zu Tag mehr verrannte, obgleich ihre Versuche niemals zum Ziele führten. Manon Baletti quälte mich durch ihre Eifersüchteleien und durch ihre berechtigten Vorwürfe. Sie konnte – und mit Recht – nicht begreifen, wie ich die Heirat mit ihr immer noch hinausschieben könnte, wenn ich sie wirklich liebte. Sie beschuldigte mich, sie zu täuschen. Ihre Mutter starb an der Schwindsucht in unseren Armen. Zehn Minuten vor ihrem letzten Atemzuge empfahl sie mir ihre Tochter, und ich gab ihr das ganz aufrichtige Versprechen, sie zu heiraten; aber das Schicksal, wie man es ja zu nennen pflegt, widersetzte sich stets dieser Absicht. Sylvia hatte mir die innigste Freundschaft eingeflößt; ich verehrte sie als eine ausgezeichete Frau, deren wohltätiges Herz und sittliche Reinheit sie der allgemeinen Achtung und Wertschätzung würdig machten. Ich blieb drei Tage lang in der Familie und teilte von ganzem Herzen die Trauer aller ihrer Mitglieder.

Wenige Tage darauf verlor mein Freund Tiretta seine Geliebte, die an einer schmerzhaften Krankheit starb. Als sie ihr Ende nahen fühlte, beschloß sie Gott zu widmen, was sie den Menschen nicht mehr geben konnte; daher verabschiedete sie vier Tage vor ihrem Tode ihren Liebhaber, indem sie ihm einen wertvollen Ring und eine Börse mit zweihundert Louisdor schenkte. Tiretta schnürte sein Bündel und kam nach Klein-Polen, um mir die traurige Nachricht zu überbringen. Ich brachte ihn im Temple unter, und als er einen Monat darauf Lust bekam, sein Glück in Indien zu versuchen, billigte ich diesen Entschluß und gab ihm einen Empfehlungsbrief an Herrn d’O. in Amsterdam, der ihn in weniger als vierzehn Tagen auf einem Schiff der Gesellschaft, das nach Batavia segelte, als Schreiber unterbrachte. Bei guter Aufführung würde er reich geworden sein, aber er ließ sich in eine Verschwörung ein, mußte fliehen und erlebte seither manche Wechselfälle des Glücks. Von einem seiner Verwandten erfuhr ich, daß er im Jahre 1788 in Bengalen lebte; er war damals reich, konnte aber sein Vermögen nicht flüssig machen, um in seine Heimat zurückzukehren und dort sein Lebensende glücklich zu verbringe; was später aus ihm geworden ist, weiß ich nicht.

Im Anfang des Monats November kam ein Küchenbeamter vom Hofe des Herzogs von Elboeuf mit seiner Tochter in meine Fabrik, um ihr ein Kleid für ihre Hochzeit zu kaufen. Ich war von ihrer Schönheit geblendet. Sie wählte ein Stück sehr glänzenden Atlasses, und ihr schönes Gesicht belebte sich vor Freude, als sie sah, daß ihr Vater mit dem Preise einverstanden war; groß aber war ihr Kummer, als der Verkäufer ihrem Vater sagte, er müsse das ganze Stück nehmen, weil ein Einzelverkauf nicht stattfinde. Ich konnte ihrem Schmerz nicht widerstehen, und um nicht zu ihren Gunsten eine Ausnahme zu machen, ging ich schnell in mein Privatzimmer. Hätte ich nur die Eingebung gehabt, das Haus zu verlassen, dann würde ich viel Geld gespart haben; aber freilich, welcher Freuden, welcher Genüsse würde ich mich dann auch beraubt haben! In ihrer Verzweiflung bat die reizende Kleine den Direktor, sie zu mir zu führen, und dieser wagte ihr ihre Bitte nicht abzuschlagen. Sie trat ein; zwei große Tränen schwammen in ihren Augen und dämpften das Feuer ihrer Blicke. »Mein Herr,« sagte sie ohne weiteres zu mir, »Sie sind reich; Sie können das Stück kaufen und mir davon den Stoff zu einem Kleide ablassen. Sie machen mich damit glücklich.«

Ich warf einen Blick auf ihren Vater, und er sah aus, wie wenn er mich wegen der Kühnheit seines Kindes um Entschuldigung bäte.

»Ihr Freimut gefällt mir, Fräulein; da diese Gefälligkeit Sie glücklich macht, wie Sie sagen, so sollen Sie das Kleid haben.«

Sie fiel mir um den Hals und küßte mich vor Dankbarkeit, während ihr biederer Vater sich vor Lachen ausschütten wollte. Ihre Küsse behexten mich vollends. Ihr Vater bezahlte das Kleid und sagte dann zu mir: »Mein Herr, Sonntag verheirate ich diese kleine Närrin; es gibt ein Abendessen und hierauf einen Tanz. Sie werden uns glücklich machen, wenn Sie uns die Ehre erweisen wollen, an dem Feste teilzunehmen. Ich heiße Gilbert und bin Kontrolleur beim Herzog von Elboeuf.«

Ich versprach ihm pünktlich zu kommen, und die junge Braut machte einen Freudensprung, der sie mir noch schöner erscheinen ließ.

Am Sonntag begab ich mich nach dem mir bezeichneten Ort, aber ich konnte weder essen noch tanzen. Die schöne Gilbert hielt 2?Z mich gewissermaßen verzaubert, solange ich mich in der Gesellschaft befand, an deren Ton ich mich niemals hätte gewöhnen können. Es waren Hausbeamte vornehmer Häuser mit ihren Frauen und Töchtern; sie äfften die guten Manieren ihrer Herrschaften nach und machten sich dadurch nur lächerlich. Ich kannte keinen einzigen von ihnen, und kein Mensch wußte, wer ich war; ich war daher unter ihnen durchaus nicht an meinem Platz und spielte eine dumme Rolle. In solchen Gesellschaften ist gerade der Klügste der Tölpel. Jeder machte mit der Neuvermählten seinen Witz; sie antwortete allen, und man lachte oft, ohne sich zu verstehen. Der Gatte, ein trauriger magerer Tropf, freute sich, daß seine Frau so lustig mit den Gästen zu scherzen wußte.

Obgleich ich in seine Frau verliebt war, beneidete ich ihn durchaus nicht um sein Los; im Gegenteil, er tat mir leid. Ich erriet, daß er sich nur in der Hoffnung auf eine Verbesserung seiner Vermögensumstände verheiratete, und ich prophezeite ihm innerlich die Hörner, die seine schöne feurige Frau ihm unfehlbar aufsetzen mußte; denn er war häßlich und schien von den Vorzügen eines solchen Weibes kaum eine Ahnung zu haben. Ich bekam Lust, die junge Gattin näher zu befragen, und sie bot mir Gelegenheit dazu, indem sie sich nach einem Kontertanz neben mich setzte. Sie dankte mir zunächst für meine Gefälligkeit und.sagte mir, man habe ihr schönes Kleid allgemein gelobt.

»Dennoch bin ich überzeugt, daß Sie es gerne bald ausziehen möchten; denn ich kenne die Liebe und ihre Ungeduld.«

»Es ist wirklich komisch, daß alle Leute mich durchaus für verliebt halten wollen, während ich doch Herrn Baret erst vor acht Tagen zum ersten Male gesehen habe; vorher wußte ich überhaupt nicht, daß er auf der Welt war.«

»Warum verheiratet man Sie denn so in der Eile und läßt Ihnen keine Zeit, besser bekannt zu werden?«

»Weil mein Vater alles so in der Eile macht.«

»Ihr Gatte ist ohne Zweifel reich?«

»Nein, aber er kann es vielleicht werden. Wir eröffnen übermorgen einen Laden mit seidenen Strümpfen an der Ecke der Rue St.-Honors und der Rue des Prouvères. Ich hoffe, mein Herr, Sie werden bei uns kaufen; wir werden Sie mit besonderem Vergnügen bedienen.«

»Sie können sich darauf verlassen; ich verspreche Ihnen sogar, das Handgeld zu bringen, und sollte ich auch die Nacht vor Ihrer Türe zubringen, um der erste zu sein.«

»O, wie liebenswürdig! Herr Baret,« sagte sie zu ihrem Mann, der ganz dicht bei uns stand, »der Herr verspricht mir, er werde uns das Handgeld bringen.«

»Der Herr ist sehr gütig,« sagte der Ehemann nähertretend; »aber der Herr wird auch mit mir zufrieden sein, denn meine Strümpfe fasern niemals.«

Am Dienstag war ich schon mit Tagesanbruch an der Ecke der Rue de Prouvères und stand mir beinahe die Beine in den Leib, bis endlich eine Magd kam und den Laden öffnete. Ich trat ein.

»Was wünschen Sie?« sagte das Mädchen zu mir.

»Ich möchte Strümpfe kaufen.«

»Die Herrschaft liegt noch im Bett; Sie können spater wiederkommen.«

»Nein, ich werde warten, bis sie aufgestanden sind. Wissen Sie was,« und damit gab ich ihr sechs Franken, »Sie können mir Kaffee holen, ich werde ihn hier trinken.«

»Ich soll Ihnen Kaffee holen? Ich bin nicht so dumm, Sie im Laden allein zu lassen.«

»Sie haben wohl Angst, daß ich stehlen könnte?«

»Na, das ist schon vorgekommen; ich kenne Sie ja nicht.«

»Sie haben recht; aber ich werde bleiben.«

Bald darauf kam Baret herunter; er schalt das arme Mädchen aus, daß sie ihm nicht sofort Bescheid gesagt hätte, und befahl ihr, seiner Frau zu sagen, sie möchte sofort kommen. Zugleich machte er schnell seine Pakete auf, damit ich meine Wahl treffen könnte. Er hatte Westen, Strümpfe, Unterhosen aus gestrickter Seide. Ich wühlte alles durch und sah mir alles an, ohne mich jedoch zu entschließen, bis endlich, frisch wie eine Rose und blendend weiß, seine Frau herunterkam. Sie lächelte mir verführerisch zu, entschuldigte sich wegen ihres Morgenkleides und dankte mir, daß ich mein Wort gehalten hätte.

»Ich breche es niemals, besonders wenn es sich um eine so liebenswürdige Dame handelt wie Sie.«

Frau Baret war siebzehn Jahre alt, von mittlerer Größe, tadellos gewachsen; obgleich sie keine vollendete Schönheit war, hätte selbst ein Raffael niemals etwas Anziehenderes schaffen können, etwas, das mächtiger das Herz entflammt. Ihre lebhaften, hervortretenden Augen, ihre langen Wimpern, die ihren Blicken etwas so Bescheidenes und zugleich so Wollüstiges gaben, ihr durch ein beständiges Lächeln verschönerter Mund, ihre prachtvollen Zähne, ihre Rosenlippen, ihre blendend weiße Haut, die anmutige Aufmerksamkeit, womit sie zuhörte, der Silberklang ihrer Stimme, ihr lebhaftes und doch so sanftes Wesen, ihre schelmische Munterkeit, ihre Anspruchslosigkeit, die Bescheidenheit, womit sie von ihren Reizen zu denken schien, deren Macht sie offenbar nicht kannte – mit einem Wort, dieses unbeschreibliche Ganze versetzte mich in eine Art von Verzückung beim Anblick dieses schönen Meisterwerkes der Natur, in dessen Besitz der Zufall oder gemeiner Eigennutz den armen Baret gebracht hatte, den ich schmächtig, blaß, kränklich vor mir stehen sah, und dessen ganze Aufmerksamkeit seinen Strümpfen galt, auf die er viel größeren Wert legte, als auf das reizende Spielzeug, das Hymen ihm mit Unrecht beschert hatte, da er es weder würdigen noch genießen konnte.

Ich wählte für fünfundzwanzig Louis Strümpfe und Westen und bezahlte diese, ohne zu feilschen. Das Gesicht der hübschen Kaufmannsfrau strahlte vor Freude, und ich erblickte darin ein günstiges Zeichen für meine Liebe, obgleich ich wenig Hoffnung hatte; denn ich glaubte, daß der Honigmond einer Liebelei wohl nicht sehr günstig sein würde.

Ich sagte dem Mädchen, ich würde ihr sechs Franken geben, wenn sie mir das Paket nach Klein-Polen brächte, und entfernte mich.

Am nächsten Sonntag brachte Baret selber mir mein Paket, Ich gab ihm sechs Franken für die Magd, aber er sagte mir, er würde sich nicht schämen, sie für sich selber zu behalten. Ich fand diese Habsucht sehr gemein, zumal da er seine Magd eines rechtmäßigen Trinkgeldes beraubte, nachdem er an den fünfundzwanzig Louis einen recht ansehnlichen Verdienst gehabt hatte, aber ich mußte ihn mir günstig stimmen, und darum war es mir nicht unangenehm ein so bequemes Mittel gefunden zu haben, ihm die Augen zu schließen Daher behandelte ich den Ehemann recht gut, um ihn noch geschmeidiger zu machen, und nahm mir vor, das Mädchen schadlos zu halten. Ich ließ ihm ein Frühstück vorsetzen und fragte ihn, warum er seine Frau nicht mitgebracht hätte.

»Sie hat mich allerdings darum gebeten, aber ich wagte nicht, mir diese Freiheit zu nehmen, weil ich fürchtete, es könnte Ihnen mißfallen.«

»Sie hätten mir im Gegenteil einen großen Gefallen getan, denn ich finde Ihre Frau reizend.«

»Sie sind sehr gütig, mein Herr; aber sie ist noch recht jung.«

»Ich sehe nicht ein, warum Sie sich darüber beklagen sollten. Wenn Sie gerne spazieren gehen, so wird es mich sehr freuen, wenn Sie sie einmal mitbringen.«

Er sagte mir, dies würde ihm selber viel Vergnügen machen.

Wenn ich in meinem Wagen an ihrem Laden vorüberfuhr, warf ich ihr Kußhändchen zu, ohne jedoch anzuhalten, denn ich brauchte keine Strümpfe mehr. Auch würde ich mich unter der Menge von Stutzern, die zu allen Tageszeiten ihren kleinen Laden füllten, gelangweilt haben. Man begann sich in der Stadt mit ihr zu beschäftigen; man sprach von ihr im Palais-Royal, und ich hörte zu meiner Freude sagen, sie sei nur deshalb so zurückhaltend, weil sie auf irgend einen reichen Gimpel warte. Daraus ging hervor, daß noch niemand sie gehabt hatte, und ich hoffte, daß ich vielleicht selber dieser Gimpel – aus freien Stücken – sein könnte.

Einige Tage darauf winkte sie mir mit der Hand, als sie in der Ferne meinen Wagen sah. Ich stieg aus; ihr Mann bat mich tausendmal um Entschuldigung und sagte mir, er wünschte, daß ich der erste wäre, der seine ganz neumodischen Beinkleider ansehe, die er eben erst bekommen hätte. Diese Beinkleider waren bunt, und kein Lebemann von gutem Ton trug morgens andere. Es war eine sonderbare Mode, aber einem gut gewachsenen jungen Mann standen diese Beinkleider sehr gut. Da sie gut anschließen mußten, so sagte ich ihm, er möchte mir sechs Paar anfertigen lassen, und erbot mich, sie im voraus zu bezahlen.

»Mein Herr, ich habe sie in allen Größen vorrätig; gehen Sie in das Zimmer meiner Frau, Sie können sie dort anprobieren.«

Der Augenblick war kostbar. Ich willigte ein, besonders als ich ihn zu seiner Frau sagen hörte, sie möchte mir behilflich sein. Ich ging hinauf; sie folgte mir, und ich begann mich auszukleiden, indem ich mich entschuldigte, daß ich es in ihrer Gegenwart täte. Sie antwortete: »Ich stelle mir vor, ich sei jetzt ihr Kammerdiener, und ich will dessen Dienste verrichten.« Ich glaubte nicht den Spröden spielen zu dürfen und gab ihrem Diensteifer nach. Nachdem ich meine Schuhe abgelegt hatte, ließ ich mir von ihr die Hosen ausziehen, behielt jedoch meine Unterhosen an, um ihre Schamhaftigkeit nicht zu sehr zu verletzen. Sie nahm nun ein Paar Beinkleider, probierte sie an, zog sie wieder aus und probierte andere an. Dies alles geschah von beiden Seiten mit größtem Anstand, denn ich hatte mir vorgenommen, bis zum Schluß dieser reizenden Szene anständig zu bleiben, da ich mir Besseres versprach. Sie fand, daß vier von diesen Beinkleidern mir ganz entzückend paßten, und da ich keinen Anlaß fand, ihr zu widersprechen, so gab ich ihr sechzehn Louis, die sie dafür forderte, und sagte ihr, ich würde mich glücklich schätzen, wenn sie selber sie mir in einem freien Augenblick bringen wolle. Sie ging ganz stolz in den Laden, um ihrem Mann zu zeigen, daß sie zu verkaufen verstände; ich folgte ihr auf dem Fuße, und Baret sagte mir, er würde am nächsten Sonntag die Ehre haben, mit seiner kleinen Frau zu mir zu kommen, um mir meinen kleinen Einkauf zu bringen.

»Sie werden mir ein Vergnügen machen, Herr Baret, besonders wenn Sie zum Essen bei mir bleiben.«

Er antwortete mir, er habe um zwei Uhr ein dringliches Geschäft und könne sich daher nur unter der Bedingung verpflichten, daß ich ihm erlauben würde, sich zu diesem Zweck zu entfernen; er werde jedoch bestimmt gegen fünf Uhr wiederkommen und seine Frau abholen. Dies paßte mir so herrlich, daß ich mich beinahe unbehaglich fühlte! Aber ich wußte mich zu beherrschen und antwortete ihm ruhig: »Dies wird mich ja allerdings des Vergnügens Ihrer Gesellschaft berauben, aber ich bitte Sie, vollständig nach Ihrem Belieben zu verfahren, zumal da ich selber erst um sechs Uhr ausgehen muß.«

Der Sonntag kam, und die braven Bürgersleute hielten Wort. Sobald sie bei mir waren, ließ ich meine Türe für den ganzen Tag schließen, und da ich ungeduldig war, zu sehen, was mir der Nachmittag bringen würde, so ließ ich das Mittagessen frühzeitig auftragen. Die Speisen waren ausgezeichnet und die Weine köstlich. Der Biedermann aß und trank reichlich, sodaß ich ihn aus Höflichkeit darauf aufmerksam machen mußte, daß er um zwei Uhr ein dringliches Geschäft hatte. Da sein Geist durch den Champagner ermuntert war, so hatte er den glücklichen Gedanken, seiner Frau zu sagen, sie möchte allein nach Hause gehen, falls ihn seine Geschäfte länger zurückhalten sollten, als er glaubte. Ich aber beeilte mich zu sagen, daß ich mit ihr in meinem Wagen eine Spazierfahrt um die Boulevards machen und sie nach Hause fahren würde. Er dankte mir, und da er etwas unruhig war, ob er auch noch rechtzeitig nach dem verabredeten Ort kommen würde, so machte ich ihn überglücklich, als ich ihm sagte, ein für den ganzen Tag bezahlter Fiaker warte auf ihn vor der Tür. Er ging, und ich war endlich allein mit seinem Kleinod, das ich bis sechs Uhr abends zu besitzen sicher war.

Als ich die Haustür hinter dem guten Trottel schließen hörte, sagte ich zu seiner Frau: »Ich mache Ihnen mein Kompliment, gnädige Frau, daß Sie einen so gefälligen Gatten haben, denn mit einem Mann von solchem Charakter müssen Sie gewiß glücklich sein.«

»Glücklich sein ist leicht gesagt; aber um es wirklich zu sein, muß man es fühlen und muß in seinem Gemüt ruhig sein. Mein Mann hat eine so zarte Gesundheit, daß ich mich nur als eine Krankenpflegerin ansehen kann: außerdem hat er Schulden, die er gemacht hat, um sein Geschäft einzurichten, und die uns zur strengsten Sparsamkeit nötigen. Wir sind zu Fuß hierhergekommen, um vierundzwanzig Sous zu sparen. Der Ertrag unseres kleinen Geschäftes würde ausreichen, wenn wir nichts schuldig wären; aber bei unseren Schulden geht alles für diese darauf, und wir verkaufen nicht genug.«

»Sie haben aber doch viele Kunden; denn jedesmal, wenn ich bei Ihnen vorbeifahre, sehe ich den Laden überfüllt.«

»Diese Kunden sind lauter Tagediebe, schlechte Spaßvögel, liederliche Menschen, die mir mit ihren Komplimenten in den Ohren liegen, daß mir beinahe übel wird. Sie haben keinen Heller, und wir dürfen sie nicht aus den Augen lassen, damit ihre Finger nicht an einen unrechten Ort geraten. Wenn wir diesen Leuten auf Borg verkaufen wollten, wäre unser Laden schon seit mehreren Tagen leer. Ich habe gegen sie kein Mittel, als recht mürrisch zu sein, in der Hoffnung, sie auf diese Weise los zu werden; aber es nützt nichts. Sie sind von einer Unverfrorenheit, die mich ganz ratlos macht. Wenn mein Mann daheim ist, gehe ich in mein Zimmer, aber oft ist er abwesend, und dann muß ich ihre Gesellschaft ertragen. Außerdem verkaufen wir wegen der allgemeinen großen Geldnot nur wenig; trotzdem aber müssen wir jeden Samstag die Arbeiter bezahlen. Ich sehe voraus, wir werden sie binnen kurzem entlassen müssen; denn wir haben Wechsel ausgestellt, deren Verfallzeit nicht mehr fern steht. Samstag müssen wir sechshundert Franken bezahlen, und wir haben nur zweihundert.«

»Daß Sie in den ersten Tagen Ihrer Ehe in solchen Verlegenheiten sind, überrascht mich sehr. Ihr Vater mußte doch wissen, wie Ihr Mann stand, und was ist denn aus Ihrer Mitgift geworden?«

»Meine Mitgift von sechstausend Franken hat zum großen Teil dazu gedient, unsere Ladenausrüstung zu beschaffen und Schulden zu bezahlen. Unsere Waren sind dreimal so viel wert, als wir schuldig sind, aber wenn der Absatz fehlt, ist dies ein totes Kapital.«

»Sie tun mir leid; denn wenn der Friede nicht geschlossen wird, muß Ihre Lage immer schlimmer werden. Im Laufe der Zeit werden Ihre Bedürfnisse sich steigern.«

»Gewiß; denn wenn es meinem Mann besser geht, bekommen wir vielleicht Kinder.«

»Wie? verhindert ihn denn seine Gesundheit Sie zur Mutter zu machen? Das ist doch nicht möglich!«

»Ich glaube nicht, daß ich Mutter werden kann, wenn ich Jungfer bleibe. Übrigens mache ich mir nichts daraus.«

»Das scheint mir unglaublich. Wie kann ein Mann an Ihrer Seite krank sein, wenn er nicht in den letzten Zügen liegt? Er ist also tot?«

»Tot ist er nicht, aber er gibt kaum ein Lebenszeichen.«

Über diesen Witz mußte ich lachen, und ich umarmte sie, ohne allzu großen Widerstand zu finden. Der erste Kuß war wie ein elektrischer Funke; er setzte mich in Flammen, und ich erneuerte meinen Angriff, bis sie schließlich sanft wie ein Lamm wurde. Um sie zu ermutigen, sagte ich zu ihr: »Ich werde Ihnen helfen; ich werde Ihnen helfen, am Samstag den Wechsel einzulösen!« Mit diesen Worten zog ich sie sanft in ein Kabinett, wo ein schöner Divan einen bequemen Altar bildete, um das Liebesopfer zu vollziehen.

Ich war hoch entzückt, daß sie sich meinen Liebkosungen und meiner Neugier fügte; aber sie überraschte mich über alle Maßen, als ich mich zur Vollbringung des Opfers anschickte und schon eine Stellung zwischen den beiden Säulen eingenommen hatte, plötzlich aber durch eine Bewegung gestört wurde, durch die die Ausführung völlig unmöglich wurde. Ich hielt es anfangs für eine jener Listen, deren die Liebe sich oft bedient, um den Sieg noch süßer zu machen, indem er durch Hindernisse erkauft werden muß, deren Überwindung die Wonne vergrößert; als ich aber sah, daß sie sich allen Ernstes verteidigte, sagte ich halb ärgerlich zu ihr: »Wie konnte ich diese Weigerung in einem Augenblick erwarten, wo ich in Ihren Augen zu lesen glaubte, daß Sie meine glühenden Wünsche teilen?«

»Meine Augen haben Sie nicht getäuscht; aber was sollte ich zu meinem Mann sagen, wenn er mich anders fände, als Gott mich geschaffen hat?«

»Es ist nicht möglich, daß er Sie unberührt gelassen hat!«

»Liebster, ich lüge nicht; ich verspreche Ihnen, es Ihnen zu beweisen. Habe ich das Recht, eine Frucht, die Hymen gehört, zu verschenken, bevor er sie zum erstenmal gekostet hat?«

»Nein, göttliches Weib, nein! Bewahre diese Frucht für einen Mund, der ihres Genusses nicht würdig ist. Ich beklage dich und bete dich an, komm in meine Arme. Überlasse dich meiner Liebe und fürchte nichts. Ich werde die Frucht nicht anbeißen, aber ich kann ihre Oberfläche kosten, ohne eine Spur darauf zurückzulassen.«

Wir verbrachten drei Stunden damit, uns durch köstliche Ausgelassenheiten zu täuschen, die sehr dazu angetan waren, trotz unseren gegenseitigen wiederholten Sprengopfern uns von neuem zu entflammen. Das tausendmal wiederholte Versprechen, ganz mein zu sein, sobald Baret glauben könnte, sie besessen zu haben, tröstete mich über mein Mißgeschick. Nachdem ich sie auf dem Boulevard spazieren gefahren hatte, brachte ich sie nach Hause; dort verabschiedete ich mich von ihr, indem ich ihr eine Rolle von fünfundzwanzig Louis in die Hand drückte.

Verliebt, wie ich nie zuvor ein Weib geliebt zu haben glaubte, fuhr ich täglich drei- oder viermal an ihrem Laden vorüber. Ich machte zu diesem Zweck ziemlich große Umwege, zum großen Mißvergnügen meines Kutschers, der mir unaufhörlich sagte, ich führe meine Pferde zuschanden. Ich war glücklich, wenn ich sah, wie sie auf den Augenblick meines Vorüberfahrens lauerte, und wie sie mir mit ihren lieblichen Fingerspitzen Küßchen zuwarf.

Wir hatten abgemacht, daß sie mir nicht früher ein Zeichen zum Aussteigen geben sollte, als bis ihr Mann die Schwierigkeit besiegt hätte. Endlich kam dieser so heiß ersehnte, so ungeduldig erwartete Tag. Auf das verabredete Zeichen hieß ich den Kutscher halten; sie stieg auf das Trittbrett meines Wagens und sagte mir, ich möchte sie an der Tür der Kirche St.-Germain-d’Auxerrois erwarten.

Ich war neugierig zu erfahren, was sie mir zu sagen hätte, und zu sehen, was bei dem Stelldichein herauskommen würde; ich fuhr daher sogleich nach dem verabredeten Ort, und eine Viertelstunde später kam auch sie, ihr hübsches Köpfchen in eine Kapuze gehüllt. Sie stieg in meinen Wagen, sagte, sie habe einige Einkäufe zu machen, und bat mich, sie nach dem Palais Marchand zu fahren.

Ich hatte selber Geschäfte und sogar ziemlich dringende; aber was kann man einer angebeteten Frau abschlagen! Ich befahl dem Kutscher: Nach der Place Dauphine! und machte mich darauf gefaßt, meine Börse zu öffnen, denn ich hatte ein Vorgefühl, daß sie ohne Umstände darüber verfügen würde. In der Tat waren wir kaum in dem Kaufpalast angekommen, so trat sie, von den schmeichelhaften Worten der Verkäuferinnen angezogen, in alle Läden ein. Man bat sie, sich die Sachen anzusehen, und damit kramte man im Handumdrehen Schmucksachen, Kleinodien, Modewaren vor ihr aus, nannte sie Prinzessin und sagte ihr mit honigsüßen Worten, dies oder das werde ihr zum Entzücken stehen. Meine Baret sah mich an und sagte mir, man müsse allerdings zugeben, daß es sehr hübsch sei, und es würde ihr viel Vergnügen machen, wenn es nicht so teuer wäre. Mir machte es Spaß, freiwillig auf den Leim zu gehen; ich lobte die Waren noch mehr als die Verkäuferin, versicherte ihr, wenn etwas ihr gefiele, so könnte es gar nicht zu teuer sein, und bezahlte.

Während meine Schöne tausend Kleinigkeiten aussuchte, an denen sie ihre Freude hatte, führte mir mein böses Geschick eine Bekanntschaft zu, durch die ich vier Jahre später in die entsetzlichste Lage geriet. Die Ereignisse unseres Lebens bilden eine ununterbrochene Kette.

Ich sah zu meiner Linken ein junges Mädchen von zwölf oder dreizehn Jahren mit einem höchst anziehenden Gesicht neben einer alten Frau stehen, die an einem Paar Ohrringe aus Straß mäkelte, während das junge Mädchen, das sie in seinen hübschen Händen hielt, sie begehrlich betrachtete; sie sah ganz traurig aus, daß sie sie nicht kaufen konnte. Ich hörte sie zu der Alten sagen, diese Ohrbommeln würden sie glücklich machen, aber diese riß sie ihr aus der Hand und sagte ihr, sie solle weiter gehen.

»Mein schönes Fräulein,« sagte die Verkäuferin zu ihr, »ich werde Ihnen billigere geben, die beinahe ebenso schön sind.« Aber die Kleine antwortete ihr, aus denen mache sie sich nichts, und schickte sich an, den Laden zu verlassen, indem sie meiner Prinzessin Baret eine tiefe Verbeugung machte.

Dieser schmeichelte ohne Zweifel ein solches Zeichen von Ehrfurcht; sie tritt heran, nennt sie ihre kleine Königin, küßt sie, sagt ihr, sie sei hübsch wie ein Herz, und fragt die Alte, wer sie sei.

»Sie ist meine Nichte, Fräulein de Boulainvilier.«

»Und Sie sind so grausam, Madame,« sage ich zur Tante, »Ihrer reizenden Nichte ein Schmuckstück zu verweigern, das sie glücklich machen würde? Erlauben Sie mir, Madame, sie ihr anzubieten.«

Mit diesen Worten drücke ich dem jungen Mädchen die Ohrbommeln in die Hand; ihre Stirn bedeckt sich mit einer lieblichen Röte, und sie sieht ihre Tante an, wie wenn sie sie um Rat fragen wollte.

»Nimm nur, liebe Nichte, das schöne Geschenk an, das der Herr so gütig ist dir zu machen, und umarme ihn zum Zeichen deines Dankes.«

»Die Ohrbommeln«, sagte die Verkäuferin zu mir, »kosten nur drei Louis.«

Nun wurde plötzlich die Geschichte komisch, denn die Alte geriet in einen großen Zorn und rief: »Wie können Sie sich so sehr im Preise irren? Mir haben Sie sie zu zwei Louis angeboten!«

»Sie irren sich, gnädige Frau, ich habe von Ihnen drei dafür verlangt.«

»Das ist nicht wahr, und ich werde nicht dulden, daß Sie den Herrn bestehlen. Nichte, laß die Ohrbommeln liegen; die Frau kann sie behalten.«

Soweit war das gut und recht; aber die Alte verdarb alles, indem sie mir sagte: wenn ich die drei Louis ihrer Nichte geben wollte, würde sie anderswo Ohrbommeln kaufen, die nochmal so schön wären. Da mir dies einerlei war, so legte ich lächelnd die drei Louis vor das Fräulein hin, das immer noch den Schmuck in der Hand hielt. Flink packte die Verkäuferin das Geld, indem sie sagte, der Handel wäre abgeschlossen, die drei Louis gehörten ihr und die Ohrringe wären Eigentum des Fräuleins.

»Sie sind eine Betrügerin!« schrie die Alte wütend. »Und Sie eine alte Kupplerin!« versetzte die Verkäuferin; »ich kenne Sie.«

Angelockt durch das Geschrei der beiden alten Hexen, sammelte sich ein Haufen Pöbel vor dem Laden. Da ich Unannehmlichkeiten voraussah, so nahm ich die Tante an den Arm und führte sie mit sanfter Gewalt hinaus. Die Nichte folgte ihr; sie freute sich, ihre schönen Ohrringe zu haben, und machte sich sehr wenig daraus, ob diese mir drei Louis oder zwei kosteten. Wir werden sie später wiederfinden.

Nachdem meine Baret mich etwa zwanzig Louis hatte zum Fenster hinauswerfen lassen, die ich ja gerne ausgab, die aber ihr armer Mann gewiß besser hätte brauchen können, stiegen wir wieder in meinen Wagen, und ich brachte sie nach der Kirchentür zurück, wo ich sie getroffen hatte. Unterwegs sagte sie mir, sie würde fünf oder sechs Tage in Klein-Polen verbringen, und ihr Mann selber würde mich um die Gnade bitten, ihr diese Gefälligkeit zu erweisen.

»Wann wird er mich darum bitten?«

»Morgen! Kommen Sie bei uns vorbei und kaufen Sie einige Paar Strümpfe. Ich werde Kopfweh haben, und Baret wird mit Ihnen sprechen.«

Wie man sich denken kann, stellte ich mich pünktlich bei dem Biedermann ein, und da ich seine Frau nicht im Laden sah, erkundigte ich mich freundschaftlich nach ihrem Befinden.

»Sie ist krank und liegt zu Bett; sie muß einige Tage reine Landluft atmen.«

»Wenn Sie wegen des Ortes noch keine Wahl getroffen haben, so biete ich Ihnen eine Wohnung in Klein-Polen an.«

Er antwortete mir durch ein zustimmendes Lächeln.

»Ich werde sie bitten, mein Anerbieten anzunehmen; unterdessen, Herr Baret, packen Sie mir ein Dutzend Strümpfe ein.«

Ich ging hinauf und fand sie im Bett, aber mit lachendem Gesicht trotz ihrem Kopfweh. »Die Sache ist abgemacht,« sagte ich zu ihr; »Sie werden sofort Bescheid darüber erhalten.« Wirklich kam ihr Mann gleich mit meinen Strümpfen herein und teilte ihr mit, ich wolle die große Güte haben, ihr ein Zimmer bei mir einzuräumen. Die listige kleine Frau dankte nur, indem sie ihrem Mann versicherte, die frische Luft werde sie wieder gesund machen.

»Es wird Ihnen an nichts fehlen, gnädige Frau; aber Sie werden mich gütigst entschuldigen, wenn ich wegen meiner Geschäfte Ihnen sehr wenig Gesellschaft leisten kann. Herr Baret kann die Nacht bei Ihnen verbringen und morgens in der Frühe fortgehen, um in seinem Laden zu sein, sobald dieser geöffnet wird.«

Nach vielen Dankesbeteuerungen sagte Baret zuletzt, er werde seine Schwester zu sich kommen lassen, solange seine Frau bei mir wohne. Ich entfernte mich, indem ich ihnen sagte, ich würde noch vor dem Abend meine Befehle geben, damit sie aufgenommen würden, falls ich bei ihrer Ankunft nicht zu Hause sein sollte.

Am nächsten Tage kam ich erst nach Mitternacht nach Hause, und meine Köchin meldete mir, daß das Ehepaar gut zu Abend gegessen habe und dann zu Bett gegangen wäre. Ich sagte ihr, daß ich alle Tage zu Hause speisen würde und daß ich keine Besuche empfinge.

Am anderen Morgen stand ich frühzeitig auf und erkundigte mich, ob der Mann schon aufgestanden wäre. Ich erfuhr, er sei schon mit Tagesanbruch fortgegangen und werde erst zum Abendessen wiederkommen, die gnädige Frau schliefe noch. Ich war überzeugt, daß sie für mich nicht schlafen würde, und ging zu ihr, um ihr meinen ersten Besuch abzustatten. Sie war wirklich wach, und ich leitete unsere Freuden durch tausend Küsse ein, die sie mir mit Wucherzinsen zurückgab. Wir lachten über den Biedermann, der mir selber ein Kleinod anvertraut hatte, von dem ich einen so schönen Gebrauch zu machen gedachte, und wir wünschten uns Glück, daß wir eine ganze Woche in aller Freiheit uns gegenseitig opfern konnten.

»Vorwärts, liebes Herz, steh auf und zieh einen Morgenrock an; wenn du fertig bist, erwartet uns das Frühstück in meinem Zimmer.«

Sie brauchte nicht lange zum Anziehen: ein Morgenkleid aus Kattun; ein hübsches Häubchen mit einer feinen Spitze, ein leinenes Busentuch – das war alles. Aber wie wurde dieser Morgenanzug durch die rosige Frische ihrer Haut verschönert! Wir frühstückten ziemlich schnell, wir hatten es eilig; und als wir fertig waren, schloß ich meine Tür, und wir überließen uns dem Glück.

Zu meiner Überraschung fand ich sie ebenso, wie ich sie das vorige Mal gelassen hatte, und ich sagte ihr, ich hätte doch gehofft … sie aber ließ mir keine Zeit, meinen Satz zu Ende zu sprechen, und rief: »Lieber Schatz, Baret glaubt oder tut so, als glaube er, er habe seine Mannespflichten erfüllt; aber es ist nicht wahr. Ich habe mich jedoch entschlossen, mich mit deiner Hilfe in einen Zustand zu versetzen, daß ihm nicht mehr der leiseste Zweifel übrig bleibt.«

»Damit, mein Engel, werden wir ihm einen wesentlichen Dienst leisten, und dies wird bald geschehen sein.«

Mit diesen Worten befand ich mich bereits auf der Schwelle des Tempels, und ich sprengte die Tür mit einer Gewalt, die jeden Widerstand besiegte. Ein leiser Schrei und einige Seufzer verkündeten mir, daß das Opfer vollzogen war, und in der Tat war der Altar der Liebe von dem Blute des Opfers überströmt. Nach einer sehr notwendigen Abspülung betätigte der Oberpriester von neuem seinen Eifer an dem Opfer, das inzwischen alle Furcht verloren hatte und seinen Grimm herausforderte. Erst nach der vierten Opferung vertagten wir den Kampf auf ein anderes Mal. Wir schworen uns tausendmal Liebe und Treue, und vielleicht waren unsere Versprechungen aufrichtig, denn wir waren trunken vor Glück.

Wir trennten uns nur, um uns umzukleiden. Hierauf machten wir einen Spaziergang im Garten und aßen dann zusammen zu Mittag; ein köstliches Mahl, das wir mit den besten Weinen anfeuchteten, gab uns die nötigen Kräfte wieder, um unsere glühenden Begierden zu befriedigen und sie durch die süßesten Genüsse einzuschläfern.

Beim Nachtisch fragte ich sie, während ich ihr ein Glas Champagner eingoß, wie sie mit einem so feurigen Temperament habe unberührt bleiben können.

»Die Liebe hätte schon früher eine Frucht pflücken können, deren Genuß Hymen versagt geblieben ist. Du bist siebzehn Jahre alt, und schon seit mindestens zwei Jahren ist die Birne reif.«

»Ja, das glaube ich wohl, aber ich habe niemals geliebt – das ist der ganze Grund.«

»Hat denn nicht irgendein liebenswürdiger Herr dir den Hof gemacht?«

»Man hat mich umworben, aber vergeblich; mein Herz sprach nicht. Mein Vater hat vielleicht das Gegenteil geglaubt, als ich ihn vor einem Monat bat, mich recht schnell zu verheiraten.«

»Das wäre ziemlich natürlich; aber warum hast du ihn denn so sehr gedrängt, da du nicht liebtest?«

»Ich wußte, daß der Herzog von Elboef bald von seinem Landaufenthalt zurückkommen würde; und wenn er mich noch frei gefunden hätte, so würde er mich gezwungen haben, die Frau eines Mannes zu werden, der mich durchaus haben wollte, den ich aber verachte.«

»Und wer ist denn dieser Mann, gegen den du eine solche Abneigung hast?«

»Einer von den niederträchtigen Lustknaben des Herzogs, ein wahres Ungeheuer, das bei seinem Herrn schläft.«

»Wie? Hat der Herzog solchen Geschmack?«

»Ganz gewiß; er ist vierundachtzig Jahre alt und glaubt eine Frau geworden zu sein; er behauptet, er brauche einen Gatten.«

Ich lachte laut auf. »Aber ist denn dieser Anbeter des Herzogs ein schöner Mann?«

»Ich finde ihn gräßlich; aber alle Leute sagen, er sei schön.«

Die reizende Baret verbrachte acht Tage bei mir, und jeden Tag erneuerten wir mehrere Male einen Kampf, worin wir stets Sieger und Besiegte waren. Ich habe wenig Frauen gesehen, die so hübsch und so anziehend waren, wie sie, und niemals eine frischere und weißere. Ihre Haut war wie Atlas und Rosenblätter; ihr Atem hatte etwas aromatisches, wodurch ihre Küsse unbeschreiblich süß wurden. Ihr Busen war wundervoll geformt, und seine mit zwei Korallenperlen geschmückten Halbkugeln waren hart wie Marmor. Die Wellenlinien ihrer Gestalt waren von einer Vollendung, die der Pinsel des geschicktesten Malers nicht hätte wiedergeben können. Ich fand in ihrer Betrachtung einen unbeschreiblichen Genuß, und mitten in meinem Glück fühlte ich mich unglücklich, daß ich nicht alle Begierden befriedigen konnte, die so viele Reize in mir erweckten. Der Fries, der die beiden Säulen krönte, bestand aus kleinen außerordentlich feinen Löckchen von blassem Golde, und meine Finger bemühten sich vergeblich, sie anders zu rollen, als die Natur es getan hatte. Es war nicht schwer, sie jene lebhaften und anmutigen Bewegungen zu lehren, die das Vergnügen verdoppeln; die Natur hatte sie von selber dazu erzogen, und ich glaube nicht, daß man eine vollkommenere Erziehung finden kann.

Wir sahen mit gleichem Widerwillen den Tag der Trennung herannahen und konnten uns über dieses Unglück nur durch die Hoffnung trösten, sooft wie möglich wieder zusammenzukommen. Drei Tage nach ihrer Heimkehr besuchte ich sie, verliebter denn je, und schenkte ihr zwei Wertpapiere von je fünftausend Franken. Ihr Mann mochte sich sein Teil dabei denken; aber er war glücklich, seine Schulden bezahlen zu können, und er wurde durch diese unverhoffte Einnahme in den Stand gesetzt, sein Geschäft fortzuführen und das Ende des Krieges abzuwarten. Wie mancher Ehemann würde sich glücklich schätzen, eine so gewinnbringende Frau zu haben!

Im Anfang des Monats November verkaufte ich für fünfzigtausend Franken Aktien an einen gewissen Garnier in der Rue du Mail, indem ich ihm den dritten Teil der bemalten Stoffe meines Lagers abtrat und einen von ihm bestimmten Kontrolleur annahm, der von unserer Handelsgesellschaft gemeinsam bezahlt werden sollte. Drei Tage nach der Unterzeichnung des Vertrages bekam ich das Geld. Aber in der Nacht erbrach der Arzt, der mein Lager verwaltete, den Geldschrank und verschwand. Ich habe mir die Möglichkeit dieses Diebstahls stets nur dadurch erklären können, daß der Maler mit im Einverständnis war. Dieser Verlust war für mich sehr empfindlich, denn meine Verhältnisse begannen in Unordnung zu geraten; um das Unglück voll zu machen, ließ Garnier mich gerichtlich auffordern, ihm die fünfzigtausend Franken zurückzuerstatten. Ich antwortete ihm, ich sei ihm nichts schuldig; denn er habe seinen Kontrolleur eingesetzt, Vertrag und Verkauf seien in bündiger Form abgeschlossen und als Teilhaber müsse er den Verlust zur Hälfte tragen. Da er bei seiner Meinung beharrte, riet man mir, ihn zu verklagen; aber Garnier kam mir zuvor, indem er den Vertrag für nichtig erklärte und mich mittelbar beschuldigte, die mir angeblich gestohlene Summe beiseite gebracht zu haben. Ich hätte ihn gerne tüchtig durchgeprügelt, um ihm Lebensart beizubringen, aber er war alt, und meine Sache wäre dadurch nicht besser geworden. Ich faßte mich also in Geduld. Der Kaufmann, der für den Arzt Bürgschaft geleistet hatte, war nicht mehr zu finden, er hatte Bankerott gemacht. Garnier ließ das ganze Lager mit Beschlag belegen und durch den Butterkönig in Klein-Polen meine Pferde, meine Wagen und alle meine Sachen pfänden. Infolge aller dieser Verdrießlichkeiten entließ ich alle meine Arbeiterinnen. Dies war auf alle Fälle eine große Ausgabe weniger. Ich schickte auch alle meine Arbeiter und Bedienten fort, die ich in meiner Fabrik hatte; nur der Maler blieb; er hatte nichts zu fordern, da er sich stets beim Verkauf der Stoffe bezahlt gemacht hatte. Mein Sachwalter war ein ehrlicher Mann, was man selten findet; aber mein Advokat, der mir stets versicherte, mein Prozeß sei bald zu Ende, war ein Schuft. Im Laufe des Verfahrens schickte Garnier mir eine verfluchte Verfügung, die mich zur Zahlung verurteilte. Ich brachte sie sofort meinem Advokaten, der mir versprach, am selben Tage Berufung einzulegen. Er tat es nicht und eignete sich dadurch alle Kosten an, die ich bezahlte oder zu bezahlen glaubte, um einen Prozeß fortzuführen, den ich gerechterweise nicht hätte verlieren dürfen. Er wußte mir noch zwei andere gerichtliche Aufforderungen vorzuenthalten, und plötzlich wurde, ohne daß ich die geringste Ahnung davon hatte, wegen Nichterscheinens Schuldhaft gegen mich verfügt. Um acht Uhr morgens wurde ich in der Rue St.-Denis in meinem eigenen Wagen verhaftet; der Sbirrenführer setzte sich an meine Seite, ein zweiter nahm neben dem Kutscher Platz, und ein dritter stieg hinten auf. In diesem Aufzug zwang man den Kutscher nach dem Gefängnis Fort-l’Evêque zu fahren.

Als die Diener der Gerechtigkeit mich dem Kerkermeister übergeben hatten, sagte mir dieser, ich könnte sofort meine Freiheit wiedererlangen, indem ich fünfzigtausend Franken leiste oder gute Bürgschaft dafür stellte.

»Ich habe weder das eine noch das andere zur Hand.«

»Dann werden Sie also im Gefängnis bleiben.«

Der Kerkermeister führte mich in ein ziemlich sauberes Zimmer, und ich sagte ihm, ich hätte nur eine einzige Aufforderung bekommen.

»Dies wundert mich gar nicht,« antwortete er mir, »so etwas kommt sehr häufig vor, aber es ist sehr schwer zu beweisen.«

»Bringen Sie mir alles, was man zum Schreiben braucht, und besorgen Sie mir einen sicheren Dienstmann!«

Ich schrieb an meinen Advokaten, an meinen Sachwalter, an Frau von Urfé und an alle meine Freunde, zuletzt an meinen Bruder, der sich kurz vorher verheiratet hatte. Der Sachwalter kam sofort, der Advokat aber begnügte sich damit, mir zu schreiben, er habe die Berufung zu Protokoll gegeben; meine Verhaftung sei ungesetzlich und könne der Gegenpartei teuer zu stehen kommen. Zum Schluß bat er mich, ich möchte ihn handeln lassen und einige Tage Geduld haben.

Manon Baletti schickte mir durch ihren Bruder ihre Diamantohrbommeln. Frau du Rumain schickte mir ihren Advokaten, einen Mann von seltener Rechtschaffenheit, und schrieb mir in einem freundschaftlichen Briefchen, wenn ich fünfhundert Louis nötig hätte, würde sie sie mir am nächsten Morgen schicken. Mein Bruder antwortete mir nicht und besuchte mich nicht. Meine liebe Frau von Urfé ließ mir sagen, sie erwarte mich zum Mittagessen. Ich schrieb dies ihrer Verrücktheit zu, denn ich konnte doch nicht annehmen, daß sie sich über mich lustig machen wollte. Um elf Uhr war mein Zimmer voll von Besuchern. Der arme Baret kam weinend und stellte mir seinen ganzen Laden zur Verfügung. Der brave Mann rührte mich wirklich. Endlich meldete man mir eine Dame, die in einem Fiaker vorgefahren sei. Ich wartete, aber niemand kam. Ungeduldig ließ ich den Schließer rufen, und dieser sagte mir, sie habe beim Gefängnisschreiber einige Erkundigungen eingezogen und sei wieder abgefahren. An der Beschreibung erkannte ich sofort Frau von Urfé.

Es war für mich ein unangenehmes Gefühl, mich meiner Freiheit beraubt zu sehen. Ich erinnerte mich der Bleikammern, und obgleich ich meine jetzige Lage in keiner Weise mit der damaligen vergleichen konnte, so fühlte ich mich doch unglücklich, denn diese Verhaftung mußte mich in ganz Paris um meinen guten Ruf bringen. Da ich dreißigtausend Franken flüssig hatte und für den doppelten Betrag Juwelen besaß, so hätte ich Zahlung leisten und sofort das Gefängnis verlassen können, aber ich konnte mich nicht zu diesem Opfer entschließen, obgleich der Anwalt der Frau du Rumain mir sehr dringend zuredete, um jeden Preis das Gefängnis zu verlassen. »Sie brauchen,« sagte dieser Edelmann zu mir, »nur die Hälfte der Summe zu hinterlegen; ich werde sie dem Gerichtsschreiber überweisen und verspreche Ihnen in kurzer Zeit ein günstiges Urteil, auf Grund dessen Sie sie zurückziehen können.«

Wir unterhielten uns lebhaft über diese Frage, als mein Kerkermeister eintrat und sehr höflich zu mir sagte: »Mein Herr, Sie sind frei, und eine Dame erwartet Sie vor der Tür in ihrem Wagen.«

Ich rief meinen Kammerdiener Leduc und befahl ihm nachzusehen, wer die Dame sei. Es war Frau von Urfé. Ich machte allen Anwesenden meine Verbeugung und fand mich nach einer vierstündigen, sehr unangenehmen Haft in einer prachtvollen Kutsche.

Frau von Urfé empfing mich mit großer Würde. Ein Gerichtspräsident in seinem Amtsbarett, der neben ihr in der Berline saß, bat mich um Verzeihung wegen seines Landes, wo infolge schreiender Mißstände die Fremden oft derartigen Mißhandlungen ausgesetzt wären. Ich dankte Frau von Urfé mit wenigen Worten und sagte, ich sähe mich mit sehr großem Vergnügen als ihren Schuldner, aber den Vorteil von ihrer edlen Freigebigkeit würde Garnier haben. Sie antwortete mir mit einem angenehmen Lächeln, er würde den Vorteil nicht so leicht davontragen; übrigens würden wir beim Essen darüber sprechen. Sie bat mich, sofort einen Spaziergang in den Tuilerien und im Palais-Royal zu machen, um das Publikum zu überzeugen, daß das Gerücht von meiner Verhaftung falsch wäre. Der Rat war gut; ich erklärte mich bereit und versprach ihr, um zwei Uhr bei ihr zu sein.

Ich zeigte mich also auf den beiden belebtesten Spaziergängen von Paris, auf denen wenigstens, wo man Einzelmenschen am meisten beachtet – denn auf den Boulevards sieht man nur Massen. Ich ergötzte mich an dem Erstaunen gewisser Leute, von denen ich wußte, daß sie mich kannten. Dann brachte ich meiner teuren Manon die Ohrringe zurück; sie stieß bei meinem Anblick einen Schrei glücklicher Überraschung aus. Ich dankte ihr zärtlich für den Beweis ihrer Anhänglichkeit, den sie mir gegeben, und ich sagte der ganzen Familie, ich sei nur deshalb verhaftet worden, weil man mich in einen Hinterhalt gelockt hätte; aber der Schuldige würde mir dies teuer bezahlen. Ich versprach ihnen, den Abend bei ihnen zuzubringen, und begab mich zu Frau d’Urfé.

Die gute Dame, deren fixe Idee der Leser ja kennt, machte mich lachen, als sie bei meinem Anblick sofort zu mir sagte, ihr Genius habe ihr mitgeteilt, daß ich mich absichtlich hätte verhaften lassen, weil ich aus Gründen, die nur mir bekannt wären, wünschte, daß von mir gesprochen würde.

»Sobald ich von Ihrer Verhaftung vernahm, fuhr ich nach dem Fort-l’Evêque, und als ich vom Gefängnisschreiber erfuhr, worum es sich handelte, holte ich mir Wertpapiere aus dem Stadthaus und hinterlegte diese als Sicherheit für Sie. Aber, wenn es Ihnen nicht gelingt, Gerechtigkeit zu erhalten, so wird Garnier es mit mir zu tun bekommen, bevor der sich durch die von mir hinterlegten Papiere bezahlt machen kann. Sie, mein lieber Freund, müssen vor allen Dingen Strafanzeige gegen Ihren Advokaten machen; denn es liegt auf der Hand, daß er Ihre Berufung nicht hat eintragen lassen und daß er Sie betrogen und bestohlen hat.«

Ich verließ sie gegen Abend mit der Versicherung, daß sie binnen wenigen Tagen ihre Bürgschaft würde zurückziehen können. Dann ging ich erst ins Théâtre Français und hierauf in die italienische Komödie und zeigte mich in den Foyers, um damit mein Wiedererscheinen vollständig zu machen. Hierauf ging ich zu Manon Baletti zum Abendessen. Sie war ganz glücklich, eine Gelegenheit gefunden zu haben, mir einen Beweis ihrer zärtlichen Liebe zu geben. Ich machte ihre Freude vollständig, als ich ihr sagte, daß ich meine Fabrik aufgeben würde; denn sie war überzeugt, daß mein Harem das einzige Hindernis unserer Heirat wäre.

Den ganzen folgenden Tag verbrachte ich bei Frau von Urfé. Ich fühlte, wieviel ich ihr verdankte, während sie mit ihrem ausgezeichneten Herzen glaubte, daß keine Belohnung hoch genug wäre für meine Orakelsprüche, dank denen sie nach ihrer Meinung niemals einen Fehltritt tun konnte. Ich begriff nicht, wie diese sehr kluge und sonst in jeder anderen Beziehung sehr vernünftige Frau in diesem Punkte so töricht sein konnte. Es tat mir leid, ihr nicht ihre Täuschung benehmen zu können; anderseits war ich glücklich, wenn ich bedachte, daß ich gerade dieser Täuschung die Achtung verdankte, die sie mir zollte. sni

Durch meine Verhaftung wurde Paris mir zum Ekel, und ich bekam gegen Prozesse einen Haß, den ich noch jetzt empfinde. Ich sah mich in ein Labyrinth von Streitigkeiten sowohl mit Garnier wie mit meinem Advokaten verstrickt. Mit war zumute, wie wenn ich zum Galgen ginge, sooft ich Termine wahrnehmen, mein Geld an Advokaten zahlen und eine kostbare Zeit verlieren mußte, die ich nur wohl angewandt glaubte, wenn ich mir Genüsse verschaffte. In diesem Zustand fortwährender Aufregungen, die so wenig meinem Charakter angemessen waren, faßte ich den weisen Entschluß, ernstlich für die Erwerbung eines Vermögens zu arbeiten, um mich von den Ereignissen unabhängig zu machen und mich nach meinem Geschmack unterhalten zu können. Ich beschloß vor allen Dingen, alles, was ich in Paris besaß, zu verkaufen, sodann noch einmal nach Holland zu gehen, um neue Mittel zu erwerben, diese als lebenslängliche Rente auf zwei Köpfe anzulegen, und fortan frei von allen lästigen Sorgen zu leben. Die zwei Köpfe sollten der meiner Frau und mein eigener sein, meine Frau aber sollte Manon Baletti sein. Dieser Plan, den ich ihr mitteilte, würde ihre höchsten Wünsche befriedigt haben, wenn ich ihrem Ansinnen nachgegeben und vor allen anderen Dingen sie geheiratet hätte.

Zunächst verzichtete ich auf Klein-Polen, das ich nur bis zum Ende des Jahres gemietet hatte; hierauf ließ ich mir von der Militärschule achtzigtausend Franken auszahlen, die als Kaution für mein Lotteriebureau in der Rue St.-Denis dienten. Auf diese Weise entledigte ich mich meiner lächerlichen Anstellung als Lotterieeinnehmer. Das Bureau schenkte ich meinem Geschäftsführer, nachdem ich ihn verheiratet hatte; ich machte auf diese Weise sein Glück. Ein Freund seiner Frau zahlte die Kaution für ihn; das kommt ja ziemlich häufig vor.

Da ich Frau von Urfé nicht die Verlegenheit eines lächerlichen Prozesses mit Garnier hinterlassen wollte, so ging ich nach Versailles und bat seinen Busenfreund, den Abbé de la Ville, ihn zu einem freundschaftlichen Vergleich zu bestimmen.

Garnier befand sich in Rueil; ich suchte ihn dort auf. Er besaß dicht bei dem Dorf ein Haus, das ihm vierhunderttausend Franken gekostet hatte, eine schöne Besitzung für einen Mann, der durch Proviantlieferungen während des letzten Krieges ein großes Vermögen erworben hatte. Er lebte im Überfluß, aber er hatte das Unglück, mit siebzig Jahren noch die Frauen zu lieben; denn, da er impotent war, konnte er nicht glücklich sein. Ich fand ihn in Gesellschaft von drei hübschen jungen Mädchen, die, wie ich später erfuhr, von guter Familie waren; aber sie waren arm, und die Armut allein konnte sie zwingen, gefällig zu sein und das ekelhafte Zusammensein mit dem alten Wüstling zu ertragen. Ich blieb zum Essen und hatte Gelegenheit, ihre Bescheidenheit zu beobachten, die sie sich in der demütigenden Lage trotz ihrer Bedürftigkeit bewahrt hatten. Nach dem Essen schlief Garnier ein und überließ es mir, die liebenswürdigen jungen Mädchen zu unterhalten, die ich gerne aus ihrer unglücklichen Lage befreit hätte, wenn es mir möglich gewesen wäre. Als er erwacht war, gingen wir in sein Arbeitszimmer, um über unsere Angelegenheit zu sprechen.

Ich fand ihn zuerst anspruchsvoll und zäh; als ich ihm jedoch gesagt hatte, daß ich Paris in wenigen Tagen zu verlassen gedachte, begriff er, daß er mich daran nicht hindern könnte, daß Frau von Urfé den Prozeß weiter führen würde, daß diese ihn nach Belieben hinausziehen und daß er ihn schließlich gar verlieren könnte. Dies gab ihm zu denken, und er lud mich ein, über Nacht bei ihm draußen zu bleiben. Am nächsten Morgen nach dem Frühstück sagte er zu mir: »Mein Entschluß steht fest: ich verlange fünfundzwanzigtausend Franken, oder ich prozessiere bis zu meinem Tode.«

Ich antwortete ihm, er würde den Betrag bei dem Notar der Frau von Urfé finden und könnte ihn einziehen, sobald er die mit Beschlag belegte Kaution im Fort-l’Evêque freigegeben hätte.

Frau von Urfé wollte sich nicht überzeugen lassen, daß ich recht getan hätte, auf einen Vergleich einzugehen. Es gelang mir erst, als ich ihr sagte, mein Orakel hätte von mir verlangt, daß ich Paris nicht eher verließe, als bis ich alle meine Angelegenheiten geordnet hätte, damit mich niemand beschuldigen könnte, mich entfernt zu haben, um mich der Verfolgung von unbefriedigten Gläubigern zu entziehen.

Einige Tage darauf verabschiedete ich mich von Herrn de Choiseul. Er versprach mir, an Herrn d’Affry zu schreiben, er möge mir bei allen meinen Unterhandlungen zur Seite stehen, um womöglich eine fünfprozentige Anleihe, entweder bei den Generalstaaten oder bei einer Gesellschaft von Privatleuten, zustande zu bringen. »Sie können«, sagte er zu mir, »überall versichern, daß im Laufe des Winters der Friede abgeschlossen wird, und ich verspreche Ihnen, ich werde nicht dulden, daß man Sie nach Ihrer Rückkehr nach Frankreich um Ihre Rechte bringt.«

Herr von Choiseul täuschte mich, denn er wußte recht gut, daß der Friedensschluß nicht erfolgen würde. Aber ich hatte überhaupt keine besonderen Absichten, und mein übergroßes Vertrauen, das ich in Herrn de Boulogne gesetzt hatte, ärgerte mich zu sehr, als daß ich etwas zugunsten der Regierung ohne greifbaren und augenblicklichen Vorteil hätte unternehmen mögen.

Ich verkaufte meine Pferde, meine Wagen, meine Möbel und stellte Bürgschaft für meinen Bruder, der in Schulden geraten war, die er sicher war, in kurzer Zeit bezahlen zu können, denn es standen auf der Staffelei mehrere Gemälde, die von ihren Bestellern, reichen Kavalieren, ungeduldig erwartet wurden. Ich nahm Abschied von Manon, die ich in Tränen aufgelöst zurückließ, obgleich ich ihr aufrichtigsten Herzens schwor, daß ich bald zurückkommen würde, um sie zu heiraten.

Als ich endlich mit allen Reisevorbereitungen fertig war, verließ ich Paris mit hunderttausend Franken in guten Wechseln und mit Juwelen im gleichen Wert. Ich fuhr allein in meinem Postwagen; Leduc ritt voraus, weil der Bursche lieber im Sattel als auf dem Kutschbock saß. Dieser Leduc war ein Spanier von achtzehn Jahren, ein sehr intelligenter Junge, den ich besonders deshalb gern hatte, weil er mich besser frisierte als irgendein anderer; ich versagte ihm kein Vergnügen, das ich ihm für billiges Geld verschaffen konnte. Außer ihm hatte ich einen guten Schweizer Lakai, der mir als Kurier diente.

Wir schrieben den ersten Dezember 1759; die Kälte war ziemlich empfindlich; aber ich hatte mich gegen ihre Strenge geschützt. Mein Wagen war dicht geschlossen, so daß ich bequem lesen konnte; ich nahm zu diesem Zweck den Geist von Helvétius mit, den ich noch nicht Zeit gehabt hatte, zu lesen. Nachdem ich das Buch gelesen hatte, war ich noch mehr erstaunt über das Aufsehen, das es gemacht hatte, als über die Dummheit des Parlaments, das es verurteilt hatte; diese hohe Körperschaft stand unter dem Einfluß der Geistlichkeit und des Hofes und hatte auf Betreiben dieser beiden alles mögliche getan, um den sehr liebenswürdigen Helvétius, der sicherlich mehr Geist hatte als sein Buch, zugrunde zu richten. Ich fand in dem Buch nichts Neues, weder in dem historischen Teil über die Sitten der Nationen, worin Helvétius uns allerlei Unsinn auftischt, noch in der Moral, die er aus seinen Erörterungen ableitet. Alle diese Dinge sind seit Jahrhunderten gesagt und wieder gesagt; Blaise Pascal hatte unendlich viel mehr gesagt, aber besser und rücksichtsvoller. Helvétius wurde gezwungen, sein Buch zu widerrufen, wenn er seinen Wohnsitz in Frankreich behalten wollte. Er zog das angenehme Leben, das er dort führte, seiner Ehre und der seines Systems vor, will sagen: seinem eigenen Geist. Seine Frau hatte eine größere Seele als er; denn sie war dafür, lieber ihre ganze Habe zu verkaufen und nach Holland zu flüchten, als sich der Schmach eines Widerrufs zu unterwerfen. Helvétius würde vielleicht der edlen Eingebung seiner Gattin gefolgt sein, wenn er hätte voraussehen können, daß sein unbegreiflicher Widerruf aus seinem Buch ein Schelmenstück machen würde; denn indem er widerrief, gestand er anscheinend zu, daß er es ohne Überzeugung geschrieben, daß er nur gespaßt hätte und daß alle seine Beweisführungen nur Sophismen wären, übrigens hatten viele gute Köpfe nicht erst seinen Widerruf abgewartet, um sein erbärmliches System in seinem rechten Wert zu erkennen3.

Wie? Weil der Mensch in allem, was er tut, stets der Sklave seines eigenen Interesses ist, so sollte daraus folgen, daß jedes Gefühl von Dankbarkeit lächerlich ist und daß keine einzige unserer Handlungen uns ehren oder entehren kann? Ein Schurke und ein Ehrenmann sollten mit dem gleichen Gewicht gemessen werden können? Wenn ein so trostloses System nicht töricht wäre, dann wäre die Tugend nichts weiter als ein Köder für Dummköpfe; und wenn es sich verwirklichen ließe, so würde die Gesellschaft es ächten, denn sie könnte inmitten der Verderbnis, die die unvermeidliche Folge sein würde, nicht weiter bestehen; mit um so größerem Rechte muß sie daher dieses System vernichten, da alles ihr seine scheußliche Unnatur beweist.

Man hätte Helvétius nachweisen können, daß es falsch ist, wenn er behauptet, daß bei all unserem Tun unser Eigennutz der Haupthebel ist, und daß wir daher vor allem anderen bei diesem Gefühl uns unseren Rat holen müssen. Es ist eigentümlich, daß er, der doch Tugend so trefflich übte, die Tugend nicht wollte gelten lassen. Wäre es möglich, daß er sich selber niemals für einen Ehrenmann gehalten hätte, da doch alle seine Handlungen ihn als Mann von Ehre erwiesen? Es wäre scherzhaft, wenn nur ein Gefühl der Bescheidenheit ihn dazu angeregt hätte, sein Werk zu veröffentlichen! Aber schon dadurch wäre die Wahrheit seines Systems umgestoßen worden, und wenn dies der Fall ist, hat er dann wohl daran getan, sich verächtlich zu machen, um nicht den Vorwurf des Stolzes zu verdienen? Bescheidenheit ist nur dann eine Tugend, wenn sie natürlich ist; ist sie nur zur Schau getragen oder äußert sie sich nur als eine einfache Wirkung der Erziehung, so ist sie ekelhaft. Ich habe niemals einen so wirklich bescheidenen Menschen gekannt, wie den berühmten d’Alembert.

In Brüssel, wo ich zwei Tage verbrachte, nahm ich im »Gasthof zur Kaiserin« Wohnung; zufällig traf ich dort Fräulein X.C.V. mit Farsetti; aber ich tat, wie wenn ich sie nicht bemerkte.

Von dort fuhr ich ohne Aufenthalt nach dem Haag, wo ich im »Prinzen von Oranien« abstieg. Ich fragte den Wirt, welche Personen er zu Tisch hätte, und er sagte mir, es seien Generäle und höhere Offiziere der Hannoverschen Armee, englische Damen und ein Fürst Piccolomini mit seiner Gemahlin. Diese Mitteilung veranlaßte mich, einer so guten Gesellschaft mich anzuschließen.

Da ich allen unbekannt war, beschränkte ich mich auf die Rolle des stillen Beobachters; besondere Aufmerksamkeit widmete ich der angeblichen italienischen Fürstin, die ziemlich hübsch war, und hauptsächlich ihrem Mann, der mir bekannt vorkam. Im Laufe der Unterhaltung kam man auch auf den berühmten St.-Germain zu sprechen, und ich erfuhr, daß er in demselben Gasthause wohnte.

Ich hatte mich auf mein Zimmer begeben und wollte gerade zu Bett gehen, als mein Fürst Piccolomini eintrat und mich wie einen alten Bekannten umarmte.

»Ein Blick, den Sie mir zuwarfen,« sagte er, »hat mir bewiesen, daß Sie mich wiedererkannten. Ich habe Sie ebenfalls sofort erkannt, obwohl sechzehn Jahre verflossen sind, seitdem wir uns in Vicenza sahen. Morgen können Sie allen Leuten sagen, daß wir uns wiedererkannt haben, und daß ich nicht Fürst, wohl aber Graf bin; hier ist mein Paß vom König von Neapel. Bitte lesen Sie ihn.«

Er hatte mit solcher Geschwindigkeit auf mich eingeredet, daß ich nicht ein einziges Wort hatte sprechen können. So genau ich auch die Züge meines Besuchers musterte, so erinnerten sie mich doch an weiter nichts, als daß ich ihn einmal gesehen hatte; aber Zeit, oder nähere Umstände vermochte ich nicht anzugeben. Ich öffnete den Paß und sah die Namen: Ruggero di Rocco, conte Piccolomini. Dies genügte mir: ich erinnerte mich, daß ein Mensch dieses Namens in Vicenza Fechtmeister war. Jetzt erkannte ich auch seine Züge. Obwohl sie sich sehr verändert hatten, so ließen sie mir doch keinen Zweifel, daß der Klopffechter und der Graf ein und dieselbe Person waren.

»Ich wünsche Ihnen Glück,« sagte ich zu ihm, »daß Sie Ihren damaligen Beruf nicht mehr betreiben; Ihr jetziger ist ohne Zweifel besser.«

»Ich betrieb damals jenes Gewerbe, um nicht Hungers zu sterben, denn ich hatte einen so hartherzigen Vater, daß er mir nicht einmal meinen Lebensunterhalt gab; ich hatte meinen Namen geändert, um ihn nicht zu erniedrigen. Nach dem Tode meines Vaters habe ich sein Vermögen geerbt und habe in Rom die Dame geheiratet, die Sie sahen.«

»Sie haben einen guten Geschmack gehabt, denn sie ist schön.«

»Ja, man findet sie schön, und ich habe sie aus Liebe geheiratet.«

Schließlich lud er mich ein, ihn am nächsten Tage nach dem Essen auf seinem Zimmer zu besuchen; ich würde dort gute Gesellschaft finden und eine Pharaobank, die er selber hielte. Er fügte ohne Umstände hinzu, wenn ich wollte, würde er mich als Teilhaber annehmen und ich würde meine Rechnung dabei finden. Ich dankte ihm und versprach ihm meinen Besuch.

Am Morgen ging ich ziemlich frühzeitig aus und sprach auf einen Augenblick beim Juden Boas vor; die Wohnung, die er mir in seinem Hause anbot, lehnte ich höflich ab. Hierauf machte ich dem Grafen d’Affry meine Aufwartung, der nach dem Tode der Regentin, Prinzessin von Oranien, zum Botschafter Seiner Allerchristlichen Majestät befördert worden war. Er nahm mich sehr gut auf, sagte mir aber sofort, ich würde meine Zeit verlieren, wenn ich in der Hoffnung, für die Regierung einige gute Geschäfte zu machen, nach Holland zurückgekehrt wäre; denn die Maßregel des Generalkontrolleurs habe den Kredit Frankreichs vernichtet, und man erwarte allgemein einen Staatsbankrott.

»Dieser Herr Silhouette hat dem König einen schlechten Dienst geleistet. Dies tut mir ungeheuer leid. Er mag noch so oft sagen, die Zahlungen seien nur auf ein Jahr eingestellt – man hört überall lautes Geschrei der Entrüstung.«

Hierauf fragte er mich, ob mir ein vor kurzem im Haag angekommener Graf von St.-Germain bekannt wäre. »Ich habe ihn niemals bei mir gesehen,« fügte er hinzu, »obwohl er behauptet, vom König zur Aufnahme einer Anleihe von hundert Millionen ermächtigt zu sein. Wenn man mich um Auskunft über diesen Menschen fragt, bin ich genötigt, zu antworten, daß ich ihn nicht kenne, denn ich fürchte mich bloßzustellen. Sie begreifen, daß meine Antwort seinen Unterhandlungen nur schaden kann; aber das ist seine Schuld und nicht meine. Warum hat er mir nicht einen Brief vom Herzog von Choiseul oder von der Frau Marquise gebracht? Ich glaube, der Mensch ist ein Betrüger; aber ich werde auf alle Fälle in etwa zehn Tagen darüber etwas wissen.«

Ich sagte ihm nun alles, was ich über diesen eigentümlichen und außerordentlichen Mann wußte. Er war nicht wenig überrascht, als er hörte, daß der König ihm eine Wohnung in Chambord angewiesen hatte. Als ich ihm aber sagte, daß er nach seiner Behauptung das Geheimnis besäße, Diamanten zu machen, da lachte er und sagte, nun zweifle er nicht mehr daran, daß der Graf die hundert Millionen finden werde. Als ich mich verabschiedete, lud Herr d’Affry mich für den nächsten Tag zum Mittagessen ein.

In den Gasthof zurückgekehrt, ließ ich mich beim Grafen St.-Germain melden, der zwei Haiduken in seinem Vorzimmer hatte.

»Sie sind mir zuvorgekommen,« sagte er, als er mich eintreten sah, »ich wollte mich gerade bei Ihnen melden lassen. Ich denke mir, mein lieber Herr Casanova, Sie sind hierher gekommen, um, wenn möglich, etwas zugunsten unseres Hofes auszurichten; aber dies wird Ihnen schwer fallen, denn die Börse ist empört über die Maßregeln dieses verrückten Silhouette. Ich hoffe indessen trotz dieser Widerwärtigkeit hundert Millionen zu finden. Ich habe dem König, den ich meinen Freund nennen darf, mein Wort darauf gegeben, und ich werde ihn nicht täuschen; in drei bis vier Wochen wird mein Geschäft erledigt sein.«

»Ich denke mir, Herr d’Affry wird Ihnen zum Gelingen behilflich sein.«

»Ich bedarf seiner durchaus nicht. Ich werde ihn wahrscheinlich nicht einmal besuchen; denn er könnte sich rühmen, mir geholfen zu haben, und dies wünsche ich nicht. Da ich die ganze Mühe davon habe, will ich auch den ganzen Ruhm dafür haben.«

»Sie gehen doch wohl zu Hofe; da wird der Herzog von Braunschweig Ihnen nützlich sein können.«

»Was soll ich bei diesem Hofe anfangen? Mit dem Herzog von Braunschweig habe ich nichts zu tun, und ich will seine Bekanntschaft nicht machen. Ich brauche nur nach Amsterdam zu gehen. Mein Kredit genügt mir. Ich liebe den König von Frankreich; denn es gibt in seinem ganzen Lande keinen größeren Ehrenmann.«

»Kommen Sie doch zum Essen an den großen Tisch; es sind lauter tadellose Leute; Sie werden sich dort wohl fühlen.«

»Wie Sie wissen, esse ich nicht; außerdem setze ich mich niemals an einen Tisch, wo ich Unbekannte finden kann.«

»Nun, so leben Sie denn wohl, Herr Graf; wir werden uns in Amsterdam wiedersehen!«

Ich ging in den Speisesaal, wo ich mich bis zum Anrichten mit einigen Offizieren unterhielt. Man fragte mich, ob Fürst Piccolomini hier bekannt sei; ich antwortete, ich hätte ihn nach dem Abendessen wiedererkannt; er wäre Graf und nicht Fürst, und ich hätte ihn seit sehr langer Zeit nicht gesehen. Als er mit seiner schönen Römerin, die nur italienisch sprach, hereinkam, erwies ich ihm einige Höflichkeiten; hierauf setzten wir uns zu Tisch.

  1. Ich finde Casanovas Urteil über das Buch entschieden zu hart. Der historische Teil enthält eine Menge interessanten Materials und der philosophische eine Fülle anregender Ideen. Jedenfalls steht das Werk viel höher als Max Stirners vielberufenes Buch »Der Einzige und sein Eigentum«, worin sich fast kein Gedanke vorfindet, den Helvétius nicht besser und in schönerer Form gesagt hätte.