Ich kläre Esther auf. – Ich reise nach Deutschland. – Mein Abenteuer in der Nähe von Köln. – Die Frau des Bürgermeisters. – Ich mache ihre Eroberung. – Ball in Bonn. – Freundliche Aufnahme von Seiten des Kurfürsten von Köln. – Frühstück in Brühl. – Erste Vertraulichkeit. – Ich erscheine ohne Einladung bei einem Souper des Generals Ketteler. – Ich bin glücklich. – Abreise von Köln. – Die kleine Toscana. – Das Kleinod. – Ankunft in Stuttgart.

Das Stelldichein, das Esther mir gegeben hatte, konnte bedeutungsvoll werden; die Liebe hatte es mir verschafft, aber ich glaubte, die Ehre als Teilnehmerin hinzuziehen zu müssen. Ich begab mich also zu ihr mit dem festen Entschluß, das reizende Mädchen nicht zu mißbrauchen, sondern sie sogar auf Kosten meines eigenen Glückes aufzuklären, wenn es nötig sein sollte; doch hoffte ich immerhin, daß ich diese Gefahr würde vermeiden können.

Ich fand sie in ihrem Bett, und sie sagte mir, sie würde den ganzen Tag liegen bleiben. Ich billigte diesen Entschluß, denn ich fand sie in dieser Lage entzückend. »Wir werden arbeiten, lieber Freund,« sagte sie zu mir.

Ihre Gouvernante stellte ein Tischchen neben ihr Bett, und Esther gab mir ein Papier mit Fragen, die alle darauf hinausliefen, daß ich ihr meine vermeintliche Wissenschaft mitteilen müßte, bevor ich ihr Gatte würde. Alle Fragen waren kunstvoll gestellt; alle bezweckten, das Orakel zu zwingen, entweder mir die Erfüllung dieses Wunsches anzubefehlen oder dieselbe ausdrücklich zu verbieten. Ich sah die Schlinge und war nur darauf bedacht, ihr auszuweichen, während ich über die Fragen nachzudenken schien. Ich konnte das Orakel nicht nach Esthers Wunsch sprechen lassen, und ebensowenig konnte ich es ein ausdrückliches Verbot aussprechen lassen; denn ich befürchtete, daß sie aus Ärger darüber sich an mir rächen würde. Ich mußte indessen so tun, als ob ich den besten Willen hätte, und es gelang mir, durch zweideutige Antworten mich aus der Verlegenheit zu ziehen, bis der gute Papa kam und mich zum Essen rief.

Er erlaubte seiner Tochter im Bett zu bleiben, jedoch nur unter der Bedingung, daß sie in diesen Tagen nicht mehr arbeitete; denn er befürchtete, daß durch die Anstrengung ihr Kopfweh sich verschlimmern konnte. Sie versprach es ihm, und ich war sehr froh darüber. Nach Tisch ging ich wieder zu ihr, und da ich sie eingeschlafen fand, setzte ich mich neben ihr Bett und behütete ihren Schlummer.

Nach ihrem Erwachen schlug ich vor, uns einen Augenblick mit Lesen zu beschäftigen; wie durch eine Eingebung fielen mir Colardeaus Heroiden in die Hände, und die Geschichte von Abaelard und Héloise setzte uns ganz in Feuer; dieses so süße und belebende Feuer ging auch in unser Gespräch über, und wir sprachen von dem Geheimnis, das das Orakel ihr enthüllt hatte.

»Aber, liebe Esther,« fragte ich sie, »hat denn das Orakel dir nicht etwas gesagt, was dir längst bekannt war?«

»Nein, mein Freund, das Geheimnis war mir völlig unbekannt und mußte mir unbekannt sein.«

»Du bist also niemals neugierig gewesen, dich selber kennen zu lernen?«

»Wie neugierig ich auch gewesen sein mag – die Natur hat das Mal so angebracht, daß es nur entdeckt werden kann, wenn man danach sucht.«

»Du hattest es also niemals gefühlt?«

»Es läßt sich nicht fühlen!«

»Das glaube ich nicht.«

Sie erlaubte meiner Hand eine unbescheidene Untersuchung und meine Finger durchstreiften mit Entzücken den Vorhof des Liebestempels. Es war kein Wunder, daß dadurch das Feuer in offene Flammen ausbrach. Da ich den Gegenstand meines Suchens nicht finden konnte und mehr als einen trügerischen Genuß wünschte, so erhielt ich die Erlaubnis, mich mit eigenen Augen überzeugen zu müssen, daß das Mal wirklich vorhanden wäre. Weiter ging aber auch ihr Entgegenkommen nicht, und ich mußte mich mit tausend Küssen begnügen, die ich voller Glut auf alle Teile drückte, die die Bescheidenheit meinen Blicken nicht mehr vorenthielt.

Gesättigt von Glück, obwohl ich den höchsten Genuß nicht erreicht hatte, den sie wohlweislich mir verwehrte, beschloß ich, nachdem wir zwei Stunden diesen unvergleichlichen Spielen gewidmet hatten, ihr die Wahrheit zu gestehen, obwohl ich nicht ohne Furcht war, daß sie unwillig würde, wenn ich ihr zeigte, wie sehr ich ihr Vertrauen gemißbraucht hatte.

Esther war sehr klug und gerade deshalb hatte ich sie täuschen können; wäre sie weniger klug gewesen, so würde es mir niemals gelungen sein. Sie hörte mich an, ohne in Erstaunen zu geraten, ohne mich zu unterbrechen und ohne eine Spur von Zorn zu zeigen. Als ich mit meiner langen und aufrichtigen Beichte fertig war, sagte sie zu mir: »Ich weiß, du liebst mich ebenso sehr wie ich dich, und da ich finde, daß das Bekenntnis, das du mir anvertraut hast, nicht wahr sein kann, so bin ich überzeugt, daß du nur darum das Geheimnis deiner Wissenschaft mir nicht mitteilst, weil es nicht in deiner Macht steht, dies zu tun. Ich verspreche dir daher, nicht mehr in dich zu dringen, etwas zu tun, was du nicht willst oder nicht kannst. Laß uns bis zum Tode in zärtlicher Liebe vereinigt sein und sprechen wir nicht mehr davon.«

Nach einem kurzen Schweigen fuhr sie fort: »Ich verzeihe Ihnen, lieber Freund, aber wenn die Liebe Ihnen den Mut genommen hat, aufrichtig zu sein, so beklage ich Sie. Sie haben mich zu fest von der Tatsächlichkeit Ihrer Wissenschaft überzeugt, als daß Sie meinen Glauben erschüttern könnten. Er steht fest. Sie konnten niemals etwas wissen, was ich selber nicht wußte, und was keinem Sterblichen bekannt sein konnte.«

»Und wenn ich Ihnen beweise, daß ich wissen mußte, daß Sie dieses Mal hätten – wenn ich Ihnen beweise, daß ich sogar annehmen konnte, daß Sie von dessen Vorhandensein nichts wußten, wird dann Ihr Glauben an das Orakel erschüttert sein, und werden Sie endlich an meine Aufrichtigkeit glauben?«

»Sie wußten es? Wie hatten Sie es denn gesehen? Das ist unglaublich!«

»Ich werde Ihnen alles sagen.«

Ich erklärte ihr die Theorie von der Übereinstimmung der Mäler am menschlichen Körper; um sie vollends zu überzeugen, sagte ich ihr zum Schluß, ihre Gouvernante, die ein großes Muttermal auf der rechten Wange habe, müsse ein ähnliches Zeichen auf der linken Hinterbacke habe». Esther lachte laut auf und sagte: »Ich werde das erfahren; aber mein lieber Freund, ich muß dich um so mehr bewundern, da ich dich im Besitze von Kenntnissen sehe, die außer dir auf der ganzen Welt kein Mensch hat.«

»Glaubst du, gute Esther, ich sei der einzige Mitwisser des Geheimnisses? Glaube das ja nicht! Dies wissen alle, die sich mit Anatomie oder Physiologie beschäftigt haben oder auch nur mit Astrologie, die eine chimärische Wissenschaft ist, wenn man sie so weit treibt, daß man durch Betrachtung der Gestirne das Bestimmende unserer Handlungen und Geschicke finden will.«

»O! ich bitte dich, verschaffe mir morgen, aber ganz gewiß schon morgen, alle Bücher, aus denen ich viele Dinge dieser Art lernen kann. Ich möchte recht schnell eine Gelehrte werden, um alle Unwissenden durch meine Zahlenkabbala in Erstaunen setzen zu können; denn ich sehe wohl, um den großen Haufen in Verwunderung zu setzen, muß man Scharlatanerie mit Wissen verbinden. Ich will mich ganz und gar dem Studium widmen. Wir können, lieber Freund, uns bis zu unserem Tode lieben; dazu brauchen wir uns nicht zu verheiraten.«

Fröhlich und zufrieden ging ich in meinen Gasthof. Ich fühlte mich von einer ungeheuren Last befreit. Am nächsten Morgen kaufte ich alle Werke, die mir geeignet schienen, sie zu belehren und zugleich zu unterhalten, und brachte sie ihr als Gabe dar. Die Bücher waren teils gut, teils schlecht, aber ich gab ihr die notwendigen Anweisungen, um sie unterscheiden zu können, besonders mein Conis gefiel ihr, weil sie an ihm die Kennzeichen der Wahrheit fand. Da sie durch das Orakel glänzen wollte, so mußte sie sich tüchtige Kenntnisse in der Physik erwerben, und ich zeigte ihr den Weg dazu.

Um jene Zeit kam ich auf den Gedanken, vor meiner Rückkehr nach Paris eine kleine Reise nach Deutschland zu machen. Ich teilte meine Absicht Esther mit, und sie bestärkte mich darin, nachdem ich ihr versichert hatte, daß ich vor dem Ende des Jahres zu ihr zurückkehren würde. Mein Versprechen war aufrichtig gemeint, und wenn ich auch dies reizende und außerordentliche Weib nicht wiedergesehen habe, so kann ich mir doch nicht den Vorwurf machen, sie getäuscht zu haben; denn nur die Ereignisse, die mir seitdem zustießen, verhinderten mich, ihr Wort zu halten.

Ich schrieb an Herrn d’Affry und bat ihn, mir einen Paß zu schicken, dessen ich für eine Reise im Deutschen Reich bedürfte, wo damals die Franzosen und alle kriegführenden Mächte im Felde lagen. Er antwortete mir sehr höflich, ich hätte keinen Paß nötig; wenn ich aber der entgegengesetzten Meinung sei, würde er mir sofort einen schicken. Sein Brief genügte mir; ich legte ihn zu meinen Papieren, und er verschaffte mir in Köln mehr Ansehen, als alle möglichen Ausweisschriften.

Ich ließ alle Guthaben, die ich bei verschiedenen Bankiers hatte, an Herrn d’O. überweisen, und der wackere Mann, der mein aufrichtiger Freund war, gab mir dafür einen Kreditbrief auf ein Dutzend der bedeutendsten Handlungshäuser Deutschlands.

Nachdem ich meine Angelegenheiten geordnet und meinen Postwagen aus Masdyk hatte kommen lassen, reiste ich ab. Ich verfügte über eine Summe von ungefähr hunderttausend holländischen Gulden und besaß herrlichen Schmuck und ausgezeichnete Garderobe. Meinen Schweizer Lakai schickte ich nach Paris zurück und behielt nur meinen treuen Spanier, der diesmal hinten aufsteigen mußte.

Hiermit endet die Geschichte meines zweiten Aufenthaltes in Holland, wo ich diesmal nichts für mein Vermögen tat. Ich hatte hier etliches Ungemach und einige Scherereien auszustehen, die ich meiner Unvorsichtigkeit verdankte; aber, indem ich nach so vielen Jahren an jene Zeit zurückdenke, erkenne ich mit Vergnügen an, daß mein Mißgeschick durch die süßen Genüsse, die ich Esther verdankte, reichlich wieder gut gemacht wurde.

Ich hielt mich nur einen Tag in Utrecht auf, um die Niederlassung der Herrnhuter zu besichtigen, und kam am übernächsten Tag gegen Mittag in Köln an – ohne Schaden zwar, jedoch nicht ohne Gefahr; denn eine halbe Meile vor der Stadt schlugen fünf Deserteure, drei rechts, zwei links vom Wege, ihre Gewehre auf mich an und schrien: »Die Börse oder das Leben!« Ich aber ergriff mein Pistol, schlug auf den Postillon an und drohte ihm, ihn aus dem Sattel zu schießen, wenn er nicht im Galopp führe. Die Räuber schossen ihre Gewehre gegen meinen Wagen ab, trafen aber weder Menschen noch Pferde, da sie nicht so klug waren, auf den Postillon zu schießen.

Ich hätte es machen sollen wie die Engländer, die stets eine leichte Börse für die Straßenräuber bereithalten; eine solche hätte ich den armen Teufeln gerne zugeworfen, aber meine Börse war reich gespickt, und da ich nicht soviel Zeit hatte, ihnen ihren angemessenen Anteil abzuzählen, so wagte ich mein Leben, um nicht ausgeplündert zu werden. Mein Spanier war ganz erstaunt, daß ihn keine von den Kugeln getroffen hatte, die ihm um die Ohren gepfiffen waren.

In Köln lagen die Franzosen im Winterquartier. Ich fand in der »Goldenen Sonne« Unterkunft. Als ich in den Speisesaal eintrat, war der erste, den ich erblickte, der Graf de Lastic, ein Neffe der Frau von Urfé. Er begrüßte mich auf das Zuvorkommendste und erbot sich, mich zum Platzkommandanten, Herrn de Torcy, zu führen. Ich nahm dies gerne an, und der Herr Kommandant begnügte sich mit dem Briefe des Herrn d’Affry. Ich erzählte ihm, was mir unterwegs zugestoßen war, und er beglückwünschte mich wegen des guten Ausganges des Abenteuers, tadelte aber zugleich mit soldatischer Offenherzigkeit meine unnütze Mutaufwendung.

»Sie haben ein gewagtes Spiel gespielt, um Ihr Geld zu retten, aber sie konnten dabei ein Glied einbüßen, und das läßt sich nicht mit Geld ersetzen.«

Ich antwortete ihm, man vermindere oft die Größe der Gefahr, indem man ihr trotze. Wir lachten. Hierauf sagte er mir, wenn ich es mit meiner Abreise nicht sehr eilig hätte, würde er mir wahrscheinlich das Vergnügen verschaffen, sie am Galgen zu sehen.

»Ich habe die Absicht, morgen abzureisen; aber wenn mich irgendetwas in Köln zurückhalten könnte, so wäre es ganz gewiß nicht die Neugier, der Hinrichtung von ein paar armen Teufeln beizuwohnen. Derartige Unterhaltungen sind durchaus nicht nach meinem Geschmack.«

Ich mußte von Herrn de Lastic eine Einladung zum Mittagessen annehmen; nachher überredete er mich, mit ihm und seinem Freunde, Herrn de Flavacour, einem sehr liebenswürdigen höheren Offizier, ins Theater zu gehen. Ich war überzeugt, daß man mich einigen Damen vorstellen würde, und da ich einen guten Eindruck zu hinterlassen wünschte, so verwandte ich eine volle Stunde auf meinen Anzug.

Ich saß in einer Loge, und mir gegenüber saß eine hübsche Frau, die mich wiederholt durch ihr Glas betrachtete. Weiter war nichts nötig, um mich neugierig zu machen, und ich bat Herrn von Lastic, mich ihr vorzustellen, was er mit der größten Bereitwilligkeit tat. Zunächst stellte er mich dem Grafen Ketteler vor, der als österreichischer Generalleutnant sich bei dem Hauptquartier der französischen Armee befand, wie der französische General Montacet dem österreichischen Hauptquartier zugewiesen war. Hierauf nannte der Graf meinen Namen der hübschen Dame, deren Schönheit mir beim Betreten der Loge sofort aufgefallen war. Sie grüßte mich mit anmutigem Lächeln und fragte mich nach allerlei über Paris, Brüssel, wo sie erzogen worden war, schien aber auf meine Antworten nicht im mindesten zu achten, da meine Spitzen und Juwelen ihre volle Aufmerksamkeit fesselten.

Während wir von diesem und jenem sprachen, wie eben Leute es tun, die sich zum erstenmal sehen, fragte sie mich mit einem plötzlichen, obgleich vollkommen höflichen Übergang, ob ich mich in Köln längere Zeit aufzuhalten gedächte.

»Ich beabsichtige schon morgen über den Rhein zu gehen und werde wahrscheinlich mein Mittagessen in Bonn einnehmen.«

Diese Antwort, die ich ihr in demselben gleichgültigen Ton gab, wie sie ihre Frage gestellt hatte, schien sie zu ärgern. Ich betrachtete dies als ein gutes Vorzeichen. General Ketteler, der in diesem Augenblick aufgestanden war, sagte zu mir: »Ich bin überzeugt, mein Herr, daß es der gnädigen Frau gelingen wird, Sie zur Verschiebung Ihrer Abreise zu veranlassen, und es wird mich sehr freuen, wenn dies mir das Vergnügen verschafft, Ihre nähere Bekanntschaft zu machen.«

Ich verbeugte mich; er ging mit Lastic hinaus und ließ mich mit der entzückenden Schönheit allein. Sie war die Gemahlin des Bürgermeisters, der der General Ketteler fast niemals von der Seite wich.

Sie fragte mich in entgegenkommendem Tone: »Täuscht der Graf sich auch nicht, indem er mir solche Macht beimißt?«

»Ich glaube es nicht, meine Gnädigste; aber er könnte sich wohl täuschen, wenn er annähme, daß Sie von dieser Macht Gebrauch machen wollten.«

»Ausgezeichnet! Da müssen wir ihn also anführen, wäre es auch nur, um ihn für seine vorlaute Bemerkung zu bestrafen. Bleiben Sie!«

Ich fand solche Sprache so neu, daß ich glaube, ich habe ein etwas dummes Gesicht dazu gemacht; ich mußte mich erst sammeln. Konnte ich erwarten, in Köln etwas Derartiges zu finden? Das Wort vorlaute Bemerkung schien mir außerordentlich treffend, der Gedanke der Bestrafung sehr richtig und der Ausdruck ihn anführen köstlich, um so mehr, da es ein göttlicher Gedanke war, sich meiner zum Zwecke dieses Anführens zu bedienen. Es wäre nach meiner Meinung eine Dummheit gewesen, der Sache tiefer auf den Grund gehen zu wollen. Ich nahm daher eine ergebene und dankbare Miene an und beugte mich über ihre Hand, die ich halb achtungsvoll, halb gefühlvoll küßte, wodurch ich, ohne geradezu meine Empfindungen deutlich zu erklären, ihr doch zu verstehen gab, daß ich nicht schwer zu zähmen sein würde.

»Sie werden also bleiben, mein Herr, und das wird sehr liebenswürdig von Ihnen sein; denn wenn Sie morgen schon abreisten, könnte man glauben, Sie hätten sich nur sehen lassen, um uns Ihre Mißachtung zu bezeigen. Der General gibt morgen einen Ball, und ich hoffe, daß Sie mit mir tanzen werden.«

»Wenn ich hoffen darf, Madame, daß Sie sich für den ganzen Ball mit mir engagieren.«

»Ich verspreche Ihnen, mit niemandem außer Ihnen zu tanzen, bis Sie müde sind.«

»Sie werden also nur mit mir tanzen?«

»Aber woher haben Sie denn diese Pomade, deren balsamischer Duft die ganze Luft erfüllt? Ich habe sie gerochen, sowie Sie den Saal betraten.«

»Ich habe sie aus Florenz kommen lassen, und wenn Sie sie belästigt, gnädige Frau, werde ich sie künftighin verschwinden lassen.«

»Tun Sie dies ja nicht! Das wäre der reine Mord. Ich wäre glücklich, mir solche Pomade verschaffen zu können.«

»Und ich wäre überglücklich, wenn Sie mir gnädigst gestatten wollten, Ihnen morgen früh einen kleinen Vorrat zu schicken.«

In demselben Augenblick, wo ich meinen Satz beendete, öffnete sich die Tür, und der Eintritt des Generals verhinderte sie, mir zu antworten. Ich stand auf, um mich zu entfernen; der Graf aber richtete an mich das Wort und sagte: »Ich bin überzeugt, die gnädige Frau hat Sie zu bewegen gewußt, Ihre Abreise zu verschieben und auf meinen Ball zu kommen?«

»Sie hat mich gütigst hoffen lassen, daß Sie mir diese Ehre gewähren würden und daß ich die Ehre haben werde, die Kontertänze mit ihr zu tanzen. Wie kann man da widerstehen, Herr General?«

»Sie haben recht, und ich bin der gnädigen Frau dankbar, daß sie Sie zum Bleiben überredet hat. Ich werde die Ehre haben, Sie bei mir zu erwarten.«

Ich verließ die Loge, verliebt, und war in meiner Hoffnung beinahe glücklich. Meine gebenedeiete Pomade war ein Geschenk von Esther, und ich bediente mich ihrer zum erstenmal. Die Schachtel enthielt vierundzwanzig Töpfe aus herrlichem Porzellan. Am nächsten Tage packte ich zwölf davon in ein elegantes Kästchen, das ich in Wachstuch einhüllen ließ, und schickte ihr das Paket versiegelt und ohne Begleitbrief, wie wenn es von einem Kommissionär abgeschickt worden wäre.

Ich verbrachte den Vormittag damit, unter der Führung eines Lohndieners die Stadt Köln zu besichtigen. Ich sah mir alle heroisch-komischen Wunder der großen Stadt an und lachte recht herzlich, als ich das Roß Bayard sah, das Ariosto so hoch gepriesen hat, und darauf die vier Haimonskinder. Es war der Herzog Amone, der Vater des unbesiegbaren Bradamante und des glücklichen Ricciardetto.

Ich speiste bei Herrn de Castries, und alle Gäste waren sehr erstaunt, daß der General Ketteler mich selber zu seinem Ball eingeladen hätte, denn er war sehr eifersüchtig auf seine Dame, die seine Bewerbungen nur duldete, weil sie ihrer Eitelkeit schmeichelten. Der liebe Graf war schon ein älterer Herr; sein Gesicht war wenig angenehm, und da seine geringen geistigen Fähigkeiten durchaus nicht das ersetzten, was ihm an körperlichen Vorzügen abging, so war er im ganzen recht wenig dazu angetan, geliebt zu werden. Trotz seiner Eifersucht konnte er nichts dagegen machen, daß ich beim Souper neben seiner Schönen saß und daß ich die ganze Nacht hindurch mit ihr plauderte oder tanzte. Die Nacht war köstlich, und ich kam so verliebt nach Hause, daß ich nicht mehr ans Abreisen dachte. Kühn gemacht durch unser Gespräch, wagte ich in einem Augenblick heißer Aufwallung ihr zu sagen, daß ich mich verpflichten wolle, den ganzen Karneval über in Köln zu bleiben, wenn sie mir eine Zusammenkunft verspräche.

»Und was würden Sie sagen, wenn ich Ihnen dies verspräche, nachher aber mein Versprechen nicht hielte?«

»Ich würde mich ganz allein über mein Schicksal beklagen, aber ohne Sie anzuschuldigen, ich würde sagen, es ist Ihnen unmöglich gewesen.«

»Sie sind sehr gütig; bleiben Sie also bei uns.«

Am Tage nach dem Ball machte ich ihr meinen ersten Besuch. Sie empfing mich sehr freundlich und stellte mich ihrem Gemahl vor, einem braven Mann, der weder jung noch schön, aber sehr freundlich war. Als sie nach einer Stunde den Wagen des Generals kommen hörte, flüsterte sie mir schnell zu: »Wenn der Graf Sie fragt, ob Sie nach Bonn gehen und den Ball beim Kurfürsten zu besuchen gedenken, so sagen Sie ja.«

Der General trat ein, wir wechselten die üblichen höflichen Redensarten, und ich entfernte mich. Ich wußte nicht, ob der Kurfürst oder sonst jemand einen Ball gab, und wann dieser stattfinden sollte; da aber ein Vergnügen in Aussicht stand, so erkundigte ich mich sofort und erfuhr, daß der ganze Adel von Köln eingeladen war. Es war ein Maskenball, folglich konnte ein jeder eintreten. Ich beschloß also hinzugehen, denn mir war, wie wenn mir dies ausdrücklich anbefohlen werde; auf alle Fälle war es mir gestattet, auf ein glückliches Zusammentreffen zu hoffen, da ja die liebenswürdige Dame ebenfalls dort sein würde. Da ich jedoch nach Möglichkeit unbekannt zu bleiben wünschte, so nahm ich mir vor, auf alle Fragen zu antworten, daß besondere Umstände mir nicht erlaubten, daran teilzunehmen.

Richtig kam es so, daß der Graf diese Frage in Gegenwart seiner Dame an mich stellte. Trotz dem von ihr erhaltenen Befehl, ihm mit ja zu antworten, sagte ich ihm, meine Gesundheit erlaube mir nicht, mir dieses Vergnügen zu verschaffen.

»Da sind Sie sehr vernünftig, mein Herr,« sagte der General zu mir, »man muß alle Vergnügen aufzuopfern wissen, wenn es sich um die Gesundheit handelt.«

Heute denke ich wie er; damals dachte ich anders.

Am Tage des Balls fuhr ich in der Dämmerung in einer Postkutsche ab; ich trug einen Anzug, den in Köln niemand kannte, und hatte einen Koffer bei mir, worin sich zwei Dominos befanden. So fuhr ich in aller Eile nach Bonn, nahm dort ein Zimmer und zog den einen Domino an, während ich den anderen in dem Koffer ließ, den ich gut verschloß. Dann ließ ich mich in einer Sänfte nach dem Schlosse tragen.

Ohne Schwierigkeit trat ich ein und sah, ohne erkannt zu werden, alle Kölner Damen unmaskiert in den Festsälen, unter ihnen auch meine Schöne, die an einem Pharaotische saß und dukatenweise setzte. Ich sah mit Vergnügen, daß der Bankhalter Graf Verità war, ein Veroneser, den ich in Bayern kennen gelernt hatte. Er stand in Diensten des Kurfürsten. Seine kleine Bank war höchstens fünf- oder sechshundert Dukaten stark, und es beteiligten sich höchstens zwölf Personen am Tisch, Herren und Damen zusammen gerechnet. Ich stellte mich neben meine Dame, der Bankhalter gab mir ein Buch und bot mir die Karten zum Abheben an. Ich entschuldigte mich durch eine Gebärde, und meine Nachbarin hob ab, ohne darum gebeten zu sein. Ich setzte zwölf Dukaten auf eine einzige Karte und verlor viermal hintereinander. Bei der zweiten Taille spielte ich wieder so; derselbe Erfolg. Bei der dritten Taille wollte niemand abheben; man bat den General, und dieser tat es, da er nicht spielte. Ich bekam den Einfall, sein Abheben würde mir Glück bringen und setzte fünfzig Dukaten auf eine einzige Karte; ich gewann, bot Paroli und sprengte in der nächsten Taille die Bank. Alle Welt war neugierig, man sah mich an, man ging hinter mir her. Ich benutzte jedoch einen günstigen Augenblick und entwischte.

In meinem Zimmer angekommen, schloß ich mein Geld ein, wechselte den Domino und kehrte auf den Ball zurück. Ich sah den Spieltisch von neuen Kämpen besetzt; ein anderer hielt die Bank und hatte viel Geld vor sich liegen; da ich aber nicht mehr spielen wollte, so hatte ich nur sehr wenig Geld bei mir behalten. Ich mischte mich unter alle Gruppen und hörte überall neugierige Erkundigungen, wer wohl die Maske sein möchte, die die erste Bank gesprengt hätte. Natürlich lag mir wenig daran, diese Neugier zu befriedigen; ich streifte rechts und links umher und entdeckte endlich den Gegenstand meines Suchens im Gespräch mit dem Grafen Verità.

Ich trat in ihre Nähe und hörte, daß sie sich von mir unterhielten. Der Graf sagte ihr, der Kurfürst hätte sich erkundigt, wer die Maske wäre, die seine Bank gesprengt hätte, und der General Ketteler hätte ihm gesagt, es könnte wohl ein Venetianer sein, der vor etwa acht Tagen in Köln angekommen wäre. Die Dame sagte ihm, sie glaube nicht, daß ich da wäre, denn sie hätte mich sagen hören, ich könnte meiner Gesundheit wegen nicht kommen.

»Ich kenne Casanova,« sagte der Graf, »und wenn er in Bonn ist, wird der Kurfürst es erfahren, und er wird nicht abreisen, ohne daß ich mit ihm gesprochen habe.«

Ich wußte natürlich, daß man nach dem Ball mich leicht entdecken könnte, aber ich forderte die Scharfsinnigsten heraus, dieses fertig zu bringen, so lange ich im Saale bliebe. Meine Absicht wäre mir auch gelungen, wenn ich vorsichtig gewesen wäre; aber als die Kontertänze begannen, bekam ich Lust zu tanzen und engagierte mich, ohne daran zu denken, daß ich genötigt sein würde, meine Maske abzunehmen. So kam es denn auch, als ich nicht mehr zurück konnte.

Als meine schöne Dame mich sah, sagte sie mir, sie hätte sich getäuscht; sie hätte wetten mögen, ich sei eine Maske, die die Bank des Grafen Verità, gesprengt hat. Ich antwortete ihr, ich käme soeben erst an. Als der Kontertanz zu Ende war, kam der Graf, der mich bemerkt hatte, auf mich zu und sagte mir: »Mein lieber Landsmann, ich bin überzeugt. Sie sind die Maske, die meine Bank gesprengt hat. Ich wünsche Ihnen Glück dazu.«

»Ich würde mir selber Glück dazu wünschen, wenn ich es wäre.«

»Ich bin meiner Sache sicher.«

Ich ließ ihn reden und lachte; nachdem ich am Büffet einige Erfrischungen zu mir genommen hatte, begann ich wieder zu tanzen. Zwei Stunden darauf kam der Graf lachend wieder und sagte zu mir: »Sie haben in demunddem Hause, in demunddem Zimmer ihren Domino gewechselt. Der Kurfürst weiß alles und hat mir, um Sie für diese Hinterlist zu bestrafen, befohlen, Ihnen zu sagen, daß Sie morgen nicht abreisen werden.«

»Er wird mich also verhaften lassen?«

»Warum nicht, wenn Sie sich weigern, morgen bei ihm zu speisen!«

»Sagen Sie Seiner Hoheit, ich sei in solchen Fällen gefügig und werde seinen Befehlen gehorchen. Wollen Sie mich wohl sofort vorstellen?«

»Er hat sich bereits zurückgezogen, aber kommen Sie morgen Mittag zu mir.«

Er gab mir die Hand und ging.

Ich erschien pünktlich zur verabredeten Zeit; aber als der Graf mich vorstellte, spielte ich einen Augenblick eine traurige Figur, denn der Kurfürst war von fünf oder sechs Hofleuten umgeben, und da ich ihn niemals gesehen hatte, so suchten meine Augen einen Geistlichen, den sie nirgends fanden. Er bemerkte meine Verlegenheit und machte derselben schnell ein Ende, indem er in schlechtem Venetianisch zu mir sagte: »Ich trage heute die Kleidung des Großmeisters des Deutschherrenordens.«

Trotz seiner Kleidung machte ich die übliche Kniebeugung; als ich ihm aber die Hand küssen wollte, verhinderte er mich daran, indem er mir herzlich die meinige schüttelte. Er sagte: »Ich war in Venedig, als Sie unter den Bleidächern gefangen saßen, und mein Neffe, der Kurfürst von Bayern, hat mir mitgeteilt, daß Sie sich nach Ihrer glücklichen Flucht einige Zeit in München aufhielten. Wenn Sie nach Köln gekommen wären, hätte ich Sie dort festgehalten. Ich hoffe, Sie werden nach Tisch so freundlich sein, uns die Geschichte Ihrer Flucht zu erzählen, werden dann zum Abendessen bleiben und an einer kleinen Maskerade teilnehmen, die wir zu unserer Belustigung veranstalten wollen.«

Ich erklärte mich natürlich bereit, meine Geschichte zu erzählen, vorausgesetzt, daß er die Geduld hätte, mich bis zum Ende anzuhören, da ich zwei Stunden dazu gebrauchen würde.

Er war so gütig, mir zu sagen: »Man langweilt sich nicht, wenn man ein Vergnügen genießt.«

Ich belustigte ihn, indem ich ihm das Gespräch erzählte, das ich mit dem Herrn Choiseul über dieses Thema gehabt hatte.

Bei Tisch sprach der Fürst fortwährend venetianisch mit mir und sagte mir die schmeichelhaftesten Dinge. Er war ein fröhlicher, freundlicher und gutmütiger Mann, dessen ganze Erscheinung den Eindruck der Gesundheit machte, so daß sich sein nahes Ende gewiß nicht voraussehen ließ. Er starb schon im folgenden Jahr.

Sobald wir vom Tisch aufgestanden waren, bat er mich, meine Erzählung zu beginnen. Ich war in angeregter Stimmung und hatte das Vergnügen, während zwei langer Stunden die Teilnahme der glänzenden Gesellschaft zu erregen.

Meine Leser kennen diese Geschichte, deren Hauptinteresse auf der wahrhaft dramatischen Situation beruht; aber es ist unmöglich, ihr schriftlich das Feuer mitzuteilen, das eine gut vorgetragene mündliche Erzählung ihr verleiht.

Der kleine Ball beim Kurfürsten war sehr nett. Wir waren alle als Bauern verkleidet, und die Anzüge wurden aus einer besonderen Garderobe des Fürsten geliefert. Die Damen hatten sich in einem anstoßenden Salon angekleidet. Es wäre lächerlich gewesen, andere Kostüme zu wählen, da der Kurfürst sich selber für dieses entschieden hatte. General Ketteler war von der ganzen Gesellschaft am besten verkleidet, denn er war ein Bauer von Natur. Die schöne Frau war entzückend. Es wurden nur Kontertänze und Allemanden getanzt. Von den anwesenden Damen gehörten nur vier oder fünf der vornehmen Gesellschaft an; alle anderen, mehr oder weniger hübschen, gehörten der Privatgesellschaft des Fürsten an, der sein ganzes Leben lang ein großer Liebhaber des schönen Geschlechtes war. Zwei von diesen Damen konnten die Furlana tanzen, und es machte dem Kurfürsten ein unendliches Vergnügen, uns tanzen zu sehen. Ich habe bereits gesagt, daß die Furlana ein venetianischer Tanz ist und daß es auf der ganzen Welt keinen heftigeren gibt. Er wird von einem Kavalier und einer Dame allein getanzt, und da die beiden Tänzerinnen ein Vergnügen darin fanden, sich abzulösen, so machten sie mich beinahe tot. Man muß sehr kräftig sein, um zwölf Touren zu machen, und nach meiner dreizehnten konnte ich nicht mehr und bat sie flehentlich, Mitleid mit mir zu haben.

Bald nachher tanzte man einen gewissen Tanz, wo man bei einer gewissen Tour eine Tänzerin ergreift und sie küßt; ich tat mir keinen Zwang an, sondern küßte meine Schöne feurig, so oft es mir gelang, ihr zu begegnen. Der Bauer-Kurfürst lachte darüber aus vollem Halse, und der Bauer-General platzte vor Ärger.

Während einer kurzen Pause fand die reizende und sehr originelle Frau Gelegenheit, mir im geheimen zu sagen, alle kölnischen Damen würden am nächsten Tage abreisen und es würde mir zur Ehre gereichen, wenn ich sie alle zum Frühstück in Brühl einlüde. »Schicken Sie einer jeden ein Briefchen mit dem Namen ihres Kavaliers und vertrauen Sie sich dem Grafen Verità an; er wird alles aufs beste besorgen, und Sie brauchen ihm bloß zu sagen, Sie wünschten es genau so zu machen wie vor zwei Jahren der Herzog von Zweibrücken. Verlieren Sie keine Zeit! Rechnen Sie auf etwa zwanzig Personen und bestimmen Sie die Stunde; die Hauptsache ist, daß Ihre Briefchen morgen früh vor neun Uhr bestellt sind.«

Dies alles sagte sie mit einer erstaunlichen Schnelligkeit. Ich war beinahe verzaubert von der Herrschaft, die diese außerordentliche Frau über mich auszuüben vermochte, und dachte nur daran, ihr zu gehorchen, ohne mich darüber zu besinnen, ob es auch richtig wäre. Brühl, Frühstück, zwanzig Personen, wie der Herzog von Zweibrücken, Briefchen an die Damen, Graf Verità; ich war vollkommen so gut unterrichtet, wie wenn sie mir alles eine Stunde lang auseinandergesetzt hätte.

Ich verließ in meinem Bauernkleide den Festsaal und bat einen Pagen, mich nach den Gemächern des Grafen Verità zu führen. Dieser lachte laut auf, als er mich in einem solchen Aufzuge sah. Ich trug ihm meine Angelegenheit mit der ganzen Wichtigtuerei eines Diplomaten vor, worüber er sich noch mehr belustigte.

»Ihre Sache ist leicht besorgt; sie kostet mir nur die Mühe, ein paar Zeilen an den Haushofmeister zu schreiben, und dies werde ich auf der Stelle tun; aber sagen Sie mir, wie viel Sie ausgeben wollen.«

»So viel wie möglich.«

»Sie wollen sagen, so wenig wie möglich?«

»Nein, nein! So viel wie möglich; denn ich will meine Gesellschaft prachtvoll bewirten.«

»Wir müssen jedoch eine bestimmte Summe aussetzen, denn ich kenne meinen Mann.«

»Nun, dann also zwei-, dreihundert Dukaten – ist das genug?«

»Zweihundert. Der Fürst von Zweibrücken hat auch nicht mehr ausgegeben.«

Er setzte sich hin, schrieb den Brief und gab mir sein Wort, alles werde bereit sein. Ich wandte mich hierauf an einen sehr aufgeweckten italienischen Pagen und sagte ihm, ich würde zwei Dukaten dem Bedienten geben, der mir sofort die Namen und Adressen der nach Bonn gekommenen kölnischen Damen und ihrer Kavaliere besorgen würde. In weniger als einer halben Stunde hatte ich das Gewünschte, und bevor ich den Ball verließ, meldete ich meiner Dame, alles werde bereit sein, wie sie es gewünscht habe.

Ich schrieb achtzehn Einladungsbriefe, bevor ich zu Bett ging, und am nächsten Morgen vor neun Uhr hatte ein zuverlässiger Lohndiener sie sämlich an ihre Adressen bestellt.

Um neun Uhr verabschiedete ich mich vom Grafen Verità. Er übergab mir im Auftrag des Kurfürsten eine prachtvolle goldene Tabaksdose mit seinem Porträt als Großmeister des Deutschen Ordens, in Diamanten gefaßt. Ich war sehr gerührt von diesem Zeichen des Wohlwollens und sprach dem Grafen meinen Wunsch aus. Seiner Hoheit vor meiner Abreise meinen Dank zu sagen; aber mein liebenswürdiger Landsmann sagte mir, ich könnte meine Absicht verschieben, bis ich auf der Reise nach Frankfurt wieder durch Bonn käme.

Um ein Uhr sollte das Frühstück stattfinden; um zwölf war ich bereits in Brühl. Dies ist ein Lusthaus dieses Kurfürsten, das außer der Mobiliareinrichtung nichts Bemerkenswertes aufzuweisen hat. Es ist eine dürftige Nachahmung von Trianon.

Ich fand in einem schönen Saale eine für vierundzwanzig Personen gedeckte Tafel: vergoldetes Silbergeschirr, Damasttischwäsche, prachtvolles Porzellan und auf dem Büffet eine Menge Silbergeschirr und große Schüsseln von vergoldetem Silber. An dem einen Ende des Saales standen zwei andere Tische, die mit Zuckerwerk und den besten europäischen und fremden Weinen besetzt waren. Ich stellte mich als den Amphitryon des Tages vor, und der Küchenmeister versicherte mir, ich werde zufrieden sein. »Der Imbiß,« sagte er, »wird nur aus vierundzwanzig Schüsseln bestehen; aber Sie werden vierundzwanzig Schüsseln englischer Austern und einen herrlichen Nachtisch haben.« Da ich eine große Zahl von Bedienten sah, sagte ich ihm, diese würden nicht notwendig sein. Aber er bemerkte mir, sie wären es doch, weil die Bedienten meiner Gäste grundsätzlich nicht zugelassen würden; ich möchte mir darum nur keine Sorge machen; der ganzen Dienerschaft wäre dieser Brauch bekannt.

Ich empfing alle meine Gäste am Kutschenschlag; ich brauchte ihnen kein anderes Kompliment zu machen, als daß ich wegen der Kühnheit, sie um die Ehre ihrer Anwesenheit gebeten zu haben, um Verzeihung bat.

Pünktlich um ein Uhr wurde aufgetragen, und ich hatte die Freude, mich an dem Erstaunen zu weiden, das sich in den Augen meiner Dame spiegelte, als sie sah, daß ich sie ebenso prachtvoll bewirtete wie ein deutscher Reichsfürst. Sie wußte, daß niemand daran zweifeln konnte, daß sie der unmittelbare Gegenstand dieses Aufwandes war, aber sie sah mit Freuden, daß ich sie nicht vor den anderen auszeichnete. Es waren vierundzwanzig Gedecke aufgelegt, und obwohl ich nur achtzehn Personen eingeladen hatte, waren alle Stühle besetzt. Drei Paare hatten sich also eingedrängt, aber diese Beeiferung machte mir Vergnügen. Als galanter Kavalier setzte ich mich nicht, sondern bediente die Damen, indem ich von einer zur anderen ging und im Stehen die auserlesenen Bissen aß, die sie um die Wette mir reichten, so sorgte ich dafür, daß alle zufriedengestellt wurden.

Die Austern gingen erst bei der zwanzigsten Flasche Champagner zu Ende, so daß die ganze Gesellschaft schon durcheinander sprach, als das eigentliche Frühstück begann. Dieses Frühstück hätte auch als ein prachtvolles Mittagessen bezeichnet werden können, und ich bemerkte mit großem Vergnügen, daß kein Tropfen Wasser getrunken wurde; denn Champagner, Tokayer, Rheinwein, Madeira, Malaga, Alicante, Cyper- und Kapwein vertragen keinen Wasserzusatz, und nur solche Weine wurden aufgetragen.

Vor dem Nachtisch wurde eine ungeheure Schüssel geschmorter Trüffeln aufgetragen; ich gab den Rat, Maraschino dazu zu trinken; den Damen gefiel dies, und sie tranken den Likör wie Wasser. Das Dessert war wirklich prachtvoll. Man sah dabei die Porträts aller europäischen Herrscher. Alle überhäuften den Küchenmeister mit Komplimenten; dies schmeichelte seiner Eitelkeit, und er sagte, um den Liebenswürdigen zu spielen, alle die Sachen vertrügen die Taschen, und nun steckte jeder nach Herzenslust ein, soviel er wollte.

General Ketteler hatte trotz seiner Eifersucht und trotz der Rolle, die er mich spielen sah, keine Ahnung von dem wirklichen Zusammenhang und sagte: »Ich wette, das ist ein Streich, den der Kurfürst uns zum Abschluß des Festes gespielt hat! Seine Hoheit hat das Inkognito wahren wollen, und Herr Casanova hat seine Rolle sehr gut gespielt.« Über diese Einfalt lachte die ganze Gesellschaft aus vollem Halse.

»Herr General,« sagte ich zu ihm, »wenn der Kurfürst mich mit einem solchen Auftrag beehrt hätte, so würde ich selbstverständlich gehorcht haben, aber er hätte mich gedemütigt. Seine Hoheit hat mir eine viel größere Gnade zu erweisen geruht. Sehen Sie!«

Mit diesen Worten reichte ich ihm die Dose, die zwei- oder dreimal um den Tisch wanderte.

Als wir fertig waren, standen alle auf, und ein jeder war erstaunt, drei Stunden lang eines Vergnügens genossen zu haben, das ein jeder doch gerne noch verlängert hätte. Aber endlich mußten wir uns doch trennen, und nach tausend schönen Komplimenten fuhren alle weiter, um noch rechtzeitig zum Theater zu kommen. Ebenso befriedigt wie meine Gäste, hinterließ ich dem Küchenmeister zwanzig Dukaten als Trinkgeld für die Dienerschaft. Außerdem versprach ich ihm, dem Grafen Verità schriftlich meine Zufriedenheit auszusprechen.

Ich kam in Köln noch früh genug an, um das kleine Stück zu sehen, das die französischen Schauspieler aufführten, und da ich keinen Wagen hatte, so ließ ich mich in einer Sänfte in das Theater bringen. Als ich in den Saal trat, erblickte ich den Grafen Lastic mit meiner Schönen. Ich sah darin ein gutes Vorzeichen und suchte sie auf. Als sie mich sah, sagte sie in traurigem Tone, der General befinde sich so unwohl, daß er sich habe zu Bett legen müssen. Als gleich darauf Herr von Lastic hinausging, ließ sie den Ton verstellter Traurigkeit fallen und sagte mir mit vollendeter Anmut tausend Komplimente, die mich hundertmal für mein Frühstück bezahlt machten. »Der General,« sagte sie, »hat zu viel getrunken; er ist ein häßlicher Neidhammel; er fand, es käme Ihnen nicht zu, uns wie ein Fürst zu bewirten. Ich habe ihm geantwortet. Sie hätten im Gegenteil uns wie Fürsten bewirtet, indem Sie wie ein Knecht, die Serviette über dem Arm, uns aufgewartet hätten. Er schimpfte mich aus, weil ich Sie verteidigte.«

»Warum schicken Sie ihn nicht zum Kuckuck, gnädige Frau? Ein Bauer, wie er, ist nicht der Mann, einer so ausgezeichneten Schönheit zu dienen!«

»Es ist zu spät, mein Freund. Eine Frau, die Sie nicht kennen, würde sich seiner bemächtigen. Ich müßte mich verstellen und das würde mir schmerzlich sein.«

»Das begreife ich vollkommen. Warum bin ich nicht ein großer Fürst! Einstweilen gestatten Sie mir, Ihnen zu sagen, daß ich viel kränker bin als Ketteler.«

»Ich hoffe, Sie scherzen!«

»Nein, durchaus nicht. Ich spreche in vollem Ernst: die Küsse, die ich so glücklich war auf dem Ball Ihnen zu rauben, haben mein Blut entzündet, und wenn Sie nicht so barmherzig sind, mir das einzige mögliche Heilmittel zu bewilligen, so werde ich von hier abreisen, um mein Leben lang unglücklich zu sein.«

»Verschieben Sie Ihre Abreise. Stuttgart kann Ihnen so sehr nicht am Herzen liegen. Ich denke an Sie, glauben Sie mir, und ich will Sie nicht betrügen; aber die Gelegenheit ist schwierig.«

»Wenn Sie heute Abend nicht den Wagen des Generals hätten und wenn ich den meinigen hätte, so könnte ich Sie in allen Ehren nach Hause bringen.«

»Seien Sie still! Sie haben Ihren Wagen nicht da – so ist es meine Sache, Sie nach Hause zu bringen. Der Einfall ist köstlich, lieber Freund, aber es darf nicht aussehen, wie wenn wir uns vorher verabredet hätten. Sie reichen mir den Arm und führen mich an meinen Wagen; ich frage Sie, wo Ihr Wagen sei; Sie sagen mir, Sie haben keinen; ich lade Sie ein, bei mir einzusteigen, und lasse Sie bei Ihrem Gasthof aussteigen. Es werden nur zwei Minuten sein, aber bis wir Besseres finden, ist es immerhin etwas.«

Ich antwortete ihr nur mit einem Blick, worin sich meine freudetrunkene Hoffnung auf Glück aussprach.

Das sehr kurze Stück schien mir eine Ewigkeit zu währen. Endlich fiel der Vorhang, und wir gingen hinaus. Am Kutschenschlag richtete sie die verabredeten Fragen an mich; als ich ihr aber sagte, ich hätte keinen Wagen, rief sie: »Ich fahre nach dem Gasthof des Generals, um mich nach seinem Befinden zu erkundigen; wenn Ihnen die Fahrt nicht zu lang ist, kann ich Sie auf dem Rückwege vor Ihrer Tür absetzen.«

Der Einfall war göttlich: wir mußten zweimal durch die lange schlecht gepflasterte Stadt fahren und gewannen dadurch ein bißchen Zeit. Unglücklicherweise war der Wagen halboffen, und auf der Hinfahrt schien der Mond uns ins Gesicht. Ich nannte ihn damals nicht das schützende Gestirn der Liebe. Wir taten, was wir konnten, aber das war so gut wie nichts, und dies Spiel brachte mich zur Verzweiflung, obgleich meine entzückende Partnerin ihr möglichstes tat, um den Genuß vollständig zu machen. Zum größten Unglück drehte der Kutscher, ein frecher neugieriger Bursche, zuweilen sich um, wodurch wir genötigt wurden, unsere Bewegungen zu mäßigen. Die Schildwache sagte dem Kutscher, Seine Exzellenz sei für niemanden zu sprechen, und wir fuhren hocherfreut nach meinem Gasthof, denn nun hatten wir den Mond im Rücken, und die Neugier des Kutschers war uns weniger lästig. Es ging ein bißchen besser, oder vielmehr ein bißchen weniger schlecht, als auf dem Hinwege, aber es kam mir vor, wie wenn die Pferde nur so über das Pflaster dahinsausten. Da ich jedoch die Notwendigkeit fühlte, für den Fall einer Wiederholung den Kutscher günstig zu stimmen, so gab ich ihm beim Aussteigen einen Dukaten.

Ermattet und unglücklich, obwohl verliebter denn je, ging ich zu Bett; denn meine Schöne hatte mich überzeugt, daß sie durchaus nicht gefühllos war, sondern die Wollust mit ebensolchem Feuer genoß, wie sie sie spendete. Unter diesen Umständen beschloß ich, Köln nicht eher zu verlassen, als bis ich mit diesem wahrhaft göttlichen Weibe den Becher der Lust geleert hätte; dies aber konnte, wie mich dünkte, erst gelingen, nachdem der General die Stadt verlassen hätte.

Am nächsten Mittag ging ich nach dem Gasthof des Generals, um mich einzuschreiben; er empfing jedoch, und man ließ mich eintreten. Madame war zugegen. Ich richtete an den General einige den Umständen angemessene Worte, aber der grobe Österreicher antwortete darauf nur mit einem recht kühlen Kopfnicken. Es standen viele Offiziere herum, und nach vier Minuten machte ich eine Verbeugung in die Runde und ging. Der Flegel hütete drei Tage lang das Zimmer, und da infolgedessen Madame nicht ins Theater kam, war ich des Vergnügens beraubt, sie zu sehen.

Am letzten Tage des Karnevals lud Ketteler eine Menge Leute zu einem Souper ein, auf welches ein Ball folgen sollte. Ich machte der liebenswürdigen Dame meine Aufwartung in ihrer Loge, und als ich mich einen Augenblick mit ihr allein befand, fragte sie mich: »Sind Sie vom General zum Souper eingeladen?«

»Nein.«

»Wie?« rief sie entrüstet; »Sie sind nicht eingeladen? Sie müssen trotzdem hingehen!«

»Wo denken Sie hin, gnädige Frau?« sagte ich sanft. »Ich werde Ihnen in allen Dingen gehorchen, nur hierin nicht!«

»Ich weiß alles, was Sie mir sagen können; aber Sie müssen trotzdem hingehen. Ich würde mich für entehrt halten, wenn Sie nicht an dem Abendessen teilnähmen. Wenn Sie mich lieben, werden Sie mir diesen Beweis Ihrer Zärtlichkeit, ich wage es zu sagen: Ihrer Achtung geben!«

»Sie verlangen es – ich werde hingehen. Aber sagen Sie mir, anbetungswürdiges Weib, fühlen Sie nicht, daß Ihr Befehl mich der Gefahr aussetzt, mein Leben zu verlieren oder ihn zu töten? Denn ich bin nicht der Mann, eine Beschimpfung hinunterzuschlucken.«

»Ich fühle alles. Ihre Ehre liegt mir ebenso sehr am Herzen wie meine eigene, ja sogar noch mehr; aber es wird Ihnen nichts geschehen: ich nehme alles auf mich. Sie müssen hingehen! Versprechen Sie es mir jetzt; denn mein Entschluß steht fest. Wenn Sie nicht hingehen, gehe ich auch nicht; aber dann dürfen wir uns niemals wiedersehen.«

»Ich werde hingehen; verlassen Sie sich auf mich.«

Da Herr von Castries in die Loge trat, entfernte ich mich und ging ins Parkett, wo ich zwei peinliche Stunden verbrachte, da ich von dem ungewöhnlichen Schritt, den die Dame von mir verlangte, böse Folgen voraussah. Indessen war ich fest entschlossen, mein Versprechen zu halten, so unwiderstehlich war der Einfluß der schönen Frau auf mein ganzes Sein. Ich nahm mir vor, mich so gut wie möglich zu benehmen, um nach Möglichkeit den Verstoß zu mildern, den man mir zur Last legen würde.

Nach dem Schluß der Vorstellung begab ich mich zum General; ich fand nur fünf oder sechs Personen anwesend. Ich trat zu einer Stiftsdame heran, die eine große Vorliebe für die italienische Poesie hatte, und verwickelte sie ungezwungen in ein interessantes Gespräch. Eine halbe Stunde später war der Saal voll; zuletzt kam meine Schöne mit dem General. Mit der Stiftsdame beschäftigt, rührte ich mich nicht; infolgedessen bemerkte Ketteler mich nicht und Madame, die in sehr heiterer Stimmung war, ließ ihm keine Zeit, seine Gäste zu mustern; bald darauf war er am anderen Ende des Saales in ein Gespräch verwickelt. Nach einer Viertelstunde wurde zum Essen gerufen. Die Stiftsdame stand auf, nahm meinen Arm, und schon saßen wir nebeneinander an der Tafel, ohne unser Gespräch über die italienische Literatur zu unterbrechen. Aber schon nahte die Katastrophe! Als alle Plätze besetzt waren, fand es sich, daß ein Herr, der eingeladen war, noch stand und daß für ihn kein Gedeck da war.

»Aber das ist ja unmöglich!« rief der General laut. Während die Stühle zusammengerückt wurden, um ein Gedeck einzuschieben, hielt der General Musterung. Ich tat, wie wenn ich von alledem nichts merkte, aber als sein Blick endlich bei mir anlangte, sagte er mit lauter Stimme: »Mein Herr, ich habe Sie nicht einladen lassen.«

»Das ist wahr, Herr General,« sagte ich ehrerbietig, »aber ich habe geglaubt, und ohne Zweifel mit Recht geglaubt, es sei nur aus Versehen vergessen worden, und meinte daher, nicht unterlassen zu dürfen, Eurer Exzellenz meine Aufwartung zu machen.«

Nach diesen Worten nahm ich sofort meine Unterhaltung mit der Stiftsdame wieder auf, ohne einen Menschen anzusehen. Fünf Minuten lang herrschte tiefstes Schweigen, aber nachdem ich einige angenehme Bemerkungen der Stiftsdame aufgenommen und an andere Gäste weiter geschickt hatte, bemächtigte bald eine angenehme Stimmung sich der ganzen Gesellschaft; nur der General schmollte. Dies machte mir an und für sich wenig aus, aber mein Selbstgefühl erheischte, seine Stirnfalten sich glätten zu sehen, und ich spähte daher nach einem günstigen Augenblick, um dieses Wunder zu bewirken. Die Gelegenheit dazu bot sich beim zweiten Gange.

Herr de Castrics lobte die Dauphine; dadurch kam das Gespräch auf ihre Brüder, den Grafen von der Lausitz und den Herzog von Kurland, und von diesen auf den ehemaligen Herzog Biron, der in Sibirien war, und auf dessen persönliche Eigenschaften. Einer der Gäste bemerkte, er habe weiter kein Verdienst, als daß er der Kaiserin Anna gefallen habe; ich bat ihn um Verzeihung und sagte: »Sein größtes Verdienst besteht darin, daß er dem letzten Herzog Ketteler treu gedient hat, dem ohne den Mut dieses heute so unglücklichen Mannes während des Krieges sein ganzes Gepäck verloren gegangen wäre. Es war ein heldenmütiger Zug, der von der Weltgeschichte aufbewahrt zu werden verdient, daß Ketteler ihn an den Petersburger Hof schickte; Biron aber hat sich niemals um das Herzogtum beworben. Er wollte sich nur die Grafschaft Wartenberg sichern; denn er erkannte die Rechte der jüngeren Linie des Hauses Ketteler an, das ohne die Laune der Zarin heute noch herrschen würde. Diese wollte aus ihrem Günstling durchaus einen Herzog machen.«

Das Gesicht des Generals hatte sich während dieser Erzählung aufgeheitert, und er sagte mir so freundlich, wie es ihm überhaupt möglich war, er habe niemals einen Menschen so gut unterrichtet gefunden, wie mich; und in bedauerndem Tone fügte er hinzu: »Ja, ohne diese Laune wäre ich jetzt ein regierender Herr.«

Nach dieser bescheidenen Bemerkung lachte er laut auf und schickte mir eine Flasche Rheinwein von besonderer Güte. Während der ganzen übrigen Dauer des Abendessens unterhielt er sich nur noch mit mir. Ich freute mich innerlich der Wendung, die meine Sache genommen hatte, noch mehr aber der Befriedigung, die ich in den schönen Augen meiner Dame las.

Wir tanzten die ganze Nacht hindurch, und ich wich meiner Stiftsdame nicht von der Seite; übrigens war diese eine reizende Frau und tanzte ganz entzückend. Mit meiner Dame erlaubte ich mir nur ein einziges Menuett zu tanzen. Gegen Ende des Balls fragte der General in seiner plumpen Weise mich, ob ich nicht bald abreisen würde; ich antwortete ihm, ich gedächte Köln erst nach der großen Parade zu verlassen. Ich war hocherfreut, der Frau Bürgermeisterin den denkbar größten Beweis meiner Liebe gegeben zu haben, und ich war dem Glück dankbar, das mir so freundlich geholfen hatte, meinen ungezogenen General zur Vernunft zu bringen; denn Gott weiß, was ich getan hätte, wenn er sich so weit vergessen haben würde, mich von der Tafel fortzuschicken.

Bei unserem ersten Wiedersehen sagte meine Schöne mir, eine tödliche Angst habe sie durchschauert, als sie ihn sagen hörte, er habe mich nicht eingeladen. »Ganz gewiß wäre er dabei nicht stehen geblieben, wenn Ihre vornehme Antwort ihn nicht zurückgehalten hätte. Aber hätte er noch ein Wort mehr gesagt, so stand mein Entschluß fest.«

»Und was war dies für ein Entschluß?«

»Ich wäre aufgestanden, hätte Ihnen meine Hand gereicht, und wir wären zusammen hinausgegangen. Herr von Castries hat mir gesagt, er würde es ebenso gemacht haben, und ich glaube, alle Damen, die Sie nach Brühl eingeladen hatten, wären unserem Beispiel gefolgt.«

»Aber damit wäre die Sache noch nicht erledigt gewesen; denn selbstverständlich hätte ich von ihm auf der Stelle Genugtuung verlangt, und wenn er mir diese verweigert hätte, so würde ich ihm meinen Degen durch den Leib gerannt haben.«

»Ich fühle dies; aber ich bitte Sie zu vergessen, daß ich Sie einer solchen Gefahr ausgesetzt habe. Ich für mein Teil werde niemals vergessen, wie viel ich Ihnen schuldig bin, und ich werde Sie von meiner Dankbarkeit überzeugen.«

Zwei Tage darauf erfuhr ich, daß sie unwohl sei; ich ging um elf Uhr vormittags zu ihr, da ich bestimmt wußte, daß ich um diese Stunde den General nicht bei ihr antreffen würde. Sie empfing mich in dem Zimmer ihres Mannes, der mich auf das freundschaftlichste bat, ich möchte ihnen die Ehre erweisen, an ihrem Familienessen teilzunehmen. Ich beeilte mich, diese Einladung mit Dank anzunehmen, und dieses Mittagessen war mir angenehmer als Kettelers prunkvolles Souper. Der Bürgermeister war ein recht schöner Mann, von angenehmem Wesen, klug und sehr gebildet. Er liebte den häuslichen Frieden, und seine Frau, die er glücklich machte, mußte ihn lieb haben; denn er war keiner von den Männern, welche sagen: »Magst du allen mißfallen, wenn du nur mir gefällst.«

Als ihr Mann auf kurze Zeit fortgegangen war, zeigte sie mir ihr ganzes Haus. »Hier ist unser Schlafzimmer und hier eine Kammer, worin ich jeden Monat fünf oder sechs Tage schlafe, wenn der Anstand es erfordert. Dies hier ist eine öffentliche Kirche, die wir aber als unsere Privatkapelle ansehen können, da wir von diesen beiden vergitterten Fenstern aus die Messe hören. Sonntags gehen wir diese Treppe hinunter und betreten die Kirche durch eine kleine Tür, zu der ich stets den Schlüssel bei mir trage.«

Wir hatten den zweiten Sonnabend der Fastenzeit; unser Mittagessen aus Fastenspeisen war ausgezeichnet; aber dieses interessierte mich am wenigsten, mich entzückte der Anblick dieser schönen jungen Frau, die von ihres Mannes Kindern aus erster Ehe umgeben war und von ihrer Familie angebetet wurde. Ich ging frühzeitig nach Hause und schrieb an Esther, die ich nicht vernachlässigte, so sehr mich auch meine neue Leidenschaft in Anspruch nahm.

Am nächsten Morgen ging ich in die kleine Kirche des Bürgermeisters, um dort die Messe zu hören; um nicht aufzufallen, trug ich einen Überrock. Es war ein Sonntag, und ich sah meine Schöne, die eine Kapuze trug, in Begleitung ihrer ganzen Familie die Kirche verlassen. Ich bemerkte die kleine Tür, die so geschickt in die Wand eingelassen war, daß man sie kaum entdecken konnte, wenn man von ihrem Vorhandensein nichts wußte; sie öffnete sich nach innen, nach der Treppe zu.

Der Teufel, der bekanntlich in der Kirche mehr Macht hat als anderswo, flößte mir den Plan ein, mir mit Hilfe dieser Tür den Genuß meiner Schönen zu verschaffen. Ich teilte ihr meinen Gedanken gleich am nächsten Tage im Theater mit. »Ich habe ebenfalls daran gedacht,« antwortete sie lachend, »und ich werde Ihnen schriftlich die erforderlichen Anleitungen geben; Sie werden sie in einer Zeitungsnummer finden, die ich Ihnen übergeben werde.«

Wir konnten dieses köstliche Gespräch nicht fortsetzen, denn sie hatte eine Dame aus Aachen bei sich, die auf einige Tage bei ihr zu Besuch war und der sie sich widmen mußte. Außerdem war die Loge voll von Besuchern.

Ich brauchte nicht lange zu warten, denn schon am nächsten Tage übergab sie mir vor allen Leuten das Zeitungsblatt mit der Bemerkung, sie habe nichts Interessantes darin gefunden. Ich wußte, daß es für mich sehr interessant sein würde. Ihr Brief lautete folgendermaßen: »Der schöne Plan, den die Liebe eingegeben hat, bietet keine Schwierigkeit, aber viel Ungewißheiten. Die Frau schläft in der Kammer nur dann, wenn der Mann sie darum bittet; dies kommt nur zu gewissen Epochen vor, und die Trennung dauert nur vier oder fünf Tage. Dieser Zeitpunkt ist nicht mehr fern. Infolge der langen Gewohnheit ist es ihr nicht möglich, ihn darüber zu täuschen; man muß also warten. Die Liebe wird Ihnen melden, wann die Stunde des Glückes geschlagen hat, Man muß sich in der Kirche verstecken. Es ist nicht daran zu denken, den Mann zu bestechen, der sie öffnet und schließt; denn er ist zwar arm, aber zu dumm, um sich bestechen zu lassen. Er würde das Geheimnis verraten. Um seine Wachsamkeit zu täuschen, gibt es kein anderes Mittel, als sich zu verstecken. An Wochentagen schließt er die Kirche mittags, an Sonntagen erst gegen Abend; er öffnet sie, sobald der Morgen dämmert. Sollte der Fall eintreten, so braucht man nur einen leichten Druck auf die Tür zu üben, die an dem betreffenden Tage nicht von innen verschlossen sein wird. Da die Kammer, worin der glückliche Kampf stattfinden soll, nur durch eine einfache Scheidewand vom Schlafzimmer getrennt ist, so muß man beachten, daß man weder ausspucken, noch husten, noch sich schneuzen darf, denn dies wäre das größte Unglück. Das Hinauskommen wird keine Schwierigkeiten machen: man geht in die Kirche hinunter und verläßt diese, sobald sie geöffnet wird. Da der Küster den Betreffenden am Abend nicht bemerkt hat, so ist bestimmt anzunehmen, daß er ihn auch am Morgen nicht sehen wird.«

Hundertmal küßte ich dieses reizende Schreiben, in welchem ich einen überlegenen Geist fand, und gleich am nächsten Tage sah ich mir die Örtlichkeit an; dies war die Hauptsache. In der Kirche befand sich eine Kanzel, worin kein Mensch mich hätte entdecken können, aber die Treppe führte von der Sakristei aus hinauf, und diese war immer verschlossen. Ich entschied mich für einen Beichtstuhl, der ganz dicht neben der Tür stand. Indem ich mich auf der Stelle zusammenkauerte, wo der Beichtvater seine Füße hinsetzte, konnte ich nicht gesehen werden; aber der Raum war so eng, daß ich anfangs glaubte, er würde mich nicht fassen, wenn die Tür geschlossen wäre. Ich wartete bis Mittag, um es auszuprobieren, und sobald die Kirche leer war, machte ich den Versuch. Ich mußte mich zusammenkauern und war trotzdem durch die durchbrochene Tür so schlecht gedeckt, daß jemand, der in einer Entfernung von zwei Schritt vorübergegangen wäre, mich leicht hätte sehen können. Trotzdem schwankte ich nicht; denn bei allen derartigen Unternehmungen kann man niemals etwas erreichen, wenn man nicht viel dem Glück überläßt. Ich war entschlossen, allen Zufällen zu trotzen, und ging sehr zufrieden mit meinen Entdeckungen nach Hause. Ich schrieb alle meine Beobachtungen und meinen Entschluß nieder, legte den Zettel in eine alte Zeitung und übergab ihr diese noch am gleichen Abend in ihrer Loge, wo wir uns täglich zu treffen pflegten.

Etwa acht Tage später fragte sie in meiner Gegenwart den General, ob er ihrem Mann irgend einen Auftrag zu geben habe; dieser werde am nächsten Tage nach Aachen reisen und in drei Tagen wieder zurück sein. Dies war deutlich genug für mich; zum Überfluß sagte ein Blick von ihr mir noch, daß ich mir die Gelegenheit zunutze machen müsse. Meine Freude war um so größer, da der nächste Tag ein Feiertag war; ich brauchte mich daher erst mit Einbruch der Nacht im Beichtstuhl zu verstecken und ersparte mir dadurch ein unangenehmes Warten von mehreren Stunden; dies war mir angenehm, weil ich etwas erkältet war.

Es war vier Uhr, als ich mich in dem Beichtstuhl so gut es ging versteckte, indem ich mich allen Heiligen empfahl. Um fünf Uhr machte der Küster seinen gewöhnlichen Umgang durch die Kirche, ging hinaus und verschloß die Tür. Sobald ich das Geräusch der Schlüssel gehört hatte, verließ ich mein enges Gefängnis und setzte mich auf eine Bank den Fenstern gegenüber. Einige Augenblicke später erblickte ich ihren Schatten hinter den Gittern und hatte nun die Gewißheit, daß sie mich gesehen habe.

Ich blieb ungefähr eine Viertelstunde auf meiner Bank sitzen; dann öffnete ich die kleine Tür und trat ein. Nachdem ich sie wieder geschlossen hatte, tastete ich mich vorwärts und setzte mich auf die untersten Treppenstufen nieder; hier verbrachte ich fünf Stunden, die mir in der Erwartung des Glücks nicht peinlich erschienen wären, wenn nicht die Ratten, die fortwährend hin und her liefen, mich fürchterlich gequält hätten. Die Natur hat mir einen unüberwindlichen Abscheu vor diesem Tierchen eingeflößt, das nicht sehr zu fürchten ist, dessen Gestank mir aber eine sehr unangenehme Übelkeit verursacht.

Punkt zehn Uhr schlug endlich die Schäferstunde; eine Kerze in der Hand, erschien der Gegenstand meiner Wünsche und machte meiner peinlichen Lage ein Ende. Wenn meine Leser selbst so etwas erlebt haben, so werden sie sich alle Wonnen dieser köstlichen Nacht vorstellen können, aber die Einzelheiten werden sie nicht erraten; denn, wenn ich ein erfahrener Kämpe war, so war meine Partnerin unerschöpflich in Mitteln, die Wonnen des süßen Liebesspieles zu erhöhen. Sie hatte einen kleinen, sehr lecker aussehenden Imbiß für mich zurecht gemacht, aber ich rührte ihn nicht an, denn ich hatte einen anderen Appetit, den ich nur sättigen konnte, indem ich unaufhörlich aller ihrer Schönheiten genoß.

Unsere Genüsse beschäftigten uns sieben volle Stunden, die mir recht kurz vorkamen, obwohl wir uns keine Ruhe gegönnt hatten, außer um die Wollust mit den süßesten Reden zu würzen.

Der Bürgermeister war einer großen Leidenschaft nicht fähig, aber sein kräftiges Temperament genügte ihm, um bei seiner Frau jede Nacht pünktlich seine Gattenpflicht zu erfüllen; aus Gesundheitsrücksichten oder aus religiösen Bedenken verzichtete er jedoch auf seine Rechte, sobald der Mond die seinigen in Anspruch nahm, und um sich gegen die Versuchung zu schützen, hielt er sich dann seiner teuren Ehehälfte fern. Dieses Mal aber befand die liebenswürdige Dame sich nicht in dem etwas peinlichen Falle der Trennung.

Erschöpft, aber nicht gesättigt, verließ ich sie mit Tagesanbruch, indem ich ihr versicherte, sie werde beim nächsten Wiedersehen in mir den gleichen finden. Ich begab mich wieder in den Beichtstuhl, voller Furcht, daß der erwachende Tag mich den Augen des Küsters verraten könnte. Ich kam jedoch mit der Furcht davon und verließ ohne Unfall die Kirche. Ich verbrachte beinahe den ganzen Tag im Bett, indem ich mir ein ausgezeichnetes Mittagessen auf das Zimmer bringen ließ. Am Abend ging ich ins Theater, um mich an dem Anblick der reizenden Frau zu werden, deren Besitz ich der Liebe und Beständigkeit verdankte.

Nach Verlauf von vierzehn Tagen steckte sie mir ein Briefchen zu, worin sie mir mitteilte, daß sie die nächste Nacht allein schlafen würde. Es war ein Wochentag; da infolgedessen die Kirche nur bis zum Mittag geöffnet war, ging ich schon um elf Uhr hin, nachdem ich ein reichliches Frühstück zu mir genommen hatte. Ich versteckte mich in meinem Loch, und der Küster schloß die Tür, ohne irgend etwas gesehen zu haben.

Ich hatte zehn Stunden vor mir, und wenn ich daran dachte, daß ich diese zum Teil in einem Winlel der Kirche, zum Teil auf der dunklen Treppe in Gesellschaft einer Menge von Ratten verbringen mußte, ohne auch nur eine Prise Tabak nehmen zu können, weil ich ja nicht niesen durfte – dann fand ich die Sache nicht gerade lustig; anderseits erleichterte die Hoffnung auf die Belohnung mir diese Lage. Aber gegen ein Uhr hörte ich ein leises Geräusch und sah eine Hand sich durch das Gitter strecken und ein Papier auf den Fußboden werfen. Mit heftigem Herzklopfen lief ich hin, denn mein erster Gedanke war, daß irgendein Hindernis eingetreten wäre; dadurch wäre mir ein küstlicher Genuß entgangen und ich hätte dafür die Aussicht gehabt, eine ganze Nacht auf den Kirchenbänken zu verbringen. Ich öffnete den Brief und las mit Entzücken folgende Worte: »Die Tür ist offen. Sie werden es bequemer auf der Treppe haben; dort finden Sie Licht, eine kleine Mahlzeit und Bücher. Sie werden unbequem sitzen; aber dagegen habe ich nichts anderes machen können, als daß ich ein kleines Kissen hinlegte. Die Zeit wird Ihnen weniger lang erscheinen als mir, glauben Sie mir das; aber seien Sie geduldig! Ich habe dem General gesagt, ich würde heute nicht ausgehen, weil ich mich unwohl fühlte. Um Gottes willen husten Sie nich, besonders nicht nachts! Wir würden verloren sein.«

Wie erfinderisch macht doch die Liebe! Ich zögerte nicht einen Augenblick, trat ein und fand ein sauberes Gedeck, leckere Speisen, köstliche Weine, einen Kocher mit Weingeist, Kaffee, Zitronen, Zucker und Rum, um Punsch zu machen, falls ich dazu Lust bekommen sollte. Hiermit und mit einigen unterhaltenden Büchern konnte ich schon warten; aber ich war erstaunt, daß die reizende Frau dies alles hatte machen können, ohne daß jemand von der Familie etwas davon merkte.

Ich verbrachte drei Stunden mit Lesen, und drei andere damit, daß ich aß, Kaffee machte und Punsch trank; hierauf schlief ich ein. Um zehn Uhr kam mein Engel und weckte mich. Diese zweite Nacht war süß, aber lange nicht so süß wie die erste, denn wir waren des Vergnügens beraubt, uns zu sehen, und die lästige Nachbarschaft des lieben Gatten legte uns bei unseren Liebeskämpfen einigen Zwang auf. Wir schliefen einen Teil der Nacht, und am Morgen mußte ich schon in aller Frühe vorsichtig meinen Rückzug antreten.

Hiermit endete meine Liebschaft mit dieser Schönen. Der General reiste nach Westfalen, und sie selber mußte bald aufs Land gehen. Ich beschloß daher, Köln zu verlassen, indem ich ihr versprach, im nächsten Jahre wieder zu kommen. Wie man sehen wird, konnte ich dieses Versprechen nicht halten. Ich nahm Abschied von meinen Bekannten, die meine Abreise bedauerten.

Der zweieinhalb Monate lange Aufenthalt in dieser Stadt verminderte mein Vermögen nicht, obgleich ich jedesmal, wenn ich spielte, mein Geld verlor. Der Abend in Bonn machte jedoch alles reichlich wieder gut. Mein Bankier, Herr Franck, beklagte sich, daß ich kein Geld von ihm genommen hätte; aber ich mußte vernünftig sein, denn ich wurde scharf beobachtet, und ich wollte meine Freunde überzeugen, daß ich es verdiente, von ihnen gut behandelt zu werden.

Gegen Mitte März verließ ich Köln. In Bonn machte ich Halt, um dem Kurfürsten meine Aufwartung zu machen, aber er war abwesend. Ich speiste mit dem Grafen Berità und mit dem Günstling des Fürsten, dem Abbé Scampar. Nach dem Essen gab der Graf mir einen Brief für eine Stiftsdame in Koblenz, deren Lob er mir sang. Infolgedessen mußte ich in Koblenz Halt machen; aber anstatt der Dame, die nach Mannheim gefahren war, traf ich in dem Gasthof, wo ich abstieg, eine Schauspielerin, namens Toscani, die mit ihrer sehr jungen und sehr schönen Tochter nach Stuttgart zurückreiste. Sie kam von Paris, wo sie ein Jahr zugebracht hatte, um ihrer Tochter von dem berühmten Bestris Unterricht im Charaktertanz geben zu lassen. Ich hatte sie in Paris gekannt, aber nicht eben sehr auf sie geachtet, obgleich ich ihr einen kleinen Wachtelhund geschenkt hatte, der der Liebling ihrer Tochter war. Die junge Person war ein wahres Kleinod, und es kostete ihr keine Mühe, mich zu überreden, sie nach Stuttgart zu begleiten, wo es mir überdies an allen erdenklichen Unterhaltungen nicht fehlen konnte. Die Mutter war ungeduldig, zu sehen, wie der Herzog ihre Tochter finden würde, die sie von Kindheit an für diesen wollüstigen Fürsten bestimmt hatte. Obgleich er eine anerkannte Maitresse hatte, so ließ er sich doch keine von den Ballettfigurantinnen entgehen, wenn sie ihm gefiel.

Wir speisten selbdritt, und da zwei Kulissenheldinnen dabei waren, so kann man sich wohl denken, daß unsere Unterhaltung nicht eben aus moralischen Denksprüchen bestand. Die Toscani sagte mir, ihre Tochter sei noch vollkommen unberührt, und sie sei fest entschlossen, dem Herzog nicht eher zu erlauben, sie anzurühren, als bis er die herrschende Maitresse entlassen hätte, deren Stelle dann ihre Tochter einnehmen sollte. Diese Maitresse war die Tänzerin Gardella, die Tochter eines venetianischen Barkarolen, von der ich im ersten Bande gesprochen habe. Sie war die Frau des Michele Agata, und ich hatte sie in München getroffen, als ich aus den schrecklichen Bleikammern entflohen war, in denen ich so lange geschmachtet hatte.

Da ich an der Behauptung der Mutter zu zweifeln schien und ihnen durch einige ziemlich deutliche Anspielungen zu verstehen gab, daß nach meiner Meinung die erste Blüte schon in Paris gepflückt worden sei, und daß der Herzog von Württemberg nur die zweite bekommen werde, so mischte ihre Eitelkeit sich ins Spiel. Ich schlug ihnen vor, sie möchten mich mit meinen eigenen Augen mich überzeugen lassen, und es wurde feierlich ausgemacht, daß dies am nächsten Tage vor sich gehen sollte. Sie waren ihrem Versprechen getreu, und ich hatte wirklich am nächsten Morgen einen sehr hübschen Zeitvertreib, der zwei Stunden dauerte und mich nötigte, an der Mutter die ganze Glut zu löschen, die die Tochter in mir entzündet hatte.

Obgleich die Toscani noch jung war, würde sie mich eiskalt gefunden haben, wenn ihre reizende Tochter mich nicht aufgeregt hätte, ohne mich befriedigen zu können, denn die Mutter hatte nicht genug Vertrauen zu mir, um mich mit diesem Juwel allein zu lassen. Sie trat an ihre Stelle und stand sich gut dabei.

Ich entschloß mich also, mit diesen beiden Nymphen nach Stuttgart zu reisen, wo ich die Binetti sehen sollte, die immer noch mit Begeisterung von mir sprach. Diese Schauspielerin war eine Tochter des Barkarolen Romano. Ich hatte ihr geholfen, die Bühne betreten zu können, und in demselben Jahre hatte Frau von Balmarana sie mit einem französischen Tänzer namens Binet verheiratet, der seinen Namen durch Hinzufügung einer Silbe italienisiert hatte, wie andere auf die gleiche Weise sich adelig machen. Ferner sollte ich dort finden: die Gardella, den jüngeren Baletti, den ich sehr gern hatte, die junge Vulcani, die er geheiratet hatte, und mehrere alte Bekanntschaften, durch die nach meiner Meinung mein Aufenthalt in Stuttgart köstlich werden mußte. Aber man wird bald sehen, wie gefährlich es ist, die Rechnung ohne den Wirt zu machen. Auf der letzten Poststation trennte ich mich von meinen Schauspielerinnen; in Stuttgart stieg ich im Bären ab.