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961. Nacht

Sie nahm die Laute und sang:

„Werde ich wohl je den Geliebten wieder sehen, von
dem ich so gewaltsam getrennt wurde?
O wie schön war doch sein Anblick! Wie glänzend sein Gesicht! Glich er der
Sonne oder dem aufgehenden Mond?
Ich bitte den, der uns trennte, und unsere Trennung veranlasste, dass er uns
wieder vereinige.“

Als sie geendet hatte, sprach der Kalif zu ihr:
„Mädchen, ich sehe Du liebst?“ – Sie bejahte es. – „Wen liebst
Du?“, fragte er weiter. „Meinen Herrn, den Besitzer meines Herzens und
meiner Person, denjenigen, zu dem meine Liebe so groß ist, wie der Durst der
Erde nach Regen. Seine Liebe hat mein Blut und mein Innerstes durchdrungen. O
Fürst der Gläubigen, wenn Du nur seiner erwähnst, so entbrennt mein ganzes
Herz. O könnte ich doch meinen Wunsch befriedigen ihn zu sehen, und wenn ich
nicht fürchtete, zu sterben, ohne ihn noch einmal zu erblicken, so würde ich
mich selbst töten.“ – „Du bist,“ erwiderte der Kalif, „in
meiner Gegenwart, und wagst es, solche Reden zu führen? Wahrlich, ich werde Dir
Deinen Herrn vergessen machen.“ Er befahl hierauf, dass sie in ihr Gemach
zurückgeführt würde, und schickte ihr durch eine Sklavin zum Geschenk ein
Kästchen, worin dreitausend Goldstücke sich befanden, nebst einem
vollständigen Schmuck aus Gold, mit Perlen und Edelsteinen verziert,
dreitausend Dukaten an Wert. Indem jene es ihr überreichte, sagte sie:
„Das Geschenk und die überbringerin sind Dein.“ – „Behüte
Gott,“ waren die einzigen Worte der Sittulmulach, „dass ich meinen
Herrn und meine Liebe zu ihm je vergesse, und wäre es auch um die ganze Erde
voll Gold.“ Hierauf begann sie folgende Verse herzusagen:

„Mögen sie doch immer sagen: „Lass ab von
Deiner Liebe zu ihm. Vergiss ihn, und leibe einen anderen.
Stets werde ich antworten: Bei seinem Leben, wie könnte ich diesen Vollmond
vergessen, der die Schönheit zum Gewand hat, und von dessen Wangen Lichtglanz
strahlen.“

Einige Tage später ließ sie der Fürst der Gläubigen
nochmals zu sich rufen, und befahl ihr, etwas zu singen, worauf sie folgendes
Lied anstimmte:

„Das Herz des Liebenden neigt sich stets zu der
Geliebten, wenn gleich sein Geist durch Schmerz und Kummer gedrückt wird.
Sollte mich jemand fragen: Wie findest Du diese Liebe? So würde ich antworten:
Sie ist zwar sehr bitter, aber dennoch süß.“

Als sie diese Verse geendigt hatte, warf sie die Laute
abermals hin, weinte und wurde ohnmächtig, so dass sie durch Rosenwasser und
andere Wohlgerüche wieder zu sich gebracht werden musste. Sobald sie wieder zu
Kräften gekommen war, sprach Harun Arreschyd zu ihr: „Das ist sehr
unbillig von Dir, Sittulmulach. Wie kannst Du jemandem andern zugetan sein, da
ich Dich so sehr liebe.“ – „O Fürst der Gläubigen,“ antwortete
sie, „das steht nicht in meiner Macht. Es ist mir unmöglich, ihn zu
vergessen.“ – „Bei der Wahrheit Mohammeds, des Propheten,“ schwur
nun der Kalif, „wenn Du von nun an irgend eines andern außer mir in meiner
Gegenwart Erwähnung tust, so befehle ich, dass man Dir den Kopf
abschlage.“ Er ließ sie sodann in ihr Gemach zurückbringen, wobei sie
viele Tränen vergoss, und zugleich folgende Verse sang:

„Wahrlich, wenn ich sterben könnte, o wie lieb wäre
mir dies! Denn der Tod ist geringer als das, was ich jetzt erdulden muss.
Sollte man auch meinen Körper in Stücken zerhauen, so wäre dies doch für
mich Liebende keine Strafe.“

Was unterdessen den Kalifen anbetrifft, so begab er sich
zu der Sultanin Sobe