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785. Nacht

Hierauf entließ ihn Pharao wieder, und am folgenden
Morgen kleidete er sich ebenfalls weiß, wie die Großen seines Hofes, und als
Heykar erschien, wiederholte er dieselbe Frage:

„Wem gleiche ich nun, o Abimakam, und wem gleichen
meine Hofleute?“

„Ihr gleicht dem Mond,“ antwortete Heykar,
„und Eure Hofleute gleichen den Sternen, welche ihm als Hofstaat
dienen.“

Heykar wurde abermals entlassen, und am folgenden Tag, als
er vor dem König von ägypten erschien, fand er ihn wieder rot gekleidet, die
Großen seins Hofes aber trugen Kleider von verschiedenen Farben.

„Womit vergleichst Du mich jetzt?“, fragte ihn
Pharao, „und womit vergleichst du die Großen meines reiches?“

„Euch,“ antwortete Heykar, „Euch vergleiche
ich dem Monat Nisan1) und die Großen Eures Hofes den Blumen, welche er
hervorbringt.“

„Wohlan,“ fuhr Pharao fort, der Durch alle diese
Antworten höchst befriedigt war, „weil Du uns, mich und die Großen meines
Hofes, zuerst einem Götzen und seinen Priestern, sodann der Sonne und ihren
Strahlen, ferner dem Mond und den Gestirnen, und endlich dem Monat Nisan und
seinen Blumen, verglichen hast, so sage nun auch, womit vergleichst Du Deinen
Herrn Sencharib und die Großen seines Hofes?“

Bei dieser Frage stieß Heykar einen lauten Schrei aus:
„Gott behüte mich,“ sprach er, „hier den Namen meines Herrn
auszusprechen, während ihr auf Eurem Thron sitzt! Nur wenn ich Euch stehen
sehe, kann ich von dem König von Assyrien zu Euch reden.“

Ganz erstaunt über die Seltsamkeit dieser Anrede und
über die Zuversichtlichkeit dieses Redners, stieg Pharao von seinem Thron, und
indem er so vor dem Gesandten Sencharibs stand, wiederholte er seine Frage:

„Sage mir nun, o Abimakam, womit vergleichst Du
Deinen Herrn und die Großen seines Hofes?“

„Mein Herr,“ rief Heykar aus, „gleicht dem
Gott des Himmels und der Erden, und seine Diener um ihn her sind wie die Blitze
und der Donner: Er gebietet, und das Ungewitter bricht los, die Sonne
verbreitete nicht mehr ihr Licht, der Mond und die Gestirne werden in ihrem Lauf
gehemmt: Er gibt ein Zeichen, und der Donner grollt, der Regen sinkt in Strömen
hernieder, und die entfesselten Stürme stürzen auf die Erde herab, verstören
den Monat Nisan, und zerstreuen seine Blumen!“

Diese so unerwartete und dreiste Antwort des vorgeblichen
Abimakam machte den Pharao für einen Augenblick bestürzt. Er konnte nicht
glauben, dass eine solche antwort aus dem Mund eines gemeinen Menschen käme.

„Abgesandter von Assyrien,“ sprach er zu ihm,
„verhehle mir nicht die Wahrheit: Wie ist Dein wahrer Name? Wer bist
Du?“

Heykar wollte sich nicht länger verbergen, er antwortete
deshalb:

„Ich bin Heykar, Minister des Königs Sencharib, der
Vertraute all seiner Geheimnisse, der Ratgeber und Lenker seines Reiches.“

„Ja,“ rief Pharao aus, „Du bist, ohne
Widerrede, der weise Heykar! Diesmal hast du mir die Wahrheit gesagt. Aber woher
kommt es, dass man das Gerücht Deines Todes verbreitet hatte?“

„Der König Sencharib,“ antwortete Heykar,
„hatte, durch boshafte Verleumdungen getäuscht, in der Tat meinen Tod
befohlen: Aber Gott, der auch die geheimsten Dinge kennt, hat mein leben
gerettet. Glücklich ist der Sterbliche, der auf ihn seine Hoffnung setzt!“

Pharao erlaubte nun Heykar, sich zu entfernen, und verlangte
von ihm, er sollte den folgenden Morgen wieder erscheinen, und ihm etwas kund
tun, was weder er noch irgend einer seiner Untertanen jemals gehört
hätte.“

Als Heykar allein war, schrieb er einen Brief, welchen er
am folgenden Morgen Pharao überreichte. Derselbe lautet also:


1) Der
Monat Nisan entspricht unserm April.