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670. Nacht

Kaum war ich ins Bett geschlüpft, als ich unbeweglich
blieb. Die Prinzessin näherte sich mir, fasste mich bei den Händen und warf
mir meine große Traurigkeit vor. „Mein Freund, warum bist Du
betrübt?“, sagte sie zu mir. „Siehst Du nicht, dass das Böse oft
Gutes hervorbringt? Ohne jenen elenden Sklaven würde ich nicht das Glück
haben, dich zu kennen.“

Zu gleicher Zeit drückte sie mich heftig an ihre Brust,
welche klopfte, denn Liebe hatte ihre Sinne entflammt. Endlich fasste sie mich
bei der rechten Hand. „Sei großmütig,“ sagte sie zu mir, „und
gib mir nicht den Tod, nachdem Du mir das Leben gerettet hast.“

Alle diese Klage rührten mich lebhaft, aber mein
unfruchtbares Mitleiden konnte der Prinzessin nicht genügen. Ich schwamm in
Tränen. „Ach,“ sagte ich zu ihr, „warum verbietet mir die Ehre,
Euch jetzt ein Geheimnis anzuvertrauen, das mich kränkt? Aber Ihr wisst, dass
ich für Euch bin, was Ihr für mich seid, also fasst Euch in Geduld.“

„Fern von mir,“ erwiderte die Prinzessin,
„sei der Gedanke, demjenigen, den ich liebe, die mindeste Kränkung zu
verursachen.“

Nach diesem kurzen Gespräch kehrten wir uns den Rücken
zu, um ruhiger zu schlafen. Ich schlief nur sehr wenig, denn die
Beängstigungen, von denen ich bewegt wurde, gestatteten mir keine Ruhe. Meine
Gefährtin schlief nicht fester. Ihre Augenlider waren geschlossen, aber das
Feuer brannte in ihrem Herzen.

Am Morgen kam die Königin, um sich mit uns über die
Verheiratung zu freuen. Sie umarmte uns sehr zärtlich, und sobald wir
aufgestanden waren und sie sich mit der Prinzessin allein befand, befragte sie
dieselbe. Diese erzählte ihr, was vorgefallen war.

Ihr Erstaunen war sehr groß, sie errötete vor Scham,
ging zu dem König und weinte bitterlich, weil aber die Männer immer mehr
Festigkeit und Geistesgegenwart haben als die Frauen, so schien dieser Fürst
nicht sehr erschrocken. „Beruhigt Euch, meine Königin,“ sagte er,
„die Zeit wird dies Geheimnis enthüllen.“

Er sprach noch, als die Neuvermählten eintraten. Auf dem
Gesicht der jungen Prinzessin zeigte sich ihre Traurigkeit. „Was hast Du,
meine Tochter?“, sagte der Sultan zu ihr, „der Tag Deiner Hochzeit
muss für Dich ein Festtag sein.“

Er wollte, dass sie mit ihm frühstücken sollte, und
führte sie sodann in ein anstoßendes Gemach.

„Meine Tochter,“ sagte er zu ihr, „ich
sehe, dass Du bekümmert bist, Dein Mann allein ist schuld daran. Sprich mit mir
aus aufrichtiger Seele. Vielleicht kann ich Dir Trost und Linderung Deines
Kummers gewähren.“

Da sie schwieg und ihre Augen in Tränen gebadet waren, so
hörte der König auf, sie zu befragen.

Indessen verging der Tag unter Festlichkeiten. Die
Prinzessin ließ keinerlei Spiele und Ergötzlichkeiten unversucht, um mich zu
erheitern, aber ich war zu sehr beängstigt.

Endlich, als wir uns am Abend wieder zu Bett legen
wollten, erklärte ich ihr, dass ich das Gelübde der Keuschheit getan hätte.

„Wann ist es zu Ende?“, fragte hierauf meine
Gemahlin.

„Ich habe noch nicht die Zeit bestimmt,“
antwortete ich ihr.

Hierauf zerschmolz sie in Tränen und sprach zu mir, indem
sie mich in ihre Arme drückte: „Verschmähung soll also der Lohn meiner
Liebe zu Euch sein? Wisst Ihr, welche Schande es für das Haus eines bloßen
Untertanen ist, wenn eine Frau nicht nach ihrer ersten Hochzeitsnacht die
Zeichen ihrer Jungfrauschaft aufweist? Was soll nun gar eine Königstochter tun,
wenn ihr dieses Unglück begegnet? Ach, wie beklagenswert bin ich! Nimmer wird
es mir gelingen, Euch die geringste Liebe einzuflößen. Es bleibt mir nichts
übrig, als Euch um die einzige Gnade zu bitten: Bekennt der Königin ohne Scheu
Eure ganze Gleichgültigkeit gegen mich und rechnet auf meine Willfährigkeit.
Man wird Euch eine Prinzessin geben, welche mehr imstande ist, Euch zu gefallen,
und ich werde mich glücklich schätzen, Euch zu dienen: Ich verlange nichts
weiter, als unter die Zahl Eurer Sklavinnen aufgenommen zu werden. Vielleicht
lässt meine Hingebung, meine Treue, meine Liebe mich Gnade vor meinem Befreier
finden. Ich werde nicht völlig verstoßen sein. Wenigstens kann ich Euch zu
allen Tagesstunden sehen, und ich schwöre Euch, niemals einen andern Gatten zu
nehmen.“

Diese zärtlichen Liebesbeteuerungen erregten mir lebhafte
Vorwürfe. Ich machte mir die Leiden, die ich dieser betrübten Prinzessin
verursachte, zum Verbrechen, und ohne mehr an die Gefahr zu denken, welche meine
Freiheit und Ehre bedrohte, warf ich mich in ihre Arme und rief aus:

„Meine zärtliche Freundin, es ist mir nicht mehr
möglich, Euch zu verbergen, dass ich von Eurem Geschlecht bin: Wie habt Ihr
mich so lange misskennen können?“

Diese Worte waren für sie ein Donnerschlag. Ich glaubte
sie schon tot in meinen Armen zu halten, aber nachdem sie wieder zu sich
gekommen war, sprach sie zu mir mit gebrochener Stimme: