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54. Nacht

Da die Sultanin sah, wie begierig ihre Schwester war, zu
wissen, auf welche Weise Dame der Schönheit den zweiten Kalender in seinen
früheren Zustand zurückversetzte; so sagte sie zu ihr: „Der Kalender nahm
seine Erzählung folgendermaßen wieder auf:

„Die Prinzessin Dame der Schönheit ging in ihr
Zimmer und holte ein Messer, auf dessen Klinge hebräische Worte eingegraben
waren. Sie ließ hierauf den Sultan, das Oberhaupt der Verschnittenen, den
kleinen Sklaven und mich in einen geheimen Hof des Palastes herabsteigen; dort
ließ sie uns unter einer rund umhergehenden Galerie, trat sodann in die Mitte
des Hofes, wo sie einen großen Kreis beschrieb und in ihn mehrere Verse in
alten und anderen arabischen Schriftzeichen, welche man Schriftzeichen der
Kleopatra nennt, niederschrieb.

Nachdem sie nun geendet und den Kreis nach gewünschter
Weise geordnet hatte, stellte sie sich in die Mitte, wo sie Beschwörungen
vornahm und Verse aus dem Aloran hersagte. Nach und nach verdunkelte sich die
Luft, so dass es Nacht zu sein und das Weltgebäude auseinander zu fallen
schien. Wir fühlten uns von einem ungeheuren Schrecken befallen, und dieses
Schrecken vermehrte sich noch, als wir auf einmal den Geist, Sohn der Tochter
des Eblis, unter der Gestalt eines Löwen von furchtbarer Größe erscheinen
sahen.

Sobald die Prinzessin das Ungeheuer gewahrte, sagte sie zu
ihm: „Hund, statt vor mir zu kriechen, wagst du es, dich unter dieser
fürchterlichen Gestalt zu zeigen, und glaubst mich zu schrecken?“ –
„Und du,“ versetzte der Löwe, „du scheust dich nicht, gegen den
Vertrag zu handeln, den wir miteinander gemacht und durch einen feierlichen
Schwur bestätigt haben, uns gegenseitig weder zu schaden noch etwas Böses
zuzufügen?“ – „Ha, Verruchter,“ erwiderte die Prinzessin,
„dir hab‘ ich diesen Vorwurf zu machen.“ – „Du wirst,“
unterbrach sie der Löwe trotzig, „für die mir gemachte Mühe hierher zu
kommen, bezahlt werden.“ Indem er dies sagte, öffnete er einen
schrecklichen Rachen und fuhr auf sie los, um sie zu verschlingen. Sie aber war
auf ihrer Hut, sprang zurück und hatte Zeit genug, um sich ein Haar
auszureißen, welches sie durch ein Paar gesprochene Worte in ein schneidendes
Schwert verwandelte, womit sie den Löwen mitten durch den Leib in zwei Teile
zerhieb. Die beiden Teile des Löwen verschwanden bis auf den Kopf, der sich in
einen großen Skorpion verwandelte. Sogleich verwandelte sich die Prinzessin in
eine Schlange, und bestand einen harten Kampf mit dem Skorpion, der, da er keine
übermacht gewann, die Gestalt eines Adlers annahm und davon flog. Aber die
Schlange nahm nun die Gestalt eines noch gewaltigeren schwarzen Adlers an und
verfolgte ihn. Wir verloren beide aus dem Gesicht.

Einige Zeit nach ihrem Verschwinden öffnete sich vor uns
die Erde und es kam eine schwarze und weiße Katze heraus, deren Haar sich über
und über sträubte und die auf eine grässliche Weise miaute. Ihr folgte ganz
nahe ein schwarzer Wolf, der ihr keine Ruhe ließ. Die höchst bedrängte Katze
verwandelte sich in einen Wurm und befand sich dicht bei einem Granatapfel, der
zufällig von einem Granatbaum gefallen war, welcher am Ufer eines ziemlich
tiefen, aber nicht sehr breiten Kanals stand. Dieser Wurm durchbohrte den
Granatapfel in einem Augenblick und verbarg sich darin. Der Apfel schwoll
sogleich zur Größe eines Kürbisses auf, und erhob sich auf das Dach der
Galerie, von wo er, nachdem er sich eine Weile hin und her gerollt hatte, in den
Hof fiel und in mehrere Stücke brach.

Der Wolf, der sich inzwischen in einen Hahn verwandelt
hatte, warf sich auf die Kerne des Granatapfels und verschluckte einen nach dem
andern. Als es keine mehr sah, kam er mit ausgebreiteten Flügeln und großem
Geräusch auf uns zu, gleichsam um uns zu fragen, ob keine Kerne mehr übrig
wären. Noch einer lag am Ufer des Kanals, den er erblickte, als er sich
umdrehte. Er lief schnell hinzu, aber in dem Augenblicke, als er ihn mit dem
Schnabel aufpicken wollte, rollte der Kern in den Kanal und verwandelte sich in
einen kleinen Fisch.“

„Doch es wird Tag, mein Fürst“ sagte
Scheherasade, „wäre er nicht so schnell angebrochen, so bin ich
überzeugt, Euer Majestät würde sich an dem, was ich noch erzählt hätte,
sehr ergötzt haben.“ Nach diesen Worten schwieg sie still und der Sultan
stand auf, erfüllte von allen diesen unerhörten Begebenheiten, die ihm eine
große Lust und Ungeduld einflößten, das Ende dieser Geschichte zu hören.