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401. Nacht

Indem die Prinzessin in dem Prinzen von Persien die
Neugierde rege machte, den Königspalast von Bengalen zu sehen und darin den
König, ihren Vater, zu begrüßen, so hoffte sie, dass, wenn es ihr gelänge,
ihr Vater beim Anblick eines so wohl gebildeten, klugen, vollkommenen und mit den
vorzüglichsten Eigenschaften ausgestatten Prinzen sich vielleicht entschließen
würde, ihm eine Heiratsverbindung anzutragen und ihm sie selber zur Gemahlin
vorzuschlagen. Da sie außerdem überzeugt war, dass sie dem Prinzen von Persien
nicht gleichgültig sei und dass dieser eine solche Verbindung nicht ablehnen
würde, so hoffte sie auf diesem Weg zum Ziel ihrer Wünsche zu gelangen, und
dabei zugleich jenen Wohlstand zu beobachten, der einer Prinzessin, die in allem
ganz von dem Willen ihres königlichen Vaters abhängig erscheinen wollte, zu
beobachten geziemt. Doch der Prinz von Persien antwortete ihr über diesen Punkt
nicht ganz so, wie sie es erwartet hatte.

„Prinzessin,“ erwiderte er, „eurer
Versicherung zufolge zweifle ich keinen Augenblick, dass der Palast des Königs
von Bengalen den Vorzug vor dem eurigen verdient. Was euren Vorschlag betrifft,
dass ich eurem königlichen Vater meine Aufwartung machen solle, so würde ich
mir nicht bloß ein Vergnügen, sondern selbst eine große Ehre daraus machen,
ihn in Ausführung zu bringen. Indessen, Prinzessin, ihr mögt hierin selber
entscheiden. Würdet ihr mir wohl raten, vor der Majestät eines so großen
Fürsten wie ein bloßer Abenteurer ohne Gefolge und die für meinen Stand
erforderliche Begleitung zu erscheinen?“

„Prinz,“ antwortete die Prinzessin, „das
darf euch keine Unruhe machen, ihr dürft hier bloß wollen, und es wird euch
nicht an Geld fehlen, um euch ein so großes Gefolge anzuschaffen, als euch
beliebt. Ich selbst will es euch herbeischaffen. Wir haben hier Kaufleute von
eurer Nation, in sehr großer Anzahl, und ihr dürft bloß bestimmen, wie viel
euch erforderlich scheint, um euch einen sehr anständigen Hofstaat zu
bilden.“

Der Prinz Firus Schach erriet die Absicht der Prinzessin
von Bengalen, und der sichtbare Beweis, den sie ihm von ihrer Liebe gab,
erhöhte die Leidenschaft, die er bereits für sie gefasst hatte. Indessen, wie
heftig diese auch war, so ließ sie ihn doch nicht seine Pflicht vergessen. Er
antwortete ihr also ohne Bedenken:

„Prinzessin, ich würde euer höfliches Anerbieten,
wofür ich euch nicht genug danken kann, herzlich gern annehmen, sofern sich die
Unruhe, worin sich mein königlicher Vater wegen meiner Entfernung befinden
muss, mich nicht daran durchaus hinderte. Ich würde der Güte und
Zärtlichkeit, die er stets gegen mich bewiesen, unwürdig sein, wenn ich nicht
sogleich zurückkehrte und mich zu ihm begäbe, um seine Unruhe zu stillen. Ich
kenne ihn und bin überzeugt, dass, während ich das Glück gehabt, der
Unterhaltung mit einer so liebenswürdigen Prinzessin zu genießen, er in die
tödlichste Betrübnis versenkt ist und jede Hoffnung, mich wieder zu sehen
aufgegeben hat. Ich hoffe, ihr werdet so gerecht sein, von mir zu glauben, das
ich nicht wohl, ohne undankbar und strafbar zu sein, es aufschieben kann, ihm
durch meine Wiedererscheinung das Leben wiederzugeben, welches ein längerer
Aufschub meiner Rückkehr ihm leicht für immer rauben könnte.“

„Nachdem dies geschehen sein wird, Prinzessin,“
fuhr der Prinz von Persien fort, „und ihr mich dann noch für würdig
achtet, um nach dem Glück einer Verbindung mit euch streben zu können, so
werde ich, da mein Vater mich stets versichert hat, er werde mich in der Wahl
einer Gemahlin nie zwingen, ohne Mühe von ihm die Erlaubnis erhalten, hierher
zurückzukehren, nicht als Unbekannter, sondern als Prinz, und in seinem Namen
den König von Bengalen zu bitten, durch eine Heiratsverbindung zwischen uns ein
Bündnis mit ihm zu schließen. Ich bin überzeugt, dass er selber den ersten
Schritt dazu tun wird, sobald ich ihm die Großmut gemeldet haben werde, womit
ihr mich in meinem Unfall aufgenommen habt.“

Bei der Art und Weise, womit sich der Prinz von Persien
hierüber erklärte, war die Prinzessin von Bengalen zu vernünftig, um noch
weiter in ihn zu dringen, dass er sich dem König von Bengalen zeigen oder
irgend etwas, das seiner Ehre und Pflicht zuwiderliefe, tun möchte, allein sie
war wegen seiner baldigen Abreise, die er vor hatte, sehr bekümmert, und sie
fürchtete, dass, wenn er sobald wieder von ihr Abschied nähme, er, anstatt
sein ihr getanes Versprechen zu halten, es vielmehr, sobald er sie nicht mehr
sähe, gänzlich vergessen würde. Um ihn davon abzubringen, sagte sie zu ihm:

„Prinz, indem ich euch den Vorschlag machte, euch in
die gehörige Verfassung zu setzen, um den König, meinen Vater sehen und
sprechen zu können, war es nicht meine Absicht, einer so gegründeten
Einwendung, als ihr mir soeben machtet, und die ich nicht voraussehen konnte, zu
widersprechen. Ich würde mich selber an dem Vergehen mitschuldig machen, das
ihr dann begehen würdet, sofern ich auch nur den geringsten Gedanken daran
gehabt hätte. Indessen ich kann es nicht bewilligen, dass ihr sobald schon an
eure Rückreise denkt, wie es doch der Fall zu sein scheint. Erweist mir auf
meine Bitte wenigstens den Gefallen, euch noch so viel Frist zu gestatten, um
euch hier umsehen zu können, und da einmal mein Glücksstern gewollt hat, dass
ihr gerade in das Königreich Bengalen, und nicht mitten in eine Wüste oder auf
den Gipfel eines steilen Gebirges, von wo kein Hinabweg möglich, gelangt seid,
so fordere ich euch auf, euch doch wenigstens hier so lange aufzuhalten, um von
hier einige umständlichere Nachrichten an den persischen Hof
zurückzubringen.“