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337. Nacht

Als das Abendessen vorüber war und man schnell abgeräumt
hatte, so trat an die Stelle des Musikchors ein Trupp von Tänzern und
Tänzerinnen. Sie führten nach der Landessitte allerlei Arten von figurierten
Tänzen auf. Zuletzt tanzten ein Tänzer und eine Tänzerin ganz allein mit
einer erstaunlichen Leichtigkeit, und jeder von ihnen entwickelte alle den
Anstand und die Gewandtheit, deren sie nur irgend fähig waren. Es war nahe an
Mitternacht, als Aladdin – der damals in China bestehenden Sitte zufolge –
aufstand und der Prinzessin Badrulbudur die Hand bot, um mit ihr zu tanzen und
damit die Hochzeitsfeierlichkeit zu beschließen. Sie tanzten so schön, dass
sie die Bewunderung der ganzen Gesellschaft erregten. Nach Endigung des Tanzes
behielt Aladdin die Prinzessin an der Hand und sie gingen miteinander in das
Zimmer, wo das hochzeitliche Lager für sie bereitet war. Die Frauen der
Prinzessin kleideten sie aus und brachten sie zu Bett. Aladdins Diener taten ihm
ein gleiches, und alle entfernten sich sodann. So endigten die Feierlichkeiten
und Lustbarkeiten der Hochzeit Aladdins und der Prinzessin Badrulbudur.

Als Aladdin am folgenden Morgen erwachte, erschienen seine
Kammerdiener, um ihn anzukleiden. Sie zogen ihm ein ganz anderes, aber nicht
minder reiches und prächtiges Kleid an als am Hochzeitstag. Hierauf ließ er
sich eines von seinen Leibpferden vorführen, bestieg es, und begab sich,
umgeben von einem zahlreichen Gefolge von Sklaven, welche vor ihm, hinter ihm
und zu beiden Seiten gingen, nach dem Palast des Sultans. Der Sultan empfing ihn
mit denselben Ehrenbezeigungen wie das erste Mal, er umarmte ihn, ließ ihn
neben sich auf dem Thron sitzen und befahl, dass man ein Frühmahl auftragen
solle. „Herr,“ erwiderte Aladdin, „ich bitte Euer Majestät, mich
für heute wegen dieser mir zugedachten Ehre zu entschuldigen, ich komme soeben
euch zu bitten, dass ihr mir die Ehre erzeigen möchtet, in dem Palast der
Prinzessin nebst eurem Großwesir und den Großen eures Hofes ein Mittagsmahl
einzunehmen.“ Der Sultan genehmigte dies mit vielem Vergnügen. Er stand
sogleich auf, und da der Weg nicht weit war, so geruhte er, sich zu Fuße dahin
zu begeben. Er brach also auf, während Aladdin zu seiner Rechten, der
Großwesir zu seiner Linken, die Großen des Hofes hinter ihm als Gefolge, und
vor ihm her die Trabanten und seine vornehmsten Hausbeamten gingen.

Je näher der Sultan dem Palast Aladdins kam, desto mehr
erstaunte er über die Schönheit desselben. Diese Verwunderung stieg bei seinem
Eintritt noch höher. Bei jedem Zimmer, welches er sah, brach er in neue
Beifallsbezeigungen aus. Aber als sie nun in den Saal mit vierundzwanzig
Fenstern, wohin Aladdin sie eingeladen, hinaufgelangt waren, und er die
Verzierungen desselben, besonders aber die mit den schönsten und größten
Diamanten, Rubinen und Smaragden besetzten Gitterfenster betrachtet hatte, wurde
er davon so überrascht, dass er ganz regungslos stehen blieb. Nachdem er eine
Weile so da gestanden, sagte er zu dem neben ihm stehenden Großwesir:
„Wesir, ist es möglich, dass es in meinem Königreich und so nahe an
meinem Palast einen so prächtigen Palast geben konnte, von welchem ich bis
jetzt nichts wusste?“ – „Euer Majestät,“ erwiderte der
Großwesir, „wird sich vielleicht erinnern, dass ihr vorgestern dem
Aladdin, als ihr ihn für euren Schwiegersohn anerkannt hattet, die Erlaubnis
erteiltet, einen Palast dem eurigen gegenüber aufzuführen. An demselben Tag
war bei Sonnenuntergang an dieser Stelle noch kein Palast vorhanden, und gestern
hatte ich die Ehre, euch zuerst zu melden, dass der Palast fertig gebaut
sei.“ – „Ich erinnere mich wohl daran,“ antwortete der Sultan,
„aber ich hatte mir nicht eingebildet, dass dieser Palast ein Wunder der
Welt sein würde. Wo in aller Welt findet man denn Bauwerke, die, statt aus
Stein- oder Marmorschichten, aus Gold- und Silberschichten aufgeführt sind, und
wo die Fenster Vergitterungen haben, die mit Diamanten, Rubinen und Smaragden
besetzt wären? Dergleichen ist auf Erden nie gesehen worden.“

Der Sultan besah und bewunderte die Schönheit der
vierundzwanzig Gitterfenster. Doch indem er sie zählte, fand er, dass das
vierundzwanzigste unvollendet geblieben war. „Wesir,“ rief er, – denn
der Großwesir machte es sich zur Pflicht, nicht von seiner Seite zu weichen, –
„ich bin sehr erstaunt, dass ein Saal von solcher Pracht an dieser Stelle
unvollendet geblieben ist.“ – „Herr,“ erwiderte der Großwesir,
„Aladdin war offenbar zu sehr gedrängt, und es fehlte ihm an Zeit, dies
Fenster den übrigen gleich machen zu lassen. Aber es lässt sich denken, dass
er die erforderlichen Edelsteine besitzt, und dass er ehestens daran arbeiten
lassen wird.“

Aladdin, welcher den Sultan verlassen hatte, um einige
Befehle zu geben, hatte sich mittlerweile wieder zu ihm gefunden. „Mein
Sohn,“ sagte der Sultan zu ihm, „dieser Saal ist unter allen, die in
der Welt sind, der bewunderungswürdigste. Bloß etwas setzt mich in Erstaunen,
– dass nämlich dies eine Gitterfenster unvollendet geblieben ist. Ist dies aus
Vergessenheit geschehen, oder aus Nachlässigkeit, oder weil die Werkleute nicht
Zeit hatten, die letzte Hand an ein so schönes Denkmal der Baukunst zu
legen?“ – „Herr,“ antwortete Aladdin, „das Gitterfenster ist
aus keinem dieser Gründe so unvollendet geblieben, als ihr es da seht, sondern
es ist absichtlich geschehen und die Werkleute haben es auf meinen
ausdrücklichen Befehl nicht angerührt. Ich wünschte nämlich, dass Euer
Majestät den Ruhm haben sollte, diesen Saal und Palast vollenden zu lassen, und
bitte euch, diese meine gute Absicht zu genehmigen, damit ich mich dieser von
euch empfangenen Gunst und Gnade einst rühmen und erinnern kann.“ –
„Wenn ihr es in dieser Absicht getan habt,“ erwiderte der Sultan,
„so weiß ich euch vielen Dank dafür, und werde augenblicklich die
nötigen Befehle hierzu erteilen.“ Auch ließ er wirklich die
Juwelenhändler, welche am reichsten mit Edelsteinen versehen waren, und die
geschicktesten Goldarbeiter seiner Hauptstadt kommen.

Der Sultan stieg unterdessen aus dem Saal wieder herab und
Aladdin führte ihn in diejenigen, worin er die Prinzessin Badrulbudur am
Hochzeitstag bewirtet hatte. Die Prinzessin erschien einen Augenblick später,
und empfing den Sultan, ihren Vater, mit Mienen, welche deutlich verrieten, wie
zufrieden sie mit ihrer Ehe sei. Zwei Tafeln standen da, mit den köstlichsten
Speisen besetzt, und mit Tischgeschirren, die sämtlich von Gold waren. Der
Sultan setzte sich an die erste Tafel, und speiste mit der Prinzessin, mit
Aladdin und dem Großwesir. Alle Großen des Hofes wurden an der anderen Tafel
bewirtet. Der Sultan fand die Speisen sehr wohlschmeckend und gestand, dass er
noch nie herrlicher gespeist habe. Dasselbe sagte er von dem Wein, welcher in
der Tat ganz köstlich war. Was er ferner bewunderte, waren vier große
Tafelaufsätze, die im überfluss mit Flaschen, Schalen und Bechern, alle von
gediegenem Gold und mit Edelsteinen geschmückt, versehen und besetzt waren.
Auch war er über die Musikchöre ganz entzückt, welche im Saal verteilt waren,
während das Geschmetter der Trompeten, Pauken und Trommeln in angemessenen
Pausen von draußen her ertönte.

Als der Sultan von Tische aufgestanden war, meldete man
ihm, dass die Juwelenhändler und Goldarbeiter, die auf seinen Befehl gerufen
worden, da wären. Er stieg zum Saal von vierundzwanzig Fenstern hinauf, und als
er oben angelangt war, zeigte er den Juwelieren und Goldarbeitern, die ihm
gefolgt waren, das Fenster, welches noch unvollendet war. „Ich habe euch
kommen lassen,“ sagte er zu ihnen, „damit ihr mir dieses Fenster
zurecht macht und ihm denselben Grad von Vollendung gebt, als die übrigen
haben. Besichtigt die andern, und verliert keine Zeit, um mir dieses ganz ebenso
zu machen.“

Die Juweliere und Goldschmiede besahen sich die
dreiundzwanzig übrigen Fenster sehr aufmerksam, und nachdem sie sich
miteinander beraten und darüber eines geworden waren, was jeder seinerseits
hierzu beitragen könne, erschienen sie wiederum vor dem Sultan, und der
Hofjuwelier nahm das Wort und sagte: „Herr, wir sind bereit, unseren Fleiß
und unsere Sorgfalt anzuwenden, um Euer Majestät zu gehorchen. Allein wir alle,
so viel wir unser hier sind, haben nicht so kostbare noch auch so unendlich
viele Edelsteine, als zu einer so bedeutenden Arbeit erforderlich sind.“ –
„Ich habe deren,“ sagte hierauf der Sultan, „und zwar mehr als
nötig sein werden. Kommt nach meinem Palast, ich werde sie euch zu eurer
Auswahl und Benutzung überlassen.“

Als der Sultan nach seinem Palast zurückgekehrt war,
ließ er alle seine Edelsteine bringen, und die Juweliere nahmen eine große
Anzahl derselben, hauptsächlich von denen, welche Aladdin geschenkt hatte. Sie
brachten sie an dem Fenster an, ohne dass man sonderlich die Fortschritte ihrer
Arbeit merkte. Sie holten sich zu wiederholten Malen noch mehrere, und binnen
einen Monat hatten sie kaum die Hälfte des Werks vollendet. Sie benutzten
endlich alle Edelsteine des Sultans nebst denen, welche der Großwesir von den
seinigen dazu hergab, aber alles, was sie davon möglich machen konnten, war,
dass das Fenster höchstens zur Hälfte vollendet wurde.