Die treuen Thiere

Gebrüder Grimm

Die treuen Thiere

Es war einmal ein Mann, der hatte gar nicht viel Geld, und mit dem wenigen, das ihm übrig blieb, zog er in die weite Welt. Da kam er in ein Dorf, wo die Jungen zusammen liefen, schrien und lärmten. ’Was habt ihr vor, ihr Jungen?’ fragte der Mann. ’Ei,’ antworteten sie, ’da haben wir eine Maus, die muß uns tanzen, seht einmal was das für ein Spaß ist ! wie die herumtrippelt !’ Den Mann aber dauerte das arme Thierchen, und er sprach ’laßt die Maus laufen, ihr Jungen, ich will euch auch Geld geben.’ Da gab er ihnen Geld, und sie ließen die Maus gehen, die lief, was sie konnte, in ein Loch hinein. Der Mann gieng fort, und kam in ein anderes Dorf, da hatten die Jungen einen Affen, der mußte tanzen und Purzelbäume machen, und sie lachten darüber, und ließen dem Thier keine Ruh. Da gab ihnen der Mann auch Geld, damit sie den Affen losließen. Danach kam der Mann in ein drittes Dorf, da hatten die Jungen einen Bären, der musste sich aufrecht setzen und tanzen, und wenn er dazu brummte, wars ihnen eben recht. Da kaufte ihn der Mann auch los, und der Bär war froh, dass er wieder auf seine vier Beine kam, und trabte fort.

Der Mann aber hatte nun sein bischen übriges Geld ausgegeben, und hatte keinen rothen Heller mehr in der Tasche. Da sprach er zu sich selber ’der König hat so viel in seiner Schatzkammer, was er nicht braucht : Hungers kannst du nicht sterben, du willst da etwas nehmen, und wenn du wieder zu Geld kommst, kannst dus ja wieder hineinlegen.’ Also machte er sich über die Schatzkammer, und nahm sich ein wenig davon, allein beim Herausschleichen ward er von den Leuten des Königs erwischt. Sie sagten er wäre ein Dieb, und führten ihn vor Gericht, und weil er Unrecht gethan hatte, ward er verurtheilt dass er in einem Kasten sollte aufs Wasser gesetzt werden. Der Kastendeckel war voll Löcher : damit Luft hinein konnte : auch ward ihm ein Krug Wasser und ein Laib Brot mit hinein gegeben. Wie er nun so auf dem Wasser schwamm und recht in Angst war, hörte er was krabbeln am Schloß, nagen und schnauben; auf einmal springt das Schloß auf, und der Deckel fährt in die Höhe, und stehen da Maus, Affe und Bär, die hattens gethan; weil er ihnen geholfen hatte, wollten sie ihm wieder helfen. Nun wußten sie aber nicht was sie noch weiter thun sollten, und rathschlagten mit einander. Indem kam ein weißer Stein auf dem Wasser daher geschwommen, der sah aus wie ein rundes Ei. Da sagte der Bär ’der kommt zu rechter Zeit, das ist ein Wunderstein, wem der eigen ist, der kann sich wünschen wozu er nur Lust hat.’ Da fieng der Mann den Stein, und wie er ihn in der Hand hielt, wünschte er sich ein Schloß mit Garten und Marstall, und kaum hatte er den Wunsch gesagt, so saß er in dem Schloß mit dem Garten und dem Marstall, und war alles so schön und prächtig, dass er sich nicht genug verwundern konnte.

Nach einer Zeit zogen Kaufleute des Wegs vorbei. ’Sehe einer,’ riefen sie, ’was da für ein herrliches Schloß steht, und das letztemal, wie wir vorbei kamen, lag da noch schlechter Sand.’ Weil sie nun neugierig waren, giengen sie hinein, und erkundigten sich bei dem Mann wie er alles so geschwind hätte bauen können. Da sprach er ’das hab ich nicht gethan, sondern mein Wunderstein.’ ’Was ist das für ein Stein ?’ fragten sie. Da gieng er hin und holte ihn, und zeigte ihn den Kaufleuten. Sie hatten große Lust dazu, und fragten ob er nicht zu erhandeln wäre, auch boten sie ihm alle ihre schönen Waaren dafür. Dem Manne stachen die Waaren in die Augen, und weil das Herz unbeständig ist, ließ er sich bethören, und meinte die schönen Waaren wären mehr werth, als sein Wunderstein, und gab ihn hin. Kaum aber hatte er ihn aus den Händen gegeben, da war auch alles Glück dahin, und er saß auf einmal wieder in dem verschlossenen Kasten auf dem Fluß, und hatte nichts als einen Krug Wasser und einen Laib Brot. Die treuen Thiere, Maus, Affe und Bär, wie sie sein Unglück sahen, kamen wieder herbei, und wollten ihm helfen, aber sie konnten nicht einmal das Schloß aufsprengen, weil’s viel fester war als das erstemal. Da sprach der Bär ’wir müssen den Wunderstein wieder schaffen, oder es ist alles umsonst.’ Weil nun die Kaufleute in dem Schloß noch wohnten, giengen die Thiere mit einander da hin, und wie sie nahe dabei kamen, sagte der Bär ’Maus, guck einmal durchs Schlüsselloch, und sieh was anzufangen ist; du bist klein, dich merkt kein Mensch.’ Die Maus war willig, kam aber wieder und sagte ’es geht nicht, ich habe hineingeguckt, der Stein hängt unter dem Spiegel an einem rothen Bändchen, und hüben und drüben sitzen ein paar große Katzen mit feurigen Augen, die sollen ihn bewachen.’ Da sagten die andern ’geh nur wieder hinein, und warte bis der Herr im Bett liegt und schläft, dann schleich dich durch ein Loch hinein, und kriech aufs Bett, und zwick ihn an der Nase, und beiß ihm seine Haare ab.’ Die Maus gieng wieder hinein, und that wie die anderen gesagt hatten, und der Herr wachte auf, rieb sich die Nase, war ärgerlich und sprach ’die Katzen taugen nichts, sie lassen die Mäuse herein, die mir die Haare vom Kopf abbeißen,’ und jagte sie alle beide fort. Da hatte die Maus gewonnen Spiel.

Wie nun der Herr die andere Nacht wieder eingeschlafen war, machte sich die Maus hinein, knuperte und nagte an dem rothen Band, woran der Stein hieng, so lange bis es entzwei war, und der Stein herunter fiel : dann schleifte sie ihn bis zur Hausthür. Das ward aber der armen kleinen Maus recht sauer, und sie sprach zum Affen, der schon auf der Lauer stand ’nimm du nun deine Pfote und hols ganz heraus.’ Das war dem Affen ein Leichtes, der nahm den Stein in die Hand, und sie giengen so mit einander bis zum Fluß. Da sagte der Affe ’wie sollen wir nun zu dem Kasten kommen?’ Der Bär antwortete ’das ist bald geschehen, ich geh ins Wasser und schwimme : Affe, setz du dich auf meinen Rücken, halt dich aber mit deinen Händen fest, und nimm den Stein ins Maul : Mäuschen, du kannst dich in mein rechtes Ohr setzen.’ Also thaten sie und schwammen den Fluß hinab. Nach einiger Zeit wars dem Bären   so still, fieng an zu schwatzen, und sagte ’hör, Affe, wir sind doch brave Cameraden, was meinst du ?’ Der Affe aber antwortete nicht und schwieg still. ’Ist das Manier ?’ sagte der Bär, ’willst du deinem Cameraden keine Antwort geben ? ein schlechter Kerl, der nicht antwortet !’ Da konnte sich der Affe nicht länger zurückhalten, er ließ den Stein ins Wasser fallen, und rief ’dummer Kerl, wie konnte ich mit dem Stein im Mund dir antworten ? jetzt ist er verloren, und daran bist du schuld.’ ’Zank nur nicht,’ sagte der Bär, ’wir wollen schon etwas erdenken.’ Da berathschlagten sie sich und riefen die Laubfrösche, Unken und alles Gethier, das im Wasser lebt, zusammen, und sagten ’es wird ein gewaltiger Feind über euch kommen, macht dass ihr Steine zusammen schafft, so viel ihr könnt, so wollen wir euch eine Mauer bauen, die euch schützt.’ Da erschraken die Thiere, und brachten Steine von allen Seiten herbeigeschleppt, endlich kam auch ein alter dicker Quakfrosch aus dem Grund heraufgerudert, und hatte das rothe Band mit dem Wunderstein im Mund. Da war der Bär froh, nahm dem Frosch seine Last ab, sagte es wäre alles gut, sie könnten wieder nach Hause gehen, und machte einen kurzen Abschied. Darauf fuhren die drei den Fluß zu dem Mann im Kasten, sprengten den Deckel mit Hülfe des Steins, und kamen zu rechter Zeit, denn er hatte das Brot schon aufgezehrt und das Wasser getrunken, und war schon halb verschmachtet. Wie er aber den Wunderstein wieder in die Hände bekam, wünschte er sich eine gute Gesundheit, und versetzte sich in sein schönes Schloß mit dem Garten und dem Marstall; da lebte er vergnügt, und die drei Thiere blieben bei ihm, und hattens gut ihr Lebelang.

Die Stiefel von Büffelleder

Gebrüder Grimm

Die Stiefel von Büffelleder

Ein Soldat, der sich vor nichts fürchtet, kümmert sich auch um nichts. So einer hatte seinen Abschied erhalten, und da er nichts gelernt hatte und nichts verdienen konnte, so zog er umher und bat gute Leute um ein Almosen. Auf seinen Schultern hing ein alter Wettermantel, und ein Paar Reiterstiefeln von Büffelleder waren ihm auch noch geblieben. Eines Tages ging er, ohne auf Weg und Steg zu achten, immer ins Feld hinein und gelangte endlich in einen Wald. Er wußte nicht, wo er war, sah aber auf einem abgehauenen Baumstamm einen Mann sitzen, der gut gekleidet war und einen grünen Jägerrock trug. Der Soldat reichte ihm die Hand, ließ sich neben ihm auf das Gras nieder und streckte seine Beine aus. ‚Ich sehe, du hast feine Stiefel an, die glänzend gewichst sind,‘ sagte er zu dem Jäger, ‚wenn du aber herumziehen müßtest wie ich, so würden sie nicht lange halten. Schau die meinigen an, die sind von Büffelleder und haben schon lange gedient, gehen aber durch dick und dünn.‘ Nach einer Weile stand der Soldat auf und sprach ‚ich kann nicht länger bleiben, der Hunger treibt mich fort. Aber, Bruder Wichsstiefel, wo hinaus geht der Weg?‘ ‚Ich weiß es selber nicht,‘ antwortete der Jäger, ‚ich habe mich in dem Wald verirrt.‘ ‚So geht dirs ja wie mir,‘ sprach der Soldat, ‚gleich und gleich gesellt sich gern, wir wollen beieinander bleiben und den Weg suchen.‘ Der Jäger lächelte ein wenig, und sie gingen zusammen fort, immer weiter, bis die Nacht einbrach. ‚Wir kommen aus dem Wald nicht heraus,‘ sprach der Soldat, ‚aber ich sehe dort in der Ferne ein Licht schimmern, da wirds etwas zu essen geben.‘ Sie fanden ein Steinhaus, klopften an die Türe, und ein altes Weib öffnete. ‚Wir suchen ein Nachtquartier,‘ sprach der Soldat, ‚und etwas Unterfutter für den Magen, denn der meinige ist so leer wie ein alter Tornister.‘ ‚Hier könnt ihr nicht bleiben,‘ antwortete die Alte, ‚das ist ein Räuberhaus, und ihr tut am klügsten, daß ihr euch fortmacht, bevor sie heim kommen, denn finden sie euch, so seid ihr verloren.‘ ‚Es wird so schlimm nicht sein,‘ antwortete der Soldat, ‚ich habe seit zwei Tagen keinen Bissen genossen, und es ist mir einerlei, ob ich hier umkomme oder im Wald vor Hunger sterbe. Ich gehe herein.‘ Der Jäger wollte nicht folgen, aber der Soldat zog ihn am Ärmel mit sich ‚komm, Bruderherz, es wird nicht gleich an den Kragen gehen.‘ Die Alte hatte Mitleiden und sagte ‚kriecht hinter den Ofen, wenn sie etwas übrig lassen und eingeschlafen sind, so will ichs euch zustecken.‘ Kaum saßen sie in der Ecke, so kamen zwölf Räuber hereingestürmt, setzten sich an den Tisch, der schon gedeckt war, und forderten mit Ungestüm das Essen. Die Alte trug einen großen Braten herein, und die Räuber ließen sichs wohl schmecken. Als der Geruch von der Speise dem Soldaten in die Nase stieg, sagte er zum Jäger ‚ich halts nicht länger aus, ich setze mich an den Tisch und esse mit.‘ ‚Du bringst uns ums Leben,‘ sprach der Jäger und hielt ihn am Arm. Aber der Soldat fing an laut zu husten. Als die Räuber das hörten, warfen sie Messer und Gabel hin, sprangen auf und entdeckten die beiden hinter dem Ofen. ‚Aha, ihr Herren,‘ riefen sie, ’sitzt ihr in der Ecke? was wollt ihr hier? seid ihr als Kundschafter ausgeschickt? wartet, ihr sollt an einem dürren Ast das Fliegen lernen.‘ ‚Nur manierlich,‘ sprach der Soldat, ‚mich hungert, gebt mir zu essen, hernach könnt ihr mit mir machen, was ihr wollt.‘ Die Räuber stutzten, und der Anführer sprach ‚ich sehe, du fürchtest dich nicht, gut, Essen sollst du haben, aber hernach mußt du sterben.‘ ‚Das wird sich finden,‘ sagte der Soldat, setzte sich an den Tisch und fing an tapfer in den Braten einzuhauen. ‚Bruder Wichsstiefel, komm und iß,‘ rief er dem Jäger zu, ‚du wirst hungrig sein so gut als ich, und einen bessern Braten kannst du zu Haus nicht haben;‘ aber der Jäger wollte nicht essen. Die Räuber sahen dem Soldaten mit Erstaunen zu und sagten ‚der Kerl macht keine Umstände.‘ Hernach sprach er ‚das Essen wäre schon gut, nun schafft auch einen guten Trunk herbei.‘ Der Anführer war in der Laune, sich das auch noch gefallen zu lassen, und rief der Alten zu ‚hol eine Flasche aus dem Keller, und zwar von dem besten.‘ Der Soldat zog den Pfropfen heraus, daß es knallte, ging mit der Flasche zu dem Jäger und sprach ‚gib acht, Bruder, du sollst dein blaues Wunder sehen: jetzt will ich eine Gesundheit auf die ganze Sippschaft ausbringen.‘ Dann schwenkte er die Flasche über den Köpfen der Räuber, rief ‚ihr sollt alle leben, aber das Maul auf und die rechte Hand in der Höhe,‘ und tat einen herzhaften Zug. Kaum waren die Worte heraus, so saßen sie alle bewegungslos, als wären sie von Stein, hatten das Maul offen und streckten den rechten Arm in die Höhe. Der Jäger sprach zu dem Soldaten ‚ich sehe, du kannst noch andere Kunststücke, aber nun komm und laß uns heim gehen.‘ ‚Oho, Bruderherz, das wäre zu früh abmarschiert, wir haben den Feind geschlagen und wollen erst Beute machen. Die sitzen da fest und sperren das Maul vor Verwunderung auf: sie dürfen sich aber nicht rühren, bis ich es erlaube. Komm, iß und trink.‘ Die Alte mußte noch eine Flasche von dem besten holen, und der Soldat stand nicht eher auf, als bis er wieder für drei Tage gegessen hatte. Endlich, als der Tag kam, sagte er ’nun ist es Zeit, daß wir das Zelt abbrechen, und damit wir einen kurzen Marsch haben, so soll die Alte uns den nächsten Weg nach der Stadt zeigen.‘ Als sie dort angelangt waren, ging er zu seinen alten Kameraden und sprach ‚ich habe draußen im Wald ein Nest voll Galgenvögel aufgefunden, kommt mit, wir wollen es ausheben.‘ Der Soldat führte sie an und sprach zu dem Jäger ‚du mußt wieder mit zurück: und zusehen, wie sie flattern, wenn wir s ie an den Füßen packen.‘ Er stellte die Mannschaft rings um die Räuber herum, dann nahm er die Flasche, trank einen Schluck, schwenkte sie über ihnen her und rief ‚ihr sollt alle leben!, Augenblicklich hatten sie ihre Bewegung wieder, wurden aber niedergeworfen und an Händen und Füßen mit Stricken gebunden. Dann hieß sie der Soldat wie Säcke auf einen Wagen werfen und sagte ‚fahrt sie nur gleich vor das Gefängnis.‘ Der Jäger aber nahm einen von der Mannschaft beiseite und gab ihm noch eine Bestellung mit.

‚Bruder Wichsstiefel,‘ sprach der Soldat, ‚wir haben den Feind glücklich überrumpelt und uns wohl genährt, jetzt wollen wir als Nachzügler in aller Ruhe hinterher marschieren.‘ Als sie sich der Stadt näherten, so sah der Soldat, wie sich eine Menge Menschen aus dem Stadttor drängten, lautes Freudengeschrei erhuben und grüne Zweige in der Luft schwangen. Dann sah er, daß die ganze Leibwache herangezogen kam.

‚Was soll das heißen?‘ sprach er ganz verwundert zu dem Jäger. ‚Weißt du nicht,‘ antwortete er, ‚daß der König lange Zeit aus seinem Reich entfernt war, heute kehrt er zurück, und da gehen ihm alle entgegen.‘ ‚Aber wo ist der König?‘ sprach der Soldat, ‚ich sehe ihn nicht.‘ ‚Hier ist er,‘ antwortete der Jäger, ‚ich bin der König und habe meine Ankunft melden lassen.‘ Dann öffnete er seinen Jägerrock, daß man die königlichen Kleider sehen konnte. Der Soldat erschrak, fiel auf die Knie und bat ihn um Vergebung, daß er ihn in der Unwissenheit wie seinesgleichen behandelt und ihn mit solchem Namen angeredet habe. Der König aber reichte ihm die Hand und sprach ‚du bist ein braver Soldat und hast mir das Leben gerettet. Du sollst keine Not mehr leiden, ich will schon für dich sorgen. Und wenn du einmal ein Stück guten Braten essen willst, so gut als in dem Räuberhaus, so komm nur in die königliche Küche. Willst du aber eine Gesundheit ausbringen, so sollst du erst bei mir Erlaubnis dazu holen.‘

Die Sterntaler

Gebrüder Grimm

Die Sterntaler

Es war einmal ein kleines Mädchen, dem war Vater und Mutter gestorben, und es war so arm, daß es kein Kämmerchen mehr hatte, darin zu wohnen, und kein Bettchen mehr hatte, darin zu schlafen, und endlich gar nichts mehr als die Kleider auf dem Leib und ein Stückchen Brot in der Hand, das ihm ein mitleidiges Herz geschenkt hatte. Es war aber gut und fromm. Und weil es so von aller Welt verlassen war, ging es im Vertrauen auf den lieben Gott hinaus ins Feld. Da begegnete ihm ein armer Mann, der sprach: »Ach, gib mir etwas zu essen, ich bin so hungerig.« Es reichte ihm das ganze Stückchen Brot und sagte: »Gott segne dir’s«, und ging weiter. Da kam ein Kind, das jammerte und sprach: »Es friert mich so an meinem Kopfe, schenk mir etwas, womit ich ihn bedecken kann.« Da tat es seine Mütze ab und gab sie ihm. Und als es noch eine Weile gegangen war, kam wieder ein Kind und hatte kein Leibchen an und fror: da gab es ihm seins; und noch weiter, da bat eins um ein Röcklein, das gab es auch von sich hin. Endlich gelangte es in einen Wald, und es war schon dunkel geworden, da kam noch eins und bat um ein Hemdlein, und das fromme Mädchen dachte: »Es ist dunkle Nacht, da sieht dich niemand, du kannst wohl dein Hemd weggeben«, und zog das Hemd ab und gab es auch noch hin. Und wie es so stand und gar nichts mehr hatte, fielen auf einmal die Sterne vom Himmel, und waren lauter blanke Taler; und ob es gleich sein Hemdlein weggegeben, so hatte es ein neues an, und das war vom allerfeinsten Linnen. Da sammelte es sich die Taler hinein und war reich für sein Lebtag.

Die sieben Schwaben

Gebrüder Grimm

Die sieben Schwaben

Einmal waren sieben Schwaben beisammen, der erste war der Herr Schulz, der zweite der Jackli, der dritte der Marli, der vierte der Jergli, der fünfte der Michal, der sechste der Hans, der siebente der Veitli; die hatten alle siebene sich vorgenommen, die Welt zu durchziehen, Abenteuer zu suchen und große Taten zu vollbringen. Damit sie aber auch mit bewaffneter Hand und sicher gingen, sahen sies für gut an, daß sie sich zwar nur einen einzigen, aber recht starken und langen Spieß machen ließen. Diesen Spieß faßten sie alle siebene zusammen an, vorn ging der kühnste und männlichste, das mußte der Herr Schulz sein, und dann folgten die andern nach der Reihe, und der Veitli war der letzte.

Nun geschah es, als sie im Heumonat eines Tags einen weiten Weg gegangen waren, auch noch ein gut Stück bis in das Dorf hatten, wo sie über Nacht bleiben mußten, daß in der Dämmerung auf einer Wiese ein großer Roßkäfer oder eine Hornisse nicht weit von ihnen hinter einer Staude vorbeiflog und feindlich brummelte. Der Herr Schulz erschrak, daß er fast den Spieß hätte fallen lassen und ihm der Angstschweiß am ganzen Leibe ausbrach. ‚Horcht, horcht,‘ rief er seinen Gesellen, ‚Gott, ich höre eine Trommel!‘ Der Jackli, der hinter ihm den Spieß hielt, und dem ich weiß nicht was für ein Geruch in die Nase kam, sprach ‚etwas ist ohne Zweifel vorhanden, denn ich schmeck das Pulver und den Zündstrick.‘ Bei diesen Worten hub der Herr Schulz an, die Flucht zu ergreifen, und sprang im Hui über einen Zaun, weil er aber gerade auf die Zinken eines Rechen sprang, der vom Heumachen da liegen geblieben war, so fuhr ihm der Stiel ins Gesicht und gab ihm einen ungewaschenen Schlag. ‚O wei, o wei,‘ schrie der Herr Schulz, ’nimm mich gefangen, ich ergeb mich, ich ergeb mich!, Die andern sechs hüpften auch alle einer über den andern herzu und schrien ‚gibst du dich, so geb ich mich auch, gibst du dich, so geb ich mich auch.‘ Endlich, wie kein Feind da war, der sie binden und fortführen wollte, merkten sie, daß sie betrogen waren: und damit die Geschichte nicht unter die Leute käme, und sie nicht genarrt und gespottet würden, verschwuren sie sich untereinander, so lang davon stillzuschweigen, bis einer unverhofft das Maul auftäte.

Hierauf zogen sie weiter. Die zweite Gefährlichkeit, die sie erlebten, kann aber mit der ersten nicht verglichen werden. Nach etlichen Tagen trug sie ihr Weg durch ein Brachfeld, da saß ein Hase in der Sonne und schlief, streckte die Ohren in die Höhe, und hatte die großen gläsernen Augen starr aufstehen. Da erschraken sie bei dem Anblick des grausamen und wilden Tieres insgesamt und hielten Rat, was zu tun das wenigst Gefährliche wäre. Denn so sie fliehen wollten, war zu besorgen, das Ungeheuer setzte ihnen nach und verschlänge sie alle mit Haut und Haar. Also sprachen sie ‚wir müssen einen großen und gefährlichen Kampf bestehen, frisch gewagt ist halb gewonnen!‘ faßten alle siebene den Spieß an‘ der Herr Schulz vorn und der Veitli hinten. Der Herr Schulz wollte den Spieß noch immer anhalten, der Veitli aber war hinten ganz mutig geworden, wollte losbrechen und rief

’stoß zu in aller Schwabe Name,

sonst wünsch i, daß ihr möcht erlahme.‘

Aber der Hans wußt ihn zu treffen und sprach

‚beim Element, du hascht gut schwätze,

bischt stets der letscht beim Drachehetze.‘

Der Michal rief

‚es wird nit fehle um ein Haar‘

so ischt es wohl der Teufel gar.‘

Drauf kam an den Jergli die Reihe, der sprach

‚ischt er es nit, so ischts sei Muter

oder des Teufels Stiefbruder.‘

Der Marli hatte da einen guten Gedanken und sagte zum Veitli

‚gang, Veitli, gang, gang du voran,

i will dahinte vor di stahn.‘

Der Veitli hörte aber nicht drauf, und der Jackli sagte

‚der Schulz, der muß der erschte sei,

denn ihm gebührt die Ehr allei.‘

Da nahm sich der Herr Schulz ein Herz und sprach gravitätisch

’so zieht denn herzhaft in den Streit,

hieran erkennt man tapfre Leut.‘

Da gingen sie insgesamt auf den Drachen los. Der Herr Schulz segnete sich und rief Gott um Beistand an: wie aber das alles nicht helfen wollte und er dem Feind immer näher kam, schrie er in großer Angst ‚hau; hurlehau! hau! hauhau!, Davon er

wachte der Has, erschrak und sprang eilig davon. Als ihn der Herr Schulz so feldflüchtig sah, da rief er voll Freude

‚potz, Veitli, lueg, lueg‘ was isch das?

das Ungehüer ischt a Has.‘

Der Schwabenbund suchte aber weiter Abenteuer und kam an die Mosel, ein mosiges, stilles und tiefes Wasser, darüber nicht viel Brücken sind, sondern man an mehrern Orten sich muß in Schiffen überfahren lassen. Weil die sieben Schwaben dessen unberichtet waren, riefen sie einem Mann, der jenseits des Wassers seine Arbeit vollbrachte, zu, wie man doch hinüberkommen könnte. Der Mann verstand wegen der Weite und wegen ihrer Sprache nicht, was sie wollten, und fragte auf sein Trierisch ‚wat? wat!, Da meinte der Herr Schulz, er spräche nicht anders als ‚wate, wate durchs Wasser,‘ und hub an, weil er der vorderste war, sich auf den Weg zu machen und in die Mosel hineinzugehen. Nicht lang, so versank er in den Schlamm und in die antreibenden tiefen Wellen, seinen Hut aber jagte der Wind hinüber an das jenseitige Ufer, und ein Frosch setzte sich dabei und quakte ‚wat, wat, wat.‘ Die sechs andern hörten das drüben und sprachen ‚unser Gesell, der Herr Schulz, ruft uns, kann er hinüberwaten, warum wir nicht auch?‘ Sprangen darum eilig alle zusammen in das Wasser und ertranken, also daß ein Frosch ihrer sechse ums Leben brachte, und niemand von dem Schwabenbund wieder nach Haus kam.

Die sieben Raben

Gebrüder Grimm

Die sieben Raben

Ein Mann hatte sieben Söhne und immer noch kein Töchterchen, so sehr er sichs auch wünschte; endlich gab ihm seine Frau wieder gute Hoffnung zu einem Kinde, und wies zur Welt kam, war es auch ein Mädchen. Die Freude war groß, aber das Kind war schmächtig und klein, und sollte wegen seiner Schwachheit die Nottaufe haben. Der Vater schickte einen der Knaben eilends zur Quelle, Taufwasser zu holen: die andern sechs liefen mit, und weil jeder der erste beim Schöpfen sein wollte, so fiel ihnen der Krug in den Brunnen. Da standen sie und wußten nicht, was sie tun sollten, und keiner getraute sich heim. Als sie immer nicht zurückkamen, ward der Vater ungeduldig und sprach: »Gewiß haben sie’s wieder über ein Spiel vergessen, die gottlosen Jungen.« Es ward ihm angst, das Mädchen müßte ungetauft verscheiden, und im Ärger rief er: »Ich wollte, daß die Jungen alle zu Raben würden.« Kaum war das Wort ausgeredet, so hörte er ein Geschwirr über seinem Haupt in der Luft, blickte in die Höhe und sah sieben kohlschwarze Raben auf- und davonfliegen.

Die Eltern konnten die Verwünschung nicht mehr zurücknehmen, und so traurig sie über den Verlust ihrer sieben Söhne waren, trösteten sie sich doch einigermaßen durch ihr liebes Töchterchen, das bald zu Kräften kam, und mit jedem Tage schöner ward. Es wußte lange Zeit nicht einmal, daß es Geschwister gehabt hatte, denn die Eltern hüteten sich, ihrer zu erwähnen, bis es eines Tags von ungefähr die Leute von sich sprechen hörte, das Mädchen wäre wohl schön, aber doch eigentlich schuld an dem Unglück seiner sieben Brüder. Da ward es ganz betrübt, ging zu Vater und Mutter und fragte, ob es denn Brüder gehabt hätte, und wo sie hingeraten wären. Nun durften die Eltern das Geheimnis nicht länger verschweigen, sagten jedoch, es sei so des Himmels Verhängnis und seine Geburt nur der unschuldige Anlaß gewesen. Allein das Mädchen machte sich täglich ein Gewissen daraus und glaubte, es müßte seine Geschwister wieder erlösen. Es hatte nicht Ruhe und Rast, bis es sich heimlich aufmachte und in die weite Welt ging, seine Brüder irgendwo aufzuspüren und zu befreien, es möchte kosten, was es wollte. Es nahm nichts mit sich als ein Ringlein von seinen Eltern zum Andenken, einen Laib Brot für den Hunger, ein Krüglein Wasser für den Durst und ein Stühlchen für die Müdigkeit.

Nun ging es immerzu, weit weit, bis an der Welt Ende. Da kam es zur Sonne, aber die war zu heiß und fürchterlich, und fraß die kleinen Kinder. Eilig lief es weg und lief hin zu dem Mond, aber der war gar zu kalt und auch grausig und bös, und als er das Kind merkte, sprach er: »Ich rieche Menschenfleisch.« Da machte es sich geschwind fort und kam zu den Sternen, die waren ihm freundlich und gut, und jeder saß auf seinem besondern Stühlchen. Der Morgenstern aber stand auf, gab ihm ein Hinkelbeinchen und sprach: »Wenn du das Beinchen nicht hast, kannst du den Glasberg nicht aufschließen, und in dem Glasberg, da sind deine Brüder.«

Das Mädchen nahm das Beinchen, wickelte es wohl in ein Tüchlein, und ging wieder fort, so lange, bis es an den Glasberg kam. Das Tor war verschlossen und es wollte das Beinchen hervorholen, aber wie es das Tüchlein aufmachte, so war es leer, und es hatte das Geschenk der guten Sterne verloren. Was sollte es nun anfangen? Seine Brüder wollte es erretten und hatte keinen SchIüssel zum Glasberg. Das gute Schwesterchen nahm ein Messer, schnitt sich ein kleines Fingerchen ab, steckte es in das Tor und schloß glücklich auf. Als es eingegangen war, kam ihm ein Zwerglein entgegen, das sprach: »Mein Kind, was suchst du?« »Ich suche meine Brüder, die sieben Raben,« antwortete es. Der Zwerg sprach: »Die Herren Raben sind nicht zu Haus, aber willst du hier so lang warten, bis sie kommen, so tritt ein.« Darauf trug das Zwerglein die Speise der Raben herein auf sieben Tellerchen und in sieben Becherchen, und von jedem Tellerchen aß das Schwesterchen ein Bröckchen, und aus jedem Becherchen trank es ein SchIückchen; in das letzte Becherchen aber ließ es das Ringlein fallen, das es mitgenommen hatte.

Auf einmal hörte es in der Luft ein Geschwirr und ein Geweh, da sprach das Zwerglein: »Jetzt kommen die Herren Raben heim geflogen.« Da kamen sie, wollten essen und trinken, und suchten ihre Tellerchen und Becherchen. Da sprach einer nach dem andern: »Wer hat von meinem Tellerchen gegessen? Wer hat aus meinem Becherchen getrunken? Das ist eines Menschen Mund gewesen.« Und wie der siebente auf den Grund des Bechers kam, rollte ihm das Ringlein entgegen. Da sah er es an und erkannte, daß es ein Ring von Vater und Mutter war, und sprach: »Gott gebe, unser Schwesterlein wäre da, so wären wir erlöst.« Wie das Mädchen, das hinter der Türe stand und lauschte, den Wunsch hörte, so trat es hervor, und da bekamen alle die Raben ihre menschliche Gestalt wieder. Und sie herzten und küßten einander, und zogen fröhlich heim.

Die sechs Schwäne

Gebrüder Grimm

Die sechs Schwäne

Es jagte einmal ein König in einem großen Wald und jagte einem Wild so eifrig nach, daß ihm niemand von seinen Leuten folgen konnte. Als der Abend herankam, hielt er still und blickte um sich, da sah er, daß er sich verirrt hatte. Er suchte einen Ausgang, konnte aber keinen finden. Da sah er eine alte Frau mit wackelndem Kopfe, die auf ihn zukam; das war aber eine Hexe. ‚Liebe Frau,‘ sprach er zu ihr, ‚könnt Ihr mir nicht den Weg durch den Wald zeigen?‘ ‚O ja, Herr König,‘ antwortete sie, ‚das kann ich wohl, aber es ist eine Bedingung dabei, wenn Ihr die nicht erfüllt, so kommt Ihr nimmermehr aus dem Wald und müßt darin Hungers sterben.‘ ‚Was ist das für eine Bedingung?‘ fragte der König. ‚Ich habe eine Tochter,‘ sagte die Alte, ‚die so schön ist, wie Ihr eine auf der Welt finden könnt, und wohl verdient, Eure Gemahlin zu werden, wollt Ihr die zur Frau Königin machen, so zeige ich Euch den Weg aus dem Walde.‘ Der König in der Angst seines Herzens willigte ein, und die Alte führte ihn zu ihrem Häuschen, wo ihre Tochter beim Feuer saß. Sie empfing den König, als wenn sie ihn erwartet hätte, und er sah wohl, daß sie sehr schön war, aber sie gefiel ihm doch nicht, und er konnte sie ohne heimliches Grausen nicht ansehen. Nachdem er das Mädchen zu sich aufs Pferd gehoben hatte, zeigte ihm die Alte den Weg, und der König gelangte wieder in sein königliches Schloß, wo die Hochzeit gefeiert wurde.

Der König war schon einmal verheiratet gewesen, und hatte von seiner ersten Gemahlin sieben Kinder, sechs Knaben und ein Mädchen, die er über alles auf der Welt liebte. Weil er nun fürchtete, die Stiefmutter möchte sie nicht gut behandeln und ihnen gar ein Leid antun, so brachte er sie in ein einsames Schloß, das mitten in einem Walde stand. Es lag so verborgen, und der Weg war so schwer zu finden, daß er ihn selbst nicht gefunden hätte, wenn ihm nicht eine weise Frau ein Knäuel Garn von wunderbarer Eigenschaft geschenkt hätte; wenn er das vor sich hinwarf, so wickelte es sich von selbst los und zeigte ihm den Weg. Der König ging aber so oft hinaus zu seinen lieben Kindern, daß der Königin seine Abwesenheit auffiel; sie war neugierig und wollte wissen, was er draußen ganz allein in dem Walde zu schaffen habe. Sie gab seinen Dienern viel Geld, und die verrieten ihr das Geheimnis und sagten ihr auch von dem Knäuel, das allein den Weg zeigen könnte. Nun hatte sie keine Ruhe, bis sie herausgebracht hatte, wo der König das Knäuel aufbewahrte, und dann machte sie kleine weißseidene Hemdchen, und da sie von ihrer Mutter die Hexenkünste gelernt hatte, so nähete sie einen Zauber hinein. Und als der König einmal auf die Jagd geritten war, nahm sie die Hemdchen und ging in den Wald, und das Knäuel zeigte ihr den Weg. Die Kinder, die aus der Ferne jemand kommen sahen, meinten, ihr lieber Vater käme zu ihnen, und sprangen ihm voll Freude entgegen. Da warf sie über ein jedes eins von den Hemdchen, und wie das ihren Leib berührt hatte, verwandelten sie sich in Schwäne und flogen über den Wald hinweg. Die Königin ging ganz vergnügt nach Haus und glaubte ihre Stiefkinder los zu sein, aber das Mädchen war ihr mit den Brüdern nicht entgegen gelaufen, und sie wußte nichts von ihm. Andern Tags kam der König und wollte seine Kinder besuchen, er fand aber nieman d als das Mädchen. ‚Wo sind deine Brüder?‘ fragte der König. ‚Ach, lieber Vater,‘ antwortete es, ‚die sind fort und haben mich allein zurückgelassen,‘ und erzählte ihm, daß es aus seinem Fensterlein mit angesehen habe, wie seine Brüder als Schwäne über den Wald weggeflogen wären, und zeigte ihm die Federn, die sie in dem Hof hatten fallen lassen, und die es aufgelesen hatte. Der König trauerte, aber er dachte nicht, daß die Königin die böse Tat vollbracht hätte, und weil er fürchtete, das Mädchen würde ihm auch geraubt, so wollte er es mit fortnehmen. Aber es hatte Angst vor der Stiefmutter, und bat den König, daß es nur noch diese Nacht im Waldschloß bleiben dürfte.

Das arme Mädchen dachte ‚meines Bleibens ist nicht länger hier, ich will gehen und meine Brüder suchen.‘ Und als die Nacht kam, entfloh es, und ging gerade in den Wald hinein. Es ging die ganze Nacht durch und auch den andern Tag in einem fort, bis es vor Müdigkeit nicht weiter konnte. Da sah es eine Wildhütte, stieg hinauf und fand eine Stube mit sechs kleinen Betten, aber es getraute nicht sich in eins zu legen, sondern kroch unter eins, legte sich auf den harten Boden und wollte die Nacht da zubringen. Als aber die Sonne bald untergehen wollte, hörte es ein Rauschen und sah, daß sechs Schwäne zum Fenster hereingeflogen kamen. Sie setzten sich auf den Boden, und bliesen einander an und bliesen sich alle Federn ab, und ihre Schwanenhaut streifte sich ab wie ein Hemd. Da sah sie das Mädchen an und erkannte ihre Brüder, freute sich und kroch unter dem Bett hervor. Die Brüder waren nicht weniger erfreut, als sie ihr Schwesterchen erblickten, aber ihre Freude war von kurzer Dauer. ‚Hier kann deines Bleibens nicht sein,‘ sprachen sie zu ihm, ‚das ist eine Herberge für Räuber, wenn die heim kommen und finden dich, so ermorden sie dich.‘ ‚Könnt ihr mich denn nicht beschützen?‘ fragte das Schwesterchen. ‚Nein‘ antworteten sie, ‚denn wir können nur eine Viertelstunde lang jeden Abend unsere Schwanenhaut ablegen, und haben in dieser Zeit unsere menschliche Gestalt, aber dann werden wir wieder in Schwäne verwandelt.‘ Das Schwesterchen weinte und sagte ‚könnt ihr denn nicht erlöst werden?‘ ‚Ach nein,‘ antworteten sie, ‚die Bedingungen sind zu schwer. Du darfst sechs Jahre lang nicht sprechen und nicht lachen, und mußt in der Zeit sechs Hemdchen für uns aus Sternblumen zusammennähen. Kommt ein einziges Wort aus deinem Munde, so ist alle Arbeit verloren.‘ Und als die Brüder das gesprochen hatten, war die Viertelstunde herum, und sie flogen als Schwäne wieder zum Fenster hinaus.

Das Mädchen aber faßte den festen Entschluß, seine Brüder zu erlösen, und wenn es auch sein Leben kostete. Es verließ die Wildhütte, ging mitten in den Wald und setzte sich auf einen Baum und brachte da die Nacht zu. Am andern Morgen ging es aus, sammelte Sternblumen und fing an zu nähen. Reden konnte es mit niemand, und zum Lachen harte es keine Lust: es saß da und sah nur auf seine Arbeit. Als es schon lange Zeit da zugebracht hatte, geschah es, daß der König des Landes in dem Wald jagte und seine Jäger zu dem Baum kamen, auf welchem das Mädchen saß. Sie riefen es an und sagten ‚wer bist du?‘ Es gab aber keine Antwort. ‚Komm herab zu uns,‘ sagten sie, ‚wir wollen dir nichts zuleid tun.‘ Es schüttelte bloß mit dem Kopf. Als sie es weiter mit Fragen bedrängten, so warf es ihnen seine goldene Halskette herab und dachte sie damit zufrieden zu stellen. Sie ließen aber nicht ab, da warf es ihnen seinen Gürtel herab, und als auch das nichts half, seine Strumpfbänder, und nach und nach alles, was es anhatte und entbehren konnte, so daß es nichts mehr als sein Hemdlein behielt. Die Jäger ließen sich aber damit nicht abweisen, stiegen auf den Baum, hoben das Mädchen herab und führten es vor den König. Der König fragte ‚wer bist du? was machst du auf dem Baum?‘ Aber es antwortete nicht. Er fragte es in allen Sprachen, die er wußte, aber es blieb stumm wie ein Fisch. Weil es aber so schön war, so ward des Königs Herz gerührt, und er faßte eine große Liebe zu ihm. Er tat ihm seinen Mantel um, nahm es vor sich aufs Pferd und brachte es in sein Schloß. Da ließ er ihm reiche Kleider antun, und es strahlte in seiner Schönheit wie der helle Tag, aber es war kein Wort aus ihm herauszubringen. Er setzte es bei Tisch an seine Seite, und seine bescheidenen Mienen und seine Sittsamkeit gefielen ihm so sehr, daß er sprach ‚diese begehre ich zu heiraten und keine andere auf der Welt,‘ und nach einigen Tagen vermählte er sich mit ihr.

Der König aber hatte eine böse Mutter, die war unzufrieden mit dieser Heirat und sprach schlecht von der jungen Königin. ‚Wer weiß, wo die Dirne her ist,‘ sagte sie, ‚die nicht reden kann: sie ist eines Königs nicht würdig.‘ Über ein Jahr, als die Königin das erste Kind zur Welt brachte, nahm es ihr die Alte weg und bestrich ihr im Schlafe den Mund mit Blut. Da ging sie zum König und klagte sie an, sie wäre eine Menschenfresserin. Der König wollte es nicht glauben und litt nicht, daß man ihr ein Leid antat. Sie saß aber beständig und nähete an den Hemdchen, und achtete auf nichts anderes. Das nächstemal, als sie wieder einen schönen Knaben gebar, übte die falsche Schwiegermutter denselben Betrug aus, aber der König konnte sich nicht entschließen, ihren Reden Glauben beizumessen. Er sprach ’sie ist zu fromm und gut, als daß sie so etwas tun könnte, wäre sie nicht stumm und könnte sie sich verteidigen, so würde ihre Unschuld an den Tag kommen.‘ Als aber das drittemal die Alte das neugeborne Kind raubte und die Königin anklagte, die kein Wort zu ihrer Verteidigung vorbrachte, so konnte der König nicht anders, er mußte sie dem Gericht übergeben, und das verurteilte sie, den Tod durchs Feuer zu erleiden.

Als der Tag herankam, wo das Urteil sollte vollzogen werden, da war zugleich der letzte Tag von den sechs Jahren herum, in welchem sie nicht sprechen und nicht lachen durfte, und sie hatte ihre lieben Brüder aus der Macht des Zaubers befreit. Die sechs Hemden waren fertig geworden, nur daß an dem letzten der linke Ärmel noch fehlte. Als sie nun zum Scheiterhaufen geführt wurde, legte sie die Hemden auf ihren Arm, und als sie oben stand und das Feuer eben sollte angezündet werden, so schaute sie sich um, da kamen sechs Schwäne durch die Luft dahergezogen. Da sah sie, daß ihre Erlösung nahte, und ihr Herz regte sich in Freude. Die Schwäne rauschten zu ihr her und senkten sich herab, so daß sie ihnen die Hemden überwerfen konnte: und wie sie davon berührt wurden, fielen die Schwanenhäute ab, und ihre Brüder standen leibhaftig vor ihr und waren frisch und schön; nur dem jüngsten fehlte der linke Arm, und er hatte dafür einen Schwanenflügel am Rücken. Sie herzten und küßten sich, und die Königin ging zu dem Könige, der ganz bestürzt war, und fing an zu reden und sagte ‚liebster Gemahl‘ nun darf ich sprechen und dir offenbaren, daß ich unschuldig bin und fälschlich angeklagt,‘ und erzählte ihm von dem Betrug der Alten, die ihre drei Kinder weggenommen und verborgen hätte. Da wurden sie zu großer Freude des Königs herbeigeholt, und die böse Schwiegermutter wurde zur Strafe auf den Scheiterhaufen gebunden und zu Asche verbrannt. Der König aber und die Königin mit ihren sechs Brüdern lebten lange Jahre in Glück und Frieden.

Die sechs Diener

Gebrüder Grimm

Die sechs Diener

Vor Zeiten lebte eine alte Königin, die war eine Zauberin, und ihre Tochter war das schönste Mädchen unter der Sonne. Die Alte dachte aber auf nichts, als wie sie die Menschen ins Verderben locken könnte, und wenn ein Freier kam, so sprach sie, wer ihre Tochter haben wollte, müßte zuvor eine Aufgabe lösen, oder er müßte sterben. Viele waren von der Schönheit der Jungfrau verblendet und wagten es wohl, aber sie konnten nicht vollbringen, was die Alte ihnen auflegte, und dann war keine Gnade, sie mußten niederknien, und das Haupt ward ihnen abgeschlagen.

Ein Königssohn, der hatte auch von der großen Schönheit der Jungfrau gehört und sprach zu seinem Vater: »Laßt mich hinziehen, ich will um sie werben.«

»Nimmermehr«, antwortete der König, »gehst du fort, so gehst du in deinen Tod.«

Da legte der Sohn sich nieder und ward sterbenskrank und lag sieben Jahre lang, und kein Arzt konnte ihm helfen. Als der Vater sah, daß keine Hoffnung mehr war, sprach er voll Herzenstraurigkeit zu ihm: »Zieh hin und versuche dein Glück, ich weiß dir sonst nicht zu helfen.« Wie der Sohn das hörte, stand er auf von seinem Lager, ward gesund und machte sich fröhlich auf den Weg.

Es trug sich zu, als er über eine Heide zu reiten kam, daß er von weitem auf der Erde etwas liegen sah wie einen großen Heuhaufen, und wie er sich näherte, konnte er unterscheiden, daß es der Bauch eines Menschen war, der sich dahingestreckt hatte; der Bauch aber sah aus wie ein kleiner Berg. Der Dicke, wie er den Reisenden erblickte, richtete sich in die Höhe und sprach: »Wenn Ihr jemand braucht, so nehmt mich in Eure Dienste.«

Der Königssohn antwortete: »Was soll ich mit einem so ungefügen Mann anfangen?«

»Oh«, sprach der Dicke, »das will nichts sagen, wenn ich mich recht auseinander tue, bin ich noch dreitausendmal so dick.«

»Wenn das ist«, sagte der Königssohn, »so kann ich dich brauchen, komm mit mir.«

Da ging der Dicke hinter dem Königssohn her, und über eine Weile fanden sie einen andern, der lag da auf der Erde und hatte das Ohr auf den Rasen gelegt. Fragte der Königssohn: »Was machst du da?«

»Ich horche«, antwortete der Mann.

»Wonach horchst du so aufmerksam?«

»Ich horche nach dem, was eben in der Welt sich zuträgt, denn meinen Ohren entgeht nichts, das Gras sogar hör ich wachsen.

Fragte der Königssohn: »Sage mir, was hörst du am Hofe der alten Königin, welche die schöne Tochter hat?«

Da antwortete er: »Ich höre das Schwert sausen, das einem Freier den Kopf abschlägt.« Der Königssohn sprach: »Ich kann dich brauchen, komm mit mir.« Da zogen sie weiter und sahen einmal ein Paar Füße da liegen und auch etwas von den Beinen, aber das Ende konnten sie nicht sehen. Als sie eine gute Strecke fortgegangen waren, kamen sie zu dem Leib und endlich auch zu dem Kopf. »Ei«, sprach der Königssohn, »was bist du für ein langer Strick!«

»Oh«, antwortete der Lange, »das ist noch gar nichts, wenn ich meine Gliedmaßen erst recht ausstrecke, bin ich noch dreitausendmal so lang und bin größer als der höchste Berg auf Erden. Ich will Euch gerne dienen, wenn Ihr mich annehmen wollt.«

»Komm mit«, sprach der Königssohn, »ich kann dich brauchen.«

Sie zogen weiter und fanden einen am Weg sitzen, der hatte die Augen zugebunden. Sprach der Königssohn zu ihm: »Hast du blöde Augen, daß du nicht in das Licht sehen kannst?«

»Nein«, antwortete der Mann, »ich darf die Binde nicht abnehmen, denn was ich mit meinen Augen ansehe, das springt auseinander, so gewaltig ist mein Blick. Kann Euch das nützen, so will ich Euch gern dienen.«

»Komm mit«, antwortete der Königssohn, »ich kann dich brauchen.« Sie zogen weiter und fanden einen Mann, der lag mitten im heißen Sonnenschein und zitterte und fror am ganzen Leibe, so daß ihm kein Glied stillstand. »Wie kannst du frieren?« sprach der Königssohn, »und die Sonne scheint so warm.«

»Ach«, antwortete der Mann, »meine Natur ist ganz anderer Art, je heißer es ist, desto mehr frier ich, und der Frost dringt mir durch alle Knochen. Und je kälter es ist, desto heißer wird mir. Mitten im Eis kann ich’s vor Hitze und mitten im Feuer vor Kälte nicht aushalten.«

»Du bist ein wunderlicher Kerl«, sprach der Königssohn, »aber wenn du mir dienen willst, so komm mit.« Nun zogen sie weiter und sahen einen Mann stehen, der machte einen langen Hals, schaute sich um und schaute über alle Berge hinaus. Sprach der Königssohn: »Wonach siehst du so eifrig?«

Der Mann antwortete: »Ich habe so helle Augen, daß ich über alle Wälder und Felder, Täler und Berge hinaus und durch die ganze Welt sehen kann.« Der Königssohn sprach: »Willst du, so komm mit mir, denn so einer fehlte mir noch.«

Nun zog der Königssohn mit seinen sechs Dienern in die Stadt ein, wo die alte Königin lebte. Er sagte nicht, wer er wäre, aber er sprach: »Wollt Ihr mir Eure schöne Tochter geben, so will ich vollbringen, was Ihr mir auferlegt.« Die Zauberin freute sich, daß ein so schöner Jüngling wieder in ihre Netze fiel, und sprach: »Dreimal will ich dir eine Aufgabe aufgeben, lösest du sie jedesmal, so sollst du der Herr und Gemahl meiner Tochter werden.«

»Was soll das erste sein?« fragte er.

»Daß du mir einen Ring herbeibringst, den ich ins Rote Meer habe fallen lassen.« Da ging der Königssohn heim zu seinen Dienern und sprach: »Die erste Aufgabe ist nicht leicht, ein Ring soll aus dem Roten Meer geholt werden, nun schafft Rat.« Da sprach der mit den hellen Augen: »Ich will sehen, wo er liegt«, schaute in das Meer hinab und sagte: »Dort hängt er an einem spitzen Stein.« Der Lange trug sie hin und sprach: »Ich wollte ihn wohl herausholen, wenn ich ihn nur sehen könnte.«

»Wenn’s weiter nichts ist«, rief der Dicke, legte sich nieder und hielt seinen Mund ans Wasser. Da fielen die Wellen hinein wie in einen Abgrund, und er trank das ganze Meer aus, daß es trocken ward wie eine Wiese. Der Lange bückte sich ein wenig und holte den Ring mit der Hand heraus. Da ward der Königssohn froh, als er den Ring hatte, und brachte ihn der Alten.

Sie erstaunte und sprach: »Ja, es ist der rechte Ring. Die erste Aufgabe hast du glücklich gelöst, aber nun kommt die zweite. Siehst du, dort auf der Wiese vor meinem Schlosse, da weiden dreihundert fette Ochsen, die mußt du mit Haut und Haar, Knochen und Hörnern verzehren. Und unten im Keller liegen dreihundert Fässer Wein, die mußt du dazu austrinken, und bleibt von den Ochsen ein Haar und von dem Wein ein Tröpfchen übrig, so ist mir dein Leben verfallen.«

Sprach der Königssohn: »Darf ich mir keine Gäste dazu laden? Ohne Gesellschaft schmeckt keine Mahlzeit.«

Die Alte lachte boshaft und antwortete: »Einen darfst du dir dazu laden, damit du Gesellschaft hast, aber weiter keinen.«

Da ging der Königssohn zu seinen Dienern und sprach zu dem Dicken: »Du sollst heute mein Gast sein und dich einmal satt essen.« Da tat sich der Dicke voneinander und aß die dreihundert Ochsen, daß kein Haar übrigblieb, und fragte, ob weiter nichts als das Frühstück da wäre. Den Wein aber trank er gleich aus den Fässern, ohne daß er ein Glas nötig hatte, und trank den letzten Tropfen vom Nagel herunter.

Als die Mahlzeit zu Ende war, ging der Königssohn zur Alten und sagte ihr, die zweite Aufgabe wäre gelöst. Sie verwunderte sich und sprach: »So weit hat’s noch keiner gebracht, aber es ist noch eine Aufgabe übrig«, und dachte: Du sollst mir nicht entgehen und wirst deinen Kopf nicht oben behalten. »Heute abend«, sprach sie, »bring ich meine Tochter zu dir in deine Kammer, und du sollst sie mit deinem Arm umschlingen. Und wenn ihr da beisammen sitzt, so hüte dich, daß du nicht einschläfst. Ich komme Schlag zwölf Uhr, und ist sie dann nicht mehr in deinen Armen, so hast du verloren.« Der Königssohn dachte: Der Bund ist leicht, ich will wohl meine Augen offen behalten, doch rief er seine Diener, erzählte ihnen, was die Alte gesagt hatte, und sprach: »Wer weiß, was für eine List dahintersteckt, Vorsicht ist gut, haltet Wache und sorgt, daß die Jungfrau nicht wieder aus meiner Kammer kommt.«

Als die Nacht einbrach, kam die Alte mit ihrer Tochter und führte sie in die Arme des Königssohns, und dann schlang sich der Lange um sie beide in einen Kreis, und der Dicke stellte sich vor die Türe, also daß keine lebendige Seele herein konnte. Da saßen sie beide, und die Jungfrau sprach kein Wort, aber der Mond schien durchs Fenster auf ihr Angesicht, daß er ihre wunderbare Schönheit sehen konnte. Er tat nichts als sie anschauen, war voll Freude und Liebe, und es kam keine Müdigkeit in seine Augen.

Das dauerte bis elf Uhr, da warf die Alte einen Zauber über alle, daß sie einschliefen, und in dem Augenblick war auch die Jungfrau entrückt.

Nun schliefen sie hart bis ein Viertel vor zwölf, da war der Zauber kraftlos, und sie erwachten alle wieder.

»O Jammer und Unglück«, rief der Königssohn, »nun bin ich verloren!« Die treuen Diener fingen auch an zu klagen, aber der Horcher sprach: »Seid still, ich will horchen«, da horchte er einen Augenblick, und dann sprach er: »Sie sitzt in einem Felsen dreihundert Stunden von hier und bejammert ihr Schicksal. Du allein kannst helfen, Langer, wenn du dich aufrichtest, so bist du mit ein paar Schritten dort.«

»Ja«, antwortete der Lange, »aber der mit den scharfen Augen muß mitgehen, damit wir den Felsen wegschaffen.« Da huckte der Lange den mit den verbundenen Augen auf, und im Augenblick, wie man eine Hand umwendet, waren sie vor dem verwünschten Felsen. Alsbald nahm der Lange dem andern die Binde von den Augen, der sich nur umschaute, so zersprang der Felsen in tausend Stücke. Da nahm der Lange die Jungfrau auf den Arm, trug sie in einem Nu zurück, holte ebensoschnell auch noch seinen Kameraden, und eh es zwölfe schlug, saßen sie alle wieder wie vorher und waren munter und guter Dinge.

Als es zwölf schlug, kam die alte Zauberin herbeigeschlichen, machte ein höhnisches Gesicht, als wollte sie sagen: »Nun ist er mein«, und glaubte, ihre Tochter säße dreihundert Stunden weit im Felsen. Als sie aber ihre Tochter in den Armen des Königssohns erblickte, erschrak sie und sprach: »Da ist einer, der kann mehr als ich.« Aber sie durfte nichts einwenden und mußte ihm die Jungfrau zusagen. Da sprach sie ihr ins Ohr: »Schande für dich, daß du gemeinem Volk gehorchen sollst und dir einen Gemahl nicht nach deinem Gefallen wählen darfst.«

Da ward das stolze Herz der Jungfrau mit Zorn erfüllt und sann auf Rache. Sie ließ am andern Morgen dreihundert Malter Holz zusammenfahren und sprach zu dem Königssohn, die drei Aufgaben wären gelöst, sie würde aber nicht eher seine Gemahlin werden, bis einer bereit wäre, sich mitten in das Holz zu setzen und das Feuer auszuhalten. Sie dachte, keiner seiner Diener würde sich für ihn verbrennen und aus Liebe zu ihr würde er selber sich hineinsetzen und dann wäre sie frei. Die Diener aber sprachen: »Wir haben alle etwas getan, nur der Frostige noch nicht, der muß auch daran«, setzten ihn mitten auf den Holzstoß und steckten ihn an. Da begann das Feuer zu brennen und brannte drei Tage, bis alles Holz verzehrt war, und als die Flammen sich legten, stand der Frostige mitten in der Asche, zitterte wie ein Espenlaub und sprach: »Einen solchen Frost habe ich mein Lebtage nicht ausgehalten, und wenn er länger gedauert hätte, so wäre ich erstarrt.«

Nun war keine Ausflucht mehr zu finden, die schöne Jungfrau mußte den unbekannten Jüngling zum Gemahl nehmen. Als sie aber nach der Kirche fuhren, sprach die Alte: »Ich kann die Schande nicht ertragen«, und schickte ihr Kriegsvolk nach, das sollte alles niedermachen, was ihm vorkäme, und ihr die Tochter zurückbringen. Der Horcher aber hatte die Ohren gespitzt und die heimlichen Reden der Alten vernommen.

»Was fangen wir an?« sprach er zu dem Dicken, aber der wußte Rat, spie einmal oder zweimal hinter dem Wagen einen Teil von dem Meereswasser aus, das er getrunken hatte, da entstand ein großer See, worin die Kriegsvölker steckenblieben und ertranken. Als die Zauberin das vernahm, schickte sie ihre geharnischten Reiter, aber der Horcher hörte das Rasseln ihrer Rüstung und band dem einen die Augen auf, der guckte die Feinde ein bißchen scharf an, da sprangen sie auseinander wie Glas. Nun fuhren sie ungestört weiter, und als die beiden in der Kirche eingesegnet waren, nahmen die sechs Diener ihren Abschied und sprachen zu ihrem Herrn: »Eure Wünsche sind erfüllt. Ihr habt uns nicht mehr nötig, wir wollen weiter ziehen und unser Glück versuchen.

Eine halbe Stunde vor dem Schloß war ein Dorf, vor dem hütete ein Schweinehirt seine Herde. Wie sie dahin kamen, sprach er zu seiner Frau: »Weißt du auch recht, wer ich bin? Ich bin kein Königssohn, sondern ein Schweinehirt, und der mit der Herde dort, das ist mein Vater. Wir zwei müssen auch daran und ihm helfen hüten.« Dann stieg er mit ihr in das Wirtshaus ab und sagte heimlich zu den Wirtsleuten, in der Nacht sollten sie ihr die königlichen Kleider wegnehmen. Wie sie nun am Morgen aufwachte, hatte sie nichts anzutun, und die Wirtin gab ihr einen alten Rock und ein Paar alte, wollene Strümpfe, dabei tat sie noch, als wär’s ein großes Geschenk, und sprach: »Wenn nicht Eurer Mann wäre, hätt ich’s Euch gar nicht gegeben.« Da glaubte sie, er wäre wirklich ein Schweinehirt, und hütete mit ihm die Herde und dachte: Ich habe es verdient mit meinem Übermut und Stolz. Das dauerte acht Tage, da konnte sie es nicht mehr aushalten, denn die Füße waren ihr wund geworden. Da kamen ein paar Leute und fragten, ob sie wüßte, wer ihr Mann wäre.

»Ja«, antwortete sie, »er ist ein Schweinehirt und ist eben ausgegangen, mit Bändern und Schnüren einen kleinen Handel zu treiben.« Sie sprachen aber: »Kommt einmal mit, wir wollen Euch zu ihm hinführen«, und brachten sie ins Schloß hinauf; und wie sie in den Saal kam, stand da ihr Mann in königlichen Kleidern. Sie erkannte ihn aber nicht, bis er ihr um den Hals fiel, sie küßte und sprach: »Ich habe so viel für dich gelitten, da hast du auch für mich leiden sollen.« Nun ward erst die Hochzeit gefeiert, und der’s erzählt hat, wollte, er wäre auch dabeigewesen.

Die schöne Katrinelje und Pif Paf Poltrie

Gebrüder Grimm

Die schöne Katrinelje und Pif Paf Poltrie

‚Guten Tag, Vater Hollenthe.‘ ‚Großen Dank, Pif Paf Poltrie.‘ ‚Könnt ich wohl Eure Tochter kriegen?, ‚O ja, wenns die Mutter Malcho (Melk-Kuh), der Bruder Hohenstolz, die Schwester Käsetraut und die schöne Katrinelje will, so kanns geschehen.‘

‚Wo ist dann die Mutter Malcho?‘

‚Sie ist im Stall und melkt die Kuh.‘

‚Guten Tag, Mutter Malcho.‘ ‚Großen Dank, Pif Paf Poltrie.‘ ‚Könnt ich wohl Eure Tochter kriegen?, ‚O ja, wenns der Vater Hollenthe, der Bruder Hohenstolz, die Schwester Käsetraut und die schöne Katrinelje will, so kanns geschehen.‘

‚Wo ist dann der Bruder Hohenstolz?‘

‚Er ist in der Kammer und hackt das Holz.‘

‚Guten Tag, Bruder Hohenstolz.‘ ‚Großen Dank, Pif Paf Poltrie.‘ ‚Könnt ich wohl Eure Schwester kriegen?‘ ‚O ja, wenns der Vater Hollenthe, die Mutter Malcho, die Schwester Käsetraut und die schöne Katrinelje will, so kanns geschehen.‘

‚Wo ist dann die Schwester Käsetraut?‘

‚Sie ist im Garten und schneidet das Kraut.‘

‚Guten Tag, Schwester Käsetraut.‘ ‚Großen Dank, Pif Paf Poltrie.‘ ‚Könnt ich wohl Eure Schwester kriegen?‘ ‚O ja, wenns der Vater Hollenthe, die Mutter Malcho, der Bruder Hohenstolz und die schöne Katrinelje will, so kanns geschehen.‘

‚Wo ist dann die schöne Katrinelje?,

‚Sie ist in der Kammer und zählt ihre Pfennige.‘

‚Guten Tag, schöne Katrinelje.‘ ‚Großen Dank, Pif Paf Poltrie.‘ ‚Willst du wohl mein Schatz sein?‘ ‚O ja, wenns der Vater Hollenthe, die Mutter Malcho, der Bruder Hohenstolz, die Schwester Käsetraut will, so kanns geschehen.‘

‚Schön Katrinelje, wieviel hast du an Brautschatz?, ‚Vierzehn Pfennige bares Geld, drittehalb Groschen Schuld, ein halb Pfund Hutzeln, eine Handvoll Prutzeln, eine Handvoll Wurzelen,

un so der watt:

is dat nig en guden Brutschatt?

Pif Paf Poltrie, was kannst du für ein Handwerk? bist du ein Schneider?‘ ‚Noch viel besser.‘ ‚Ein Schuster?, ‚Noch viel besser.‘ ‚Ein Ackersmann?‘ ‚Noch viel besser.‘ ‚Ein Schreiner?‘ ‚Noch viel besser.‘ ‚Ein Schmied?‘ ‚Noch viel besser.‘ ‚Ein Müller?‘ ‚Noch viel besser.‘ ‚Vielleicht ein Besenbinder?‘ ‚Ja, das bin ich: ist das nicht ein schönes Handwerk?,

 

Die Scholle

Gebrüder Grimm

Die Scholle

Die Fische waren schon lange unzufrieden, daß keine Ordnung in ihrem Reich herrschte. Keiner kehrte sich an den andern, schwamm rechts und links, wie es ihm einfiel, fuhr zwischen denen durch, die zusammenbleiben wollten, oder sperrte ihnen den Weg, und der Stärkere gab dem Schwächeren einen Schlag mit dem Schwanz, daß er weit wegfuhr, oder er verschlang ihn ohne weiteres. ‚Wie schön wäre es, wenn wir einen König hätten, der Recht und Gerechtigkeit bei uns übte,‘ sagten sie und vereinigten sich, den zu ihrem Herrn zu wählen, der am schnellsten die Fluten durchstreichen und dem Schwachen Hilfe bringen könnte.

Sie stellten sich also am Ufer in Reihe und Glied auf, und der Hecht gab mit dem Schwanz ein Zeichen, worauf sie alle zusammen aufbrachen. Wie ein Pfeil schoß der Hecht dahin und mit ihm der Hering, der Gründling, der Barsch, die Karpfe, und wie sie alle heißen. Auch die Scholle schwamm mit und hoffte das Ziel zu erreichen.

Auf einmal ertönte der Ruf ‚der Hering ist vor! der Hering ist vor.‘ ‚Wen is vör?‘ schrie verdrießlich die platte mißgünstige Scholle, die weit zurückgeblieben war, ‚wen is vör?‘ ‚Der Hering, der Hering,‘ war die Antwort. ‚De nackte Hiering?‘ rief die Neidische, ‚de nackte Hiering?‘ Seit der Zeit steht der Scholle zur Strafe das Maul schief.

Die Schlickerlinge

Gebrüder Grimm

Die Schlickerlinge

Es war einmal ein Mädchen, das war schön, aber faul und nachlässig. Wenn es spinnen sollte, so war es so verdrießlich, daß, wenn ein kleiner Knoten im Flachs war, es gleich einen ganzen Haufen mit herausriß und neben sich zur Erde schlickerte. Nun hatte es ein Dienstmädchen, das war arbeitsam, suchte den weggeworfenen Flachs zusammen, reinigte ihn, spann ihn fein und ließ sich ein hübsches Kleid daraus weben. Ein junger Mann hatte um das faule Mädchen geworben, und die Hochzeit sollte gehalten werden. Auf dem Polterabend tanzte das fleißige in seinem schönen Kleide lustig herum, da sprach die Braut

‚ach, wat kann dat Mäken springen
in minen Slickerlingen!‘

Das hörte der Bräutigam und fragte die Braut, was sie damit sagen wollte. Da erzählte sie ihm, daß das Mädchen ein Kleid von dem Flachs trüge, den sie weggeworfen hätte. Wie der Bräutigam das hörte und ihre Faulheit bemerkte und den Fleiß des armen Mädchens, so ließ er sie stehen, ging zu jener und wählte sie zu seiner Frau.