Project Description

27. Nacht

Eine Stunde vor Tage erwachte Dinarsade, und
säumte nicht, die Sultanin, ihre liebe Schwester, zu bitten, die Geschichte des
jungen Königs der vier Schwarzen Inseln fortzusetzen.

Scheherasade erinnerte sich bald, wo sie
gestern stehen geblieben war, und nahm sie folgendermaßen wieder auf:

„Sobald die Königin, meine Gemahlin,
hinausgegangen war,“ fuhr der König der Schwarzen Inseln fort, „stand
ich auf, und zog mich hastig an. Ich nahm meinen Säbel, und ging ihr so eilig
nach, dass ich sie bald vor mir gehen hörte. Nun folgte ich ihr Schritt für
Schritt, trat aber leise auf, um nicht gehört zu werden.

Sie ging durch mehrere Türen, welche sich,
durch die Kraft gewisser Zauberworte, die sie aussprach, von selber öffneten.
Die letzte, welche sich so öffnete, war die des Gartens, in welche sie nun
heraustrat.

Ich blieb in dieser Türe stehen, damit sie
mich nicht erblicken möchte, während sie durch ein Blumenstück ging. Ich
verfolgte sie mit den Augen, so weit es die Dunkelheit mir erlaubte, und
bemerkte, dass sie in ein kleines Gehölz trat, dessen Baumgänge von einer
dichten Hecke umgeben waren. Ich begab mich auf einem anderen Weg eben dahin,
und indem ich hinter die Hecke eines ziemlich langen Baumganges schlüpfte, sah
ich sie darin mit einem Mann lustwandeln.

Ich ermangelte nicht, ihrem Gespräch ein
aufmerksames Ohr zu leihen, und folgendes war es, was ich vernahm:

„Ich verdiene nicht,“ sagte die
Königin zu ihrem Geliebten, „die Vorwürfe, welche du mir machst, dass ich
nicht eiliger bin: Du weißt sehr wohl die Ursache, welche mich daran
verhindert. Aber wenn alle die Zeichen der Liebe, welche ich bisher dir gegeben
habe, nicht hinreichen, dich von meiner Innigkeit zu überzeugen, so bin ich
bereit, dir noch auffallendere Beweise davon zu geben: Du darfst nur gebieten.
Du kennst meine Macht. Ich will, wenn du es wünschst, noch vor Sonnenaufgang
diese große Stadt und diesen schönen Palast in grauenvolle Trümmer
verwandeln, die nur den Wölfen, Uhus und Raben bewohnt sind. Soll ich alle
Steine dieser so starken Mauern jenseits des Berges Kaukasus, außerhalb der
Grenzen der bewohnten Welt, versetzen? Du darfst nur ein Wort sagen, und dieser
ganze Ort ist verwandelt.“

Als die Königin diese Worte aussprach, war
sie mit ihrem Buhlen ans Ende des Baumganges gekommen, und wandte sich mit ihm
in einen andern, und beide gingen so vor mir her. Ich hatte schon meinen Säbel
gezogen, und da der Buhle auf meiner Seite ging, hieb ich ihn in den Hals, und
stürzte ihn zu Boden. Ich glaubte ihn getötet zu haben und in diesem Wahn
entfernte ich mich hurtig, ohne mich der Königin zu erkennen zu geben, die ich
schonen wollte, weil sie meine Verwandte war. –

Indessen war der Schlag, den ich ihrem Buhlen
gegeben hatte, allerdings tödlich. Aber sie erhielt ihm durch die Kraft ihrer
Zauberei das Leben, auf eine solche Weise zwar, dass man von ihm sagen kann, er
ist weder tot noch lebend.

Als ich durch den Garten nach dem Palast
zurückging, hörte ich die Königin lautes Geschrei ausstoßen. Ich erkannte
daraus ihren Schmerz, und ich war zufrieden mit mir, dass ich ihr das Leben
gelassen hatte.

Nachdem ich in mein Zimmer zurückgekommen
war, legte ich mich wieder nieder, und zufrieden, den Verwegenen bestraft zu
haben, welcher mich beleidigt hatte, schlief ich ein.

Beim Erwachen, am folgenden Morgen, fand ich
die Königin neben mir liegen …“

Scheherasade war genötigt, bei dieser Stelle
inne zu halten, weil sie den Tag anbrechen sah.

„Guter Gott! meine Schwester,“
sagte hierauf Dinarsade, „es tut mir sehr leid, dass du nicht weiter
erzählen kannst.“

„Meine Schwester,“ antwortete die
Sultanin, du solltest mich zeitiger wecken. Es ist deine Schuld.“ –
„Ich werde es, mit Gottes Hilfe, in der nächsten Nacht wieder tun,“
erwiderte Dinarsade, „denn ich zweifle nicht, dass der Sultan ebenso große
Lust hat, als ich, das Ende dieser Geschichte zu wissen, und ich hoffe, dass er
die Güte haben wird, dich noch bis morgen leben zu lassen.“