Project Description

212. Nacht

„Nachdem die Vertraute dem Juwelier gesagt hatte, wie
erfreut sie wäre, ihn so dienstwillig für Schemselnihar und den Prinzen von
Persien zu finden, zog der Juwelier den Brief aus seinem Busen und gab ihn ihr
wieder, mit den Worten: „Nehmt, und tragt ihn schleunigst zum Prinzen von
Persien, und auf dem Rückweg kommt wieder her, damit ich sehe, was er darauf
antwortet. Vergesst nicht, ihm unsere Unterredung mitzuteilen.“

Die Vertraute nahm den Brief, und trug ihn zu dem Prinzen,
der auf der Stelle darauf antwortete. Sie kam zu dem Juwelier zurück, und
zeigte ihm die Antwort, welche folgendermaßen lautete:

Antwort
des Prinzen von Persien an Schemselnihar

„Eurer teurer Brief macht auf mich eine große
Wirkung, jedoch keine so große, als ich wünschte. Ihr bemüht euch, mich über
den Verlust Ebn Thahers zu trösten. Ach, wie empfindlich mir derselbe auch ist,
so ist das doch nur das Kleinste meiner Leiden! Ihr kennt diese Leiden, und ihr
wisst, dass nur eure Gegenwart im Stande ist, sie zu heilen. Wann wird die Zeit
kommen, dass ich derselben, ohne Furcht ihrer wieder beraubt zu werden,
genießen kann? Wie entfernt scheint sie mir noch! Oder vielmehr, dürfen wir
uns schmeicheln, sie je zu erleben? Ihr gebietet mir, für meine Erhaltung zu
sorgen: Ich werde euch gehorchen, weil ich ganz auf meinen eigenen Willen
verzichtet habe, um nur den euren zu befolgen. Lebt wohl.“

Nachdem der Juwelier diesen Brief gelesen hatte, gab er
ihn der Vertrauten wieder, die im Weggehen zu ihm sagte: „Herr, ich werde
es schon dahin bringen, dass meine Gebieterin auf euch dasselbe Vertrauen setze,
wie sie auf Ebn Thaher hatte. Ihr sollt morgen wieder Nachricht von mir
erhalten.“

In der Tat sah er sie am folgenden Tag mit vergnügtem
Gesicht daherkommen. „Euer bloßer Anblick,“ sagte er zu ihr,
„gibt mir zu erkennen, dass ihr Schemselnihar in die Stimmung versetzt
habt, welche ihr wünscht.“

„Es ist wahr,“ antwortete die Vertraute,
„und ihr sollt sogleich hören, auf welche Weise ich zum Ziel gelangt bin.
Ich fand gestern,“ fuhr sie fort, „Schemselnihar in ungeduldiger
Erwartung. Ich gab ihr den Brief des Prinzen. Sie las ihn mit Tränen in den
Augen. Als sie ihn durchgelesen hatte, sah ich sie wieder ihrem gewöhnlichen
Kummer sich hingeben, und sagte zu ihr: „Gebieterin, es ist ohne Zweifel
die Entfernung Ebn Thahers, die euch bekümmert, aber erlaubt mir, dass ich euch
im Namen Gottes beschwöre, euch hierüber nicht mehr zu beunruhigen. Wir haben
einen anderen Mann gefunden, der sich erbietet, euch mit ebenso viel Eifer zu
dienen, und, was sehr wichtig ist, mit noch mehr Mut. Hierauf sagte ich ihr von
euch,“ fuhr die Sklavin fort, „und erzählte ihr die Veranlassung, die
euch zu dem Prinzen von Persien führte. Kurz, ich versicherte ihr, dass ihr
unverletzlich ihr und des Prinzen von Persien Geheimnis bewahren würdet, und
dass ihr entschlossen wärt, ihre Liebe aus allen euren Kräften zu
begünstigen. Sie schien mir durch diese Nachricht sehr getröstet, und rief
aus. „Ach, welche Verpflichtung haben wir, der Prinz von Persien und ich,
dem braven Mann, von dem du mir sagst? Ich will ihn kennen lernen, ihn sehen, um
aus seinem eigenen Mund alles zu vernehmen, was du mir eben gesagt hast, und ihm
für eine so unerhörte Großmut gegen Personen zu danken, an deren Schicksal
mit soviel Wärme teilzunehmen, nichts ihn verpflichtet. Sein Anblick wird mir
Vergnügen gewähren, und ich werde nicht unterlassen, ihn in so guten
Gesinnungen zu bestärken. Vergiss nicht, morgen hinzugehen, und ihn zu mir zu
führen.“ Und darum, lieber Herr, bemüht euch mit mir nach ihrem
Palast.“

Diese Rede der Vertrauten setzte den Juwelier in
Verlegenheit. „Eure Gebieterin,“ erwiderte er, „erlaube mir, zu
bemerken, dass sie nicht wohl bedacht hat, was sie da von mir fordert. Das
Ansehen, in welchem Ebn Thaher bei dem Kalifen stand, gab ihm überall freien
Zutritt, und die Hausbeamten, die ihn kannten, ließen ihn ungehindert in
Schemselnihars Palast kommen und gehen: Aber ich, wie dürfte ich wagen ihn zu
betreten? Ihr seht selber wohl ein, dass das unmöglich ist. Ich bitte euch
also, Schemselnihar die Gründe vorzustellen, die mich verhindern, ihr hierin zu
genügen, samt allen unangenehmen Folgen, welche daraus entstehen könnten. Wenn
sie dieses nur ein wenig erwägt, so wird sie finden, dass sie mich
unnützerweise einer großen Gefahr aussetzen würde.“

Die Vertraute bemühte sich, den Juwelier zu beruhigen,
und sagte zu ihm: „Glaubt ihr denn, dass Schemselnihar so unbesonnen ist,
euch der geringsten Gefahr auszusetzen, indem sie euch zu sich entbietet? Euch,
von welchem sie so wichtige Dienste erwartet? Seid versichert, dass kein
Anschein von Gefahr für euch dabei ist. Es ist zu sehr unser, meiner Gebieterin
und mein eigener Vorteil, als dass wir euch zur Unzeit darin verwickeln sollten.
Ihr könnt deshalb auf mich vertrauen, hinterher werdet ihr mir selber
eingestehen, dass eure Furcht unbegründet war.“

Der Juwelier ließ sich durch die Rede der Vertrauten
bewegen, und stand auf, ihr zu folgen, aber welche Festigkeit er sich auch von
Natur zutraute, die Furcht hatte sich seiner dermaßen bemächtigt, dass er am
ganzen Leib zitterte. Da sagte die Vertraute zu ihm: „In solchem Zustand,
sehe ich wohl, ist es besser, dass ihr zu Hause bleibt, und dass Schemselnihar
ein anderes Mittel erwähle, euch zu sehen. Ihr dürft nicht zweifeln, dass sie,
um diesen, ihren Wunsch zu befriedigen, selber herkomme, euch zu besuchen.
Demnach, lieber Herr, bleibt zu Hause: Ich bin versichert, es wird nicht lange
währen, so seht ihr sie kommen.“

Die Vertraute hatte richtig geweissagt: Sie hatte nicht
sobald Schemselnihar die Furcht des Juweliers kund getan, als diese sich zu ihm
begab.

Er empfing sie mit allen Zeichen einer tiefen Ehrfurcht.
Als sie, von dem zurückgelegten Weg etwas ermüdet, sich gesetzt hatte,
entschleierte sie sich, und ließ den Juwelier eine Schönheit sehen, welche den
Prinzen völlig bei ihm entschuldigte, sein Herz der Geliebten des Kalifen
geschenkt zu haben. Hierauf grüßte sie den Juwelier mit anmutiger Miene und
sagte zu ihm: „Ich habe unmöglich hören können, mit welchem Eifer ihr
euch meiner und des Prinzen von Persien annehmt, ohne sogleich den Vorsatz zu
fassen, euch selber dafür zu danken. Ich danke dem Himmel, dass er uns so bald
für den Verlust Ebn Thahers entschädigt hat …“

Scheherasade war genötigt, an dieser Stelle inne zu
halten, weil sie den Tag anbrechen sah. In der nächsten Nacht fuhr sie in ihrer
Erzählung fort: