Project Description

127. Nacht

Dinarsade unterließ nicht, die Sultanin von Indien vor
Tage zu wecken, welche, nachdem sie den Schachriar um Erlaubnis gebeten hatte,
die versprochene Geschichte anzufangen, folgendermaßen begann:

Geschichte
des kleinen Buckligen

Es gab einst in Kaschghar1)
einen Schneider, der eine sehr schöne Frau hatte, die er sehr liebte und von
welcher er nicht minder geliebt wurde. Als er eines Tages arbeitete, setzte sich
ein kleiner Buckliger an den Eingang seines Ladens, und begann zu singen und
dazu auf eine kleine Trommel zu schlagen. Dem Schneider gefiel das, und er
beschloss bei sich, ihn in sein Haus zu laden, um seine Frau zu ergötzen. Er
machte ihm diesen Vorschlag; und da der Bucklige ihn annahm, so schloss er
seinen Laden, und nahm ihn mit nach Hause.

Sobald sie dort angelangt waren, trug die Frau des
Schneiders, welche den Tisch schon gedeckt hatte, weil es Abendessenszeit war,
eine gute Schüssel Fische auf. Sie setzten sich alle drei zu Tisch. Aber der
Bucklige verschlang während des Essens unglücklicherweise eine große
Fischgräte, wovon er in wenigen Augenblicken starb, ohne dass der Schneider und
seine Frau ihm helfen konnten.

Sie waren beide über diesen Unfall um so mehr
erschrocken, da er sich bei ihnen ereignet hatte und sie mit Grund befürchten
konnten, die Justiz möchte, wenn sie ihn erführe, sie als Meuchelmörder
bestrafen. Der Mann ersann jedoch ein Mittel, den Leichnam los zu werden. Es
fiel ihm ein, dass in der Nachbarschaft ein jüdischer Arzt wohnte, und da er
seinen Plan hieran knüpfte, so nahmen, um ihn auszuführen, seine Frau und er
den Buckligen, der eine beim Kopf und der andere bei den Beinen, und trugen ihn
bis zu der Wohnung des Arztes. Sie klopften an seine Haustüre, an welche eine
sehr steile Treppe stieß, die in sein Zimmer führte. Es kam sogleich eine Magd
ohne Licht herab, öffnete und fragte, was sie wollten. „Geh nur wieder
hinauf,“ sagte der Schneider, „und sagt euerem Herrn, dass wir ihm
einen sehr kranken Menschen bringen, dem er ein Arzneimittel geben soll. Hier,
„fügte er hinzu, indem er ihr ein Silberstück in die Hand drückte,
„gebt ihm das im voraus, um ihn zu überzeugen, dass wir seine Bemühung
nicht umsonst verlangen.“ Während nun die Magd wieder hinaufging, um dem
jüdischen Arzt eine so gute Nachricht zu bringen, trugen der Schneider und
seine Frau den Buckligen schnell die Treppe hinauf, ließen ihn oben liegen, und
eilten heim.

Die Magd hatte inzwischen dem Arzt gesagt, dass ein Mann
und eine Frau ihn an der Türe erwarteten, und ihn bäten herabzukommen, um
einen Kranken zu sehen, den sie mitgebracht hätten; sie hatte ihm das erhaltene
Geld gegeben, worüber er sich ausnehmend freute und aus dieser Vorbezahlung auf
eine gute Kundschaft schloss, die er nicht vernachlässigen durfte. „Nimm
schnell das Licht,“ sagte er zu seiner Magd, „und folge mir.“
Indem er dies sagte, eilte er schnell der Treppe zu, ohne abzuwarten, dass die
Magd ihm leuchtete, und da er an den Buckligen kam, stieß er ihn mit dem Fuß
so heftig in die Seite, dass dieser die Treppe hinunterkollerte, und wenig daran
fehlte, dass der Arzt mit ihm hinuntergekollert wäre. „Bringe schnell
Licht hierher,“ rief er seiner Magd zu. Diese kam endlich, er ging mit ihr
die Treppe hinunter, und da er fand, das, was er hinunter gestoßen, wäre ein
toter Mensch, so erschrak er über dieses Schauspiel so sehr, dass er Moses,
Aaron, Josua, Esdras und alle anderen Propheten seines Gesetzes anrief.
„Ich Unglücklicher,“ sagte er, „warum wollte ich ohne Licht
herabsteigen? Ich habe den Tod des Kranken, den man zu mir gebracht hat,
beschleunigt; ich bin Schuld daran, dass er gestorben ist, und wenn mir der gute
Esel des Esdras2)
nicht zu Hilfe kommt, so bin ich verloren. Ach, man wird mich nur zu bald als
einen Mörder aus meinem Hause schleppen!“

Ungeachtet der Unruhe, die ihn bewegte, gebrauchte er doch
die Vorsicht, seine Türe zu verschließen, aus Furcht, dass, wenn jemand
zufällig auf der Straße vorbeiginge, er das Unglück, für dessen Ursache er
sich hielt, bemerken möchte. Er nahm hierauf den Leichnam und trug ihn in das
Zimmer seiner Frau, die fast in Ohnmacht gefallen wäre, als sie ihn mit dieser
Unheil bringenden Last herein treten sah. „Ach es ist um uns geschehen,“
rief sie aus, „wenn wir kein Mittel finden, den toten Körper in dieser
Nacht aus dem Haus zu schaffen! Wir verlieren ohne Zweifel das Leben, wenn wir
ihn bis Tagesanbruch bei uns behalten. Welches Unglück! Wie hast du es denn
angefangen, diesen Menschen zu töten?“ – „Darauf kommt’s hier nicht
an,“ entgegnete der Jude, „es kommt darauf an, für ein so dringendes
übel ein Mittel zu finden.“


1)
Kaschgahr ist ein asiatisches Königreich in der Tatarei, das ungefähr 160
franz. Meilen lang und 100 breit ist. Gegenwärtig ist es in Gewalt der
Kalmucken, unter Hoheit des Kaisers von China, der es im Jahr 1759 eroberte. Die
Hauptstadt führt den Namen des Königreichs.