Perdu! von Annette von Droste-Hülshoff als EPUB downloaden
Annette von Droste-Hülshoff
Perdu!
oder
Dichter, Verleger und Blaustrümpfe
Lustspiel in einem Akte
Personen.
Herr Speth, Buchhändler in einer Stadt am Rheine
Seine Frau
Ida, seine Tochter
Sonderrath, Poeta laureatus
Willibald, Dichter minimi moduli und nebenbei Rezensent
Seybold, Rezensent und nebenbei Dichter
Frau von Thielen, Blaustrumpf von Stande
Claudine Briesen, naiv-gefühlvoller Blaustrumpf
Johanna von Austen, Blaustrumpf du bon vieux temps
Erste Szene
Ein Buchladen; im Vordergrunde ein Fenster mit halbgeschlossenen Vorhängen, das auf den Rhein
geht; alle Stühle mit Papieren, Ballen etc. beladen.
SPETH ein kleines, magres Männchen, mit rotem Gesichte, graulichtem Haare, einer Brille, sitzt
vor einem mit Papieren und Paketen bedeckten Tische und hält einen offnen Brief in der Hand;
lesend. »Und kurz, Herr Speth, ich kann nicht, durchaus nicht. Die Rebe blüht, alles liebt und
paart sich, da wird mir der Pegasus auch kollrig und rennt Gott weiß welcher Irionswolke nach.
Indessen kann es sein, daß wir uns bald sehn; mich hat geträumt, ich würde nächstens Lust
bekommen, an den Rhein zu gehn, respektive fahren, schwimmen – ob’s dazu kommt? Nescio; und
somit Gott befohlen. Ihr ergebener Friedrich Sonderrath.« Er läßt das Blatt sinken. Ja wohl,
Sonderrath! ich bin sonder Rat. – Windbeutel und kein Ende! Und ob er nun hieher kommt, das
steht auch noch sehr dahin, nachdem er mich vier Wochen lang hat auf sich warten lassen. Er
wirft den Brief auf den Tisch; heftig. Nein, nein, nein! Ich will mich auch gar nicht mehr mit
dem Dichtervolk einlassen. Wer liest denn noch Gedichte? Eine Kammerjungfer, die in den
Sekretär verliebt ist? Aber ich bin zu fromm, viel, viel zu fromm, – ein alter Kerl,
zwanzigmal angeführt, und doch noch nicht klug; ich sage es immer, sie werden mich noch aus
Rock und Kamisol schreiben. Na, weiter! Er ergreift ein Paket. Das dickste zuerst! Er öffnet
es. Hu, Krebse! »Das Echo im Felstale«, von Claudine Briesen – Zählt. – zehn – zwanzig – und
dreißig – vierzig – fünfzig – wie? Er nimmt das letzte Bündel nochmals. Zwei – vier – sechs –
acht – zehn – o Jammer, Jammer! Auch nicht ein einziges Exemplar verkauft! Ärgerlich. Du alte
Schachtel, komm du mir mal wieder, mit deinen Pavodettenaugen und deinen weißen Schwungfedern!
Doch – ‘s ist meine eigene Schuld; warum bin ich ein Esel! Er nimmt ein zweites Paket;
freudig. Ha, Seybold, und ein gutes Bündel! Er wägt es auf der Hand. Das ist delikat, da
steckt noch manches Gläschen Wein darin; Öffnet es. wenn das lauter Rezensionen sind, dann
können sie mir das Loch im Geldbeutel schon so ziemlich wieder zuziehn. Er schlägt die Blätter
auseinander. O weh, Gedichte! Lauter, lauter Gedichte! Seufzend. Wenn mir der gute Mann doch
nicht immer so viele schlechte Gedichte zu seinen guten Rezensionen einakkordierte! Er
betrachtet das Paket. Ein dicker, saurer Apfel, und ich muß doch hineinbeißen, sonst geht er
mir Mit den Fingern schnellend. Pst! Hm, auch ein Brief. Er öffnet ihn. Was? Was ist das?
Gedichte von Anna Freiin von Thielen, und die soll ich ihm verlegen? Ich? Hab’ ich nicht genug
an seinem eignen Misere. Er legt den Finger an die Nase. Wart, wart, wo hab’ ich denn von der
Frau gehört – oder gesehn – Richtig! Die Balladen im Abendblatte, Anna Freiin von Thielen;
richtig! Hm, die war so übel nicht; die Frau hat Talent genug, wenn sie sich nur an einige
Ordnung gewöhnen wollte; mich dünkt, die Verse rannten gegeneinander wie scheugewordne Pferde.
Und dann – so ein gewisses aristokratisches Heimweh nach der Feudalzeit, so ein weiblicher
Bendemann! Lächelnd. »an den Wasserflüssen Babylons saßen wir und weinten um Jerusalem« hähä!
Nun, man muß sehn; den Seybold darf ich nicht recht vor den Kopf stoßen; der ist meine beste
Milchkuh, er und Sonderrath. Seufzend. O Sonderrath, du Verräter! Soll ich denn wirklich von
deinen Reminiszenzen vom Rhein nichts haben als die Reminiszenz an meinen leeren Geldbeutel?
Er nimmt die Feder vom Ohr und rechnet. Fünzig Stahlstiche – für zweitausendachthundert
Exemplare Papier und Rechnet leise weiter. – zusammen fünftausend Taler – macht jeden Monat
sechzehn Taler acht Groschen Zinsen, Mit Nachdruck. sechzehn Taler acht Groschen – perdu!
Zweite Szene
Herr Speth, Frau Speth, eine noch rüstige Frau, mit lebhaftem, jovialem Gesichte, tritt herein
und legt ihm die Hand auf die Schulter.
FRAU SPETH. Was ist perdu?
SPETH wendet sich freundlich um und nimmt die Brille ab. Sieh, Fränzchen, bist du es? Was
willst du, Kind?
FRAU SPETH. Geld, lieber Freund, Geld!
SPETH. Geld? Ja, wieviel denn? Er zieht den Beutel. FRAU SPETH. Gib mir ein bißchen Vorrat,
daß ich dich nicht immer überlaufen muß, so eine zwanzig Taler.
SPETH erschrocken. Zwanzig Taler!? Kind, die wüßte ich dir doch jetzt aus allen Nähten nicht
zusammenzuklopfen. Er hält den Beutel in die Höhe. Siehst du mein Beutelchen? Was dünkt dich?
verdammt dünnleibig.
FRAU SPETH. Wenn keine Louisdore darin sind.
SPETH. Ja, Louisdore! Die schüttelt man auch so von den Bäumen. Wehmütig. Kennst Du wohl
Kassemännchen und Silbergroschen?
FRAU SPETH. Laß sehn! Sie zupft ihm den Beutel aus der Hand und greift rasch hinein. Was hab’
ich erwischt? Sie öffnet ein Papier. Gerade recht, zwei Doppel-Louisdor – ich bedanke mich.
Will gehn.
SPETH hält sie am Ärmel. Fränzchen, Fränzchen, was fällt dir ein? Wahrhaftig, sie nimmt mir
alles!
FRAU SPETH. Bewahre, es klingelt noch recht schön. Sie schüttelt den Beutel.
SPETH. Ach Gott, was klingelt denn! Vier preußische Taler und zwölf einzelne Silbergroschen,
auf Ehre, kein Heller mehr; nein, sei doch vernünftig!
FRAU SPETH befühlt den Beutel. Eins-zwei-drei- vier, und da noch ein dickes Stück, das ist ein
Krontaler.
SPETH halb lachend. Bewahre, das ist der Deckel von meiner alten Tabaksdose, den ich gestern
zerbrochen habe. Ängstlich. Gib her, komm! Soll ich denn gar nichts behalten?
FRAU SPETH. Du hast noch genug.
SPETH. Es ist ja der Deckel, der Deckel sag’ ich dir. Was in aller Welt soll ich denn mit vier
Talern zwölf Silbergroschen anfangen? Ich kann ja nicht mal eine Flasche Wein für einen guten
Freund bezahlen.
FRAU SPETH mit dem Finger drohend. Speth, Speth, sind wir wieder auf dem Terrain? Denk an
deine Gesundheit und an deine Frau.
SPETH komisch seufzend. Ich denke ganz viel an meine Frau.
FRAU SPETH. Weißt du noch, neulich der Schwindel in Olbers Garten? und um Weihnachten beim
Onkel?
SPETH hastig. Ja, da hatte ich auch beide Male – Er stockt.
FRAU SPETH. Nun? Lachend. Nein, du hattest keinen Spitz, du hattest nur drei Gläser getrunken;
ich habe sie genau gezählt. Aber, ich sage es dir ungern, du mußt dich sehr in acht nehmen, du
bist sehr vollblütig.
SPETH ungläubig. I behüte! ich bin ja der magerste Mann in der ganzen Stadt.
FRAU SPETH. Korpulent bist du freilich nicht, aber sieh mal in den Spiegel – dein Gesicht?
SPETH. Hm, ganz nett, ganz manierlich.
FRAU SPETH. Jawohl, rot um den Kopf wie ein Puter – nun, gib dich zufrieden, Sie küßt ihn. mir
bist du schön genug und bist auch überhaupt ganz wacker, wenn du dich ordentlich gekämmt und
rasiert hast. Aber das Geld laß mir; das ist bei mir besser aufgehoben wie bei dir.
SPETH läßt sie los. Nun in Gottes Namen! – nur Ernsthaft. ich bitte dich, Fränzchen, halt gut
haus. Knapp zusammen, sage ich immer, knapp zusammen; du weißt nicht, wie bitterlich sauer es
mir wird, der Teufel weiß, man hat Verluste an allen Ecken.
FRAU SPETH. Ganz richtig, perdu! Was ist denn wieder perdu?
SPETH. Ach nichts – meine Brille.
FRAU SPETH lachend. Was Brille! Nichts Brille! Meinst du, ich wüßte nicht, daß dein Perdu
immer soviel heißt, als: da bin ich mal wieder untern Zopf gespuckt? Nur frisch heraus; mich
führst du doch nicht an.
SPETH nimmt einen Federputzer vom Tische und spielt damit. Ach, nun – sieh, der Sonderrath,
der Schlingel –
FRAU SPETH. Der ist ja dein lieb Kindchen?
SPETH mit Nachdruck. Gewesen! Du weißt doch, daß ich sein Werk über die Rheingegenden verlegen
soll.
FRAU SPETH. Ja, was dich schon das horrende Geld gekostet hat, an Stahlstichen und Papier.
SPETH nach und nach heftiger werdend. Nun sieh, der will mit einem Male nicht schreiben, aber
gar nichts, keine Reminiszenzen und keine Gedichte, nichts, sage ich dir – nicht mehr, als was
ich hier auf der flachen Hand habe. Er streckt die Hand vor.
FRAU SPETH lächelnd. Das ist nun freilich für dieses Mal ein Federputzer; Ernsthaft. aber
warum nicht?
SPETH heftig. Warum nicht? Warum nicht? »Weil die Rebe blüht und sich alles liebt und paart.«
FRAU SPETH zornig. Ist der Kerl denn ein Kater, oder ein Kuckuck? Aber ich würde ihn schon
kriegen! Tausend nochmal! Hat denn jeder Flandus das Recht, einen ehrlichen Mann an den
Bettelstab zu bringen? Verklag ihn, Speth, verklag ihn!
SPETH beklemmt. Kind! das weißt du nicht! da wird er mir erst ganz sperrig. Nein, ich muß nur
so sachtchen lavieren, simulieren, bis ich ihn ganz piano wieder in den Gang gebracht habe.
FRAU SPETH. Ei was, bei dem wirst du doch keine Seide spinnen; laß dir deinen Schaden
ersetzen, und dann mag er laufen.
SPETH. Ja, Schaden ersetzen! Da kommst du recht! Meinst du, wenn ich den ganzen Sonderrath bis
aufs Hemde auszöge, daß ich etwas anderes fing, als allenfalls ein paar Flöhe und das Porträt
seiner Geliebten? Das sind mir die Rechten!
FRAU SPETH spottend. Habe ich das nicht immer gesagt! Hättest du dich an Gott und die Religion
gehalten, den Katechismus verlegt und die Bibel, dann hättest du dein honettes Brot; die muß
jeder kaufen, und sind auch längst fertig geschrieben; oder was dir die Professoren so
zuschicken, das sind solide Leute, die den Pelz nicht verkaufen, ehe sie den Fuchs gefangen
haben.
SPETH seufzend. Das ist wohl wahr.
FRAU SPETH. Ich halte besonders viel auf Leute, die Perücken tragen und Jabots, je breiter, je
besser. Aber stattdessen ziehst du dich mit dem Dichtervolk herum: »Lustig gelebt und selig
gestorben, das heißt dem Teufel die Rechnung verdorben«; den Hut auf einem Ohr, das Glas in
der Hand, und dann: »Rosen auf den Weg gestreut«; wahrhaftig, ich fange vor Ärger an zu singen
wie ‘ne Eule.
SPETH besänftigend. Stille, stille, ärgere dich nicht!
FRAU SPETH mit humoristischem Zorne und rasch redend. Laß sehn! Was hast du denn Rechtes an
der Hand? Vorerst dieser – wie heißt denn der Windbeutel? – Sonderrath, das soll ein großes
Genie sein; ja wohl, Genie in deine Tasche!
SPETH. Piano!
FRAU SPETH. Oder ist der Willibald besser? Freilich, der liefert seine Sachen ab, daß man
nachher das ganze Jahr von den Krebsen Suppe kochen kann. Hans Narr, mit seinem gescheitelten
Haar wie ein Hund, der durchs Wasser gejagt ist!
SPETH lachend. Ich kann ihr nicht steuern –
FRAU SPETH. Sag selbst, sieht der Kerl nicht komplett aus wie ‘ne verregnete Krähe?
Nachäffend. »Meine werteste Frau Speth«, – ja ich will dich.
SPETH seufzend. Der erwischt mich auch nicht wieder.
FRAU SPETH. Doch, doch, wenn er dich so gut kennt wie ich, noch zehnmal. Und nun gar dein
Weibervolk –
SPETH lachend. Die Damen willst du sagen.
FRAU SPETH halb lachend. Jawohl, deine Blaustrümpfe, die Briesen z.B.: Geziert. »der reizende
Morgen hat mich hinausgelockt«, Natürlich. und sieht dann so erfroren aus wie ein gerupftes
Huhn, – ich glaube, die Person friert den ganzen Tag.
SPETH. Du hast es gut vor.
FRAU SPETH lebhaft. Aber sag selbst, sieht die Person nicht genau aus wie eine erfrorne
Kartoffel? Und dann die Austen mit ihren siebenzig Jahren, Rosaband, an jedem Finger einen
Ring mit Souvenir oder ‘nem Haarschwänzchen; und das ganze Zimmer voll Porträts von ihren
alten Schätzen, der mit ‘nem Haarbeutel, der mit ‘nem langen Zopf, der mit ‘ner runden
Perücke. –
SPETH. Du hältst ja so besonders viel auf Leute, die Perücken tragen?
FRAU SPETH. In meinem Leben habe ich nicht so schmutzige, verknutschte Wäsche gesehn, wie die
beiden Weiber immer an sich tragen. Ich bin allzeit in Versuchung, ihnen ein paar Ellen Leinen
anzubieten, damit sie doch nicht so zum Spektakel umherlaufen.
SPETH. Nun ist’s aber auch gut, nun hast du ihnen den Text tüchtig gelesen.
FRAU SPETH gutlaunig. Ei was, du nimmst immer ihre Partei, weil du selbst so ein halber
Pegasusreiter bist.
SPETH erstaunt. Ich?
FRAU SPETH. Ja, du! singst du keine Lieder?
SPETH. Mein Lebtage nicht anders wie mit der christlichen Gemeinde.
FRAU SPETH. Was? willst du leugnen, daß du vor zwanzig Jahren ein Gedicht auf mich gemacht
hast?
»Ach,ach,ach,
Meine werte Klara Zach,
Ich verbleibe früh und spät
Ihr getreuer Wilhelm Speth«,
und das willst du leugnen? war es nicht an einem Stachelbeerbusch? Und hast du dir nicht
dasmal ein großes Dreieck in deinen neuen Frack gerissen? Verräter!
SPETH küßt ihr die Hand. Dummes Ding!
FRAU SPETH zieht die Hand fort. Nein, geh nur! Ich bin tief gekränkt!
SPETH. Ja, du bist mir die Rechte!
FRAU SPETH freundlich. Bin ich die Rechte? Nun, das ist doch noch brav von dir; du bist mir
auch der Rechte, Sie drückt seinen Kopf zwischen ihren Händen. mein rechter, guter, alter,
frommer Hals. Addio! Im Abgehn. und notabene. Wilhelm, laß der Ida nicht so viele Bücher
zukommen; sie hat mir gestern abend einen Hemdärmel unten an den Saum gesetzt.
Dritte Szene
SPETH ihr nachsehend. Die Frau hat den Teufel im Leibe, ein kapitales Weib! Alles lebt und
kribbelt an ihr. Einen Verstand! einen Witz! und eine Darstellungsgabe! Hui – wenn die
schreiben wollte, die würde was anders an den Tag bringen als meine Blaustrümpfe; Leiser. sie
hat nicht ganz unrecht, es sind ein paar abgetakelte Fregatten; Lauter. indessen was tut man
nicht, Seufzend. das heißt was muß man nicht tun für die Damen! Es ist ein schreckliches Wort:
eine Dame, und vollends eine Dame, die es darauf anlegt, dir die Tasche zu fegen; da magst du
dich nur so geduldig schinden lassen wie ein toter Hase. Gähnend. Ach Gott, ich wollte, daß
ich mir eine Rhinozeroshaut anschaffen könnte, oder eine von Gummielastikum, die sich
ellenlang ziehn ließ’ und dann immer wieder auf meinen eigenen Korpus zurück spränge. »Das
Echo im Felstal!« Ich mag nicht daran denken; das Stückchen kostet mich auch wieder – wart! Er
tunkt die Feder ein und wirft sie dann hin. Ich will nicht rechnen; was auch habe ich denn
anders davon als den Ärger? Verdrießlich. Ich weiß auch nicht, warum gerade immer nur die
Langweiligen schreiben; es gibt doch mitunter welche, zum Beispiel meine Frau, wo sich Geld
daraus pressen ließ’ wie Heu. So ist’s, das beste Stück Geld steckt immer in Dingen, wo man es
nicht herausbringen kann, zum Beispiel in meinen Krebsen; Nachdenkend. ja, wenn die wollte –
vielleicht wenn ich ihr so ein wenig Honig um den Mund strich’ und so ein wenig zusammenlög’,
was andre Leute sollten gesagt haben von ihrem Talente; – ja, hüte dich! da würd’ ich schön
ankommen. »Speth, wenn du durchaus eine Närrin zur Frau haben willst, so laß dich von mir
scheiden und nimm die Briesen!« Ha, pfui! ein gräßlicher Gedanke! Er schüttelt sich. Dafür
will ich doch lieber mein Leben lang ihre Gedichte verlegen, für die wär’ ich noch über und
über zu gut. Jovial. Ich bin überhaupt gar so’n übler Kerl nicht. Ich habe eigentlich wohl
hübsche Augen – dunkle Augen – und auch sprechende Augen. Er steht auf. Ein bißchen klein von
Statur. Hm, klein und wacker. Er tritt vor den Spiegel. Rot wie ein Puter, sagt meine Frau!
Ich weiß nicht, was die will; ich bin nirgends rot, als wo es hingehört, Er streicht sich
wohlgefällig über die Wange. zwar Er beugt näher. so ein klein Tippelchen auf der Nase –
Speth, Speth! deine heimlichen Tröpfchen Wein schlagen durch, und die Frau hat es schon weg.
Er beugt noch näher. Nicht viel graue Haare; sie ließen sich noch wohl auszupfen, wenn’s nicht
so infam wehtät; ich bin kein Freund davon, mein eignes Fleisch und Bein zu kreuzigen. Er faßt
ein graues Haar und zieht es unter Gesichterschneiden aus. Hä! Hoffart will Pein leiden!
Willibald tritt mit einer gewissen aisance herein. Speth fährt erschrocken vom Spiegel zurück.
Vierte Szene
Speth. Willibald.
WILLIBALD bleibt in der Türe stehen. Pardon, Herr Speth, ich störe.
SPETH verlegen. O gar nicht, gar nicht, treten Sie gefälligst näher.
WILLIBALD. Sie wollen ausgehn?
SPETH. Ja – doch nein keineswegs – nachher.
WILLIBALD. Aber Sie machen Toilette!
SPETH. Verzeihen Sie – doch nicht.
WILLIBALD schließt die Tür und tritt zu Herrn Speth. Ich habe nicht angepocht, unter so guten
Freunden –
SPETH. Versteht sich, versteht sich! nehmen Sie Platz; was ist gefällig?
WILLIBALD. Lieber Freund, das läßt sich so schnell nicht abmachen; wenn Sie ausgehn müssen,
will ich am Abende wiederkommen.
SPETH. Am Abende? Bedenklich. Ja, lieber Herr Willibald, da möchte ich doch wohl verhindert
sein.
WILLIBALD. So sagen Sie mir wann? aber bald, und daß wir ordentlich Zeit vor uns haben.
SPETH verlegen. Meine Zeit ist sehr beschränkt, sehr; Sie denken sich’s so gar nicht, ich bin
oft des Abends abgehetzt, wie ein armer Windhund. Indessen – jetzt hätte ich wohl etwas Muße,
aber jetzt; bitte, sprechen Sie! Ida tritt leise herein und setzt sich mit einer Handarbeit in
die Fensternische, so daß der Vorhang sie halb verdeckt.
WILLIBALD rückt den Stuhl, auf dem Speth gesessen, seitwärts und wirft sich darauf. Speth
packt einen andern Stuhl ab und setzt sich neben Willibald. Hören Sie, Herr Speth! Sie sind
ein solider Mann, warum befassen Sie sich mit solch einem Schandblatte wie das Abendblatt?
SPETH zurückfahrend. Ei, Herr, Herr! Das sind starke Ausdrücke, da sind Sie doch der erste –
WILLIBALD. Schlechte Spekulation!
SPETH erstaunt. Ich wollte, daß alle meine Spekulationen nicht schlechter wären; wissen Sie,
wie viele Abonnenten das Journal hat?
WILLIBALD nachlässig. Ich weiß nicht, ich bekümmere mich nicht darum.
SPETH. Dreitausend, Langsam. sage dreitausend, Rasch. und lauter gute Zahler.
WILLIBALD. Dreitausend Narren!
SPETH. Sie haben’s gut vor! Indessen Narren oder nicht, wer mich bezahlt, ist in meinen Augen
niemals ein Narr.
WILLIBALD. Schöne Maxime! Also nur wer Ihnen nichts abkauft, verdient diesen Titel!
SPETH mit leisem Spotte. Das will ich grade nicht behaupten; ich habe leider manches verlegt,
wo ich es vielmehr sehr vernünftig finden mußte, daß man es mir auf dem Halse ließ.
WILLIBALD. Wie kann ein Blatt gut sein, in dem Leute ohne den mindesten Geschmack das große
Wort führen!
SPETH. Herr, wie kommen Sie mir heute vor? Hat Sonderrath keinen Geschmack?
WILLIBALD. Hm, Sonderrath, das ist eben auch ‘ne Eintagsfliege; der wird sich bald
ausgeschnurrt haben.
SPETH. Das wollen wir nicht hoffen.
WILLIBALD. Etwas verbrannte Phantasie, etwas Stil! Und dann, als Draperie, ganze Herden von –
Verdrießlich. allerlei Ungeziefer, Schlangen, Kamele. – Speth lacht. Hm, selbst Kamel! Rasch.
So etwas schüttle ich Ihnen alle Tage aus dem Ärmel, wenn ich will. Er steht auf, geht die
Bühne auf und ab und bleibt zuweilen vor Speth stehen.
Speth fängt an Federn zu schneiden.
WILLIBALD erbittert. Nun was ist’s denn weiter? Ich studiere sechs Wochen lang den Koran und
die persischen Dichter, und dann lasse ich einen ganzen Stall voll wilder Bestien los, die
sich durcheinander beißen, was ist’s denn weiter? Heftig. Der Mensch verdirbt die ganze
Literatur.
Speth sieht vor sich nieder und spielt mit der Feder.
WILLIBALD. Aber warten Sie, warten Sie noch ein paar Wochen, dann ist er kaputt.
SPETH. Ich denke, das werden wohl die Jahrwochen Daniels sein.
WILLIBALD heftig. Ich zweifle nicht, daß sich schon irgendeine vernünftige Feder finden wird –
Speth steht auf und neigt die Feder gegen ihn.
WILLIBALD. Was ist? Was meinen Sie? Nein, das nicht. Er räuspert. Übrigens wollt’ ich von den
Dichtern jetzt nicht reden, aber Sich vor Speth stellend. was für Schund von Rezensionen
nehmen Sie auf? zum Beispiel von dem Seybold.
SPETH lachend. Herr, ich weiß nicht, was Sie wollen; der Seybold macht ja jetzt Regen und
Sonnenschein in der Literatur.
WILLIBALD. Das sei Gott geklagt! Rasch. Übrigens so schlimm ist’s auch nicht; es gibt noch
eine Partei, Er fängt wieder an, auf und ab zu gehn. und zwar eine sehr große Partei, sage ich
Ihnen, die recht gut weiß, was sie an ihrem Seybold hat. Apropos, lesen Sie denn seine
Rezensionen?
SPETH. Ich? O doch! – allerdings, und zwar mit vielem Vergnügen.
WILLIBALD. Auch die in Nro. 43?
SPETH. Sie sind alle schön, scharf und doch billig.
WILLIBALD. Auch die in Nro. 43?
SPETH. Ja Herr, ich kann Ihnen nicht so genau sagen, wo jedes Einzelne steht; was ist denn mit
der? Was enthält die?
WILLIBALD. Was? Den erbärmlichsten Unsinn, Verleumdungen, was die elendeste Oberflächlichkeit
und Unkraft nur ersinnen können.
SPETH. Gott steh’ uns bei! wer kriegt denn so erbärmlich die Rute?
WILLIBALD. Sie sind nicht sehr glücklich in ihren Ausdrücken, Herr Speth; übrigens können Sie
wohl denken, daß es einen trifft, der nicht nach seiner Pfeife tanzen will. Er steht vor
Speth, seine Hand auf die Lehne des nebenstehenden Stuhls gelegt.
SPETH seine Hand auf die Willibalds legend. Im Vertrauen, Herr Willibald, ich denke mir, wer
die Schläge bekommen hat, der hat sie auch verdient.
WILLIBALD zieht die Hand zurück. Ich bedanke mich.
SPETH erstaunt. Wie! Nein, das ist nicht möglich!
WILLIBALD bitter. Es ist möglich, denn es ist. Herr Seybold kühlt sein Mütchen an meinem
»Deutschen Eichenhaine«.
SPETH hastig. Den ich verlegt habe?
WILLIBALD. Jawohl.
SPETH erzürnt. Das gefällt mir aber in der Tat sehr schlecht; was Henker! sollen mich denn die
Krebse auffressen? Das ist ein perfider Streich.
WILLIBALD geht auf und ab. Ja, sehn Sie, so macht er’s.
SPETH zornig. Und ich bin immer so fromm gewesen und habe ihm alles ungelesen eingerückt – und
so honett bezahlt. Heftig. Wissen Sie, was der Mensch für jede Rezension bekommt? Acht
Louisdor, sage acht Louisdor! Schnell. und die hat er auch hierfür gekriegt. Nein, das ist
schlecht!
WILLIBALD. Und dabei die unerlaubtesten Injurien; nennt mich – ich mag es gar nicht mal sagen!
SPETH erzürnt. Ja, er kann strohgrob sein.
WILLIBALD heftig. Er sagt – kurz, lesen Sie das Ding nach.
SPETH. Strohgrob!
WILLIBALD. Dann werden Sie sehn, daß es ein Mensch ist, mit dem Sie sich honetterweise gar
nicht befassen können.
SPETH. Ungeheuer grob.
WILLIBALD. Ich habe Ihnen ja noch gar keine Details gesagt?
SPETH. Macht nichts, ich kenne den Seybold ohne dieses.
WILLIBALD. Dann wundert’s mich, daß Sie sich so lange mit ihm eingelassen haben; seine
Kritiken sind reine Injurien.
SPETH. ‘s ist unerlaubt.
WILLIBALD. Wenn ich wirklich ein »flüsternder Wasserquell im Eichenhaine« bin –
SPETH hastig. So hat er doch kein Recht, es Ihnen ins Gesicht zu sagen.
WILLIBALD. Nein, so mag er’s mir ins Gesicht sagen.
SPETH zornig. Keineswegs, das grenzt an Injurie, und ein ehrlicher Mann soll den andern nicht
zerdrücken, wenn er auch kann.
WILLIBALD steht vor Speth still. Zum Henker, Herr Speth, Sie sind ja noch viel gröber wie der
Seybold?
SPETH sich fassend. Mißverstehn Sie mich nicht, lieber Freund. Sehn Sie, der Seybold ist nun
eben en vogue, und hat für den Augenblick allerdings einen bedeutenden Einfluß aufs Publikum,
– ob mit Recht oder Unrecht, das wollen wir nicht untersuchen, – genug, er hat ihn, und
solange das währt, kann er den Besten niederhalten. Aber verlassen Sie sich auf mich!
Verlassen Sie sich auf mich! dieses soll ihm nicht so hingehn.
WILLIBALD geht auf und ab. Brechen Sie mit ihm, Herr Speth, brechen Sie ungescheut! es gibt
noch Männer genug, die Ihr Blatt halten können; wir sind nicht so arm an guten Federn.
SPETH beiseite. O weh! Laut, bedenklich. gänzlich mit ihm zu brechen, das möchte nicht wohl
angehn, schon des Skandals wegen; Rascher. indessen Sie sollen Satisfaktion haben, vollkommene
Satisfaktion, verlassen Sie sich auf mich. Eine Pendüle schlägt Eins. Sehn Sie, Herr
Willibald, daß wir unser Geschäft noch ganz gut vor Essenszeit abgemacht haben? Es schlägt
eben Eins.
WILLIBALD stellt sich an ein Büchergestelle und zieht ein Buch nach dem andern heraus. »Das
Echo im Felstal«, anonym – ist das hübsch?
SPETH. Nehmen Sie es mit, ich mache mir ein Vergnügen daraus, es Ihnen zu schenken.
WILLIBALD. Wer ist der Verfasser?
SPETH. Ein Fräulein Briesen.
WILLIBALD. Ach, die da, mit den weißen Kapitulationsfahnen auf dem Kopfe! also Weiberarbeit –
pah! da wird mir schon ganz miserabel, die sollen bei ihrem Strickstrumpfe bleiben. Überhaupt,
wen der echte Genius nicht treibt, der werde lieber ein ehrlicher Jurist, oder meinetwegen
Schuster oder Schneider – immer besser!
SPETH mit leisem Spotte. Das sage ich auch. Beiseite. Er geht nicht, er hat noch etwas im
petto, ich muß sehn, ob ich ihn ennuyieren kann. Laut. Erlauben Sie, daß ich in Ihrer
Gegenwart einige notwendige Zeilen schreibe?
WILLIBALD. Genieren Sie sich nicht.
Ida kommt herein und setzt sich mit ihrer Stickarbeit ans Fenster hinter die halbgeschlossene
Gardine.
SPETH vor sich. In meinem eigenen Hause! Schreibt.
WILLIBALD hingeworfen. Notabene, ich habe auch noch ein kleines Manuskript bei mir; wollen Sie
das gelegentlich einmal ansehn?
SPETH beklemmt. Ansehn? Ja, gern, wenn Sie es wünschen, aber etwas zu verlegen, dazu bin ich
in diesem Augenblicke durchaus nicht im Stande; ich habe wirklich bereits schon zu viel
übernommen. Er schreibt.
WILLIBALD nimmt das Buch, leise trällernd: La, la, la, la, la, la. Sie haben doch wahrlich
eine sehr reiche Auswahl, Herr Speth.
SPETH schreibt, zerstreut. Es freut mich, daß Sie zufrieden sind.
WILLIBALD trällernd. La, la, la, la –. Nachlässig. Das Manuskriptchen, wovon ich Ihnen sagte,
ist ein Trauerspiel, »Hermann und Thusnelde«.
SPETH schreibend. Richtig, jawohl.
WILLIBALD. Ich habe darin versucht, den Hermann, der als Krieger schon so oft dargestellt ist,
auch einmal von der Seite des Gemüts zu beleuchten.
SPETH schreibend. Schön, sehr schön!
WILLIBALD. Seine Heldentaten sind ein wenig abgenutzt; aber dieses ist etwas ganz Neues, so
ein kräftiges altdeutsches Herz offenzulegen.
SPETH. Freilich, freilich!
WILLIBALD tritt an den Tisch. Wollen Sie das Werkchen übernehmen?
SPETH fährt auf. Wie?
WILLIBALD. Ich meine, ob Sie das kleine Trauerspiel verlegen wollen?
SPETH. Lieber Herr, ich habe Ihnen schon gesagt, es ist mir unmöglich, und vollends ein
Trauerspiel! Das ist ja ganz dem herrschenden Geschmacke entgegen.
WILLIBALD verächtlich. Wer fragt nach dem erbärmlichen herrschenden Geschmacke!
SPETH. Ich, lieber Herr, ich muß danach fragen, sonst mache ich bankerott.
Ein Diener tritt ein.
DIENER. Herr Speth, in Ihrem Kabinette ist ein Herr, der Sie zu sprechen wünscht.
SPETH. Ah, ich weiß schon. Herr Willibald, es ist mir leid, aber Sie sehn, daß ich Sie
verlassen muß.
WILLIBALD. Kommen Sie bald zurück?
SPETH peinlich. Dafür kann ich Ihnen in der Tat nicht stehn.
WILLIBALD. Hm, ich hätte doch noch einiges – ich will warten.
SPETH. Sie werden sich ennuyieren.
WILLIBALD hingeworfen. Ich ennuyiere mich nie, Auf die Bücher zeigend. am wenigsten in so
guter Gesellschaft.
SPETH zögernd. Nun, wie Sie wollen; aber wenn ich ausbleiben sollte, dann entschuldigen Sie
mich. Es ist möglich, es ist sogar sehr wahrscheinlich, daß ich mit dem Herrn im Kabinette
ausgehn muß.
WILLIBALD nachlässig. Das macht nichts; ich kann ja gehn, wenn es mir zu lange währt. Speth
verbeugt sich leicht und geht nach der Tür. Notabene, das Manuskriptchen lasse ich Ihnen
jedenfalls hier, zur Durchsicht.
SPETH wendet sich um. O bitte, bitte, nein – nehmen Sie es mit; ich kann mich wirklich nicht –
WILLIBALD. Ich verlange ja vorläufig nichts weiter als Ihr Urteil.
SPETH steht einen Augenblick unentschlossen. Ja, dann – Adieu! Er rafft einen Stoß Papiere vom
Tische, beiseite. Ich muß nur drüben schreiben. Er verbeugt sich nochmals leicht und geht ab.
Fünfte Szene
Willibald am Büchergestelle; Ida hinter dem Fenstervorhange, stickend.
WILLIBALD nimmt ein Buch nach dem andern, trällernd. La, la, la, la, la, la – es wird schon
gehn, er fängt schon an zu lavieren. La, la, la. – Er schlägt ein Buch auf. Hm, »Sonderraths
Gedichte«, Preis drei Taler. –’ne Schande! La, la, la, la – Schlägt ein andres auf. »Deutscher
Eichenhain«, Preis zehn Silbergroschen und zweimal so dick – ‘ne Affenschande!
IDA schlägt die eine Seite des Vorhangs zurück. Was für eine schöne Stimme haben Sie doch,
Herr Willibald!
WILLIBALD sieht verwundert um. Sieh, Fräulein Ida! Ich hatte Sie wirklich nicht bemerkt. Er
fängt wieder an zu blättern.
IDA. Ich habe da hinter dem Vorhange gesteckt und mich so ganz im stillen an Ihrem Gesange
gefreut.
WILLIBALD. O bitte! Ein schlechtes Vergnügen! Etwas leiser. La, la, la, la.
IDA. Was das für ein reines, klares Steigen ist! Beinahe wie Gerstäcker.
WILLIBALD blätternd. Ich wäre wohl nicht ganz ohne musikalische Anlage, wenigstens wollen
meine Freunde das behaupten; aber alles wilder Schlag, verwahrlost! es geht manches so
zugrunde.
IDA. Aber warum pflegen Sie ein so schönes Talent nicht?
WILLIBALD blätternd. Heinrich der Vierte – Heinrich der Fünfte – Heinrich der Sechste –
Lauter. Ich bin vielfach darum angegangen worden, meine Stimme auszubilden, indessen – Sich
halb gegen sie wendend. ich mache mir nicht viel aus Musik, – ein Klang, eine vorübergehende
Aufregung! ich stelle die Musik gar nicht hoch, ungefähr wie einen Regenbogen oder Meteor;
Wieder abgewendet und blätternd für sich. erster – zweiter – dritter Band – Lauter. Nein, wenn
ich mich nicht mit Leib und Seele der Poesie verschrieben hätte, dann wäre ich eher ein Maler
geworden.
IDA. Aber zur Musik haben Sie nun einmal dieses enorme Talent.
WILLIBALD wie halb vor sich. Oh, zur bildenden Kunst wäre meine Anlage weit ausgesprochener –
Blätternd. »Seraphine« von Gutzkow, auch ein verschimmeltes Brot! … Lauter, nachlässig. Ja,
darin hätte ich wohl etwas leisten können, besonders wenn ich mich der altdeutschen Schule
zugewendet hätte; diese alten knorrigen Heiligen mit ihren Eisengesichtern, das wäre so recht
was für mich gewesen. Ida sieht ihn verwundert an; er legt das Buch fort und nähert sich ihr,
lächelnd. Wundert Sie das, liebes Fräulein?
IDA. Mein Gott, man sollte ja vor Demut in ein Mauseloch kriechen, wenn man von so vielen
Gaben hört, und hat selbst so gar nichts.
WILLIBALD lächelnd. Was ist’s denn weiter! Das ist ja nichts Besonderes.
IDA sieht ihn verwundert an. Nicht?
WILLIBALD nimmt ihre Schere vom Fenster und betrachtet sie. Meinen Sie, daß ein Talent so
allein stehn könne? Poesie, Musik, bildende Kunst – alles Brechungen desselben Strahls! nur
durch Zufälligkeiten – Erziehung, Gelegenheit etc. – bedingt. So bin ich denn Poet geworden,
und wäre vielleicht ein viel besserer Maler. Doch – ich bin nun mal in diese Richtung geraten
und meine, daß man nur eins mit ganzer Kraft erfassen soll, wenn man etwas Tüchtiges leisten
will. Sonst Maler – ja, Maler wäre ich gern geworden; kein Bildhauer – der Stein ist tot, die
Farbe hat Leben, und ich liebe das Lebendige, Kräftige.
IDA. Und Ihre Gedichte sind doch so weich.
WILLIBALD lächelnd. Hm, ein weicher Eichenhain! kurios!
IDA hat indessen in ihrem Arbeitskörbchen gesucht und langt eine Börse hervor, die sie
Willibald reicht. Guten Morgen, Vielliebchen!
WILLIBALD verwundert. Was ist? Was meinen Sie? Er öffnet die Börse und sieht hinein.
IDA. Guten Morgen, Vielliebchen! habe ich gesagt; denken Sie nicht mehr an unser Diner im
Schloßgarten?
WILLIBALD. Ah so, richtig! Verzeihn Sie, ich hatte in der Tat – es geht mir so vieles durch
den Kopf: habe ich denn gewonnen? Ich weiß es wahrhaftig nicht mehr.
IDA etwas pikiert. Freilich haben Sie gewonnen; warum gäbe ich Ihnen sonst die Börse?
WILLIBALD betrachtet die Börse. Eine Leier in einem Lorbeerkranze, Geschmeichelt. sehr hübsch!
sehr verbindlich! Er drückt ihr die Hand. Ich danke Ihnen herzlich.
IDA. Danken Sie nicht zu früh! Ich habe auch meine Tücke.
WILLIBALD freundlich. Sollte es möglich sein?
IDA. Einen Hinterhalt, eine Bitte.
Willibald sieht sie fragend an.
IDA schüchtern. Nur ein kleines Gedichtchen! nur ein paar ganz kleine Verschen! zum
Geburtstage meiner guten ehemaligen Gouvernante.
WILLIBALD verlegen. Fräulein, ich bitte um Gottes willen, damit verschonen Sie mich.
IDA schmeichelnd. Sie schlagen’s mir ab?
WILLIBALD beklemmt. Sehn Sie, Fräulein, wenn ich sterben sollte, ich könnte es nicht. Hm! hm!
Wiegenfestliedchen! Hochzeitscarmen! Hm! Rascher. Wissen Sie was? Sagen Sie es dem Werning,
dessen Sache ist das so recht, und der tut’s auch gern.
IDA verdrießlich. Nein, der Mensch hat kein Gemüt.
WILLIBALD. I, nun?
IDA. Dessen holprichte Verse, die will ich nicht, die passen gar nicht; sie müssen ganz anders
sein, so wie die Ihrigen – so als wenn sie allenfalls von einem Frauenzimmer herrühren können
–
WILLIBALD nimmt wieder die Schere. Sehr gütig! sehr verbunden! Hm! Kurios, das Kompliment hat
mir doch noch niemand gemacht.
IDA. Nun, so mach’ ich es Ihnen.
WILLIBALD beugt sich über die Schere, wie halb vor sich. Hören Sie, Fräulein, ich glaube, um
die Gedichte so recht, ich meine so in tiefstem Grunde aufzufassen, muß man doch wohl – ein
Mann sein.
Ida sieht beleidigt auf.
WILLIBALD. Das dürfen Sie nicht übel nehmen, Fräulein; manches ist nun eben für Männer
geschrieben, und die Frauen haben ja auch ihr geistiges Departement, wo wir mit unserm Urteile
zu kurz kommen.
IDA gereizt. Nun, ich mache keine Ansprüche auf literarisches Urteil, ich sage über Sie nur
nach, was ich von Männern gehört habe; ebenso wie ich.
WILLIBALD schüttelt ironisch den Kopf. Dieses Mal doch nicht.
IDA. Doch, und Männer vom Fach.
WILLIBALD. Gott behüte!
IDA. Warten Sie! Sie steht auf und geht an ein Büchergestelle, Willibald folgt ihr, sie steigt
auf die Bücherleiter und faßt einen Haufen Journale.
WILLIBALD hastig. Was suchen Sie, Fräulein! Ich bitte, machen Sie sich keine Mühe meinetwegen.
IDA. Nein; Sie sollen glauben, Sie starrer Thomas; ich will nicht in meiner Behauptung stecken
bleiben. Sie legt noch einzelne Blätter zurecht.
WILLIBALD vor sich. Was will sie? Journale? Eine Vignette? Ein Genius, der die Fackel
entzündet? Um Gottes willen, die Person hat das Abendblatt! Laut. Lassen Sie, ermüden Sie sich
nicht! ich glaube alles.
IDA blättert in den Journalen. Wo steht’s denn: dieser »flüsternde Wasserquell im Eichenhaine«
–?
WILLIBALD außer sich. Liebes Fräulein, ich weiß schon, kommen Sie nur – Ach Jesus! Man hört
draußen eine Stimme: »Ist Herr Speth zu Hause?« IDA steigt schnell von der Leiter und legt die
Journale auf den Tisch. Die Briesen! Sie setzt sich ans Fenster und schließt den Vorhang
wieder halb; rasches Klopfen an der Tür.
Sechste Szene
Die Vorigen
CLAUDINE BRIESEN etwas phantastisch gekleidet, einen Hut mit weißen Schwanzfedern und langem
Schleier, tritt rasch herein und sagt noch halb in der Tür. Herr Speth ist ja nicht hier? Sie
verbeugt sich gegen Willibald und fixiert ihn scharf; dann stellt sie sich ebenfalls an das
Büchergestelle und zieht Bücher heraus, ihn immer von der Seite betrachtend.
WILLIBALD. La, la, la, la –
CLAUDINE halblaut. Ah, mein »Echo«, schön! Sie stellt sich in eine theatralische Attitüde und
liest.
WILLIBALD blätternd. La, la, la, la –
CLAUDINE halblaut lesend.
Als des Morgens rötlicher Schimmer
Durch das feuchte Dunkel sich brach –
Das feuchte Dunkel
WILLIBALD. La, la, la, la –
CLAUDINE.
Da brauste der Sturmwind noch immer,
Es rauschte der Regen herab
Man hört es ordentlich rauschen!
WILLIBALD setzt ein Buch fort. Schlechtes Zeug!
CLAUDINE.
Es flogen die Wolken, es wälzte der Nord
Durch der Burg hochwölbende Hallen sich fort –
WILLIBALD. La, la, la –
CLAUDINE. Und spielte sanft um die bleiche Geliebte heilige Leiche. Mit Pathos. Um die
bleiche, geliebte, heilige Leiche! Und das soll matt sein?
IDA kommt hinter dem Vorhange hervor und setzt einen Schemel vor Claudinen nieder. Gnädiges
Fräulein, ich will es Ihnen etwas bequemer machen.
CLAUDINE. Ach sieh, Idachen! Wie geht’s, Kind?
IDA. Ich danke Ihnen, so leidlich.
CLAUDINE. Immer so leidlich, was ist das? Mit sechzehn Jahren, da muß man den ganzen Tag
flattern und singen wie ein Vogel auf dem Ast. Aber es gibt keine Jugend mehr. Sie zieht sich
mit Ida zum Fenster zurück.
WILLIBALD ihr nachsehend, vor sich. Wenigstens nicht bei dir, lieber Schatz.
CLAUDINE leise. Wer ist der Herr?
IDA. Herr Willibald.
CLAUDINE. Der Dichter?
IDA. Jawohl.
CLAUDINE erfreut, leise zu Ida. So? Sie tritt wieder an das Büchergestelle, ganz dicht neben
Willibald und nimmt immer die Bücher, wie er sie fortlegt. »Sonderraths Gedichte« – großes
Talent.
WILLIBALD sieht sie quer von der Seite an. La, la, la la –
IDA vor sich. Er will noch nicht anbeißen.
CLAUDINE. »Deutscher Eichenhain« – ach, mein lieber deutscher Eichenhain! köstlich!
WILLIBALD aufmerksam werdend. Man spricht verschieden darüber.
CLAUDINE sich rasch zu ihm wendend. Unmöglich! ich habe nur eine Stimme gehört, eine Stimme
der höchsten Anerkennung.
WILLIBALD. Hm! es gibt doch hier und dort allerlei Leute –
CLAUDINE. Ach was gibt’s nicht alles für Leute! Es gibt Hottentotten und Pescherähs, aber sie
gehn uns nichts an.
WILLIBALD nickt beifällig. Gut gesagt!
CLAUDINE. Wenn man den Beifall derjenigen hat, für die man eigentlich schreibt, was bekümmert
man sich um Schuster und Schneider, oder solche, die es besser wären!
WILLIBALD lachend. Recht gut!
CLAUDINE. Die wenigsten Menschen stecken doch in den rechten Röcken: der Hase und Löwe tragen
ihren Pelz, wie die Natur es ihnen zugeteilt hat und ihre innere Kraft es herauszutreiben
vermag –
WILLIBALD. Gut.
CLAUDINE. Aber unter den Menschen trägt zuweilen der geborene Bettler eine Krone und der König
aus innrer Kraft den geflickten Rock.
Willibald wirft einen verstohlenen Blick auf die innere Seite seines Ärmels.
CLAUDINE. Sie glauben nicht, welche Empfänglichkeit für Poesie sich oft grade in den niederen
Klassen vorfindet. Hastig. Wissen Sie, wem ich Gedichte vorlese? Meiner Magd.
WILLIBALD lachend. Nicht übel; à la Rousseau.
CLAUDINE. Und was für ein Geschöpf! Sie können sich’s nicht vorstellen; plump, schläfrig, wie
aus Lehm und Stroh zusammengeknetet, das heißt so scheinbar, aber von einer Gemütsfülle, einer
Auffassungsgabe, einzig! Schneller. Sehn Sie, zuerst sitzt sie da, noch sehr geniert, wie Sie
denken können, ganz feuerrot und blinzelt mit den Augen, wie ein Uhu bei Tage. Aber je länger
ich lese, je ernster wird die Physiognomie, Langsam. immer ernster – immer nachdenklicher –;
zuletzt schließt sie die Augen halb und sieht dann aus wie eine vom heiligen Dunste betäubte
Pythia. Schneller. Es ist wirklich köstlich zu beobachten.
WILLIBALD ironisch. Ja – nun – man müßte das selber ansehn, um es nach seinem Werte zu
beurteilen.
CLAUDINE sehr schnell. Wissen Sie was? Kommen Sie morgen früh zu mir oder heute, abends zum
Tee. Schlägt sich vor die Stirn, wie sich plötzlich besinnend. Was bin ich doch für ein
duseliges Kind! ein verquertes Geschöpf! die Phantasie läuft immer mit mir Karriere. Lachend.
Wir kennen uns ja gar nicht; was weiß ich denn weiter von Ihnen, als daß Sie ein Mann von
Geschmack sind und meinen lieben »Deutschen Eichenhain« auch liebhaben? Sie sieht Willibalden
fragend an.
Willibald verbeugt sich.
CLAUDINE. Nun, wie ist’s? Wie machen wir’s, daß wir darüber ins reine kommen?
WILLIBALD nachlässig geziert. Ah so! Sie wollten wissen, wer ich bin, ach Gott, ein armer
Teufel! ein ordinäres Subjekt, und nebenbei – der »Deutsche Eichenhain«.
CLAUDINE. Ist’s möglich! Nein, das ist Geld wert! Kindlich in die Hände klatschend. das ist
himmlisch! Nun, eine Offenheit verdient die andere; ich bin – das »Echo im Felstale«.
WILLIBALD verbeugt sich. Fräulein Briesen.
CLAUDINE. Welch ein seltsames Zusammentreffen! Und so lange miteinander zu reden, ohne zu
ahnen, mit wem man spricht, das ist köstlich!
IDA für sich. Hat man je so etwas gehört?
CLAUDINE Willibalden die Hand reichend, die er schüttelt. Nun, ich denke wohl, es muß ein
eigner sympathetischer Stern sein, der uns hier in Speths Laden Sie sieht umher. hat
zusammenführen müssen. Schneller. Notabene, wissen Sie wohl, daß man unsre Gedichte häufig
verwechselt?
WILLIBALD räuspernd. Hm! Nein, Fräulein, das habe ich nicht gewußt.
CLAUDINE. O hundertmal, unzählige Male! Noch gestern abend Ihren weißen – Sie stockt und sieht
Willibalden an; lachend. Herr Jesus, ich glaube, es ist ihm nicht recht! Ich glaube er will
mir nicht gleichen!
WILLIBALD verstimmt. Gnädiges Fräulein, das ist ein unwürdiger Argwohn.
CLAUDINE immer lachend. Gehn Sie nur, ich sehe es Ihnen an den Augen an.
WILLIBALD verwirrt. Gnädiges Fräulein –
CLAUDINE freundlich. I, es ist mir ja nur ein Scherz. Das wird mir ja nicht einfallen. Sie
reicht ihm die Hand, die er etwas zögernd nimmt. Wir müssen einander anerkennen; wir sind
gleichsam prädestiniert, – ich denke so ungefähr von gleichem Alter.
WILLIBALD überrascht. So? Sich fassend. Ich bin gewiß der ältere.
CLAUDINE ihn argwöhnisch ansehend. Hm, das mag so ungefähr zu einem auskommen; Sie mögen sogar
noch um etwas blühender aussehn: Ich habe viel gelitten – viel – viel! Nachdenklich. Ja, meine
Gedichte tragen auch die Spuren davon Schwermütig.
»Wie ein Schiff, das hergezogen,
Kämpfend gegen Sturm und Wogen,
Seine stolzen Segel schwellend,
An dem Riffe dröhnt zerschellend.«
Seufzt. Ich darf nicht daran denken!
WILLIBALD fährt mit dem Finger über die Nase. Das ist noch ein glückliches Schiff, das mit
stolzen Segeln untergehen kann.
CLAUDINE großartig. Ja, ich habe Kraft, Kraft! Wenn ich die nicht hätte, wo wäre ich dann
längst? Seufzend. »Sechs Bretter und zwei Brettchen!«
WILLIBALD lächelnd. Oh, oh, gnädiges Fräulein, nicht gleich so desperat!
CLAUDINE mit Nachdruck. Was ist aufreibender, als innere Öde! und die habe ich empfunden, wie
sie mir kein Herz so leicht nachempfinden kann.
Willibald gähnt.
CLAUDINE. Ich habe sehr, sehr einsam gestanden und lange, lange Zeit; oh! Sie versinkt in
Träumerei.
Willibald faßt leise nach einem Buche und fängt an zu blättern.
CLAUDINE hastig. Aber ich mag nicht mehr! ich will nicht mehr! Rasch, zu Willibald gewendet.
Was meinen Sie? Wir haben uns hier so seltsam gefunden! wollen wir es versuchen, einander
aufzurichten? Wollen wir Freunde sein? Ihm die Hand bietend, heiter. Schlagen Sie ein! man muß
dem Glücke die Tür öffnen, sonst kommt man seine Lebetage zu nichts. Lassen Sie uns Freunde
sein!
Willibald legt verlegen das Buch fort und faßt ihre Hand.
CLAUDINE. Nur resolut!
Willibald schüttelt ihre Hand ein wenig.
CLAUDINE. Sie kommen zu mir, so oft Sie wollen, so selten Sie wollen – bleiben aus, wann Sie
wollen; wir plaudern, nehmen eine Tasse Tee und nachher ein bescheidenes Abendbrot. Willibalds
Gesicht erheitert sich.
CLAUDINE fortfahrend. So ganz einfach, Poetenkost: eine Suppe, ein Salat, ein Hühnchen – Sie
teilen mir Ihre neuesten Produkte mit – nun? Ist’s so recht? Sollen wir es versuchen?
WILLIBALD ihre Hand kräftig schüttelnd. Herzlich gern, und möge der Himmel geben, daß ich
Ihnen von einigem Tröste und Nutzen sein kann.
CLAUDINE kindlich. Nein, das ist himmlisch! nein, wie freue ich mich darauf! nein, das wird
köstlich werden! Und wissen Sie was? gleich heute soll meine Franziska vor Ihnen debütieren!
das ist ein psychologisches Experiment, was Sie sich nicht dürfen entgehen lassen. Ich lese
ihr mein letztes größeres Gedicht vor –
WILLIBALD einfallend. Erlauben Sie, ich werde mein »Hermann und Thusnelde« mitbringen, da
können wir sehn, welche Eindrücke die Hexameter auf sie machen; das muß sie ungeheuer anregen,
dies Steigen – und Wogen –
CLAUDINE einfallend. O gewiß, herrlich, einzig! Zuerst lese ich einige kleine Gedichte aus dem
»Echo« –
WILLIBALD einfallend. Ja, einige kleine, und dann mein Trauerspiel.
CLAUDINE. Ja, ja, so mag’s sein. Lachend umhersehend. Wie seltsam! hier in diesem trocknen
Geschäftsbüro, wo einem die Rechnungen gleichsam andunsten, müssen zwei poetische Naturen sich
sehen, finden und aneinander schließen zum Schutz und Trutz! Wissen Sie was? Ich gehöre gar
nicht zu den Frauen, die sich vor Freundschaften mit Männern fürchten.
Willibald lacht.
CLAUDINE. Das ist nur Torheit, Mangel an innerer Freiheit. Was geht es mich an, ob meine
Schwesterseele einen Bart trägt oder nicht? Oh, ich habe Sie doch sogleich erkannt, ich bin
eine gute Physiognomin.
WILLIBALD. Sie wußten, wer ich bin?
CLAUDINE. I bewahre! Ihren Geist meine ich, Ihre Seele; Auf seine Stirn deutend. in diesen
kleinen Fältchen da habe ich gleich gelesen.
Willibald fährt sich über die Stirn und wirft einen verstohlenen Blick in den Spiegel.
CLAUDINE lachend und mit dem Finger drohend. Ja, streichen Sie nur, ich habe Sie nun doch mal
weg. Seufzend. Ach Gott, es ist nicht zum Lachen, man bekommt die Falten nicht von
Vergnüglichkeit: ich weiß auch, was es heißt, sich auf Leben und Tod mit dem Schicksale
herumschlagen … Hastig. Notabene! Haben Sie die Rezension im Abendblatte gelesen!
WILLIBALD verlegen. Welche?
CLAUDINE. I nun, die – von dem kleinen Pferdchen mit den langen Ohren, dem Seybold.
WILLIBALD verdrießlich. Nein, ich habe keine Zeit, schlechtes Zeug zu lesen.
CLAUDINE verächtlich. Hm, ich auch nicht, aber dieses ist was Infames.
WILLIBALD bitter. Warum lesen sie was Infames?
CLAUDINE. Ach! man hat mich so dazu gebracht, durch einen anonymen Brief, von irgendeiner
dummen Seele, die das Ding nicht kapiert hatte. Hören Sie, – doch nein, es ist eine lange,
einfältige Geschichte; kurz, ich habe es gelesen, – aber ich lache nur darüber.
WILLIBALD. Es verdient auch nichts anderes.
CLAUDINE. Hm, meine Gedichte sind wohl so gut als alles, was der Herr Seybold schreibt! Die
braucht er keinen aufgespreizten Reifrock zu nennen, wo nichts darunter steckt als Haut und
Knochen, – Mensch ohne die geringste Delikatesse! Er sollte noch einen preußischen Taler darum
geben, wenn er so schreiben könnte.
WILLIBALD erleichtert. Ich habe die Rezension in der Tat nicht gelesen.
CLAUDINE heftig. Lesen Sie sie, ich bitte, lesen Sie sie, und dann geben Sie ihm tüchtig eins
drum.
WILLIBALD. Ich?
CLAUDINE. Hauen Sie ihn, mir zu Gefallen, daß er die bittre Angst kriegt, und in demselben
Blatte.
WILLIBALD. Fräulein –
CLAUDINE immer heftiger. Sie können’s nicht zu arg machen; ich wollte, er müßte springen wie
ein Seiltänzer, vor Angst, der Lumpus!
WILLIBALD. Aber ich schreibe fast nie Rezensionen.
CLAUDINE. So machen Sie dieses Mal eine Ausnahme, mir zuliebe und in demselben Blatte, daß der
Mensch sich nicht anstellen kann, als hätte er es nicht gelesen, der Schlingel!
EINE STIMME draußen. Ach so, ich will warten.
CLAUDINE. Gott, das ist die Austen.
WILLIBALD. Wer?
CLAUDINE. Frau von Austen, ein fataler Blaustrumpf du bon vieux temps; Vergißmeinnicht, –
Klopstock. – Es ist schauderhaft! vielleicht erkennt sie mich nicht, sie ist etwas blind. Es
wird angeklopft.
Claudine wendet sich gegen das Büchergestelle und kramt darin umher. Willibald setzt sich an
den Tisch und mustert die Journale, die er auf den noch unbepackten zweiten Stuhl neben sich
legt.
Siebente Szene
Die Vorigen. Frau von Austen sie ist sehr klein und dürr, gebückt vor Altersschwäche, aber
lebendig in ihren Bewegungen.
FRAU VON AUSTEN tritt herein, sieht neugierig umher, nimmt ihren Hut ab, unter dem ein
Häubchen mit Rosaband zum Vorschein kommt, zieht die Handschuh’ ab und schwankt dann an das
Büchergestelle, vor dem Claudine steht, wo sie Hut, Handschuh’ und einen schweren Strickbeutel
in ein halbleeres Fach schiebt; Claudinen bemerkend. Ah, sieh da, meine liebe Briesen!
CLAUDINE wendet sich um. Guten Tag, meine gute Frau von Austen, wie geht’s? Was haben Sie
gemacht seit dem letzten Donnerstag?
FRAU VON AUSTEN. Nicht wahr? das war ein himmlischer Abend! Unser Kränzchen war so recht en
verve.
CLAUDINE. Freilich, und weshalb eigentlich wohl? Es war doch im Grunde ein miserabler Tag, ein
Wetter zum Verzweifeln, aber mir war grade, als wenn ich eine halbe Flasche Champagner
getrunken hätte.
FRAU VON AUSTEN lachend. Vouz avez toujours le bon mot pour rire! Aber wirklich, ich habe mich
an keinem Abende so weh getrennt. Die Luft zitterte ordentlich von Geistund Witzfunken.
CLAUDINE lachend. Aber ohne Frage!
FRAU VON AUSTEN. Wir hatten alle unsern geistigen beau jour, sogar der Leiser, mit
vorgehaltener Hand. langweilige Lauter. Werning –
CLAUDINE. Gewiß; der Mensch war geradezu poetisch ein paar Stunden lang, der mußte ein
vierblättriges Kleeblatt gefunden haben.
Frau von Austen lacht und droht ihr mit dem Fächer.
CLAUDINE. Aber nun sagen Sie mir, warum sind wir nicht immer so? Warum können wir zuweilen so
unausstehlich ledern sein? Z.B. am Sonntage – es war doch zum Übelwerden! Hätte man nicht
denken sollen, wir wären im Grunde alle die langweiligsten Personnagen von der Welt?
FRAU VON AUSTEN. Ja, ist der Mensch nicht Stimmungen unterworfen? Die Psyche schlummert
zuweilen, besonders Schalkhaft leise. wenn Amor sie nicht mehr weckt.
CLAUDINE pikiert. O, meine liebe Frau von Austen, es ist nicht nötig, daß man immer einen
Liebhaber auf der Ferse hat, um erträglich zu sein.
FRAU VON AUSTEN. Gott bewahre! dann wäre ich seit lange eine unerträgliche Person; denn was
habe ich andres als Erinnerungen! Sie seufzt und wirft einen Blick auf ihre Ringe.
CLAUDINE mit leichter Bosheit. Da haben Sie das Beste; die pflegen gewöhnlich viel schöner und
idealer zu sein, als die Gegenwart gewesen ist.
FRAU VON AUSTEN. Ja wohl, das Grab hat eine läuternde Kraft; obwohl – es ist doch furchtbar,
furchtbar! Sie schüttelt sich.
»Das Grab ist tief und stille
Und schauderhaft sein Rand.«
Sie sieht suchend umher.
CLAUDINE. Sie suchen einen Stuhl; ich habe selbst keinen, sonst würde ich mir ein Vergnügen
daraus machen, ihn Ihnen anzubieten. Sie wirft einen strafenden Blick auf Ida, die erschrocken
auffährt.
FRAU VON AUSTEN sieht ängstlich umher. Es ist hier alles so zugepackt; sonst – dort sitzt ein
Herr, so breit wie ein chinesischer Mandarin. Da sie bemerkt, daß Ida ihren Stuhl aufhebt.
Nein, lassen Sie, lassen Sie, Kind! aber wenn Sie Ihr Plätzchen am Fenster einer alten Frau
abtreten wollen, das wäre allerdings sehr lobenswert – sehr außer der jetzigen Mode. Sie
rutscht zu Idas Stuhle. Ich sitze gern am Fenster; man kann da so allerlei Beobachtungen
machen à la Scarron. Sie setzt sich, Ida schlägt die Vorhänge mehr zurück, doch so, daß für
die dahinter Sitzende noch immer ein Ansehn von halbem Lauschen bleibt, und stellt sich
stickend an die gegenüberstehende Wand der Fensternische. Claudine ist indessen zu Willibald
an den Tisch getreten, hat ein Manuskript aus ihrem Strickbeutel gezogen, es Willibald
überreicht, und redet nun, während er es durchsieht, leise und angelegentlich zu ihm.
FRAU VON AUSTEN. Welch eine herrliche Aussicht! Der alte Vater Rhein mit seinen blauen Wogen
und grünen Berghäuptern! Und sechs – sieben – acht Schiffe, ich verstehe mich nur nicht auf
die Flaggen. Sie sieht neugierig heraus, dann Idas Hand fassend. Ja, warum ich eigentlich
gekommen bin; wissen Sie nicht, liebes Kind, ob der Papa gute vollständige Ausgaben von den
Dichtern hat, die man jetzt leider nirgends mehr antrifft? Ich meine von den guten ältern
Dichtern, Opitz, König, Gellert, Lessing. –
IDA. Lessing habe ich doch schon nennen gehört, aber –
FRAU VON AUSTEN. Die anderen nicht; nun dann werde ich sie auch wohl hier vergeblich suchen,
wie überall. Ich dachte, in einem so vollständigen Laden – indessen die Zeiten haben sich
geändert.
IDA. Ich will nachsehn, vielleicht doch. Sie steigt auf die Bücherleiter.
Frau von Austen sieht indessen neugierig nach Claudinen und Willibald hinüber.
CLAUDINE halblaut.
»Es flogen die Wolken, es wälzte der Nord
Durch der Burg hochwölbende Hallen sich fort –«
Ist das matt? Ist das Haut und Knochen?
WILLIBALD ebenso. Gewiß nicht! obgleich – »hochwölbende … –«
CLAUDINE rasch. Nein? Ist das nicht gut? Ist das nicht ein edles Bild?
WILLIBALD. Ich habe nichts dagegen, aber die Halle wird gewölbt, sie wölbt nicht.
CLAUDINE. Ei, freilich! der Himmel wölbt sich, die Grotte wölbt sich, – das liest man ja
hundertmal.
WILLIBALD. »Sich wölbende«, das ging an, aber »hochwölbende« –!
CLAUDINE ungeduldig. O, man muß auch etwas wagen. Jedermann versteht es und –
WILLIBALD fällt ein. Zu kühn!
CLAUDINE. Ich will aber kühn sein.
Willibald zuckt die Achseln.
FRAU VON AUSTEN. Kommen Sie, Kind, kommen Sie her! Sie finden es doch nicht.
IDA steigt von der Leiter. Es muß drüben in dem großen Laden sein.
FRAU VON AUSTEN kopfschüttelnd. Nein, es ist gar nicht da, ich wette. Ida stellt sich wieder
zu ihr. Aber den Klopstock haben Sie doch? das ist doch noch einer von den Neueren.
IDA. O ja, den Klopstock haben wir. Indessen – ich will versuchen, ob ich ihn finden kann; er
wird so selten verlangt.
FRAU VON AUSTEN hält sie an der Hand. Nein, bleiben Sie, bleiben Sie! Schwätzen Sie lieber ein
wenig mit mir; alte Leute sprechen gern. Ida lehnt sich wieder an die Mauer. Daß ich so lange
habe leben müssen, um das Schöne untergehn zu sehn! die himmlischen Gesänge an Cidli! und
Selmar! »Den Schmerz soll Selmar nicht fühlen, daß er sterbend mich sieht, Selmar, wie liebe
ich dich!« Sie sind doch jung, mein Kind; macht das gar keinen Eindruck auf Sie? Ida flüstert
verlegen etwas. O, Sie brauchen nicht rot zu werden; wenn Sie den Goethe lesen oder den
Gutzkow, den Ihnen der Papa aber hoffentlich nicht in die Hände geben wird, dann mögen Sie rot
werden.
IDA neugierig. Gutzkow?
FRAU VON AUSTEN. Aber so reine Gefühle veredeln die Seele.
WILLIBALD. Wie ist’s, Fräulein? Soll ich es streichen?
CLAUDINE. Nein, das müssen wir noch besser überlegen.
WILLIBALD. Nein, es ist ausgemacht; soll ich es streichen?
CLAUDINE mürrisch. Meinetwegen, aber dieses eine Mal und nie wieder.
WILLIBALD. Gut! Er tunkt die Feder ein und streicht.
FRAU VON AUSTEN. Wer ist der Herr, der mit Fräulein Briesen so bekannt scheint?
IDA. Der Dichter Willibald.
FRAU VON AUSTEN fixiert ihn. Ein hübscher Mann! wohl eine alte Freundschaft?
IDA. Nein, sie haben sich vor einer halben Stunde hier zum ersten Male getroffen.
FRAU VON AUSTEN. Das sollte man nicht meinen.
IDA. Fräulein Briesen ist sehr lebhaft.
FRAU VON AUSTEN gibt ihr einen Schlag mit dem Fächer. Spitzbube! Sie spricht leiser mit Ida
und sieht dabei immer nach den beiden andern hinüber.
CLAUDINE zu Willibald, der fortwährend streicht. Halt! halt! holla! Sie lassen ja nichts
stehn.
WILLIBALD. Ich merke mir nur einiges an, um mit Ihnen darüber zu reden. Er streicht immerfort.
CLAUDINE lebhaft. Aber nun auch eine ordentliche Rezension, sage ich Ihnen, eine Rezension aus
dem Salz und Pfeffer!
WILLIBALD. Glauben Sie mir, ich bin selbst sehr geneigt, mein Bestes zu tun an dem –
Schlingel.
CLAUDINE. Aber eine Rezension auf meine Gedichte!
WILLIBALD. Vorerst eine auf die seinigen, das andre findet sich.
CLAUDINE. Aber Sie sollen ihn nicht herunterreißen und mich dann neben ihm im Kote liegen
lassen; das stände mir schlecht an.
WILLIBALD sieht auf. Hören Sie, Fräulein, ich darf das nicht so unmittelbar nebeneinander
stellen; sehen Sie nicht, daß ich dann mein Ansehn von Unparteilichkeit verlieren würde?
CLAUDINE sehr schnell. Das haben Sie doch nicht; er hat Sie ja miserabel mitgenommen.
WILLIBALD räuspert. Ja – nun – so arg nicht.
CLAUDINE. Ungefähr wie mich, wir können uns die Hände reichen.
WILLIBALD räuspert. Jedenfalls ist es besser, wenn ich anonym schreibe, schon seiner Schwester
wegen, die meinen Vetter geheiratet hat.
CLAUDINE. Richtig! so reißen Sie ihn anonym herunter und mich rezensieren Sie dann mit Ihres
Namens Unterschrift.
WILLIBALD räuspert. Das pflege ich sonst nicht zu tun; mich dünkt, ein W. sei genug, da weiß
es doch ein jeder.
CLAUDINE heftig. Weiß es ein jeder? Weiß es keine Katze! Herr Jesus, das ist ja die Chiffre
des langweiligen Werning! Da will ich doch lieber –
WILLIBALD ihre beiden Hände fassend. Hören Sie! Hören Sie! Er spricht leise zu ihr.
FRAU VON AUSTEN zu Ida. Nicht wahr, Sie machen auch Ihre Bemerkungen?
IDA verstimmt. Ja, aber sie ennuyieren mich.
STIMME draußen. Hier? links? gut. Es wird angeklopft und dann rasch die Tür geöffnet.
Achte Szene
Die Vorigen. Sonderrath tritt herein, den Hut in der Hand; er streicht sich ungestüm durchs
Haar, sieht umher und nähert sich dann dem Tische.
SONDERRATH zu Willibald. Habe ich die Ehre, Herrn Speth zu sehn?
WILLIBALD trocken. Verzeihn Sie.
SONDERRATH. Oder einen seiner Kommis?
WILLIBALD. Auch nicht. Er steht auf, nimmt die Abendblätter und ordnet sie mit Hilfe der
Bücherleiter in das gehörige Fach; Claudine reicht sie ihm und redet leise dazwischen.
IDA sich nähernd. Wollen Sie gefälligst einen Augenblick verzeihen? Mein Vater wird
hoffentlich sogleich kommen.
SONDERRATH. Wie bald? wann meinen Sie wohl?
IDA zuckt die Achseln. Mich wundert, daß er nicht hier ist; er pflegt sonst um diese Zeit
nicht auszugehn.
Sonderrath zupft an seinem Schnurrbarte, fährt sich durchs Haar, sieht umher und gibt alle
Zeichen der höchsten Ungeduld. Ida zieht sich etwas pikiert zurück; die Austen betrachtet den
neuen Ankömmling neugierig.
CLAUDINE zu Willibald, halblaut. Aber wann dann?
WILLIBALD. Bald, nur nicht so unmittelbar.
CLAUDINE. Ich sehe schon, worauf das hinaus soll; aber ich will mein Recht, nichts mehr als
mein Recht.
SONDERRATH zu Ida gewendet. Wissen Sie nicht, wohin Herr Speth gegangen ist?
IDA. Ich weiß es nicht, aber um zwei kommt er jedenfalls zu Hause.
SONDERRATH zieht seine Uhr. Erst halb – erlauben Sie! Er legt seinen Hut auf einen
Bücherballen, rückt den Stuhl vom Tische zur Seite, setzt sich darauf, nimmt ein Lineal vom
Tische und balanciert es auf der Hand.
WILLIBALD hat die Blätter geordnet. Da liege, du Lork! und steh nicht wieder auf! Ich hoffe,
das Paket soll nicht um vieles dicker werden, wenn es nach meinem Sinne geht.
SONDERRATH läßt das Lineal fallen. Plautsch, da liegen wir. Er hebt es auf, etwas kleinlaut.
Es ist nicht zersprungen.
IDA. O, das wäre auch kein großer Schaden.
CLAUDINE halblaut zu Willibald. Gehn Sie! Sie können gut reden, ich kann nicht dagegen
aufkommen, und es steckt doch Falschheit drunter.
WILLIBALD. Fräulein, Sie sind die argwöhnischste Person von der Welt.
FRAU VON AUSTEN zu Ida. Was ist das?
IDA. Man sollte denken, eine Liebeserklärung, aber es wird wohl ihre Schreibereien angehn.
Sonderrath springt auf und zieht eine Klingel.
IDA zu Frau von Austen. Schauen Sie mal an! der meint, er sei in seinem Schlafzimmer. Ein
Diener kommt.
SONDERRATH. Wo ist denn eigentlich Herr Speth?
DIENER. Ich will nachsehn, –
SONDERRATH. Ist er denn zu Hause oder nicht?
DIENER. Ich will –
SONDERRATH. Aber wissen Sie es denn nicht?
DIENER verblüfft. Vor einem Weilchen war er in seinem Kabinette.
SONDERRATH verwundert. So! also zu Hause! ja dann gehn Sie schnell zu ihm, ich sei hier, und
zwar sehr eilig, er möge gefälligst sogleich kommen.
DIENER. Darf ich um Ihren wertesten Namen –
SONDERRATH. Ich, – ich – Ach, wie heiße ich denn? Sonderrath, und ich sei sehr eilig,
vergessen Sie das nicht. Diener geht; Willibald und Claudine wenden sich verwundert um; Frau
von Austen fängt an, auf ihrem Stuhle hin und her zu rutschen. Sonderrath steht auf und geht
einmal die Bühne auf und nieder; als er an Willibald kommt, tritt dieser vor.
WILLIBALD. Herr Sonderrath, verzeihen Sie einem Bruder in Apoll und den Musen – Sonderrath
bleibt stehn. daß er, in Ermanglung eines Wortführers, es wagt, sich selbst vorzustellen; ich
bin der Theofried Willibald.
SONDERRATH macht eine flüchtige Verbeugung. Ah!
WILLIBALD. Es ist eben niemand hier, der mir diese Gunst erweisen kann; so muß ich es machen
wie der Kuckuck und rufen meinen eignen Namen.
SONDERRATH zerstreut. Sie wohnen hier in der Stadt? Das habe ich nicht gewußt.
WILLIBALD. Allerdings; meine Werke erscheinen hier beim Herrn Speth; Selbstgefällig
umherschauend. ja, diese sind die vier Wände, wo sie zuerst das Licht der Welt anschreien. Da
Sonderrath nicht antwortet. Notabene, wo speisen Sie?
SONDERRATH. Ich weiß noch nicht; notabene, gibt es hier denn überall himmelblaue Schokolade?
WILLIBALD lachend. Wer hat Ihnen die vorgesetzt? Das ist ja eine Schande für unsere Stadt.
SONDERRATH. Der Mann im Monde.
WILLIBALD. Ach, der Mondwirt! das ist ja aber auch eine Kneipe; wie sind Sie denn dahin
geraten?
SONDERRATH. Mit Gott und meinem Schürgen, der immer vor mir hergerollt ist, wie eine
Billardkugel.
WILLIBALD. Das sind Schelme, die – Sonderrath wendet rasch den Kopf. Wünschen Sie etwas?
SONDERRATH. Mich dünkt, es ging jemand über den Flur.
WILLIBALD. Hier rennt’s den ganzen Tag wie in Lloyds Kaffeehause; Herr Speth hat ein enormes
Geschäft.
SONDERRATH. Wenigstens ein sehr solides.
WILLIBALD. Nun, solide muß ein Haus wohl sein, das sich durchaus nur mit dem
Ausgezeichnetesten befaßt.
SONDERRATH. Mich dünkt – Zu dem eintretenden Diener. wie ist’s? kommt er?
DIENER. Herr Speth sind in der Tat ausgegangen.
SONDERRATH heftig. Nun, dann werde ich aber auch ausgehn, und vielleicht nicht wiederkommen.
Er ergreift seinen Hut. Empfehlen Sie mich Herrn Speth, und – ich sei hier gewesen.
IDA sich nähernd. Herr Sonderrath, ich weiß, daß mein Vater Sie dringend zu sprechen wünscht;
dürfte ich Sie nicht bitten, sich noch ein geringes zu gedulden? Es kann nicht weit mehr von
zwei sein, dann kommt er unfehlbar zu Hause.
SONDERRATH. Fräulein – ich muß – ich fürchte das Dampfboot zu versäumen.
IDA. Stromauf?
SONDERRATH. Nein, stromab, nach Köln.
IDA. Das geht erst um sechs. Ich bitte, machen Sie mir nicht den Kummer, meinem Vater sagen zu
müssen, daß er Sie verfehlt hat. Wahrscheinlich ist er eben jetzt Ihretwegen an die
Schiffbrücke gegangen, da er Sie seit vier Wochen täglich erwartet.
SONDERRATH. Wirklich? Oh, das ist mir leid; der gute Herr Speth! Freilich, ich habe mal etwas
dergleichen geschrieben, aber – aufrichtig gesagt, Fräulein – ich bin zuweilen ein wenig
konfus in meinen Plänen. Nun, ich will warten.
Er legt den Hut wieder auf den Ballen; Frau von Austen hat sich indessen Claudinen genähert,
diese dem Willibald gewinkt, der nun mit beiden Damen zu Sonderrath tritt.
WILLIBALD halb ironisch. Herr Sonderrath, es ist heute ein Tag der Überraschung für Sie, ein
Tag albo notanda lapide; sehn Sie keine Lorbeeren an diesen beiden Stirnen?
SONDERRATH zerstreut lächelnd. Lorbeern?
WILLIBALD vorstellend. Frau Johanna von Austen, – Fräulein Claudine Briesen.
SONDERRATH verbeugt sich. Ah!
WILLIBALD. Oder um die Mauer der Anonymität zu brechen, Auf Frau von Austen deutend.
Verfasserin vieler geschätzten Poesien, unter dem schlichten Namen »Johanna«, und Auf
Claudinen deutend. »Des Echos im Felstale«.
SONDERRATH verblüfft. Ah, das »Echo im Felstale«!
CLAUDINE. Nicht wahr? Ein glücklich erfundener Titel – so etwas Träumerisches, Verhauchendes –
ich möchte wünschen, daß die Gedichte ihm entsprächen.
SONDERRATH zerstreut. Zweifeln Sie daran?
CLAUDINE lebhaft. So haben sie Ihren Beifall? O, wie freut mich das! Kindlich in die Hände
klatschend. O, nun bin ich geborgen, nun habe ich eine gute Stütze. Mit dem Finger drohend.
Warten Sie, auf Sie werde ich mich noch manches Mal berufen! Sehr schnell. Aber welches – das
ist doch eine unbescheidene Frage; sagen Sie uns lieber, wie lange bleiben Sie?
SONDERRATH. Hier? Ich warte auf Herrn Speth.
CLAUDINE. Tun Sie nicht so borniert! in unsrer Stadt, meine ich.
SONDERRATH. Nicht lange, bis das Kölner Dampfboot fährt.
CLAUDINE. Lassen Sie es fahren! es kommt ebensogut über Weg ohne Sie. Nein, fort kommen Sie
nicht, daran ist nicht zu denken. Wann kommt mal wieder ein solcher Kreis zusammen, das muß
besser ausgebeutet werden.
FRAU VON AUSTEN knicksend. Unmöglich, Sie wollen uns schon fliehn? Geduld! ich will Ordnung
machen; wir sehn alle aus, als wenn wir so davonlaufen wollten. Sie fängt an Stühle
abzupacken; zu Willibald. Helfen Sie mir!
Beide packen drei Stühle ab und stellen sie zu dem vierten, auf dem Sonderrath gesessen.
Sonderrath fährt zu und nimmt Claudinen einen Stuhl ab.
CLAUDINE. So! Hier, Herr Sonderrath – hier, Herr Willibald – und hier Frau von Austen und
meine kleine Person. Sie setzen sich.
SONDERRATH. Verzeihen Sie, wenn ich vorziehe zu stehn; ich habe mich steif und müde gesessen
im Schnellwagen.
CLAUDINE lebhaft. Gut, stehn Sie! stehn Sie! wie der Beklagte vor seinem Tribunal. Sie sollen
auch auf Leben und Tod angeklagt werden, erstlich auf den Vorsatz böslicher Flucht –
WILLIBALD. Aufruhr gegen die angeborne Fahne der Frauenmacht –
FRAU VON AUSTEN zuckend. Felonie wie Wallenstein –
WILLIBALD. Verleumdung des vielbedrängten Mannes im Monde –
CLAUDINE. Wissen Sie was? Sie springt rasch auf und tritt vor Sonderrath; alle drängen sich
dicht um ihn. Wir müssen doch überlegen, wie wir zusammensein können. Also – vorerst kommen
Sie morgen früh zu mir – doch nein – lieber diesen Abend; Herr Willibald kommt auch und Frau
von Austen; da sind wir ganz unter uns. In die Hände klatschend. O Gott, das wird köstlich
werden! himmlisch! die ganze Luft wie elektrisiert!
FRAU VON AUSTEN. Ein Verein wie Klopstock, Gieseke, Schmidt.
SONDERRATH. Sie überschütten mich mit Güte, aber bedenken Sie –
CLAUDINE einfallend. Ich bedenke nichts, ich will nichts hören!
SONDERRATH. Daß ich ohne Gnade fort muß.
CLAUDINE. Ich höre nichts.
SONDERRATH ungeduldig. Ich werde aber gehen mit dem Dampfboot.
CLAUDINE pikiert. Hm, warum nicht lieber mit dem andern, dem Studentenboot?
SONDERRATH gereizt. Meinetwegen! Aber – Studentenboot? Zu Willibald. Gibt’s ein Boot, auf dem
vorzugsweise Studenten fahren? keine Da …, keine andern Passagiere?
Claudine wendet sich beleidigt ab und lorgnettiert umher.
WILLIBALD. Das Fräulein spielen auf eine lustige Fahrt an, die ein Trupp flotter Gesellen,
zumeist Studenten, heute um halb drei antreten werden.
SONDERRATH aufmerksam. So?
WILLIBALD. Ha, das ist eine brillante Geschichte! Sie haben das neue Dampfboot Lätitia auf
vier Wochen dazu gemietet. Sonderrath stemmt den Arm in die Seite und nickt unternehmend. Bei
jedem berühmten Weinwachs wollen sie anhalten und dort, mit Reben bekränzt, unter Gesang und
Hörnerklang abends mit Fackeln – was weiß ich alles – an Ort und Stelle über das beste Gewächs
entscheiden.
SONDERRATH nickt. Das gefällt mir! das ist echt anakreontisch!
WILLIBALD. An jeder Station soll einer der Gesellschaft ein Weinlied vortragen, es heißt, ein
selbstgemachtes, – nun, die mehrsten haben sich’s eben machen lassen.
SONDERRATH. Kennen Sie einige aus der Gesellschaft?
WILLIBALD. Ein paar; Nachsinnend. den Kaufmann Werth aus Andernach, – den Referendar Klinger –
SONDERRATH rasch. Aus Elberfeld?
WILLIBALD. Jawohl! kennen Sie den?
SONDERRATH. Gott, mit dem habe ich in Bonn studiert! ein prächtiger Junge!
WILLIBALD. Dann den Auskultator Bernstedt –
SONDERRATH rasch. Aus Krefeld?
WILLIBALD. Kennen Sie den auch?
SONDERRATH immer sehr schnell. Mein Stubenbursche! mein guter langbeiniger Pylades! Trägt er
noch immer so sentimentale blonde Schmachtlocken?
WILLIBALD. Mich dünkt, ich habe ihn kurzschopfig gesehn.
SONDERRATH. Schade, schade! nun kann ich ihn also nicht mehr den weißen Pudel nennen;
jammerschade! Ei, ei, die beiden sind in der Stadt, Klinger und Bernstedt, und ich weiß es
nicht, und ziehen gerade ab, wie ich komme, das ist Pech. Rasch. Wie spät ist es? Er sieht
nach seiner Uhr.
EINE STIMME draußen. Wie? Herr Sonderrath hier? Die Tür wird schnell aufgemacht und herein
tritt Seybold.
Neunte Szene
Seybold. Die Vorigen.
SEYBOLD. Sonderrath!
SONDERRATH. Seybold, schwarzer Ibis, wo kommst du her! Er faßt ihn an den Schultern und
schüttelt ihn. Du alter Kerl!
SEYBOLD. Sachte, sachte! Du karessierst einem noch immer wie eine Schmiedezange; sag mir
lieber, wo kommst du her?
SONDERRATH. Ich? ja, da frag mich nicht; du weißt, ich lebe wie ein Schirrmeister, immer auf
dem Postwagen.
SEYBOLD. Das sei Gott geklagt! Notabene, ich war bei dir.
SONDERRATH. Davon habe ich nichts gemerkt.
SEYBOLD. Das heißt, ich war in Mülheim, du warst aber nicht dort.
SONDERRATH. Das wundert mich nicht; ich ziehe wieder seit vier Wochen à la bonne fortune
umher.
Seybold schüttelt den Kopf und sieht Sonderrath an, der komisch verlegen aussieht; Willibald
und Claudine haben sich indessen gleich nach Seybolds Eintritt mit einer leichten Verbeugung
entfernt.
FRAU VON AUSTEN bleibt noch einige Sekunden länger und rutscht hin und her; dann, indem sie
ihren Hut aufsetzt. Ja, Idachen, ich muß gehn; fragen Sie den Papa doch wegen des Bewußten.
Ida begleitet sie. Dieses muß alles während Seybolds und Sonderraths Begrüßung geschehn, – die
Worte der Austen, während Seybold den Sonderrath kopfschüttelnd ansieht.
Zehnte Szene
Sonderrath. Seybold.
SEYBOLD. Hör, Sonderrath, du bist doch ein unbeschreiblich leichtsinniger Mensch.
SONDERRATH. Hör, Seybold, das brauchst du mir nicht mehr zu sagen, das weiß ich längst
auswendig.
SEYBOLD. Der faulste Schlingel in ganz Deutschland! was wird denn nun aus deinen Reminiszenzen
vom Rhein?
SONDERRATH. O Gott! O Gott!
SEYBOLD. Ich habe praenumeriert, aber ich kann nicht spüren, daß ich für mein Geld etwas
bekäme.
SONDERRATH. Wenn du mich liebhast, so schweig mir still hiervon; es wird mir schwarz vor den
Augen, wenn ich nur daran denke.
SEYBOLD ernsthaft. Es ist schändlich, ich mag dich nicht gleich ausschelten, aber du
verdientest, daß ich dich heruntermachte wie einen Lumpen, du handelst unverantwortlich an dem
frommen Manne, dem Speth.
SONDERRATH. Ach, ich habe soviel anderes zu tun. Du meinst wohl, ich hätte Zeit genug; ich
habe gar keine Zeit.
SEYBOLD. Was hast du denn für Geschäfte? Die Weine probieren?
SONDERRATH hastig. Richtig! wie spät ist’s? Er sieht wieder nach der Uhr.
SEYBOLD. Gehn dir noch immer die Uhren nicht schnell genug? Ich wollte sie doch lieber gleich
voranstellen! – Aber ich frage, was hast du denn für Geschäfte?
SONDERRATH. Sieh, erstlich muß ich ungeheuer viele Briefe schreiben –
SEYBOLD. Von denen bekomme ich wenigstens keinen mit.
SONDERRATH schnell. Ja, ich bin dir auch nichts schuldig.
SEYBOLD lacht. Nur weiter!
SONDERRATH. Dann muß ich mir viele Bewegung machen, ich werde zu dick.
SEYBOLD. Schaff du dir eine unglückliche Liebe an, dann wirst du schon mager werden.
SONDERRATH ihn bei der Hand fassend. Ich kenne jetzt ein Mädchen! –
SEYBOLD. Ich weiß schon, deine Schwanenjungfrau.
SONDERRATH. Nein, die nicht.
SEYBOLD. Auch schon entthront? Deklamierend. »Eine Erscheinung, so großartig, rein und glühend
zugleich, wie die Stirn der Alpen, wenn das Abendrot den Schnee zu entzünden scheint« – o
Sonne! wo bist du geblieben!
SONDERRATH kleinlaut. Ach, an der habe ich mich eben auch getäuscht; denk dir, die hat einen
elenden, ledernen, gelben Grafen geheiratet, einen Kerl, wie einen Habicht, der schon zehn
Jahre am Scheuntore trocknet; Lebhaft. aber das Bärbchen, das ist quick wie Pulver; das
solltest du sehn, wenn es sonntags seine roten Zwickelstrümpfchen –
SEYBOLD einfallend. Gott verzeih’ mir, der Sonderrath ist ins Idyll geraten!
SONDERRATH. Nun, nun, die überbildeten Damen stehn mir doch auch ellenlang zum Halse hinaus.
SEYBOLD lachend. Frisch zu! Thyrsis und Daphne! Wenn in den roten Zwickelstrümpfchen auch ein
paar breite Gänselatschen stecken, das macht nichts.
SONDERRATH impertinent. Hm!
SEYBOLD. Nur frisch zu, ein Gedicht nach dem andern, eins auf ihr Spinnrädchen, eins auf ihr
Fürtüchelchen; die läßt du dann drucken und trinkst ein Gläschen Wein dafür.
SONDERRATH. Jude!
SEYBOLD. Bist du böse?
SONDERRATH unbehaglich. Ach nein, aber du hast eine Freude daran, mir alle meine Illusionen
tot zu schlagen. Kleinlaut. Woran soll man sich denn erfrischen? An der nüchternen
Wirklichkeit, das ist doch nicht möglich.
SEYBOLD lächelnd. Mitunter doch.
SONDERRATH. Unmöglich! nein, es ist nicht möglich; ich habe mein Bestes versucht. Jawohl,
glänzende seidne Locken! Bei der einen glänzen sie von Schmutz, bei der andern von Pomade, die
sie hineinschmiert – puh! Er schüttelt sich.
SEYBOLD spöttisch. Du bist mir ein schöner Liebhaber; wenn ich eine Dame wäre, ich ließe dich
durch den Bedienten zum Hause hinauswerfen.
SONDERRATH lachend. Meine Dame hat aber keinen Bedienten unter ihrem Kommando, Komisch. nur so
‘n kleines Hänschen in zerrissenen blauen Höschen, das dem Papa die Schweinchen mit der
Schwippe zusammenknallt.
SEYBOLD. Charmant!
SONDERRATH. Nun, laß es gut sein; wir wollen nicht mehr davon reden, oder du wirst mich noch
um alle Poesie schwätzen.
SEYBOLD. Dann wäre ich doch ein zweiter Herostrat! Zwar was an deiner Poesie bisher von Damen
ausgegangen ist –
SONDERRATH lebhaft einfallend. Ad vocem »Poesie von Damen ausgegangen«, du weißt noch gar
nicht, aus welcher elenden Lage du mich gerettet hast; denke dir um Gotteswillen, die
Blaustrümpfe hatten mich unter.
SEYBOLD. Wo?
SONDERRATH. Hier in diesem Zimmer; hast du sie nicht zur Tür hinaus rutschen gesehn?
SEYBOLD. Wann?
SONDERRATH. Eben wie du kamst, zwei Mann hoch. Eine mit so unternehmenden weißen Schwungfedern
auf dem Kopfe, so eine Blaßblaue, als wenn sie sieben Jahr im Mondschein auf der Bleiche
gelegen hätte; die Person hat mir doch zugesetzt, ich wußte meines Leibes keinen Rat. Heute
abend sollte ich zu ihr kommen und morgen früh himmelblaue Schokolade trinken. Seybold lacht.
Und wie ich fortgehn wollte, hat sie mir förmlich Gewalt angetan. Das ist ein Satan von einem
Weibe.
SEYBOLD. Wie heißt sie denn?
SONDERRATH. Ach, ich weiß nicht – Biesen – Birsen – Biestern –; sie hat auch irgendwas
zusammengeschmiert, irgendein Echo, –
SEYBOLD. Claudine Briesen! das Echo im Felstale! Hastig. War die da?
SONDERRATH. Das bin ich gewahr geworden!
SEYBOLD lachend. Ha, ha, ha! O Jesus, die war da! Hat sie mich gesehn?
SONDERRATH. Das mußte sie wohl, wenn sie nicht blind war.
SEYBOLD. Und wußte sie meinen Namen?
SONDERRATH. Ich glaube, ich habe dich genannt.
SEYBOLD. Ha, ha, ha! Ja, richtig; da habe ich dich gerettet, die ist vor mir gelaufen. Oh! das
Echo im Felstal! Er wirft sich vor Lachen auf einen Stuhl.
SONDERRATH. Und noch eine, so eine alte wacklichte Karkasse, die immer auf dem Stuhle hin und
herrutschte, als wenn sie auf einer siedenden Teemaschine säße. Die hatte aber blutwenig zu
Kaufe, sie räusperte und hustete genug, aber es half ihr zu nichts; sowie sie den Mund auftat,
hui! war die andre vor ihr her und riß ihr den Bissen von der Gabel. Seybold lacht. Und wer
hat sie mir auf den Hals gesetzt? Kennst du wohl den deutschen Eichenhain? Monsieur Willibald?
SEYBOLD hastig. Der war doch nicht auch hier?
SONDERRATH. Sicherlich! und tat so fidel, als wenn wir zusammen die Schweine gehütet hätten;
er ist aber auch abgefahren, mit seinen Damen zugleich, eben wie du kamst.
SEYBOLD lachend. O, das ist prächtig! Das ist mir zwei Louisdors wert! nur daß ich sie nicht
gesehn habe, das kränkt mich. Sich fassend und aufstehend. Aber ich möchte jetzt wohl selbst
nach der Uhr sehn; Herr Speth bleibt wirklich lange aus.
SONDERRATH. Was suchst du denn eigentlich bei ihm?
SEYBOLD räuspert verlegen. Ich bitte dich, wenn er kommt, sprich vernünftig mit ihm; du
bringst den Mann in großen Schaden.
SONDERRATH. Ach, hör! es ist mir selbst ganz fatal, aber – unmöglich! – bei so schönem Wetter,
wer kann da in der muffigen Stube sitzen und – –
SEYBOLD. So schreib im Freien! – Du bist doch ein kurioser Kerl, daß du zu deiner Begeistrung
durchaus schlechtes Wetter haben mußt.
SONDERRATH. Das nicht, verrückter Einfall! aber –
SEYBOLD. Nun, faß einen kräftigen Entschluß.
SONDERRATH mit halb verstecktem Humor. Ich war eben daran, einen Entschluß zu fassen, wie du
kamst.
SEYBOLD. Nun, dann frisch voran! pack ihn fest.
SONDERRATH nachdem er ihn einige Augenblicke mit unterdrücktem Lachen angesehn. Ich habe ihn
fest gepackt.
SEYBOLD. Das ist brav, aber nun führ ihn auch aus.
SONDERRATH. Ganz gewiß, ich will noch heute daran.
SEYBOLD. Dann will ich dich auch einmal loben.
SONDERRATH. Bemühe dich nicht und sage mir lieber, was du bei Speth suchst.
SEYBOLD. O nichts – Gedichte.
SONDERRATH. Du suchst Gedichte?
SEYBOLD. Nein – es ist wegen einer Herausgabe von Gedichten.
SONDERRATH. Wieder ein Bändchen schlechtes Zeug zusammengeschmiert?
SEYBOLD. Nein, von einer anderen Person, einer Frau von Thielen.
SONDERRATH. Und was geht dich die an?
SEYBOLD. Ich bin ihr sehr befreundet und habe ihr auch viele Verbindlichkeiten.
SONDERRATH ihm die Hand auf die Schulter legend, mit Nachdruck. Hör, dann tu ihr den Dienst
und mache die Sache rückgängig; sage ihr, du wärst bei Speth gewesen, er könnte nicht und so
weiter und so weiter –
SEYBOLD. Unmöglich! sie ist ja hier.
SONDERRATH rasch. Doch nicht mit dir gekommen?
SEYBOLD. I behüte! zwar – auf demselben Dampfboote – allerdings.
SONDERRATH die Hände zusammenschlagend und Seybold mit komischer Verwunderung anstarrend.
Seybold! Seybold! O Himmel! Seybold hat sich einen Blaustrumpf angeschnallt, eine literarische
Freundin!
SEYBOLD verlegen. Du kennst die Frau nicht.
SONDERRATH. O Gott, o Gott, ich kenne Blaustrümpfe genug! ich mag diesen nicht noch dazu
kennen.
SEYBOLD. Sonderrath, es ist eine Frau – eine Frau, wie du in deinem Leben noch keine gesehn
hast.
SONDERRATH. O weh, o weh!
SEYBOLD allmählich heftiger werdend. Eine Frau, sage ich dir, die mehr Talent hat als wir
beide zusammen genommen.
SONDERRATH. Jammer, Jammer! O Patroklos, bist du gefallen!
SEYBOLD. Du machst mich wirklich ungeduldig. –
SONDERRATH deklamierend. »Durch zehn Lustern im Mondenschein gebleicht!«
SEYBOLD heftig. Da kommst du recht! sie ist eine bildschöne Frau.
Sonderrath sieht ihn verdutzt an.
SEYBOLD. Eine Frau wie eine Juno, nur viel anmutiger – überaus anmutig.
SONDERRATH in ganz verändertem, halbleisem Tone. Seybold, du bist so verliebt wie ‘ne
Nachtigall.
SEYBOLD. Das ist nun mal wieder ein Einfall.
SONDERRATH im selben Tone. Seybold, du wirst so rot wie ein Krebs.
SEYBOLD schnell. Das ist nicht wahr.
SONDERRATH. Seybold, du wirst so stachlicht wie ein Igel, und das ist noch das schlimmste
Zeichen.
SEYBOLD verwirrt und heftig. Soll ich mich nicht ärgern, daß du deine trivialen Späße – eine
Frau, die so hoch in meiner Achtung steht –
Sonderrath geht die Bühne entlang und pfeift.
SEYBOLD. Was soll das?
SONDERRATH wendet sich halb um. Ist der Pantoffel von Samt oder von Rindleder?
SEYBOLD an sich haltend. Es ist mir nicht der Mühe wert –
SONDERRATH. Hat er einen spitzen Absatz?
SEYBOLD. Nun ist’s genug! Er geht zu Sonderrath und stellt sich vor ihn; sehr ernst. Hör,
Sonderrath, denk von mir, was du willst und nicht lassen kannst, aber wegen der Frau bescheide
dich, daß du sie nicht kennst, und daß mir ihre Ehre viel höher steht als meine eigne. Vergiß
das nicht – du hast ein loses Maul.
SONDERRATH verdutzt. Teufel auch! Er reicht ihm die Hand. Du weißt wohl, daß ich dich nicht
verletzen wollte.
SEYBOLD faßt sie herzlich. Von mir ist hier nicht die Rede.
Elfte Szene
Die Vorigen. Herr Speth tritt keuchend und glührot herein, Ida mit ihm und setzt sich mit
ihrer Stickerei an ihren frühern Platz, nachdem sie die Vorhänge völlig zurückgeschlagen.
SPETH nachdem er Seybold flüchtig gegrüßt, zu Sonderrath gewendet. Gottlob, daß Sie da sind!
Und Herr Seybold auch? Schön, schön! Zu Sonderrath. Und Sie sind eilig? Ich hoffe, das wird
doch nicht so arg sein.
SONDERRATH. Ich bin schon seit einer halben Stunde hier, Herr Speth.
SPETH. Wirklich? das ist mir leid, das ist mir leid! ei ei! Nun, Sie haben mich auch hübsch
warten lassen; setzen Sie sich! Er will einen Stuhl rücken und stolpert über die Ballen. Wer
Henker hat denn hier so wunderlich aufgeräumt?
IDA kommt und räumt die Ballen weg. Fräulein Briesen. Sie zieht sich wieder in die
Fensternische zurück.
SPETH. Recht so, Fräulein Briesen! Er hat die Stühle gerückt. Setzen wir uns!
SEYBOLD. Sie sind ja ganz außer Atem, Herr Speth?
SPETH. Ich bin so gelaufen, ich bin so gelaufen! meine Frau hat mir den Bedienten
nachgeschickt. Apropos, Sie speisen doch bei mir?
SEYBOLD. Ich kann nicht, ich bin anderwärts versagt.
SONDERRATH. Ich auch nicht, ich muß sogleich fort.
SPETH. Nun, dann wollen wir es auf den Abend setzen.
SONDERRATH. Dann bin ich längst über die Berge.
SPETH. Was? Sie wollen ganz fort?
SONDERRATH. Mit dem Dampfboote.
SPETH. Unmöglich! das ist nicht möglich! wir haben ja noch Tausenderlei miteinander zu
bereden.
SONDERRATH. Herr Speth, dann muß ich bitten, daß Sie keine Zeit verlieren; denn ich muß, auf
Ehre, sogleich fort.
SPETH. Nun dann, wenn’s nicht anders ist, zur Sache. Sie setzen sich, außer Seybold, der am
Tische stehn bleibt und in den darauf liegenden Journalen blättert. Haben Sie nun das
Manuskript bei sich?
SONDERRATH. Was meinen Sie?
SPETH. Ich meine, ob Sie das Manuskript mitgebracht haben?
SONDERRATH kleinlaut. Das zwar nicht –
SPETH faltet die Hände und läßt sie sinken. Um Gottes willen!
SONDERRATH schnell. Aber ein ganzes Paket Gedichte, von einem guten Freunde.
SPETH entrüstet. Herr, was geht mich Ihr guter Freund an? ich will meine Reminiszenzen vom
Rhein drucken lassen.
SONDERRATH erfreut. Ach, Sie haben sich selbst daran gemacht! Gottlob! da sinkt mir ein Stein
vom Herzen!
SPETH. Herr, was fällt Ihnen ein? Bin ich ein Schriftsteller? Ihre Reminiszenzen will ich; die
nenne ich die meinigen, weil sie längst mir gehören.
SONDERRATH. Herr Speth, Sie haben vollkommen recht; aber es nutzt Ihnen zu nichts, ich habe
sie nun mal nicht vorrätig.
SPETH. Wo sind sie denn?
SONDERRATH stockend. In der Feder.
SPETH. Alle?
SONDERRATH. Alle.
SPETH. Nicht ein einziges Heft fertig?
Sonderrath schüttelt den Kopf.
SPETH. Nein, das ist zu arg! das ist ärger, wie ich’s mir habe vorstellen können!
SONDERRATH. Herr Speth, ich will sagen, wie der Knecht im Evangelio: »Herr, habe Geduld mit
mir, und ich will dir alles bezahlen.«
SPETH. Geduld? Ich habe Geduld gehabt, wie ein Mülleresel, zwei Jahre lang. Nehmen Sie’s mir
nicht übel, Herr Sonderrath, aber Sie handeln unverantwortlich an mir.
Sonderrath räuspert verlegen.
SPETH. Ich muß mich schämen wie ein begossener Hund, wenn mir einer der Praenumeranten auf der
Straße begegnet; nicht einmal ins Kasino kann ich kommen, die Leute ziehen mich ordentlich auf
mit Ihnen. Bin ich schuld? Bin ich es?
SONDERRATH. Sie sollen nächstens befriedigt werden, ganz gewiß.
SPETH. Jawohl: »Die Reben blühn und alles liebt und paart sich« –
Sonderrath lacht.
SPETH. In aller Welt, sind das Gründe und Redensarten für einen gesetzten Mann, der einen
Schnurrbart trägt wie ein Husar?
Sonderrath zupft lachend an seinem Schnurrbarte.
SPETH. Wahrhaftig, Herr Sonderrath, man kommt in Versuchung, mit Ihnen zu reden wie mit einem
Kinde. Ich bin gewiß nicht der Mann, der jemanden gern etwas Unangenehmes sagt –
SONDERRATH gutmütig. Nein, der sind Sie nicht.
SPETH. Aber bedenken Sie, daß ich mein Brot sauer verdienen muß; ich bin zuweilen so herunter,
daß ich vor Müdigkeit nicht einmal essen mag. Er wischt sich die Stirn.
SONDERRATH. Sie dauern mich wirklich.
SPETH. Nun, wenn ich Sie dauere, so bringen Sie mich wenigstens nicht um meine paar Groschen.
Fünftausend Taler perdu, das ist kein Spaß.
SONDERRATH. Fünftausend Taler? Betreten. Unmöglich!
SPETH. Leider möglich genug! Ihm ein Papier reichend. Da haben Sie die Berechnung.
Sonderrath sieht gedankenlos hinein.
SPETH halb lachend. Ist es nicht betrübt, daß ein Mann wie Sie, ein gekröntes, belorbeertes
Haupt, vor einem ordinären Buchhändler da sitzen muß wie Butter an der Sonne?
Sonderrath sieht zu Seybold hinüber.
SEYBOLD. Ja, hilf dir selbst! Du hast es reichlich verdient, ich würde dich noch ganz anders
herunterreißen.
SONDERRATH. Herr Speth, ich habe es schon einmal gesagt, mea culpa! aber Sie müssen Nachsicht
mit einer Poetennatur haben; die hat nun einmal etwas vom Irrwische an sich.
SPETH halb besänftigt. Mich dünkt, ich habe Nachsicht genug gehabt zwei Jahre lang.
SONDERRATH. Sehn Sie, jetzt nehme ich mir’s fest vor, in diesem Augenblicke; Sie sollen ganz
nächstens befriedigt werden.
SPETH. Wann?
SONDERRATH nachsinnend. In – Rasch. in vierzehn Tagen; das heißt dann erscheint das erste
Heft, und so die andern, in billigen Zwischenräumen.
SPETH. Es kommt darauf an, was Sie billige Zwischenräume nennen; jeden Monat wenigstens muß
ein Heft erscheinen können.
SONDERRATH rasch. O, das geht auch ganz gut an; Gott, so einen Wisch schreibe ich in drei
Tagen.
SPETH halb lachend. Desto schlimmer, daß Sie in zwei Jahren nicht haben damit fertig werden
können.
SONDERRATH. Sie sollen sehn, Sie sollen sehn, ich werde meinen guten Ruf glänzend – Man hört
hinter der Szene läuten. Was bedeutet das?
SPETH. Das Dampfboot fährt ab.
SONDERRATH hastig. Auf der Stelle?
SPETH. Nein, in zehn Minuten.
SONDERRATH. Gott im Himmel! Er greift nach seinem Hute. Addio – Seybold, komm nach Mülheim!
Herr Speth, ich schreibe Ihnen.
IDA. Es ist ja gar nicht Ihr Dampfboot, es ist das andre, das Studentenboot.
SEYBOLD ihn am Arme haltend. So renne doch nicht gleich wieder wie ein Postpferd; deins fährt
ja erst um sechs.
SONDERRATH. Ich weiß, ich weiß; aber ich muß doch fort; laß mich! Er sucht sich loszumachen.
SEYBOLD. Wohin denn?
SONDERRATH. O Jesus – laß mich! Hörst du?
SPETH. Sehe ich Sie noch?
SONDERRATH. Vielleicht – es kann wohl sein – Er hat sich losgemacht.
SPETH. Nein, versprechen Sie mir, daß ich Sie noch sehn soll.
SONDERRATH lachend. Wenn Sie selbst wollen; es wird ganz von Ihnen abhängen.
SPETH. Wieso?
SONDERRATH. Fragen Sie Seybold; der ist mein anderes Ich, der weiß alles, addio! Er geht
hastig ab.
Zwölfte Szene
Speth, Seybold, Ida am Fenster, stickend.
SPETH steht auf und wendet sich zu Seybold. Nun?
SEYBOLD zuckt die Achseln. Ich weiß nichts.
SPETH. Aber er sagte ja –
SEYBOLD verdrießlich. Er ist ein Windbeutel.
SPETH seufzend. Gott, er hält mir gewiß nicht Wort! Was meinen Sie, wird er Wort halten?
SEYBOLD. Oh, ich hoffe es.
SPETH. Sie scheinen mir sehr im Zweifel.
SEYBOLD. Doch eigentlich nicht; Sonderrath ist, wie gesagt, ein bißchen sehr, sehr
leichtsinnig, – nun, dafür ist er ein Genie, – aber eine grundehrliche Haut.
SPETH beklemmt. Ich kenne das: »der Geist ist willig und das Fleisch ist schwach«; mit solchen
läuft man aber oft gerade am schlimmsten an.
SEYBOLD. Nein, nein – Sie sollen sehn, die fünftausend Taler brennen ihm jetzt auf der Seele,
bis er sie heruntergeschrieben hat; wenigstens hoffe ich das.
SPETH. Sie sind Ihrer Sache keineswegs gewiß.
SEYBOLD. Lieber Herr Speth, ich bin keiner Sache ganz gewiß, außer daß der Himmel heute nicht
einfallen wird.
SPETH ängstlich. Es wäre doch ein perfider Streich! Bedenken Sie, fünftausend Taler; ich will
Ihnen die Berechnung machen. Erstlich für die Stahlstiche –
SEYBOLD. Tun Sie das nicht, Herr Speth; es ist mir nur verdrießlich anzuhören und ärgert Sie
selber.
SPETH. Oh, es ärgert mich alle Tage.
SEYBOLD nachdenkend. Dieses Mal hoffe ich – ja ich hoffe Ihnen doch für Sonderrath stehn zu
können; Rascher. denn ich will selbst mein Bestes dazu tun.
SPETH. Haben Sie sich denn schon in dem Fache versucht?
SEYBOLD. Das nicht, so meine ich es nicht; aber ich will direkt von hier nach Mülheim, und
dann werde ich doch sehn, ob er mir schreiben soll. Wenn’s nicht anders ist, sperre ich ihn in
seine eigne Stube ein.
SPETH. Das wär’ gewiß sehr gütig von Ihnen. Kleine Pause.
SEYBOLD. Ja, ich will sehn, was zu machen ist. Und nun zu unserm Geschäft! Sie haben doch
meine letzte Sendung erhalten?
SPETH. Jawohl – freilich, – die Gedichte von der Dame –
SEYBOLD. Es ist mir sehr daran gelegen, daß die Herausgabe keine Schwierigkeiten findet! Ich
habe der Frau von Thielen manche Verbindlichkeit, und sie hat sich schwer zur Veröffentlichung
entschlossen.
SPETH beklemmt. Ja, Herr Seybold, da hätten Sie vielleicht besser getan, ihr den Willen zu
lassen.
SEYBOLD erstaunt. Wie?
SPETH. Gedichte sind jetzt ein schlimmer Artikel, und vollends Frauenzimmer-Gedichte. Sehn
Sie, Er zeigt auf das Paket. eine ganze Legion Krebse: »Das Echo im Felstale« von Claudine
Briesen.
SEYBOLD empört. Das ist ja aber auch eine Närrin, ohne das geringste Talent.
SPETH. Sagen Sie das nicht; es klingt und schäumt doch mitunter recht gut. Kleine Pause.
SEYBOLD. Haben Sie etwas von der Frau von Thielen gelesen?
SPETH seufzt. Konfus, konfus!
SEYBOLD erstaunt. Ist’s möglich, daß ein Mann wie Sie, der den ganzen Tag sich mit der
Literatur beschäftigt, das Talent so verkennen kann? Diese Originalität! Diese genialen
Bilder! Diese –
SPETH bedenklich. Mein lieber Herr Seybold, was ich denke, darauf kommt es gar nicht an,
sondern lediglich aufs Publikum.
SEYBOLD wegwerfend. Was nennen Sie Publikum?
SPETH gelassen. Was mir die Bücher abkauft und bezahlt. Pause.
SEYBOLD. Glauben Sie, das Unternehmen werde sich nicht rentieren?
SPETH. Ich fürchte.
SEYBOLD nach augenblicklichem Nachdenken. Nein, so etwas Bedeutendes wird durchdringen, muß
durchdringen.
SPETH. Nach meinem Tode vielleicht, das glaube ich selbst.
Seybold schweigt verstimmt.
SPETH. Sehn Sie, ich spreche der Frau einiges Talent gar nicht ab –
SEYBOLD verbeugt sich. Das danke Ihnen der Kuckuck!
SPETH. Ein bedeutendes Talent, wenn Sie wollen; aber es scheint ihr auch so gar nichts daran
gelegen, ob sie verstanden wird oder nicht. Mit ein paar Worten, mit einer Zeile könnte sie
zuweilen das Ganze klar machen, und sie tut’s nicht.
Seybold schweigt.
SPETH. Ist’s nicht so?
SEYBOLD. Das habe ich ihr auch schon gesagt.
SPETH. Und sie tut’s doch nicht! Was ist das? Eigensinn? Ich wette, die Frau ist reich und in
glänzenden aristokratischen Verhältnissen.
SEYBOLD. Das haben Sie getroffen.
SPETH. Sehn Sie? Sehn Sie? Die schreibt für ihre Kaste, und wenn wir andern es nicht lesen
wollen, so können wir es lassen. Aber damit ist mir nicht geholfen. Kleine Pause. Wenn sie es
will auf eigne Kosten drucken lassen –
SEYBOLD schnell. Das geht nicht, das ist schimpflich.
SPETH. Oder wenn sie sich zu einer Umarbeitung herbeiließe –
SEYBOLD. O Jesus! Damit darf ich ihr gar nicht kommen.
SPETH. Ja, was ist dann zu machen!
EIN DIENER kommt. Draußen ist eine Dame, mit einem Bedienten, die nach Herrn Seybold fragt.
SEYBOLD hastig. Gott, das ist sie! Herr Speth, ich bitte, nehmen Sie die Gedichte, wie sie
sind; ich will es Ihnen auf irgendeine Weise kompensieren.
SPETH. Ich will es mir überlegen.
SEYBOLD. Nein, Sie müssen sich auf der Stelle entschließen. Was wollen Sie? Gedichte?
Rezensionen?
SPETH. Nun denn, Rezensionen.
SEYBOLD. Wie viele?
SPETH. Vierzig.
SEYBOLD. Das ist enorm. Es wird angepocht. Nun ja; in Gottes Namen! aber halten Sie Wort!
Dreizehnte Szene
Die Vorigen; Anna von Thielen eine große schöne Frau, von sehr vornehmen Anstande, sie ist
einfach, aber reich gekleidet.
SPETH vor sich. Da mache ich doch noch heute ein gutes Geschäftchen.
FRAU VON THIELEN bleibt in der offenen Türe stehen. Herr Seybold, sind Sie fertig?
SEYBOLD. Ja, meine gnädige Frau. Greift nach seinem Hute.
FRAU VON THIELEN heftet ihre Augen auf ein hochstehendes Buch. Herr Seybold, Sie sehen
schärfer als ich; stehn dort die Schriften der Jane Baillie?
SPETH vortretend. Jawohl, meine gnädige Frau, zu Ihrem Befehle. Er steigt auf die Bücherleiter
und reicht sie ihr. Zwei Bände.
FRAU VON THIELEN. Wie teuer?
SPETH. Drei Taler.
Frau von Thielen nimmt von dem hinter ihr stehenden Livreebedienten ein zierliches Körbchen,
langt ihre Börse hervor und legt das Geld auf den Tisch.
SPETH das Geld erfassend. Eine ausgezeichnete Schriftstellerin!
FRAU VON THIELEN. Jawohl.
SPETH. Es wundert mich nicht, daß Ihro Gnaden von einem Ihnen so ähnlichen Geiste angesprochen
werden.
Frau von Thielen sieht ihn befremdet an.
SPETH. Herr Seybold hat mir die angenehme Aussicht gegeben, Ihre Gedichte verlegen zu dürfen –
SEYBOLD unruhig. Das ist ja nun abgemacht, Herr Speth.
SPETH. Jawohl, allerdings, und ich freue mich der Ehre –
Frau von Thielen nickt mit dem Kopfe und lächelt höflich.
SPETH. Ich hätte freilich gern noch einiges mit Ihnen beredet –
FRAU VON THIELEN unbehaglich. Ich dachte, Herr Seybold habe Ihnen alles Nötige mitgeteilt.
SPETH. Allerdings – alles nach Wunsch – die Poesien sind großartig, lebendig, genial –
Frau von Thielen sieht Seybold an.
SEYBOLD. Herr Speth!
SPETH fortfahrend. Einige kleine Abänderungen, gleichsam Erläuterungen, wären mir wohl
wünschenswert gewesen; Schneller. doch es ist auch so vortrefflich, überaus –
FRAU VON THIELEN. Haben Sie das Herrn Seybold gesagt?
SPETH verwirrt werdend. O nein, nicht im geringsten! Ich dachte nur, wenn Sie mir in Zukunft
die Ehre gönnen wollten –
FRAU VON THIELEN. Sie fürchten, daß das Buch keinen Absatz finden wird?
SPETH. Doch nicht, nein!
FRAU VON THIELEN. Sie fürchten Schaden bei dem Unternehmen?
SPETH ganz verwirrt. Oh, der könnte doch nur gering sein; es ist ja nur ein kleines Bändchen,
gleichsam eine Bagatelle –
FRAU VON THIELEN feuerrot. Darauf darf ich es doch nicht ankommen lassen. Herr Seybold, wollen
Sie die Güte haben, sich das Manuskript wieder auszubitten?
SPETH erschrocken. Gnädige Frau, bitte sehr! Ich bin ja ganz bereit, ganz bereit –
FRAU VON THIELEN sieht über den Tisch hin und nimmt das vor ihr liegende Manuskript. Sie sind
sehr gütig, aber Güte soll man nicht mißbrauchen. Freundlich. Guten Morgen! Sie reicht
Körbchen und Manuskript dem in der Tür stehenden Bedienten und geht ab mit Seybold, der
Spethen einen wütenden Blick zuwirft.
Vierzehnte und letzte Szene
Speth, Ida am Fenster.
SPETH nachdem er ihnen eine Weile wie versteinert nachgesehn. Das muß ich gestehn, da fällt
mir doch die Butter vom Brode. Hochmütige Kreatur! behalt deine Gedichte und lies sie dir
selber vor; dann hast du ein Publikum, das dich anbetet. Ich meine wunder wie gut ich meine
Sachen mache, und nun geht’s mir so? Nachäffend, doch vor allem nicht karikiert. »Guten
Morgen!« – Und der Seybold hätte mich auch lieber lebendig gespießt mit seinen Augen. Ich habe
mich doch wahrhaftig vor Höflichkeit zusammengeschlagen wie ein Taschenmesser, es ärgert mich
noch hintennach. Er setzt sich an den Tisch. Schöne Geschäfte heute! Die Rezensionen, da bin
ich nun mal drum; wenn er mir nur nicht für die Zukunft ganz rappelköpfisch wird; mich dünkt,
er ist bis über die Ohren verliebt in die stolze Pagelune. Nachsinnend. Hm, was frag’ ich nach
ihren Gedichten! Die kann sie ihrer Kammerjungfer vorlesen; aber die Rezensionen, die
Rezensionen! Seufzend. Speth! Speth! Das ist ein Schnitt vom Brode. Er tunkt eine Feder ein;
Läuten hinter der Szene.
IDA hastig. Vater, Vater! Das Dampfboot fährt ab!
SPETH. Meinetwegen! Er rechnet. Sechs und fünf macht elf –
IDA. Alles voll Festons, oben und unten! und drei Flaggen, blau, weiß und rot! Lautes Hurra,
noch ziemlich entfernt.
SPETH. Schreit euch den Hals wund, ihr Narren! – Und sechzehn macht siebenundzwanzig Marsch
von Blasinstrumenten. – und sechs macht dreißig, nein, dreiunddreißig – man kann nicht mal
mehr addieren vor dem Gedudel da draußen.
IDA. Hu! Welch eine Menge von jungen Leuten, sie stehen alle auf dem Verdeck, Kopf an Kopf,
und alle mit Rebenlaub bekränzt.
SPETH. Gut, daß sie stehn, so lange sie noch können, – und sieben macht vierzig. Er rechnet
leise weiter und läßt dann die Feder sinken. Hundertundzwanzig Louisdor Schaden – O weh, o
weh! Nun, wenn mir nur der Sonderrath Stich hält, wenn mir nur die Reminiszenzen nicht
echappieren! Fünftausend Taler perdu, das wäre noch ein anderes Leiden.
IDA. Da zieht einer von den jungen Leuten dem andern den Kranz vom Kopfe und steckt ihn an die
weiße Flagge. Hastig. Gott, Vater, das ist Herr Sonderrath!
SPETH. Um Gottes willen, nein! Er läuft ans Fenster. Wo ist meine Brille? Ida, meine Brille!
IDA hastig deutend. Sieh Vater, der, der! der sich eben das Glas Wein einschenkt!
SPETH. Der ist ja blau, und – Sonderrath war grün –
IDA. Er hat den Mantel umgeschlagen –
SPETH keuchend. Meine Brille! Geschwind, meine Brille! gleich sind sie hier unter dem Fenster.
Ida greift die Brille vom Tische. Speth setzt sie hastig auf. Marsch und zweites Hurra ganz
nah.
IDA. Sieh, sieh! er hebt das Glas auf – er nickt uns zu –
SPETH nimmt die Brille ab und läßt die Hände sinken. Perdu!
Der Vorhang sinkt, während des Marsches.