Der Deus ex machina

Einem Mann geh‘ ich zu Leibe, aber hilf‘ einer Frau, dann wirst du niemals ganz verkehrt handeln.
(Grundsätze des Soldaten Mulvaney.)

Die »Unaussprechlichen« gaben einen Ball. Sie liehen sich einen Siebenpfünder von der Artillerie, bekränzten ihn mit Lorbeeren, machten den Tanzboden spiegelglatt, besorgten ein Abendessen, so fein, wie sie es noch nie gehabt hatten, und stellten zwei Schildwachen vor die Saalthür, um die Teller für die Tanzkarten zu halten.

Mein Freund, der Gemeine Mulvaney, war einer dieser Schildwachen, als der größte Mann im Regiment.

Als der Ball feierlich eröffnet war, wurden die Schildwachen entlassen, und der Gemeine Mulvaney begab sich zum Meßsergeanten, um sich bei diesem im Hinblick auf das Abendessen lieb Kind zu machen. – Ob der Meßsergeant freiwillig herausgerückt, oder ob Mulvaney sich selber bedient hatte, kann ich nicht sagen. Jedenfalls war eins sicher – zur Essenszeit fand ich Mulvaney mit dem Gemeinen Ortheris auf dem Verdeck meines Wagens sitzend, im trauten Verein mit zwei Dritteln eines Schinkens, einem Laib Brot, einer halben Gänseleberpastete und zwei Doppelflaschen Champagner.

Als ich zu ihm trat, hörte ich Mulvaney sagen: »Auch ein Glück, daß so ein Tanzvergnügen nicht so oft los ist, als ich Ordnungsdienst habe; sonst, Ortheris, mein Sohn, könnte es sich am Ende noch ereignen, daß ich zum Schandfleck des Regiments würde, während ich doch so als seine schönste Seele dastehe.«

»Und als des Obersten größtes Schmerzenskind nebenbei,« ergänzte Ortheris. »Uebrigens, was quälst du dich denn da mit deinem Essen herum? Dieses schäumende Zeug schmeckt doch famos?«

»Zeug, du ungebildeter Kaffer! Champagner ist es, was wir hier trinken. Gegen den habe ich ja auch nichts. Aber sieh mal dies sonderbare Stück hier an mit den kleinen schwarzen Lederbrocken drin. Mir ist bange, ich bin morgen davon hundeelend. Was mag es wohl sein?«

»Gänseleberpastete,« sagte ich, auf das Verdeck des Wagens kletternd, denn ich dachte, hier draußen bei Mulvaney zu sitzen, sei angenehmer, als da drinnen viel herum zu tanzen.

»Das ist Gänseleberpastete?« fragte Mulvaney. »Wahrhaftig, ich glaube, die Leute, die so was fabrizieren, thäten besser, den Oberst aufzuschneiden. Der hat einen riesigen Leberklumpen unter seinem rechten Arm, wenn die Tage warm und die Nächte kalt sind; der könnte ihnen Leber zentnerweise liefern. Na, wie sagt er doch immer – ich habe heute wieder meinen Lebertag; das sagte er mir auch mal, und dabei brummte er mir 10 Tage Kasernen-Arrest auf für den unschuldigsten Trunk, den jemals ein rechtschaffener Soldat hinter die Binde gegossen hat.«

»Ja, das war damals, als du so drauf versessen warst, dich durchaus im Fortgraben zu waschen,« erklärte Ortheris. »Meintest, in den Wassertubben der Kaserne wäre für einen gottesfürchtigen Mann zu viel Bier drin gewesen. Kannst von Glück sagen, daß du noch so davon gekommen bist, Mulvaney.«

»So, meinst Du? Na, ich weiß sicher, daß ich ganz gemein behandelt wurde; wenn ich nur daran denke, was ich für seine Sorte damals gethan habe, als ich meine Augen noch überall hatte. Hat man je so etwas erlebt – dieser Oberst – mich so an den Pranger zu stellen – mich, der ich den Ruf eines zehnmal besseren Menschen rettete, als er einer war. Es war eine Schande, eine ganz gemeine Niedertracht.«

»Na, nun laß mal die Niedertracht sein,« sagte ich, »und erzähle uns lieber, wessen Ruf du gerettet hast.«

»Nicht meinen eigenen – schade genug, aber Schererei habe ich mehr davon gehabt, als wenn er es gewesen wäre. Es war auch gerade meine Art, mich in Dinge zu mischen, die mich gar nichts angingen. Also hört.« Er machte es sich auf dem Verdeck des Wagens bequem. »Ich will Euch das alles genau erzählen. Natürlich, Namen kommen keine vor, denn eine Dame, die dabei im Spiele war, ist jetzt eine Offiziersfrau, und die Garnison nenne ich auch nicht, denn die könnte den Offizier leicht verraten, um den es sich handelt.«

»Oah!« gähnte Ortheris, »das scheint ja eine verzwickte Geschichte zu sein, die da kommen soll.«

»Es war einmal, wie die Kinderbücher sagen, als ich noch Rekrut war.«

»Ih bewahre,« rief Ortheris, »das ist ja wohl gar nicht möglich?«

»Ortheris, wenn du noch einmal deinen ungewaschenen Mund aufsperrst – trotz Ihrer Gegenwart, Herr – dann hebe ich dich an deinem Hosenboden in die Höhe und lasse dich zappeln.«

»Ich verstumme schon. Also, was war los, als du Rekrut warst?«

»Jedenfalls war ich schon als Rekrut ein besserer Soldat, als du je gewesen bist und sein wirst, aber dieses nur nebenbei. Dann wurde ich ein ganzer Mann, und vor 15 Jahren war ich ein Teufelskerl. Sie nannten mich damals den »schönen Mulvaney« und, bei Gott, die Frauenzimmer rissen sich alle die Augen nach mir aus. Ja, das thaten sie. Ortheris, du Knirps, was hast du zu grinsen? Zweifelst du vielleicht daran?«

»Den Teufel, ich werde doch nicht,« rief dieser, »aber ähnliches hat mir schon mal jemand erzählt.« Mulvaney ging mit einer erhabenen Handbewegung über diese Ungebührlichkeit hinweg und fuhr fort:

»Und die Off’ziere des Regiments, bei dem ich stand, das waren noch Off’ziere, Kavaliere mit vornehmen Aeußern und feinen Manieren, wie man sie heut‘ zu Tage nicht mehr findet – alle, außer einen – einen von den Kap’tains. Ein schlechter Exerziermeister, eine schwache Stimme und ein lahmes Bein, das sind so die Abzeichen eines unbrauchbaren Kerls. – Das kannst du dir auch hinter die Ohren schreiben, Ortheris, mein Sohn. »Und der Oberst des Regiments hatte eine Tochter – so eine von den sanften Schäfchen, die ans Herz genommen und getragen werden wollen, weil sie sonst glauben, daß sie sterben müssen. Sie schien von der Natur dazu geschaffen, solchen Leuten, wie dem Kapitän, zur Beute zu fallen. Er lief stets hinter ihr her, obgleich der Oberst ihr wiederholt sagte, gehe dem Kerl aus dem Wege, meine Tochter. – Aber sie fortzuschicken, dazu hatte er doch nicht den Mut, denn er war Witwer und sie sein einziges Kind.«

»Einen Augenblick, Mulvaney,« sagte ich, »wie in aller Welt kommst du zu solchen Geschichten?«

»Wie das kommt?« erwiderte der mit einem höhnischen Grunzen, »soll ich darum nichts sehen und hören dürfen, weil ich der Königin zu Gefallen in einen Holzklotz verwandelt werde, immer geradeaus sehen muß, mit einem – einem – Kandelaber in der Hand, damit Ihr Eure Karten in Empfang nehmen könnt? Erst recht! Auf dem Rücken, in den Stiefeln und in den kurzen Haaren meines Nackens, überall habe ich Augen, wenn ich im Dienst bin und mit den wirklichen Augen geradeaus sehen muß. Glaubt mir, werter Herr! Nehmt mein Wort drauf. Alles und noch viel mehr, als das, kommt in einem Regiment herum; wozu giebt es denn den Meßsergeanten oder eine Sergeantenfrau, die beim Majorsbaby Ammendienste verrichtet!

»Also dieser Kap’tän – er war ein schlechter Exerziermeister, ein ganz fauler Kunde, und als ich ihn mir erst genauer betrachtet hatte, sagte ich zu mir – das ist ja ein ganz gewöhnliches Huhn, sagte ich, der reine Hahn von einem Gosportschen Misthaufen, – von Portsmouth war er zu uns gekommen – dem muß der Kamm noch ordentlich geschoren werden, und mit Gottes Hilfe wird Terence Mulvaney ihn scheren.

»So tänzelte und scharwenzelte er immer um des Obersten Tochter herum, und sie, das unschuldige Ding, kuckte ihn an, wie der Kommissariatsbulle den Kompagniekoch. Er hatte einen schmutzigen, kleinen Fetzen von schwarzem Schnauzbart, und jedes Wort, was er sprach, drehte und wendete er, als ob es ihm noch zu schade wäre, es auszuspucken. Ja, ja! Er war ein ganz gemeiner Kerl und ein Lügner von Natur. Es giebt solche, denen das angeboren ist. So einer war er auch. Ich wußte, er steckte bis über die Ohren in Schulden bei den Eingeborenen, und außerdem waren da noch eine Menge anderer Dinge, die ich aber aus Rücksicht für Euch, werter Herr, verschweigen will. Etwas von dem, was ich wußte, wußte auch der Oberst, denn der wollte nichts von ihm wissen, und nach dem, was später passierte, glaube ich, war das auch dem Kapitän ganz klar.

Eines schönen Tages, als alles vor Langerweile starb, sonst wären sie wohl nicht darauf verfallen, gaben sie im Regiment Theater-Aufführungen – die Offiziere und die Offiziersdamen. Ihr habt so was gewiß schon öfters gesehen, Herr, und wißt, was das für ein armseliges Vergnügen ist für den, der in der hintersten Ecke sitzt und zu Ehren des Regiments mit den Füßen trampelt. – Ich war dazu bestimmt, die Koulissen zu wechseln und allerlei aufzuziehen und herunter zu lassen. Das war leichte Arbeit, dazu gutes Bier und ein hübsches Mädchen, das die Offiziersdamen anzog, – vor 12 Jahren starb sie leider in Aggra – aber halt, meine Zunge geht wieder mit mir durch. Sie spielten ein Stück, das die »Herzallerliebste« hieß, von dem Ihr vielleicht schon gehört habt, und des Obersten Tochter war die Kammerjungfer einer Dame. Der Kapitän war ein Diener, Broom genannt. Spread Broom war seine Name im Stück. – Und da entdeckte ich denn, – während des Spieles zeigte es sich – was ich vorher noch nicht wahrgenommen hatte – er war kein Gentleman. Sie waren zu viel zusammen – diese Beiden. Es war ein ewiges Geflüster hinter den Koulissen, die ich auszuwechseln hatte, und manches von dem, was sie sprachen, belauschte ich, denn ich war wie der Kater dahinter her, ihm den Kamm zu scheren.

»Er bestürmte sie fortwährend, sie solle auf seine schändlichen Schliche eingehen; sie versuchte es allerdings, sich zu wehren, aber rechter Ernst schien es ihr doch nicht damit zu sein. Es wundert mich jetzt noch, daß meine Ohren damals von all der Horcherei nicht eine Elle über meinen Kopf hinausgewachsen sind. Aber ich that so, als wenn ich nichts sah und hörte, und zog auf und ließ herunter, wie es mein Amt war, so daß die Offiziersdamen, die glaubten, ich könne sie nicht hören, zu einander sagten: was für ein gefälliger junger Mann ist doch dieser Korporal Mulvaney. Ich war damals Korporal. Später wurde ich ja wieder abgesetzt. Aber das ist einerlei, einmal war ich es doch.

Also diese »Herzallerliebste« Angelegenheit spielte sich ab, wie die meisten solcher Liebhaber-Aufführungen, und richtig, mein Verdacht bestätigte sich – in der Generalprobe kam es heraus –, daß er – dieser Schuft – und sie, nicht klüger, als man von ihr erwarten konnte, einen gemeinen Schurkenstreich verabredet hatten.«

»Einen was?« fragte ich.

»Einen ganz gemeinen Schurkenstreich. Was Ihr eine Entführung nennt. Ich nenne es eine Schurkerei, weil ich es, ausgenommen, wo solches rechtlich und in Ordnung, für unrecht und schmutzig halte, einem Manne sein einziges Kind zu stehlen, das noch gar keine eigene Ueberlegung besitzt. Beim Kommissariat war ein Sergeant, der mich auf solche Sachen scharf gemacht hat. Ich werde Euch das mal erzählen.«

»Na, nun bleibe doch bei deiner Seele von Kapitän, Mulvaney,« sagte Ortheris, »mit so untergeordneten Kommisseriatssergeanten brauchen wir uns hier nicht zu befassen.«

Mulvaney fügte sich dieser Einwendung und fuhr fort:

»Nun wußte ich, daß der Oberst kein Dummkopf war, ebensowenig wie ich selbst, denn ich war der pfiffigste Mann im Regiment und der Oberst der vorzüglichste Offizier, der in Asien kommandierte – was er sagte, und was ich sagte, darauf konntet Ihr Euch hängen lassen.

Wir wußten, daß der Kapitän ein schlechter Kerl war, aber aus Gründen, die ich schon mal verschwiegen habe, wußte ich noch mehr, als mein Oberst. – Ich würde ihm eher die »Visage« glatt gebügelt haben, ehe ich geduldet hätte, daß er das Fräulein entführte. Weiß der Himmel, ob er die Absicht hatte, sie zu heiraten, aber wenn nicht, dann wäre sie in die schrecklichste Bredouille gekommen, und es hätte einen Mordsskandal gegeben. – Doch ich hatte nicht nötig, dazwischen zu hauen und mich an meinem Vorgesetzten zu vergreifen, und das war ein reines Wunder, wie ich jetzt einsehe.«

»Mulvaney, es fängt schon an, hell zu werden,« sagte Ortheris, »und wir sind noch um nichts weiter gekommen, als wo wir angefangen haben. Leihe mir mal deinen Tabaksbeutel, meiner ist leer.«

Mulvaney krempelte seinen Tabaksbeutel um und stopfte daraus seine eigene Pfeife frisch.

»So ging die Generalprobe zu Ende, aber weil ich neugierig war, blieb ich noch da, nachdem ich mit meinem Koulissenschieben fertig war, und als ich schon längst wieder in der Kaserne sein mußte, lag ich noch platt wie eine Padde unter einer gemalten Häuserkoulisse. Sie unterhielten sich ganz leise, und sie zitterte und zappelte, wie ein frisch gefangener Fisch. – »Hast du den Plan nun auch richtig verstanden?« fragte er sie, oder etwas ähnliches diesbezügliches, wie das Militärgericht sagt.

»Ja, vollkommen,« erwiderte sie, »aber ich fürchte, es wird furchtbar schwer für meinen Vater sein.« – »Ach, zum Henker mit deinem Vater,« sagte er, oder jedenfalls dachte er es; »unsere Abrede ist ja so klar, wie dicke Tinte. Jungi wird mit dem Wagen vorfahren, wenn alles vorbei ist, und du kommst ruhig und unbekümmert zum 2 Uhrzug auf die Station, wo ich mit dem Gepäck sein werde.«

»Sieh mal an, dachte ich bei mir, also eine Ayah hat auch ihre Finger in der Sache.

»Ein nichtswürdiges Frauenzimmer ist so eine Ayah! Mögt Ihr niemals mit einer was zu thun bekommen.

Dann fing er an, sie zu liebkosen, und als alle Offiziere mit ihren Damen fort waren, wurden die Lichter ausgelöscht.

Um Euch nun die »Theorie des Rückzuges« begreiflich zu machen, wie sie bei der Infanterie sagen, müßt Ihr wissen, daß sie nach dem »Herzallerliebsten« Unsinn noch ein anderes kleines Stück aufführten, »Liebespaare« genannt, verschiedene Arten von Herren oder so was ähnliches. Das Fräulein spielte auch in diesem Stück mit, er aber nicht. Ich vermutete daher, daß er die Absicht hatte, nach dem Ende des ersten Stückes mit dem Gepäck des Fräuleins zur Eisenbahnstation zu fahren. – Das schoß mir durch den Kopf, denn so viel wußte ich, daß es für einen Kapitän keine größere Gemeinheit gab und für noch schlimmer als das Verlassen der Fahne gegolten hätte, – so hieß es später allgemein – als Landstreicher herumzuziehen, mit Gott weiß was für einen »Truso« unter dem Arm.«

»Warte mal, Mulvaney, was ist das, ein Truso?« fragte Ortheris.

»Du bist ein ungebildeter Mensch, mein Sohn. Wenn ein Mädchen heiratet, dann sind ihre Aussteuersachen und ihr sonstiges Eigentum der »Truso«, was so viel heißt, wie der Brautschatz. Und es bleibt sich gleich, wenn sie auch durchbrennt, und wäre es selbst mit dem größten Schurken, den die Rangliste aufweist. Darauf baute ich nun meinen Feldzugsplan. Die Wohnung des Obersten war eine gute halbe Stunde weit weg. Dennis, sagte ich zu unserm Fahnensergeanten, wenn Ihr mich lieb habt, dann leiht mir Euer kleines Gefährt; denn mein Herz ist traurig, und meine Füße sind wund von dem vielen Getrampel bei den Narrenspossen auf der Gaff. Und Dennis lieh mir das Gefährt mit einem feurigen Fuchshengst in der Deichsel. Als sie alle zur ersten Szene der »Herzallerliebsten« Platz genommen hatten, die sehr lang war, schlüpfte ich heraus und in meinen Wagen hinein. Himmel Sakerment! Habe ich dem Gaul Beine gemacht, und unter fortwährenden Sprüngen, als wenn uns der Deubel auf den Fersen saß, kamen wir beim Gehöft des Obersten an. – Es war niemand da außer den Dienern, aber als ich ums Haus fuhr, traf ich die Ayah des Fräuleins.

»Du schwarze, freche Hexe, du willst deines Herrn Ehre für fünf Rupien verkaufen? Na warte. Ich will dich. – ›Lade das Gepäck des Fräuleins auf,‹ rief ich laut, ›und spute dich. Der Kapitän hat es befohlen. Wir fahren nach der Eisenbahnstation,‹ sagte ich, und dabei legte ich den Finger an die Nase und machte ein Gesicht, als wenn ich der verschmitzteste Hallunke wäre.

›AIles bereit,‹ erwiderte sie, und daraus ersah ich, daß sie an der Sache beteiligt war.

Ich raffte nun alle süßen Redensarten Zusammen, die ich in den Bazaren gelernt hatte, und häufte sie auf dieses weibliche Nashorn, dann bat ich sie, so rasch zu machen, wie nur möglich. Während sie auflud, stand ich abseits und schwitzte vor Angst, denn ich wurde bald gebraucht, um die zweite Szene zu wechseln. Ich sage Euch, zu so einem Mädchenraube gehört ebensoviel Bagage, wie ein Regiment auf dem Marsche nötig hat.

»Möge der Himmel nur Dennis seine Wagenfedern beschützen, dachte ich, als ich die Sachen einkramte, denn ich kann mit ihnen kein Erbarmen haben.

»›Ich komme mit,‹ sagte die Ayah! ›Nein,‹ versetzte ich, ›du darfst nicht mit. Später, mein Herzchen. Du wartest hier. Später komme ich wieder und bringe dir Zuckerwerk mit, du Spitzbube, du –,‹ na, es kommt ja nicht drauf an, wie ich sie titulierte. Dann jagte ich wieder nach der Gaff zurück, und eine gütige Vorsehung wollte es, weil ich ein gutes Werk that, wie Ihr wißt, daß Dennis seine Wagenfedern hielten. – Wenn der Kapitän nun die Bagage holen will, dachte ich, wird er einen guten Schrecken kriegen.

»Nach dem Schluß der »Herzallerliebsten« fuhr er denn auch wirklich in seinem Wagen zur Wohnung des Obersten, und ich saß auf der Treppe und lachte in mich hinein. Ab und zu schlüpfte ich ins Haus, um zu sehen, wie weit das Stück war, und kurz vor seinem Ende ging ich zwischen den vielen Wagen herum und sang leise »Jungi«. Es fuhr auch gleich einer an, und ich gab dem Kutscher ein Zeichen. ›Hierher!‹ rief ich. Dann kam er heran, und als er nahe genug war, haute ich ihm, was ich nur konnte, einen auf das Nasenbein. Er kugelte sofort um und gab einen Gurgelton von sich, wie der Faßhahn in der Kantine, wenn das letzte Bier herauskluckst.

»Dann lief ich nach meinem Gefährt, nahm das Gepäck heraus und trug es in Jungis Wagen. Der Schweiß lief mir vom Gesicht herunter. ›Mach‘, daß du nach Hause kommst,‹ sagte ich dann zu meinem Pferdejungen; ›hier liegt ein Mann, der sehr krank ist; nimm ihn mit, und wenn du je ein Wort von dem weiter sagst, was du gesehen oder gehört hast, dann vermöbele ich dir das Gesicht, daß dich deine eigene Frau nicht wieder erkennen soll.‹

»Nun hörte ich das Beifallsgetrampele am Ende der Aufführung und lief rasch hinein, um den Vorhang herunter zu lassen. – Als dann alles herauskam, versuchte das Fräulein, sich hinter einem Pfeiler zu verbergen, und rief so leise, daß ein Hase es nicht hätte hören können: Jungi! Dann lief ich nach Jungis Wagen, nahm die alte schäbige Pferdedecke vom Bock, wickelte den Kopf und meinen übrigen Körper drin ein und fuhr vor, wo sie stand.

» ›Mein Fräulein,‹ rief ich, ›nach der Eisenbahnstation? Habe Befehl vom Herrn Kapitän.‹ Und ohne ein Zeichen sprang sie in den Wagen unter alle ihre Gepäckstücke.

»Ich haute auf die Pferde und raste wie eine Lokomotive nach dem Gehöft des Obersten, ehe er dort anlangte; sie schrie laut auf, und ich war schon angst, sie würde ohnmächtig werden. Die Ayah kam heraus und erzählte ihr alles Mögliche vom Kapitän, der erst nach dem Gepäck gefragt habe und dann nach der Station gefahren sei. ›Lade das Gepäck aus, du Satan,‹ rief ich, ›oder ich schlage dich tot.‹

Die Laternen aller Wagen, die von der Gaff zurückkamen, leuchteten schon über den Exerzierplatz herüber, und Ihr hättet sehen sollen, wie die beiden Frauenzimmer über die Kisten und Koffer herfielen und sie wieder herein schleppten. Ich hätte ihnen ja für mein Leben gern dabei geholfen, aber da ich nicht erkannt sein durfte, saß ich ganz still mit der Decke um mich, hustete und dankte Gott, daß kein Mondschein war.

Als alles wieder ins Haus gebracht war, bat ich nicht erst um ein Trinkgeld, sondern jagte, was ich konnte, in der entgegengesetzten Richtung der anderen Wagen weiter und löschte meine Laternen aus.

Bald darauf wurde ich einen Neger gewahr, der sich auf der Landstraße herum wälzte. Ich stieg ab, ehe ich an ihn heran war, denn ich ahnte, die Vorsehung würde es weiter mit mir gut meinen in dieser Nacht. – Es war Jungi mit platt gedrückter Nase und so totenkrank, wie man es nur wünschen konnte. – Der Pferdejunge mußte ihn aus dem Wagen geworfen haben. – Als ich »Heda« rief, kam er zu sich und fing an zu heulen.

›Du schwarzer Schmutzklumpen, so leitest du dein Gefährt? Dein Wagen ist diese ganze Nacht in der Welt herumgesaust, und du räkelst dich wie eine alte Sau hier im Dreck herum. Steh‘ auf, du Schweinigel,‹ rief ich lauter, denn ich hörte im Dunkeln die Räder eines Fuhrwerks; ›steh‘ auf und steck‘ deine Laternen an, sonst wirst du angefahren.‹ – Das war auf der Straße zur Eisenbahnstation.

›Was zum Teufel, ist hier los?‹ rief des Kapitäns Stimme im Dunkeln, und ich konnte mir so ungefähr vorstellen, wie er vor Wut schäumte.

›Der Kutscher hier ist betrunken, Herr,‹ erwiderte ich. ›Ich habe seinen Wagen, der in der Gegend hier herumirrte, aufgegriffen, und jetzt habe ich ihn selbst gefunden.‹

›Wie heißt er?‹ rief der Kapitän. Ich bückte mich und that so, als wenn ich hören wollte, was er sagte. ›Er sagt, er hieße Jungi, Herr,‹ antwortete ich.

›Halte mein Pferd,‹ schrie der Kapitän seinem Kutscher zu und sprang mit der Peitsche vom Wagen. Dann hieb er, wahnsinnig vor Wut und fluchend wie ein Fuhrknecht, auf den unglücklichen Jungi los.

Nach einer Weile dachte ich, er würde ihn tot schlagen; ich rief deshalb: ›Herr, halten Sie ein, oder Sie begehen einen Mord,‹ – Das lenkte seine ganze Wut auf mich, und er verwünschte mich in die Hölle herein und wieder heraus.

Ich stand stramm, salutierte und rief: ›Herr, wenn jeder Mensch in dieser Welt nach Verdienst behandelt würde, so glaube ich, müßte noch mehr als einer zu Brei gehauen werden für das, was er diese Nacht verbrochen hat, wenn er auch seine Absicht nicht erreicht hat. Herr, sehen Sie!‹

Nun, dachte ich, Terence Mulvaney, du hast dir deine eigene Kehle durchgeschnitten, denn er wird zuhauen, und dann wirst du ihn wieder schlagen zum Besten seiner eigenen Seele, aber zu deiner ewigen Schande.

Aber der Kapitän erwiderte nicht ein Wort. Er schrak zusammen, wo er stand, stieg auf seinen Wagen, ohne mich zu grüßen, und ich ging in die Kaserne zurück.«

»Und dann?« sagten Ortheris und ich gleichzeitig.

»Das war alles, kein Wort hörte ich weiter von der Geschichte. Alles, was ich erfuhr, war das, daß aus dem Durchbrennen nichts wurde, und das war, was ich gewollt hatte.

Nun frage ich Euch, Herr, sind zehn Tage Kasernenarrest eine passende und anständige Behandlung für jemanden, der sich so aufgeführt hat, wie ich?« –

»Immerhin,« sagte Ortheris, »war es doch nicht diesem Oberst seine Tochter, und du warst doch nicht schlecht betrunken, als du so drauf versessen warst, dich durchaus im Fortgraben zu waschen.«

»Das ist eine gänzlich überflüssige und impertinente Bemerkung,« erwiderte Mulvaney und goß den letzten Tropfen Champagner herunter.