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790. Nacht

Eines Tages bekam ich Lust, nicht mit den anderen in die
Moschee zu gehen, sondern wo möglich die Prinzessin zu sehen. Als die Stunde
des Gebetes gekommen und alle Welt in der Moschee war, versteckte ich mich in
meinem Laden. Bald sah ich die Prinzessin erscheinen: Sie war von vierzig
Sklavinnen umgeben, eine immer schöner als die andere, und strahlte unter ihnen
hervor, wie die Sonne am vollen Mittag. Die Sklavinnen, welche um ihre
Gebieterin geschäftig waren, und den Saum ihres Gewandes mit goldenen und
silbernen Gerten empor hielten, hemmten meine neugierigen Blicke und
verhinderten mich, sie nach Gefallen zu betrachten. Endlich ersah ich sie einen
Augenblick, und auf der Stelle fühlte ich mein Herz von der glühendsten
Leidenschaft entzündet, und einige Tränen entrollten meinen Augen. – Seit
dieser Zeit nun fühle ich eine Sehnsucht, welche mich verzehrt, und mein übel
wächst von Tag zu Tag.“

Mit diesen letzten Worten stieß der junge Mann einen
tiefen Seufzer aus, dass der Arzt glaubte, er würde verscheiden.

„Was gebt ihr mir,“ sprach er zu ihm, „wenn
ich es dahin bringe, Euch mit Eurer Geliebten zu vereinigen?“

Nachdem der junge Mann ihn versichert hatte, dass all sein
Vermögen, ja sein Leben ihm dafür zu Gebote stehen sollte, fuhr der Arzt also
fort:

„Steht auf, und bringt mir eine kleine Flasche,
sieben Nähnadeln, ein Stück Aloe-Holz, Harz aus Judäa und Siegelerde, zwei
Schulterblätter1) eines
Hammels, ein Stück Wollenzeug, und Seidenfäden von sieben verschiedenen
Farben.“

Als der junge Mann alles dieses zusammengeholt hatte, nahm
der Arzt die beiden Hammelknochen, schrieb darauf zauberische Züge und
Sprüche, wand sie in das Wollenzeug, und umwickelte sie mit den siebenfarbigen
Seidenfäden. Hierauf nahm er die kleine Flasche, drückte die sieben Nähnadeln
in das Stück Aloe-Holz, tat dieses mit dem Judenpech in die Flasche, verklebte
diese mit der Siegelerde, und sprach folgende Zauberworte aus:

„Ich habe an die Türe der äußersten Enden der Erde
gepocht: Die Gesten haben die Geister und den Fürsten der Geister gerufen.
Alsbald sah ich den Sohn Amrans2)
erscheinen, eine Schlange in der Hand, und einen Drachen wie ein Halsband um
seinen Hals geschlungen.“

„Wer ist,“ rief er aus, „der Verwegene, der
auf die Erde schlägt, und uns diesen Abend erscheinen lässt?“

Ich antwortete ihm:

„Ich bin in ein junges Mädchen verliebt, und ich
nehme meine Zuflucht zu Euren Bezauberungen, ihr mächtigen und furchtbaren
Geister! Leistet mir Eure Hilfe, und lasst mein Unternehmen mir gelingen. Ihr
seht, wie dieses Mädchen, die Tochter des und des, meine Huldigungen verwirft
und verschmäht, macht sie empfänglich für meine Liebe!“

Die Geister antworteten mir:

„Tu, was Du gelehrt worden bist: Setze die Flasche
auf ein lebhaftes Glühfeuer, und sprich darüber folgende Worte aus:

„Wenn jenes Mädchen, die Tochter des und des, in
Kaschan, in Ispahan, oder irgend im Gebiet der Zauberer und Beschwörer ist, so
vermag nichts, sie zurückzuhalten, dass sie hierher komme, und, indem sie
selber sich meinen Händen überliefert, zu mir sage: „Ihr habt zu
gebieten, ich bin Eure Sklavin.“ –

Der Arzt wiederholte diese Worte drei Mal, hierauf drehte
er sich zu dem jungen Mann, und sprach:

„Legt Eure schönsten Kleider an, und umströmt Euch
mit Wohlgerüchen: Im Augenblick werdet Ihr eure Geliebte sehen.“

Zu gleicher Zeit setze er die Flasche auf das Feuer.

Der junge Mann ging sogleich hin, und schmückte sich,
ohne indessen sehr an die Worte des Arztes zu glauben. Kaum trat er wieder
herein, so sah er ein Bett erscheinen, auf welchem die Prinzessin lag und
schlief, schöner in ihrem Schlaf, als die Sonne bei ihrem Aufgang.


1) Arabisch luch al ganam, ein
feiner breiter Knochen, der zur Schulter gehört.