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625. Nacht

Die schöne Wird-al-Ikmam war in ihrem Gefängnis höchst
unmutig, und ihre Begleiterinnen versuchten es vergebens, sie zu ergötzen. Sie
durchwandelte schwermütig die prächtigen Gärten des Schlosses, deren
Gebüsche mit Vögeln aller Art angefüllt waren, welche herrlich sangen; aber
das sanfte Girren der Turteltaube und die Klagetöne der Nachtigall um die
geliebte Rose fesselten allein ihre Aufmerksamkeit. Stundenlang hörte sie ihnen
auf einer Rasenbank zu und bildete sich ein, in diesen Tönen die Stimme ihres
Geliebten zu vernehmen. Das war ihre tägliche Beschäftigung, und nie verließ
sie den Garten, bis ihre Begleiterinnen sie zwangen, vor dem fallenden Nachttau
ein Obdach zu suchen.

Wir kehren nun zu ihrem Geliebten zurück. Ermüdung und
die tröstlichen Zusicherungen des freundlichen Einsiedlers hatten das Gemüt
des Ins-al-Wudschud sehr beruhigt, und er schlief fest und ungestört, bis die
Sonne schon hoch am Himmel stand. Als er nun erwacht war, half er dem Einsiedler
seine Andacht zu verrichten, worauf sie zusammen ein aus Milch, Brot und
Früchten bestehendes Mahl verzehrten. Als dies beendet war, bat ihn der Greis,
aus dem Wald einige Bündel Palmenrinde zu holen, woraus er dann eine Art von
kleinem Boot bildete, es dem Ins-al-Wudschud gab und zu ihm sagte: „Geh zu
dem See und setze dies in das Wasser, woselbst es sogleich groß genug werden
wird, Dich zu fassen. Steig dann nur hinein und überlass alles übrige dem
Himmel. Lebe wohl!“

Nachdem nun Ins-al-Wudschud von seinem ehrwürdigen
Freund, dem Einsiedler, mit vielen Danksagungen Abschied genommen hatte, tat er,
wie dieser ihm geraten, und langte bald an dem Rand des Sees an, in welchen er
sein kleines Fahrzeug gleiten ließ, das nun zu seinem großen Erstaunen
sogleich eine mit aufgespannten Segeln versehen Barke wurde. Er setzte sich
hinein, und ein günstiger Wind ließ ihn bald das Land aus dem Gesicht
verlieren. Einige Tage hindurch sah er nur Wasser und Himmel, doch endlich
zeigte sich die Küste einer Insel, an welcher er landete und seine Barke an
einen großen Baumstamm band. Er ging hierauf tiefer ins Land hinein und fand es
schön und reich an grünen Wiesen, klaren Bächen und schattigen Hainen, auf
deren mit herrlichen Früchten belasteten Bäumen Vögel aller Art in
verschiedenen Weisen sangen. Als er sich durch den Genuss von Früchten
erfrischt hatte, setzte er seinen Weg fort und gelangte endlich bis zu dem
Torweg eines großen Gebäudes, den er verschlossen fand. Drei Tage wartete er
in vergeblicher Hoffnung, jemand von den Bewohnern zu sehen. Endlich wurde am
vierten die Pforte von einem Mann geöffnet, der, als er Ins-al-Wudschud sah,
auf ihn zuging, ihn fragte, wer er wäre, woher er käme, und was ihn
veranlasste, dort zu harren. „Ich bin aus Ispahan,“ versetzte
Ins-al-Wudschud, „und wurde auf einer Handelsreise an diese Küste
verschlagen, auf welche ich von allen Gefährten allein mich zu retten
vermochte.“ Als der Mann dies hörte, brach er in Tränen aus, umarmte ihn
und sagte: „Gott bewahre Dich vor ferneren Unglücksfällen! Auch ich bin
aus Ispahan, wo auch mein Vetter wohnte, den ich ebenso innig liebte, als ich
von ihm wiedergeliebt wurde. In dieser glücklichen Zeit meiner Jugend bekriegte
uns ein übermächtiges Volk und entriss mich nebst andern Gefangenen meinem
Vaterland, worauf ich meinem gegenwärtigen Herrn als Sklave verkauft wurde.
Aber komm, mein lieber Landsmann, tritt in den Palast und ruhe Dich in meinem
Zimmer aus, wo wir uns bemühen wollen, uns in unserem Elend gegenseitig zu
trösten, bis die Vorsehung uns in unsere Heimat zurückführen wird.“