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451. Nacht

Die andächtige Frau trat ein, sie verrichtete ihr Gebet
in dem ihr angewiesenen Betzimmer und als sie damit fertig war, luden zwei
Frauen der Prinzessin, welche sie an der Türe erwartet hatten, sie ein, das
Haus und den Garten zu sehen. Da sie sich geneigt bezeigte, ihnen zu folgen, so
führten sie sie von Zimmer zu Zimmer und in jedem betrachtete sie alle Sachen,
wie eine Frau, welche sich wohl auf Hausgerät und schöne Anordnung jedes
Stückes verstand. Sie führten sie dann auch in den Garten, dessen Anlage sie
so neu und wohl ersonnen fand, dass sie ihn bewunderte, und äußerte, der ihn
angelegt hätte, müsste ein vortrefflicher Meister in seiner Kunst sein.

Endlich wurde sie auch zu der Prinzessin geführt, welche
sie in einem großen Saal erwartete, dessen Schönheit, Nettigkeit und Reichtum
noch alles übertraf, was sie in den übrigen Zimmern bewundert hatte.

Sobald die Prinzessin die fromme Frau eintreten sah,
sprach sie zu ihr: „Meine gute Mutter, kommt näher, und setzt euch neben
mich. Ich freue mich, dass die Gelegenheit mir das Glück darbot, einige
Augenblicke des guten Beispiels und der frommen Unterhaltung einer solchen Frau
zu genießen, wie ihr, welche das bessere Teil erwählt und sich ganz Gott
gewidmet hat, und der alle Welt nachahmen sollte, wenn sie weise wäre.“

Die fromme Alte wollte sich nicht auf das Sofa, sondern
nur auf den Rand desselben niederlassen: Die Prinzessin aber gab es nicht zu,
sie erhub sich von ihrem Platz, nahte sich ihr, fasste sie bei der Hand und
nötigte sie, sich neben ihr auf den Ehrenplatz zu setzen. Die Alte erkannte
diese Höflichkeit und erwiderte:

„Gnädiges Fräulein, eine so ehrenvolle Behandlung
gebührt mir nicht, und ich gehorche euch nur, weil ihr es befehlt und Herrin in
eurem Hause seid.“

Als sie sich gesetzt hatte, stellte, vor Beginn der
Unterhaltung, eine von den Frauen der Prinzessin einen kleinen niedrigen, mit
Perlmutt und Ebenholz ausgelegten Tisch vor sie und die Prinzessin hin, und
setzte darauf eine Porzellanschüssel mit Kuchen, und mehrere Schalen mit Obst
der Jahreszeit, trocken und andern eingemachten Früchten.

Die Prinzessin nahm einen von dem Kuchen und bot ihn der
Alten dar, mit den Worten:

„Meine gute Mutter, nehmt und esst, und wählt euch
von diesen Früchten, was euch beliebt. Ihr bedürft der Speise, nach dem langen
Weg, welchen ihr bis hierher gemacht habt.“

„Edles Fräulein,“ erwiderte die Alte, „ich
bin nicht gewohnt, so leckere Sachen zu essen, und wenn ich davon esse, so tue
ich es nur, um nicht zu verschmähen, was mir Gott durch eine so freigebige
Hand, wie die eurige, schenkt.“

Während die Alte aß, und die Prinzessin auch etwas nahm,
um sie durch ihr Beispiel zu ermuntern, tat diese ihr allerlei Fragen über ihre
Andachtsübungen und Lebensweise. Auf welche sie mit großer Bescheidenheit
antwortete: Und so im Laufe des Gesprächs fragte die Prinzessin sie auch, was
sie von dem Haus hielte, welches sie gesehen hatte, und ob sie es nach ihrem
Geschmack fände.

„Edles Fräulein,“ antwortete die Alte,
„man müsste einen sehr schlechten Geschmack haben, wenn man etwas daran zu
tadeln fände. Es ist schön, freundliche, prächtig eingerichtet, ohne
überladung, trefflich eingeteilt, und die Zierraten können nicht schicklicher
angebracht sein. In Ansehung der Lage ist es in einer anmutigen Landschaft, und
man kann sich keinen Garten denken, dessen Anblick mehr Vergnügen gewährte,
als der dazugehörige. Wenn ihr mir gleichwohl erlaubt, nichts zu verhehlen, so
nehme ich mir die Freiheit, euch zu sagen, edles Fräulein, dass das Haus
unvergleichlich sein würde, wenn drei Dinge, welche meiner Meinung nach daran
fehlen, doch dabei wären.“

„Meine gute Mutter,“ fragte die Prinzessin,
„was sind das für drei Dinge? Nennt mir sie, ich beschwöre euch im Namen
Gottes darum. Ich will gewiss nichts sparen, dieselben zu erlangen, wenn es
irgend möglich ist.“