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385. Nacht

Ali Baba empfing den Kodjah Hussain so freundlich und so
gut, als er es nur wünschen konnte. Er dankte ihm für die Güte, die er gegen
seinen Sohn bewiesen. „Die Verbindlichkeit, die er euch dafür schuldig
ist, und die ich euch selber dafür schuldig bin,“ fuhr er fort, „ist
umso größer, da er noch ein junger Mensch und ohne Weltkenntnis ist, zu dessen
Bildung mitzuwirken ihr so gütig seid.“

Kodjah Hussain erwiderte Ali Babas Höflichkeiten durch
ähnliche, indem er ihn versicherte, dass, wenn sein Sohn auch noch nicht die
Erfahrung mancher Greise sich erworben habe, so habe er doch einen sehr gesunden
Verstand, der bei ihm die Erfahrung vieler anderen Menschen vertrete.

Nach einem kurzen Gespräch über andere gleichgültige
Gegenstände wollte Hussain Abschied nehmen. Doch Ali Baba ließ ihn nicht fort.

„Herr,“ sagte er zu ihm, „wohin wollt ihr
gehen? Ich bitte euch, mir die Ehre zu erzeigen, ein Abendbrot bei mir
einzunehmen. Das Mahl, womit ich euch zu bewirten gedenke, ist freilich nicht so
glänzend, als ihr es verdient, doch, wie es auch immer sein mag, ich hoffe,
dass ihr es ebenso gutherzig aufnehmen werdet, als ich es euch gebe.“

„Herr Ali Baba,“ erwiderte Kodjah Hussain,
„ich bin von eurer guten Gesinnung vollkommen überzeugt, und wenn ich mir
es von euch ausbitte, es nicht übel zu nehmen, wenn ich mich entferne, ohne
euer höfliches Anerbieten anzunehmen, so bitte ich euch, zu glauben, dass dies
weder aus Geringschätzung noch aus Unhöflichkeit geschieht, sondern weil ich
einen besonderen Grund dazu habe, den ihr selber billigen würdet, wenn er euch
bekannt wäre.“

„Und was kann dies für ein Grund sein?“, fiel
hier Ali Baba ein, „darf man euch wohl danach fragen?“

„Ich kann es euch sagen,“ antwortete Kodjah
Hussain, „darum, weil ich weder Fleisch noch Zugemüse esse, worin irgend
Salz ist. Ihr könnt nun selbst ermessen, welche Rolle ich bei eurer Tafel
spielen würde.“

„Wenn ihr bloß diesen Grund habt,“ fuhr Ali
Baba dringender fort, „so soll er mich gewiss nicht der Ehre berauben, euch
diesen Abend bei Tisch zu haben, außer ihr hättet etwas anderes vor. Erstens
ist in dem Brot, das in meinem Haus gespeist wird, kein Salz. Was das Fleisch
und die Zugemüse und Brühen betrifft, so verspreche ich euch, dass in dem, was
euch heute vorgesetzt werden wird, ebenfalls kein Salz sein soll. Ich werde
sogleich die nötigen Befehle dazu geben. Erweist mir daher die Gefälligkeit zu
bleiben, ich werde binnen einem Augenblick wieder bei euch sein.“

Ali Baba ging in die Küche und befahl Morgiane, in das
Fleisch, welches sie heute auftragen würde, kein Salz zu tun, und außer den
Nebengerichten, die er bei ihr bestellt habe, schnell noch zwei bis drei andere
zu bereiten, worin kein Salz wäre.

Morgiane, die soeben aufzutragen im Begriff war, konnte
nicht umhin, ihre Unzufriedenheit über diesen neuen Befehl an den Tag zu legen
und sich deshalb gegen Ali Baba zu erklären.

„Wer ist denn,“ fragte sie, „dieser
eigensinnige Mensch, der kein Salz essen mag? Euer Abendessen wird nicht mehr so
gut sein, wenn ich es später auftrage.“

„Werde nur nicht böse, Morgiane,“ sagte hierauf
Ali Baba, „es ist ein sehr wackerer Mann, und tue du nur, was ich dir
sage.“

Morgiane gehorchte, aber mit Widerwillen. Sie war
neugierig, den Mann kennen zu lernen, der kein Salz äße. Als sie fertig war,
und Abdallah den Tisch gedeckt hatte, half sie ihm die Speisen herein tragen.
Indem sie den Hussain ansah, erkannte sie in ihm, ungeachtet seiner Verkleidung,
sogleich den Räuberhauptmann, und indem sie ihn aufmerksam ins Auge fasste,
bemerkte sie, dass er einen Dolch unter dem Kleid versteckt trage.

„Ich wundere mich jetzt nicht mehr,“ sagte sie
bei sich selber, „dass dieser Schurke kein Salz mit meinem Herrn essen
will. Er ist sein ärgster Feind, und will ihn umbringen, doch ich werde es
schon zu hintertreiben wissen.“

Sobald Morgiane mit Abdallah das Auftragen besorgt hatte,
benutzte sie die Zeit, während sie aßen, um die nötigen Vorbereitungen zu
Ausführung eines der kühnsten Streiche zu treffen, und sie war gerade damit
fertig, als Abdallah ihr meldete, dass es jetzt Zeit sei, die Früchte
aufzutragen. Sie brachte die Früchte, und trug sie auf, sobald als Abdallah den
Tisch abgeräumt hatte. Hierauf setzte sie neben Ali Baba ein kleines Tischchen,
worauf sie den Wein mit drei Schalen stellte, und beim Herausgehen zog sie den
Abdallah mit sich fort, als wollte sie mit ihm auf den Abend essen und ihrem
Herrn, der bestehenden Sitte zufolge, volle Freiheit lassen, sich mit seinem
Gast zu unterhalten, sich angenehm die Zeit zu vertreiben, und ihn zum Trinken
zu nötigen.

Jetzt glaubte Hussain, oder vielmehr der verkleidete
Räuberhauptmann, sei der günstige Augenblick da, um Ali Baba umzubringen.

„Ich will jetzt,“ sprach er bei sich selbst,
„Vater und Sohn berauscht machen. Der Sohn, dem ich gern das Leben schenken
will, wird mich nicht hindern, seinem Vater den Dolch ins Herz zu stoßen, und
ich werde mich dann, wie ich schon früher einmal getan, durch den Garten
flüchten, während die Köchin und der Sklave noch über ihrem Abendessen oder
in der Küche eingeschlafen sind.“

Doch Morgiane, welche die Absicht des angeblichen Kodjah
Hussain erraten hatte, ließ ihm nicht Zeit, seinen boshaften Plan auszuführen.
Anstatt auf den Abend zu essen, zog sie ein sehr niedliches Tänzerinnenkleid
an, wählte einen passenden Kopfputz dazu, legte sich einen Gürtel aus
vergoldetem Silber um, und befestigte daran einen Dolch, dessen Scheide und Heft
von demselben Metall waren. Daneben legte sie eine sehr schöne Maske über ihr
Gesicht. Als sie sich nun so verkleidet hatte, sagte sie zu Abdallah:

„Abdallah, nimm deine Schellentrommel, und lass uns
hineingehen, um dem Gast unseres Herrn und dem Freund seines Sohnes jene
Unterhaltung zu verschaffen, die wir ihm bisweilen zu machen pflegen.“

Abdallah nahm die Handtrommel, fing, vor Morgiane her
gehend, darauf zu spielen an, und trat so in den Saal. Morgiane trat nach ihm
herein, und machte eine tiefe Verneigung, und zwar auf eine so ungezwungene und
Aufsehen erregende Weise, als bäte sie um Erlaubnis, ihre Geschicklichkeit
zeigen zu dürfen.

Als Abdallah sah, dass Ali Baba sprechen wollte, so hörte
er auf, die Schellentrommel zu schlagen.

„Nur herein, Morgiane, nur herein,“ sagte Ali
Baba. „Hussain soll einmal sehen, was du kannst, und er mag uns nachher
sagen, was er darüber urteilt. Wenigstens werdet ihr nicht denken, Herr,“
sagte er zu Kodjah Hussain sich wendend, „dass ich mich, um euch diese
Belustigung zu gewähren, in große Unkosten gesteckt habe. Ich habe das alles
zu Hause, und ihr seht, dass das mein Sklave und meine Köchin und Ausgeberin
ist, die mir dies Vergnügen machen. Ich hoffe, es wird euch nicht unangenehm
sein.“

Kodjah Hussain war gar nicht darauf gefasst, dass Ali Baba
auf die Abendmahlzeit diese Belustigung folgen lassen würde. Er fing nun an zu
fürchten, dass er die Gelegenheit, die er soeben gefunden zu haben glaubte,
nicht weiter würde benutzen können. Für diesen Fall tröstete er sich mit der
Hoffnung, dass er wohl noch einmal eine andere finden würde, wenn er
fortführe, mit Vater und Sohn Freundschaft zu halten. Deshalb nun – obwohl er
es freilich lieber gesehen haben würde, wenn Ali Baba ihn mit dieser
Belustigung verschont hätte – stellte er sich gleichwohl, als wüsste er ihm
vielen Dank dafür, und war zugleich so artig, ihn zu versichern, dass alles,
was ihm irgend Vergnügen mache, unfehlbar auch ihm selber dergleichen gewähren
müsse.

Als Abdallah sah, dass Ali Baba und Hussain zu reden
aufgehört hatten, fing er wieder an, seine Schellentrommel zu schlagen, und
sang mit eigener Stimme ein Tanzlied dazu. Morgiane, die auch der geübtesten
Tänzerin nichts nachgab, tanzte auf eine Weise, welche auch bei jeder anderen
Gesellschaft, als die gegenwärtige war – in welcher bloß der angebliche
Hussain ihr wenig Aufmerksamkeit schenkte – Bewunderung erregt haben würde.

Nachdem sie mehrere Tänze mit derselben Kraft und Anmut
getanzt hatte, zog sie endlich den Dolch, und tanzte, diesen in der Hand
haltend, einen neuen, worin sie sich selbst übertraf, sowohl durch die
mannigfaltigen Figuren, als durch die leichten Bewegungen, die kühnen
Luftsprünge, und durch die wunderbaren Wendungen und Stellungen, die sie dabei
vornahm, indem sie bald den Dolch wie zum Stoß ausstreckte, bald wieder tat,
als bohrte sie ihn in ihre eigene Brust.

Als sie sich endlich außer Atem getanzt hatte, entriss
sie mit der linken Hand die Schellentrommel den Händen Abdallahs, und den Dolch
in der rechten haltend, reichte sie die Schellentrommel von der hohlen Seite dem
Ali Baba, nach der Art der Tänzer und Tänzerinnen, die ein Gewerbe aus ihrer
Kunst machen, und auf diese Weise die Freigebigkeit ihrer Zuschauer ansprechen.

Ali Baba warf in Morgianes Schellentrommel ein Goldstück,
Morgiane wendete sich hierauf an Ali Babas Sohn, und dieser folgte dem Beispiel
seines Vaters. Hussain, welcher sah, dass sie auch zu ihm kommen würde, hatte
schon den Beutel aus seinem Busen gezogen, um ihr ein Geschenk zu machen, und
griff mit der Hand in denselben. Als plötzlich Morgiane mit einem Mut, der
ihrer bisher bewiesenen Festigkeit und Entschlossenheit würdig war, ihm den
Dolch so tief ins Herz bohrte, dass er davon starb.