Project Description

384. Nacht

Der Garten Ali Babas war sehr lang und hinten von hohen
Bäumen begrenzt. Ohne zu säumen, ging er nun mit seinem Sklaven unter diese
Bäume, um da eine lange und breite Grube zu machen, nach Verhältnis der
Leichen, die in dieselbe hinein kommen sollten. Der Boden war leicht
aufzugraben, und sie wurden binnen kurzer Zeit fertig. Sie zogen nun die Leichen
aus den Lederschläuchen heraus, legten die Waffen, womit die Räuber
ausgerüstet gewesen, bei Seite, schleppten dann die Leiche an das Ende des
Gartens, legten sie nach der Reihe in die Grube, und nachdem sie die
aufgewühlte Erde drüber hin geschüttet, zerstreuten sie die übrige Erde in
die Runde umher, so dass das Erdreich wieder so gleichmäßig wurde, wie zuvor.
Ali Baba ließ nun die ölschläuche und die Waffen sorgfältig verbergen, die
Maulesel dagegen, die er gerade nicht brauchen konnte, schickte er zu
verschiedenen malen auf den Markt, wo er sie durch seinen Sklaven verkaufen
ließ.

Während Ali Baba alle diese Maßregeln nahm, um das
Mittel und den Weg, wodurch er reich geworden, der Kunde der Leute zu entziehen,
war der Räuberhauptmann mit unbeschreiblichem ärger in den Wald
zurückgekehrt, und in der heftigen Bewegung oder vielmehr in der Bestürzung
über den unglücklichen und widrigen Erfolg war er in die Felsenhöhle
hinein getreten, ohne unterwegs irgend einen Entschluss in Hinsicht dessen fassen
zu können, was er gegen Ali Baba tun oder nicht tun sollte. Die Einsamkeit
dieses düstren Aufenthaltsortes dünkte ihm entsetzlich.

„Brave Leute,“ rief er aus, „Gefährten
meiner Nachtwachen, meiner Streifereien und Anstrengungen, wo seid ihr? Was kann
ich tun ohne euch? Also bloß darum hatte ich euch versammelt und mir
auserlesen, um euch auf einmal durch den so unseliges und eures Mutes so
unwürdiges Los umkommen zu sehen? Ich würde euch minder betrauern, wenn ihr
als tapfere Männer mit dem Säbel in der Faust gefallen wärt. Wann werde ich
je wieder eine solche Schar von handfesten Leuten, wie ihr wart, zusammenbringen
können? Und wenn ich es auch wollte, würde ich es wohl unternehmen können,
ohne diese Menge an Gold, Silber und Reichtümer demjenigen zur Beute werden zu
lassen, der sich schon mit einem Teil derselben bereichert hat? Ich kann und
darf nicht daran denken, bevor ich ihm nicht das Leben genommen habe. Was ich
mit einem so mächtigen Beistand nicht auszuführen vermochte, werde ich jetzt
allein vollbringen, und wenn ich nun dafür gesorgt haben werde, dass der Schatz
nicht mehr der Plünderung ausgesetzt ist, so werde ich darauf hinarbeiten, dass
es nach mir ihm weder an einem Nachfolger noch an einem Herrn mangeln, und dass
er sich bis auf die spätesten Nachkommen erhalten und vermehren soll.“

Nachdem er diesen Entschluss gefasst, war er nicht weiter
verlegen um die Mittel, ihn auszuführen. Voll Hoffnung und Seelenruhe schlief
er nun ein, und brachte die Nacht ruhig zu.

Als er den folgenden Morgen, wie er sich vorgenommen, sehr
früh aufgestanden war, legte er seinem Plan gemäß ein sehr stattliches Kleid
an, und ging nach der Stadt, wo er in einen Kan einkehrte. Da er erwartete, dass
das, was in Ali Babas Haus vorgegangen, Aufsehen gemacht haben könne, so fragte
er den Aufseher des Kans gelegentlich im Gespräch, ob es etwas Neues in der
Stadt gäbe? Worauf aber der Aufseher eher von jeder anderen Sache sprach, als
von der, die er zu wissen wünschte. Er schloss daraus, dass Ali Baba bloß
darum ein Geheimnis aus der Sache mache, weil er nicht haben wolle, dass seine
Kunde von dem Schatz und dem Mittel, ihn zu öffnen, sich weiter verbreiten
möchte, und weil er wohl wisse, dass man ihm bloß um dieser Ursache willen
nach dem Leben trachte. Dies feuerte ihn noch mehr an, sich seiner auf dieselbe
geheime Weise zu entledigen.

Der Räuberhauptmann schaffte sich ein Pferd an, welches
er dazu brachte, um mehrere Gattungen reicher Seidenstoffe und seiner
Schleiertücher in seine Wohnung zu führen, indem er mehrere Reisen in den Wald
machte, und zwar mit der nötigen Vorsicht, um den Ort zu verhehlen, wo er sie
herholte. Als er von diesen Waren so viel aufgehäuft hatte, als ihm
hinlänglich schien, so suchte er, um sie abzusetzen, sich einen Laden. Er fand
auch einen, und nachdem er ihn von dem Besitzer desselben gemietet hatte, so
staffierte er ihn aus und bezog ihn. Ihm gegenüber befand sich der Laden, der
ehemals Kassim gehört hatte, und gegenwärtig seit kurzer Zeit von Ali Babas
Sohn in Besitz genommen war.

Der Räuberhauptmann, welcher den Namen Kodjah Hussain
angenommen, unterließ als neuer Ankömmling nicht, der Sitte gemäß, den
Kaufleuten, die seine Nachbarn waren, alle mögliche Höflichkeit zu erzeigen.
Indessen da der Sohn Ali Babas noch jung, wohl gebildet, und nicht ohne Geist
war, und da er mit ihm öfter als mit andern Kaufleuten zu sprechen Gelegenheit
hatte, so hatte er sehr bald mit ihm Freundschaft geschlossen. Ja er suchte
sogar seinen Umgang bald noch mehr und noch eifriger, als er drei bis vier Tage
nach seiner neuen Einrichtung den Ali Baba wieder erkannt hatte, der seinen Sohn
zu besuchen kam, wie er es wohl von Zeit zu Zeit zu tun pflegte, und er nach Ali
Babas Weggang von dem Sohn erfahren hatte, es sei sein Vater. Jetzt verdoppelte
er seine Gefälligkeit gegen ihn, liebkoste ihn, machte ihm kleine Geschenke, ja
er bewirtete ihn sogar, und ließ ihn mehrere Male bei sich mitspeisen.

Ali Babas Sohn wollte dem Kodjah Hussain nicht so viele
Verbindlichkeit schuldig bleiben, ohne ihm ein gleiches zu erwidern. Indessen er
wohnte sehr eng, und war nicht so bequem eingerichtet, wie jener, um ihn so
bewirten zu können, als er es wünschte. Er sprach daher einst mit seinem Vater
Ali Baba darüber, und äußerte, es würde wohl nicht schicklich sein, wenn er
länger so bliebe, ohne sich dem Kodja Hussain für seine Höflichkeiten
erkenntlich zu beweisen.

Ali Baba nahm mit Vergnügen die Bewirtung über sich.

„Mein Sohn,“ sagte er, „morgen ist Freitag.
Da dies nun ein Tag ist, wo die großen Kaufleute, wie Kodjah Hussain und du
selber, ihre Laden geschlossen halten, so mache des Nachmittags mit ihm einen
Spaziergang, und richte es auf dem Rückweg so ein, dass du ihn an meiner
Wohnung vorbeiführst und ihn herein nötigst. Es ist besser, die Sache macht
sich so, als dass du ihn förmlich einladest. Ich werde jetzt Morgiane befehlen,
eine Abendmahlzeit zuzurichten, und dieselbe in Bereitschaft zu halten.“

Freitags fanden sich Ali Babas Sohn und Hussain des
Nachmittags an dem Ort ein, wo sie sich hinbestellt hatten, und machten ihren
Spaziergang miteinander. Auf dem Rückweg suchte Ali Babas Sohn den Hussain
durch die Straße zu führen, wo sein Vater wohnte, und als sie dicht an der
Haustür waren, hielt er ihn an, klopfte und sagte: „Dies ist das Haus
meines Vaters, welcher auf meine äußerungen über die Freundschaft, die ihr
mir beweist, mir aufgetragen hat, ihm die Ehre eurer Bekanntschaft zu
verschaffen. Ich bitte euch demnach, auch diese Gefälligkeit noch zu denen, die
ihr mir bisher erwiesen habt, hinzuzufügen.“

Obwohl nun Kodjah Hussain zu dem Ziel gelangt war, wonach
er strebte, nämlich Eintritt in Ali Babas Haus zu erhalten und ihn umzubringen,
ohne das eigene Leben aufs Spiel zu setzen, so unterließ er doch nicht,
Entschuldigungen zu machen und sich zu stellen, als wolle er von dem Sohn
Abschied nehmen. Doch da soeben der Sklave Ali Babas öffnete, so fasste ihn der
Sohn mit Artigkeit bei der Hand, ging voran und zwang ihn gewissermaßen, mit
ihm herein zu treten.