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382. Nacht

Der Räuberhauptmann stand mit Ali Baba zugleich auf und
begleitete ihn bis an die Tür. Während nun Ali Baba in die Küche ging, um mit
Morgiane zu reden, ging jener in den Hof, unter dem Vorwand, er wolle in den
Stall sehen, ob es seinen Mauleseln an etwas fehle.

Nachdem Ali Baba von neuem Morgiane anempfohlen, für
seinen Gast auf das Beste zu sorgen und es ihm an nichts fehlen zu lassen,
fügte er hinzu: „Morgiane, ich will dir zugleich noch sagen, dass ich
morgen früh vor Tagesanbruch ins Bad gehen will. Sorge daher, dass meine
Badewäsche in Bereitschaft ist, übergib sie an Abdallah – so hieß nämlich
sein Sklave – und mache mir eine gute Fleischbrühe zurecht, damit ich sie bei
meiner Rückkehr zu mir nehmen kann.“

Nachdem er ihr diese Befehle gegeben hatte, ging er zu
Bett.

Der Räuberhauptmann indessen gab beim Herausgehen aus dem
Stall seinen Leuten Befehl, was sie tun sollten. Vom ersten Schlauch an bis zum
letzten, sagte er zu einem jeden:

„Wenn ich aus meinem Schlafgemach kleine Steinchen
herab werfen werde, so unterlasst nicht, mit dem Messer, das ihr bei euch habt,
den Schlauch von oben bis unten aufzuschneiden und aus der öffnung
heraus zu kriechen. Ich werde dann schon bald bei euch sein.“

Das Messer, wovon er sprach, war für diesen Zweck eigens
dazu gespitzt und geschliffen.

Nachdem dies geschehen war, kehrte er zurück, und so wie
er an der Küchentür sich zeigte, nahm Morgiane ein Licht, und führte ihn nach
dem Zimmer, das für ihn eingerichtet war, worin sie ihn dann allein ließ,
nachdem sie ihn gefragt hatte, ob er noch etwas bedürfe. Um keinen Argwohn zu
erregen, löschte er bald darauf das Licht aus, und legte sich ganz angekleidet
nieder, um gleich nach dem ersten Schlaf wieder aufstehen zu können.

Morgiane vergaß nicht Ali Babas Befehle. Sie legte seine
Badewäsche zurecht, übergab sie an Abdallah, der noch nicht schlafen gegangen
war, und setzte den Topf zu der Fleischbrühe ans Feuer. Während sie nun den
Topf abschäumte, verlöschte plötzlich die Lampe. Es war gerade kein öl mehr
im Haus, auch waren zufällig keine Lichtkerzen vorrätig. Was war nun hier zu
tun? Sie musste durchaus hell sehen, um den Topf abschäumen zu können. Sie
entdeckte ihre Verlegenheit dem Abdallah.

„Da ist freilich guter Rat teuer!“, erwiderte
Abdallah, „doch geh nur und hole dir öl aus einem jener Schläuche, die da
im Hof liegen.“

Morgiane dankte dem Abdallah für diesen Rat, und während
er sich neben Ali Babas Gemach legte, um ihn ins Bad begleiten zu können, nahm
sie den ölkrug und ging in den Hof. Als sie sich dem ersten besten Schlauch
näherte, fragte der Räuber, welcher darin steckte, ganz leise: „Ist es
Zeit?“

Obwohl der Räuber ganz leise gesprochen hatte, so wurde
doch Morgiane über diese Stimme sehr stutzig, und zwar umso eher, da der
Räuberhauptmann, sobald er seinen Mauleseln die Last abgeladen, nicht bloß
diesen Schlauch, sondern auch alle übrigen geöffnet hatte, um seinen Leuten
frische Luft zu verschaffen, die ohnehin darin eine sehr üble Lage hatten,
obwohl sie freilich wohl etwas Atem holen konnten.

Jede andere Sklavin als Morgiane – obwohl sie freilich
selber nicht wenig überrascht war, in einem Schlauch, woraus sie öl holen
wollte, einen Menschen anzutreffen, – hätte darüber einen Lärm angefangen,
der viel Unheil hätte anrichten können. Sie bemerkte augenblicklich wie viel
hier darauf ankomme, die Sache geheim zu halten, ferner die dringende Gefahr,
worin Ali Baba und seine Familie und sie selber schwebte, und die Notwendigkeit,
so schnell wie möglich und ohne viel Geräusch Maßregeln dagegen zu ergreifen,
und ihr fähiger Kopf zeigte ihr bald die Mittel und Wege dazu. Sie besann sich
also augenblicklich, und ohne irgend einen Schrecken blicken zu lassen,
antwortete sie, als ob sie der Räuberhauptmann wäre, auf die Frage mit den
Worten: „Noch nicht, aber bald!“ Darauf näherte sie sich dem
folgenden Schlauch. Dieselbe Frage erfolgte wieder, und so fort bis zum letzten,
der voll öl war, und auf jede Frage gab sie immer dieselbe Antwort.

Morgiane erfuhr dadurch, dass ihr Herr Ali Baba, anstatt –
wie er glaubte – einen bloßen ölhändler bei sich aufzunehmen, 38 Räuber
nebst ihrem Hauptmann, dem verkleideten Kaufmann, in seinen Haus beherberge. Sie
füllte also geschwind ihren Krug mit öl, das sie aus dem letzten Schlauch
nahm. Darauf kehrte sie in die Küche zurück, wo sie zuerst öl in die Lampe
goss und sie wieder anzündet, und dann einen großen Kessel nahm, mit diesem in
den Hof zurückging und ihn aus dem Schlauch ganz mit öl füllte. Sodann trug
sie ihn wieder zurück, setzte ihn über das Feuer, und legte Stammholz
darunter, weil sie, je eher das öl ins Sieden kam, desto eher auch ihren
Entwurf für das gemeinsame Wohl des Hauses, der keinen Aufschub litt,
auszuführen vermochte. Endlich war das öl im Sieden. Sie nahm nun den Kessel,
und goss in jeden Schlauch vom ersten bis zum letzten, so viel siedendes öl als
hinreichend war, um sie zu ersticken und zu töten, welches dann auch wirklich
der Fall war.

Nachdem Morgiane diesen Streich, der ihres Mutes würdig
war, ebenso geräuschlos, als sie ihn entworfen ausgeführt hatte, kehrte sie
mit dem leeren Kessel in die Küche zurück und verschloss sie. Dann löschte
sie das große Feuer aus, das sie angezündet hatte, und ließ bloß so viel
übrig, als nötig war, um den Topf mit Fleischbrühe für Ali Baba zu kochen.
Zuletzt blies sie auch die Lampe aus und verhielt sich ganz still, in der
Absicht, nicht eher zu Bett zu gehen, als bis sie durch ein Küchenfenster, das
nach dem Haus hinaus ging, so weit die Dunkelheit der Nacht es gestattete,
beobachtet haben würde, was etwa vorgehen möchte.

Morgiane hatte noch nicht eine Viertelstunde gewartet, als
der Räuberhauptmann erwachte. Er steht auf, öffnet das Fenster, sieht hinaus,
und da er nirgends mehr Licht, sondern im Haus überall die tiefste Ruhe und
Stille herrschen sieht, so gibt er das Zeichen, indem er kleine Steine hinunter
wirft, von denen mehrere, wie er aus dem Schall hören konnte, auf die ledernen
Schläuche fielen. Er horcht, bemerkt und hört aber nichts woraus er etwa
schließen könnte, dass seine Leute sich in Bewegung setzten. Dies beunruhigt
ihn, er wirft zum zweiten und dritten mal kleine Steinchen hinunter, sie fallen
auf die Schläuche, doch keiner von den Räubern gibt das geringste
Lebenszeichen von sich. Da er den Grund davon nicht begreifen kann, so steigt er
voll Unruhe, doch mit so wenig Geräusch als möglich, in den Hof hinunter,
nähert sich dem ersten Schlauch, und als er eben den Räuber fragen will, ob er
schlafe, riecht er einen Geruch von heißem öl und von Verbranntem, der aus dem
Schlauch emporsteigt, woraus er denn abnehmen kann, dass sein Plan, Ali Baba
umzubringen, das Haus desselben zu plündern, und das seiner Gesellschaft
geraubte Gold womöglich wieder mit fortzunehmen, fehlgeschlagen sei. Von da
geht er nun zum folgenden Schlauch und so fort bis zum letzten, und er findet
durchaus, dass alle seine Leute dasselbe Los getroffen hat. Die Verminderung des
öls in dem vollen ölschlauch zeigte ihm übrigens, welcher Mittel und Wege man
sich bedient hatte, um ihn des Beistands, den er sich von ihnen versprochen, zu
berauben. In der Verzweiflung über den misslungenen Streich brach er durch die
Tür, welche aus dem Hof in den Garten Ali Babas führte, und so flüchtete er,
indem er über die Zwischenmauern hinweg sprang, von einem Garten zum andern.

Als Morgiane kein Geräusch mehr hörte und den
Räuberhauptmann, nachdem sie eine Weile gewartet, nicht mehr wiederkommen sah,
so zweifelte sie nicht mehr, welchen Entschluss er gefasst haben möge, da die
Haustür doppelt verschlossen war. Zufrieden und erfreut, dass ihr die Rettung
des ganzen Hauses so gut gelungen war, legte sie sich endlich zu Bett und
schlief ein.

Ali Baba stand unterdessen vor Tagesanbruch auf, und ging,
von seinem Sklaven begleitet, ins Bad, ohne von der entsetzlichen Begebenheit,
die während der Nacht in seinem Haus vorgefallen, das geringste zu wissen, weil
Morgiane aus guten Gründen es nicht für angemessen erachtet hatte, ihn zu
wecken, indem sie im Augenblick der Gefahr keine Zeit zu verlieren gehabt, und
nach Abwendung derselben seine Ruhe zu stören für zwecklos gehalten hatte.