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372. Nacht

Nachdem die beiden Freunde so gesprochen, nahm ich das
Wort, und sagte zu allen beiden mich wendend: „Edle Herren, ich würde mich
in Hinsicht auf die von mir verlangte Aufklärung zu einem ewigen Stillschweigen
verdammen, sofern ich nicht gewiss wäre, dass der Streit, den ihr meinetwegen
führt, nicht im Stande sein wird, das Freundschaftsband, welches eure Herzen
verknüpft, zu zersprengen. Ich werde mich denn also, da ihr es verlangt, näher
erklären. Zuvor aber beteuere ich euch, dass es mit derselben Aufrichtigkeit
geschehen wird, womit ich euch früher das, was mir begegnet war,
darlegte.“

Hierauf erzählte ich ihnen die ganze Geschichte Punkt
für Punkt, wie es Euer Majestät soeben gehört hat, ohne den kleinsten Umstand
zu vergessen.

Meine Beteuerungen machten indessen nicht so viel Eindruck
auf Saadi, dass er von seinem Vorurteil geheilt worden wäre. Als ich daher mit
meiner Erzählung zu Ende war, sagte er: „Kodja Hassan, das Abenteuer mit
dem Fisch und dem in seinem Bauch gefundenen Diamanten kommt mir ebenso
unglaublich vor, als die Entführung deines Turbans durch einen Hühnergeier,
und der Umtausch des Kleiegefäßes gegen Waschton. Wie indessen die Sache auch
immer sich verhalten mag, so bin ich doch davon überzeugt, dass du nicht mehr
arm, sondern ein reicher Mann bist, wozu dich zu machen gleich anfangs meine
Absicht war, und so freue ich mich denn recht herzlich darüber.“

Da es schon spät war, so stand er auf, um Abschied zu
nehmen, und Saad zugleich mit ihm. Ich stand ebenfalls auf, hielt sie zurück
und sagte: „Meine Herren, erlaubt, dass ich von euch eine Gefälligkeit
verlange und euch bitte, mir sie nicht abzuschlagen. Erzeigt mir die Ehre, eine
einfache Abendmahlzeit und ein Nachtlager bei mir anzunehmen, damit ich euch
morgen früh zu Wasser nach einem kleinen Landhaus führen kann, welches ich mir
gekauft habe, um dort von Zeit zu Zeit die frische Luft zu genießen. Ich werde
euch noch denselben Tag von da zu Lande wieder zurückführen, und zwar jeden
auf einem Pferd aus meinem Stall.“

„Wenn Saad nicht etwa Geschäfte hat, die ihn
abrufen,“ sagte Saadi, „So nehme ich es herzlich gern an.“

„Ich habe nie Geschäfte,“ antwortete Saad,
„wenn davon die Rede ist, eure Gesellschaft zu genießen. Wir werden
aber,“ fuhr er fort, „in deine und meine Wohnung schicken und sagen
lassen müssen, dass man uns heute nicht erwarten soll.“

Ich ließ ihnen einen meiner Sklaven kommen, und während
sie ihm diese Sendung auftrugen, benutzte ich den Augenblick, um Befehle zur
Anrichtung des Abendessens zu geben.

Bis die Stunde des Abendessens herangekommen war, zeigte
ich unterdessen meinen Wohltätern mein ganzes Haus mit allem Zubehör, und sie
fanden es in Bezug auf meinen Stand sehr gut angelegt. Ich nannte sie beide ohne
Unterschied meine Wohltäter, weil ohne Saadi, Saad mir das Stück Blei nicht
gegeben haben würde, und weil ohne Saad sich Saadi schwerlich an mich gewendet
haben würde, um mir die vierhundert Goldstücke zu geben, bis zu welchen ich
den Ursprung meines Glücks zurückführen muss. Ich führte sie hierauf in den
Saal zurück, wo sie über die Einzelheiten meines Geschäfts allerlei Fragen an
mich taten, die ich ihnen zu ihrer völligen Zufriedenheit beantwortete.

Endlich zeigte man mir an, das Abendessen sei aufgetragen.
Da die Tafel in einem anderen Saal gedeckt war, so ladete ich sie ein, sich in
denselben zu begeben. Die beiden Freunde waren über die glänzende Beleuchtung,
über die Nettigkeit des Saales, über den Schenktisch und über die Speisen,
die sie ganz nach ihrem Geschmack fanden, außer sich. Während der Mahlzeit
unterhielt ich sie durch ein Konzert von Instrumenten und Singstimmen, und nach
der Mahlzeit durch ein Trupp Tänzer und Tänzerinnen und durch andere
Ergötzlichkeiten, um ihnen so viel als möglich meine Dankbarkeit gegen sie an
den Tag zu legen.

Den folgenden Morgen hatte ich mit Saadi und Saad
verabredet, sehr früh aufzubrechen, um die Morgenkühle zu genießen, und wir
begaben uns daher noch vor Sonnenaufgang an das Ufer des Stromes. Wir stiegen da
in ein sehr bequemes und mit Teppichen ausgelegtes Fahrzeug ein, das für uns
bereit gehalten wurde, und vermittelst sechs tüchtiger Ruderer und der
Strömung des Flusses landeten wir etwa nach anderthalb Stunden an meinem
Landhaus.

Als wir ausstiegen, blieben beide Freunde stehen, weniger
um das schöne äußere zu betrachten, als um die vortreffliche Lage desselben,
und die schönen Aussichten zu bewundern, die weder zu beschränkt noch zu weit
ausgedehnt waren und es von allen Seiten her sehr angenehm machten. Ich führte
sie in die Zimmer, ich machte sie auf den Ausschmuck derselben, auf den An- und
Zubehör, selbst auf die dabei angelegten Bequemlichkeiten aufmerksam, und sie
fanden alles sehr schön.

Endlich traten wir in den Garten, wo ihnen ein Wäldchen
aus Zitronen- und Pomeranzenbäumen am besten gefiel, deren Blüten und Früchte
die Luft durchdufteten, und die in regelmäßige Baumgänge gepflanzt und durch
ein immer fließendes Bächlein von lebendigem Wasser vom Strom her bewässert
waren. Der Schatten, die Kühlung während der brennendsten Sonnenglut, das
sanfte Gemurmel des Wassers, der harmonische Waldgesang unzähliger Vögel und
mehrere andere Annehmlichkeiten überraschten sie so, dass sie fast bei jedem
Schritt stehen blieben, bald, um mir ihren Dank dafür an den Tag zu legen, dass
ich sie an einen so lieblichen Ort geführt, bald, um mir zu einem solchen
Besitz Glück zu wünschen, und mir andere Verbindlichkeiten der Art zu sagen.

Ich führte sie bis an das Ende dieses Waldes, der sehr
lang und breit ist, und machte sie da auf ein Gehölz aus großen Bäumen
aufmerksam, welches meinen Garten begrenzt. Dort führte ich sie in ein nach
allen Seiten hin offenes Kabinett, das von einer Gruppe aus Palmbäumen, die
aber nach keiner Seite hin die freie Aussicht benahmen, überschattet wurde, und
ladete sie ein, da hinein zu treten und auf einem mit Teppichen und Polstern
versehenen Sofa auszuruhen.

Zwei meiner Söhne, die wir im Haus vorgefunden hatten,
weil ich sie seit einiger Zeit mit ihrem Lehrer dahin geschickt hatte, um der
frischen Luft zu genießen, hatten uns verlassen, um tiefer in das Gehölz
einzudringen, und da sie zufällig Vogelnester suchten, bemerkten sie eines
zwischen den Zweigen eines großen Baumes. Sie versuchten anfangs
hinaufzuklettern, da sie indessen weder die Kraft noch die Gewandtheit dazu
hatten, so zeigten sie es einem Sklaven, den ich ihnen mitgegeben und der nie
von ihnen wich, und hießen ihn, das Vogelnest auszunehmen.

Der Sklave stieg auf den Baum, und als er bis an das Nest
gelangt war, wunderte er sich sehr, als er sah, dass es in einem Turban
angebracht war. Er nahm nun das Nest, so wie es da war, stieg vom Baum herunter
und zeigte den Turban meinen Kindern. Da er indessen nicht zweifelte dass dies
etwas sei, das ich wohl selber gern sehen würde, so machte er sie darauf
aufmerksam, und übergab es dem ältesten, um mir es zu bringen.

Ich sah ihn schon von weitem mit jener Freude kommen,
welche Kinder gewöhnlich eigen ist, wenn sie ein Nest gefunden haben. Indem er
mir es überreichte, sagte er zu mir: „Lieber Vater siehst du dies Nest
hier im Turban?“