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364. Nacht

Als der Kalif sah, dass Sidi Numan nichts weiter zu sagen
hatte, sagte er zu ihm: „Deine Geschichte ist einzig in ihrer Art, und die
Bosheit deiner Frau ist unverzeihlich. Auch verdamme ich nicht ganz die
Züchtigung, die du sie bisher hast empfinden lassen. Indessen wünsche ich,
dass du überlegst, welche große Strafe es für sie ist, zu einem Tier
erniedrigt worden zu sein, und dass du dich damit begnügst, sie in diesem
Zustand büßen zu lassen. Ich würde dir sogar befehlen, dich an die junge
Zauberin, welche diese Verwandlung hervorgebracht hat, zu wenden, und von ihr
eine Lösung dieses Zaubers zu bewirken, wenn mir nicht die Halsstarrigkeit und
die nie zu bessernde Verstocktheit solcher Zauberer und Zauberinnen, die ihre
Kunst missbrauchen, bekannt wäre, und wenn ich nicht von ihrer Seite irgend
eine Wirkung ihrer Rache gegen dich befürchtete, welche noch schlimmer sein
könnte als die frühere.“

Der Kalif, der von Natur sanft und mitleidig gegen
Leidende war, selbst wenn sie es nicht verdienten, wendete sich, nachdem er dem
Sidi Numan seine Willensmeinung erklärt hatte, an den dritten von den dreien,
welche der Großwesir Giafar hatte kommen lassen.

„Kodja Hassan,“ sagte er zu diesem, „als
ich gestern an deinem Haus vorüberging, schien es mir so prächtig zu sein,
dass ich zu wissen wünsche, wem es gehörte. Ich erfuhr, dass du es habest
erbauen lassen, nachdem du früher ein Gewerbe getrieben, welches dir kaum so
viel einbrachte, um davon leben zu können. Man sagte mir zugleich, dass du dich
nicht verkennst, dass du einen guten Gebrauch von den Reichtümern machst, die
dir Gott gegeben, und dass deine Nachbarn tausenderlei Gutes von dir erzählen.
Alles dieses,“ fuhr der Kalif fort, „hat mir viel Vergnügen gemacht,
und ich bin überzeugt, dass die Mittel und Wege, auf welchen es der Vorsehung
gefallen hat, dir ihre Gaben zufließen zu lassen, von ganz außerordentlicher
Art sein müssen. Ich bin neugierig, sie aus deinem eigenen Mund zu erfahren,
und mir diese Befriedigung zu verschaffen, habe ich dich kommen lassen. Rede
also ganz offen mit mir, damit ich mit desto mehr Vergnügen und Einsicht an
deinem Glück Teil nehmen kann. Damit aber dir meine Neugierde nicht Argwohn
errege, und damit du nicht etwa glaubst, dass ich noch einen anderen
eigennützigeren Anteil an deinem Glück nehme, so erkläre ich dir hiermit,
dass ich, anstatt irgend einen Anspruch darauf zu machen, dir vielmehr meinen
Schutz bewillige, um es in ungestörter Sicherheit genießen zu können.“

Nach diesen Versicherungen des Kalifen warf sich Kodja
Hassan vor dem Thron nieder, berührte mit der Stirn den Teppich, der darauf
gelegt war, und sagte dann, nachdem er wieder aufgestanden: „Beherrscher
der Gläubigen, jeder andere als ich, der sein Gewissen nicht so rein und
unbefleckt fühlte, als ich es fühle, hätte beim Empfang des Befehls, vor dem
Thron Euer Majestät zu erscheinen, erschrecken können. Doch da ich gegen euch
niemals andere Gesinnungen gehegt habe, als die der Ehrfurcht und Ehrerbietung,
und da ich nie etwas gegen den euch schuldigen Gehorsam, noch gegen die Gesetze
getan habe, was mir euren Unwillen irgend hätte zuziehen können, so war das
einzige, was mich bekümmerte, die Besorgnis, dass ich den Glanz Euer Majestät
nicht würde ertragen können. Indessen da dem allgemeinen Ruf zufolge Euer
Majestät mit so viel Güte den geringsten Untertan annimmt und anhört, so habe
ich mich wieder beruhigt und nicht gezweifelt, dass ihr mir selber den Mut und
die Zuversicht einflößen würdet, euch die verlangte Auskunft zu geben. Dies
hat nun Euer Majestät soeben getan, indem ihr mir euren mächtigen Schutz
zusichert, ohne dass ihr wisst, ob ich ihn verdiene. Gleichwohl hoffe ich, dass
ihr diese mir so werten Gesinnungen nicht zurücknehmen werdet, wenn ich, um
eurem Befehl zu genügen, von meinen Abenteuern Bericht abgestattet haben
werde.“

Nach dieser höflichen Anrede, wodurch er sich das
Wohlwollen und die Aufmerksamkeit des Kalifen zusichern wollte, und nachdem er
sich einige Augenblicke auf das, was er sagen wollte, besonnen hatte, begann
Kodja Hassan in folgenden Worten seine Erzählung:

Geschichte
von Kodja Hassan Alhabbal

„Beherrscher der Gläubigen,“ fing er an,
„um Euer Majestät besser zeigen zu können, auf welchen Wegen ich zu dem
großen Glück, dessen ich gegenwärtig genieße, gelangt bin, muss ich vor
allen Dingen von zwei vertrauten Freunden reden, welche Bürger dieser Stadt
Bagdad und noch am Leben sind, und die von der Wahrheit meiner Aussage Zeugnis
ablegen können. Ihnen, nächst Gott, dem Urheber alles guten, verdanke ich
hauptsächlich mein Glück.

Von diesen beiden Freuden heißt der eine Saadi, der
andere Saad. Saadi, welcher gewaltig reich ist, war stets der Meinung, auf
dieser Welt könne man nur insofern glücklich sein, als man große Reichtümer
besitze, um von jedermann unabhängig leben zu können..

Saad hat eine andere Ansicht. Er gibt zwar zu, dass man
freilich Reichtümer besitzen müsse, insofern sie zum Leben notwendig sind.
Doch er behauptet, dass die Tugend das Glück der Menschen machen müsse, ohne
dass diese sich weiter an die Güter dieser Welt hängen sollen, als insofern
sie davon ihre Bedürfnisse befriedigen und Wohltaten an anders spenden können.
Saad gehört zu dieser Zahl von Menschen, und er lebt in seinen gegenwärtigen
Verhältnissen sehr glücklich und zufrieden. Obwohl Saadi, sozusagen, unendlich
reicher als er ist, so ist ihre Freundschaft dessen ungeachtet sehr aufrichtig
und herzlich, und der Reichere schätzt sich selber nicht höher als den
anderen. Sie haben nie einen Streit unter sich gehabt, außer über diesen
einzigen Punkt, und in allen übrigen Stücken war ihre Eintracht stets sich
gleich.

Eines Tages behauptete Saadi in einem Gespräch über
diesen Gegenstand – wie sie mir beide selber nachher erzählt haben, – dass die
Armen bloß darum arm wären, weil sie entweder in Armut geboren worden, oder
weil, wenn sie auch in Reichtum geboren worden, sie denselben durch
Liederlichkeit oder durch einen jener unvorhergesehen Zufälle, die nicht so gar
selten sind, verloren hätten. „Meine Meinung ist,“ fuhr er fort,
„dass diese Armen es nur darum sind, weil sie nicht dazu gelangen können,
eine Geldsumme zusammenzubringen, die groß genug wäre, um sich durch
sorgfältige Anlegung derselben aus ihrem Elend zu ziehen, und ich bin der
Ansicht, dass, wenn sie je auf diesen Punkt gelangten und einen angemessenen
Gebrauch von dieser Summe machten, sie mit der Zeit nicht bloß reich, sondern
sehr vermögend werden würden.“

Saad wollte den von Saadi aufgestellten Satz nicht
zugeben. „Das Mittel, welches du vorschlägst,“ erwiderte er, „um
einen Armen reich zu machen, scheint mir nicht so sicher, als du glaubst. Deine
Ansicht hiervon ist nicht begründet genug, und ich könnte dagegen die meinige
mit mehreren sehr guten Gründen unterstützen, die uns aber zu weit führen
würden. Ich glaube, und zum wenigsten mit ebenso viel Wahrscheinlichkeit, dass
ein Armer durch jedes andere Mittel eher reich werden kann, als gerade durch
eine Summe Geldes. Man macht oft durch Zufall ein größeres und
überraschenderes Glück als mit einer Summe Geldes, wie du behauptest – wie
viel Sparsamkeit und gute Wirtschaft man auch dabei anwenden mag, um sie durch
ein gut geführtes Geschäft zu vervielfältigen.“