Project Description

357. Nacht

Ehe wir weggingen, ging der Derwisch noch einmal in den
Schatz hinein, und da sich in demselben mehrere Vasen von kunstreicher goldner
Arbeit und aus anderen kostbaren Stoff befanden, so bemerkte ich, dass er aus
einer dieser Vasen eine kleine Büchse, aus einem mir unbekannten Holz
gefertigt, herauszog und in seinen Busen steckte, nachdem er mir gezeigt hatte,
dass darin nichts weiter war, als eine Art von Haarsalbe.

Der Derwisch verrichtete hierauf dieselbe Zeremonie, um
den Schatz zu verschließen, die er bei der öffnung desselben angewendet hatte,
und nachdem er gewisse Worte gesprochen, schloss sich das Schatzgewölbe wieder,
und der Felsen erschien uns wieder ganz wie zuvor.

Wir ließen nun die Kamele mit ihrer Last aufstehen und
teilten sie unter uns. Ich stellte mich an die Spitze der vierzig, welche ich
mir vorbehalten hatte, und der Derwisch an die Spitze der übrigen, die ich ihm
abgetreten.

Wir zogen sodann wieder durch den engen Weg hindurch,
durch welchen wir hereingekommen, und so gingen wir denn miteinander bis zu der
großen Heerstraße fort, wo wir uns trennen wollten, der Derwisch nämlich, um
seine Reise nach Balsora fortzusetzen, und ich, um nach Bagdad zurückzukehren.
Um ihm für eine so große Wohltat zu danken, wählte ich die stärksten
Ausdrücke und die höchsten Versicherungen meiner Erkenntlichkeit dafür, dass
er mich jedem andern Sterblichen vorgezogen, um mir einen Teil von diesen ungeheueren
Reichtümern zukommen zu lassen. Wir umarmten uns sodann sehr herzlich, und
nachdem wir einander Lebewohl gesagt haben, zog jeder auf seiner Straße von
dannen.

Ich hatte kaum einige Schritte getan, um meine Kamele,
welche unterdessen auf dem ihnen angewiesenen Weg vorausgegangen, wieder
einzuholen, als der böse Geist des Undanks und des Neids sich meines Herzens
bemächtigte. Ich bejammerte den Verlust meiner vierzig Kamele und noch mehr die
Reichtümer, womit sie beladen waren, „Der Derwisch,“ dachte ich bei
mir selbst, „braucht ja alle diese Reichtümer gar nicht. Er kann ja über
den ganzen Schatz nach Belieben schalten und davon so viel nehmen, als er nur
will.“ Ich überließ mich also dem schwärzesten Undank und entschloss
mich auf einmal, ihm seine Kamele mit ihren Ladungen wegzunehmen.

Um meinen Plan ausführen zu können, ließ ich zuerst
meine Kamele anhalten, und lief dann hinter dem Derwisch her, dem ich aus
Leibeskräften nachrief, als hätte ich ihm noch etwas zu sagen. Zugleich gab
ich ihm ein Zeichen, dass er auch seine Kamele anhalten, und auf mich warten
sollte. Er hörte mein Rufen und stand still.

Als ich ihn eingeholt hatte, sagte ich zu ihm: „mein
Bruder, kaum hatte ich dich verlassen, als ich mir etwas überlegte, woran ich
zuvor nicht gedacht hatte, und woran du selber vielleicht nicht einmal gedacht
haben wirst. Du bist ein guter Derwisch, und daran gewöhnt, ein ruhiges Leben
zu führen, entbunden von allen irdischen Sorgen und ohne alle weiteren
Geschäfte, außer demjenigen, Gott zu dienen. Du weißt aber wohl nicht, welche
Last du dir aufgebürdet hast, indem du eine so große Anzahl von Kamelen
übernahmst. Wenn du mir folgen wolltest, so würdest du dir bloß dreißig
mitnehmen, und ich glaube, dass du selbst mit der Führung dieser noch Mühe
genug haben wirst. Du kannst dich hierin auf mich verlassen, denn ich habe in
diesem Punkt Erfahrung.“

„Ich glaube, dass du Recht hast,“ erwiderte der
Derwisch, der sich außer Stande sah, mir irgend etwas streitig machen zu
können, „und ich gestehe,“ fuhr er fort, „dass ich daran
wirklich nicht gedacht hatte. Ich fing auch bereits an, in Hinsicht dessen, was
du mir da vorstellst, unruhig zu werden. Wähle dir also nach deinem Belieben
zehn davon aus und führe sie in Gottes Namen fort.“

Ich wählte mir nun zehn aus, ließ sie umdrehen und
meinen übrigen Kamelen nachziehen. Ich hatte in der Tat nicht geglaubt, dass
der Derwisch sich so leicht überreden lassen würde. Dies steigerte nun meine
Gier noch mehr, und ich schmeichelte mir, dass ich wohl noch zehn andere ohne
Schwierigkeiten von ihm erhalten würde.

Anstatt ihm also für das reiche Geschenk, das er mir
soeben gemacht hatte, zu danken, sagte ich zu ihm weiter: „Mein Bruder, aus
jener Teilnahme, die ich für deine Ruhe hege, kann ich mich nicht
entschließen, von dir zu scheiden, ohne dich zu bitten, dass du noch einmal
überlegen mögest, wie schwer dreißig Kamele zu leiten sind, besonders für
einen Mann wie du, der an dergleichen Geschäfte gar nicht gewöhnt ist. Du
würdest dich weit wohler fühlen, wenn du mir noch ein solches Geschenk machen
wolltest, als du mir soeben gemacht hast. Ich sage dir das, wie du leicht
siehst, nicht sowohl mir und meinem eigenen Vorteil zu Liebe, als vielmehr, um
dir ein größeres Vergnügen zu verschaffen. Erleichtere dir also deine Last um
noch zehn andere Kamele, und übergib sie mir auch noch, als einem Mann, dem es
nicht mehr Mühe macht, für hundert Kamele zu sorgen, als für ein
einziges.“

Meine Rede machte den gewünschten Eindruck, und der
Derwisch trat mir ohne Weigern die zehn Kamele ab, die ich abermals von ihm
verlangt hatte, so dass ihm nicht mehr als zwanzig übrig blieben. Ich sah mich
nun in Besitz von sechzig Kamelladungen, deren Wert die Reichtümer vieler
Fürsten weit überstieg, und man hätte demnach denken sollen, dass ich jetzt
endlich zufrieden gewesen sein müsste.

Allein, o Beherrscher der Gläubigen, gleich einem
Wassersüchtigen, der, je mehr er trinkt, nur noch mehr Durst bekommt, fühlte
ich in mir eine nur noch heftigere Begierde als zuvor, mir auch die übrigen
zwanzig Kamele, die dem Derwisch geblieben, noch dazu zu verschaffen.

Ich verdoppelte also mein inständiges Bitten, Anliegen
und Andringen, um den Derwisch zu bewegen, dass er mir noch zehn von den zwanzig
schenken möchte, und er willfahrte mir endlich. Was nun noch die übrigen zehn
Kamele betrifft, die er noch hatte, so umarmte ich ihn, küsste ihn, und
erzeigte ihm so viele Liebkosungen, indem ich ihn beschwor, mir es ja nicht
abzuschlagen, und dadurch der ewigen Verpflichtung, die ich gegen ihn haben
würde, die Krone aufzusetzen, dass er endlich durch die Erklärung, er
bewillige mir alles, meine Freude vollkommen machte.

„Mache indessen einen guten Gebrauch davon,
Bruder,“ fuhr er fort, „und erinnere dich stets, dass Gott uns ebenso
leicht die Reichtümer wieder nehmen kann, als er sie uns gibt, wenn wir sie
nicht zu Unterstützung der Armen anwenden, die er bloß deshalb in Dürftigkeit
lässt, um den Reichen Gelegenheit zu geben, sich durch ihre Almosen einen
größeren Lohn in jener Welt zu verdienen.“

Meine Verblendung war so groß, dass ich nicht im Stande
war, einen so heilsamen Rat zu benutzen. Ja ich begnügte mich nicht einmal
damit, mich im Besitz meiner achtzig Kamele zu sehen, und zu wissen, dass sie
mit einem Schatz beladen waren, der mich zum glücklichsten aller Menschen
machen musste, sondern es kam mir in den Sinn, dass das kleine Büchschen mit
Salbe, in dessen Besitz sich der Derwisch gesetzt und das er mir gezeigt hatte,
wohl noch etwas weit kostbareres sein könne, als diese Reichtümer, die ich ihm
verdankte.

„Der Ort, wo der Derwisch es wegnahm,“ sprach
ich bei mir selber, „und die Sorgfalt, womit er nach dem Besitz desselben
trachtete, lässt mich glauben, dass es etwas geheimnisvolles in sich
schließt.“

Dies bewog mich dann, folgendes zu tun, um mir es zu
verschaffen. Ich hatte ihn soeben umarmt und von ihm Abschied genommen. Ich
drehte mich indessen noch einmal zu ihm und sagte: „Noch eins, was willst
du denn mit dem kleinen Salbenbüchsen machen? Es scheint mir sehr
wertlos,“ fuhr ich fort, „dass es nicht der Mühe wert ist, dass du es
mitnimmst. Ich bitte dich also, mir es zu schenken. überhaupt braucht ja ein
Derwisch wie du, der den Eitelkeiten der Welt so ganz entsagt hat, keine
Haarsalbe.“

Wollte Gott, er hätte mir dies Büchschen zu geben
abgeschlagen! Doch, wenn er es hätte tun wollen, so wäre ich meiner Sinne
nicht mehr mächtig gewesen, auch war ich ja stärker als er, und zugleich fest
entschlossen, es ihm mit Gewalt zu nehmen, damit ich die Befriedigung hätte,
dass niemand sagen könne, jener habe auch nur das geringste von dem Schatz
bekommen – wie viele Verpflichtungen ich ihm auch immer schuldig sein mochte.

Der Derwisch indessen, anstatt mir es zu verweigern, zog
es sogleich aus seinem Busen, und überreichte mir es auf die artigste Weise von
der Welt indem er sagte: „Da hast du es, Bruder, damit nicht dies Eine noch
zu deiner völligen Zufriedenheit mangele. Wenn ich sonst noch etwas für dich
tun kann, so darfst du es nur sagen. Ich bin bereit, dir zu willfahren.“