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330. Nacht

Aladdin, welcher diesen Augenblick voll Ungeduld erwartet
hatte, duldete nicht, dass der Sohn des Großwesirs bei der Prinzessin liegen
bleibe. „Nimm diesen jungen Ehemann,“ sagte er zu dem Geist,
„sperr ihn ins heimliche Gemach, und komm morgen früh bald nach
Tagesanbruch wieder.“ Der Geist führte sogleich den Sohn des Großwesirs
im bloßen Hemd aus dem Bett fort, brachte ihn nach dem bezeichneten Ort, und
ließ ihn dort, nachdem er einen Dunst auf ihn gehaucht hatte, den er vom Kopf
bis zu den Zehen hinab fühlte, und der ihn die ganze Nacht hindurch betäubte.

Wie groß auch immer die Liebe Aladdins zu der Prinzessin
war, so führte er doch, sobald er sich mit ihr allein befand, keine langen
Reden mit ihr, sondern sagte zu ihr bloß in einem sehr zärtlichen Ton:
„Fürchtet nichts, anbetungswürdige Prinzessin, ihr seid in Sicherheit,
und wie heftig auch die Liebe ist, die ich für eure Schönheit und Reize
empfinde, so wird sie mich doch nie verleiten können, die Schranken der tiefen
Ehrerbietung, die ich euch schuldig bin, zu überschreiten. Wenn ich,“ fuhr
er fort, „gezwungen worden bin, zu diesen äußersten Maßregeln zu
greifen, so geschah dies nicht in der Absicht, euch zu beleidigen, sondern ich
wollte bloß verhindern, dass ein ungerechter Nebenbuhler euch gegen das von
euerem Vater mir gegebene Wort in Besitz nehmen möchte.“

Die Prinzessin hörte wenig auf das, was er ihr etwa sagen
mochte. Auch war sie ganz außer Stand, ihm zu antworten. Das Schrecken und das
Erstaunen, welches ihr dieses so überraschende und unerwartete Abenteuer
eingeflößt, hatte sie in einen Zustand versetzt, dass Aladdin auch nicht ein
Wort aus ihr herausbringen konnte. Aladdin ließ es indessen dabei nicht
bewenden. Er entkleidete sich, und legte sich an die Stelle des Sohnes des
Großwesirs, der Prinzessin den Rücken kehrend, nachdem er die Vorsicht
gebraucht hatte, zwischen sie beide einen Säbel zu legen, zum Zeichen, dass er
damit bestraft zu werden verdiente, sofern er sich gegen ihre Ehre vergehen
sollte.

Voll Zufriedenheit darüber, dass er seinen Nebenbuhler so
des Glücks beraubt hatte, das er diese Nacht zu genießen gehofft, schlief
Aladdin ganz ruhig ein. Nicht so war es mit der Prinzessin Badrulbudur der Fall.
In ihrem ganzen Leben hatte sie noch keine Nacht so traurig und unangenehm
zugebracht, als diese. Wenn man den Ort und die Lage bedenkt, worin der Geist
den Sohn des Großwesirs verlassen hatte, so wird man leicht erachten können,
dass der junge Ehemann sie noch weit betrübter zubrachte.

Den folgenden Tag hatte Aladdin nicht erst nötig, die
Lampe zu reiben, um den Geist zu rufen. Er kam zu der bezeichneten Stunde
wieder, und sagte zu Aladdin, während dieser sich ankleidete:

„Hier bin ich! Was hast du mir noch zu
befehlen?“

„Geh,“ sagte Aladdin, „und hole den Sohn
des Großwesirs von da wieder ab, wo du ihn hingebracht hast, lege ihn wieder
hier in dies Bett, und trag ihn nach dem Palast des Sultans an denselben Ort
wieder hin, wo du ihn weggenommen.“ Der Geist löste nun den Sohn des
Großwesirs von seinem Posten ab, und Aladdin nahm, als er zurückkam, seinen
Säbel wieder an sich. Er legte den jungen Ehemann neben die Prinzessin, und
trug in einem Augenblick das Brautlager in dasselbe Gemach des Palastes des
Sultans zurück, woraus er es früher weggeführt hatte.

Bei alle dem wurde der Geist weder von der Prinzessin,
noch von dem Sohn des Großwesirs bemerkt. Seine entsetzliche Gestalt wäre im
Stande gewesen, sie bis auf den Tod zu erschrecken. Sie vernahmen sogar nichts
von dem Gespräch zwischen ihm und Aladdin, und bemerkten bloß die
Erschütterung des Bettes und ihre Versetzung von einem Ort zum anderen. Dies
allein war schon hinlänglich, um ihnen einen Schrecken einzujagen, der sich
leicht denken lässt.

Der Geist hatte das Brautbett wieder an seinen Ort
hingestellt, als der Sultan, welcher gern wissen wollte, wie die Prinzessin die
Hochzeitsnacht zugebracht, in das Zimmer herein trat, um ihr einen guten Morgen
zu wünschen. Der Sohn des Großwesirs, der von der verflossenen Nacht noch ganz
durchkältet war, und noch nicht Zeit gehabt hatte, sich zu erwärmen, hatte
kaum gehört, dass jemand die Tür öffnete, als er aufsprang, und in die
Kleiderkammer ging, wo er sich den Abend zuvor ausgekleidet hatte.

Der Sultan näherte sich dem Bett der Prinzessin, küsste
sie, der Sitte gemäß, zwischen die Augen, wünschte ihr einen guten Morgen,
und fragte sie lächelnd, wie ihr diese Nacht bekommen wäre. Aber als er den
Kopf aufhob und sie aufmerksamer betrachtete, fand er sie zu seinem großen
Erstaunen in tiefe Schwermut versenkt. Sie warf ihm bloß einen sehr traurigen
Blick zu, der eine große Betrübnis oder großes Missvergnügen verriet. Er
sprach noch einige Worte zu ihr. Da er aber sah, dass er aus ihr nichts
herausbringen konnte, glaubte er, sie täte dies aus Schamhaftigkeit, und
entfernte sich. Gleichwohl mutmaßte er, ihr Schweigen müsste noch eine andere
ungewöhnliche Ursache haben. Dies veranlasste ihn, sich auf der Stelle nach den
Zimmern der Sultanin zu begeben, welcher er den Zustand, worin er die Prinzessin
gefunden, und die Art, wie sie ihn empfanden hatte, schilderte.
„Herr,“ sagte die Sultanin, „dies darf Euer Majestät nicht
befremden. Es gibt keine Neuvermählte, die nicht am Morgen nach der Hochzeit
eine Zurückhaltung der Art äußerte. In zwei bis drei Tagen wird dies anders
sein! Sie wird dann ihren Vater, wie sich’s gebührt, empfangen. Ich werde
jetzt,“ fuhr sie fort, „sogleich zu ihr hingehen, und ich müsste mich
sehr täuschen, wenn sie mich ebenso empfangen sollte.“

Als die Sultanin angekleidet war, begab sie sich nach den
Zimmern der Prinzessin, welche noch nicht aufgestanden war. Sie näherte sich
ihrem Bett, küsste sie, und bot ihr den Morgengruß. Aber wie groß war ihr
Erstaunen, als sie nicht nur keine Antwort von ihr erhielt, sondern auch bei
näherer Betrachtung an ihr eine tiefe Niedergeschlagenheit entdeckte, welche
schließen ließ, dass ihr irgend etwas begegnet sein müsste, was sie nicht zu
erraten vermochte. „Liebe Tochter,“ sagte die Sultanin zu ihr,
„woher kommt es denn, dass du mir auf meine Liebkosungen gar nicht
antwortest? Solltest du gegen deine Mutter dergleichen Förmlichkeiten annehmen?
Ich will gern glauben, dass dir dies nicht in den Sinn gekommen sei, aber dann
muss dir etwas anderes begegnet sein. Gesteh es mir nur frei heraus, und lass
mich nicht länger in einer so drückenden Ungewissheit.“

Die Prinzessin Badrulbudur unterbrach endlich ihr
Stillschweigen durch einen tiefen Seufzer: „Ach, verehrte Mutter,“
rief sie aus, „verzeiht mir, wenn ich es an der gebührenden Ehrerbietung
gegen euch habe fehlen lassen. Mein Gemüt ist so lebhaft mit den
außerordentlichen Dingen beschäftigt, die mir diese Nacht begegnet sind, dass
ich mich von meinen Staunen und Entsetzen noch nicht erholt, ja sogar Mühe
habe, mich selber wieder zu erkennen.“ Sie schilderte ihr nun mit den
lebhaftesten Farben, wie gleich nach ihrem beiderseitigen Niederlegen ihr Bett
aufgehoben und in einem Augenblick in ein düsteres und dumpfiges Gemach
versetzt worden, wo sie sich ganz allein und von ihrem Gemahl getrennt gesehen
hätte, ohne zu wissen, was aus ihm geworden wäre. Sie fügte dann hinzu, dass
sie da einen jungen Mann gesehen, der ihr zuerst einige Worte gesagt, welche sie
vor Schrecken aber nicht verstanden, und der sich sodann an die Stelle ihres
Gemahls neben sie hingestreckt hätte, nachdem er einen Säbel zwischen sie und
sich gelegt. Sie erzählte auch, wie ihr Gemahl ihr endlich wiedergegeben, und
das Bett in ebenso kurzer Zeit wieder an seine vorige Stelle zurückgetragen
worden. „Dies alles,“ fuhr sie fort, „war so eben geschehen, als
mein Vater, der Sultan, in mein Zimmer trat. Ich war so von Traurigkeit
niedergedrückt, dass ich nicht im Stande war, ihm auch nur ein einziges Wort zu
antworten. Vielleicht mag er auch die Art und Weise übel aufgenommen haben, wie
ich die, mir von ihm erzeigte, Ehre aufnahm, aber ich hoffe, er wird mir
verzeihen, wenn er mein seltsames Abenteuer und den beklagenswerten Zustand,
worin ich mich jetzt noch befinde, erfahren haben wird.“