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31. Nacht

Scheherasade säumte nicht, ihr Versprechen
zu halten, und begann die Erzählung von dem Schicksale der Königin Zauberin
folgendermaßen:

„Sobald die Zauberin einige Worte über
die Fische und den Teich ausgesprochen hatte, erschien auf der Stelle die Stadt
wieder. Die Fische wurden zu Männern, Weibern und Kindern, Mohammedanern,
Christen, Persern und Juden1),
Freien und Sklaven: kurz, jeder nahm seine natürliche Gestalt wieder an. Die
Häuser und Läden füllten sich alsbald wieder mit ihren Einwohnern, welche
darin alle Sachen in derselben Lage und Ordnung fanden, worin sie vor der
Verzauberung waren.

Das zahlreiche Gefolge des Sultans, welches
sich mitten auf dem großen Platze gelagert fand, war nicht wenig erstaunt, sich
in einem Augenblicke mitten in eine schöne, weite und volkreiche Stadt versetzt
zu sehen.

Als die Zauberin diese wunderbare Verwandlung
vollbracht hatte, begab sie sich eilends wieder nach dem Tränenpalast, um die
Früchte davon einzuernten. „Mein geliebter Herr,“ rief sie im
Eintreten aus, „ich komme, mich mit dir über die Wiederkehr deiner
Gesundheit zu freuen; ich habe alles getan, was du von mir gefordert hast: stehe
also auf, und reiche mir die Hand.“ – „Komm her,“ sagte der
Sultan zu ihr, immerfort die Sprache der Schwarzen nachahmend. Sie näherte
sich. „Es ist noch nicht genug,“ fuhr er fort, „komm noch
näher.“ Sie folgte. Da erhob er sich, und ergriff sie so ungestüm bei dem
Arme, dass sie nicht Zeit hatte, sich zu besinnen; und mit einem Streich seines
Säbels hieb er ihren Leib in zwei Stücke.

Als dies vollbracht war, ließ er den
Leichnam dort liegen, trat aus dem Tränenpalast, und eilte zu dem jungen
Fürsten der Schwarzen Inseln, der ihn mit Ungeduld erwartete.
„Fürst,“ sprach er zu ihm, indem er ihn umarmte, „ihr habt
nichts mehr zu fürchten: eure grausame Feindin ist nicht mehr.“

Der junge Fürst dankte dem Sultan auf eine
Weise, welche zeigte, dass sein Herz von Erkenntlichkeit erfüllt war: und zum
Lohn für den so wichtigen Dienst, welchen er ihm geleistet hatte, wünschte er
ihm ein langes Leben in aller Glückseligkeit.

„Ihr könnt fortan,“ sagte der
Sultan zu ihm, „ruhig in eurer Hauptstadt wohnen, wenn ihr nicht etwa in
die meine kommen wollt, welche ihr so nahe liegt: ich werde euch mit Vergnügen
darin empfangen, und ihr sollt darin nicht minder geachtet und geehrt werden,
als in der euren.“

„Mächtiger Sultan,“ antwortete der
König, „ihr glaubt also sehr nahe bei eurer Hauptstadt zu sein?“ –
„Ja,“ erwiderte der Sultan, ich glaube, es sind nicht mehr als vier
oder fünf Stunden Weges.“ – „Es ist eine Reise von einem ganzen
Jahre,“ fuhr der König fort. „Ich will wohl glauben, dass ihr von
eurer Hauptstadt in so kurzer Zeit hierher gekommen seid, wie ihr sagt, weil die
meine verzaubert war; aber seitdem sie es nicht mehr ist, so haben sich die
Dinge sehr geändert. Das soll mich aber nicht hindern, euch zu folgen, und
wäre es bis zu die äußersten Enden der Erde. Ihr seid mein Befreier; und um
euch mein Leben lang meine Erkenntlichkeit zu bezeigen, so will ich euch
begleiten, und ohne Bedauern mein Königreich verlassen.“

Der Sultan war außerordentlich überrascht,
zu vernehmen, dass er so fern von seinen Staaten wäre, und er begriff nicht,
wie das zugehen konnte. Aber der junge König der Schwarzen Inseln überzeugte
ihn so gut von dieser Möglichkeit, dass er nicht mehr daran zweifelte. „Es
verschlägt nichts,“ sagte darauf der Sultan: „die Mühe der Heimkehr
in meine Staaten ist hinlänglich belohnt durch die Genugtuung, euch gedient,
und mir in euch einen Sohn erworben zu haben; denn, weil ihr mir die Ehre antun
wollt, mich zu begleiten, und ich keine Kinder habe, so betrachte ich euch als
solchen; und ich ernenne euch von heut an zu meinem Erben und Nachfolger.“

Die Unterhaltung des Sultans und des Königs
der Schwarzen Inseln endigte mit den zärtlichsten Umarmungen, worauf der junge
König nur auf die Vorbereitungen zu seiner Abreise bedacht war. Diese waren
binnen drei Wochen vollendet, zum großen Leidwesen seines ganzen Hofes und
seiner Untertanen, welche von seiner Hand einen seiner nahen Verwandten zum
König empfingen.

Kurz, der Sultan und der junge Prinz begaben
sich auf den Weg, mit hundert Kamelen, welche mit unschätzbaren Reichtümern
aus den Kammern des jungen Königs beladen waren; und diesen begleiteten
fünfzig trefflich berittene und ausgerüstete Ritter. Ihre Reise war
glücklich, und als der Sultan, welcher Eilboten voraus gesandt hatte, um
Nachricht zu geben von seiner Entfernung und dem Abenteuer, das davon die
Ursache war, in der Nähe der Hauptstadt anlangte, kamen die vornehmsten
Beamten, welche er dort zurückgelassen hatte, ihm zum Empfang entgegen, und
versicherten ihn, dass seine lange Abwesenheit keine Veränderung in seinem
Reiche herbeigeführt hätte. Die Einwohner kamen auch haufenweise heraus,
empfingen ihn mit lautem Jubel, und stellten Freudenfeste an, welche mehrere
Tage währten.

Am folgenden Morgen nach seiner Heimkunft
machte der Sultan allen seinen versammelten Hofleuten einen sehr umständlichen
Bericht von den Begebenheiten, welche wider seine Erwartung seine Abwesenheit so
verlängert hatten. Er erklärte ihnen demnächst, dass er den König der vier
Schwarzen Inseln an Kindesstatt angenommen, welcher gern ein großes Königreich
verlassen hätte, um ihn zu begleiten, und bei ihm zu bleiben. Endlich, um ihre
Treue zu belohnen, die sie ihm alle bewahrt hatten, gab er ihnen reiche
Geschenke, im Verhältnis des Ranges, welchen jeder an seinem Hofe einnahm.

Was den Fischer betrifft, welcher der erste Anlass der Befreiung des jungen
Königs war, so überhäufte ihn der Sultan mit Gütern, und machte ihn nebst
seiner Familie sehr glücklich für ihre übrige Lebenszeit.“

Scheherasade endigte hier das Märchen von
dem Fischer und dem Geiste. Dinarsade bezeugte, dass es ihr unendliches
Vergnügen gemacht hätte. Und als auch Schachriar ihr dieselbe Genugtuung
bezeugt hatte, sagte Scheherasade, dass sie noch ein viel schöneres Märchen
wüsste, und wenn der Sultan es erlaubte, so wollte sie es in der nächsten
Nacht erzählen; denn der Tag brach schon an.

Schachriar, neugierig, ob dieses Märchen
wirklich so anmutig wäre, als sie verhieß, stand mit dem Entschluss auf, es in
der folgenden Nacht zu hören.


1)
Durch diese Farben unterscheiden sich im allgemeinen die Turbane dieser
verschiedenen Glaubensgenossen.