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302. Nacht

Die arme Mutter, welche nicht geglaubt hatte, dass ihr
Sohn so schnell von Drohungen zu Tätlichkeiten übergehen würde, fing beim
ersten Schlag an, aus Leibeskräften nach Hilfe zu rufen. Doch Abu Hassan
hörte, bis die Nachbarn herbeigelaufen kamen, nicht auf, sie zu schlagen, indem
er sie bei jedem Schlag fragte: „Bin ich Beherrscher der Gläubigen?“,
worauf die Mutter dann jedes Mal sehr liebevoll antwortete: „Du bist mein
Sohn.“

Die Wut Abu Hassans begann ein wenig nachzulassen, als die
Nachbarn in sein Zimmer geeilt kamen. Der erste, welcher herein trat, warf sich
sogleich zwischen seine Mutter und ihn, riss ihm den Stock aus der Hand, und
sagte zu ihm: „Was tust du, Abu Hassan? Hast du deine Vernunft und alle
Furcht vor Gott verloren? Hat es wohl je ein wohl gezogener Sohn, wie du bist,
gewagt, seine Hand gegen seine Mutter aufzuheben, und schämst du dich nicht,
die deinige, welche dich so zärtlich liebt, so zu behandeln?“

Abu Hassan, der noch ganz voll Wut war, sah denjenigen,
der mit ihm redete, stillschweigend an, und fragte hierauf, indem er auf die
übrigen mitgekommenen Nachbarn unstete Blicke warf: „Wer ist dieser Abu
Hassan, von dem ihr sprecht? Meint ihr mich mit diesem Namen?“

Diese Frage brachte die Nachbarn etwas außer Fassung.
„Wie?“, erwiderte derselbe, der zuerst gesprochen, „du willst
diese Frau da nicht mehr für diejenige anerkennen, die dich erzogen hat und bei
der du seither fortwährend gewohnt hast, mit einem Worte, nicht für deine
Mutter?“ – „Du bist ein Unverschämter,“ antwortete Abu Hassan.
„Ich kenne sie so wenig, als dich, und ich mag sie auch nicht kennen. Ich
bin nicht Abu Hassan, sondern der Beherrscher der Gläubigen, und wenn ihr das
noch nicht wisst, so werde ich es euch auf eure Unkosten lehren lassen.“

Bei diesen Reden Abu Hassans zweifelten die Nachbarn nicht
mehr an seiner Geistesabwesenheit, und um zu verhindern, dass er sich nicht noch
einmal wieder an seiner Mutter vergreifen möchte, packten sie ihn ungeachtet
seines Widerstrebens ganz fest und banden ihm Arme, Hände und Füße. Obwohl er
nun in einem Zustand war, wo er nicht mehr schaden zu können schien, hielten
sie es gleichwohl nicht für angemessen, ihn mit seiner Mutter allein zu lassen.
Zwei von der Gesellschaft entfernten sich, gingen schleunigst nach dem
Narrenhaus, und gaben dem Aufseher desselben einen Wink von dem, was da vorging.
Dieser begab sich sogleich mit den Nachbarn und in zahlreicher Begleitung seiner
Leute mit Ketten, Handschellen und einem Ochsenziemer dahin.

Abu Hassan, der auf nichts weniger als auf so schreckliche
Anstalten gefasst war, strengte sich bei Ankunft dieser Leute aufs äußerste
an, um sich seiner Bande zu entledigen. Allein der Narrenwärter ließ sich den
Ochsenziemer reichen und brachte ihn durch zwei bis drei tüchtige Hiebe, die er
ihm auf die Schultern gab, sehr bald wieder zur Vernunft. Diese Behandlung
wirkte auf Abu Hassan so gut, dass er sich mäßigte, und dass der
Narrenhausaufseher und seine Leute mit ihm machen konnten, was sie wollten. Sie
baden ihn mit Ketten, legten ihm Hand- und Fußschellen an, und als sie fertig
waren, schleppten sie ihn aus seiner Wohnung und führten ihn ins Narrenhaus.

Abu Hassan war kaum auf der Straße, als er sich auch
schon von einer Menge Volks umringt sah. Der eine gab ihm einen Faustschlag, ein
anderer eine Ohrfeige, noch andere überhäuften ihn mit Schmähworten, indem
sie ihn als einen Unsinnigen, Narren und Verrückten behandelten.

Bei all dieser schlechten Behandlung sagte er: „Es
gibt keine Größe und keine Kraft, als in dem höchsten und allmächtigen Gott!
Man will mich zum Narren machen, obwohl ich bei gesundem Verstand bin. Ich
erdulde indessen diese Schmach und diese Beschimpfungen um Gottes Barmherzigkeit
willen.“

Abu Hassan wurde nun auf diese Weise ins Narrenhaus
geführt. Man brachte ihn da unter, und sperrte ihn in einen eisernen Käfig.
Ehe er indessen da hinein verschlossen wurde, begrüßte ihn der Narrenwärter,
der zu dergleichen gewaltsamen Verfahren schon ganz abgehärtet war, ganz
unbarmherzig und fünfzig Hieben mit dem Ochsenziemer auf die Schultern und den
Rücken, und fuhr länger als drei Wochen lang fort, so dass er ihm täglich
dieselbe Tracht Schläge erteilte und ihm jedes Mal die Worte wiederholte:
„Komm wieder zu Verstande, und sage, ob du noch Beherrscher der Gläubigen
bist.“

„Ich brauche deinen guten Rat nicht,“ erwiderte
Abu Hassan. „Ich bin kein Narr, aber wenn ich es werden sollte, so würde
nichts so sehr imstande sein, mich in dieses Unglück zu stürzen, als die
Schläge, womit du mich misshandelst.“

Die Mutter Abu Hassans besuchte unterdessen ihren Sohn
regelmäßig jeden Tag. Sie konnte sich der Tränen nicht enthalten, wenn sie
seine Leibesfülle und seine Kräfte so hinschwinden sah und ihn über die
Schmerzen, die er empfand, klagen und seufzen hörte. In der Tat waren seine
Schultern, Seiten und Rücken braun und blau geschlagen, und er wusste nicht,
auf welche Seite er sich wenden und legen sollte, um Ruhe zu finden. Auch
schälte sich ihm während seiner Verhaftung in diesem abscheulichen
Aufenthaltsort mehrere Male die Haut ab. Seine Mutter wollte ihm Trost
zusprechen und ihn auszuforschen suchen, ob er in Hinsicht seiner angeblichen
Kalifenwürde noch immer in derselben Geistesstimmung sich befände. Allein so
oft sie den Mund öffnete, um etwas der Art zu berühren, wies er sie mit so
viel Ungestüm zurück, dass sie sich genötigt sah, ihn zu lassen und
untröstlich über eine solche Hartnäckigkeit heimzukehren.

Die tiefen und mächtigen Eindrücke, welche in Abu
Hassans Seele von jenem Tag zurückgeblieben waren, wo er sich im Staatskleid
des Kalifen gesehen, alle Geschäfte desselben verrichtet, die Gewalt desselben
ausgeübt, und ganz so wie ein Kalif Gehorsam gefunden hatte, diese Eindrücke,
die ihm bei seinem Erwachen vorgespiegelt hatten, er wäre es wirklich, und die
ihn so lange Zeit in diesem Irrtum festgehalten hatten, fingen allmählich an,
in seiner Seele zu erlöschen.

„Wenn ich wirklich Kalif und Beherrscher der
Gläubigen wäre,“ sprach er bisweilen zu sich selbst, „warum befand
ich mich denn bei meinem Erwachen auf meinem Zimmer und in meiner gewöhnlichen
Kleidung? Warum sah ich nicht mehr das Oberhaupt der Verschnittenen, alle die
übrigen Verschnittenen und jene Menge von schönen Frauen um mich? Warum
sollten der Großwesir Giafar, den ich zu meinen Füßen sah, so viele Emire, so
viele Statthalter der Provinzen, und so viele andere Hofbeamte, von denen ich
mich umgeben sah, mich auf einmal verlassen haben? Gewiss, wenn ich die mindeste
Gewalt über sie hätte, würden sie mich längst aus dem jämmerlichen Zustand,
worin ich mich befinde, befreit haben. Aber alles war bloßer Traum, ich muss
mich schon dazu bequemen es zu glauben. Freilich habe ich wohl dem
Polizeirichter befohlen, den Imam und die vier Greise, die seine Ratgeber sind,
zu bestrafen. Ich habe ferner dem Großwesir Giafar aufgetragen, meiner Mutter
tausend Goldstücke zu überbringen: Und meine Befehle sind vollzogen worden.
Dies macht mich wieder stutzig, und ich kann es nicht begreifen. Aber wie viele
andere Dinge gibt es nicht, die ich nicht begreife, und nie begreifen werde? Ich
will mich also hierin der Hand Gottes übergeben, der alles weiß und alles
kennt.“