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297. Nacht

Als das Oberhaupt der Verschnittenen bemerkte, dass Abu
Hassan aufstehen wollte, reichte er ihm seine Hand, und half ihm aus dem Bett
steigen. Sobald er auf den Füßen war, hallte das ganze Zimmer von dem
Morgengruß wieder, den ihm die sämtlichen Diener und jungen Frauen mit diesen
Worten zuriefen: „Beherrscher der Gläubigen, Gott verleihe Euer Majestät
einen glücklichen Tag!“

„Himmel, welches Wunder!“, rief Abu Hassan.
„Gestern Abend war ich noch Abu Hassan, und diesen Morgen bin ich
Beherrscher der Gläubigen? Ich begreife diese schnelle und überraschende
Veränderung nicht.“ Die hierzu bestimmten Diener kleideten ihn hierauf
schnell an. Als sie fertig waren, hatten sich unterdessen die übrigen Diener,
die Verschnittenen und Frauen, in zwei Reihen bis zu der Türe aufgestellt,
durch welche er in den Ratsversammlungssaal eintreten sollte. Mesrur ging jetzt
voran, und Abu Hassan hinter ihm her. Der Türvorhang wurde in die Höhe
gezogen, und die Tür durch einen Türsteher geöffnet. Mesrur trat in den
Ratsversammlungssaal und ging so vor ihm her bis an den Fuß des Thrones, wo
selbst er stehen blieb, um ihn beim Hinaufsteigen zu unterstützen, indem er ihn
auf der einen Seite unter dem Arme fasste, während ein anderer Diener, der ihm
folgte, ihn ebenso auf der andern Seite beim Hinaufsteigen unterstützte.

Abu Hassan setzte sich unter dem Zuruf der Türsteher, die
ihm alles Glück und allen Segen wünschten, und indem er seine Augen links und
rechts hin wendete, sah er die Befehlshaber der Leibwache in der schönsten
Ordnung und in der besten Haltung aufgestellt.

Der Kalif war unterdessen aus dem Kabinett, worin er sich
bisher verborgen gehalten, in ein anderes getreten, welches die Aussicht nach
dem Saal hatte, und von wo aus er alles sehen und hören konnte, was in der
Ratsversammlung vorging, wenn er einmal Unpässlichkeit halben nicht zugegen
sein konnte, und sein Großwesir darin an seiner Statt den Vorsitz führte. Was
ihm gleich anfangs sehr gut gefiel, war, dass Abu Hassan auf seinem Thron sich
fast mit ebenso viel Würde benahm, wie er selber.

Sobald Als Abu Hassan Platz genommen hatte, trat der
Großwesir herein, warf sich am Fuß des Thrones nieder, stand wieder auf, und
redete ihn mit den Worten an: „Beherrscher der Gläubigen, Gott möge Euer
Majestät mit seiner Gunst in diesem Leben überhäufen, euch sodann im andern
Leben in sein Paradies aufnehmen, und eure Feinde in die Flammen der Hölle
stürzen!“

Abu Hassan konnte nach dem, was ihm seit seinem Erwachen
begegnet war, und was er aus dem Mund des Großwesirs vernommen hatte, nicht
mehr zweifeln, dass er wirklich Kalif sei, so wie er es sich immer gewünscht
hatte. Ohne daher erst lange zu fragen, wie oder durch welchen Zufall eine so
unerwartete Glücksveränderung mit ihm vorgegangen, fasste er auf der Stelle
den Entschluss, von seiner Macht Gebrauch zu machen. Er sah also den Großwesir
mit einer würdevollen Miene an und fragte ihn, ob er ihm etwas zu sagen hätte.

„Beherrscher der Gläubigen,“ erwiderte der
Großwesir, „die Emire, die Wesire, und die übrigen Staatsdiener, welche
Sitz und Stimme in der Ratsversammlung Euer Majestät haben, sind vor der Türe
und warten bloß auf den Augenblick, wo Euer Majestät ihnen erlauben wird,
herein zu treten und euch die gewöhnliche Ehrfurcht zu bezeigen.“ Abu Hassan
befahl sogleich, dass man ihnen öffnen sollte. Der Großwesir drehte sich um
und wandte sich an den Obertürsteher, der bloß auf Befehle wartete:
„Obertürsteher,“ sagte er zu ihm, „der Beherrscher der
Gläubigen befiehlt dir, deine Pflicht zu tun.“

Die Türe wurde geöffnet, und in diesem Augenblick traten
die Emire und höchsten Beamten des Hofes, alle in prächtigen Staatskleidern
und in der schönsten Ordnung, herein, näherten sich dem Fuß des Thrones, und
bezeigten, jeder nach der Reihe, Abu Hassan ihre Ehrfurcht, indem sie, wie vor
der Person des Kalifen, ein Knie zur Erde und ihre Stirn gegen den Fußteppich
neigten, und ihn, der Anweisung des Großwesirs zufolge, mit dem Namen
„Beherrscher der Gläubigen“ begrüßten. Worauf jeder den ihm
zugehörigen Platz einnahm.

Als diese Zeremonie geendigt war und sie sich alle gesetzt
hatten, erfolgte eine tiefe Stille.

Nun begann der Großwesir, der immer noch vor dem Thron
stand, seinen Bericht über verschiedene Angelegenheiten, wie er sie der Reihe
nach auf seinem Blatt stehen hatte. Diese Angelegenheiten waren freilich sehr
alltäglich und von geringer Bedeutung. Gleichwohl benahm sich Abu Hassan
bewunderungswürdig. In der Tat, er stockte auch nicht einmal, und geriet bei
keiner in die mindeste Verlegenheit. Er erklärte sich über alles, den
Eingebungen des gesunden Menschenverstandes gemäß, sehr richtig. Mochte es nun
der Fall sein, dass etwas zu bewilligen, oder dass etwas abzuschlagen war.

Ehe noch der Großwesir seinen Bericht geendet hatte,
bemerkte Abu Hassan den Polizeirichter, den er von Gesicht kannte, auf seinem
Platz. „Warte einen Augenblick,“ unterbrach er den Großwesir,
„ich habe dem Polizeirichter einen dringenden Befehl zu erteilen.“

Der Polizeirichter, der seine Augen auf Abu Hassan
gerichtet hatte und bemerkte, dass ihn Abu Hassan besonders ansah, hörte kaum
seinen Namen nennen, als er sofort von seinem Platz aufstand, sich ehrerbietig
dem Thron näherte, und sich am Fuß desselben mit dem Angesicht zur Erde warf.
„Polizeirichter,“ sagte Abu Hassan zu ihm, nachdem er wieder
aufgestanden war, „geh augenblicklich und unverzüglich in das und das
Viertel und in die und die Straße. In dieser Straße steht eine Moschee, worin
du einen Imam und vier Greise mit silberweißen Bärten antreffen wirst.
Bemächtige dich dieser Personen, und lass jedem der vier Greise hundert,
dagegen dem Imam vierhundert Schläge mit dem Ochsenziemer geben. Sodann lass
sie alle fünf, jeden auf ein Kamel setzen, und zwar in Lumpen gekleidet und mit
dem Gesicht nach dem Schweif des Kamels hingewendet. In diesem Aufzug lass sie
durch alle Viertel der Stadt führen, und einen Ausrufer vor ihnen her mit
lauter Stimme ausrufen: „Dies ist die Strafe derer, die sich in anderer
Angelegenheit mischen, die sie nichts angehen, und die sich ein Geschäft daraus
machen, die Familien ihrer Nachbarn zu beunruhigen und unter ihnen alles
mögliche Unheil zu stiften!“

„Außerdem will ich auch noch, dass du ihnen ja
einschärfst, in ein anderes Stadtviertel zu ziehen, mit dem Verbot, nie wieder
einen Fuß in dasjenige zu setzen, aus dem sie fort gewiesen wurden. Während nun
dein Unteraufseher sie in dem erwähnten Zug herumführt, kannst du hierher
zurückkommen und mir von der Vollziehung meiner Befehle Bericht
abstatten.“

Der Polizeirichter legte die Hand auf den Kopf, zum
Zeichen, dass er bei Strafe des Verlustes desselben den soeben erhaltenen Befehl
vollziehen werde. Dann warf er sich nochmals vor dem Thron nieder, stand wieder
auf und entfernte sich.

Dieser mit so viel Festigkeit erteilte Befehl machte dem
Kalifen ein umso größeres Vergnügen, weil er daraus ersah, dass Abu Hassan
ohne Verzug die Gelegenheit, den Imam und jene Greise seines Viertels zu
bestrafen, benutzte, indem ihre Bestrafung das erste war, woran er in seiner
neuen Würde eines Kalifen gedacht hatte.