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287. Nacht

Chodadad aber zeigte durch sein Standhalten, dass er sein
Leben verteidigen wollte. Er näherte sich ihm, und hieb ihn kräftig in das
Knie. Als der Schwarze sich verwundet fühlte, stieß er ein so entsetzliches
Geschrei aus, dass die ganze Ebene davon widerhallte. Er wird rasend und
schäumt vor Wut, hebt sich in den Steigbügeln empor, und will mit seinem
furchtbaren Schwerte Chodadads Schlag erwidern. Der Streich wurde so jählings
geführt, dass es um den jungen Prinzen geschehen wäre, wenn er ihm nicht durch
eine geschickte Schwenkung seines Rosses ausgewichen wäre. Das Schwert fuhr mit
grauenvollem Sausen durch die Luft. Jetzt aber, bevor der Schwarze einen zweiten
Streich ausholen konnte, gab ihm Chodadad einen so kräftigen Schlag auf den
rechten Arm, dass er ihn abhieb. Das schreckliche Schwert fiel zugleich mit der
Faust, die es hielt, zu Boden. Der Schwarze, von der Gewalt des Schlages
getroffen, sank alsbald aus den Bügeln, und von seinem Falle erdröhnte die
Erde. Hierauf stieg der Prinz von seinem Ross, warf sich über den Feind her,
und hieb ihm den Kopf ab.

In diesem Augenblicke tat das Fräulein, deren Augen
Zeugen dieses Kampfes gewesen waren und für den jungen, von ihr bewunderten
Helden heiße Gebete gen Himmel sandte, einen Freudenschrei, und sprach dann zu
Chodadad:

„Prinz, denn der schwere Sieg, welchen ihr hier
errungen habt, sowohl als euer edles Wesen überzeugt mich, dass ihr nicht von
meinem Stand seid, vollendet euer Werk: Der Schwarze trägt die Schlüssel des
Schlosses bei sich, nehmt sie, und kommt, mich aus diesem Gefängnis zu
befreien.“

Der Prinz durchsuchte die Taschen des Elenden, der im
Staube dahingestreckt lag, und fand darin mehrere Schlüssel.

Er öffnete die erste Pforte, und trat in einen großen
Hof, wo er schon das Fräulein antraf, die ihm entgegen kam. Sie wollte sich,
zum Zeichen ihrer tiefsten Dankbarkeit, ihm zu Füßen werfen. Er aber
verhinderte sie daran. Sie pries seine Tapferkeit und erhub ihn über alle
Helden der Welt.

Er erwiderte ihre Höflichkeiten, und da sie ihm in der
Nähe noch schöner erschien, als von ferne, so weiß ich nicht, ob sie über
ihre Befreiung aus einer so furchtbaren Gefahr mehr Freude fühlte, als er
darüber, dass er einem so schönen Fräulein einen so wichtigen Dienst
geleistet hatte.

Ihre Unterredung wurde durch Geschrei und Gestöhn
unterbrochen. „Was höre ich?“, rief Chodadad. „Woher kommen
diese kläglichen Töne, die an mein Ohr schlagen?“

„Herr,“ antwortete das Fräulein, indem sie ihm
eine niedrige Türe innerhalb des Hofes zeigte, „sie kommen von dort her:
Es stecken da, ich weiß nicht wie viel Unglückliche, welche ihr Unstern in die
Hände des Schwarzen fallen ließ. Sie liegen alle in Ketten, und jeden Tag zog
dieses Ungeheuer einen hervor, um ihn zu fressen.“

„Es erhöht meine Freude noch mehr,“ fuhr der
junge Prinz fort, „zu vernehmen, dass mein Sieg diesen Unglücklichen das
Leben rettet. Kommt, edles Fräulein, und teilt mit mir das Vergnügen, sie in
Freiheit zu setzen. Ihr könnt an euch selber die Freude ermessen, welche wir
ihnen machen werden.“

Mit diesen Worten näherten sie sich der Türe des
Gefängnisses. Je näher sie kamen, je deutlicher konnten sie das Wehklagen der
Gefangenen vernehmen. Chodadad ward davon tief gerührt. Ungeduldig, ihr Leiden
zu endigen, stieß er schleunig einen Schlüssel in das Schloss. Er traf anfangs
nicht den rechten, und nahm einen andern: Bei diesem Geräusch wähnten alle die
Unglücklichen, es wäre der Schwarze, der, wie gewöhnlich, ihnen zu essen
bringen und zugleich einen der Unglücks-Gefährten zu seinem Fraß holen
wollte, und verdoppelten ihr Angstgeschrei: So klägliche Stimmen ließen sich
hören, als wenn sie aus dem Mittelpunkt der Erde herauf tönten.

Unterdessen öffnete der Prinz die Türe, und fand eine
sehr steile Treppe, auf welcher er in ein tiefes und weites Gewölbe hinab stieg,
das durch ein Luftloch schwach erhellt war, und worin mehr als hundert Menschen
mit gefesselten Händen an Pfähle gebunden waren.

„Unglückliche Reisende,“ sprach er zu ihnen,
„unselige Schlachtopfer, die ihr nur den Augenblick eines grausamen Todes
erwartet, dankt dem Himmel, welcher euch heute vermittelst meines Armes befreit!
Ich habe den furchtbaren Schwarzen, dessen Beute ihr wart, getötet, und ich
komme, eure Ketten zu zerbrechen.“

Die Gefangenen hatten nicht sobald diese Worte gehört,
als sie alle zusammen ein Geschrei des Erstaunens und der Freude ausstießen.
Chodadad und das Fräulein fingen an, sie loszubinden. So wie welche von ihren
Ketten befreit waren, so halfen sie dem andern aus den ihrigen, so dass binnen
kurzer Zeit alle in Freiheit waren.

Jetzt warfen sie sich zu Chodadads Füßen, und nachdem
sie ihm für ihre Befreiung gedankt hatten, verließen sie das Gewölbe. Und als
sie nun auf dem Hof waren, wie groß war das das Erstaunen des Prinzen, unter
den Gefangenen auch seine Brüder zu treffen, welche er so lange suchte und
nicht mehr zu finden hoffte.

„Ah, Prinzen,“ rief er aus, als er sie
erblickte, „täusche ich mich nicht? Seid ihr es wirklich? Darf ich mir
schmeicheln, dass ich euch dem König eurem Vater wiedergeben kann, der über
euren Verlust untröstlich ist? Aber sollte auch nicht einer von euch zu
beweinen sein? Seid ihr alle am Leben? Ach! Der Tod eines einzigen reicht hin,
die Freude zu vergiften, welche ich darüber empfinde, euch gerettet zu
haben!“

Die neunundvierzig Prinzen gaben sich sämtlich Chodadad
zu erkennen, der sie einen nach dem andern umarmte, und ihnen die Unruhe
mitteilte, in welche ihre Abwesenheit den König versetzte. Sie erteilten ihrem
Befreier alle Lobsprüche, die er verdiente. Dasselbe taten die übrigen
Gefangenen, die keine Ausdrücke stark genug finden konnten, um ganz die
Dankbarkeit zu bezeugen, von welcher sie sich durchdrungen fühlten.

Chodadad durchsuchte hierauf mit ihnen das Schloss, und
fanden darin unermessliche Reichtümer, feine Leinwand, Goldbrokate, persische
Teppiche, chinesischen Atlas, und eine Menge anderer Waren, welche der Schwarze
den geplünderten Karawanen abgenommen hatte, und wovon der größte Teil den
von Chodadad soeben befreiten Gefangene gehörte. Jeder erkannte sein Gut, und
nahm es in Anspruch. Der Prinz ließ sie ihre Ballen nehmen, und verteilte
selbst noch die übrig bleibenden Waren unter ihnen.

Hierauf sprach er zu ihnen: „Wie wollt ihr aber eure
Ballen fortbringen? Wir sind in einer Wüste, und es hat keinen Anschein, dass
ihr hier Pferde finden werdet.“

„Herr,“ antwortete einer der Gefangenen,
„der Schwarze hat mit unsern Waren auch unsere Kamele geraubt, vielleicht
stehen sie noch in den Ställen dieses Schlosses.“

„Das ist nicht unmöglich,“ versetzte Chodadad,
„wir müssen nachforschen.“

Zu gleicher Zeit ging er mit ihnen in die Ställe, wo sie
nicht nur die Kamele der Kaufleute, sondern auch die Pferde der Söhne des
Königs von Harran fanden, was alle mit Freuden erfüllte.

In den Ställen befanden sich auch einige schwarze
Sklaven, welche, als sie alle die Gefangenen befreit sahen und daraus auf den
Tod des Schwarzen schlossen, in Schreck gerieten und auf ihnen bekannten
Auswegen entflohen. Man dachte nicht daran, sie zu verfolgen. Die Kaufleute,
voller Freude, mit ihrer Freiheit auch ihre Waren und Kamele wieder erhalten zu
haben, rüsteten sich zur Heimkehr: Aber vor ihrer Abreise dankten sie nochmals
ihrem Befreier.

Als sie weg waren, wandte sich Chodadad zu dem Fräulein,
und fragte sie: „Wohin, edles Fräulein, wünscht ihr euch zu begeben?
Wohin wolltet ihr reisen, als ihr von dem Schwarzen überfallen wurdet? Ich will
euch nach dem Ort führen, welchen ihr als Zuflucht erwählt habt, und ich
zweifle nicht, dass diese Prinzen sämtlich ebenso gesonnen sind.“ Die
Söhne des Königs von Harran beteuerten dem Fräulein, sie würden sie nicht
eher verlassen, als bis sie sie ihren Eltern wiedergegeben hätten.

„Prinzen,“ sprach sie hierauf zu ihnen,
„ich bin aus einem von hierzu weit entfernten Land. Es hieße eure Großmut
zu missbrauchen, wenn ich euch einen so weiten Weg machen ließe: übrigens muss
ich euch auch bekennen, dass ich von meinem Vaterland für immer geschieden bin.
Ich habe euch vorhin gesagt, ich sei ein Fräulein aus Kairo, aber nach der mir
von euch bewiesenen Güte, und nach der Verpflichtung, welche ich gegen euch
habe, Herr,“ fügte sie hinzu, indem sie Chodadad ansah, „würde ich
sehr undankbar sein, wenn ich euch länger die Wahrheit verhehlte. Ich bin die
Tochter eines Königs. Ein Kronenräuber hat sich des Throns meines Vaters
bemächtigt, nachdem er ihm das Leben geraubt hat. Um nun das meinige zu retten,
war ich genötigt, die Flucht zu ergreifen.“

Nach diesem Bekenntnis bat Chodadad mit seinen Brüdern
die Prinzessin, ihnen ihre Geschichte zu erzählen, indem sie sie versicherten,
dass sie allen möglichen Teil an ihrem Unglück nähmen, und bereit wären,
nichts zu sparen, um sie wieder glücklich zu machen.

Nachdem sie ihnen für diese neuen Beteuerungen ihrer
Dienstwilligkeit gedankt hatte, konnte sie nicht umhin, ihre Neugier zu
befriedigen, und sie begann folgendermaßen die Erzählung ihrer Abenteuer: