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242. Nacht

„Herr, sobald der Greis den grausamen Befehl erteilt
hatte, bemächtigte sich Gasban Assads, unter Misshandlungen ließ er ihn unter
den Saal hinabsteigen, und nachdem er ihn durch mehrere Türen geführt hatte,
bis in ein Loch, in welches man zwanzig Stufen hinab stieg, fesselte er ihn mit
den Füßen an eine sehr starke und schwere Kette.

Sobald er damit fertig war, ging er hin, die Töchter des
Greises zu benachrichtigen: Aber der Alte war schon selber dort und sprach zu
ihnen: „Meine Töchter, steigt hinunter und gebt dem Muselmann, den ich
eben gefangen habe, die Bastonade, so wie ihr wohl wisst, und schont ihn nicht:
Ihr könnt es nicht besser bezeigen, dass ihr gute Feueranbeterinnen seid.“

Bostane und Kavame, aufgezogen im Hass gegen alle
Muselmänner, empfingen diesen Befehl mit Freuden. Sie stiegen augenblicklich in
das Loch hinab, zogen Assad aus, und schlugen ihn unbarmherzig bis aufs Blut und
bis er ohne Bewusstsein da lag. Nach dieser grausamen Misshandlung stellten sie
einen Krug voll Wasser mit einem Brot neben ihn hin, und entfernten sich.

Assad kam erst lange Zeit nachher wieder zu sich. Dies
geschah nur, um Ströme von Tränen zu vergießen, indem er sein Elend beweinte,
jedoch mit dem Trost, dass dieses Unglück nicht seinem Bruder Amgiad begegnet
wäre.

Der Prinz Amgiad erwartete am Fuß des Berges seinen
Bruder Assad bis auf den Abend mit großer Ungeduld. Als er sah, dass die Sonne
schon längst untergegangen war und sein Bruder noch nicht zurückkam, geriet er
schier in Verzweiflung. Er brachte die Nacht in dieser trostlosen Unruhe hin.
Sobald der Tag anbrach, machte er sich auf den Weg nach der Stadt.

Er war sogleich sehr verwundert, nur sehr wenige
Muselmänner darin zu sehen. Er sprach den ersten, der ihm begegnete, an, und
bat, ihm zu sagen, wie die Stadt hieße. Er vernahm, dass es die Stadt der
Magier war, so genannt, weil die Magier oder Feueranbeter darin die überzahl,
dagegen nur sehr wenig Muselmänner dort sind. Er fragte auch, wie weit man von
hier nach der Ebenholzinsel rechnete. Die Antwort war, man gebrauchte zur See
vier Monate, und zu Lande ein Jahr zu der Reise. Der, an den er sich gewandt
hatte, verließ ihn so plötzlich, nachdem er ihm die beiden Fragen beantwortet
hatte, und setzte seinen Weg fort, weil er dringende Geschäfte hatte.

Amgiad, der mit seinem Bruder Assad nur in sechs Wochen
ungefähr von der Ebenholzinsel hergekommen war, konnte nicht begreifen, wie sie
einen so langen Weg in so kurzer Zeit gemacht hätten, wenn es nicht durch
Bezauberung geschehen, oder der Weg über das Gebirge, den sie gekommen, nicht
um so viel kürzer, und nur wegen seiner Schwierigkeit nicht gebräuchlich
wäre.

Indem er nun die Stadt durchwanderte, blieb er am Laden
eines Schneiders stehen, den er an seiner Kleidung für einen Muselmann
erkannte, so wie er schon den ersten, mit dem er gesprochen, daran erkannt
hatte. Er setzte sich, nachdem er ihn gegrüßt hatte, bei ihm nieder, und
erzählte ihm den Gegenstand seiner Bekümmernis.

Als der Prinz Amgiad geendigt hatte, erwiderte der
Schneider: „Wenn euer Bruder einem Magier in die Hände gefallen ist, so
müsst ihr fürchten, ihn nie wieder zu sehen. Er ist ohne Rettung verloren. Ich
rate euch, euch darüber zu trösten und daran zu denken, euch selber vor einem
ähnlichen Unfall zu bewahren. Drum, wenn ihr mir folgen wollt, so bleibt bei
mir, und ich will euch von allen Arglisten dieser Magier unterrichten, damit ihr
euch, beim Ausgehen, vor ihnen hüten könnt.“

Amgiad, sehr betrübt über den Verlust seines Bruders
Assad, nahm das Anerbieten an, und dankte dem Schneider tausendmal für die ihm
bewiesene Güte.

Geschichte
des Prinzen Amgiad mit einem Fräulein in der Stadt der Magier

Der Prinz Amgiad ging einen ganzen Monat lang nicht anders
durch die Stadt, als in Gesellschaft des Schneiders. Endlich wagte er es, allein
ins Bad zu gehen. Auf dem Rückweg begegnete er in einer Straße, worin sonst
niemand ging, einer Frau, die auf ihn zukam.

Als die Frau einen so wohl gebildeten Jüngling frisch aus
dem Bad kommen sah, lüftete sie ihren Schleier, und fragte ihn mit lächelnder
Miene und freundlichen Augen, wohin er ginge. Amgiad konnte den Reizen, die sie
ihn sehen ließ, nicht widerstehen, und antwortete: „Schöne Frau, ich gehe
nach Hause, oder mit euch, nach eurem Belieben.“

„Herr,“ erwiderte die Frau mit anmutigem
Lächeln, „Frauen meiner Art führen nicht die Männer in ihr Haus, sondern
gehen zu ihnen.“

Amgiad geriet über diese unerwartete Antwort in große
Verlegenheit. Er wagte es nicht, sie zu seinem Wirt zu führen, der daran
Anstoß genommen hätte. Er wäre in Gefahr gewesen, dadurch den Schutz zu
verlieren, dessen er in einer Stadt, wo man so vorsichtig sein musste, so sehr
bedurfte. Seine wenige Bekanntschaft hier machte, dass er sonst keinen Ort
wusste, wohin er die Schöne führen sollte: Und doch konnte er sich nicht
entschließen, eine so schöne Gelegenheit entschlüpfen zu lassen. In dieser
Ungewissheit beschloss er, sich dem Zufall zu überlassen und ohne der Frau zu
antworten, ging er vor ihr her, und sie folgte ihm.

Der Prinz Amgiad führte sie lange von Straße zu Straße,
von Ecke zu Ecke, von Platz zu Platz. Beide waren schon vom Wandern ermüdet,
als er eine Straße einschlug, an deren Ende ein Haus von recht schönem Ansehen
stand, dessen sehr hohe Pforte verschlossen war. An jeder Seite derselben stand
eine Bank: Amgiad setzte sich auf die eine, um Atem zu schöpfen und die Frau,
noch müder als er, setzte sich auf die andere.

Als die Schöne da saß, sprach sie zum Prinzen Amgiad:
„Das hier ist also euer Haus?“ – „Wie ihr seht, schöne
Frau,“ antwortete der Prinz. „Warum öffnet ihr nicht?“,
versetzte sie. „Was wartet ihr noch?“ – „Schöne Frau,“
antwortete Amgiad, „ich habe den Schlüssel nicht. Ich habe ihn meinem
Sklaven zurückgelassen, dem ich einen Auftrag gegeben, von welchem er noch
nicht zurück sein kann. Und da ich ihm noch befohlen habe, nach Ausrichtung
dieses Auftrages, mir Vorrat zu einem guten Mittagessen einzukaufen, so fürchte
ich, wir werden noch lange auf ihn warten müssen.“

Die Schwierigkeit, welche der Prinz fand, sein Gelüst zu
befriedigen, das ihn schon anfing zu gereuen, hatte ihm diese Ausflucht
eingegeben, in der Hoffnung, die Schöne würde ihn verlassen, um anderswo ihr
Glück zu versuchen: Aber er täuschte sich.

„Das ist doch ein nichtswürdiger Sklave, so lange
auf sich warten zu lassen!“, versetzte die Schöne. „Sobald er kommt,
will ich selber ihn abstrafen, wie er es verdient, wenn ihr es nicht gehörig
tut. Es ist unterdessen nicht wohlanständig, dass ich mit einem Mann allein an
der Tür bleibe.“

Indem sie dies sagte, stand sie auf und ergriff einen
Stein, um das Schloss zu zerschlagen, welches nur von Holz und sehr schwach war,
nach Landes Art.

Amgiad, in Verzweiflung über diesen Vorsatz, wollte ihn
verhindern und sagte zu ihr: „Schöne Frau, was wollt ihr tun? Ich bitte
euch, habt nur noch einige Augenblicke Geduld.“

„Was habt ihr zu fürchten?“, versetzte sie.
„Ist das Haus nicht euer? Es ist kein großer Schaden um ein zerbrochenes
Schloss aus Holz. Es ist leicht durch ein anderes zu ersetzen.“

Sie zerschlug also das Schloss und als die Türe geöffnet
war, trat sie hinein und ging voran.

Als Amgiad die Türe des Hauses erbrochen sah, hielt er
sich für verloren. Er schwankte, ob er eintreten oder entschlüpfen und sich
der, wie er glaubte, unvermeidlichen Gefahr entziehen sollte. Er war schon im
Begriff das letzte zu tun, als die Schöne sich umdrehte und sah, dass er ihr
nicht folgte.

„Was ist euch, warum tretet ihr nicht in euer
Haus?“, fragte sie ihn. „Schöne Frau,“ antwortete er, „ich
wollte mich nur umschauen, ob mein Sklave noch nicht zurückkäme, weil ich
fürchte, dass noch nichts bereit ist.“ – „Kommt, kommt,“ fuhr
sie fort, „wir können besser drinnen warten, als hier außen, bis er
kommt.“

Der Prinz Amgiad trat also wider seinen Willen in einen
geräumigen und reinlich gepflasterten Hof. Von hier stieg er mit der Schönen
einige Stufen hinauf in eine große Vorhalle, wo beide einen offnen, schön
eingerichteten Saal erblickten, und in dem Saal eine Tafel mit auserlesenen
Gerichten, eine andere mit verschiedenen Arten schöner Früchte, und einen
Schenktisch mit Weinflaschen besetzt.

Als Amgiad diese Zurichtungen sah, zweifelte er nicht mehr
an seinem Verderben. „Es ist um dich geschehen, armer Amgiad,“ sprach
er zu sich selber, „du wirst deinen geliebten Bruder Assad nicht lange
überleben!“

Die Schöne dagegen, erfreut über dies angenehme
Schauspiel, rief aus: „Wie nun, Herr? Ihr fürchtetet, dass nichts bereit
wäre: Ihr seht indessen, dass euer Sklave fleißiger gewesen ist, als ihr
glaubtet. Zwar, wenn ich mich nicht täusche, so sind dies Vorbereitungen für
eine andere Frau, als mich: Aber das tut nichts. Mag diese Frau kommen, ich
verspreche euch, nicht eifersüchtig darüber zu sein. Ich bitte euch nur um die
Gnade, mir zu erlauben, dass ich sie und auch euch bediene.“

Amgiad konnte sich nicht enthalten, über den Scherz der
Schönen zu lachen, so bekümmert er auch war. „Schöne Frau,“
erwiderte er, obwohl er im Herzen ganz andere trostlose Gedanken hegte,
„ich versichere euch, dass nichts weniger statt findet, als was ihr euch
einbildet. Dies ist nur meine gewöhnliche einfache Lebensweise.“

Da er sich nicht entschließen konnte, sich an eine Tafel
zu setzen, die nicht für ihn bereitet war, so wollte er sich auf das Sofa
setzen, aber die Schöne verhinderte ihn daran, und sprach zu ihm: „Was
wollt ihr tun? Nach dem Bad müsst ihr Hunger haben: Darum wollen wir uns zu
Tische setzen, essen und fröhlich sein.“

Amgiad war genötigt, zu tun, was die Schöne wollte: Sie
setzten sich zu Tische und aßen. Nach den ersten Bissen nahm die Schöne eine
Flasche und ein Glas, schenkte sich ein, und trank zuerst auf Amgiads
Gesundheit. Als sie ausgetrunken hatte, füllte sie dasselbe Glas, und reichte
es Amgiad, der ihr auch Bescheid tat.

Je mehr Amgiad über sein Abenteuer nachdachte, so mehr
war er in Verwunderung, dass der Herr des Hauses nicht erschien, und dass ein so
sauberes und reichlich versehenes Haus sogar ohne einen einzigen Bedienten war.
„Mein Glück wäre außerordentlich,“ sagte er bei sich selber,
„wenn der Herr nicht eher kommen könnte, als bis ich mich aus diesem
Handel gewickelt hätte.“

Während er sich mit diesen Gedanken, und andern noch
verdrießlicheren beschäftigte, fuhr die Schöne fort, zu essen, trank auch von
Zeit zu Zeit, und nötigte ihn, dasselbe zu tun.

Sie waren bald bei den Früchten, als der Herr des Hauses
ankam.

Dies war aber der Oberstallmeister des Königs der Magier,
und sein Name war Bahader1).
Das Haus gehörte ihm. Er hatte noch ein anderes, worin er eigentlich wohnte.
Dieses hier bediente er sich nur, um drei oder vier erwählte Freunde bei sich
zu bewirten. Er ließ alles dazu von seinem Wohnhaus hierher bringen. Das hatte
er auch diesen Tag durch einige seiner Leute tun lassen, die kurz vor Amgiads
Ankunft mit seiner Schönen wieder weggegangen waren.

Bahader kam ohne Gefolge und verkleidet, wie gewöhnlich.
Er kam etwas vor der seinen Freuden bestimmten Stunde, und war nicht wenig
überrascht, die Türe seines Hauses erbrochen zu sehen. Er trat ohne Geräusch
ein. Als er hörte, dass in dem Saal gesprochen wurde und man sich lustig
machte, schlich er sich längs der Mauer hin und steckte den Kopf halb in die
Türe, um zu sehen, was für Leute es wären. Als er sah, dass es ein junger
Mann mit einer jungen Frau war, die an der Tafel speisten, welche nur für seine
Gäste und für ihn bereitet worden, und also das Unglück nicht so groß war,
als er sich anfangs eingebildet hatte, so beschloss er, sich damit eine Lust zu
machen.

Die Schöne, welche den Rücken nach der Türe gewandt
hatte, konnte den Oberstallmeister nicht sehen, aber Amgiad erblickte ihn
sogleich, als er gerade das Glas in der Hand hatte. Er verwandelte bei diesem
Anblick die Farbe, und blickte starr nach Bahader, der ihm ein Zeichen gab, zu
schweigen und zu ihm zu kommen.

Amgiad trank und stand auf. „Wo wollt ihr hin?“,
fragte ihn die Schöne. „Edle Frau,“ antwortete er ihr, „bleibt,
ich bitte euch, ich bin sogleich wieder bei euch. Ich muss einen Augenblick
hinausgehen.“

Er ging zu Bahader, der ihn in der Vorhalle erwartete und
ihn in den Hof führte, um mit ihm zu reden, ohne dass die Frau es hörte
…“

Scheherasade bemerkte bei diesen letzten Worten, dass es
für den Sultan von Indien Zeit wäre aufzustehen, und schwieg. In der folgenden
Nacht aber hatte sie Zeit, fort zu fahren, und also zu ihm zu sprechen:


1)
Bahader bedeutet stämmig, untersetzt.