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225. Nacht

„Herr, als der Prinz und die Prinzessin also
nebeneinander lagen, erhub sich zwischen dem Geist und der Fee ein großer Zwist
über den Vorzug ihrer Schönheit. Sie bewunderten und verglichen beide eine
Zeit lang schweigend. Dachnesch unterbrach das Schweigen zuerst und sagte zu
Maimune: „Nun, seht ihr, ich hatte es euch wohl gesagt, dass meine
Prinzessin schöner ist, als euer Prinz. Zweifelt ihr noch daran?“

„Was, ob ich daran zweifle?“, erwiderte Maimune.
„Ja, wahrlich zweifle ich daran. Du musst blind sein, wenn du nicht siehst,
dass mein Prinz deine Prinzessin weit übertrifft. Deine Prinzessin ist schön,
ich leugne es nicht, aber übereile dich nicht, sondern vergleiche sie ohne
Vorliebe genau miteinander, und du wirst sehen, dass es sich verhält, wie ich
sage.“

„Wenn ich auch noch so viel Zeit darauf verwendete,
beide zu vergleichen, so würde ich doch nicht anders darüber denken, als
jetzt. Ich sehe, was ich bei dem ersten Blick sah, und die Folge würde mich
nichts anders sehen lassen, als was ich jetzt sehe. Das soll mich jedoch nicht
hindern, reizende Maimune, euch nachzugeben, wenn ihr es wünscht.“ –
„Nicht also,“ erwiderte Maimune, „ich will nicht, dass ein
verfluchter Geist, wie du, mir eine Gnade antue. Ich berufe mich über diese
Sache auf einen Schiedsrichter. Wenn du nicht darein willigst, so nehme ich
deine Weigerung für Bekenntnis an, dass ich gewonnen habe.“

Dachnesch, der zu jeder Gefälligkeit gegen Maimune bereit
war, hatte nicht sobald seine Einwilligung gegeben, als Maimune mit dem Fuß auf
die Erde stampfte. Sogleich tat die Erde sich auf, und daraus hervor stieg ein
scheußlicher Geist, bucklig, einäugig und lahm, mit sechs Hörnern auf dem
Kopf, und gekrümmten Händen und Füßen. Sobald er herauf war und die Erde
wieder zugeschlossen hatte, und er Maimune erblickte, warf er sich ihr zu
Füßen, und mit einem Knie auf der Erde fragte er sie, was sie von ihrem
gehorsamsten Diener verlangte.

„Steh auf, Kaschkasch,“ (so hieß der Geist)
sagte sie zu ihm, „ich ließ dich herkommen, um einen Streit zu
entscheiden, den ich mit diesem verfluchten Dachnesch habe. Wirf einen Blick auf
das Bett, und sage mir unparteiisch, wer dir schöner dünkt, der Jüngling oder
die Jungfrau?“

Kaschkasch betrachtete den Prinzen und die Prinzessin mit
dem Zeichen des höchsten Erstaunens und der Bewunderung. Nachdem er beide lange
verglichen hatte, ohne sich entscheiden zu können, sagte er zu Maimune:
„Herrin, ich bekenne, ich würde euch täuschen und mich selber
hintergehen, wenn ich euch sagte, dass ich eins von ihnen schöner fände, als
das andere. Je mehr ich untersuche, desto mehr scheint mir, dass jedes den
höchsten Grad der Schönheit besitzt, welche sie miteinander teilen, so viel
ich davon verstehe; und keines hat den mindesten Fehl, so dass man dem andern
darin einen Vorzug erteilen könnte. Wenn aber eins oder das andere dergleichen
haben sollte, so gibt es, meiner Meinung nach, nur ein Mittel sich darüber
aufzuklären. Das ist, sie nacheinander aufzuwecken, und anzunehmen, dass, wer
für den anderen mehr Liebe bezeugt, durch seien Glut und Heftigkeit, und selbst
durch sein Entzücken, gewissermaßen auch weniger Schönheit habe.“

Der Rat des Kaschkasch gefiel Maimune und Dachnesch.
Maimune verwandelte sich in eine Floh, und sprang auf Kamaralsamans Hals. Sie
stach ihn so heftig, dass er aufwachte, und mit der Hand nach der Stelle hin
fuhr, aber er fing nichts. Maimune war schleunig zurückgesprungen und hatte
ihre gewöhnliche Gestalt wieder angenommen, zwar unsichtbar, wie die andern
beiden Geister, um Zeuge zu sein, was er tun würde.

Als der Prinz die Hand zurückzog, ließ er sie auf die
Hand der Prinzessin von China fallen. Er schlug die Augen auf, und war höchst
erstaunt, neben ihm ein Fräulein von so großer Schönheit liegen zu sehen. Er
hub das Haupt empor und stützte sich auf den Ellenbogen, um sie besser zu
betrachten. Die blühende Jugend der Prinzessin und ihre unvergleichliche
Schönheit entzündeten in einem Augenblick in ihm ein Feuer, für welches er
noch immer unempfindlich gewesen war, und wovor er sich bisher mit so viel Scheu
gehütet hatte.

Die Liebe bemächtigte sich seines Herzens auf die
lebhafteste Weise, und er konnte sich nicht enthalten, auszurufen: „Welche
Schönheit! Welche Reize! Mein Herz! Meine Seele!“ Und indem er dies sagte,
küsste er sie auf die Stirn, auf beide Wangen und auf den Mund, mit so wenig
Vorsicht, das sie aufgewacht sein würde, wenn sie nicht durch die Bezauberung
des Dachnesch fester geschlafen hätte, als gewöhnlich.

„Wie, mein schönes Fräulein,“ fuhr der Prinz
fort, „ihr erwacht nicht von diesen Liebeszeichen des Prinzen Kamaralsaman!
Wer ihr auch seid, er ist eurer Liebe nicht unwürdig.“

Er war im Begriff, sie in allem Ernst aufzuwecken, aber er
besann sich plötzlich. „Sollte es nicht,“ sagte er bei sich selber,
„diejenige sein, welche der Sultan, mein Vater, mir zur Gattin geben
wollte? Er hat sehr Unrecht, dass er sie mich nicht eher sehen ließ. Ich würde
ihn nicht durch meinen Ungehorsam und durch meine öffentliche Widersetzlichkeit
so beleidigt, und er würde sich die Beschämung erspart haben, welche ich ihm
verursacht habe.“

Der Prinz Kamaralsaman bereute aufrichtig den Fehler, den
er begangen hatte, und er war nochmals im Begriff, die Prinzessin von China zu
wecken, aber indem er sich wieder anhielt, sprach er: „Vielleicht will mein
Vater mich überraschen: Ohne Zweifel hat er dieses junge Fräulein abgeschickt,
um mich zu versuchen, ob ich wirklich so großen Abscheu vor dem Ehestand trage,
als ich ihm bezeigt habe. Wer weiß, ob er selber sie nicht hergebracht, und ob
er sich nicht versteckt hat, um hervor zu treten und mich über meine
Verstellung zu beschämen. Dieser zweite Fehl würde noch weit größer sein,
als der erste. Auf jeden Fall will ich mich mit diesem Ring begnügen, um ein
Andenken von ihr zu bewahren.“

Dies war ein schöner Ring, auf welchem folgende Verse
eingegraben standen:

„Glaube nicht, dass ich ihn vergessen habe, den Eid,
den du mir geleistet hast;
Mein Herz ist auf glühenden Kohlen, seit dem Augenblick, wo du mich
verließest.“

Er zog diesen Ring der Prinzessin behende vom Finger, und
steckte ihr den seinigen dafür an. Hierauf kehrte er ihr den Rücken zu, und es
währte nicht lange, so schlief er, durch Bezauberung des Geistes, wieder ebenso
fest, als zuvor.

Sobald der Prinz Kamaralsaman eingeschlafen war,
verwandelte sich Dachnesch ebenfalls in einen Floh, sprang hin und stach die
Prinzessin unter die Lippe. Sie wachte auf, und richtete sich empor. Als sie die
Augen öffnete, war sie sehr erstaunt, sich neben einem Mann liegen zu sehen.
Von dem Erstaunen ging sie zur Bewunderung über, und von der Bewunderung zum
übermaße der Freude, welche sie blicken ließ, sobald sie sah, dass es ein so
wohl gebildeter Jüngling war.

„Wie!“, rief sie aus, „seid ihr es, den der
König, mein Vater, mir zum Gemahl bestimmt hat? Es tu mir sehr leid, das nicht
gewusst zu haben: Ich würde ihn nicht gegen mich in Zorn versetzt haben, und
nicht so lange eines Gemahls beraubt gewesen sein, den ich mich nicht enthalten
kann, von ganzem Herzen zu lieben. – Wacht auf, wacht auf! Es steht einem
Bräutigam nicht sein, in der Brautnacht so viel zu schlafen.“

Indem sie dieses sprach, fasste sie den Prinzen
Kamaralsaman beim Arm und schüttelte ihn so stark, dass er aufgewacht wäre,
wenn die Fee Maimune nicht in dem Augenblick durch ihre Bezauberung seinen
Schlaf vermehrt hätte. Sie schüttelte ihn ebenso zu wiederholten Malen, und
als sie sah, dass er nicht aufwachte, fuhr sie fort: „Ei, was ist euch denn
zugestoßen? Sollte ein auf euer und mein Glück neidischer Nebenbuhler euch
behext und in diesen unüberwindlichen Schlaf versenkt haben, jetzt, wo ihr
munterer als jemals sein solltet?“

Sie fasste nun seine Hand, und indem sie sie zärtlich
küsste, bemerkte sie den Ring an seinem Finger. Sie fand ihn dem ihrigen so
ähnlich, dass sie ihn unbedenklich für den ihrigen hielt, als sie sah, dass
sie einen anderen dafür trug. Sie begriff nicht, wie dieser Tausch geschehen
war, aber sie zweifelte nicht, dass es das gewisse Zeichen ihrer Vermählung
wäre. Müde der vergeblichen Mühe, welche sie sich gab, ihn zu wecken, und
versichert, wie sie wähnte, dass er ihr nicht entgehen würde, sagte sie:
„Da ich es nicht dahin bringen kann, euch zu wecken, so will ich mich nicht
mehr abmühen, euren Schlaf zu unterbrechen, auf Wiedersehen!“

Nachdem sie ihm mit diesen Worten einen Kuss auf die Wange
gedrückt hatte, legte sie sich wieder nieder, und brauchte nur sehr wenig Zeit,
um wieder einzuschlafen.

Als Maimune sah, dass sie, ohne Furcht die Prinzessin von
China zu wecken, sprechen konnte, sagte sie zu Dachnesch: „Nun, du
Verfluchter, hast du’s gesehen? Bist du nun überzeugt, dass deine Prinzessin
nicht so schön ist, als mein Prinz? Geh, ich will dir die Wette, die du mir
schuldig bist, schenken. Ein andermal glaube mir, wenn ich dich etwas
versichere.“ Und indem sie sich zu Kaschkasch wandte, fügte sie hinzu:
„Was dich betrifft, so danke ich dir. Nimm mit Dachnesch die Prinzessin,
und tragt sie zusammen in ihr Bett, wohin er dich weisen wird.“

Dachnesch und Kaschkasch vollzogen den Befehl Maimunes,
und Maimune begab sich wieder in ihren Brunnen.“

Der anbrechende Tag gebot der Sultanin Scheherasade
Stillschweigen, und der Sultan von Indien stand auf. In der folgenden Nacht fuhr
die Sultanin in der Erzählung dieser Geschichte also fort: