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223. Nacht

„Herr, nachdem der Großwesir sich entfernt hatte,
ging der Sultan Schachsaman zu der Mutter des Prinzen Kamaralsaman, der er schon
lange sein sehnlichstes Verlangen mitgeteilt hatte, ihn zu vermählen. Als er
ihr mit Schmerz erzählt, auf welche Weise derselbe es ihm abermals versagt
hatte, und die Nachsicht, die er ihm noch wollte angedeihen lassen, fügte er
hinzu: „Herrin, ich weiß, dass er mehr Zutrauen zu euch hat, als zu mir,
und dass er eueren Worten zutraulicher Gehör gibt. Darum bitte ich euch, die
Zeit wahrzunehmen, und ernsthaft mit ihm davon zu sprechen, und gebt ihm wohl zu
bedenken, dass wenn er in seinem Starrsinn beharrt, er mich am Ende zwingen
wird, zum äußersten zu schreiten, was sehr schmerzlich für mich sein, ihn
aber auch seinen Ungehorsam bereuen lassen würde.“

Fatime1),
so hieß die Mutter Kamaralsamans, bezeugte dem Prinzen, ihrem Sohn, beim
nächsten Besuch, sie wüsste, dass er dem Sultan, seinem Vater, abermals
abgeschlagen hätte, sich zu vermählen, und wie bekümmert sie darüber wäre,
ihm einen so großen Anlass des Zorns gegeben zu haben. „Meine
Mutter,“ erwiderte Kamaralsaman, „ich bitte euch, meinen Verdruss
über diese Angelegenheit nicht zu erneuen: Ich fürchte zu sehr, dass in meinen
ärger darüber, mir etwas gegen die euch schuldige Ehrfurcht entfahren
möchte.“

Fatime sah aus dieser Antwort wohl, dass die Wunde noch zu
frisch war, und sprach für diesmal nicht weiter davon.

Lange Zeit darauf glaubte Fatime Gelegenheit gefunden zu
haben, mit mehr Hoffnung, gehört zu werden, über denselben Gegenstand mit ihm
zu sprechen. „Mein Sohn,“ sagte sie, „ich bitte dich, wenn es dir
nicht zuwider ist, mir doch die Gründe zu sagen, welche dir einen so großen
Abscheu gegen die Ehe einflößen. Wenn du keine anderen hast, als die von der
Schlechtigkeit und Bosheit der Weiber, so gibt es keine schwächere, noch
unbilligere. Ich will nicht die Verteidigung der bösen Weiber übernehmen. Es
gibt deren eine große Menge, ich bin ganz überzeugt davon: Aber es ist die
schreiendste Ungerechtigkeit, alle dafür zu erklären. Wie, mein Sohn, willst
du bei einigen von jenen stehen bleiben, von welchen eure Bücher erzählen, die
allerdings große Verwirrungen angerichtet haben, und die ich nicht
entschuldigen will? Aber warum denkst du nicht auch an so viele Könige,
Sultane, und andere Fürsten, deren Gewalttaten, Unmenschlichkeiten und
Grausamkeiten, in den Geschichtsbüchern, die ich gelesen habe, so wie du, mit
Entsetzen erfüllen? Gegen eine Frau wirst du tausend solcher Wüteriche und
Unmenschen finden. Und glaubst du, dass die ehrbaren und verständigen Frauen,
welche das Unglück haben, mit diesen Scheusalen vermählt zu sein, sehr
glücklich sind?“

„Meine Mutter,“ erwiderte Kamaralsaman,
„ich zweifle nicht, dass es eine große Menge verständiger, tugendhafter,
guter, sanfter und sittsamer Frauen gibt: Wollte Gott, dass sie alle euch
glichen! Was mich empört, ist die zweifelhafte Wahl, der ein Mann bei seiner
Vermählung ausgesetzt ist, oder vielmehr dass man ihm oft nicht die Freiheit
lässt, nach seinem Willen zu wählen. Gesetzt, ich hätte mich entschlossen,
mich zu vermählen, wie der Sultan, mein Vater, es so ungeduldig wünscht:
Welche Frau wird er mir geben? Wahrscheinlich eine Prinzessin, um welche er bei
einem benachbarten Fürsten werben, und welche ihm zu senden dieser sich zur
Ehre machen wird. Sei sie schön oder hässlich, ich muss sie nehmen. Gesetzt
auch, dass keine andere Prinzessin ihr an Schönheit zu vergleichen wäre: Wer
kann mich versichern, dass sie auch Geist hat, dass sie gefällig, zuvorkommend,
sanft und freundlich, dass ihre Unterhaltung anziehend ist, und nicht bloß
Kleider, Anzug, Putz und tausend andere Kleinigkeiten betrifft, die ein
verständiger Mann bemitleiden muss. Mit einem Wort, dass sie nicht stolz,
hochmütig, zänkisch und höhnisch ist, und dass sie nicht durch ihre
Verschwendung für Kleider, Juwelen, Schmuck, und anderen törichten Aufwand den
ganzen Staat erschöpft? Wie ihr seht, meine Mutter, so gibt es schon in einer
Rücksicht unzählige Beweggründe, die mir jede Heirat verleiden müssen. Mag
endlich aber auch diese Prinzessin vollkommen und untadlig in allen diesen
Beziehungen sein, so habe ich doch noch eine große Menge viel stärkerer
Gründe, auf meiner Abneigung und meinem Entschluss zu bestehen.“

„Wie, mein Sohn,“ erwiderte Fatime, „du
hast noch andere Gründe, außer denen, die du mir so eben gesagt hast? Diese
wollte ich dir übrigens wohl beantworten, und mit einem Wort dir den Mund
schließen.“

„Lasst euch nicht davon abhalten, meine Mutter,“
versetzte der Prinz, „ich habe vielleicht auch noch auf euer Antwort zu
erwidern.“

„Ich wollte sagen, mein Sohn,“ fuhr Fatime fort,
„dass es einem Prinzen, wenn er das Unglück hat, eine solche Prinzessin zu
heiraten, wie du sie hier beschreiben hast, leicht ist, sie zu verstoßen, und
so das Verderben des Staats abzuwenden.“

„Aber, liebe Mutter,“ erwiderte der Prinz
Kamaralsaman, „seht ihr nicht, wie widerwärtig es für einen Prinzen ist,
zu solch einem Schritt gezwungen zu sein? Ist es nicht besser für seinen Ruhm
und für seine Ruhe, sich dem lieber gar nicht auszusetzen?“

„Aber, mein Sohn,“ sagte Fatime noch, „nach
deiner Vorstellungsweise, sehe ich wohl, willst du der letzte von den Königen
deines Stammes sein, welche diese Insel Chaledan so ruhmvoll beherrscht
haben.“

„Liebe Mutter,“ antwortete der Prinz
Kamaralsaman, „ich wünsche nicht, den König, meinen Vater, zu überleben.
Und wenn ich vor ihm sterbe, so darf man sich darüber nicht wundern, da so
viele Kinder vor ihren Eltern sterben. Es ist aber immer ruhmvoll für einen
Königsstamm, mit einem großen Fürsten zu enden: Ich werde mich bemühen, mich
meiner Ahnherren, und vor allem des ersten Königs meines Stammes, würdig zu
machen.“

Seit dieser Zeit hatte Fatime sehr häufig ähnliche
Unterhaltungen mit dem Prinzen Kamaralsaman, und sie wandte alle mögliche
Mittel an, seine Abneigung zu besiegen. Er aber widerlegte alle Gründe, die sie
aufbringen mochte, durch Gegengründe, auf welche sie nichts zu antworten
wusste, und so blieb er unerschütterlich.

Das Jahr verfloss, und zum großen Leidwesen des Sultans
Schachsaman, gab der Prinz Kamaralsaman nicht das geringste Zeichen von einer
Sinnesänderung.

Endlich, in einem feierlichen Staatsrat, wo der
Großwesir, die übrigen Wesire, die vornehmsten Kronbeamten und die Feldherren
versammelt waren, nahm der Sultan das Wort, und sprach zu dem Prinzen:

„Mein Sohn, schon längst habe ich dir mein lebhaftes
Verlangen bezeugt, dich vermählt zu sehen, und ich erwartete von dir mehr
Gefälligkeit für einen Vater, der nichts Unbilliges von dir forderte. Nach
einem so langen Widerstand, der meine Geduld erschöpft, wiederhole ich dir
dieselbe Angelegenheit hier in meinem Reichsrat. Es gilt jetzt nicht mehr bloß
einen Vater zu gewähren, was du ihm nicht versagt haben solltest: Die Wohlfahrt
meiner Staaten erfordert es, und alle diese Herren bitten mit mir darum.
Erkläre dich also, damit ich nach deiner Antwort die Maßregeln nehme, welche
ich nehmen muss.“

Der Prinz Kamaralsaman antwortete hierauf mit solcher
Heftigkeit, dass der Sultan, in gerechtem Zorn über die Beschämung, welche ihm
im vollen Staatsrat von einem Sohn widerfuhr, ausrief: „Wie, du entarteter
Sohn! Du hast die Unverschämtheit, also zu deinem Vater und Sultan zu
sprechen!“

Hierauf ließ er ihn durch die Wache festnehmen, und nach
einem alten, längst unbewohnten Turm führen, wo er, mit einem Bett, etlichen
Büchern und einem einzigen Sklaven zur Bedienung, eingesperrt wurde.

Kamaralsaman, zufrieden, sich ungestört mit seinen
Büchern unterhalten zu können, betrachtete sein Gefängnis mit
Gleichgültigkeit. Gegen Abend stand er von ihnen auf und verrichtete sein
Gebet, und nachdem er einige Kapitel des Korans mit derselben Ruhe gelesen
hatte, als wenn er in seinem Zimmer, im Palast des Sultans, seines Vaters,
gewesen wäre, legte er sich nieder, ohne die Lampe neben seinem Bett
auszulöschen, und schlief ein.

In diesem Turm befand sich ein Brunnen, welcher einer Fee,
Namens Maimune2),
Tochter Damriats, des Königs einer Legion Geister, während des Tages zum
Aufenthalt diente. Es war um Mitternacht, als Maimune sich leicht aus dem
Brunnen emporschwang, um, nach ihrer Gewohnheit, die Welt zu durchstreifen,
wohin etwas die Neugier sie führen möchte. Sie war sehr verwundert, Licht in
dem Zimmer des Prinzen Kamaralsaman zu sehen. Sie schwebte hinein, und ohne sich
bei dem Sklaven aufzuhalten, der an der Türe schlief, näherte sie sich dem
Bett, dessen Pracht sie anzog, und sie erstaunte noch mehr, als sie jemand darin
schlafen sah.

Der Prinz Kamaralsaman hatte das Gesicht halb unter der
Decke verhüllt. Maimune hub sie ein wenig auf, und erblickte den schönsten
Jüngling, den sie jemals auf dem bewohnten Teile der Erde, welche sie so oft
durchstreifte, gesehen. „Welch ein Glanz,“ sagte sie bei sich selber,
„oder vielmehr welch ein Wunder von Schönheit muss dies nicht sein, wenn
die Augen, welche durch diese so wohl gebildeten Augenlieder bedeckt sind, sich
öffnen! Welchen Anlass kann er gegeben haben zu einer seines hohen Ranges so
unwürdigen Behandlung!“ – Denn sie hatte schon von seiner Geschichte
gehört, und ahnte den Zusammenhang.

Maimune konnte nicht müde werden, den Prinzen
Kamaralsaman zu bewundern. Doch endlich, nachdem sie ihn auf beide Wangen und
mitten auf die Stirne geküsst hatte, ohne ihn aufzuwecken, legte sie die Decke
wieder, wie zuvor, und schwang sich in die Lüfte empor.

Als sie sich wohl bis zur mittleren Region erhoben hatte,
vernahm sie einen Flügelschlag, der sie nach derselben Richtung hinzog. Als sie
näher kam, erkannte sie, dass es auch ein Geist war, der dieses Geräusch
machte, aber einer jener von Gott abtrünnigen Geister. Maimune dagegen war eine
von den Geistern, die der große Salomon zur Erkenntnis Gottes zwang.

Dieser Geist, der Dachnesch hieß und ein Sohn des
Schamhurasch war, erkannte auch Maimune, aber mit großem Schrecken. Denn er
wusste wohl, dass sie eine große Gewalt über ihn hatte, durch ihre
Unterwerfung an Gott. Er hätte gern ihre Begegnung vermieden, aber er befand
sich so nahe bei ihr, dass er sich schlagen oder unterwerfen musste.

Dachnesch kam Maimune zuvor, und sagte zu ihr mit
bittendem Ton: „Schwört mir bei dem hohen Namen Gottes, dass ihr mir kein
Leid tun wollt, und ich verspreche euch von meiner Seite dasselbe.“

„Verfluchter Geist,“ erwiderte Maimune,
„welches Leid kannst du mir tun? Ich fürchte dich nicht. Ich will dir wohl
diese Gnade gewähren, und leiste dir den Eid, welchen du verlangst. – Sage mir
nun, woher du kommst, und was du diese Nacht gesehen und getan hast?“

„Schöne Fee,“ antwortete Dachnesch, „ihr
begegnet mir zur gelegenen Zeit, um etwas Wunderbares zu vernehmen.“

Die Sultanin konnte ihre Erzählung nicht weiter
fortsetzen, weil das Tageslicht sich schon blicken ließ. Sie schwieg also, und
in der folgenden Nacht fuhr sie folgendermaßen fort:


1)
Fatime bedeutet im arabischen die Gespänte, d.i. die von der Muttermilch
entwöhnte, abgesetzte Tochter.